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Die Farbe Grau

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Disclaimer: bis auf die Idee gehört alles nicht mir. Hierbei handelt es sich um eine Fanarbeit ohne Gewinnabsicht.

Tjaaa. Manche Geheimpläne halten eben nur solange, bis es jemanden gibt, der sie verrät. Komplett anzeigen

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Sechs Wochen

Dass Schuldig der ihn behandelnden Schwester nicht den Kopf abgerissen hatte für ihre Grobheit war einzig und allein seiner Konzentration auf den Jüngsten ihres Teams zu verdanken, die er aufrecht erhalten musste, damit dieser sie nicht unwillentlich alle unter sich begrub, solange er noch bewusstlos war.

Die zierliche Japanerin, die sich um ihn und ihr Küken kümmerte, seitdem sie hier waren, als robust zu beschreiben, traf die Sache zwar nicht ganz, aber war unter den gegebenen Umständen die beste Beschreibung für die Frau, dessen Gedanken nichts Anderes als höfliche Ablehnung für ihn enthielten.

Selbst sein allzu subtiler Vorschlag, dass sie seine stümperhaften medizinischen Kenntnisse an jemand anderem – vorzugsweise an den eigenen Leuten – ausprobierte, war rigoros abgelehnt worden und Schuldig sah in ihren Gedanken auch warum.

Er war zu versorgen, so wie ihr nutzloser Anführer auch. Schulter, Nase, sonstige Verletzungen, die er nicht hatte und die dazu geführt hatten, dass sie ihm wirklich gute Schmerzmittel gegeben hatten, die seine Telepathie nicht außer Kraft setzten… das musste man den Stümpern hier lassen.
 

Schuldig grollte.
 

Trotz allem war ihm langweilig. Er kannte jeden Mitarbeiter dieses Komplexes mittlerweile bei Vorlieben, Sehnsüchten, dunklen Gelüsten. Er kannte die Strukturen der anwesenden Kritikermitarbeiter, der Ärzte, des Verwaltungspersonals, der tatsächlichen Firma, die nicht nur schöner schnöder Schein war. Nichts Besonderes war dabei, niemand, der langfristig sein Interesse fesseln konnte. Von Weiß, insbesondere von Tsukiyono, die sie sich ebenso auf dieser Etage befanden, hielt er Abstand. So sehr es ihm auch in den Fingern juckte, dem gegnerischen Team das Leben schwer zu machen, so sehr war ihm auch bewusst, dass es zu unnötigen Komplikationen führen würde, die er nicht gebrauchen konnte, während sie hier waren und zusehen konnten, dass sie aus dieser vertrackten Situation wieder herauskamen, in die ihr verfluchter Anführer sie mit seinen Worten und Taten hineinmanövriert hatte. Wenn Nagi endlich außerhalb der Reichweite der gierigen Kritikerfinger sein würde. Wenn Crawford…
 

Schuldig würgte sich gedanklich ab. Er wünschte Crawford die Pest an den Hals. Er wünschte ihm, dass er für seine Taten zur Verantwortung gezogen wurde und dem Tribunal für sein Fehlverhalten Rede und Antwort stand. Fehlverhalten. Dass er nicht lachte. Das war schon kein Fehlverhalten mehr. Dass Lasgo ihren Anführer traumatisiert hatte – geschenkt. Wer wäre Schuldig gewesen, das Verhalten des Orakels direkt nach seiner Rückkehr zu verurteilen? Dass der ältere Mann sich einer Untersuchung durch ihre Organisation entzog – ebenfalls geschenkt und er hatte kein Problem damit gehabt, das zu decken.

Aber Fujimiya in ihrem Haus war kritisch. Lasgo, der erneut die Überhand gewann, noch sehr viel kritischer. Dass der Drogenhändler sich an Nagi vergriff nur um sein Boytoy zu bekommen, war ein Ding der Unmöglichkeit und etwas, das Schuldig Crawford niemals verzeihen würde.
 

Schuldigs Blick fiel auf Nagi, der totenbleich und dürr in dem viel zu großen Bett lag, die Augen geschlossen, die Atmung ruhig und eben. Die Verletzungen des Jungen verheilten wie gewohnt schnell, gerade so, als wäre sich die Telekinese bewusst, dass sie ihren Träger heilen musste um fortzubestehen. Daher war es auch nicht der Körper des Jungen, der Schuldig Sorgen bereitete. Er wartete immer noch auf die Laborergebnisse der unfähigen Ärzte, die ihm sagten, was für Drogen genau dem Telekineten verabreicht worden waren um ihn gefügig zu machen. Um ihn gegen seinen Ziehvater aufzubringen.
 

Einen Ziehvater, der ihn geschlagen und mit seinen Worten derart missbraucht hatte, dass der Junge geflohen war von seinem Zuhause.
 

Erneut grollend würgte Schuldig den Gedanken ab. Natürlich drang kein Wort der Entschuldigung über die Lippen seines hochwohlgeborenen Anführers. Natürlich war es weit unter Crawford, sich für seine Fehler zu entschuldigen. Hellseher machten nichts falsch. Hellseher entschuldigten sich nicht. Crawford schon gar nicht. Das hatte das Prinzchen nicht nötig.
 

Ein sachter Zug an seiner Telepathie ließ Schuldig zusammenzucken. Es war aus Nagis Richtung gekommen, von dem Anker, den er in den Geist des Kleinen gelegt hatte um alarmiert zu werden, falls dieser Anzeichen von bewusstem Denken zeigen würde. Und siehe da.

~Nagi?~, sandte er aus, stupste den Jungen seicht mental an.

~Schuldig…~, geisterte es ihm entgegen, beinahe unhörbar und Schuldig seufzte erleichtert auf.

~Kleiner, ich bin hier~, sandte er beruhigende Impulse in Richtung des Telekineten aus und begab sich in dessen unterbewusste Gedankenwelt, die dunkel und reißend um sie herumtobte.

~Hilf mir, bitte. Schuldig, hilf mir. Bitte bitte hilf mir~, drangen leise Gedanken zu ihm und die Szenerie war durchsetzt von Eindrücken aus einem beißend hellen Keller, von einem Arzt und Spritzen, die ihn wieder und wieder stachen, damit er alles vergaß, seinen Namen, seine Herkunft um ausschließlich in seiner Wut gefangen war. Schuldig zischte vor Wut, als er sah, was diese Arschlöcher ihrem Jüngsten angetan hatten mit ihren Drogen und der Isolation in dem Keller, aus dem er nur geholt worden war um Crawford zu foltern.
 

Schuldig schob seine Wut in den hinterletzten Winkel seiner Seele, auf dass sie sich nicht in seinen Gedanken bemerkbar machte. Er brauchte Ruhe für den verängstigten Geist vor sich und wenn er schon in der Lage gewesen war, diese auf den Takatorispross zu projizieren, dann sollte er Nagi diesen Dienst auch erweisen können.

~Ich helfe dir, Kleiner, keine Sorge. Du bist in Sicherheit, wir haben dich da rausgeholt. Du bist in Sicherheit.~ Als Antwort wurde er in Erinnerungen gezogen, die ihn beinahe würgen ließen. Blut, Schmerz, Gewalt, überschwemmend negative Emotionen, die zu Taten kanalisiert wurden, die Nagi nicht aufhalten konnte. Taten, die seinen Ziehvater folterten.

~Hilf mir, lass es nicht zu, dass ich ihm weiter wehtue, bitte. Hilf mir, hilf ihm, er darf nicht sterben…ich…bitte…~, verlor sich das Flehen des Jungen in seinen Gedanken und Schuldig atmete tief ein.

Langsam ließ er Ruhe und bewusste Erinnerungen in Nagi hineinfließen und teilte seine Eindrücke mit dem Telekineten. Nicht zu hastig und nicht zu offensiv, um keinen bleibenden Schaden zu hinterlassen. Er wusste aber auch, dass er nicht aufgeben und vor allen Dingen nicht nachgeben durfte, egal, wie die Reaktion nun ausfiel.
 

