Wegweiser ins Licht von Cognac ================================================================================ Kapitel 11: Wechselnde Verhältnisse ----------------------------------- Kapitel 11: Wechselnde Verhältnisse Nachdem Conan Ai nach Hause gebracht hatte, griff sich der Junge sein Skateboard und düste mit diesem zur Wohnung von Rans Mutter. Ihm missfiel es irgendwie dort zu übernachten und fortan zu leben, doch er konnte auch nicht einfach zu Ran gehen und sagen, dass er es ab sofort lieber vorziehe, bei Professor Agasa unterzukommen. Ihr so etwas zuzumuten, das würde er gewiss nicht übers Herz bringen. Seine Sandkastenfreundin brauchte ihn. Sie brauchte Conan, den neugierigen Bengel, der wie ein kleiner Bruder für sie war. Dank den solarbetriebenen Zellen des Skateboards, sauste Shinichi in Windeseile durch die Blöcke des Viertels. Das Appartement der Rechtsanwältin war hierbei ein gutes Stück weiter von Beika entfernt, als die Detektei. Als er endlich die Schwelle vom Wohngebäude erreichte, verlangsamte Conan sein Tempo und stieg auf die Spitze des Brettes, sodass dieses gekonnt am Heck nach oben schnellte, direkt in die Arme des Geschrumpften. Er marschierte zum Hauseingang und suchte an den Briefkästen nach Eris Wohnungsnummer. Es gab so viele Dinge, die der junge Detektiv sich im Schlaf merken konnte, doch diese blöden drei Ziffern wollten ihm einfach nicht im Gedächtnis bleiben. Es war wie eine unterschwellige Botschaft seines Verstandes an ihn selbst, dass er einfach nicht hierher gehörte, mindestens genauso wenig wie sein Onkelchen Kogoro. Als Conan dann doch endlich fündig wurde und sich zum Eingang umwandte, musste er schnell feststellen, dass das Bedienfeld für die Wohnungsklingel zu hoch war, als dass er in seinem Kinderkörper heranreichen würde. Shinichi machte ein grimmiges Gesicht. Das war der Preis, den er tagtäglich zahlte, als er sich dazu entschied sein weiteres Leben im Körper eines Grundschülers zu verbringen. Was tat man doch nicht alles für die Liebe. Er hatte aber Glück und so surrte just in diesem Moment die Entriegelung der Tür auf und er konnte eintreten. In der kleinen Lobby stellte sich schnell heraus, dass der Hauswart sich erbarmt hatte und so freundlich war den Jungen hereinzulassen, als er ihn vor dem Eingang stehen sah. „Haben sie vielen Dank.“, begegnete Conan dem hilfsbereiten Mann Ende Vierzig. „Oh bitte, gern geschehen.“, erwiderte dieser freundlich. „Du bist bestimmt der Bursche, der zu den Moris gehört, welche für eine Weile bei Frau Kisaki unterkommen.“ Der Mann auf seinem Stuhl hinter dem verglasten kleinen Tresen, der gleich an der Lobby angrenzte, lächelte ihn mit geschlossenen Augen an. Von Shinichis Position aus konnte er sehen, dass er ein grünes Polohemd mit einer beigen Weste darüber trug und sein schwarzes Haar bereits durch die ersten grauen Strähnen des Alters durchzogen war. Alles in allem machte der Wart auf Conan einen sehr sympathischen Eindruck. „Ja stimmt.“, bestätigte er mit kindlicher Stimme. „Woher wissen sie das?“ „Ach, wenn man über fünfzehn Jahre sich um ein Gebäude kümmert und jeden einzelnen Bewohner darin kennt, dann erfährt man so einiges.“, antwortete ihm der Mann. „Achso verstehe, na dann werde ich mal lieber nach oben gehen. Haben sie noch mal vielen Dank.“ Damit winkte Conan noch kurz dem Hauswart zu, ehe er in den Fahrstuhl flitzte. Ein wenig später erreichte er den siebten Stock des Gebäudes, die Etage, wo Eri Kisaki wohnte. Sein neues Zuhause für unbestimmte Zeit, konnte man behaupten. Als die Fahrstuhltür aufschwang und er hinauslaufen wollte, stand auf einmal eine Person vor ihm, mit der er hier niemals gerechnet hätte. „Oh hey Conan, alles klar bei dir?