Das Mochizuki Monogatari von _Delacroix_ ================================================================================ Der Tiger von Kai -----------------   Warm summer morning A royal, wild tiger sits on a perfect throne       Unsicher zupfte Kiyo an den Ärmeln des Kimonos. Der weiche Stoff schmiegte sich an sie, wie eine zweite Haut, doch sie fühlte sich einfach nicht wohl in den fremden Kleidern. Von der Tür aus warf ihre Herrin ihr einen finsteren Blick zu und so ließ sie eilig wieder von den Ärmeln ab. Sie wusste, sie durfte das nicht tun. Heute war sie Mochizuki Chiyome, Herrin über den Saku-Distrikt, einem wichtigen Teil der Shinano-Provinz*, und frischgebackene Witwe. Unwillkürlich krallten sich ihre Finger wieder in die Ärmel ihres Kimonos. Sie wollte nicht Mochizuki-Hime sein.   Wenn der Daimyō* ihr nicht wohlgesonnen war, dann ... Sie schluckte. Sie musste ihre Rolle spielen. Wenn der Schwindel jetzt auffiel, würde er sie bestimmt hinrichten lassen und sie wollte nicht sterben. Keiner von ihnen wollte sterben.   Unsicher blickte sie noch einmal zu den Anderen. Mochizuki-Hime hatte sich in einen schlichten Kimono gehüllt, doch für Kiyos geübtes Auge, sah sie nicht wie eine Zofe aus. Ihre Haut war zu hell, ihr Haar zu glänzend und ihre Nägel zu rot*. Dazu der strenge Blick und ihr anmutig erhobener Kopf. Sie schluckte noch einmal. Der Daimyō würde ihr gewiss nicht glauben.   Unwillkürlich ließ sie den Blick weiter schweifen, doch Matsumae-sama* würde ihr gewiss auch keine Hilfe sein. Der Samurai hatte noch auf der Türschwelle sein Katana* abgelegt, was bedeutete, dass er gegenüber den Wachen im Nachteil war. Ganz davon abgesehen, dass er, sollte es zu Problemen kommen, natürlich zunächst versuchen würde, ihre Herrin in Sicherheit zu bringen. Sie war nur das Bauernopfer. Austauschbar. Eine Marionette in teuren Kleidern. Kiyo zog den Fächer aus dem Ärmel und verschwand dahinter. Vielleicht würde ihr das helfen, ein bisschen überzeugender zu sein.   Dann endlich öffnete ein Diener die Schiebetür, doch ihre Scharade begann noch lange nicht. Es sollte noch eine kleine Ewigkeit dauern, bis das Quietschen der Tatami-Matten* endlich seine Ankunft verkündete. Matsumae-sama senkte pflichtbewusst den Kopf, ihre Herrin fiel so beiläufig auf die Knie, dass Kiyo ihr die Zofe auf einmal doch abnahm. Und sie? Sie versuchte ihr Zittern durch schnelleres Fächern zu verbergen.   Der Mann, der schließlich durch die Tür trat, war imposant und angst einflößend auf einmal. Er trug eine Rüstung aus rot und goldfarben lackierten Metallteilen* und eine weiße Mähne auf seinem, mit langen Hörnern geschmückten, Helm.* Kiyo starrte auf seine Brust, wo ein zartes Blau einen starken Kontrast zu der rot-goldenen Pracht drum herum bot. Es war nicht das erste Mal, dass sie einen Mann in voller Rüstung sah, doch die Meisten füllten ihre auf weit weniger unheimliche Weise aus.   Takeda Shingen* marschierte ohne ein Wort an ihr vorbei. Erst als er seinen Platz auf den Tatami-Matten eingenommen hatte, schenkte er ihr einen durchdringenden Blick. „Er weiß es“, ging es Kiyo durch den Kopf, doch sie schaffte es irgendwie, den unerträglichen Gedanken in ihrem Innersten zu verschließen. Wer wusste schon, über welche Fähigkeiten der Tiger von Kai verfügte? Vielleicht vermochte er ihre Angst zu riechen, oder die kleine Stimme in ihrem Kopf zu hören, die ihr stets die schlimmsten Befürchtungen entgegen schrie? Gerüchte gab es viele und keines von ihnen verschaffte ihr eine positivere Ausgangssituation. Kiyo verneigte sich. „Lord Takeda“, flüsterte sie, so wie sie es einst für genau solche Fälle gelernt hatte. „Ich danke Euch, dass Ihr uns empfangt.