Nagi war auf seine Unterstützung angewiesen. Wenn der Junge sich in seiner Angst und Panik verrannte, würde das keiner in diesem Gebäude überleben, einschließlich ihm selbst und Crawford. Das wäre in all der Scheiße, in der sie gerade halstief steckten, die Krönung.

Schuldig zeigte Nagi einen Eindruck, wie Crawford in dem Bett lag, verwundet zwar, aber am Leben. Erleichterung durchflutete ihn, die nicht die Seine war.

~Ich habe ihn nicht umgebracht.~

~Nein, Kleiner, das hast du nicht.~

~Aber ich habe ihm wehgetan.~

Schuldig schickte eine Welle der stetigen Beruhigung, anstelle Nagi direkt auf seine Gedanken zu antworten. Dass Crawford das durchaus verdient hatte, verschwieg er ebenso sehr wie seine Wut auf den Amerikaner.

~Ihm geht es jetzt wieder gut, zumindest ist er auf dem Weg der Besserung. Lass das jetzt gerade nicht deine Sorge sein, Kleiner. Du musst erst einmal wieder gesund werden, ist das klar?~

Seine Worte waren nicht als Drohung gemeint, dennoch verschreckten sie den Telekineten und Schuldig kämpfte für lange Augenblicke gegen die Flut an Emotionen und Erinnerungen, die grausamer nicht sein konnten. Mit aller Macht stemmte er sich dagegen und drang schließlich durch eine winzige Lücke zu ihrem Taktiker vor.

~Ganz ruhig~, umsorgte er ihren Jüngsten. ~Ich bin da. Dir kann nichts mehr passieren.~

~Wo bin ich, Schuldig?~

~Momentan in deinem Verstand. Sie müssen noch herausfinden, welche Drogen sie dir verabreicht haben. Währenddessen hoffen sie, dass sie die Drogen mit den üblichen Methoden aus deinem Körper spülen können.~
 

Ein Zittern ging durch die Gedanken. ~Und wo ist mein Körper? Wo bist du?~

Schuldig zeigte Nagi Erinnerungen an das Krankenzimmer, das Bett, er jubelte dem Jungen auch Erinnerungen seines unversehrten Selbst unter, damit der Kleine glauben konnte, dass alles in Ordnung war und nicht wegen der Schlinge, in der sein Arm steckte und dem Stützpflaster auf seiner Nase in Panik geriet.

~Wir sind in Sicherheit. Die großen strahlenden Ritter von Kritiker passen auf uns auf und versorgen uns medizinisch.~

Furcht wallte wieder empor. ~Kritiker?~

Ein Bild von Tsukiyono flammte auf, wie er neben Nagi stand und Zorn war es, der um Schuldig herum brandete wie Wellen am Strand.

~Er ist unversehrt geblieben~, zischte eben jener und griff nun auch Schuldig an, als er blind und wütend um sich schlug. Fluchend versuchte sich der Telepath zu schützen und stemmte sich gegen die scharfen Spitzen voller Wut.

~Er hat dich gerettet~, schickte Schuldig bewusst sanft durch den Zorn, wissend, dass er ihn dadurch besser erreichen würde. Und siehe da. Fragend hielt Nagi inne. Schuldig seufzte erleichtert. Das Letzte, was er brauchte, war, dass der Junge aus seiner Bewusstlosigkeit heraus der Wut auf den jungen Weiß freien Lauf ließ.
 

~Er hat dich gerettet, indem er mich kontaktiert hat, Kleiner. Er hat dich und Crawford zusammengebracht, als das Haus eingestürzt ist, damit ihr alle überleben könnt. Und er war ebenso ein Gefangener wie ihr beide auch.~

Es war das, was er Nagi in seinem momentanen Zustand sagen konnte. Mehr würde der Junge nicht vertragen. Alles Andere müsste bis später warten.

~Vertrau mir, Nagi. Er hat geholfen~, bekräftigte der Telepath ein weiteres Mal und fühlte genau das. Unbändiges Vertrauen in ihn und seine Worte.

~Gut so. Und nun machen wir uns an die Arbeit, dass du deine Augen wieder aufschlägst, was hältst du davon?~

Ah, doch wohl nicht so viel Vertrauen, wie es schien. Nagi scheute vor ihm zurück. ~Nein. Ich habe Angst.~

~Und ich bin bei dir. Du musst keine Angst haben. Ich lasse dich nicht im Stich, Nagi. Wir sind Schwarz, weißt du noch? Wir sorgen füreinander. Niemand wird dir jetzt mehr etwas tun, niemand. Gemeinsam sind wir stark, hörst du?~
 

Ein Bild flammte in Nagis Geist auf und Schuldig wich im ersten Moment zurück vor der Bedeutung dessen. Bis auf die gemeinsamen Mahlzeiten, unternahmen sie wenig etwas gemeinsam, da sie alle viel zu sehr ihren eigenen Lebensraum schätzten. Doch hin und wieder kam es vor, dass sie zu viert wegfuhren und so war es nun der von Crawford vorgeschlagene Kurzurlaub, der omnipräsent in Nagis Gedanken verweilte und die Entspannung, die sie alle dort befallen hatte. Nagis Liebe galt dem Abend auf der Veranda bei Sonnenuntergang und ruhigen Gesprächen.
 

Schuldig knirschte derweil mit den Zähnen und seine Fingernägel hinterließen blutige Halbmonde auf seinen Handballen.
 

~~**~~
 

Crawford hatte Recht gehabt. Sasaki war nicht wirklich erbaut darüber gewesen, dass er sich zwei Fäden gerissen hatte. Für eine Japanerin und vor allen Dingen für ihre Angst, die sie immer noch vor ihm zu haben schien, drückte sie ungewöhnlich unwirsch ihr Missfallen aus, versorgte seine blutende Wunde jedoch professionell und schnell, nachdem sie ihm das Frühstück auf den Tisch gestellt hatte, das er nicht anzurühren gedachte. Kaffee konnte er vergessen und der Tee, der auf dem Tablett stand, stank mit der Suppe um die Wette und der frische Reis sah nun wirklich nicht so aus, als könnte er ihn unfallfrei essen. Ganz zu schweigen von dem pochierten Ei.

Abyssinian war immer noch nicht zurück und so hatte Crawford nichts anderes als die gegenüberliegende Häuserfront, die er anstarren konnte. Der Lärm der sie umgebenden Stadt wurde durch die gut verglasten Fenster geschluckt, still war es dadurch aber nicht. Die Klimaanlage, so gut sie auch sein mochte, war ein stetiges enervierendes Brummen im Hintergrund. Schwere Schritte auf dem Flur deuteten auf einige bewaffnete Sicherheitskräfte hin und Stimmen, die hin und wieder zu ihm geisterten, versicherten ihm, dass er nicht wieder im Keller war, abgeschnitten von allem.
 

Die Tür, die sich nun leise öffnete, erregte seine Aufmerksamkeit und umständlich drehte er sich um. Schuldig etwa, ein weiteres Mal? Er wusste nicht, ob er dem standhalten konnte. Sasaki, die seine Medikamente überprüfte? Eher unwahrscheinlich. Fujimiya, so hoffte er im Stillen und wurde nicht enttäuscht. Anscheinend hatte der andere Mann geduscht, den zurückgekämmten, nassen Haaren nach zu urteilen. Frische Kleidung trug er ebenfalls und Crawford war kindischerweise eifersüchtig auf die normale Kleidung des Japaners.

In den Händen balancierte dieser einen…nein…zwei Pappbecher und schloss die Tür hinter sich nun mit dem Fuß. Kaffeeduft schlängelt sich in den Raum hinein und Crawford wagte es zu hoffen.
 

„Du bist wach“, erhob sich die Stimme des Japaners, während er sich gerade mühevoll in die Höhe schraubte. Ein Fortschritt zum gestrigen Tag, befand er selbst.

