Bitter End von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Vorsichtig stieß ich die Tür zu deinem Hotelzimmer auf, laut tönte mir dein Lieblingslied entgegen und ohne es zu merken summte ich Linkin Parks Song ‚Crawling‘ mit. Ich blickte mich in deinem Zimmer um, da saßt du, an die Wand gelehnt mit geschlossen Augen, umringt von unzähligen Kerzen. Vorsichtig ging ich vor dir in die Knie und fuhr sanft über deine Wange, sie war ungewohnt kühl. Ohne es zu bemerken begannen mir die Tränen übers Gesicht zu laufen, sie glänzten im flakerden Licht der Kerzen. Dich hatten also wirklich Willen und Mut verlassen. Du hattest dich noch einmal herausgeputzt, wie es aussah. Du sahst aus als hättest du dich für einen Auftritt unserer kleinen Band fertig gemacht. Neben dir auf dem Boden lag ein Brief. Ich las ihn mehrfach ohne wirklich zu verstehen, was in den Zeilen stand, die du zurückgelassen hattest. Für die Person, die mich hier gefunden hat, möchte ich mich kurz verstellen. Mein Name ist Drocell Michaelis, ich bin 21 Jahre alt und es tut mir leid, dass sie mich finden mussten. In meiner rechten Hosentasche, in meinem Portmonee, befindet sich mein Ausweis, der ihnen das bestätigen wird. In diesem Brief möchte ich mein Handeln erklären. Ich bin Sänger unserer kleinen Band Bloody†Mary. Einer Visual Kei, wie es in diesem Land nur wenige gibt. Wir hatten den Mut die Lücke zu erkennen und zu nutzen, mit offen Armen auf brennenden Brücken zu tanzen, wir lagen lachend in Trümmern längst vergangener Schlösser und fühlten uns frei. Tanzten zum Takt der Musik, stampften zum Beat und klatschten zum Lied. So perfekt unperfekt. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Es war nie bloß ein Look oder Song. Nie der Todeswunsch, bloß um zu kucken wer kommt. Diese Medikamente bringen ‘nen scheiß! Die Gedanken sind immer noch da, wenigstes alles andere taub gemacht. Sie werden mit jedem Tag schlimmer. Meine Gedanken an den Tod verfolgen mich und nicht einmal Ada kann mich vor ihnen schützen. Herr Doktor, was muss ich noch sagen im Laden, damit ich endlich das gute Zeug bekomm? Was sind schon Ruhm und fame? Ich kann Touka mittlerweile gut verstehen, versuch das Leben rosig zu sehen, doch scheint Depression niemals aus der Mode zu gehen. Ada hat gesagt „Lauf, junge Seele, lauf um dein Leben. Geh in Deckung, dir kann hier keiner helfen, weder ich, noch der Doc, Shinya oder deine Familie. Aber gib nicht auf!“ und ich bin gelaufen, um mich in Sicherheit zu bringen. Ich dachte, ich habe es geschaft, ich dachte, jetzt wird alles gut, aber dann kamen sie wieder. Vielleicht lief es zu perfekt und jetzt kommts, wie es kommen musste. Sie kommen nach Hause, meine bösen Geister, meine treusten Begleiter und alles, was mich vor ihnen schützte, ist auf einmal weg. Ich kann nicht mehr, mir fehlt die Kraft mich weiter zu wehren. Shinya, ich bin mir sicher, dass du es ein wirst der mich hier findet. Du hast einmal gesagt „Egal wohin, ich werde dir folgen“ tu mir den Gefallen und folg mir noch nicht, ich werde dich holen, wenn deine Zeit gekommen ist. Du musst dich jetzt erstmal um unsere Band kümmern, die Jungs schaffen das nicht ohne dich. Es tut mir leid, dass ich dir so viel Kummer bereitet habe, das wollte ich nicht. Auch wenn es schwer wird lächle, für mich. Ich werde nach dir sehen, ob du willst oder nicht, denn ich will nicht, dass du an meinem Tod kaputt gehst und denk immer dran: ich liebe dich. Ich habe ein letztes Geschenk für dich, in meiner linken Hosentasche befindet sich ein Kästchen, es