“, empfing ihn eine breit grinsende Masumi. Sie trug wieder ihre braune Lederjacke von vor zwei Tagen und dazu enge blaue Jeans. Ihre Handschuhe und der Motorradhelm, welchen sie lässig gegen ihre Hüfte stemmte, ließ erahnen, dass sie mit ihrem motorisierten Zweiräder unterwegs war. „Nanu Masumi, was machst du denn hier?“, wunderte sich Shinichi, war aber gleichzeitig froh darüber, dass er sich bei Sera nie Gedanken machen musste, dass sie ihn Ausversehen mit seinem richtigen Namen oder mit Kudo ansprach. Sie war es schon immer gewohnt gewesen ihn mit Conan zu rufen. „Was ich hier mache?“ Das Mädchen mit den grünen Augen legte ihren Kopf schief, hörte aber nicht auf zu schmunzeln. „Na ich wohne hier.“, war ihre knappe Antwort. Shinichi machte ein erstauntes Gesicht und sah zu, dass er den Fahrstuhl verließ, ehe er mit ihm wieder abwärts fahren würde. Nun standen sich beide im Flur der siebten Etage gegenüber. „Also bist du hier her umgezogen, als du das letzte Mal sagtest, dass du statt den Hotels nun eine feste Bleibe gefunden hast.“, schlussfolgerte der Schwarzhaarige. „Richtig und wie der Zufall es so will, liegt meine Wohnung genau auf der gleichen Etage, wie die von Rans Mutter. Wir sind also ab sofort mehr oder weniger Nachbarn.“, erklärte Sera, während sie vor dem Geschrumpften in die Hocke ging. In Conans Hinterkopf arbeitete es. Wenn Masumi also hier wohnte, dann liegt die Vermutung nahe, dass auch ihre Mutter Mary Sera sich hier aufhalten musste. Trotz der Zerschlagung der Organisation hielt Masumi die Identität und auch die Existenz ihrer geschrumpften Mutter weiterhin geheim, außer gegenüber Conan, Ai und ihrem Bruder. Ob das auf Marys Bitte hin geschah, darüber konnte der junge Detektiv nur spekulieren. Zumindest verzichtete somit die Mutter von Shuichi und Masumi bisher auf eine Rückverwandlung in ihren richtigen Körper, obwohl es Ai ja bereits gelungen war, ein dauerhaftes Gegenmittel gegen das APTX-4869 herzustellen. Der Grund wieso sie daran kein Interesse zeigte, konnte Conan ebenfalls nicht erkennen. Sera sprach nicht oft über sie, vermied das Thema regelrecht und auch Shuichi hatte darauf keine passende Antwort parat. Das Verhältnis zwischen Mary und dem FBI-Agenten stand ohnehin in keinem guten Licht. All die neuen Entwicklungen in der Familie Akai, vorneweg das Auftauchen Shuichis aus der Versenkung, trugen bestimmt nicht zu einem angenehmeren Klima zwischen Mutter und Sohn bei. Die Einzige die wirklich davon zu profitieren schien, war Sera. „Worüber denkst du nach?“, riss ihre Stimme in unmittelbarer Nähe ihn aus seinen Gedanken. Masumi war plötzlich ganz dicht an Conans Gesicht herangerückt, sodass es dem Geschrumpften ein wenig warm wurde. „Äh nichts Besonderes ehrlich?“, log er mit gespielt hoher Stimmlage. Er legte ein etwas peinlich berührtes Grinsen auf. Er brauchte sich doch überhaupt nicht mehr vor Masumi zu verstellen. Eigentlich wusste sie fast seit Anfang an, dass er Shinichi war, etwas, was Ran bis heute nicht im Stande war zu entschlüsseln, obwohl sie mehrmals schon so nah an der Wahrheit gekratzt hatte. Conan versuchte seinen aufkommenden Rotschimmer durch Masumis Nähe zu verbergen, indem er schnell an ihr vorbei auf Eris Wohnung zusteuerte. Sera blieb ihm dabei dicht auf den Fersen. „Sag mal Conan, was haben deine und Heijis Untersuchungen vom Vortag eigentlich ergeben?