„Wenn man das so nennen mag.“ Sachter Zynismus tränkte Crawfords Worte und stirnrunzelnd musterte der Weiß ihn, gerade so, als hätte er etwas Ungewöhnliches von sich gegeben.

Sich anscheinend aus eben diesen Gedanken lösend, nickte Fujimiya in Richtung seines Tabletts. „Keinen Hunger?“, fragte er und Crawford folgte seinem Blick. Er schwieg dazu, denn er würde sicherlich nicht mit seinem Aufpasser, nichts Anderes war der rothaarige Mann, über seine Essgewohnheiten diskutieren. Er hatte keinen Hunger, nicht nach seinem Zusammentreffen mit Schuldig. Nicht nach dem Nahrungsentzug der letzten Tage. Nicht hier, in einer Einrichtung von Kritiker, wo er nicht wusste, was sie ihm unter das Essen mischten.
 

„Kaffee?“
 

Da war es, das verlockende Wort, gepaart mit dem verlockenden Geruch des schwarzen Gebräus, der sich zu ihm schlängelte und ihn in die Richtung dieser Erlösung sehen ließ. Kaffee war etwas Anderes als Essen.

„Schwarz?“

Ein kurzes, beinahe unsichtbares Schmunzeln huschte über die Lippen des Japaners, als dieser ihm den Pappbecher reichen wollte, es sich dann aber anders überlegte.

„Kannst du ihn halten?“, fragte er anstelle dessen und Crawford grollte.

„Wird schon.“ Hatte zu. Und wenn Fujimiya es noch einmal wagte, ihm den Kaffee wieder zu entziehen…

Eben jener hob die Augenbraue. „Ich habe das Ding aus der Kantine hier mitgehen lassen. Wenn du einen Becher versenkst, den ich von meinem Arbeitgeber klaue und an deiner Krankenschwester vorbeischmuggele, wäre das sicherlich das Ende der Kaffeeschmuggelei und des Kaffeeschmugglers, das ist dir klar, oder?“

Überrascht sah Crawford hoch, als er den Humor hinter den ruhigen Worten entdeckte und feststellte, dass er selbst amüsiert schnaubte. Ein Entgegenkommen, das er nicht verdient hatte für das, was er getan hatte.

„Ich behalte es im Hinterkopf.“

Aya drückte ihm den Becher in beide Hände und Crawford stellte mit einiger Genugtuung fest, dass er den Kaffee halten konnte ohne groß zu zittern. Ebenfalls ein Fortschritt zum gestrigen Tag. Langsam nahm Crawford einen vorsichtigen Schluck des heißen Gebräues. Seit fünf Tagen das Erste. Noch nicht einmal gut, aber nahezu himmlisch. Es war Kaffee. Gestohlener, schwarzer, heißer Kaffee.
 

Aya trank seinen und ließ sich wieder auf den Sessel unweit von ihm nieder. Sein Schwert lehnte vertraulich an ihm und Crawford verlor sich einen Moment lang in der Betrachtung des Katana, das sein Träger so tödlich zu nutzen musste. Fujimiya war gut in dem, was er tat, das musste Crawford ihm zugestehen. Seine Art zu töten war präzise und wohlüberlegt. Er quälte nicht, sondern erledigte den Auftrag kurz und knapp.

„Gibt es bezüglich Nagi Neuigkeiten?“, löste sich Crawford aus seinen Gedanken, als die Stille zu erdrückend wurde und Aya setzte nachdenklich seinen Kaffeebecher ab.

„Er ist auf dem Weg der Besserung. Schneller, als es die Ärzte vermutet hätten, regeneriert er sich von den Verletzungen, die er davon getragen hat. Das Problem sind die Drogen, die sie ihm verabreicht haben. Das Labor forscht noch an der Zusammensetzung und bisher können sie nicht mehr tun, als die Substanzen aus seinem Blut zu waschen, bis sie ein eindeutiges Ergebnis haben.“

„Ist er bei Bewusstsein?“

Aya schüttelte den Kopf. „Noch nicht, doch sie sind zuversichtlich, dass er übermorgen, vielleicht schon morgen, wieder zu sich kommen wird.“
 

Crawford nickte langsam und überlegte einen Moment lang. Schlussendlich traf er eine Entscheidung und bohrte seine Augen in die seines Gegenübers. „Wenn er zu sich kommt, ist es wichtig, dass jemand bei ihm ist, der in seine Gedanken greifen und ihn ruhig halten kann. Sollte er desorientiert sein, besteht die Möglichkeit, dass er auch dieses Gebäude auch in Schutt und Asche legt.“

„Schuldig überwacht ihn mithilfe seiner Telepathie, seitdem wir hier eingetroffen sind.“

Es war Erleichterung, die Crawfords Anspannung sichtbar von ihm abfallen ließ. Kurz schloss er die Augen und ließ die Emotionen durch sich hindurchwaschen, bevor er sich sicher sein konnte, dass davon nichts mehr in seinen Augen stand.
 

„Wie geht es eurem Kleinen?“, fragte er nach einer Weile sorgsam emotionslos und Fujimiya legte den Kopf schief, taxierte ihn schweigend. In seinen Augen stand Wut, mühevoll zurückgehalten durch Ruhe. Es hatte seinen Grund gehabt, warum Tsukiyono während Fujimiyas Aufenthalt nur zu Beginn Thema gewesen war. Der Hass, den es in Fujimiya erzeugt hätte, wieder auf die Folter seines Taktikers gestoßen zu werden, hätte Crawfords Vorhaben erschwert, durch die Ruhe des rothaarigen Weiß seine Visionen zu stärken. Es hätte Fujimiyas Aufenthalt bei ihnen erschwert.

Er erwartete fast, dass der Japaner ihn für seine Frage schlug, doch der ewig gute Weiß tat nichts dergleichen. Einen Moment lang spielte er mit dem Becher in seinen Händen und richtete dann seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder auf Crawford.
 

„Den Umständen entsprechend. Er hat nur wenig abbekommen, ist aber soweit unversehrt. Wie er es mir erzählt hat, hat Lasgo ihn nicht so schlecht behandelt wie dich und Naoe. Im Gegenteil. Und Schuldig sagte etwas davon, dass Lasgo mit Omis Mutter näher bekannt gewesen ist.“
 

Lasgo.

Natürlich erwähnte Fujimiya den Namen des Mannes, der ihn zum zweiten Mal die Hölle auf Erden bereitet hatte. Ebenso natürlich sollte es kein Problem für ihn sein. Ein Name war ein Name und der Mann, der diesen Namen trug, war jetzt nicht hier, doch das tat Crawfords plastischen Erinnerungen an den Älteren keinen Abbruch. Stumm verharrte er, gefangen in den Taten, gegen die er sich nicht hatte wehren können. Ebenso gefangen in den Worten und Schmerzen, die seine Zeit mit dem Mann begleitet und dominiert hatten.

„Crawford.“
 

Wieder nur ein Wort, das ihn beeinflusste. Dieses Mal löste es ihn aus seinem Fluch und der Dunkelheit, die ihm die Augenbinde aufgezwungen hatte. Fujimiya, dessen ruhiger Blick ihn daran erinnerte, dass er Fujimiya noch eine Antwort schuldig war. Mühsam schluckte Crawford, noch viel mühsamer zwang er sich zu seinem Schluck bitteren Kaffees, der ihm wie eine Erlösung schien.
 

„Er hat ihn auch eingesperrt, aber soweit ich das mitbekommen habe, hat er sich nicht an ihm vergangen. Mein Wissen ist jedoch lückenhaft“, gab Crawford schließlich zu. Was die Mutter des Jungen anging, so hatte er das Gespräch zwischen dem älteren Mann und Tsukiyono durchaus mitbekommen, doch er weigerte sich, durch die Erinnerung daran wieder die Dunkelheit heraufzubeschwören.

