Our Beginning von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Nur mal schnell die Tasche wegbringen dauerte länger, als Ryuji gedacht hätte – er hatte aber auch die Uhrzeit verschätzt. Schlussendlich blieben sie gleich zum Abendessen bei Akira zuhause, und auch danach ging es nicht mehr hinaus. Aber als Ryuji einen zweiten Blick in Akiras Zimmer werfen konnte, nachdem er zuerst wirklich nur seine Tasche hineingeworfen hatte, da war ihm das sowieso interessanter als alles Rausgehen.   „Kein Vergleich zu der alten Bruchbude beim Chef“, kommentierte er anerkennend, während er auf dem weichen Bett herumwippte. Der Raum war ziemlich groß, war gut ausgestattet. Kein Vergleich mit einem kleinen Innenstadt-Apartment in Tokyo. Oder mit seinem eigenen Zimmer, das Ryuji sicher nicht eintauschen wollte, weil seine Ma verdammt viel Liebe reingesteckt hatte, aber das hiergegen eben doch eher mickrig wirkte. „Es lässt sich aushalten“, gab Akira mit einem unbekümmerten Schulterzucken zurück, während er sich auf seinem Schreibtischstuhl niederließ, die Beine überschlagen.   „Aushalten.“ Ryuji lachte, schüttelte den Kopf. „Aber gut. Du kannst vermutlich einfach überall pennen, so nach allem, huh?“   Kaum zu fassen, dass das jetzt schon Monate her war. Keine Diebereien mehr, keine Abenteuer im Metaverse, nichts mehr, das an all die abgedrehten Abenteuer erinnerte, die sie erlebt hatten. Nichts, außer– „Oh, hey. Wo is‘ eigentlich Mona? Hat er keinen Bock mehr auf dich und is‘ ausgezogen?“   Wie sich herausstellte, nein, war Mona nicht ausgezogen – wunderte Ryuji auch eigentlich nicht –, sondern lediglich unterwegs. So, wie Akira es klingen ließ, streunte Mona wohl ganz schön oft draußen herum, in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, wie er endlich einen menschlichen Körper bekommen konnte. Bisher, auch nicht unerwartet, hatte er keinen Erfolg gehabt. So ganz ohne Metaverse und all das Zeug, wie sollte das auch gehen? Vielleicht nen Wunschbrunnen versuchen. Oder am Schrein beten. Gab doch so viele Gottheiten, irgendeine würde auch Katzenwünsche erfüllen. „Na, beeil‘n sollte er sich, sonst hat Ann längst jemand andren gefunden.“ Akiras einzige Antwort war ein Heben seiner Augenbraue. Ryuji öffnete empört den Mund.   „Wen?!“   Keine Antwort. Keine hilfreichere Antwort zumindest als frag sie doch selbst, und die Idee ließ ihn sofort vehement den Kopf schütteln und er verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Nur über meine Leiche, Mann! Die bringt mich doch um, wenn ich in ihrem Privatleben rumschnüffel. Pah. Dabei sollten Freunde sich sowas doch erzähl’n!“ Also, okay, er sah ja ein, dass man hier und da Geheimnisse hatte, aber sowas Großes? Das war mal wieder typisch für die Weiber!   „Ich erwarte von dir, dass ich’s als erstes hör, wenn du dir jemanden anlachst, Akira! Hörst du?“   Es war unmöglich, dass Akira ihn nicht hörte, aber der Kerl antwortete auch nicht. Er grinste nur dieses rätselhafte Grinsen in sich hinein, griff nach etwas, das auf seinem Schreibtisch lag – und dann ging der Fernseher an. Wenn sein Plan gewesen war, Ryuji abzulenken, dann hatte er Erfolg.       ***       „Ich hoff mal, Makotos Schwester hält ihr Versprechen.