As Friend and Brother von Writing_League ================================================================================ 23 -- „Noct, mir ist da eine großartige Idee gekommen.“   Noctis hob träge die Augenbrauen, unterdrückte ein Gähnen. Es war viel zu spät am Abend, um noch großartige Ideen zu haben – so spät, dass Ignis und Gladio sich längst zum Schlafen verzogen hatten. Er selbst hätte auch lieber geschlafen, als zuzusehen, wie Prompto zum gefühlt zehnten Mal an diesem Abend seine Fotos durchging, und dabei nichts anderes zu hören als das monotone Klicken der Kameratasten.   Er konnte nur nicht schlafen.   Mit einem unzufriedenen Laut raffte er sich wieder in eine sitzende Position auf, fuhr mit einer Hand durch sein Haar, damit es nicht mehr gar so plattgelegen aussah. „Was denn?“ Wo er nicht schlafen konnte, konnte er genauso gut mit Prompto reden. Der würde ihn mit seiner großartigen Idee sowieso nicht mehr alleine lassen. „Also. Wir sind jetzt ja schon ne ganze Weile unterwegs, ne? Ungeplantermaßen.“ Noctis nickte gähnend. Promptos lebhafte Körpersprache machte ihn nur noch müder. Es war anstrengend, ihm zuzusehen, wie er auf seinem Bett auf und ab wippte und gestikulierte. Er gähnte gleich noch einmal. „Ja und?“ „Und im Grunde wissen wir nicht, wie lange wir noch unterwegs sind. Selbst wenn jetzt alles reibungslos läuft bis Altissia.“ „Und?“, murrte er unwirsch, „Worauf willst du hinaus, verdammt?“   Prompto schien zu merken, dass das ganze Thema nichts war, worüber Noctis gerade nachdenken wollte. Er schrumpfte sichtbar in sich zusammen, und da war wieder dieser Blick von getretenem Hündchen, der immer dafür sorgte, dass sie sich am Ende beide schlecht fühlten. „Komm einfach zum Punkt“, murmelte Noctis resigniert. Hauptsache, die ganze Sache kam schnell wieder vom Tisch, Prompto hörte auf, so elend dreinzuschauen, und ganz vielleicht lenkte ihn seine großartige Idee am Ende doch noch gut genug von allen Gedanken ab, dass er Ruhe zum Schlafen fand.   Noctis rieb sich erschöpft über die Nasenwurzel, während er auf Antwort wartete, an der Prompto gerade sichtbar gedanklich noch feilte. Seine Gedanken wanderten. Nach allem, was sie durchgemacht hatten, fühlte es sich unglaublich seltsam an, zu wissen, dass sie sich morgen schon auf den Weg zum Kap Caem machen würden, um von dort aus nach Altissia überzusetzen. Altissia. Das Ziel, das sie zu Beginn ihrer Reise angesteuert hatten, um dann stattdessen quer durch das ganze Land zu hetzen, gejagt vom Imperium, auf der Suche nach göttlichem Segen.   Noctis konnte sich nicht einmal wirklich freuen, dass es nun vorbei war.   Eigentlich klang es gut. Luna wiedersehen. Leviathans Segen bekommen. Vielleicht einen kurzen Moment der Ruhe in ihrem Wiedertreffen finden, bevor es für ihn weiterging auf seinem Rachefeldzug gegen das Imperium. Eigentlich. Aber Noctis war nicht mehr so naiv, dass er ohne Sorgen war. Es würden Hindernisse auf sie warten.   Er hatte das Gefühl, wenn er erst in Altissia war, würde er Dinge ins Rollen bringen. Manche gut. Manche schlecht. Gerade erschreckte ihn das Ausmaß, das diese Dinge annehmen könnten.   Luna…   „Na ja…“, Promptos zögerlicher Ansatz riss ihn gerade rechtzeitig aus seinen schwermütigen Gedanken, dass er sich nicht völlig darin verlor. Er sah seinen Freund auffordernd an. „Also. Wir wissen nicht, wie lange wir unterwegs sind. Wo wir wie lange unterwegs sind. Und klar, das hat eigentlich noch Zeit, aber wer weiß, wo wir in ein paar Monaten sind?“ Noctis verstand zwar nicht, was Zeit hatte, aber zumindest das Gefühl der ungewissen Zukunft verstand er besser, als ihm lieb war. Was würde passieren, wenn das Imperium zurückgeschlagen war? Was würde passieren, wenn er rechtmäßig sein Amt als König antrat? Wo würden sie in einem Jahr sein? Wäre der Krieg schon vorbei? Würden sie Insomnia wieder aufbauen? Es war seltsam, all die ungestellten Fragen auch in Promptos Augen zu sehen.   In einem zumindest machte er sich keine Illusionen – nach dem Krieg würde es auch keine Ruhe geben. Das ganze Land hatte gelitten. Es musste viel zu viel getan werden, und selbst, wenn er nicht helfen können würde, als König wäre es seine Pflicht, präsent zu sein. Ganz egal, wie er das finden mochte. Er schob den Gedanken rigoros beiseite. Nicht jetzt. „Und weiter?“ „Na.“ Inzwischen klang Prompto wieder munterer. Er grinste, und da war etwas in der Art, wie seine Mundwinkel ganz flüchtig zuckten, dass Noctis zu dem Gedanken brachte, dass der Kerl mehr um seinetwillen grinste als alles andere. „Noch haben wir Zeit, Geburtstagsgeschenke zu besorgen! Für Ignis und Gladio, mein ich. Und Ressourcen! Lestallum hat schon echt viel cooles Zeug und so.“   Und wer weiß schon, wann wir überhaupt nochmal so viel Ruhe haben, blieb ungesagt.   „Also willst du für Ignis nen Sack Gewürze kaufen, und für Gladio…?“ Prompto lachte. Ehrlicher dieses Mal. „Nicht so ganz! Also, für Gladio können wir sicher einfach wieder irgendwas Camping kaufen. Ich hab beim Stadtbummel damals, als wir das erste Mal herkamen, nen Laden gesehen, der einfach nur Gladio geschrien hat. Gewürze würd ich aber nicht kaufen; wer weiß, wie lang die sich nur halten?“ Gut, war ein Argument. Noctis brummte. Von Gewürzen hatte er zwar keine Ahnung, aber er wusste zur Genüge, dass Lebensmittel verderblich waren. Ignis hatte ihn aber auch oft genug geschimpft, wenn er seine Reste zu lange im Kühlschrank hatte stehen lassen. Oder auf dem Herd. Oder im Ofen. Oder– irgendwo sonst in der Wohnung. „Was willst du dann?“ „Ein neues Messer.“ Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Ein bisschen zu schnell, ein bisschen zu freudig, und Promptos Grinsen war ein bisschen zu breit, um vertrauenerweckend zu sein.   Hatte ein bisschen was von hey, lass dich doch bitte mal fast vom Catblepus fressen, damit ich ein gutes Foto machen kann, ja?   Noctis hob ungläubig die Augenbrauen. „Und Lestallum ist bekannt für seine großartigen Messerschmiede?“ Promptos Grinsen wurde breiter. „Nicht so ganz~ Aber in der Nähe gibt’s schon beeindruckende Messer. Sieh mal hier!“ Die Kamera flog in einem vorsichtigen Bogen zu Noctis hinüber. Jahrelange Übung half ihm trotz Müdigkeit, das Gerät nicht fallen zu lassen. Er warf seinem Freund einen skeptischen Blick zu, der nur mit einem weiteren unheilvoll heiteren Grinsen beantwortet wurde. Sie steuerten eindeutig auf eine promptoverursachte Katastrophe zu, und das erste, das Noctis bei der Erkenntnis verspürte, war Erleichterung. Einfach weg von den schweren Gedanken und Sorgen. Unvernünftig und unreif sein, solange sie noch Zeit dazu hatten. Unter Promptos aufmerksamem Blick sah er sich das Foto auf dem Display an. Seine Augen wurden groß.   „Komm schon, Prompto, das ist nicht dein Ernst.“ Lachen musste er trotzdem. Es war so verdammt typisch. „Absolut mein Ernst. Also, was meinst du, Noct?“ „Ich meine, du bist verrückt“, gab er kopfschüttelnd zurück. Die Kamera flog zurück zu ihrem Besitzer. Prompto fing sie mühelos auf und steckte sie wieder ein, alldieweil immer noch den Blick auf Noctis gerichtet und grinsend. „Das ist ein ja! Super. Los, wir gehen!“ Noctis hätte nein sagen können, aber er grinste nur. „Ignis meuchelt uns, wenn er uns erwischt.“ „Ja. Deshalb lassen wir uns ja nicht erwischen. Komm schon!“   Er hätte sogar nein sagen sollen, denn die ganze Idee qualifizierte bestenfalls als wahnwitzig, und es war viel zu gefährlich – diskutabel, ob der Plan, oder die Aussicht darauf, von Ignis erwischt zu werden. Stattdessen schwang er die Beine vom Bett, steckte die Füße zurück in seine Stiefel. Er könnte natürlich hier bleiben, sich die halbe Nacht in Gedanken verlieren, die er nicht denken wollte, und morgen unausgeschlafen und mürrisch sein. Er konnte aber genauso gut jetzt rausgehen, noch einmal Promptos verrückten Ideen folgen, ausnutzen, dass sie den Luxus der Dummheit noch hatten, und alle schweren Gedanken hinter sich lassen, weil Promptos verrückte Ideen selten genug Raum für schwere Gedanken ließen.   Und es war ja für einen guten Zweck. Auch wenn sich das erst in ein paar Monaten bemerkbar machen würde. Für Noctis reichte es, sein Handeln zu rechtfertigen. Außerdem war es sowieso schwer, Prompto etwas abzuschlagen.   „Bin fertig. Nach dir. Wenn wir erwischt werden, soll Ignis ruhig sehen, wer der Drahtzieher ist!“ Prompto lachte nur unbekümmert. Er öffnete die Tür, blieb aber noch einmal stehen und drehte sich mit einer spöttischen und viel zu tiefen – er würde es nie lernen – Verbeugung um. „Mir nach, Euer Hoheit.“ Noctis folgte.   Es war Wahnwitz, aber eigentlich klang es sogar verdammt cool, einem Tonberry sein Messer abzujagen.       ***       Kaum hinaus aus Lestallum wurde die Welt regelrecht von Dunkelheit verschluckt. Die Gegend war unwegsam, kaum eine Chance, von der Straße wegzukommen und sich so vor den Siechern zu verstecken, die früher oder später aus dem Boden kriechen würden. An der einen Seite riesig hohe Felswände, auf der anderen Seite tiefe Abgründe. Keine Chance also. Sie konnten nur hoffen, dass sie mehr Glück als Verstand hatten und bald auf einen Tonberry trafen, bevor sie von einem Eisengiganten plattgewalzt wurden. Oder von mehreren Bombern attackiert. Oder schlimmer noch: Von einem imperialen Luftschiff. Die waren bei Nacht eine viel zu große Plage, auch wenn Noctis an und für sich nie ein Problem damit hatte, imperiale Maschinerie kleinzuhauen.   Es wäre eine absolute Schmach, wenn sie am Ende mit eingezogenem Schwanz den Rückzug antreten müssten, ohne etwas zu erreichen.   „Wir kriegen das hin“, kommentierte Prompto frohen Mutes, während er rückwärts vor ihm herlief. Das Licht an seiner Brust war beinahe unangenehm blendend, selbst wenn er nicht direkt hineinsah. „Wir kriegen das natürlich hin.“ Noctis schnaubte. „Ignis bringt uns um, wenn wir uns halbtot nach Lestallum zurückschleppen. Wir haben gar keine andere Wahl.“ „Ja doch, ja doch. Jetzt sei nicht so ein Pessimist. Wir können gar nicht verlieren! Siecher sind inzwischen doch ein Klacks geworden.“ Prompto grinste. Die Taschenlampe warf die seltsamsten Schatten auf sein Gesicht und ließ den optimistischen Ausdruck mehr nach einer unheimlichen Fratze aussehen. Es stimmte - es war wirklich einfacher geworden. Kein Vergleich zu ihren allerersten Begegnungen mit den nachtaktiven Ungeheuern, die mehr als einmal in einem strategischen Rückzug geendet waren, weil an eine siegreiche Schlacht gar nicht zu denken gewesen war. „Und so ein Tonberry allein ist doch kein großes Problem.“ Zu viert zumindest.   Noctis seufzte. Mit einer unwirschen Handbewegung bedeutete er Prompto, sich gefälligst wieder in Laufrichtung umzudrehen; er wollte nicht riskieren, dass der Depp am Ende in einen Siecher hineinstolperte, weil er nicht aufpasste. Noch war es ruhig. Aber wie lange das halten würde, war reinstes Glücksspiel. „Solange du tatsächlich kämpfst, und nicht vor lauter Fotomachen alles vergisst… Huh. Wo ich so darüber nachdenke – keine Fotos! Ignis braucht keine Beweismittel über unseren Ausflug.“ „Waaaaaaas?! Och komm, Noct, das ist nicht fair! Ich brauche meine Fotos!“ Prompto war viel zu laut. Andererseits waren sie weit genug von Lestallum entfernt, dass es dort auch kein Nachtschwärmer mehr hörte, und noch war es siecherfrei genug, dass es auch schon egal war, wie laut ihre Stimmen von den Steinwänden widerhallten. Prompto war aber auch in Kämpfen viel zu laut. Weil er wusste, dass es eh nichts brachte, sparte Noctis sich jede Mahnung also und schüttelte nur den Kopf. „Keine Fotos.“   Er hatte kein Mitleid – und war sich sowieso sicher, dass Prompto sich im Eifer des Gefechts nicht daran halten würde.       ***       „He. Weißt du noch, als wir das erste Mal ein Geschenk für Ignis gesucht haben?“ Noctis stöhnte gequält. Es war das dämlichste Gefühl, auf einen Siecher zu warten, und dabei in Erinnerungen zu schwelgen – peinlichen Erinnerungen! – machte es kaum besser. Andererseits dämmte es die nervöse Unruhe immerhin ein, erstickte sie unter peinlichem Fremdschämen dem eigenen jüngeren Ich gegenüber. „Erinner mich nicht daran. Das war doch ein totaler Griff ins Klo.“ „Hey! Konnte ich ja nicht wissen. Ich dachte eben, Ignis wäre modebewusster! Hättest du ihn mal besser beschrieben.“ Die gleiche alte Leier wie immer. Es war so vertraut, dass Noctis trotz Empörung grinsen musste. „Schieb das nicht mir zu!“ Prompto lachte. Wieder zu laut. In der Einsamkeit der leeren Straße hallte der Laut unheimlich wider. „Aber wir sind besser geworden“, kommentierte er mit einem breiten Grinsen. „Die Dolche waren schon ganz gut.“ „Na ja. Abgesehen davon, dass sie nur zur Deko waren. Mann, das war echt peinlich, so im Nachhinein.“ „Ein bisschen. Hauptsache, Ignis hat sich gefreut?“ Noctis brummte zustimmend – die Schmach seiner eigenen Überzeugung, wie toll und nützlich das Geschenk sein würde, würde er trotzdem niemals abschütteln können.   Und die nächsten Jahre waren nicht ganz schlecht gewesen, aber auch weit entfernt von gut.   Ein Notizbuch für Rezepte. Ein richtig hübsches, hochwertiges, in Leder gebundenes Buch mit einem schmalen Seidenband als Lesezeichen. Es war schlicht und elegant gewesen – und ein bisschen spießig, also genau das Richtige für Ignis. Hatte Noctis zumindest so lange geglaubt, bis Ignis an seinem Geburtstag festgestellt hatte, dass das elfenbeinfarbene Papier im Inneren ohne jede Form von Linierung kam und damit nicht unbedingt taugte, um Rezepte aufzuschreiben.   Im Jahr darauf war es eine Brieftasche gewesen. Super schick, super teuer, mit einem unauffälligen, eingeprägten Muster in einer Ecke. Die Idee war zustande gekommen, weil Ignis bei einem gemeinsamen Ausflug kommentiert hatte, dass er demnächst eine neue Brieftasche kaufen musste. Noctis hatte es sich nicht gemerkt. Prompto hatte. Und so waren sie losgezogen, um eine Brieftasche zu kaufen, als Noctis ein paar Tage vor Ignis‘ Geburtstag natürlich noch kein Geburtstagsgeschenk hatte. Dieses Mal waren sie absolut sicher gewesen, es würde das Geschenk sein. Sie hatten ja auch nicht gewusst, dass Ignis sich ausgerechnet im gleichen Zeitraum schon selbst neu ausgestattet hatte. So endete das Geschenk als zu schade, um es zu benutzen, und außerdem ein bisschen zu groß für Ignis‘ Geschmack.   Alles in allem – halbe Erfolge. Das konnte Noctis positiv annehmen. Wenn er hingegen an das vorige Jahr dachte, dann erinnerte er sich an eine absolute Katastrophe.   „Wie sind wir eigentlich auf die dumme Idee letztes Jahr gekommen?“, fragte er stirnrunzelnd. Die Erinnerung an das Debakel war offenbar so schlimm, dass Prompto neben ihm ins Stolpern geriet vor Schreck. „Keine Ahnung. Wir waren bestimmt betrunken!“ „Wir trinken nicht.“ Sie hätten zwar sogar legalermaßen gedurft, aber Noctis würde sich hüten, jemals Alkohol anzufassen, solange Ignis auch nur irgendwo in der Nähe war. „Erinnere dich an die Predigt, die wir an meinem zwanzigsten Geburtstag gekriegt haben.“ Prompto ächzte und schüttelte vehement den Kopf. „Ich ziehe es vor, es nicht zu tun.“ Noctis konnte es verstehen. „Also muss es etwas anderes gewesen sein“, fuhr er nachdenklich fort.   „Ich würde sagen, du bist– Woah! Noct!!!“   Es tat Noctis nicht leid, das Thema zu unterbrechen. Wirklich nicht. Für einen Augenblick drehte er sich fast erleichtert um, um Promptos Fingerzeig zu folgen. Die dunklen Schwaden, die auf dem Boden aufstiegen und den Aufstieg eines Siechers signalisierten, brachten sein Herz trotzdem kurz dazu, auszusetzen. Er hielt die Luft an, schluckte. Seine Hand schloss sich wie von selbst um den Griff der Motorklinge, und er sah aus dem Augenwinkel den magischen Funkenschauer an seiner Seite, mit dem Prompto seine eigene Waffe beschwor. Was aus dem Boden kam, war zumindest nicht groß genug für einen Eisengiganten. Nicht zahlreich genug für Bomber, die eigentlich immer in Mehrzahl kamen.   Und dann sah er das Messer in einer kleinen, grünen Hand, das sich ihnen entgegenreckte.   „Woohoooo! Jackpot!“ Tonberrys mochten keinen Lärm, wie es aussah: Promptos Ausruf brachte das grüne Ding dazu, sofort auf ihn loszustürmen. Er entkam einem Messerhieb nur mit einem erstickten Japsen. „Prompto! Weniger feiern, mehr kämpfen!“ – „J-ja doch! Du kennst den Plan noch?“ Noctis hielt mitten in der Bewegung inne, starrte seinen Freund entsetzt an. „Welchen Plan?!“ Sie hatten nichts besprochen!   Aber gerade hatte er auch keine Zeit, sich darüber zu empören: Der Siecher war auch auf ihn aufmerksam geworden. Kleine Füße huschten lautlos über den Boden, leblos glühende Augen auf Noctis geheftet. Ein Schlagabtausch folgte, Küchenmesser gegen Langschwert. Pistolenschüsse hallten durch die Luft.   Selbst wenn sie trafen, es schien dem Ungeheuer nichts auszumachen.   Der Tonberry war schnell. Zu schnell. Ein Blinzeln, und plötzlich verlor Noctis das Monster aus den Augen. Er fluchte stumm, wirbelte herum. Suchte mit dem Blick die Dunkelheit ab. „Prompto!“ Wieder viel zu nah. Der Kerl hatte eine Pistole, verdammt! Warum lernte er nicht endlich, dass eine Fernkampfwaffe bedeutete, dass er nicht mit der Nase auf dem Feind kleben musste?!   Einen blauen Funkenschauer später hatte er den Tonberry erreicht. Seine Klinge durchschnitt die Kutte des Siechers, aber mehr bekam er nicht zu fassen, ehe er herumwirbelte und sich außer Reichweite brachte. Immerhin ließ das Vieh von Prompto ab. Noctis fluchte trotzdem.   Sie waren hoffnungslos unterbesetzt.   Prompto war einfach kein Kämpfer. Egal, wie viel Training er vor ihrer Reise noch hinter sich gebracht hatte, man merkte es immer wieder, und das noch mehr, wenn sie nicht kompetente Rückendeckung hatten. Ohne Ignis‘ taktisches Geschick selbst mitten im Gefecht fehlte Noctis der Überblick über das Kampffeld. Gladios Durchschlagskraft fehlte, selbst wenn seine Hiebe bei so einem flinken Gegner nur selten trafen. Aber zum Weinen war es jetzt auch zu spät. Sie hatten sich das selbst eingebrockt. Und jetzt hingen sie mittendrin. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Kämpfen oder Fliehen, und Noctis war noch nie gut im Wegrennen gewesen.   Die Frage war nur – wie gewannen sie? Noctis‘ Verstand raste, während er sich wieder in einem Schlagabtausch mit dem Siecher verlor. Metall klirrte auf Metall. Er hörte Pistolenschüsse. Er hatte Magieflakons. Ziemlich heftig durchschlagende sogar, aber genau darin lag das Problem – die Straße war an und für sich nicht der beste Platz für magische Angriffe. Zu begrenzt. Zu schwierig, vor der Magie in Deckung zu gehen. Und das wäre bitter nötig.   Also keine Magie. Blieb noch…   „Prompto, der Plan!“ Was auch immer das sein mochte, es war besser, als weiterzumachen wie bisher. Der Tonberry ließ sich im direkten Gefecht einfach nicht ausschalten, und ihnen saß der Zeitdruck im Nacken. Wo ein Siecher herkam, warteten doch auch nur tausend andere. „Welcher Plan?! – „Dein Plan, du Vollidiot! Los doch!“   Prompto reagierte. Schneller, als Noctis es erwartet hätte. Er sah aus dem Augenwinkel gerade noch, wie er den Rückzug antrat, bevor der Tonberry wieder seine volle Aufmerksamkeit forderte.   Die Leuchtmunition erhellte den Himmel so plötzlich und schlagartig, dass er jede Orientierung verlor.   