„Ihr habt einen Handel abgeschlossen, sagte Schuldig. Du hast Omi darum gebeten, Naoe aus der Gefangenschaft zu befreien.“
 

Crawford erwiderte nichts. Ja, er hatte Tsukiyono darum gebeten und der Junge hatte ihm trotz allem das Versprechen gegeben, dass er Nagi da herausholte. Sein Blick fokussierte sich intensiv auf den Kaffeebecher, dessen buntes Design so ganz und gar nicht dem entsprach, für das Kritiker stand, doch anscheinend brauchte auch eine national operierende Auftragsmörderorganisation eine Kantine mit bunten Kaffeepappbechern. Crawford schüttelte den Kopf, versuchte die wandernden Gedanken unter Kontrolle zu bringen, die unter dem Einfluss der Schmerzmittel, stetig abdrifteten und ihm seltsame Beobachtungen mitteilten. Sasaki hatte ihm seine Krankenakte gezeigt. Es war nichts Schweres, aber beeinflussend genug, dass es ihn daran hinderte, solche Gedanken zu unterbinden. Das war hinderlich und nicht gerade förderlich für seine Visionen. Ein nützlicher Nebeneffekt für Kritiker, so schätzte er.

„Crawford?“
 

Er sah auf, direkt in Abyssinians vorsichtige Augen. „Dem Kleinen wird es wieder gut gehen.“

Vielleicht sollten die Worte ihn aufmuntern. Vielleicht sollten sie eine Versicherung sein. Trotzdem brachten sie die Erinnerung an Schuldigs Forderung hervor. Österreich. Rosenkreuz. Das Tribunal. Er war schuld daran, dass sein Team in Gefangenschaft geraten und außer Gefecht gesetzt worden war, weil er nicht in der Lage gewesen war zu kompensieren, was ihm angetan worden war. Es war nicht das Team, was in der letzten Zeit an erster Stelle gestanden hatte, sondern er. Das hatte zu seinem vollständigen Versagen als Anführer geführt. Es war pures Glück, dass durch seine Handlungen niemand gestorben war.

Doch Glück war nicht das, was ihn vor der Neutralisierung bewahren würde. Wenn sie ihm gewogen waren, würden sie einer vollständigen Neutralisierung zustimmen. Wenn er weniger Glück hatte würden sie sich für eine partielle Neutralisierung entscheiden.
 

Crawford wusste auch ohne die Kraft seiner Voraussage, dass sie ihn nicht töten würden. Die Präkognition war zu wertvoll, als dass man sie gänzlich auslöschen durfte. Eine Neutralisierung aller Emotionen und aller Erinnerungen würde sich da eher anbieten, damit er Rosenkreuz noch dienen konnte. Dann würde er endlich in der Lage sein, seine Aufgabe zur Zufriedenheit aller zu erfüllen.

So oder so, Schuldig wollte ihn tot sehen und das war etwas Neues…etwas, dem er momentan nichts, schon gar keine überlegene Ruhe, entgegen zu setzen hatte. Selbst in den Anfängen, als sich Schwarz noch finden musste und Schuldig gegen ihn aufbegehrt hatte, war es nie so weit gekommen. Und nun…

Crawford schloss die Augen, als ihn eine Welle der Übelkeit überkam.

Er musste ins Bad…sofort. Er würde sich nicht die Blöße geben, seinen Mageninhalt auf den Zimmerboden und auf dem Bett zu verteilen. Tief einatmend stellte er den Becher ab und schraubte sich unter Schmerzen hoch. Zu langsam ging es, er würde nicht rechtzeitig dort ankommen.
 

Und wieder waren es Abyssinians Hände, die ihn stützten und hielten. Wieder war es Abyssinian, der verstand, wo er hin wollte und ihn schweigend zum Bad brachte. Wie wenig er doch vor den Fingern, die ihn berührten zurückzuckte. Beinahe konnte er stolz auf sich sein.

Auf halber Strecke hörte Crawford mehr als dass er sah, dass die Tür seines Zimmers aufging. Blind vor Schwindel sah er hoch und erwartete Sasaski oder Schuldig zum zweiten Mal, die sich natürlich den passenden Moment für einen Besuch ausgesucht hatten.
 

Mit Farfarello hatte er jedoch nicht gerechnet.
 

Der Ire maß ihn ausdruckslos und Fujimiyas Laut der Überraschung spiegelte perfekt Crawfords eigene Gedanken wieder. Eben jene Gedanken, die nun zu einem abrupten Halt kamen, als er der Gestalt hinter Farfarello ansichtig wurde, die nun in den Raum hineintrat. Instinktiv krampfte sich seine Hand um den Infusionsständer. Vergessen und verschwunden war die Übelkeit und machte etwas Anderem Platz, das viel schlimmer war. Vergessen war Schuldigs Forderung. Vergessen waren sein Schmerzen.

Jahrelange Indoktrinierung übernahm. Die Erziehung seiner Lehrer, seiner Professoren, seiner Tutoren übernahm. Gehorsam und Disziplin durch die harte Schule von Rosenkreuz übernahmen.
 

Wertvolle Sekundenbruchteile verschwendete er um die Exekutorin anzustarren, wie sie in vollem Ornat vor ihm stand. Der rote Mantel war ihr auf den Leib geschneidert und er musste nicht auf ihren rechten Arm sehen um zu wissen, dass sich dort die kupferne Rose um das goldene Kreuz winden würde, in seiner Farbkombination einzigartig für ihre Stellung. Der Stehkragen verdeckte ihren Hals, während ihre sonst so lockigen Haare zu einem strengen Dutt im Nacken hochgesteckt waren. Die ebenfalls kupfernen Lederhandschuhe verdeckten ihre Hände und lagen in angemessener Anspannung übereinander. Die hellrote Schärpe war in perfekter Ordnung über ihrer rechten Schulter drapiert. So wie er es früher oft gesehen und bewundert hatte.
 

Crawford besann sich mit einem Ruck und setzte zu einer Verbeugung an, von der ihm seine Gabe dringend abriet. Bevor er ungelenk auf den Boden aufschlagen konnte, ging er auf die Knie und senkte sich in die Büßerposition, die nur diejenigen einnahmen, deren Urteil bereits gefällt war. Es widersprach dem Protokoll und es war ein Testament an seine Disziplinlosigkeit der letzten Wochen, doch Crawford kam nicht umhin sich zu fragen, ob er nicht instinktiv die richtige Position gewählt hatte, wenn sie kurzen Prozess mit ihm machte. Neben ihm stand Fujimiya und er spürte dessen irritierten Blick auf sich, beinahe noch stärker als die Hand, die ihm wieder aufhelfen wollte.

„Crawford, was ist los?“, konnte der Weiß natürlich nicht seinen Mund halten, weil er wieder einmal keine Ahnung hatte.

„Sei still, Fujimiya“, zischte er und Abyssinian war tatsächlich klug genug, um nichts zu sagen.
 

Crawford neigte den Kopf so tief es ging ohne dass er Gefahr lief, das Bewusstsein zu verlieren. Es war nicht tief genug, das wusste er. Doch er hoffte, dass es für jetzt reichte.

„Ich grüße die Dame des Hauses“, presste er in jahrelangem Drill hervor, seine Worte sonor und eben, bar jeder Schwäche, die seinen Körper dominierte. Sie schätzte Schwäche nicht, schon gar nicht, wenn sie von ihm kam, also bot er ihr keine Angriffsfläche.

Sie ließ sich Zeit mit der Antwort, und nahm sich Minuten lang Zeit um ihn und den Zustand, in dem er sich befand, zu analysieren. Jeder Millimeter seiner Haut und seiner Erscheinung wurden von ihr seziert und ein unangenehmes Prickeln deutete auf ihre Kraft in seinen Gedanken hin, die so brach vor ihr lagen in diesem Moment wie sie zu jeder Zeit davor vor ihr brach gelegen hatten.

„Ich grüße dich, Orakel“, erwiderte sie schließlich ebenso emotionslos und das Leder um ihre Hände knirschte, als sie näher kam.

