End of Time Anthologie von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: Clanblood -------------------- Fast 70 Jahre sind vergangen, seit ich den Vampirjägern entronnen bin. Unter dem blutroten Vollmond haben wir sie für ihre Anmaßung, sich gegen unser Geschlecht zu erheben, bestraft. Nicht einer kam mit dem Leben davon. Und es kehrte wieder Ruhe und Friede ein. Doch nach all den Jahren erwacht in den Herzen der Menschen erneut die Furcht vor den Unsterblichen. Gerüchte über blutdürstige Monster in den Wäldern Böhmens erreichen uns selbst hier auf der Insel. Mit Sorge beobachten unsere Späher, wie sich der Mob der böhmischen Dörfer um Inquisitoren und Jäger schart. Niemals, so habe ich mir damals geschworen, würde ich wieder zulassen, dass sie so stark und einflussreich werden, dass sie es wagen könnten, den Kampf erneut bis vor unsere Haustür zu tragen. Ich habe keine andere Wahl, als den Gerüchten über reißende Vampire auf den Grund zu gehen, und die Bedrohung unserer Art auszumerzen.     "Lauf! Lauf!" Balta wagte einen kurzen Blick über die Schulter und schubste seinen Bruder weiter. Im Norden erhellten Fackeln die Nacht. Das Gebell der Hundemeute hallte durch den Wald. Ihre Verfolger kamen rasch näher. Im Gegensatz zu seinem ewig durstigen Bruder hatte Balta schon eine Weile nicht mehr getrunken. Seine Ausdauer war erschöpft und sein Atem glich dem Röcheln eines sterbenden Wals. "Verdammt, lauf!" Er packte den jüngeren unterm Arm, als dieser über eine Wurzel strauchelte und zog ihn um eine alte, knorrige Weide herum. Dahinter erstreckte sich das im Mondlicht glitzernde Band einer Flussbiegung. Schlitternd und stolpernd bahnte sich das Duo einen Weg die Böschung hinunter.   Eiskaltes Wasser spitzte bei jedem Schritt auf. Die Brüder zogen es vor, eine Weile durch das Wasser zu waten, um die Nasen der Bluthunde in die Irre zu führen. Kaum kletterten sie einige hundert Meter weiter wieder aus dem Bach, erschienen die ersten Köter im Schatten der Weide. Wildes Kläffen verfolgte sie. Aus dem Gestrüpp heraus konnten die beiden nachtaktiven Männer gut erkennen, wie die Tiere eifrig das Ufer erkundeten. "Sie werden die Spur bald wieder aufgenommen haben, Balu." Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Trotzdem konnte er das Flüstern mit Leichtigkeit hören. Zu seinem Ungemach, klang sein kleiner Bruder alles andere als verängstigt und gestresst. Im Gegenteil war er viel mehr der Ansicht, dass sie nicht davonlaufen sollten, wie die Hasen. Balta antwortete nicht. Die geschärften Sinne des Vampirs versuchten, alles in der Umgebung zu erfassen. Jedes verpasste Detail könnte sie ins Verderben stürzen, und dann würde ihnen nur noch Folter und ein schrecklicher Tod blühen. Baltazar hatte Angst. Er hatte seine Eltern qualvoll sterben sehen. Er würde alles tun, um seinem kleinen Bruder dieses schreckliche Schicksal zu ersparen. Alles. "Ich lenke sie ab. Lauf weiter Richtung Süden. Ich locke sie eine Weile nach Westen und schlage dann einen Bogen. Wir treffen uns dann in ... Oder auch nicht ..." Kopfschüttelnd hechtete Balta hinter dem noch ungestümeren Sander her, der bereits losgeprescht war ... Richtung Osten. "Verflucht ..." Weit sollten sie jedoch nicht kommen. Zwei pfeilschnelle Schatten, schwärzer, als die Nacht um sie herum, sprangen den Flüchtigen in den Weg und ...     