VITANI von brightest-star (Die Geschichte der Schattenlöwin) ================================================================================ Kapitel 11: Verlust ------------------- Weit, weit entfernt stand eine Löwin im ausgedörrten Savannengras, den Blick in die Sterne gerichtet. Ihre Rippen stachen aus ihrem einst schönen, sandfarbenen Fell hervor und in ihren Augen schimmerten Tränen. „Oh, Pride...“, murmelte sie. „Warum musstest du uns nur verlassen?“ Eine Bewegung hinter ihr ließ sie zusammenzucken und sie drehte sich um. Eine zweite Löwin tauchte aus dem hohen Gras auf. „Nala?“ Ungläubig sah Sarafina auf ihre Tochter hinab. „Du bist zurück...“ Die beiden begrüßten sich zärtlich und Nala schnurrte vor Glück. Sie war wieder bei ihrer Familie – das war alles was zählte. „Wie geht es Vater? Und Mheetu?“, erkundigte sie sich. Sarafina senkte den Blick. Wieder spürte sie, wie Tränen ihre Augen füllten. „Es tut mir leid, Nala. Dein Vater... Pride... er ist tot.“ „Nein“, flüsterte Nala. Geschockt starrte sie auf die Leiche ihres Vaters, der reglos vor ihr lag. Tiefe Narben zeichneten seinen Körper und der Hunger hatte seine Spuren bei ihm hinterlassen. Warum musste ausgerechnet er sterben? In Zeiten wie dieser brauchten sie Schutz – und genau das hatte Pride gewusst. Er hatte dem Rudel wieder Kraft und Hoffnung gegeben, nachdem sie dem Königsfelsen entflohen waren, hatte es gegen diese schrecklichen Hyänen verteidigt. Er hätte Scar vom Thron stoßen können... aber nun war er tot. Nala schmiegte sich in die schwarze Mähne ihres Vaters, Tränen rannen ihr unaufhaltsam die Wange hinunter. Nalas kleiner Bruder Mheethu schlich um Pride herum und und stupste ihn immer wieder mit seiner kleinen Pfote an. Nala brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass es umsonst war. Dass er nie wieder aufstehen würde. „Komm jetzt, Nala“, flüsterte Sarafina. „Er ist immer noch bei uns. Oben im Sternenreich sieht er auf uns herab und wacht über uns. Die hellsten Sterne am Himmel sollen immer die Seelen derer sein, die wir liebten und die uns nahestanden, immer und für alle Zeit.“ Nala blickte hinauf. „Der hellste Stern des Himmels...“, murmelte sie. In diesem Moment kam ein leichter Wind auf und fuhr durch ihr Fell. Der Wind trug ihr einen bekannten Geruch zu... doch das konnte nicht sein... „Vater?“ Sie wandte ihren Kopf herum. Da stand er, nicht mehr als ein Schatten, seine Mähne wehte im Nachtwind. „Papa! Du lebst...“ Nichts konnte sie jetzt noch aufhalten. Sie rannte, rannte durch das Gras auf Pride zu. Ich bin bei dir, Nala. Sie konnte seine Stimme hören, aber seine Lippen bewegten sich nicht. Ich weiß. Pride lächelte. Er berührte Nala zärtlich mit der Schnauze und stupste sie mit der Pfote an. Das hast du immer gemacht, als ich noch klein war... Sei nicht traurig. Sie sah auf. Vater hatte recht. Sie war kein Junges mehr. Sie musste stark bleiben, um das Rudel zu verteidigen. Und sie würde weiterkämpfen. Ich muss gehen. Mach´s gut... Nala blickte ihrem Vater ein letztes Mal in die Augen. Dann drehte sich Pride um, und mit einigen kräftigen Sprüngen erhob er sich in den Nachthimmel. Sein Fell verschmolz mit den Sternen, er wurde eins mit der Nacht. Pride ließ ein letztes stummes Brüllen ertönen. Dann war er verschwunden. Nalas Blick wurde entschlossen, als sie ihrem Vater nachsah. Ich werde den anderen erzählen, was heute auf dem Friedhof geschehen ist, dachte sie. Papa hat recht – ich darf nicht länger trauern. Das Rudel braucht mich! Nala jagte über das trockene Gras zu der kleinen Höhle zurück, die versteckt zwischen einigen Akazien lag. Sie markierte den Eingang zu den Verborgenen Höhlen. Gerade steckte Sarabi ihren Kopf aus der Höhle. „Nala!