“, machte sie ihrer neugierigen Ader Luft. Shinichi bemühte sich, sie schnell auf den aktuellsten Stand zu bringen, bis sie an der Wohnungstür ankamen und er die Klingel betätigte. Sie hörten erst eine Weile nichts, dann folgten Schritte, die sich näherten und wenig später wurde ihnen die Tür geöffnet. „Ah Conan da bist du ja. Hattest du Schwierigkeiten herzufinden?“, begrüßte ihn Ran putzmunter. Sie sah mit einem fröhlichen Ausdruck zu ihrer Klassenkameradin, die wiederum keck lächelnd die Hand zur Begrüßung hob. „Wie ich sehe hast du auch schon mitbekommen, dass Masumi in derselben Etage wie wir wohnen. Ist das nicht toll?“ „Ja ganz toll“, gab er sich überschwänglich begeistert, wodurch Ran und Sera die Stirn runzelten. Der Junge mit der Brille zwang sich zu einem gequälten Lachen. Vielleicht hatte er ja etwas zu dick aufgetragen, überlegte er verlegen. Shinichi schaute an dem Fräulein Mori vorbei in die Wohnung, als er ein immer lauter werdendes Streitgespräch vernahm. Im Hintergrund konnte er, wie zu erwarten, Kogoro und Eri dabei verfolgen, wie sie sich gegenseitig irgendetwas bezichtigten. Worüber es genau ging konnte Conan allerdings nicht heraushören. Ihm wunderte es aber nicht, dass die beiden sich bereits nach kurzer Zeit unter einem Dach mal wieder heftig in die Haare bekamen und wenn er ehrlich war, wusste er auch nicht, ob er dies in voller Länge miterleben wollte. Ran bemerkte seinen Blick und wurde in der Anwesenheit Masumis leicht verlegen. „Achtet gar nicht auf meine Eltern. Sie streiten sich mal wieder um unbedeutsame Kleinigkeiten. Meine Mutter mag es eben nicht, wenn so viel Alkohol in ihrer Wohnung getrunken wird.“ Shinichi musste schief grinsen. Wie könnte sie auch bei diesem Suffkopf, dachte er sich hämisch. Das streitende Pärchen kam langsam näher, sodass Conan und Masumi nun auch etwas verstehen konnten. „Das ist doch nicht schwer zu verstehen und auch wohl nicht zu viel verlangt.“, tönte Eri gestresst. „Du sollst meine vier Wände nicht in so eine Höhle für Schluckspechte verwandeln, wie du es mit deiner Detektei gemacht hast. Sei froh, dass ich dich überhaupt hier wohnen lasse, statt nur Ran und Conan.“ Kogoro verschränkte empört die Arme. „Ist nicht gerade so, dass ich freiwillig hier bin und deine vielen Regeln sind sowieso allesamt maßlos übertrieben. Stell dich also nicht so an, die paar Bierchen.“, spielte der Möchtegerndetektiv die Situation mal wieder herunter. Man konnte heraushören, dass er bereits wieder ein, zwei Gläschen über den Durst getrunken hatte. „Du könntest einfach mal damit beginnen weniger zu trinken und dich am besten ranmachen wieder neue Klienten zu finden, was hältst du davon? Denk dran, dass du Miete zu zahlen hast.“, erinnerte ihn seine Frau mit strengem Tonfall. „Das schlägt dem Fass ja den Boden aus. Willst du mich etwa abzocken?“ Kogoro stampfte mit seinem Fuß auf den Boden und war nun voll und ganz auf Konfrontationskurs gepegelt. „Die Kunden kommen zu mir und nicht umgekehrt. Ich bin schließlich der große Meisterdetektiv Kogoro Mori. Die Leute werden sich auch weiterhin um mich reißen. Außerdem erkläre mir doch mal, wie ich aufhören soll zu trinken, wenn man dich nicht einmal betrunken für eine Sekunde ertragen kann.“ Auf Eris Stirn trat so langsam eine Ader hervor. Conan wusste genau, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen war lieber in Deckung zu gehen. Sera sah das ganz genauso und sie kannte die Auseinandersetzungen zwischen ihrer Mutter und ihrem Bruder, die früher gerne einmal mit dem ein oder anderen blauen Augen endeten. „Psst Conan, willst du mich vielleicht lieber begleiten? Ich wollte mir noch etwas ansehen gehen und bin sicher das dürfte dich auch interessieren.