Das Mochizuki Monogatari von _Delacroix_ ================================================================================ Der Himmelshund --------------- Hot summer days A wild, crazy tengu meets a raging bull     Eiroku 5*.   Takeda Shingen war nicht begeistert gewesen, als er sein Pferd am Anfang des schmalen Bergpfades hatte zurücklassen müssen. Aber irgendwie war er ja selbst schuld. Hätte er die Frau mit ihrer wahnwitzigen Idee in ein weniger abgelegenes Dorf gesteckt, er müsste nun nicht laufen, um seinen Beweis einzufordern. Stumm musterte er die Felswand zu seiner Linken. Irgendwie hatten es ein paar einsame Nadelbäume geschafft, sich auf dem kargen Felsen anzusiedeln. Sie bildeten, zusammen mit ihrem bizarren Wurzelwerk den einzigen Schutz vor herabfallenden Steinen. Sein Bruder, Nobutatsu* folgte seinem Blick. „Noch können wir umdrehen“, erinnerte er ihn. Shingen schüttelte den Kopf. Das konnte er natürlich nicht. Er konnte keine Frau auf einen Berg schicken, während er sich selbst zierte hinaufzusteigen. Außerdem, was sollte schon passieren? Es hatte in den letzten Tagen nicht geregnet. Der Boden war ruhig und die Gefahr einschätzbar. Und sollte sich ihnen doch ein Strauchdieb in den Weg stellen ... Er warf einen Blick hinter sich, wo zwei seiner Wachen aufmerksam den Weg im Auge behielten. Sie waren fünf voll ausgerüstete Samurai. Sie auf diesem Weg anzugreifen, käme einem Selbstmord gleich. „Mein Lord“, erklang es von vorne, und Shingen wandte seine Aufmerksamkeit seinem letzten Begleiter zu. Akiyama Nobutomo* befand sich bereits seit langer Zeit in seinen Diensten und hatte stets einen guten Rat für ihn parat. Nun legte er die Hand ans Ohr und signalisierte ihm zu lauschen.   Shingen spitzte seine Ohren, doch abgesehen von einem gelegentlichen Vogelzwitschern hörte er nichts. „Ich höre nichts“, sprach sein Bruder die Tatsachen aus und Nobutomo nickte langsam. „Findet Ihr das nicht auch merkwürdig?“, fragte er, „Auf einem Bergweg so weit fort von allen Menschen, sollte man doch viel mehr Vögel singen hören.“   Nobutatsu schüttelte den Kopf. „Es ist nur ein Bergweg“, erinnerte er ihn, „und den Vögeln ist vielleicht einfach nicht nach singen zumute. Vielleicht schwitzen sie genauso viel wie ich.“ Shingen erlaubte sich ein Lachen. Irgendwie hatte sein Bruder ja recht. Selbst hier, auf dem verhältnismäßig schattigen Bergweg war es unangenehm heiß und drückend. „Es kann nicht mehr weit bis nach Nezu sein“, beruhigte er seine Begleiter und die Taktik schien zu funktionieren, denn sein Bruder leckte sich prompt über die Lippen. „Ich hoffe, sie haben Sake* dort“, murmelte er zu niemand Bestimmtem und beinahe hätte Shingen noch einmal gelacht. Es gab wirklich kaum ein Problem auf der Welt, das sich nicht mit der Aussicht auf eine kühle Schale Sake lösen ließ.   Stumm marschierte er weiter, folgte Nobutomo um eine schmale Kurve herum und stellte zu seiner Enttäuschung fest, dass der Weg dahinter noch immer anstieg. Irgendwo krächzte eine Krähe.   „Vielleicht sollten wir eine kurze Pause einlegen, bevor wir den Rest des Weges hinaufsteigen“, riet Nobutomo und Shingen nickte angetan. Eine Pause war jetzt genau das Richtige, um die Stimmung seiner Gruppe zu heben. Mit einem Stöhnen kam Nobutatsu neben ihm zum Stehen. Ihn würde die Pause sicherlich am meisten freuen. Shingen öffnete den Mund, halb bereit, einen dummen Witz über den Schweiß zu machen, der seinem Bruder auf der Stirn stand. Doch plötzlich zerriss ein Schrei die Stille.   