A Place to Belong von Puppenspieler ================================================================================ 44 -- Er war gewachsen. Ohne es direkt vergleichen zu können sah er, dass Zidane Blank, mit dem er lange etwa gleichauf gewesen war, inzwischen überragen würde. Er hatte ein bisschen von dem kindlichen Babyspeck verloren, das er bei ihrer letzten Begegnung noch spazieren getragen hatte; sein Gesicht weniger rundlich, in seinen Zügen waren schon die ersten Spuren des herannahenden Erwachsenwerdens zu finden. Sein Haar war gewachsen. Nicht so viel, wie es in der Zeit gewuchert wäre – es war gepflegt zurückgeschnitten worden.   Er sah gesund aus. Kräftig.   Bark hatte recht gehabt: Zidane konnte sich wirklich um sich selbst kümmern. Zumindest körperlich.   „Chef, nimm mich wieder bei der Tantalus auf.“ Keine Bitte, eine Forderung. Zu viel Selbstbewusstsein, das, da war er sich verdammt sicher, zu kaschieren versuchte, wie enttäuscht der Junge darüber war, dass er nicht gefunden hatte, was er suchte. Keine Heimat. Keine Familie. Vermutlich nicht einmal ein Hinweis darauf, wohin ihn dieses blaue Leuchten aus seinen Erinnerungen führen könnte. Und er hatte aufgegeben. Nach nur zwei Jahren hatte er aufgegeben, weil er die Frustration der Ungewissheit und ziellosen Suche nicht mehr ertrug. Er sah es. An der Art, wie Zidane betont lässig vor ihm stand, keine ehrliche Gemütsregung auf seinem Gesicht. Wie sein Schwanz hinter ihm in abgehackten, unruhigen Bewegungen peitschte und damit seine vorgetäuschte Ruhe betrog. Bark war enttäuscht.   So hatte er Zidane nicht erzogen.   „Immer noch so dreist wie früher, wie ich sehe“, kommentierte er schließlich nur, sah mit finsterer Miene in abwartende blaue Augen. „Du kennst die Regeln der Tantalus“, fuhr er fort. Er sah in Zidanes Gesicht, dass er nicht verstand, welcher Regelbruch als stummer Vorwurf in den Worten mitschwang. Bark hatte nicht das Bedürfnis, es ihm zu erklären. Stattdessen packte er den unerwarteten Gast am Schlafittchen und zog ihn mit ins Hauptquartier, vor dessen Tür er gestanden hatte. Er war nur froh, dass die Anderen gerade durchweg unterwegs waren. „H-hey, was soll das?!“ Zidanes Protest ignorierend bugsierte er den Burschen grob bis in die Mitte des Raumes, baute sich dann vor ihm auf.   Vielleicht war es nicht fair, was Bark tat. Aber Regeln waren Regeln: Und die Regeln der Tantalus besagten, dass ein Regelbruch bestraft werden musste – mit einer Strafe, die der Schwere des Vergehens angemessen war.   Vielleicht ließ er Zidane damit sogar zu glimpflich davonkommen. Eine Tracht Prügel dafür, dass er abgezogen war mit einem halbherzigen Ziel im Kopf und ohne die nötige Entschlossenheit im Herzen, um auch durchzuziehen, was er begonnen hatte.   Vielleicht war es am Ende auch völlig unerheblich, weil es nicht um gebrochene Regeln ging, und nicht um angemessene Strafen. Es ging um Gefühle, die überkochten. Um zwei Jahre alte, angestaute Sorge, die sich entlud. Um Ärger, weniger darüber, dass Zidane abgehauen war, um unverrichteter Dinge wieder zu kommen, sondern darüber, dass er dabei die Kaltschnäuzigkeit besaß, so zu tun, als wäre alles wunderbar. Als würde es ihn nicht innerlich zerreißen, dass er seinen Traum von seiner Herkunft doch wieder hatte verwerfen müssen. Um Enttäuschung darüber, dass Zidane nicht ehrlich war.   Als er fertig war mit Zidane, hatte er mehr Beulen und blaue Flecken und Schrammen, als Bark noch zählen könnte, aber der zähe Bursche stand noch. „Was bei Branes Allerwertestem sollte das denn werden, alter Mann?!“, brüllte er voller Empörung, heftig gestikulierend; sein ganzer Körper bewegte sich mit jedem Wort, zu viel angestaute Energie, die sich irgendwie entladen musste. „Kein Willkommen zurück! Kein Schön, dass es dir gut geht! Kein– Kein gar nichts! Du hättest ja wenigstens mal nachfragen können, wie es mir so ergangen ist!“ Er hielt inne, wutschnaubend. Wischte sich unwirsch mit dem Arm über die aufgeplatzte Unterlippe und verschmierte damit nur Blut in seinem halben Gesicht. Seine Augen loderten regelrecht von all dem Ärger. Und er war noch nicht fertig. Ein tiefes, zitterndes Luftholen später spuckte er aus, eine ruckartige Geste seiner Hände kündete den nächsten Schimpfausbruch an.   „Ist mir neu, dass man zum Einstand in die Tantalus verprügelt wird! Noch mehr Regeländerungen, von denen ich wissen sollte? Dann überleg ich mir das mit dem Wiederkommen nochmal, das kannst du mir mal glauben!“ Er schüttelte heftig den Kopf. Hinter Zidane peitschte sein Schwanz so heftig durch die Luft, dass die Bewegung schon zum Zusehen beinahe schmerzhaft war. „Kann mir nicht vorstellen, dass die Anderen das so klasse finden! Ich finde es jedenfalls nicht klasse! Wenn du dir schon einbildest, ich brauch nen Satz Schläge, dann sag mir gefälligst auch, warum!