“, flüsterte Masumi dem Schwarzhaarigen zu. Dieser zeigte sich sichtlich dankbar für dieses Angebot, auch wenn er noch nicht wusste, um was es genau ging. Er wollte lieber soweit wie möglich weg von hier, ehe die Fetzen fliegen und er zwischen die Fronten geraten würde. Er warf seinen Schulranzen fix in eine Ecke des Wohnungsflures, bevor er mit Masumi das Weite suchte. „Hey Moment mal, wo wollt ihr denn schon wieder hin?“, rief ihnen eine überrumpelte Ran hinterher. „Keine Sorge Ran, Masumi will mit mir nur etwas unternehmen. Ich bin pünktlich zum Abendessen wieder da versprochen.“, versicherte er ihr. „Alles okay Ran, ich pass auf Conan auf und bringe ihn wieder zurück. Du kannst dich auf mich verlassen.“, ergänzte Sera mit einem Augenzwinkern. Ran sah ein, dass der derzeitige Haussegen in der Wohnung Kisaki/Mori vielleicht nicht das Beste für einen kleinen Jungen war. Womöglich würde es ihr ja gelingen, ihre Eltern bis heute Abend dazu zu bringen, sich wieder einigermaßen zu versöhnen. „Na gut, aber macht keine Dummheiten.“, war das letzte, was das Fräulein Mori ihnen noch zurief, ehe die beiden Flüchtenden im Fahrstuhl verschwanden. Conan folgte Masumi hinaus aus dem Aufzug, zurück in die Lobby. „Was ist das eigentlich, was du dir ansehen willst?“, erkundigte er sich bei ihr, als Sera schon die Tür nach draußen aufdrückte. Der Hauswart saß dabei immer noch auf seinem Platz hinter der Scheibe und lächelte freundlich. „Warte es einfach ab. Ich habe heute nämlich im Alleingang auch einige weitere Untersuchungen bezüglich der Explosion in der Detektei angestellt und dabei etwas Nützliches herausgefunden. Es könnte uns möglicherweise dem Täter einen Schritt näher bringen. Ich muss es nur noch überprüfen.“, gab sich Sera geheimnisvoll. Shinichis Tatendrang hatte sich die junge Frau mit diesen Worten auf jeden Fall gesichert. „Na dann nichts wie los.“, war seine beflügelte Reaktion darauf. Der Wart begleitete ihre Bewegungen weiterhin mit einem stummen Lächeln, als sie das Gebäude schließlich verließen. Zu zweit schwangen sie sich auf Masumi’s Yamaha Artesia XT400. Sie warf Conan einen Ersatzhelm zu und befahl ihm sich gut festzuhalten. Dieser kannte ihren Fahrstil bereits und suchte vorsichtig Halt an ihrer Taille. Sera drehte am Gas und ließ ihr Motorrad kurz aufheulen, bevor sie eine Bresche durch die überfüllten Straßen der Innenstadt schlug. Amuros Augen flatterten leicht, als er wieder zu sich kam. Alles war verschwommen und wirkte grell. Das Licht reizte seinen Nerv und er drückte die Lider wieder zusammen, doch je öfter er diesen Vorgang wiederholte, desto mehr gewöhnte sich sein Sehorgan an die helle sterile Umgebung. Es roch nach Desinfektionsmittel und das Piepen und Summen von Gerätschaften war zu hören. Bourbon sah noch schwächelnd an sich hinunter. Er war überall verkabelt und an seinem linken Arm hing eine intravenöse Infusion, dessen Inhalt in einem Beutel direkt neben ihm hing und gemächlich vor sich hin tröpfelte. Sein Blick wanderte weiter zu den blinkenden Gerätschaften, wo er ein EKG mit Monitor erkannte, welcher seine Vitalparameter überwachte. Amuro atmete vorsichtig ein und wieder aus und versuchte sich zu konzentrieren. Was war geschehen? Allmählich erinnerte er sich wieder und das ließ ihn ruckartig aufschrecken, doch die vielen Kabel an seinem Körper drückten ihn zurück auf das Krankenbett. DIE BOMBE. Ging es Ran gut? Sie waren in Gefahr. Alle waren sie ihn Gefahr, besonders