Für einen Moment fühlte er sich, als hätte er den Boden unter den Füßen verloren, und rein aus Reflex warf er sein Schwert in Richtung der Felsmauer, die einseitig die Straße überragte, um sich irgendwie ein Stück außer Reichweite des Leuchtens zu bringen. Es half. Trotzdem tanzten ihm flackernde Punkte vor den Augen, als er sie nach dem Warpen wieder öffnen konnte, und allzu viel vom Schlachtfeld sah er unter dem glühenden Licht auch nicht. Das war also der Plan. Es war kein schlechter Plan. Er wäre nur besser gewesen, hätten sie wirklich mal vorher darüber gesprochen.   Jetzt konnte er nichts anderes tun, als hier oben hängen zu bleiben, bis seine Sicht sich wieder normalisiert hatte, und dann hoffen, dass der Tonberry da unten noch verwirrt genug war, um einen Überraschungsangriff zu landen. Es machte ihn nervös. Gerade sah er nicht einmal Prompto. Er hörte ihn aber auch nicht, und das verbuchte er für den Moment als positiv. Wäre er in Gefahr, man würde ihn wohl beinahe bis nach Lestallum zurück hören. Für den Moment erlaubte er sich ein Durchatmen. Er sah Prompto nicht, also hatte er sich wohl vor dem grellen Licht in Sicherheit gebracht, und er sah den Tonberry nicht, was hoffentlich bedeutete, dass der noch halb starr vor Schreck unter der Leuchtkugel verharrte.   Was er dafür sah, waren Bomber. Die Luft blieb ihm im Halse stecken. Sie waren recht weit entfernt. Noch. Bewegten sich zögerlich, weil das Licht sie abschreckte. Noch. Sie kamen trotzdem näher. Promptos Leuchtmunition würde wieder erblassen.   Dann gab es nichts mehr, das die Bomber aufhalten würde.       ***       Noctis strauchelte nach einer halb versemmelten Warplandung. Er hätte Prompto umgeworfen, wenn der nicht reflexartig ein Stück zur Seite gesprungen wäre. Das Licht seiner Munition wurde langsam schwächer, so dass Noctis sich mühelos einen Überblick übers Schlachtfeld machen konnte, ohne ein neues Blenden fürchten zu müssen. Der Tonberry hatte sich noch nicht erholt. Schüttelte verwirrt den dicken Kopf und tapste in dem Lichtkreis herum, verständnislos, was hier passierte. Gnadenfrist. Gut.   „Ich habe einen Plan“, verkündete er atemlos. „Ich hoffe, er ist besser als meiner“, erwiderte der Blondschopf, während er knapp an Noctis vorbei auf den Tonberry feuerte. Trotz Orientierungslosigkeit des Ungeheuers streifte die Kugel nur. „… Moment. Sag mir nicht, dein Plan ist es, Gladio und Ignis anzurufen?!“ „Bin ich lebensmüde?!“ „Ja?“ Prompto schaffte es, immer noch zu grinsen, trotz Tonberry, der wegen dem Schuss weit genug auf aufmerksam geworden war, um ihnen entgegenzuwackeln, und die nahenden Bomber, die den immer weiter verglühenden Schein der Munition ausnutzten, schien er gar nicht zu bemerken. Noctis hätte ihn am liebsten angeschrien. Du bist lebensmüde! Wir sind nur deinetwegen hier, verdammt! Er hatte Mühe, den unnötigen Konter herunterzuschlucken – dass er es tat, lag zu nicht unerheblichen Teilen an dem Küchenmesser, das ihn auf Bauchhöhe attackierte. Noctis fluchte, während er auswich. Er hasste diese kleinen, wendigen Gegner. Selbst wenn er mal schnell genug war, um in die richtige Richtung zu schlagen, ging die Hälfte seiner Schwertstreiche über das zu kurz geratene Monster hinüber, statt zu treffen.   Drei Schritte weiter, und er stieß mit dem Rücken gegen Prompto. „Wie viel von dem Leuchtzeug hast du noch?“ – „Zwei Patronen.“ Zwei Patronen sollten genug sein. Noctis nickte, ignorierend, dass Prompto das doch gar nicht sah. Er warf sein Schwert ein Stück zur Seite, um Distanz zwischen sich und den nahenden Tonberry zu bringen. Der Siecher folgte dem blauen Funkenschauer des Manövers.   Jetzt hieß es Zeit schinden.   Ein kurzer Schlagabtausch. Ein Angriff des Küchenmessers, das Noctis‘ Unterarm anritzte. Ein Schwerthieb traf zumindest die Kutte des Monsters und er spürte, wie er oberflächlich ins Fleisch schnitt. Ein dicker Feuerball, der kaum an seinem Kopf vorbeischwebte und nur wenige Sekunden später Prompto einen Fluch entlockte, der farbenfroh genug war, um einen sehr missbilligenden Blick von Ignis zu provozieren – oder ein sehr barsches Lachen von Gladio. Ein Bomber. Wenn Noctis sich nicht verzählt hatte, fehlten noch drei.   „Noct, der hat meine Frisur verkohlt!“ Er wusste ungesehen, dass Prompto übertrieb. „Hör auf zu weinen und halt das Vieh in Schach! Sobald ich’s dir sage, feuerst du das verdammte Leuchtzeug komplett ab und haust ab, kapiert?!“ Alles „Eh?! Was hast du vor?!“ blieb unbeantwortet, als Noctis herumwirbelte, um sich wieder dem Tonberry zu widmen. So oft er das Vieh auch zurückschlug, es kam einfach wieder.   Es begann von Neuem: Schwert gegen Küchenmesser. Metallisches Klirren, das in Noctis‘ Ohren widerhallte, bis es schmerzte. Promptos Fluchen im Hintergrund. Tonberry. Bomber. Zwei. Mit einem gezielten Schlag wieder auf Abstand befördert schüttelte sich die rote Kugel empört. In der Zeit, die sie zur Neuorientierung brauchte, war Noctis längst außer Reichweite gewarpt. Der Tonberry folgte. Der Bomber auch. Und er brachte Verstärkung mit – Drei.   