“, rief sie überrascht, als die Löwin an ihr vorbeirannte und auf einen großen Felsen am Ende der Höhle sprang. Nala wusste, dass hier der Platz war, an dem alle Löwinnen ihr zuhören würden. Sie brüllte einmal laut. Sofort drehten sich alle zu ihr um, alle Blicke waren auf sie gerichtet. Auf einmal fragte sie sich, ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war... „Löwinnen des Rudels! Ich habe etwas zu berichten.“ Ein Gemurmel war zu hören. Nala entdeckte in der Menge Sarafina, die hoffnungsvoll zu ihr aufschaute. Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Auf dem Elefantenfriedhof ist mir eine kleine Löwin über den Weg gelaufen. Sie behauptete, die Tochter des Königs zu sein...“ Von den Hyänen erzählte sie wohlweislich nichts. Das Rudel sollte sich nicht noch mehr Sorgen machen. „Sie behielt Recht. Scar selbst tauchte auf und beschuldigte mich, Pfote an seine Tochter gelegt zu haben!“ Ein Raunen ging durch die Versammelten. Einige knurrten bei der Nennung des Königs. „Er ließ mich gehen, aber viel hätte nicht gefehlt...“ Nala brauchte den Satz nicht zu vervollständigen. Ein Knurren und Fauchen erfüllte die Höhle. Es war ein einziges Chaos, wütendes Gebrüll hallte an den Wänden wider, irgendjemand rief: „Worauf wartet ihr? Töten wir die Prinzessin!“ Immer mehr Löwinnen schlossen sich dem Schlachtruf an „Tötet sie! Tötet sie!“ Geschockt sah Nala den Felsen hinunter. Was hatte sie nur getan? „Folgt mir!“, rief Safira, Sarabis jüngere Schwester. „Bereitet euch auf einen Kampf vor – es ist genug!“ Nala riss die Augen auf. Sie musste handeln, sonst würde Vitani... Lieber malte sie sich nicht aus, was die wütenden Löwinnen Vitani antun würden, wenn sie sie in die Krallen bekämen. „Halt!“, schrie Nala. „Was tut ihr da?“ Safira sah sie mit ihren leuchtend gelben Augen an. „Wir nehmen Rache!“, fauchte sie. „Das Geweihte Land gehörte Mufasa, er ist der rechtmäßige König!“ Auf ihr Gesicht stahl sich ein freudloses Lächeln. „Und nun haben wir endlich einen Weg gefunden, ihn auf die gleiche Weise leiden zu lassen wie wir! Nichts verletzt einen Vater mehr, als sein Kind zu verlieren.“ Das nahm Nala für einen Moment die Sprache. Natürlich – Safira hatte auch eine Tochter verloren. Als das Rudel den Königsfelsen verlassen hatte, blieb sie, um für Ablenkung zu sorgen. Sie war nicht zurückgekehrt. Aber das gab ihr noch lange keinen Grund, Vitani zu töten. „Das könnt ihr nicht machen!“, brach es aus ihr heraus. „Und warum nicht?“ Safira musterte Nala eindringlich. „Möchtest du Scar lieber ewige Treue schwören?“ Bei dem Wort „Scar“ erfüllte ein Raunen die Höhle, viele Löwinnen knurrten und sahen Nala misstrauisch an. Jetzt reichte es ihr. Es ging hier um ein Löwenleben, begriffen die anderen das etwa nicht? Doch, einige ihrer Rudelgefährtinnen hatten sich von der mordlustigen Gruppe abgespalten, darunter auch Nalas Mutter und die ehemalige Königin Sarabi. „Tut doch etwas!“ Beinahe flehend sah Nala die Älteren an. Sarafinas Blick traf den ihren. „Stopp!“, rief sie auf einmal. „Wir befinden uns gerade auf dem gleichen Weg wie... Scar. Wollt ihr etwa genauso mordsüchtig werden wie er?“ Die Löwinnen stoppten in ihren Pfotenschritten und lauschten ihren Worten. Dann kehrten sie, eine nach der anderen, teilweise mit beschämt gesenktem Kopf, in die Höhle zurück. Nala atmete auf. „Diesmal hast du gewonnen!“, zischte Safira ihr im Vorübergehen zu. „Aber wenn ich diese kleine Prinzessin zu fassen kriege...“ Sie schlug ihre Krallen in die Felswand und zog sie mit einem hässlich kreischenden Geräusch herunter. Nala wusste, was Safira damit meinte. Bei der nächsten Gelegenheit würde sie zuschlagen – und Vitani töten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)