Shinichi und Shiho, dachte sich der ehemalige Agent der Sicherheitspolizei panisch. Er hatte sich diese Person vor dem Café Poirot in der Menschenmenge nicht eingebildet und die Bombe in der Detektei war der Beweis dafür. Es war Baileys, alias der Terrorist gewesen und das konnte wiederum nur bedeuten, dass die Organisation es irgendwie geschafft hat im Untergrund zu überleben oder sich gar völlig neu aufzustellen und nun waren sie zurückgekehrt, um sich zu rächen. Rei suchte ungeduldig nach dem Knopf für die Krankenschwester. Er musste schleunigst jemanden davon in Kenntnis setzen. Ihn jagte es eiskalt den Rücken hinunter, wenn er darüber nachdachte, wie lange er wohl Bewusstlos gewesen war, wie viel Zeit sie womöglich schon verloren haben. Was ist, wenn es bereits zu spät war? Endlich fand er diesen elendigen Knopf und drückte diesen mehrmals energisch, aber aus irgendeinem Grund kam niemand. „Hey…“, setzte Bourbon mit heiser Stimme an, doch ein unkontrollierter Hustenanfall kam ihm dazwischen. „Hey, ist da jemand? Schwester.“, röchelte Rei so laut es ihm möglich war. Eine plötzliche Welle der Übelkeit überkam ihn und weiße Punkte begannen vor seinen Augen zu tänzeln. Ihm wurde schwindelig, was ihm zwang sich wieder ganz hinzulegen. Wieso kam nur keiner, ging es ihm durch den Kopf. Nach einer gefühlten Ewigkeit betrat endlich ein Arzt mit weißem Kittel und Mundschutz sein Krankenzimmer auf der Intensivstation. „Verzeihen sie die Verzögerung Herr Amuro, doch wir haben nicht damit gerechnet, dass sie so schnell wieder das Bewusstsein zurückerlangen. Ich werde sie gleich einmal durchchecken, ob ihre Werte in Ordnung sind.“, begann der Arzt beim Eintreten. Seltsamerweise wies der Weißkittel einen merkwürdigen Gang auf, als wäre er durch eine alte Verletzung gehandicapt. Bourbon schüttelte ungeduldig den Kopf. „Hören sie Doc, dafür habe ich jetzt keine Zeit. Ich muss dringend mit jemanden sprechen. Ich brauche ein Telefon.“ „Das ist leider nicht möglich.“, erwiderte der Arzt und sah auf das EKG. „Dann geben sie einem gewissen Shuichi Akai Bescheid, dass ich wieder wach bin.“ „Wer?“ Der Mediziner schien ihn gar nicht so recht zu beachten. „Er soll sofort hier her kommen, es ist dringend.“, befahl Amuro. „Sie sind leider noch zu schwach, um Gäste zu empfangen.“ „Nein, sie verstehen nicht.“ Rei verzweifelte so langsam. Warum hörte dieser Kerl ihm nicht richtig zu? Der Arzt setzte eine Spritze, mit einer klaren Flüssigkeit darin, an den Infusionsbeutel und injizierte mit Bedacht den Inhalt. „Sie müssen sich noch erholen. Du hattest schließlich einen schweren Unfall Bourbon, mit fataleren Folgen als wir bisher dachten.“ Rei erschrak, als er seinen Codenamen hörte. Er wandte seinen Kopf zu dem vermeintlichen Arzt, welcher seinen Mundschutz abnahm und ihn mit einem wahnsinnigen Funkeln in den Augen anstarrte. „Chablis“, war Amuros schreckliche Feststellung. Sein Blick schnellte zu dem Infusionsbeutel. „Was hast du mir da gerade verabreicht?“ Er wollte umgehend den Schlauch aus seiner Armbeuge ziehen, doch war er noch viel zu schwach, um sich Chablis zu widersetzen. Dieser drückte ihn ungemein behutsam wieder zurück auf das Bett. „Was hast du mir gegeben?“, keuchte Bourbon nur noch. Egal was es war, die Wirkung schien bereits einzusetzen. Chablis kicherte gehässig. „Es hat keinen Sinn dir das zu erklären, weil du dich ohnehin nicht mehr daran erinnern wirst. Du wirst dich recht bald an überhaupt gar nichts mehr erinnern können.