Mit einem Schrei und einem kräftigen Schlag schlug er den Tonberry zurück, wirbelte herum. Bomber eins kollidierte nach einem Hieb mit Bomber zwei, und beide taumelten in der Luft. Genug Luft zum Atmen, um sich umzusehen. Prompto war mit zwei weiteren Bombern beschäftigt. Vier. Kein rotes Glühen mehr in der Ferne.     „Prompto, jetzt!“   Die Motorklinge flog, grub sich in den Felsen. Einen Wimpernschlag später hing Noctis in der Luft, die Augen zusammengekniffen. Gerade rechtzeitig. Er hörte nicht, wie die Leuchtgeschosse explodierten, doch er sah es, ein grelles Aufblitzen selbst hinter geschlossenen Lidern. Die Bomber fauchten, laut genug, dass er es hier oben hören konnte.   Der Magieflakon in seiner Hand fühlte sich kalt an. Die beiden Leuchtgeschosse waren hell genug, um die Siecher hoffentlich für ausreichend lange Zeit zu paralysieren. Er sah einen Schatten die Straße entlanghetzen. Ich hoffe, du bist schnell genug. Noctis zielte nicht. Mit fast geschlossenen Augen warf er mitten in das grelle Leuchten hinein. Das Licht war wie eine Wand, die es ihm unmöglich machte, zu sehen, was geschah. Die beißende Kälte der Eismagie erreichte ihn aber selbst an seinem hohen Rückzugsort, schlug ihm entgegen wie eine Wand.   Kein Bomber überlebte das.   Es gab insgesamt kaum ein Monster, das so einen Angriff überlebte – und keinen Menschen. Noctis hätte gern darauf verzichtet, zu riskieren, seinem besten Freund die Nase abzufrieren, hätte es sich vermeiden lassen. Aber es hatte funktioniert: Er hörte Promptos Jubeln, und wie das klang, war er tatsächlich weit genug aus dem Radius der Magie herausgekommen, um sich keine allzu großen Sorgen um eine gefrorene Frisur machen zu müssen.   Mit einem erleichterten Seufzen zog er sein Schwert aus der Steinwand, warf es im Fallen mitten durch die Leuchtkugel zu Boden, und warpte hinterher. Die kalte Luft, die sich schon hoch oben beißend angefühlt hatte, fuhr ihm gnadenlos in die Glieder. Er keuchte auf, schlang im ersten Reflex die Arme um den Oberkörper. „Verdammt…“ Er vergaß immer wieder, wie heftig Magie war – nicht nur für die Feinde, sondern auch für ihn selbst. Vor lauter Kälte konnte er sich nicht einmal mehr so recht bewegen.   „Noct! Ist alles in Ordnung?“ Nein, ist es nicht. „J-ja! Es ist nur verflucht kalt!“ Er hörte Prompto lachen. Mistkerl. „Frier dir nichts ab!“ Noch so’n Spruch und dir friert was ab. Doch so sehr er sich über Prompto ärgerte – der Kerl lenkte ihn immerhin lang genug von der beißenden Kälte ab, dass er sich wieder zusammenreißen konnte. Er sah sich um; unter dem Leuchten der Munition war es kein Problem, zu erkennen, was hier passierte. Solange er nicht direkt hineinsah, war das Licht beinahe angenehm. Taghell. Die Bomber waren eingefroren, als traurige Eisklumpen zu Boden gefallen. Einer war vom Aufprall zerbrochen. Es sah makaber aus.   Der Tonberry lebte noch. Er sah so verfroren aus, wie Noctis sich fühlte. Er bewegte sich auch so. Als er Noctis bemerkte, steuerte er zwar sofort wieder auf ihn zu, doch seine Bewegungen waren ungewöhnlich langsam und unkoordiniert. Halb erfroren. Noctis grinste, kalte Atemwolken stiegen vor ihm auf. „Hab ich dich.“   Der nächste Hieb des Monsters war so leicht abzuwehren, dass er beinahe laut aufgelacht hätte. Er wich aus, zog in der gleichen Bewegung das Schwert hinunter. Sein Gegner war zu langsam. Ein kleines Ärmchen samt Küchenmesser fiel zu Boden. Der Tonberry war entwaffnet.   Ihn jetzt noch zu erledigen, war ein Kinderspiel.       ***       Sie rannten, bis sie keine Luft mehr bekamen, bis Seitenstiche ihnen nur noch mehr den Atem raubten als die Anstrengung. Zum Glück war es nicht weit bis zu den schützenden Lichtern der Stadt. Kaum die ersten Straßenlaternen erreicht, blieb Noctis stehen, ließ sich atemlos gegen die nächste Häuserwand sinken. Er lachte. Prompto lachte, auch wenn er mehr wie ein sterbendes Tierchen dabei klang, atemlos und überfordert. In seinem Haar hingen immer noch letzte Spuren von Raureif. Noctis spürte, dass der Frost an seinem eigenen Haar und seiner Kleidung langsam zu einer unangenehmen Feuchtigkeit taute. Sie hatten aber tatsächlich gewonnen. Zu zweit. Gegen einen Tonberry und einen Haufen Bomber. Prompto lachte noch einmal auf, ehe er sich auf den schmutzigen Boden plumpsen ließ. „Mann. Das war so cool“, keuchte er hervor. Noctis schnaubte. „Natürlich war das cool. Es war ja auch mein Plan.“ Im Licht der Straßenlaternen leuchteten Promptos Augen in den merkwürdigsten Farben. Er strahlte, Adrenalin durch Euphorie ersetzt. „Ha, aber total! Du bist einfach der Coolste, Noct!