Der Jungvampir blinzelte ins unstete Licht der Fackeln. Ein vorsichtiger Blick verriet ihm, dass er sich in einem Zelt befand. Die zweckdienliche Einrichtung und die detaillierte Karte, mit mehreren Zinnfiguren darauf, die auf dem Tisch ausgerollt worden war, sprachen dafür, dass es sich um das Lager einer militärischen Einheit handelte. Er war alleine. Oder halt ... Nein. Im Schatten einer Zeltstange stand ein schwarzgelockter Mann. Seine Augen waren so dunkel, wie zwei Kohlestücke. Balta erschrak. Für einen Moment glaubte er, diese fremden Augen seien tatsächlich zur Gänze schwarz, ohne jedes Augenweiß. Dämon! Doch der Mann wandte den Kopf in seine Richtung, blinzelte und dieser unheimliche Eindruck verschwand. Dennoch machte Balta das ausdruckslose Starren Angst. Draußen erklang ein leiser, trällernder Pfiff, ähnlich dem Schrei eines kleinen Kauzes, dicht gefolgt vom Kläffen der Bluthunde. "Wo ist mein Bruder?" "Es geht ihm gut. Und jetzt still! Bleib hier!" Baltas Mund klappte zu. Trotz des drängenden Fluchtreflexes gehorchte er, ohne es zu wollen. Das war ihm zuletzt bei seinem Vater passiert. Sein Mund war zu trocken, um schlucken oder gar widersprechen zu können, und so verfolgte er stumm, wie der Mann mit dem unüberhörbaren Akzent das Zelt verließ. Die Minuten vergingen qualvoll langsam. Balta wagte nicht, sich zu rühren. Draußen winselten die Hunde und kurze Zeit später, ertönten hier und da qualvolle Schreie und dann ... wurde es still.     Blutbefleckt und mit einem hungrigen Feuer in den Augen, so wie es Balta es noch nie zuvor gesehen hatte, kehrte der Fremde zurück. Flankiert von mehreren gerüsteten Kriegern, deren Schwerter noch in ihren Händen lagen. "Nun zu dir, Reißer! Aufstehen." Balta gehorchte. Selbst wenn er es gewollt hätte: Baltazar konnte sich der befehlsgewohnten Stimme nicht entziehen. Die blankgezogenen, blutfleckigen Klingen machten ihn unruhig. Mit klopfendem Herzen überlegte er, ob er mit seinen vampirischen Reflexen in der Lage wäre, fünf trainierte Soldaten zu eliminieren und aus dem Zeltlager zu flüchten. Er würde seinen Bruder finden müssen, und dann ... "Denk nicht mal dran." Lakonisch hob der Krieger zur Rechten des Schwarzhaarigen sein Schwert und schenkte Balta ein freudloses Lächeln. Zwei nadelspitze Eckzähne blitzten auf und enthüllten die wahre Identität dieser Männer. Balta sackte erleichtert in sich zusammen. Nach all den Jahren hatten sie endlich andere Vampire gefunden. Oder besser gesagt, die Vampire hatten die Sanderbrüder gefunden. Leider war die Erleichterung nur von sehr kurzer Dauer. Nervös blickte er von einem zum anderen, als die Soldaten einen Ring um ihn bildeten, während sich ihr Anführer letzte Blutreste aus den Mundwinkeln wischte.   "Keinerlei Kontrolle! Wie tollwütige Tiere, zieht ihr seit Monaten eine Spur aus Blut und Tod hinter Euch her. Euch waren fünfzehn Jäger der Inquisition auf den Fersen. Zusätzlich zu den wütenden Dorfbewohnern der ganzen Region. Ihr seit eine Gefahr für jeden Vampir im Umkreis von tausend Meilen!" Der Anführer der Vampire trat auf ihn zu und schnaubte ihn mit heißem Atem an. Er roch nach dem frischen Blut getöteter Vampirjäger. So verlockend, dass Baltazar leise knurrte und einen starren Blick bekam. Eine starke Hand schoss auf ihn zu und schloss sich um seinen Hals. Der Jüngere schnappte nach Luft und grapschte ungeschickt nach dem erbarmungslosen Handgelenk. "Bitte ... Herr ..." Die dunklen Iriden des anderen funkelten kalt. Doch er ließ Baltazar unvermittelt los. "Caidan ..." Der Angesprochene wusste, was zu tun war. Während ein weiterer Vampirkrieger Baltazar auf die Knie zwang, senkte der Mann, der auf den Namen Caidan hörte, seine