„Erhebe dich.“

Wer war er, dass er diesem Befehl nicht Folge leistete, so schraubte er sich mühevoll in die Höhe und trotzte mit einem Akt der Gewalt dem ihn überkommenden Schwindel. Fujimiya wollte ihn zu stützen, doch ein Wink ihrer Gabe hielt Abyssinian davon ab, nicht jedoch davon, seinen Mund aufmachen zu wollen.

„Schweigen Sie.“ Ihre Worte waren eine einmalige Warnung an einen Unbegabten. Eine zweite Warnung würde der Weiß nicht erhalten. Crawford hoffte auf Fujimiyas scharfen Verstand.
 

„Sieh mir in die Augen.“

Langsam sah er vom Boden hoch und ließ zu, dass ihre durchdringenden Augen sich in die Seinen bohrten und ihm unmissverständlich klarmachen, warum sie hier war. Lange und ausführlich musterte sie ihn, den Kopf gereckt, da er beinahe einen Kopf größer war als sie. Nicht, dass es ihr jemals etwas ausgemacht hätte, selbst dann nicht, als er in seiner Pubertät so etwas wie rebelliert hatte. In den Maßstäben, wie ein Hellseher rebellieren konnte.

Dort, wo sonst das erlösende Lächeln folgte und den formellen Gruß beendete, folgte sie nun weiter dem offiziellen Protokoll und maß ihn von oben bis unten.
 

Schlussendlich richteten sich die fürchterlichen Augen auf den Weiß.
 

„Vielen Dank für Ihre Kooperation“, richtete sie an Fujimiya. Ohne Umschweife bediente sie sich des japanischen Grußes und verbeugte sich leicht vor ihm, was Fujimiya nach einem viel langen, viel zu zögerlichen Augenblick erwiderte. Fünf Minuten herrschte Stille zwischen ihnen, als sie anscheinend auch in den Gedanken des Japaners nach den von ihr geforderten Antworten suchte und ihn zu diesem Zweck mit ihrer Telepathie durchdrang, bevor sie sich ein Urteil über denjenigen machte, der den Anführer von Schwarz gerade zum Bad hatte geleiten wollen. Eine vermutlich unnötige Prozedur, wenn sie ihn gleich hier exekutierte. Doch auch Fujimiya war es nicht, der ihre Aufmerksamkeit einforderte.

Wortlos wandte sich die Dame des Hauses von Ihnen ab und richtete sich an Manx.

„Ich wünsche Mastermind und Prodigy zu sehen.“
 

Für einen winzigen Moment fragte Crawford sich, ob die rothaarige Kritikeragentin bereits wusste, wen sie vor sich hatte, im nächsten Augenblick jedoch schob er die zugegeben recht tumbe Frage auf die Medikamente, die ihn am Denken hinderten. Die Dame des Hauses war hier, in Tokyo, in Shinjuku, in einer Einrichtung von Kritiker. Auch wenn sie immer für Überraschungen gut war, so wäre sie ganz sicher nicht unangemeldet gekommen. Vermutlich wusste die rothaarige Kritikeragentin, wer sie war, ebenso wie Perser auch. Deswegen war sie zwar im offiziellen Ornat aber ohne die üblichen Rosenkreuzeinheiten hier.
 

Deswegen war es ein Besuch und keine Kriegserklärung an Kritiker.
 

Eben jener Besuch verließ kommentarlos das Zimmer und Crawford schaffte es mit Mühe zum Bett, als sich die Tür hinter ihnen schloss. Zitternd starrte er auf seine Hände und benötigte die ersten, stummen Sekunden um überhaupt zu begreifen, dass er noch lebte und dass sie ihn nicht auf der Stelle getötet hatte. Dann also die Neutralisation für sein Fehlverhalten. Bitterkeit wallte in ihm hoch. Es war alles umsonst gewesen. Er hatte versagt, sowohl darin, ihre Regeln zu befolgen als auch sich erfolgreich darum zu drücken, sie befolgen zu müssen.

Er hätte es sich denken können, dass ihre Organisation ihm auf die Schliche kommen würde, dazu musste er sich noch nicht einmal fragen, aus welchem Grund sie hierherberufen wurde.
 

Jetzt musste er erst einmal seine verdammten Hände unter Kontrolle bekommen.

Schuldig würde hoch zufrieden sein, dass er sich nun nicht mehr vor Österreich drücken und so tun konnte, als wäre alles in Ordnung. Rosenkreuz war zu ihm gekommen, ein weiterer Minuspunkt auf seiner Liste, hatten ihre Ausbilder ihnen doch wieder und wieder eingebläut, bei Problemen ihre Organisation zu kontaktieren.

Die Frage war nur, wieviel Zeit ihm noch blieb und ob er sich verabschieden konnte. Ein Stich an Bedauern durchfuhr ihn und Crawford schloss die Augen. Vielleicht erlaubte sie ihm noch, sich bei Nagi zu entschuldigen für das, was er dem Jungen angetan hatte.
 

„Wer war das, Crawford?“

Der Angesprochene vernahm die Worte, doch er wollte sie zunächst nicht verstehen. Eigentlich wollte er gar nicht mehr denken, denn so würde es einfacher werden. Hoffte er.

„Crawford?“

Sein Name, erneut. Das Orakel blinzelte und sah hoch, direkt in das bleiche, erschrockene Gesicht Fujimiyas, der in seinem Gesicht nach einer Antwort suchte, die ihm Crawford in aller Ausführlichkeit geben konnte, wenn er denn seine Stimme wiederfand. Mühevoll schluckte er die Enge in seinem Hals hinunter.

„Wer ist sie?“, fragte der rothaarige Weiß ein weiteres Mal und ein geisterhaftes Lächeln huschte über Crawfords Lippen. Sie war so vieles, sie hatte so viele Namen. So viele Seiten und Gesichter, die sie der Welt präsentierte. Die Frage war, wer sie hier war. Und diese Frage konnte Crawford ohne zu zögern beantworten.
 

„Der Tod.“
 

~~**~~
 

Blaue Augen ruhten liebevoll auf der nun nicht mehr ganz so bleichen Gestalt des Telekineten, dessen Wangen von Stunde zu Stunde mehr an Farbe gewannen. Seine Gedanken waren zwar immer noch von Unsicherheit und Angst geprägt, doch das Ungestüme in ihnen begann sich bereits zu ordnen und das bewusste Denken des Jungen sickerte in das Chaos der letzten Tage. Schuldig blockte aber immer noch den Teil, der für die Telekinese zuständig war, zumindest solange, bis Nagi die volle Kontrolle über seine Emotionen und seine Gedanken hatte.

Hin und wieder sandte er Impulse des Wohlbefindens aus, die dem Telekineten einen sachten Schubs in Richtung Wachsein geben sollten. Er mochte Nagis Reaktion darauf, aber auch die Reaktion des Cardiomonitors, der lustige Hüpfer veranstaltete, wann immer er den Impuls setzte. Wie er in der vergangenen Zeit die Schwestern damit hatte ärgern können, deren Pendant am Stützpunkt ebenfalls Nagis Vitalzeichen anzeigte. Die ersten drei Male waren sie noch in das Zimmer des Telekineten gestürmt in der Annahme, dass es dem bewusstlosen Jungen abrupt schlechter gehen würde.
 

Dass Nagi kurz davor war aufzuwachen, verschwieg ihnen Schuldig rein aus Bosheit.
 

Beim vierten Mal erahnten sie an seinem Grinsen, dass er seine Finger im Spiel hatte und die ältere Schwester – Sasaki war ihr Name – ließ ihn deutlich ihr Missfallen sehen. Schuldig amüsierte das, aber nicht so sehr, wie ihn ihr Gedanke amüsierte, dass im Gegensatz zu ihm der Amerikaner, der vor nicht allzu langer Zeit den ersten Einsatz der bewaffneten Sicherheitskräfte ausgelöst hatte, der weitaus angenehmere Feind war. Zumal er mittlerweile vorbildlich seine Limonade trank.
 

Schuldig hatte sich totgelacht.
 

