VITANI von brightest-star (Die Geschichte der Schattenlöwin) ================================================================================ Kapitel 14: Saris Geschichte ---------------------------- „Wir erwarten erneut Nachwuchs!" Was?! Freude durchströmte Vitani wie ein silbriger Blitz, wärmte ihre angespannten Pfoten und kroch bis zu ihrem Herzen hinauf. „Das ist ja wundervoll!" Übermütig hüpfte sie auf dem Felsplateau herum, wobei sie sich einige belustigte Blicke der Löwinnen einfing. Sie würde ein Geschwisterchen bekommen! Endlich wäre sie nicht mehr allein – sie sah es schon vor sich, wie sie ihrem Brüderchen das Geweihte Land zeigte oder ihrer Schwester Jagen beibrachte. „Wird es ein Mädchen oder ein Junge?", fragte Vitani Scar, während sie um seine Beine herumstrich. Er lachte schnurrend. „Das weiß jetzt noch keiner, Liebling." Da entdeckte er die Beute, die Kivuli und seine Tochter erlegt hatten.„Gratuliere", er schnurrte noch lauter. „Das Rudel wird nicht mehr hungern müssen, wenn du so weiter jagst." Vitani spürte Stolz in sich aufwallen, doch dann übermannte sie die Müdigkeit. Schließlich hatten sie den ganzen Abend gejagt! Sie torkelte zur Höhle und ließ sich zum Schlafen nieder. Der nächste Morgen war heiß. Nur widerwillig verließ Vitani die angenehme Kühle der Schlafhöhle, um ihre Eltern zu begrüßen. Ziras Bauch war merkwürdig aufgebläht und Scar musterte sie mit auffällig besorgtem Blick. Sie schienen ihre Tochter nicht zu bemerken. „Zira, du solltest in deiner Verfassung nicht jagen. Das Kleine behindert dich doch nur!" Vitani wunderte sich. Verwirrt schlich sie an den immer noch diskutierenden Löwen vorbei und den Königsfelsen hinunter. An den Sonnenfelsen traf sie auf Sari. Vielleicht wusste die junge Löwin ja, was mit Zira war. Schließlich war auch sie die Tochter des Königspaars,hatte aber nie das Verlangen danach gehabt, einmal Königin zu werden. So war Vitani Thronfolgerin geworden. „Hallo Sari!" Die Löwin wandte sich um, die rotbraunen Augen funkelten freundlich. „Ah, Vitani. Was führt dich denn zu mir?" „Weißt du, was mit Zira los ist?", sprudelte es aus Vitani heraus. „Ist sie krank? Warum hat sie so einen dicken Bauch und wieso darf sie nicht jagen?" Sari lachte. „Das hat alles mit deinem Geschwisterchen zu tun. Es wächst gerade in Ziras Bauch heran und wenn sie etwas Anstrengendes macht, zum Beispiel Jagen, könnte das dem Jungen schaden." „Ach so!" Vitani kletterte nun ebenfalls auf die Felsen und legte sich neben Sari. Von hier aus überblickte sie das trockene Flussbett und einige Gazellen, die auf der Suche nach letzten Grasbüscheln über das Land zogen. Bei der Vorstellung, sie würde einmal über all dies herrschen, kribbelte es in ihrem Magen vor Aufregung und auch Furcht, aber sie wusste, dass dies ihr Schicksal war. Ihre Bestimmung. Und irgendwann würde sie bereit dafür sein. Aber warum war es nicht Saris Bestimmung gewesen? Immerhin war sie die Erstgeborene und hatte damit ein Geburtsrecht auf den Thron. Ohne überhaupt nachzudenken, fragte sie: „Warum wolltest du eigentlich keine Königin werden?" Sari schaute sie an; ihr Blick schien sie förmlich zu durchleuchten. Sie hatte Ziras Augen, Ziras stechende Augen. Es war Vitani einfach so herausgerutscht. Hatte sie etwas Falsches gesagt? „Es ist eine traurige Geschichte." Die Löwin wandte den Blick ab. „Willst du sie trotzdem hören?" „Ja!" Vitani liebte Geschichten. Sari seufzte. Dann wandte sie sich der kleinen Löwin zu und begann: „Es passierte vor ungefähr drei Monden." „Ich bin