Waffe auf Baltas Schulter und nahm Maß. Die malachitgrünen Seelenspiegel des jungen Mannes zuckten von einem Gesicht zum anderen. Eines erschien ihm unerbittlicher, als das nächste. "Dein Name?" "Baltazar, Herr. Baltazar Sohn des Alexander." Caidan, dessen kantiges Haupt ungewöhnlich kurz geschoren war, peilte mit der Klinge die Kehle des Böhmen an und sprach, als hätte er die Worte bereits vor langer Zeit auswendig gelernt: "Baltazar, Sohn des Alexander, nach den Gesetzen der Bruderschaft verurteilt Euch Clan Baring für das Reißen von Menschen zum Tode durch das ..." "Was? Wartet ... Wartet. Was für eine Bruderschaft? Welche Gesetze? Ihr ... Ihr seid, wie wir ... Dann kennt ihr den Hunger ... Was sollten wir denn tun? Wir müssen uns ernähren ... wir ... Wir haben nie ..." Baltazar stockte, etwas in den emotionslosen Gesichtern sagte ihm, dass er Atemluft verschwendete. Aber er war noch nicht bereit aufzugeben. Er wollte noch nicht sterben. Aber noch weniger wollte er, dass sein Bruder den Tod fand. Diese Vampire sprachen von Gesetzen. Gesetze forderten Strafen, wenn sie gebrochen wurden. So einsichtig war er. Schon einmal mussten Familienmitglieder für das bezahlen, was er verbrochen hatte. Auch wenn es dieses Mal der Blutdurst seines Bruders gewesen war, der sie in diese Lage gebracht hatte, so fühlte sich Baltazar doch dafür verantwortlich. "Bitte ... Bitte verschont meinen Bruder. Er ist unschuldig. Die Jäger suchen nach mir, nicht nach ihm", brachte er zitternd hervor. Die Männer wechselten ein paar Worte in einer ihm fremden Sprache. Doch ihren Blicken nach zu urteilen, glaubten sie ihm nicht. Einer der Vampire beugte sich sogar zu ihm herunter und schnüffelte, woraufhin er den Kopf schüttelte. Der Schwarzgelockte schnaubte erneut und legte seinem Vollstrecker die Hand auf die Schulter, um ihm Einhalt gebieten. "Wie lange folgt ihr bereits dem Blut?" "Was?" "Mein Herr will wissen, seit wann du und der Kleine bereits vollwertige Vampire seid." Der eisenharte Griff um seine Schulter verstärkte sich, und ließ den jungen Böhmen winseln. Aber er begriff. "Zehn Jahre, Herr. Mein Bruder erst seit diesem Sommer", stöhnte Baltazar und keuchte auf, als man ihn auf den Wink des Anführers hin losließ. Der Mann wirkte unzufrieden. Er schien eine andere Antwort erwartet zu haben. Eine Antwort, die eine simple Problemlösung erlaubte. Doch damit konnte der junge Sander offenbar nicht dienen. "Zwei Welpen also", seufzte der Vampir auf, "Großartig. Wer kümmert sich um euch? Wo sind eure Erzeuger?" "Unsere Eltern sind tot, Herr. Ich kümmere mich um meinen Bruder." "Ja, das haben wir ja zu genüge gesehen ..." Finstere Blicke wurden ausgetauscht. Balta bebte. Er wartete auf die naheliegende Frage. Doch sie kam nicht. Stattdessen bedeutete man ihm, aufzustehen. "Ruft nach Marie. Der Mann muss trinken ... Mein Name ist Robert Baring. Earl of Wiltshire. Setz dich, Junge." Ein Earl? Was machte ein verfluchter englischer Lord hier mitten im Böhmerwald? Doch spielte es für Baltazar eine Rolle? Wohl kaum. Er folgte dem Wink des Adeligen und nahm auf der Kante des Feldbetts Platz, während alle anderen Vampire bis auf Caidan das Zelt verließen. Kurze Zeit später trat eine junge Frau ein. Haare wild und rot, wie das Feuer und Augen so blau, wie die See. "Mylord", grüßte sie den Earl und bewegte sich, auf dessen Nicken hin, auf den Jungvampir zu. Irritiert wechselte Baltazars Blick zwischen dem englischen Lord und der aufreizenden Schönheit hin und her, die sich neben ihm