A Place to Belong von Puppenspieler ================================================================================ 30 -- „Solltet ihr kleinen Racker euch nich‘ lieber mit jemandem in eurer Größe anlegen?“   Wie vom Blitz getroffen stoben die halbstarken Gören auseinander, die gerade noch mit Feuereifer, Tritten und bösen Sprüchen auf ihr Opfer niedergegangen waren. Der Junge, der offensichtlich der Anführer der Bande war, baute sich mit in die Hüfte gestemmten Armen vor Bark auf und reckte die Nase in die Luft. Er war noch keine zwölf, so wie er aussah, seine Hose war an den Knien zerschlissen und ungeflickt, obwohl das Material nicht einmal billig aussah; kein liebendes Elternhaus und genug Geld, um sich kaputte Hosen zu leisten. Zweifelsohne würde sie bald ersetzt werden. „Was mischst du dich ein, Alter? Wir spielen doch nur.“ Zu viel Freizeit, zu wenig Pflichten. Eins von diesen Bälgern, die nie lernten, dass sie ihr Leben mit etwas Sinnvollerem verbringen konnten als damit, andere Leute zu schikanieren und sich darauf auszuruhen, dass Mamis und Papis Geld das schon alles klärte. „Wenn das so is‘…“ Er grinste, extra breit und extra gefährlich – eine leichte Übung nach mehr als einem Jahrzehnt Theater. Seine Knöchel knackten laut. „Lasst mich mitspielen.“   Er hatte selten jemanden so schnell wegrennen sehen wie diese Kinder.   „Danke, und so.“ Er war versucht, ihnen nachzusetzen und ihnen gepflegt ein paar hinter die Horchlöffel zu geben, auf dass sie irgendwann noch ihre Manieren wiederfanden, doch eine leise Stimme hielt ihn davon ab. Der Knirps am Boden war zerschlagen, saß zusammengekauert da. Erst, als er sich aufrichtete, sah Bark, dass er einen Vogel in den Händen geborgen hatte. „Warum hast du nich‘ mal versucht, dich zu wehren? Du siehst wie ein kräftiger Kerl aus.“ Der Junge zuckte mit den Schultern. Er erhob sich langsam, vorsichtig wegen all der Schrammen und Dellen, die er davongetragen hatte. „Wegen dem hier, und so.“ Er hob den Vogel in Barks Richtung. Das kleine Ding war am Flügel verletzt, wie es aussah, und obendrein sehr schwach. „Die haben ihm wehtun wollen. Da hab ich ihn beschützt. Vielleicht finde ich später noch etwas zu essen für den Piepmatz, und so.“   „Soll ich euch nach Hause bringen?“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Ist okay. Hab kein Zuhause, und so.“ „Nicht?“ „Nee. Ich wohn hinten bei den Großen, die auch kein Zuhause haben, und so.“ Bark hatte davon gehört. Ein paar Obdachlose, die sich zusammengeschlossen hatten, um das Leben auf der Straße ein bisschen erträglicher füreinander zu machen. Er wusste, dass sie auch Straßenkindern helfen wollten, doch er wusste genauso gut, dass sie damit heillos überfordert waren; sie hatten nicht genug. Jedes Maul mehr zu stopfen war eine Qual. Manchmal steckte er ihnen etwas Geld zu. Manchmal eine Tüte Bonbons. Er hätte auch dem Jungen hier einfach ein paar Münzen geben können, damit er sich um den Vogel kümmern konnte, und ihn seiner Wege ziehen lassen.   Aber da war etwas an ihm, das ihn einfach faszinierte. Für einen Dreikäsehoch hatte er eine bemerkenswerte Ausstrahlung, und für ein Straßenkind – seiner Erfahrung nach lernten die als erste Lektion im Leben, dass es keine höhere Priorität gab als sich selbst – war er überraschend selbstlos.   „Ich hab da eine Idee. Was hältst du davon, wenn du mit mir kommst? Mir gehört das eine Theater im Theaterviertel, und ich such noch neue Darsteller. Ich hab so das Gefühl, du wirst mal eine richtig gute Hauptrolle. Und für deinen kleinen Vogel haben wir auch noch nen Platz, Cinna und ich.“ „Cinna?“ „Der wohnt auch bei mir. Ist ein bisschen älter als du, aber ihr versteht euch sicher prächtig.“ Der fremde Junge schwieg. Er schien das Angebot sehr intensiv zu überdenken, nickte aber schließlich doch. „Danke nochmal, und so.“ „Nichts zu danken. Ich bin übrigens Bark, aber du kannst mich ruhig Chef nennen.“   „Ich hab keinen Namen. Die Großen sagen, das lohnt sich erst, wenn sie sicher sein können, dass ich überhaupt erwachsen werd, und so.“ „Aber du brauchst einen Namen, wenn du mal mein großer Star werden sollst, garharhar!“ Bark lächelte dem Jungen gewinnend zu. „Und ich hab genau den Richtigen, glaube ich.“ – „Was denn?“   „Marcus.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)