“ Noctis erwiderte sein breites Grinsen. Nicht, dass er wirklich jemanden brauchte, der ihm das erzählte.   Einige Minuten herrschte Stille, nur durchbrochen von ihren hektischen, unregelmäßigen Atemzügen, die sich nur langsam wieder einpendelten, von gelegentlichem Auflachen.   Es war immer noch unglaublich, wie glimpflich sie davongekommen waren.   Noctis fühlte sich wahnsinnig erschöpft. Jetzt, wo da ganze Adrenalin abflaute, spürte er die Müdigkeit, die schon vor dem ganzen Ausflug präsent gewesen war, wie einen Schlag in die Magengrube. Und jetzt einfach nur noch ins Bett fallen… So viel Theater um ein Geburtstagsgeschenk. Irgendwie war es fast empörend. „Nächstes Jahr suchen wir ein harmloseres Geschenk.“ „Versprochen.“ Irgendwie war sich Noctis nicht sicher, ob Prompto sich daran halten würde. Da blitzte immer noch Unheil in seinen Augen. Unheil und Empörung. „Aber was muss Ignis auch so schwer sein! Für Gladio Geschenke kaufen ist viel einfacher.“ „Ist es“, stimmte Noctis mit einem Gähnen zu. Für Gladio kaufte man irgendetwas Camping und alles war super. Oder ein gutes Buch. Und, das Beste von allem: Er hatte eine kleine Schwester, die man zum Spionieren vorschicken konnte. Machte die Auswahl leichter, und das tatsächliche Geschenk blieb trotzdem eine Überraschung.   Das Geburtstagskind selbst fragen war aber auch einfach zu lahm.   Er gähnte noch einmal, fuhr sich erschöpft mit einer Hand durch das klamme Haar. „Gehen wir zurück zum Hotel.“ Noctis hatte kaum noch die Kraft dafür, aber noch weniger wollte er hier herumstehen bleiben.       ***       Sie gaben sicher ein lustiges Bild ab; zumindest begegneten ihnen so manche komische Blicke, als sie durch die Straßen schlurften. Noctis konnte es den Leuten kaum verübeln. Sie waren schmutzig vom Straßenstaub. Zerschrammt und zerschlagen. Promptos Haare sahen aus wie ein explodierter Federbausch, und er fürchtete, seine eigene Frisur war auch nicht besser dran. Sie schliefen im Laufen fast ein. Und aus Gründen, die wohl niemand nachvollziehen konnte, schleppten sie ein blutiges Küchenmesser mit sich herum. Noctis hätte auch gestarrt, wären ihm solche Gestalten entgegengekommen.   Ins Zimmer zurückzukommen war ein Segen. Er scherte sich nicht darum, dass er alles schmutzig machte – er ließ sich einfach sofort ins Bett fallen, vergrub das Gesicht im Kissen. „Endlich.“ Er schaffte es gerade noch, das Messer auf den Nachttisch zu legen, dann kippte er wieder zurück ins Kissen. Sein Frieden blieb nicht lange. Das Bett bewegte sich, als Prompto sich darauf niederließ, dann hörte er das Klicken von Kameratasten. Einschaltknopf, vermutlich. Dann der Auslöser. Noctis knurrte. Er schlug blindlings nach dem Störenfried; der lachte nur herzlich, ungetroffen von seinem Zorn und seinem schwächlichen Schlag. „Sei nicht so. Du siehst grad einfach zum Brüllen aus.“ „Niemand bezahlt dich dafür, dass du peinliche Fotos von mir machst.“ „Ich werde gar nicht bezahlt, Noct.“ Noctis brummte. „Sag ich doch. Du fragst es dir ja auch.“   Prompto war das egal. Prompto war es auch egal, dass er ein Verbot gehabt hatte, Fotos im Kampf zu machen. Es dauerte keine fünf Minuten, bis er völlig ins Schwärmen darüber geriet, wie großartig die Bilder geworden waren, die er nicht hatte schießen sollen. Noctis ließ es nur deshalb über sich ergehen, weil er zu müde war, Prompto anzumaulen.   Und weil es gar nicht so schlecht war, zu Lobeshymnen darüber, wie cool man doch war, einzuschlafen.       ***       Falscher Zeitpunkt.   Aber weil es auch keinen richtigen Zeitpunkt mehr gab, beschloss Prompto, dass es zwischen falscher Zeitpunkt und falscher Zeitpunkt auch schon keinen Unterschied mehr gab. „Hey, Ignis! Hast du kurz Zeit?“ Ignis sah erschöpft aus, aber er nickte. Er sah aus, als hätte er länger nicht geschlafen. Zu viel gearbeitet. Zu verbissen, zu verkrampft. Prompto wusste, dass er sich immer noch die Schuld daran gab, dass Noct im Kristall festsaß. Er verstand es. Er gab sich genauso die Schuld. Gladio gab sich die Schuld. Cor machte sich Vorwürfe. Selbst Iris, selbst Talcott, die nun wirklich mehr als unschuldig waren, fühlten sich elend und suchten die Schuld bei sich selbst.   Es war kein gutes Gefühl. Prompto versuchte immer wieder, die Schuld abzuschütteln, die ihn wie ein Gespenst begleitete – doch wie könnte er? Genau wie Gladio, genau wie Ignis – er hörte nicht auf damit, sich die Schuld zu geben. Er würde nie aufhören.   Am Ende waren sie alle drei zu schwach gewesen, um Noct wirklich zu unterstützen.   Prompto führte Ignis aus der notdürftigen Einsatzzentrale, aus der heraus sie seit dem Einbruch der Dunkelheit arbeiteten. Die letzte Besprechung war endlich vorbei. Für Prompto war sie anstrengend und zermürbend gewesen, aber viel von dem, das besprochen wurde, verstand er gar nicht erst. Spätestens, wenn Doktor Yeager sprach, schaltete er ganz unabsichtlich auf Durchzug. Ihm waren die Erzählungen der abgedrehten Froschfrau einfach zu hoch, und es wurde nur noch schlimmer, wenn Gladio sich der Fachsimpelei anschloss.   