drei Monde alt! Was für ein Zufall!" „Leise, lass mich weiter erzählen." In Saris Gesicht schlich sich ein undefinierbarer Ausdruck. Sie sah irgendwie traurig aus. „An diesem Tag verlor ich meine beste Freundin. Ihr Name war Tama... sie war zwar schon eine ausgewachsene Löwin, aber trotzdem immer für einen Spaß zu haben. Einmal haben wir Rindenboote auf dem Fluss fahrenlassen, bedeckt mit Blumen, und uns ausgemalt, dass der Löwe unserer Träume sie finden würde." Abwesend blickte sie in sie Ferne; ein leises Lachen perlte von ihren Lippen wie Tautropfen in einen endlosen See. „Er würde sie finden und sich auf die Suche nach der machen, der ihm diese Botschaft geschickt hatte." Auch Vitani lächelte. Sie stellte sich eine Sari in ihrem Alter vor, wie sie mit ihrer Freundin kleine Blüten auf einem Rindenschiffchen auf dem Fluss platzierte, es dann mit der Pfote anstupste und es über die Wellen davon schaukelte... „Es war ein Tag wie jeder andere, als es passierte. Die Sonne schien rot wie ein blutender Feuerball vom Himmel, ich genoss die leichte Kühle des Morgens und den Gesang der Vögel. Ich wollte mich wie immer mit ihr treffen, doch..." Saris Stimme brach urplötzlich. Vitani spürte, wie Wellen der Trauer die Löwin übermannten. Sanft legte sie ihre kleine Pfote auf die Schulter ihrer Rudelgefährtin. „Ich konnte sie nicht finden", flüsterte Sari. „Ihr Lieblingsplatz war eine kleine Höhle in der Nähe der Sonnenfelsen, ich machte mich also auf den Weg dorthin. Doch mir kamen langsam Zweifel. Ob etwas passiert war? Sie ließ mich sonst nie warten..." Hier brach ihre Stimme abermals und sie seufzte. „Du musst es mir nicht erzählen", meinte Vitani mitfühlend. „Doch, muss ich!", brach es aus Sari heraus. „Nur so kann ich es endlich vergessen." Die roten Augen der Löwin bohrten sich in ihr Herz und jetzt verstand die Prinzessin endlich. Sari hatte noch nie zuvor mit jemandem über den Tod ihrer Freundin geredet. „Ich fand sie leblos auf dem Höhlenboden, bedeckt mit Blut. Ich... ich konnte nichts mehr tun... In den Tagen danach war ich kaum wieder zu erkennen.Ich dachte nach, über das Leben, den Tod, den Ewigen Kreis und wie ungerecht das alles doch war. Und ich fragte mich, wie ich denn Königin werden sollte, wenn doch das Leben, auch das meiner Liebsten, vergänglich war. Ich konnte dem Druck nicht standhalten,der Verantwortung, die als zukünftige Königin auf meinen Schultern lastete. So ging ich zu meinem Vater und teilte ihm meinen Wunsch mit, eine einfache Jägerin zu werden." Vitani lauschte aufmerksam Saris Geschichte. All das hatte sie nicht gewusst, obwohl sie Nacht für Nacht mit der Löwin eine Höhle teilte! Es schien,als hätte jeder sein kleines Geheimnis, das er vor ihr verbarg:Papa, Mama, Sari und natürlich... Nala. Die geheimnisvolle Löwin. Sari hatte wohl bemerkt, dass die Gedanken ihrer kleinen Zuhörerin abgeschweift waren. „Was ist, Vitani?" „Weißt du zufällig etwas über eine Nala?" Saris Gesicht wurde zu einer Maske, die keine Emotionen hindurch scheinen ließ. „Sie ist eine Abtrünnige. Halt dich fern von ihr und glaub ihr kein Wort,egal, was sie dir sagt." Vitani senkte enttäuscht den Kopf. Sie hatte eine solche Reaktion zwar erwartet,aber trotzdem... Alle sagten ihr, sich von dieser Löwin fern zuhalten, aber niemand erzählte ihr, warum. Saris Blick wurde weicher. „Ich möchte dich nur schützen." Sie legte eine Pfote um ihre kleine Schwester. „Jetzt geh spielen. Und bleib in Sichtweite des Königsfelsens!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)