“   Der Mann schnaubte. „Als hätte ich eine Wahl“ platzte es brüsk aus ihm heraus, „Die Leichen auf dem Schlachtfeld sind noch nicht einmal ganz kalt. Ich bin durch ganz Shinano geritten* und nun finde ich in meinem Haus das Weib meines Neffen vor.“ Kiyo verneigte sich noch einmal. „Wir wären nicht gekommen, wenn es nicht wichtig wäre“, versicherte sie. „Heutzutage glaubt jeder, er wäre wichtig“, donnerte der Daimyō, „Doch ich habe einen Krieg zu führen. Gute Männer sind gestorben und dieser Hund* ist immer noch dort draußen. Ich habe keine Zeit für sinnloses Geschwätz!“ Tränen schossen Kiyo in die Augen, während sie sich ein weiteres Mal verneigte. Konnte sie es wirklich wagen, dem Daimyō zu widersprechen oder sollte sie die Audienz als fehlgeschlagen beenden. Durfte sie das überhaupt? Ihre Hände begannen stärker zu zittern, die Ablenkung durch den Fächer funktionierte nicht mehr, und obwohl sie es versuchte, schaffte sie es nicht die Tränen länger zurückzuhalten.   „Das genügt!“, erklang es von hinten und Kiyo erstarrte mitten in der Bewegung. Auch Lord Takeda rührte sich nicht. „Es ist auch mein Wunsch. Uesugi sterben zu sehen“, erklärte ihre Herrin, „Doch wir können nicht zulassen, dass er unser ganzes Sein bestimmt. Ihr seid ein Mann des Glaubens*, Ihr solltet das verstehen.“ „Mein Glaube hält uns nicht am Leben“, erwiderte der Daimyō, „Doch mich dünkt, Ihr werdet mich nicht meinem Glauben überlassen, bis ich wenigstens gehört habe, was Euch auf dem Herzen liegt. Also sprecht!“ „Der Krieg ist grausam und ungerecht“, erwiderte Mochizuki-Hime, „doch er ist auch notwendig, um Männer wie Uesugi in ihre Schranken zu weisen. Dennoch verursacht er viel Leid. Wie viele Frauen mussten gestern erfahren, dass sie nun Witwen sind? Wie viele Kinder sind inzwischen ganz allein dort draußen? Wenn Ihr mir ein kleines Stückchen Eures Landes gebt, könnte ich dort eine Heimat für sie schaffen. Ein Zuhause für Mädchen und Frauen fern ab von den schrecklichen Gräuel des Krieges.“ Takeda warf den Kopf zurück und lachte. „Ihr klingt genau wie diese Gaijin*“, stellte er fest. „Ständig kommen sie zu mir und bitten um Platz für einen ihrer Tempel. Wollen den Bauern Trost spenden und unsere Seelen retten. Ich glaube, ich habe noch immer einen von ihnen in meinem Kerker.“ „Und da mag er auch bleiben.“ Es raschelte, als Mochizuki-Hime durch den Raum zu ihnen nach vorne trat. „Seht, ich wünsche nicht, das Wort der Götter zu lehren. Ich wünsche, den Heimatlosen eine Heimat zu geben. Das ist ein Unterschied.“ „Und dennoch ist sowohl das eine als auch das andere nutzlos für mich.“ Kiyo hielt den Atem an. Es war unheimlich, die strengen Worte direkt über sich zu hören. Am liebsten wäre sie weggerannt, doch sie wusste, das durfte sie nicht. Wenn diese Verhandlungen ihretwegen scheiterten, würde sie die Schmach nicht überleben. „Gebt mir ein Jahr und ich werde Euch beweisen, wie nützlich ein Dorf voller Frauen sein kann“, forderte ihre Herrin.   Der Daimyō runzelte die Stirn. „Ihr wollt es beweisen?“, fragte er. Kiyo vernahm keine Antwort, also ging sie davon aus, dass ihre Herrin genickt hatte. „Ein Jahr und Ihr werdet es nicht mehr missen wollen“, hörte sie sie versprechen. „Und wenn Ihr Euch irrt?“ „Dann könnt Ihr mit mir, wie mit Eurem Gaijin verfahren.“   Für einen Augenblick wurde es mucksmäuschenstill, dann begann Lord Takeda zu lachen. Er lachte und lachte, und als sein Gebrüll endlich verstummte, rang er sich ein knappes Nicken ab. „Ein Jahr“, wiederholte er, „Nutzt es gut, denn es wird über Euer Leben entscheiden.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)