“ Bark sagte nichts. Er hatte aber auch nicht den Eindruck, dass Zidane gerade zuhören wollte, denn er hielt kaum einen Atemzug lang den Mund, da machte er schon weiter: „Und dafür bin ich zurückgekommen! Wunderbar! Hätte ich mir auch sparen können!“ Zidane warf die Hände in die Luft, schüttelte den Kopf. Sein Schwanz peitschte immer noch. Er stampfte mit dem Fuß auf, und obwohl er nicht aussah, als wären ihm die Worte ausgegangen, hielt er doch inne mit dem Schimpfen. Er stieß schwer atmend die Luft aus, seine Brust hob und senkte sich hektisch. Er zitterte. Ein paar Atemzüge lang herrschte Stille. Dann schnaubte er noch einmal. „Also?!“ Ah. Er wollte wohl doch eine Antwort.   Eine Antwort, die Bark weiterhin ausschwieg, während er sich dem wütenden Blick aus zu Schlitzen verengten Augen gegenübersah. Es war noch nicht vorbei. Er sah, wie viel noch in Zidane brodelte, und er wusste ganz genau – egal, was er jetzt sagen würde, es würde ja doch nicht bei ihm ankommen. Es passte Zidane ganz offensichtlich nicht, und sein Geduldsfaden riss, so schnell, dass es ihn fast erstaunte. Mit einem wütenden Aufschrei und einer Verzweiflung, die sein ganzer Körper mit sich trug, trat er einen Schritt vor. Seine Augen glänzten feucht, seine Stimme überschlug sich:   „JETZT SAG DOCH ENDLICH AUCH MAL WAS, VERDAMMT!!!“   Bark lachte. Laut und aus vollem Halse, so sehr, dass er sich den Bauch halten musste.   Der unerwartete Ausbruch nahm Zidane allen Wind aus den Segeln, und er fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus bei einer Prügelei in der Taverne. Er starrte. Da waren so viele Gefühle auf seinem Gesicht, überschattet von Verwirrung und absoluter Verständnislosigkeit, dass es unmöglich war, sie auseinanderzuklamüsern. Aber sie waren da. Und unter allem Ärger, aller Wut, und aller billigen Fassade, kam nun endlich zum Vorschein, was Bark die ganze Zeit in seinem Gesicht gesucht hatte. Die Tränen fielen.   Als Zidane es merkte, wischte er sich hastig über die Augen, in einer Geste, die so tat, als wollte er nur das Haar aus dem Gesicht wischen, doch es war längst zu spät, die Sintflut aufzuhalten. Und es war auch gar nicht nötig. Bark lächelte still, legte dem Jungen eine Pranke auf die bebende Schulter. Im ersten Moment verspannte er sich, so als wolle er Widerstand leisten, doch– Nichts passierte. Keine kleine Faust, die seinen Oberkörper traktierte. Kein neuer Ausbruch. Nur noch mehr Tränen, herzzerreißendes Schluchzen, und so viel Verzweiflung, dass es ein Wunder war, wie dieser halbstarke Kerl überhaupt noch stehen konnte. Er klopfte Zidane kräftig auf die Schulter.   „Mach dir nicht ins Hemd, Bursche. Willst sicher nicht, dass die anderen dich so sehen, und die kommen bald zurück. Oh, und wenn du heute irgendwo schlafen willst, solltest du dein Zimmer putzen. Hat ziemlich Staub abgesetzt, das gute Stück. Garharhar!“   Zidane schniefte, schnaubte. Wischte sich Tränen vom Gesicht, die kaum aufhören wollten, zu fallen, aber nach einem kurzen Kampf, der aussah, als würde er ihn niemals gewinnen können, ging er doch als Sieger hervor. „Ist auch besser, wenn die Bude Staub ansetzt, als wenn da fremde Griffel drin rumfuhrwerken“, kommentierte er; sein lapidarer Tonfall litt sehr darunter, wie verschnupft er klang. Sein betont lässiger Gang litt genauso, als er sich aufmachte, um sein Zimmer in Augenschein zu nehmen. Er humpelte kaum merklich, seine Hände waren zu Fäusten geballt, um ein Zittern zu verstecken. Und sein Schwanz peitschte immer noch aufgewühlt hinter ihm her. Bark konnte immer noch nur lachen, während er dem Jungen hinterherblickte, selbst, als der ihm dafür über die Schulter eine rüde Geste zukommen ließ. „Garharhar! Du scheinst die Strafen heute ja wirklich zu brauchen!“ „Vergiss es! Da hast du das Vergehen für deine Prügelei vorhin! Wir sind jetzt quitt, Chef!“   Und damit verschwand Zidane um die Ecke, ließ Bark mitten im Hauptraum des Gebäudes stehen, das vor langer Zeit einmal als ihr winziger Theatersaal gedient hatte. Langsam atmete er in einem tiefen Seufzen aus, wandte sich dann von der Tür ab, hinter der Zidane verschwunden war. Er hatte genug zu tun! Es galt, die Besetzung für ihre nächste Vorführung zu ändern – und den Plan für den dazugehörigen Diebstahl natürlich. „Immer musst du einem unnötige Arbeit machen, Zidane. Garharhar!“ Bark grinste in sich hinein, als er die Tür zu seinem Arbeitszimmer hinter sich schloss.   Willkommen Zuhause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)