ist für dich. Ich weiß ich verlange viel von dir aber bitte, bitte sag meiner Familie was passiert ist und dass es mir leidtut. Sag ihnen, dass ich sie liebe und kümmere dich bitte um Mimiqua, du bist der einzige, den sie an sich ranlässt. Du hast schon viele Briefe geschrieben, aber noch nie so einen, einen Abschiedsbrief. Du schriebst sie, weil du nicht über die Dinge, die in den Briefen standen, reden konntest. Schreiben tatst du solche Briefe an deine Familie oder einen deiner Freunde. Du schriebst über den ganzen Dreck, der sich hinter der schönen Fassade versteckte. Niemand schlug dich oder deine Geschwister Zuhause oder misshandelte euch anderweitig. Eigentlich ging es euch gut, eigentlich könntet ihr freuen. Ihr ward umgeben von Freunden und eurer Familie, jeder für jeden bis aufs Blut, aber so war es nicht. Du wusstest nicht wann du angefangen hast angst vor deinem Vater zu haben und du wusstest auch nicht wann du angefangen hast deiner besten Freundin zu misstrauen oder wann die Gedanken an den Tod für dich zum Alltag wurden. Du hast deinen Vater geliebt, aber nach der Sache von vor vier Jahren zu Ostern hattest du auch Angst vor ihm. Ihr hattet euch gestritten, worüber weiß ich nicht. Irgendwann sagtest du, du würdest zu deiner Mutter gehen, deine Eltern lebten zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre getrennt und dir wurde oft genug gesagt, du seist 15 und dürftest somit wählen bei welchen deiner Eltern du sein möchtest. Darauf hin muss irgendwas im Kopf deines Vaters ‚Klick‘ gemacht haben, denn er kam auf dich zu gerannt und riss dich von den Füßen. Du hast gar nicht so schnell reagieren können, du hattest ihm bereits den Rücken zugekehrt und warst losgelaufen und im nächsten Augenblick lagst du auf dem Boden. Verletzt hattest du dich bei dem Sturz nicht, aber dein Vater war mit dem Fuß umgeknickt. Ihr hattet danach nicht wieder über den Vorfall gesprochen. Deine Mutter, die dich und deine Geschwister am Abend abholte und fragte, warum er den hinken würde, sagte er schlicht, dass er umgeknickt sei. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch Mitleid mit ihm. Irgendwann wolltest du dann nicht mehr zu ihm. Als deine Mutter dich fragte warum, erzähltest du ihr von den Dingen, die an Ostern passiert waren und einigen anderen. So begann eine Zeit, die weder für dich noch meine Geschwister leicht war, ihr saht euren Vater nicht mehr und er meldete sich auch nicht mehr bei euch. Und das war das einzige, was du wirklich in diesem Moment wolltest, war das er sich meldete und zeigte, dass ihr ihm wichtig wart. Du wusstest nicht mehr wann er das letzte Mal sagte, dass er euch lieben würde. Du sprachst mit Sozialpädagogen, dem VSP und dem Jugendamt, auch wenn du glaubest, dass der Mann beim VSP dich nicht ganz ernst genommen hat. Zum Jugendamt wolltest du nie, aber da er dorthin ging und sagte, eure Mutter würde ihm das Umgangsrecht mit euch verwehren, musstest du auch dort hin. Wie es jetzt ist? Sagen wir es so, es ist nett. Und nett ist wie man weiß, die kleine Schwester von scheiße. Auch wenn du dich selbst dafür verabscheutest, du misstrautest deiner besten Freundin und das nun auch schon seit Jahren, nicht weil sie hinter deinem Rücken schlecht über dich redete, sondern weil es Sachen gabt, die du dir nicht erklären konntest. Vor einigen Jahren wurde dir die Federtasche gestohlen, zwei Wochen später hatte sie genau die selbe und ich meine wirklich die selbe. Im inneren waren die selben Edingflecken. Sie hatte Füller, die alle denen