“   Ryuji seufzte. Er lümmelte bäuchlings auf Akiras Bett, ein Kissen unter die Brust geschoben, den Blick auf den Fernseher gerichtet. Im Anschluss an die Comedy-Sendung, die sie gerade verfolgt hatten, waren Spätnachrichten angelaufen. Positiv war das Zeug immer noch nicht. Gut, es gab keine spontanen mentalen Zusammenbrüche mehr, und entsprechend weniger schreckliche Unfälle und unerklärliche Vorkommnisse, aber so richtig besser war es trotzdem nicht. Es gab immer noch Leute, die sich wie der größte Dreck verhielten.   „Wird sie.“   Akiras unerschütterliches Vertrauen war bewundernswert, und zumindest ihm wollte Ryuji genauso unerschütterlich vertrauen. Trotzdem gab er einen frustrierten Laut von sich, während er sich herumrollte und das Kissen zurück an seinen Platz pfefferte. „Haste nich‘ trotzdem auch manchmal das Bedürfnis, weiter zu machen? Ich mein–“ Er brach ab, zuckte die Schultern. „Wir geben uns ja alle Mühe, aber ob das wirklich genug is‘?“   Sie taten alle, was sie konnten. Yusukes Bilder, wie sie das auch machten, berührten die Herzen der Menschen, und vielleicht konnten sie ihnen eine Lehre sein. Makoto hatte auch auf der Universität schon begonnen, sich gegen Mobbing und ungerechte Behandlung einzusetzen und nutzte alle Erfahrungen, die sie als Schülersprecherin gesammelt hatte, um ihrem neuen Lernumfeld zu helfen. Ann setzte sich mit einer Leidenschaft für Mädchen ein, die ungerecht behandelt wurden. Wurde bald eine Schulberühmtheit, wenn das so weiterging, und gerade viele von den jüngeren Mädels suchten gerne ihren Rat. Futaba und ihren Hackerkram verstand Ryuji zwar immer noch nicht im Geringsten, aber sie schien auch ihren Teil zu tun, auch wenn von ihren Erklärungen nie etwas hängen blieb. Sie fand böse Typen. Sie verpfiff sie, wenn es möglich war. Oder steckte anderen Leuten heimlich Infos, die dann mehr erreichen konnten. Haru tat alles daran, dass das Unternehmen von ihrem Alten endlich so gerecht mit seinen Mitarbeitern und Kunden umging, wie die es verdient hatten. Und Ryuji selbst – er machte den Mund auf, wenn er Ungerechtigkeiten sah. Schlug nicht zu, sondern suchte andere Wege, Probleme zu lösen, auch wenn es ihm nach wie vor viel zu schwer fiel, seine impulsive Seite und seinen Stolz runterzuschlucken.   Sie konnten schon etwas verändern. Aber am Ende konnten sie trotzdem nur vor der eigenen Haustür kehren. (Minus Futaba, wobei selbst die jetzt viel eingeschränkter war als zu Diebeszeiten.) Es war ein ganz anderes Ausmaß als das, was sie hatten erreichen können. Manchmal frustrierte es. Wenn er die Nachrichten einschaltete. Wenn er in der Bahn Leute darüber reden hörte, dass irgendein größeres Verbrechen passiert war.   „Das haben wir alle. Aber wir haben unseren Weg gewählt, Ryuji.“   Ryuji nickte verdrossen. „Ich weiß, Mann. Aber’s is‘ so verdammt schwer! Und es war einfach so cool.“ Das vermisste er auch. Nicht nur die guten Taten – den Nervenkitzel, das Abenteuer, die abgedrehten Orte, die sie gesehen hatten. Die Bewunderung der Leute. Dass sie ihnen hatten Kraft und Mut geben können, einfach damit, sie selbst zu sein.   Seine Gedanken unterbrachen, als er sah, wie Akira von seinem Stuhl aufstand, um rüberzukommen. Er setzte sich auf die Bettkante, griff über Ryuji hinweg nach dem Kissen.   Und pfefferte es ihm ins Gesicht.   Mit einem empörten Ausruf schob er das Ding von sich, fuhr auf. „Das war ‘ne Kriegserklärung, Mann!“ Und schon flog das Kissen zurück. Und dann flog das andere, das Akira samt Futon und Bettdecke für Ryuji hergebracht hatte, gleich noch hinterher. Ryuji lachte herzlich, als der nächste Angriff Akira dazu brachte, seine Brille in Sicherheit zu bringen. Und das war gut so! Jetzt musste er ja gar keine Gnade mehr walten lassen. „Glaub nich‘, dass du mich schlagen kanns‘!