Als die Tür nun aufging, freute er sich schon auf eine neue Runde in seinem Spiel Schwestern ärgern. Mit dem Rücken zur Tür winkte er. „Ich war’s nicht“, flötete er in den Raum und drehte sich mit einem wölfischen Grinsen in seinem Stuhl um.
 

Nur um sich Auge in Auge mit der Exekutorin von Rosenkreuz zu befinden, die ausdruckslos auf ihn hinunterstarrte. Wie Crawford auch schon verlor Schuldig wertvolle Sekunden, in denen er sie anstarrte und nicht zu glauben vermochte, dass sie hier war, wo er doch erst vor ein paar Stunden zu Crawford gesagt...

„Scheiße scheiße scheiße“, murmelte er und schoss hoch, nur um sich eine Sekunde später in die vorgeschriebene Verbeugung zu begeben und den Kopf zu senken. Dass der polternde Stuhl diesen Eindruck zunichtemachte, ignorierte er zugunsten des notwendigen und eingeforderten Protokolls.
 

„Ich grüße die Dame des Hauses“, kam es ohne Intonation über seine Lippen und sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Ihre Gabe und ihre Augen brannten sich in ihn und Schuldig schluckte trocken unter der Wucht. Es stand außer Frage, warum sie hier war und er hatte es vermutlich gerade nur schlimmer gemacht.

„Ich grüße dich, Mastermind.“

Schuldig hoffte, dass sie ihn aus seiner Position entließ, doch sie enttäuschte ihn. Wobei enttäuschen durfte er das nicht nennen. Sie hatte die Macht, ihn bis in alle Ewigkeit in dieser Position zu lassen ohne dass er sich je beschweren würde. Das war ihr Vorrecht als Exekutorin von Rosenkreuz. Als diejenige, die gesandt wurde, wenn es darum ging, ein Team oder ein Talent zurück zur Ordnung zu führen, wenn die Interessen von Rosenkreuz gefährdet waren.
 

Österreich war also zu ihnen gekommen.
 

Die Dame des Hauses ging an ihm vorbei und er sah aus dem Augenwinkel heraus, wie sie Nagi über das schlafende Gesicht strich.

„Ich grüße auch dich, schlafender Prodigy“, sagte sie und richtete sich erneut auf.

„Du darfst dich aufrichten“, sagte sie weniger sanft zu Schuldig und er schraubte sich gehorsam in die Höhe, wagte einen Blick in die grauen, wissenden Augen, die ihm nur für einen kurzen Augenblick ihre volle Aufmerksamkeit schenkten. Dann drehte sie sich ihrer rothaarigen Kritikerbegleitung zu und neigte den Kopf mit ausgesuchter Höflichkeit.

„Manx-san, dürfte ich Sie um etwas bitten?“, fragte sie in ihrem schwer akzentuiertem Japanisch. Manx bedachte sie mit einem ausdruckslosen Blick, der so gar nichts mit den analysierenden Gedanken dahinter zu tun hatte.

„Um was geht es?“

„Ich wäre Ihnen ausgesprochen dankbar, wenn Sie es möglich machen könnten, dass ich in den Räumlichkeiten Crawford-sans mit Schwarz sprechen könnte. Ohne Abyssinians Beteiligung.“ Es war keine wirkliche Bitte, auch wenn sie es so formuliert hatte. Die rothaarige Kritikerhexe wusste das, so nickte sie lediglich.

„Folgen Sie mir.“

Die Exekutorin nickte und Schuldig brauchte keine weitere Aufforderung um den Frauen zu folgen.
 

~~**~~
 

Die Spannung in dem Raum war nahezu greifbar, kaum dass die Tür hinter ihr und ihrem Assistenten zugefallen war, der sich wie gewohnt schweigend im Hintergrund hielt und alles für sie regelte, das ihre Gabe als unwichtig abstempelte. Seit Jahren schon. Schuldig hatte mit einem wütenden Blick auf ihn auf dem Sessel Platz genommen, in dem schon Fujimiya vor ihm gesessen hatte. Jei lehnte am Fenster, den Blick unablässig auf die Frau gerichtet, die ihn nun mit einer knappen Geste daran hinderte, sich aufzusetzen.

~Bleibe liegen, du wirst deinen Rücken schonen.~

Kommentarlos ließ er sich unter dem verächtlichen Blick Schuldigs wieder zurückgleiten, kurz die Augen vor Schwindel schließend.
 

~Vor zwei Tagen ist es in der Präfektur Tokyo, in der Nähe von Ōme zu einer außergewöhnlichen seismischen Aktivität gekommen. Der Ausbruch wurde von der Wetterbehörde dieses Landes aufgezeichnet. Eine Weitergabe dieses Vorfalls an uns durch das zuständige Regionalteam ist nicht erfolgt. Bevor die zuständigen Kontrollräte diese Unregelmäßigkeit überprüfen konnten, hat Berserker mich kontaktiert und mir die Situation geschildert.~

Crawford schluckte unwillkürlich. Jei war es also gewesen, der sein Kartenhaus hatte einstürzen lassen, als das Unglück seinen Höhepunkt erreicht hatte. Konnte Crawford es ihm verdenken? Nein. Dass er überhaupt damit gewartet hatte, bis es beinahe zu spät gewesen war, war ein Testament an seine Loyalität.

~Ich möchte wissen, wie es dazu kommen konnte und warum das Protokoll für einen solchen Fall nicht gewahrt wurde.~
 

Crawford spürte, auch wenn er Schuldig nicht ansah, dass der brennende Blick des Telepathen auf ihm ruhte. Crawford erinnerte sich unwillkürlich an ihren letzten Streit zuhause, daran, dass er Schuldig avisiert hatte, Rosenkreuz und SZ um einen anderen Telepathen zu bitten, als dieser gegen ihn aufbegehrt hatte. Gleiches hatte er Nagi an den Kopf geworfen in seiner Wut und seinem Zorn auf Lasgo, die sich ungerechtfertigter Weise auf sein Team ausgewirkt hatte.

Er räusperte sich.

~Aufgrund meiner situativen und organisatorischen Fehleinschätzung mehrerer Situationen ist es zu Störungen im Missionsablauf gekommen. Das hat dazu geführt, dass sich unsere Zielperson zunächst Prodigys bemächtigt hat und ihn mithilfe von Drogen dazu gebracht hat, mich und den Taktiker von Weiß in seine Gewalt zu bringen.~ Soweit der nichtssagende Kurzabriss.

~Wie kam es zu den vorangegangenen Fehleinschätzungen?~
 

Crawford schwieg und presste seine Lippen eisern aufeinander. Er wollte nicht antworten, er wollte es nicht aussprechen. Wenn er es aussprach, wurde es real und das durfte es nicht werden, denn dann würde er sich eingestehen müssen, was passiert war. Doch wenn er es nicht tat, würde es Schuldig tun und das wäre eine weitaus größere Schande. Selbst dann, wenn sie ihn für sein Versagen tötete. Gerade dann.

~Der erste Versuch, die Zielperson Lasgo auszuschalten, ist gescheitert. Der Auftrag hat sich als Falle herausgestellt und ich wurde gefangengenommen. Die sich anschließende Folter hat sich auf meinen körperlichen Zustand, meine Gabe und meine Urteilskraft in Bezug auf mein Team ausgewirkt und mich die benannten Fehleinschätzungen treffen lassen.~

Crawford hoffte, dass sie ihn nicht dazu zwingen würde, es konkreter zu benennen. Er hoffte, dass ihr das zunächst reichte.

~Mastermind.~ Schuldig wandte seinen brennenden Blick von ihm ab und fixierte die Exekutorin. ~Deine Einschätzung.~
 

Nun war es an Crawford, Schuldig zu mustern. Ihm abgewandt fixierte sich der Telepath lediglich auf die Dame des Hauses, als er verächtlich und voller Abscheu schnaubte.