“ Ein fieses Grinsen umspielte die Lippen des falschen Arztes. „W-Was soll… das… bedeuten. I-Ich muss… die anderen…“ Bourbon konnte nicht verhindern, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Gleich nachdem er weggetreten war, zog Chablis zufriedenstellend den Mundschutz wieder über seine untere Gesichtspartie und überprüfte ein letztes Mal die Vitalwerte seines >Patienten<, ehe er sich zur Tür abwandte. „Träum was Schönes Bourbon. Ich freue mich darauf, bald wieder mit dir zusammen arbeiten zu können.“, sprach das Organisationsmitglied noch über seine Schulter hinweg und verließ darauffolgend mit einem Hinken das Krankenzimmer. Mit einem lauten und unangenehm schiefen Knarren öffnete sich die rostige Stahltür und der Lichtschein einer Fackel flutete die alte Wendeltreppe aus kaltem Fels. Cognac schritt langsam die Stufen in sein kleines persönliches Gefängnis hinab. Es roch muffig durch die Feuchtigkeit im Gestein und einige Stellen an den Wänden waren mit Moos bedeckt. Der Boss der Organisation hielt die altmodische, aber funktionelle Fackel direkt vor sich, um die unzähligen Spinnenweben zu entfernen, die auf seinem Weg lagen. Kurz loderten die Webereien der Spinnen auf, als die Flammen in Sekunden schnelle über sie hinweg zündelten und sie in Luft auflösten. Das schummrige Licht des Feuers warf tiefe düstere Schatten auf das Gesicht Cognacs und seinen Brandnarben, die immer wieder seinen Hass gegen Shinichi Kudo und Shiho Miyano aufs Neue anfachten, wenn er sich im Spiegel betrachtete. Seine Vergeltung würde schon bald kommen und er würde jeden Augenblick seiner Rache auskosten, bis zum bitteren Ende. Er würde ihre Liebe zueinander dazu nutzen, ihnen die größtmöglichen Schmerzen zu bereiten, ehe er ihnen eine qualvolle Erlösung zuteilwerden ließe. Vielleicht würde er sogar Sherry an Chablis ausliefern, damit er sich ein wenig mit ihr amüsieren könnte. Seit sie ihm damals ins Bein geschossen und dafür gesorgt hatte, dass er für lange Zeit nicht mehr in der Lage sein würde vernünftig zu gehen, war der Verkleidungskünstler und ehemaliger Schüler von Wermut wie besessen danach, sich endlich bei ihr revanchieren zu können. Er würde Sherry gewiss mehr nehmen, als nur die Fähigkeit zu Laufen und Shinichi würde alles mit ansehen müssen, mit dem Wissen machtlos dagegen zu sein, unfähig es zu stoppen. Cognac lächelte bittersüß. Er erreichte das dunkle und unheimliche Verlies, indem sich Zelle an Zelle reihte, allesamt mit Eisengittern versehen. Jeder der hier landete, für den war alle Hoffnung je wieder das Tageslicht zu erblicken dahin. Schon bald würden auch die beiden Turteltäubchen sich hier wiederfinden und einmal mehr die Gastfreundschaft von Cognac genießen dürfen. Der einstige Schwarze Schatten steuerte auf eine ganz bestimmte Zelle zu, um seinen Lieblingsgefangenen zu besuchen. Eigentlich wollte er ihn vor den Augen aller seiner Anhänger für seinen Verrat hinrichten, doch er kam schnell zu der Erkenntnis, dass es von Vorteil war ihn am Leben zu lassen, damit er mit eigenen Augen sah, wie die Organisation unter neuer Führung größer und mächtiger werden würde, als jemals zuvor. Cognac trat vor das Eisengitter und leuchtete mit seiner Fackel in den finsteren kleinen Raum hinein. Das spärliche Licht zeigte eine lange Gestalt in einer Ecke der Zelle am Boden sitzen. Die Kleidung war zerlumpt, der Körper gezeichnet von Folter und Hunger. Die grünen seelenlosen Augen waren starr, kalt und ausdruckslos. Das lange einst blonde Haar, war silbrig geworden. Schmutzige fettige Strähnen fielen dem einst besten Killer der Organisation ins Gesicht. Seine Wangenknochen stachen hervor und ein ungewohnter Bart bedeckte diese. Als das Licht seine Augen traf, verkleinerten sich seine Pupillen, wie bei einem Raubtier, ehe er sich wegdrehte. Die Fackel brannte wie tausend Sonnen auf seiner Netzhaut. Tagelang hatte er in völliger Dunkelheit verbracht, seitdem das letzte Mal jemand bei ihm war. „Hallo Gin“, sprach Cognac in einem beruhigenden Tonfall. „Wie geht es meinem Gefangenen denn heute so? Wünscht du dir inzwischen an Wodkas Stelle getreten zu sein?