glichen, die in deiner Federtasche gewesen waren und viele hatten am Ende Bissspuren, obwohl sie gar nicht an Füllerenden herum kaute, du hingegen schon, wenn du nervös warst. Und einige Zeit später verschwand der Kasten, in dem du deine Pinsel aufbewahrtest spurlos. Du fandest einen der Pinsel bei ihr im Zimmer auf dem Schreibtisch, erkannte ihn an der Farbmarkierung am Stiel, die für den Fall, dass man dir die Pinsel klauten würde, du sie auch wiederfändest, angebracht waren. Gesagt hast du allerdings nie etwas, stattdessen gingst du einige Wochen auf Abstand, vielleicht nicht die beste Wahl, aber zu diesem Zeitpunkt viel dir nichts Besseres ein. Mittlerweile verstandet ihr euch wieder. Der Tod ist dein treuer Weggefährte geworden, schon vor einigen Jahren. Du hast dich mit ihm beschäftigt, weil es dich interessiert hat. Irgendwann kamen dir Fragen in den Sinn, wie lange es wohl dauert bis man stirbt, wenn sich die Pulsader aufschneidet oder von einem Hausdach stürzt, und gab es eine Art Leben nach dem Tod? Ich weiß es nicht aber vielleicht hast du es ja jetzt herausfinden können. Deine Familie ist ein Mysterium für sich. Deine Mutter ist eine Art Kräuterhexe, sie kennt sich mit allerlei Kräutern aus und weiß von den Energien, die die Welt zusammenhalten. Deine Großmutter mutiert gerne mal zu einem Hausdrachen. Deine Geschwister sind zwei kleine Kobolde, wobei ich nicht weiß ob sie Glück oder Pech bringen sollen. Du liebtest diesen verrückten Haufen genauso sehr, wie er dich manchmal genervt hat. Und dann bist da natürlich noch du. Du, der wundervoll verrückte Drocell, den ich in all den Jahren zu lieben gelernt habe. In Mimiqua -deine lebende Imitation von Rukis Hund Koron- war ich schon immer vernarrt, was dazu geführt hat, dass du zwangsläufig mehr Zeit mit mir verbringen musstest. Du hast mir irgendwann von dem ganzen scheiß erzählt, der dich belastet hat und nach Toukas Tod habe ich dich aus dem Loch geholt, in das du gefallen bist. Touka war deine Cousine, sie war besonders. Touka war trans*, das heißt sie fühlte sich in ihrem eigenen Körper fremd, sie wollte nicht der Junge sein, als der sie geboren worden war, sondern ein Mädchen. Du hast sie als einziger wirklich auch als solche behandelt, eure Familie hat diesen Aspekt ihrer selbst fein säuberlich unter den Teppich gekehrt. Touka war auch diejenige, die uns Visual Kei zeigte. Sie liebte es anders zu sein, in allem was sie tat und auch die Musik gehörte dazu. Du hast ihr zum Geburtstag Hime -einen Teddybären nach dem Vorbild von Metos Ruana- genäht, der sie in den Tod begleitet hat. Ich wusste von Ada, das war der Name der Stimme in deinem Kopf. Warum auch sie sich Ada nannte weiß ich nicht, denn Ada bedeutet ihn der Sprache der Elben ‚Vater‘. Du hast mir von ihm erzählt, ich weiß nicht, wieso du ihm vertrautest, aber solange er dich augenscheinlich vor allem beschützte, wovor ich dich nicht schützen konnte, war es mir egal. Er schützte dich vor den Gedanken dich umzubringen. Vorsichtig holte ich aus deiner Hosentasche das Kästchen und öffnete es. Sacht berührten meine Finger die feingliedrige silberne Kette, an deren Ende sich ein Ring befand. Meine Sicht verschleierte sich, als weitere Tränen meine Wangen benetzen. „Ich werde mich um die Band, deine Familie und Mimiqua kümmern, versprochen“ wisperte ich und gebe dir einen letzten Kuss auf die kühlen Lippen. Ich zitterte, als ich aufstand, um zur Tür zu gehen. „Ich hoffe es geht dir gut, da wo du bist!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)