~Oracle wurde gefickt, im übertragenen Sinn und wortwörtlich, und hat das Team darunter leiden lassen. Er hat Prodigy aus dem Haus geworfen, in die Arme der Zielperson getrieben und damit Schwarz beinahe zerstört, Prodigy beinahe getötet und unseren Auftrag gefährdet. Und um das Ganze zu überdecken, hat er Fujimiya entführt, damit dieser seine Gabe stabilisiert.~ Frustriert und anklagend verhallten die Gedanken des Telepathen über ihre gemeinsame Verbindung und Crawford verzog widerwillig das Gesicht. Fujimiya. Natürlich musste Schuldig ihn auch noch ins Spiel bringen.

„Berserker.“

Crawfords Blick kam auf dem Iren und dessen gedankenversunkene Spielerei mit seinem Messer zum Ruhen. Scheinbar losgelöst vom momentanen Geschehen zog er die Klinge über seine vernarbte Haut und beobachtete das Blut, das zwischen den getrennten Hautschichten hervorquoll. Als wenn sie nicht schon genug Blut gesehen hatten in der letzten Zeit, geisterte es durch Crawfords Gedanken und er gestattete sich für den Bruchteil eines Augenblicks, seine Augen zu schließen.
 

Es brauchte seine Zeit, bis Jei auf die ihm gestellte Frage antwortete. Gedankenverloren, wie er oft war, suchte er nach richtigen Worten und schlussendlich war es ein Lächeln, das Crawford aus den rauen Worten des Berserkers heraushörte.

„Beide Söhne wurden durch ihn zu Boden geworfen und ihrer Stärke beraubt. In ihrem Streben, seinen Klauen zu entkommen, haben sie ein Band geschmiedet, ein eisernes, kalt Geschmiedetes, in Demut und Blut“, merkte Jei nachdenklich an. „Beide Söhne haben seinen Samen empfangen, freiwillig und unfreiwillig. Der Eine ein Engel, der andere der Teufel und doch ist ihre Verbindung unumstößlich im Gesamtgefüge des unendlichen Seins.“ Schmunzelnd zog er den Dolch ein weiteres Mal über seine Haut.

„Durch ihren Pakt haben die Söhne etwas angestoßen, das sie nicht mehr aufhalten können, das in dem Moment nicht mehr aufzuhalten war, als er es das erste Mal gewagt hat, sich ihm aufzuzwingen.“ Er sah hoch und bohrte das verbliebene Auge in die Crawfords, der ihn mit dunklem, zornigem Unverständnis maß.
 

Nach den Worten des Iren dominierte Schweigen den Raum, der bis unter die Decke geladen war mit kaum ertragbarer Spannung. Es war ihr nicht um Informationen gegangen, das wusste Crawford nur zu gut. Alle Antworten, die sie gesucht hatte, hatte sie in ihren Gedanken gelesen. Um was es ihr gegangen war, war die jeweilige Herangehensweise an die Wahrheit und der Umgang mit den Gedanken. Wieder ein Punkt, in dem er versagt hatte. Die nicht genehmigte Entführung eines feindlichen Agenten hätte er erwähnen sollen. Ebenso wie das, was er Tsukiyono angetan hatte.
 

Die Dame des Hauses betrachtete einen nach dem anderen durchdringend und verschränkte die Arme. ~Prodigys Einschätzung werde ich mir holen, wenn er wieder bei Bewusstsein ist. In der Zwischenzeit werdet ihr mir erklären, wie es dazu kommen konnte, dass spätestens nach der Entführung Prodigys Rosenkreuz nicht über die Zwischenfälle informiert worden ist. Oracle.~
 

Crawford sah hoch. ~Bestandteil meiner Fehleinschätzung war, anzunehmen, dass Schwarz dem Problem ohne zusätzliche Hilfe von Rosenkreuz Herr werden könne. Insbesondere wollte ich verhindern, dass die körperlichen Folgen nach der Gefangennahme Teil meiner Akte geworden wären.~

~Mastermind. Nach der Entführung Oracles und nach dem Ausbruch von Prodigys Kraft, was hat dich da abgehalten, Rosenkreuz zu kontaktieren?~

Crawford sah, wie Schuldig schluckte. Die Frage war nur allzu berechtigt. Die Antwort würde seiner vermutlich gar nicht so unähnlich sein. Schwarz regelten Probleme primär untereinander und ohne die Beteiligung von Rosenkreuz, eben weil niemand von ihnen sonderlich erpicht darauf war, mehr Kontakt zu den Vertretern ihrer Organisation zu haben als notwendig.

~Ich habe mich für die Unterstützung durch Weiß entschieden.~
 

Die Dame des Hauses runzelte missbilligend die Stirn. ~Warum das?~

~Weil sie Ressourcen haben. Weil sie…~, er würgte an den letzten Worten. ~…für Unbegabte gut sind, in dem was sie tun. Zumal sie ihren Taktiker ebenso aus Lasgos Händen befreien wollten und meine Gabe zu dem Zeitpunkt nicht verlässlich lief.~

Schweigen begleitete ihre Überlegungen und schließlich schenkte sie ihnen ihr unangenehmes, kaltes Lächeln. ~Zusammengefasst: jeder von euch hat versagt.~

Crawford schloss die Augen. Die kühlen, emotionslosen Gedanken trafen sein Innerstes und fügten sich nahtlos in die brodelnde Masse ein, die ihn zu überrollen drohte. Ja, das hatten sie – wegen ihm. Und er würde dafür die Verantwortung tragen. Er wagte einen Blick in ihr Gesicht, doch dort fand er nichts.

~Mastermind. Präsentiere mir eine Lösung.~
 

Crawford sah zu Schuldig und forderte ich stumm heraus. Als wenn der Telepath seine Chance verstreichen lassen würde, für seine Bestrafung zu sorgen und ihn loszuwerden. Er ließ das Wissen darum in seinen Augen stehen. Na los, nimm deine Rache, die du an mir nehmen willst, seit Nagi verschwunden ist. Seitdem ich zu deinem Teamführer bestimmt wurde.

Schuldig ließ sich Zeit, seinen Blick zu erwidern, bevor er sich von ihm ab- und der Exekutorin zuwandte. Alles in seinem Gesicht deutete auf Genugtuung und Rache hin.

~Das Problem beseitigen und Schwarz wieder erstarken zu lassen~, erwiderte er schließlich.
 

Natürlich. Das Problem war er, niemand anderes. Crawford schwieg, da er nicht die Erlaubnis hatte zu sprechen. Am Liebsten hätte er Schuldig dafür den Hals umgedreht, doch er tat nichts, schulte seine Körperhaltung auf Indifferenz, seine Gedanken auf Ruhe. Die Entscheidung war sowieso bereits gefallen. Die Frage war nun nur noch, wann und durch wen sie vollstreckt wurde. Er hatte sich durch seinen Ungehorsam und sein Versagen disqualifiziert. Sein Blick ruhte auf der Exekutorin. Sollte es soweit kommen, so hoffte er, dass es ihre Augen waren, die er zuletzt sah, bevor der Prozess der Neutralisierung begann.

~Oracle. Deine Einschätzung.~

Crawford hatte nicht übel Lust zu lächeln. Schuldig direkt ins Gesicht zu lächeln und ihm seine Worte in den Rachen zu stopfen, auf dass der andere Mann an ihnen erstickte. Das Lächeln zumindest war unerwünscht, das wusste er. Die Worte jedoch würde er so wählen.

~Das Problem beseitigen und Schwarz wieder erstarken zu lassen~, wiederholte er exakt Schuldigs Wortwahl, ganz zum Unbill des Telepathen.
 

Die Dame des Hauses nickte und brennend richtete sich ihr Blick auf die beiden Ältesten. Langsam löste sie ihre verschränkten Arme und richtete sich auf. Ihr Blick und ihre Haltung sagten Crawford, dass ihre Informationssuche beendet war und dass sie nun eine Entscheidung treffen würde.