“, grinste er provokant. Gin drehte sich langsam zu ihm um. Sie wollten ihn brechen, ihn zerstören, ihn um Gnade winseln hören, doch er ließ sich nicht einschüchtern. Er kannte die Vorgehensweisen der Organisation, er wusste alles über sie und war vom gleichen Schlag. Man hat schon früh den Menschen in ihm ausgetrieben, da war er noch ein unschuldiges Kind gewesen. Anokata, Pisco, sie alle erzogen ihn zu einem Werkzeug des Bösen. Seinen ersten Menschen tötete er bereits mit acht Jahren. Ein unschuldiger Kerl an dessen Gesicht er sich nicht einmal mehr erinnern konnte, geschweige denn an seinen Namen. Immer wieder wurde ihm erzählt, dass manche Dinge eine gewisse Notwendigkeit abverlangten und dass das Wohl der Organisation über allem stand. Mit vierzehn Jahren bekam er dann seinen Codenamen, seine neue Identität verliehen. Gin. Wer er einmal war und woher er kam wusste er bereits selbst nicht mehr. Sein gesamtes Leben hatte er einzig und allein der Organisation und Anokata verschrieben und Cognac hatte ihm all das genommen. Er würde hart bleiben, so wie es ihm gelehrt wurde und sich niemals beugen. Lieber ginge er in den Tod, als vor Cognac auf die Knie zu fallen. Es würde schon noch der Tag kommen, an dem er ihn bluten lassen würde. „Was willst du hier?“, murrte Gin fast unhörbar. „Ich muss doch nach meinem Gast sehen. Was wäre ich denn für ein Gentlemen, wenn ich die Leute in meiner Obhut vernachlässigen würde.“, argumentierte Cognac übertrieben fürsorglich. „Fahr zur Hölle.“ Damit lehnte sich Gin zurück an die Wand. „Mir fällt auf, dass du nicht besonders gut aussiehst? Isst du denn nicht regelmäßig? Schmeckt dir das Essen vielleicht nicht?“ Cognac trat ganz nah an die Zelle heran. Es gab viele Wege einen Menschen zu quälen und er kannte so einige Methoden, doch er unterschätzte seinen ehemaligen Kollegen. Gin wirkte nach außen hin zwar schwach, aber seine Instinkte und Reflexe waren so ausgeprägt wie eh und je. Sie hatten sich sogar in den Monaten seiner Gefangenschaft immer weiter geschärft. Er griff sich den blechernen Napf vor sich und schleuderte ihn Cognac entgegen. Natürlich prallte dieser wirkungslos am Gitter ab, doch die Reste der darin befindlichen Pampe flogen ungehindert durch die Stäbe hindurch und fanden ihren Weg in Cognacs Gesicht und auf seinen teuren Maßanzug. „Probiere es doch einfach selbst.“, war Gins kühle Bemerkung. Cognac fluchte wie wild und torkelte von der Zelle zurück. Vor Wut schnaubend wischte er sich den kalten Fraß von den Augen und sah an sich herunter. „Ich hoffe doch das hat dir Vergnügen bereitet, denn es wird sonst nichts mehr in deinem Leben geben, woran du dich erfreuen könntest.“, knurrte er. „Du wirst hier unten bis in alle Ewigkeiten verrotten.“, versprach es seinem Gefangenen und schritt mit aufbrausenden Gesten zurück zur Treppe. Als Cognac gegangen und alles wieder dunkel und absolut still war, legte Gin seinen Kopf an den feuchten Stein seiner Bleibe und schloss die Augen. „Wir werden sehen.“, flüsterte er mit kehliger Stimme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)