niederließ und ihr Handgelenk freimachte. Als der Böhme keine Anstalten machte, ja nicht einmal zu verstehen schien, was man nun von ihm erwartete, entblößte die Vampirin ihre Reißzähne und biss sich selbst die Pulsadern auf, und hielt Balta die sprudelnde Quelle des roten Lebenssaftes direkt vor die Nase. Ein Angebot, welches der ausgehungerte Blutsauger nicht ausschlagen konnte. Die ungezähmten Instinkte übermannten ihn. Mit einem gierigen Knurren griff er zu und schlug seine eigenen Zähne in das zarte weiße Fleisch. Noch nie zuvor hatte er so köstliches Blut geschmeckt. Noch nie hatte er sich so schnell satt und zufrieden gefühlt. Er erinnerte sich nur noch vage an die Zeit seiner Wandlung. Maries Blut weckte die Vergangenheit. Für eine Weile fühlte Baltazar sich zurückversetzt, in die Zeit, in der seine Eltern noch für ihn dagewesen waren, ihn mit Blut versorgt und vor allem Übel bewahrt hatten. Das lang vermisste Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit stellte sich ein, während er sich sättigte. Und doch verlangte es ihn nach mehr. Und noch mehr.     Marie wurde bleich und schwankte. "Genug", donnerte Roberts Stimme, deutlich lauter als die beiden Male zuvor, und riss Balta endlich aus seiner Trance. Es rang ihm alles an Willenskraft ab, die verkrampften Kiefer zu lösen und die Hand der Frau freizugeben. Caidan erbarmte sich ihrer und führte Marie hinaus, wobei er versprach, ihr selbst gleich als Stärkung zu dienen. Beschämt über seine eigene Gier, senkte Baltazar den Blick und murmelte eine Entschuldigung. "Wann hast du dich zuletzt richtig genährt, mein Junge?" "Vor drei Wochen, Herr. Ich war vorsichtig, Herr. Nur ein heimatloser Dieb in der Nähe von Prag. Seitdem habe ich meinen Bruder versorgt." Er erschrak, als ihm aufging, dass er soeben indirekt seinen kleinen Bruder verraten hatte. Aber darauf ging sein Gegenüber gar nicht weiter ein. Lord Baring schüttelte den Kopf. "Ich spreche eigentlich davon, wann du zuletzt von einem Vampir getrunken hast." Balta zögerte. "Vor knapp neun Jahren, Herr." So verwirrt der jüngere Vampir Robert auch ansah, diesem ging ein Lichtlein auf. "Du weißt, dass Menschenblut nur Notbehelf für einen Vampir sein kann?" "Herr?" Robert sah den jungen Reißer forschend an und zog seine Schlüsse. "Habt ihr je andere Vampire, außer euren eigenen Eltern gesehen?" Ein verunsichertes Kopfschütteln bezeugte, dass Balta nicht wusste, ob es gut, oder schlecht war, dass dem nicht so war. Der Engländer seufzte und nickte Caidan zu, der soeben zurückkehrte. Der große Krieger wirkte etwas blasser, als zuvor, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er dennoch mit einem unerfahrenen Hänfling, wie Baltazar, mit links fertig werden würde.   "Fein. Baltazar Sander. Nichtsdestotrotz, die Gesetze wurden gebrochen. Wir haben hier nur zwei Alternativen, diese Angelegenheit zu regeln. Für gewöhnlich werden Satropen, unkontrollierte Reißer, wie ihr es seit, sofort einem Tribunal zugeführt und exekutiert. Wer einmal dem Blutrausch verfallen ist, kommt nur selten wieder von seinen animalischen Trieben los. Du und dein Bruder, ihr seit allerdings noch sehr jung. Unerfahren und ohne jede Führung. Es besteht noch die Chance, dass ihr euch in die Bruderschaft integrieren und euch unsere Regeln zu eigen machen könnt." Balta starrte mit klopfendem Herzen von einem zum anderen. Hatte er gehofft, Zustimmung in der Miene des anderen zu finden, wurde er enttäuscht. Dieser Caidan warf seinem Lord zweifelnde Blicke zu. Ein stummes