Das Mochizuki Monogatari von _Delacroix_ ================================================================================ Das Dorf Nezu -------------   Moisture summertime A very loud mosquito flies above the village       „Du musst den Stab höher halten“, erklärte Chiyome und tippte mit der Fingerspitze gegen den Arm eines jungen Mädchens. Das kicherte albern und tat wie ihm geheißen, was dazu führte, dass der Stein sich besser als der Letzte in das Mauerwerk einfügen ließ. Chiyome nickte dem Kind noch einmal zu, dann ging sie weiter.   Ein Stückchen den Weg hinauf saß Kiyo im Schatten eines großen Baumes und zeichnete mit geübter Hand Hiragana aufs Pergament. „Ma“, erklärte sie und zeigte mit der Hand auf eines der Zeichen. Mehrere Mädchen nickten. „Ma“, wiederholten sie im Chor.   Chiyome hielt für einen Moment inne und sah ihnen beim Üben zu. Es würde noch mehrere Tage dauern, bis sie das einfache Frauenalphabet ˗ die Hiragana* ˗ beherrschen würden. Erst danach konnten sie beginnen, ihnen die Schrift der Männer ˗ die Kanji* ˗ beizubringen. Das Ganze war ein großes Projekt und Chiyome konnte noch nicht sagen, ob sie bis zum Ende des Jahres vorzeigbare Ergebnisse haben würden. Dennoch war das Ganze unabdingbar. Wenn diese Mädchen in Zukunft für sie arbeiten wollten, mussten sie Dokumente lesen können, egal ob sie aus der Hand einer Prinzessin oder der eines Daimyōs stammten. „Me“, erklärte Kiyo und Chiyome setzte ihren Weg fort. Es schien, als habe ihre Zofe die Schüler gut im Griff.   Ein paar Meter weiter, saßen zwei ältere Frauen im Gras und nähten. Sie lächelten, als Chiyome an ihnen vorüberschritt. Eine von ihnen schlug nach einer Mücke. Überall in ihrem Bergdorf gab es Mücken. Chiyome wusste nicht wieso, aber an manchen Tagen glaubte sie, dass es in ihrem Dorf mehr Mücken als Menschen gab. Es waren miese, kleine Räuber, gegen die oft nur hartnäckiges Räuchern half und hartnäckiges Räuchern half leider nicht nur gegen Mücken. Unwillkürlich rümpfte sie die Nase, während sie weiter marschierte. Um den abgestorbenen Baum herum, über drei lange, flache Steine und schließlich noch ein Stück über die Bergwiese, deren Gras nie wirklich trocken zu werden schien. Dann hörte sie die ersten Schüler lachen und ihr Schritt verlangsamte sich. Hier draußen, so weit abgeschottet wie irgendwie möglich, gab Katsurou seine Stunden.   Zwei Mädchen tänzelten umeinander herum, in der Hand ein Stück Holz, mit dem sie versuchten, einander zu schlagen. Eine von ihnen holte aus, Holz traf krachend auf Holz. Die anderen Schüler johlten, doch Katsurou schüttelte den Kopf. „Der Tessen* ist kein Schwert“, knurrte er und die Kinder um ihn her verstummten, „Sein Vorteil liegt darin, einen Angreifer zu überraschen. Wie willst du das tun, wenn du stets selbst den Angriff führst? Geh und übe noch einmal die Grundhaltungen der Verteidigung.“   Das Mädchen eilte an Chiyome vorbei, während Katsurou sich ihrer Kontrahentin zuwandte. Er hatte kaum mehr als ein Nicken für sie übrig, doch das Strahlen ihrer Augen verriet deutlich, mehr Lob brauchte sie auch nicht. „Die Nächsten“, befahl er und Chiyome beobachtete, wie sich zwei der älteren Mädchen erhoben. Ihre Bewegungen waren flüssiger und die Fächerattrappe wirkte glaubhafter in ihren breiten Gürteln. Beide Mädchen sahen einander an, sie lächelten sogar, bevor sie aufeinander losgingen. Holz prallte auf Holz. Eine der beiden wagte eine Drehung, doch ihre Konkurrentin kannte sich offensichtlich mit Tänzen aus und parierte, noch bevor ihre Gegnerin richtig in Stellung gekommen war. Das Mädchen strauchelte, fand irgendwie sein Gleichgewicht zurück und verfiel sodann in eine etwas defensivere Haltung.   Chiyome lächelte zufrieden. Dafür, dass Katsurou zunächst beklagt hatte, dass kaum eines der Mädchen über genügend Körperkraft verfügte, um die verlangten Übungen richtig auszuführen, machten sie sich doch schon recht gut.   Noch etwas Training und sie würden den Bauernjungen in nichts mehr nachstehen, die jeden Abend, nachdem sie vom Feld zurückgekommen waren, darum bettelten, dass Katsurou ihnen weitere Tricks und Übungen mit dem Yari* zeigte.   Auf der Wiese hielten die beiden Kämpferinnen inne. Eine von ihnen verneigte sich, so wie sie es im Bordell sicher oft getan hatte und erhielt dafür von den anderen Schülern begeisterten Applaus. Katsurou hob den Blick und für einen Moment sahen sie einander an, dann nickte er und Chiyome wusste, egal was auch geschah, wenn die Zeit reif war, würden ihre Schüler bereit sein. Zumindest was diesen Teil ihrer Ausbildung betraf.   Wortlos wandte sie sich ab und ging weiter. Sie musste noch nach den Feldern sehen, wo eine kleine Handvoll Bauern darum kämpfte, irgendwie genug Reis großzuziehen, damit sie alle über den Winter kamen. Es war die Aufgabe, mit der sie am wenigsten anfangen konnte und gleichzeitig auch die Wichtigste. Sie musste fragen, ob sie immer noch genügend Leute auf den Feldern hatten oder ob sie noch jemanden abstellen mussten. Und natürlich, ob es vielleicht noch andere Probleme gab.   Verstauchte Knöchel und zerstochene Waden konnte sie bei Bedarf heilen und lieber bemühte sie sich um ein paar passende Heilzauber, als Arbeiter zu verlieren, die sie gerade dringend brauchte. Wenn sie ihre Prüfung bestand, würde sie noch einmal über den Standort ihrer „Schule“ diskutieren. Sicher würde Lord Takeda einsehen, dass das Bergdorf zwar herrlich friedlich, aber keine endgültige Lösung war. So viele Menschen ließen sich auf Dauer nicht von dem bisschen Reis ernähren und die Mücken ˗ Chiyome schlug nach einem besonders lästigen Exemplar ˗ waren definitiv auch keine gute Gesellschaft. Aber das würde sie dem Daimyō schon erklären und wenn sie ihn persönlich mitten in den größten Mückenschwarm hineinführen musste, damit er verstand, dass auch ein so kleines Wesen wie eine Mücke zu einer großen Plage werden konnte, wenn es die richtige Unterstützung erhielt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)