“       ***       Aber Akira schlug ihn.   Wie lange sie sich prügelten, das konnte Ryuji nicht sagen, doch am Ende war er so erschöpft, dass er keuchte wie ein Rentner nach dem Sprint zur Bushaltestelle. Er lag platt auf dem Boden, und Akira, der Mistkerl, hockte auf seinen Hüften, immer noch das Kissen in der Hand, und mit dem Grinsen auf seinem Gesicht im Halbdunkeln des Zimmers – die einzige Lichtquelle war der flackernde Fernseher – sah er viel zu sehr nach Joker aus. Er hob das Kissen in seinen Händen weit über den Kopf.   Ryuji hätte sich wehren sollen. Ausnutzen, dass seine Arme frei waren, und herausfinden, ob Akira kitzlig war, oder ihn einfach von sich schubsen, aber stattdessen starrte er einfach nur. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Das war es, was er vermisste. Dieses Gesicht. Dieses Grinsen. Dieses Gefühl. Freiheit. Joker. Endlose Möglichkeiten. Kameradschaft über den Tod hinaus.   „Joker.“ Seine Stimme klang fremd in seinen eigenen Ohren. Ryuji schluckte, dann breitete sich ganz automatisch ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, getrieben von dem Adrenalin, das durch seine Adern rauschte. Joker ließ das Kissen sinken, bis es harmlos auf Ryujis Brust zum Liegen kam, doch das Grinsen blieb. Er lehnte sich hinunter, stützte die Ellenbogen darauf ab. Das fremde Gewicht auf ihm ließ seinen Atem stocken. „Skull.“ Das war der Moment, in dem sein Verstand abschaltete. Skull funktionierte nur noch auf Autopilot. Er packte in Jokers Haar, zog ihn näher zu sich, bis ihre Stirnen miteinander kollidierten; es war keine sanfte Geste.   Es war zu dunkel, um viel von Joker zu sehen. Er war ohnehin so nah, dass das Gesicht vor seinen Augen verschwamm. Aber eigentlich war es auch egal. Darum ging es nicht.   Joker löste sich, weit genug, dass Skulls Blick auf ihn wieder scharf wurde. Kurz sah er nichts anderes mehr als dieses Grinsen, dann kam Joker näher. Neigte den Kopf zur Seite, und Skull tat es ihm instinktiv gleich, echote die Bewegung, nur in anderer Richtung. Näher. Näher. Warmer Atem kitzelte seine Lippen, ließ die Härchen in seinem Nacken zu Berge stehen.   „Hätte nicht gedacht, dass du auf Rollenspiele stehst.“   Akiras süffisanter Spott brach den Zauber des Augenblicks und Ryuji schrie empört auf, schob seinen Freund grob von sich. „Du Blödmann!“ Doch er lachte, schon während er schimpfte, packte sich das Kissen, um es Akira noch einmal den Kopf zu werfen. „Du hast doch angefangen!“   Akira, natürlich, sah das anders. Zumindest blickte er so unschuldig drein, als hätte er keine Ahnung, wovon Ryuji redete. Natürlich nicht. Nie-mals. In einer Mischung aus Lachen und Schnauben pfefferte er das zweite Kissen auch noch hinterher – er traf nicht einmal. „Geh schlafen, Kumpel.“   Nicht, dass Ryuji selbst so müde war – okay, doch, war er –, aber für heute hatte er genug!   Bis sie sich tatsächlich zum Schlafen fertiggemacht hatten, hatte Ryuji auch eingesehen, dass er völlig am Arsch war, und mit einem erschöpften Seufzen ließ er sich auf seinen Futon plumpsen. Es reichte gerade so noch für einen genuschelten Gutenachtgruß, dann schlief er quasi schon.   Dass er Joker in der Nacht nicht so ganz aus dem Kopf kriegen wollte, hatte allerdings wenig damit zu tun, wie sehr er die Phantom Thieves vermisste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)