Kopfschütteln. Zwischen den beiden uralten Wesen schien eine wortlose Debatte zu entbrennen, die der Anführer jedoch für sich gewann. Ohne, dass für Baltazar ersichtlich wurde, welche Inhalte gerade mit nur einem einzigen Blick ausgetauscht wurden, senkte der kurzhaarige Soldat den Blick und sah dann zu Balta. Es war offenbar nicht selbstverständlich, dass man Gnade vor Recht ergehen ließ. Auch dann nicht, wenn man offensichtlich noch den Welpenschutz genoss. Mit mahlendem Unterkiefer straffte Caidan seine breiten Schultern und sprach mit düsterer Stimme: "Ihr werdet begnadigt. Unter einer Bedingung: Ihr schließt euch Clan Baring, und damit der Bruderschaft, an. Ihr werdet lernen, was es heißt, ein wahrer Vampir zu sein. Was die Verantwortung dieses Erbes bedeutet. Wir bieten euch Schutz, Nahrung und eine Aufgabe. Es wird dafür von euch Folgendes verlangt: Gehorsam und Loyalität." Robert fuhr nahtlos fort: "Es wird nicht einfach werden. Der Durst nach Menschenblut kann einen Reißer sein Leben lang verfolgen. Es ist süß und verlockend. Es ist wie eine Droge. Aber das Blut eines Vampirs ist um ein Vielfaches nahrhafter. Es sättigt länger und macht euch stärker. Vergleichbar mit einem saftigen Stück Braten neben einem Stück Kuchen. Wenn ihr bei uns bleiben wollt, ist der Kuchen, das Menschenblut, ab sofort für euch tabu." "Brecht ihr dieses Gebot, folgt die Strafe auf dem Fuß. Was euch heute erspart blieb, wird euch treffen, solltet ihr schwach werden und euch nehmen, was verboten ist." "Dass ihr heute verschont werdet, solltet ihr als Bewährungsprobe betrachten." "Bist du gewillt der Bruderschaft beizutreten und Lord Baring den Treueid zu leisten?" Mit klopfendem Herzen schwankte Baltazars Blick zwischen den beiden Männern hin und her, die sich so gekonnt die Bälle zuspielten, als wären sie bereits seit Jahrhunderten ein perfekt eingespieltes Team. "Habe ich denn eine andere Wahl?" Caidan verzog das Gesicht zu einem humorlosen Grinsen. "Man hat immer eine Wahl ..." Knurrend zeigte Robert seine scharfen Fangzähne. Die Augen, schwarz wie die Nacht, glitzerten unmenschlich im Fackelschein. "Jetzt hast du eine Wahl ..." Während Baltazar blinzelte, bewegte sich der Earl, so schnell, dass es an Teleportation grenzte, direkt vor den jungen Böhmen. "Sie lautet: Willst du leben? Ja, oder nein ...?"       "... bei meinem Blut und meiner Ehre, gelobe ich ewige Treue und Gehorsam. Ich werde die Gesetze der Bruderschaft achten und meinen Clan mit meinem Leben verteidigen", gelobten noch in jener Nacht zwei böhmische Männer feierlich, umringt von einer Kompanie Soldaten in englischen Rüstungen. Als sie sich erhoben, wich die Skepsis und der Argwohn aus den Gesichtern der meisten von ihnen. Denn dies war kein Schwur, den man leichtfertig tat. Er war mit dem Herzen geleistet und mit Blut besiegelt worden. Für Baltazar gab es keine Zweifel. Sir Robert hatte ihm nicht nur sein Leben und das Leben seines Bruders geschenkt, sondern ihnen einen Platz in seiner Familie geboten. Nach neun langen Jahren, des heimatlosen Streunens, glaubte er sich erstmals seit langer, langer Zeit wieder irgendwo zuhause. Erst auf der Überfahrt von Calais nach London bereute er seine Entscheidung. Bitterlich. Wie sich herausstellte, war er an Bord der "Odin" die einzige Landratte, welche die See nicht vertrug. Bereits wenige Minuten, nachdem er die Planken des schwimmenden Sargs betreten hatte, glaubte er, er müsse qualvoll sterben. Zwei Stunden später wünschte er sich, ihn würde tatsächlich endlich