Shingens Hand fuhr zu seinem Katana, sein Bruder machte einen schnellen Schritt zurück, dann platzte eine der Wachen um die Ecke. „Lord Takeda, Lord Takeda! Ryo ist weg!“   „Was soll das heißen, Ryo ist weg?“, blaffte Shingen. „Wir sind auf einem verdammten Berg, da kann er doch nicht einfach verschwinden.“ „Ich bin vor ihm gegangen, weil der Weg schmaler wurde und als ich mich das nächste Mal umdrehte, war er fort.“ „Ist er vielleicht hinuntergestürzt?“, fragte Nobutatsu mit einem unsicheren Blick in den Abgrund. Nobutomo schüttelte den Kopf. „Wenn du in den Abgrund stürzen würdest, würdest du dabei quieken wie ein Schwein“, belehrte er ihn. Shingen nickte. „Da ist etwas dran“, stimmte er seinem Vertrauten zu und ignorierte den beleidigten Blick seines jüngeren Bruders. Es war definitiv nicht gut, dass seine Wache einfach so verschwunden war. „Ab sofort halten wir strenge Formation“, befahl er. „Jeder achtet auf seinen Vordermann. Los, weiter, die Pause ist gestrichen.“     Shingen stapfte hinter Nobutomo her. Der Weg war immer noch nicht wieder breit genug, um nebeneinander gehen zu können und das war schlecht. Hinter ihm hörte er seinen Bruder schwatzen. Seit Nobutomo seine Absturztheorie zerrissen hatte, überlegte er, welche andere Erklärung es für das Verschwinden des Mannes geben konnte. „Vielleicht ist er desertiert?“, formulierte er seine neueste Theorie und brachte Shingen dazu, eilig den Kopf zu schütteln. Natürlich kam es vor, dass Männer desertierten, aber in der Regel taten sie so etwas, wenn ein Gefecht zu scheitern drohte, nicht wenn sie einem Bergweg folgen sollten. Außerdem ... „Der Rest unserer Männer wartet mit den Pferden am Anfang des Pfades. Selbst wenn er beschlossen hätte zu verschwinden, würde er ihnen doch direkt in die Arme laufen. Das ergibt so keinen Sinn.“ Nobutatsu schnaubte. „Wenn er nicht gegangen ist und auch nicht abgestürzt, bleibt doch nur eines übrig, oder?“, fragte er. Shingen rollte mit den Augen. Er wusste ganz genau, was jetzt kommen würde. „Du wirst unserem Lord nicht ernsthaft erzählen wollen, sein Soldat wäre von einem Bären gefressen worden?“, entgegnete Nobutomo an seiner Stelle. Shingen konnte das Kopfschütteln seines Bruders vor seinem inneren Auge sehen. „Kein Bär“, raunte er leise, „Ich denke, es war ... ein Tengu*.“ Nobutomo stöhnte genervt. „Ein Tengu“ wiederholte er, „Natürlich. Weil so oft Teile unserer Wachen von Tengus zerrissen werden.“ „Zumindest erklärt das sein Verschwinden“, hielt Nobutatsu tapfer dagegen, „Über deinem Dickschädel hast du immerhin nicht nach ihm gesucht.“ „Pass auf, dass ich dir deinen Dickschädel nicht spalte“, grollte Nobutomo zurück und Shingen erlaubte sich einen genervten Seufzer. „Könntet ihr euren Disput bitte auf später verschieben?“, fauchte er die beiden an. So amüsant es manchmal auch war, ihnen beim Streiten zuzuhören, gerade war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür. „Statusmeldung“, blaffte er nach hinten, doch außer einem leisen „Ähm“, Nobutatsus blieb die Antwort aus. Verärgert fuhr Shingen herum und sah nichts.   Denn nun war auch seine zweite Wache verschwunden.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)