Auch wenn er es eigentlich guthatte: Er verstand nichts. Er konnte sich zurücklehnen und die Leute, die mehr begriffen, alle Entscheidungen treffen lassen. Sobald eine Aufgabe da war, die er erfüllen konnte, erfüllte er sie, aber in allen taktischen Sachen war er sofort raus. Die Besprechungen ermüdeten ihn trotzdem. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie schlimm das für Ignis und Gladio sein musste, wenn er schon so sehr erschöpfte, wo er kaum einen Beitrag leistete.   „Kaffee?“ – „Gern.“ Prompto angelte nach einer Kaffeekanne, während Ignis sich auf einem Klappstuhl niederließ. Selbst der Pausenraum hier sah alles andere als erholsam aus. Alles in Lestallum war heutzutage notdürftig, hastig zusammengetragen. Kein Ort mehr, an dem man sich wohlfühlen konnte. Es war kein Anblick, an den er sich je gewöhnen wollte. „Was brauchst du von mir, Prompto?“ Falscher Zeitpunkt, erinnerte sein Verstand ihn hilfreicherweise, als er Ignis den Kaffee hinstellte und sich neben ihm an dem wackligen Tisch niederließ. Ohne sich weiter um die Stimme im Hinterkopf zu kümmern, zog er das schmale Päckchen hervor. Er hatte versucht, es einzupacken; ordentliches Geschenkpapier zu finden war fast unmöglich gewesen. Das Zeug war jetzt viel zu bunt und viel zu peinlich. Und obendrein war das Geschenk viel zu schlecht eingewickelt.   Aber es war erkennbar als das, was es sein sollte.   Ignis sah einen Moment lang überrascht auf das Päckchen, dann sah er Prompto an in einer Mischung aus Stirnrunzeln und Rührung. „Prompto, das wäre–“ – „–nicht nötig gewesen, ich weiß. Noct und ich haben das schon vor Monaten besorgt. Es wäre Verschwendung gewesen, es dir nicht zu geben, findest du nicht?“ Ignis‘ Mundwinkel zuckten flüchtig. Vielleicht hätte es ein Lächeln sein sollen. Vielleicht war es nur das Schuldbewusstsein, weil Noct gerade nicht hier war.   Prompto hatte keine Ahnung. Keine Ahnung, wie er es besser machen konnte.   „Danke.“ Prompto grinste, lehnte sich zu Ignis hinüber und stieß ihn mit der Schulter an. „Du solltest es aufmachen.“ Er machte es auf. Auf diese schrecklich langsame, sorgfältige Art, die schon in den letzten Jahren so anstrengend gewesen war. Prompto biss sich ungeduldig auf die Unterlippe, rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er gab sich Mühe, nicht zu quengeln. Aber es war verdammt schwer. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das Geschenkpapier auf dem Tisch landete, und Ignis den Deckel der Pappschachtel abhob. Und dann war er still. Prompto hielt die Luft an. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Ignis schwieg immer noch. Sollte er etwas sagen? Konnte er es riskieren?   „Prompto, ist das–?“ Ignis musste die Frage nicht einmal fertigstellen: Dass er sofort wie ertappt zusammenzuckte, war Antwort genug. Begeisterung sah anders aus. Prompto schluckte. „Ein Küchenmesser. Das ist es. Die kannst du doch immer gebrauchen!“ „Ihr habt einem Siecher seine Waffe abgenommen.“ Aus Ignis‘ Mund klang das wie die größte Beleidigung. „…du glaubst mir nicht, wenn ich sage, es lag einfach so auf dem Boden, oder?“ Natürlich nicht. Wäre doch zu einfach gewesen. Prompto sah alles in Ignis‘ Augen, was der Kerl gerade wohl noch in sorgfältig gewählte Worte verpackte: Es war lebensgefährlich gewesen. Eine dumme Idee. Wie kam man überhaupt auf so eine leichtfertige Aktion? War ihnen denn nicht bewusst gewesen, wie das hätte enden können? Es war Promptos Pflicht, den Prinzen zu beschützen, nicht, ihn in Gefahr zu bringen. Er wusste, Ignis hatte mit allem davon Recht. Er schüttelte trotzdem den Kopf, bevor er sich auch nur ein einziges dieser Argumente anhörte, und grinste Ignis um einen Kloß im Hals herum breit an.   „Wir hatten Spaß.“   Ignis seufzte. Er nahm das Messer trotzdem aus der Schachtel und begutachtete es von allen Seiten. Begeistert sah er immer noch nicht aus. Eher skeptisch. „Habt ihr darüber nachgedacht, was alles an diesem Messer kleben könnte? Ich bezweifle, dass ihr das an eurem Essen möchtet.“ Prompto lachte. Er lachte, weil es das erste Mal seit Nocts Verschwinden im Kristall war, dass Ignis wirklich wieder wie Ignis klang, nicht so verbissen, nicht so verkrampft, nicht so todernst. „Der Gedanke zählt!“, verkündete er völlig selbstüberzeugt. Ignis schüttelte lächelnd den Kopf. Für Prompto war das für den Moment genug. Er lächelte auch, still, in Gedanken. Ihm war nach Heulen zumute – falscher Zeitpunkt. Es war einfach so verdammt schwer. Komm bald zurück, Noct.   „Alles Gute zum Geburtstag.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)