das Zeitliche segnen. "So viel kann ein Mann überhaupt nicht im Magen haben", amüsierte sich Robert und gesellte sich zu dem leichenblassen Vampir, der noch immer über der Reling hing und würgte. Seine dunklen Iriden wanderten zurück zu dem blonden jungen Mann, der fröhlich mit Marie flirtete und einen Becher Branntwein nach dem anderen trank. Unglaublich, dass diese beiden so grundverschiedenen Vampire tatsächlich Brüder waren. "Es gibt doch nichts Schöneres als die unendliche Weite und Freiheit des Meeres." "Was ist daran so toll?", stöhnte Balta verzweifelt und Robert lachte. "Ich bin damit aufgewachsen. Bevor wir die Insel eroberten, stammte mein Clan von den Fjorden im Norden. Wir waren Wikinger." "Hättet Ihr nicht ..." ... auf dem Festland bleiben können, wollte der Böhme sagen, aber sein Magen, hielt nicht besonders viel von gepflegter Konversation auf See.     Nachdem Robert seine Aufgaben in der Hauptstadt Englands erledigt hatte, reiste die Gesellschaft bald weiter nach Wiltshire. Die Burg nahe der Ortschaft Trowbridge war ein grauer, abweisender Klotz, bestehend aus fünf hohen Türmen, von denen der höchste von ihnen von unzähligen Krähen umschwärmt war und garantiert einen atemberaubenden Blick über den River Avon und das gesamte Umland bot. Die Truppe näherte sich von der Südseite und passierte dort das gewaltige Burgtor. Einst mochte der Graben rings um die steilen Mauern geflutet gewesen sein, doch heute lag er trocken und mit Gras und Wildblumen bewachsen da. Benedict Caidan verriet den staunenden Bauernjungen, dass der Graben im Belagerungsfall mittels Schleusen mit Flusswasser gefüllt werden konnte. Doch das war seit Jahrhunderten nicht mehr notwendig gewesen. Linker Hand wies der Stellvertreter des Clanführers auf die Wirtschaftsgebäude und Stallungen der Burg. Dort würden die müden Gäule untergebracht und von Knechten versorgt werden. Zwischen den beiden östlichen Türmen lud eine breite Freitreppe zur Großen Halle ein, wo die Krieger und Damen des Hauses Baring zum Abendmahl und zu Festen zusammenfanden. Baltazar war beeindruckt von der Größe und Architektur des Bollwerks. Anstatt die Ritter der Grafschaft in die Enge der Wohntürme zu drängen, hatte man die vom Fluss geschützte Nordostmauer verbreitert und dort in einem langgestreckten Bau Unterkünfte für die zahlreichen, lichtscheuen Bewohner geschaffen. Caidan glitt aus dem Sattel und winkte einen Knaben heran. "Hier, die Tiere müssen versorgt werden. Besorge diesen beiden Herren ein anständiges Quartier." Damit wandte er sich an die Sanderbrüder: "In zwei Stunden erwartet euch Sir Robert in der Großen Halle." Der blonde Junge, von vielleicht zwölf Jahren verbeugte sich artig und und nahm die Zügel des schwarzbraunen Hengstes des Kriegers entgegen und zuckte mit keiner Wimper, als Baltazar ein hungriges Knurren entkam. Mit dem ersten Schwung Gäule verschwand der Kleine Richtung Stall und Balta starrte Caidan mit großen Augen an. "Er ist ein Mensch ...", stellte er verwundert fest. Schrecken schwang in seiner Stimme mit, doch der kurzgeschorene Krieger nickte ohne besondere Regung. "Natürlich. Viele der Bediensteten sind Menschen." "Aber ... wenn sie herausfinden ..." "Sie wissen es." Baltazar war verblüfft. "Aber ..." "Früher haben wir die Menschen ebenso gemieden, wie ihr. Aber die Menschen sind nicht dumm. Wenn ein großer Haushalt wie Wiltshire Castle nur nachtaktiv ist, fällt das auf. Es führt zu Gerede und lädt geradezu zu Verdächtigungen ein. Robert Baring dient dem König von