Mühevoll schluckte er gegen die aufkommende Übelkeit an. Du hast es bereits geahnt, als du das erste Mal vor Lasgo geflohen bist, hielt er sich vor Augen. So sehr es alles hiervon auch ungeschehen machen wollte, so wenig war er in der Lage, in die Vergangenheit zurück zu kehren und seine Fehler auszuradieren. Crawford schloss die Augen in Erwartung des Urteils und zuckte ob ihrer gedanklichen Stimme zusammen, die nun über ihre allgemeine Verbindung in ihn drang.
 

~Das euch gewährte Zeitfenster zur Ertüchtigung des Teams beträgt von jetzt an an sechs Wochen. Diesen Zeitraum werdet ihr dazu nutzen um euch wieder eurer Stärken und eurer Aufgabe hier in Japan bewusst zu werden. Diesen Zeitraum werdet ihr dazu nutzen, die Stärken des jeweils anderen zu erkennen. Diesen Zeitraum werdet ihr ebenso dazu nutzen, um euch der Zielperson zu entledigen, die sich immer noch eurem Zugriff entzieht. Ihr werdet euch in diesem Zeitraum auf die Werte und Regeln von Rosenkreuz besinnen und sie verinnerlichen. Leistet ihr euch noch einen einzigen Fehltritt oder überschreitet ihr diesen Zeitraum nur um eine Sekunde, wird Schwarz aufgelöst und sämtliche Mitglieder des Teams werden neutralisiert und anderen Aufgaben zugeführt.~
 

Ungläubig starrte Crawford die Dame des Hauses an. Er hatte mit vielem gerechnet, eine erneute Frist befand sich jedoch nicht darunter. Unwillkürlich ballten sich seine Hände zu Fäusten. Eine aufgeschobene Hinrichtung war es, an deren Ende die Vernichtung von Schwarz stand, wenn er erneut versagte.

Ein Laut des Missfallens holte ihn aus seinen Gedanken und er sah zu Schuldig, dessen Gesicht bleich und ablehnend, war. Er musste die Gedanken des Telepathen nicht lesen um zu wissen, dass dieser im Leben nicht damit gerechnet hatte, auch derart zur Verantwortung gezogen zu werden.

~Oracle.~
 

Crawford ahnte, dass sein Name in ihren Gedanken kein gutes Vorzeichen war.
 

~Während des gesamten Zeitraums wirst du deine bisherigen Schilde gegen telepathische Einflüsse zu senken um Mastermind jederzeit Zugang zu deinen Gedanken zu gewähren~, bestätigte sich diese dunkle Vorahnung auf die schlimmstmögliche Art und Crawford richtete sich abrupt auf. Er bereute das, als seine Verletzungen ihm unmissverständlich mitteilten, dass es eine dumme Idee war. Doch das…das ging nicht.

„Nein“, entkam es seinen Lippen, bevor er sich davon abhalten konnte. Nicht zu all dem, was er nicht verbannen konnte, noch ein schutzloser Geist und brachliegende Gedanken, die Schuldigs Grausamkeit ohne wirkungsvolle Barrieren ausgeliefert waren.
 

Über die Lippen der Exekutorin huschte ein schmales Lächeln. ~Also widersprichst du dem Entgegenkommen des Rates, Schwarz eine letzte Chance zu geben und sprichst dich für eine sofortige Neutralisierung aus?~

„Nein“, presste er widerwillig hervor.

~Dann verstehe ich deinen Widerspruch gegen die Entscheidung des Rates nicht.~

Er schwieg und senkte dann den Blick. „Es gibt keinen Widerspruch“, presste er schließlich hervor und die Dame des Hauses nickte.

~Die Dauer des Zeitraumes gilt auch für deine Schilde. Senke sie. Jetzt.~
 

Der scharfe Befehl nahm ihm für einen Moment die Luft zum Atmen. Er glaubte für einen Moment lang Rosenkreuz nicht mehr dienen zu können. Er glaubte, dass es zuviel war, dass er nicht mehr stark genug war, dass er es nicht aushalten konnte. Doch dann obsiegte der Gehorsam, dann obsiegte sein Pflichtgefühl seinem Team gegenüber und er senkte eben die Schilde, die ihm jahrelang gegen Schuldig ein wirksamer Schutz gewesen waren. Mit aller Macht beherrschte er das Zittern in seinem Inneren und die Erwartung, dass Schuldig zuschlagen würde.

Dass dieser zuschlagen würde, daran bestand kein Zweifel.
 

~Ich werde euch die nächsten sechs Wochen beaufsichtigen. Sobald Prodigy erwacht und transportfähig ist, werdet ihr euch zu der Adresse begeben, die mein Assistent euch bereitstellen wird. Das bisherige Anwesen steht unter dem Verdacht, kompromittiert zu sein und wird euch vorerst nicht mehr zur Verfügung stehen. Weiß wird ebenso wie Schwarz erneut den Auftrag erhalten, die Zielperson auszuschalten. Wie und ob ihr Synergieeffekte nutzen werdet, ist euch überlassen. ~

Dass sie einer Kooperation mit Weiß nichts entgegensetzte, hörte Crawford, doch er wollte es nicht wahrhaben. Er wollte gar nichts von dem wahrhaben, was sie sagte. Das Bedürfnis, für sich selbst und alleine zu sein in diesem Zimmer und in seinen Gedanken, wurde übermächtig und nur mit Gewalt hielt er das Verlangen danach zurück.

~Gibt es dazu Fragen?~ Keiner von ihnen nickte, so neigte sie schließlich den Kopf. Crawford sah das Ende des offiziellen Protokolls, doch dieses Mal erleichterte es ihn nicht im Geringsten. Bedeutete es doch, dass es nun viel schlimmer wurde.
 

„Bradley, Schuldig“, fiel die Kälte aus ihrer Stimme wie brechendes Eis. Sie war einfach weg und ließ einzig das warme, sanfte Timbre der Frau namens Siobhan zurück. „Ich erwarte euch und Nagi sobald wie möglich auf dem Anwesen. Kritiker werden euch ohne Verzögerung gehen lassen. Und die nächsten sechs Wochen ist Schluss mit eurem destruktiven Essens- und Schlafgewohnheiten, dafür werde ich persönlich sorgen.“

Crawford sah hoch, unbeeindruckt von der in den Worten verborgenen Drohung, dass sie sie dazu zwingen würde, ihr Gekochtes zu essen. Seine Augen erreichte nichts von seinen Gedanken, doch das war auch nicht notwendig. Er hatte ihr noch nie etwas vormachen können. Wortlos maß sie ihn und er stemmte sich mit aller Kraft in die Sitzende hoch, wollte ihr wenigstens in diesem Punkt störrischen Widerstand leisten.
 

„Ich hasse dich, Mutter“, sagte er mit Inbrunst in die Stille des Raumes und sie lächelte ihr bedauerndes, weiches Lächeln, das so rein gar nichts mit ihrer Aufgabe als Exekutorin zu tun hatte.

„Verständlich“, erwiderte sie und die kleinen Fältchen um ihre Lippen und Augen tanzten in der Wärme ihrer Mimik, die sie zu einer gänzlich anderen Frau machten. Der Eindruck verschwand, als sie sich ihren Blicken entzog und sich umdrehte.

„Komm, daemhan, fangen wir an, hinter den Herrschaften hier aufzuräumen und einzukaufen“, sagte sie augenzwinkernd zu Jei und verließ den Raum. Mit einem unbeeindruckten Blick auf Crawfords Grollen folgte der Ire ihr. Ganz so, wie er ihr immer auf Schritt und Tritt folgen würde, wenn sie in seine Nähe geriet.
 

~~~~~~~~

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
... höhö. :D

Freunde kann man sich aussuchen, Familie aber nicht oder auch "Crawfords lebenslanges Trauma mit Telepathen." Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Meggal
2019-04-04T17:58:53+00:00 04.04.2019 19:58
uff... echt mal... ich... bin gespannt... wies weitergeht... äh... ja. Ich geh mal an meine Masterarbeit zurück^^'
Antwort von:  Cocos
04.04.2019 20:43
Ja bitte, Sie wünschen? *mit Stock pieks* Soll ich so weitermachen mit den Überraschungen? :D


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