England, wie jeder andere Kronvasall und muss entsprechend Vorsicht walten lassen. Unsere Eingeweihten dienen Seiner Lordschaft bereits seit mehreren Generationen und sind unserer Art treu ergeben. Sie nennen sich selbst voller Stolz Doggen." "Haben ... Haben sie keine Angst?" "Weshalb sollten sie? Doggen und ihre Familien stehen unter dem Schutz der Bruderschaft. Wir behandeln sie gut und sie genießen viele Privilegien. Sie empfinden es als Ehre uns zu dienen." "Sirs?" Der Bursche war mit einem Kameraden zurückgekehrt, der sich Baltazars Pferd annahm. Unsicher folgte er dem blonden Wuschelkopf, der ihn in ein Gemach führte, in das die gesamte Kate seiner Eltern gepasst hätte. Es befand sich nur ein Bett darin und sein Bruder war in den Nebenraum geführt worden. Er fühlte sich unbehaglich. Insbesondere, da ihn der Junge behandelte, wie einen hohen Lord und nicht wie der vagabundierende Förstersohn, der er nun einmal von Geburt an war.     ".... sagte, es ist genug! Genug für heute." Baltazar stieß ein wildes Fauchen aus. Das Schwert zum finalen Schlag erhoben, rief ihn die donnernde Stimme des Lords zur Besinnung. Keuchend steckte er das Schwert ein und verneigte sich erst vor seinem am Boden liegenden Trainingspartner. Dann vor dem Earl of Wiltshire, der sich an die Seite seiner Rechten Hand gesellt hatte. Auch wenn Ben Caidan die Ausbildung der Krieger leitete, hielt auch Robert stets ein Auge auf seinen Nachwuchs. Dass dieser den hitzigen Zweikampf im Burghof beendete, kam für Baltazar dennoch unerwartet. Der abschätzende Blick der beiden Altvampire machte ihn nervös. Hatte er einen Fehler gemacht? Waren sie unzufrieden? Was für eine Frage! Caidan war chronisch unzufrieden mit seinen Rekruten. Baltas Blick huschte zu dem jungen, schweißbedeckten Kameraden, der sich den blutigen Schwertarm hielt. Eine klaffende Wunde zog sich der Länge nach über den Oberarm. "Lass deine Wunden versorgen. Achte das nächste Mal besser auf deine Deckung. Das war erbärmlich mit anzusehen!" Der Bursche, bleich, wie ein Leichentuch, schwankte mit einem "Aye, Sir" davon und es wurde still im Hof. Weit über ihnen krächzten die Krähen auf dem Nordturm und Balta fragte sich unweigerlich, auf was sein Lord wartete. In seinen Augen leuchtete ein wildes Feuer. Robert tauschte mit Ben einen langen Blick, der weit mehr aussagte, als ein Außenstehender je begreifen würde, dann nickte Caidan widerstrebend. "Er ist noch immer sehr ungestüm. Kaum zu zügeln, wenn er einmal Blut geleckt hat. Aber im Schwertkampf selbst kann ich ihm nicht mehr viel beibringen. Etwas mehr Verantwortung, könnte seine Energie vielleicht in die richtige Richtung lenken. Aber ... du hast es selbst gesehen, Robin. Er ist tollwütig. Außer Kontrolle, kaum dass Blut fließt." "Ja." Robert of Wiltshire begutachtete den jungen Vampir aufmerksam. "Er ist ein unverbesserlicher Hitzkopf ... Erinnert mich an jemanden ..." Sir Caidan warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu und lachte dann trocken: "Wie wahr, wie wahr. Dann nimm ihn mit, wenn du denkst, einen Großbrand mit einer Feuersbrunst eindämmen zu können. Gib ihm Hermes ... Oder nein, warte ... Ares." Balta sah angespannt von einem zum anderen. Robert bedachte seinen Stellvertreter mit einem zweifelnden Blick, nickte dann aber voller Vertrauen. "Dann komm mit, du hitzköpfiger Bauernlümmel. Es wird Zeit, dass du etwas ritterliche Zurückhaltung und Disziplin erlernst. Hol Deimos und Ares her."   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)