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Insanity Love

I love you. Today. Tonight. Tomorrow. Forever.
von

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Chapter 21: Heartless Stranger

Chapter 21: Heartless Stranger

 

Maron wachte mit dröhnenden Kopfschmerzen zu einem Klopfen an der Tür auf. Sie hatte sich letzte Nacht ins gegenüberliegende Arbeitszimmer geflüchtet und war auf dem Boden eingeschlafen. Noch immer trug sie Jeans und Blouse von gestern - schließlich hatte sie keine Möglichkeit gehabt sich umzuziehen. Strähnen ihrer Haare waren feucht, klebten ihr teilweise an den Wangen. Sie fühlte sich wie ein Wrack und sie konnte sich vorstellen, dass sie dementsprechend so aussah.

„Herein“, rief sie und die Tür schwang auf. Es war Chiaki.

Sie setzte sich auf. Für einen Moment sahen beide sich einfach an. Maron spürte einen eiskalten Schauer über ihren Rücken laufen. Gewöhnlicherweise würde er die getrockneten Tränen auf ihrem Gesicht bemerken, ihre zerknitterten Klamotten, ihr zerzaustes Äußeres.

Selbst wenn er sie nicht mehr liebte, würde er—

„Wir sollten uns fertig machen“, sagte er. Er trug ein T-Shirt mit Jogginghose und sah aus als hätte er gut geschlafen.

So vertraut er ihr auch schien, so wirkte er gleichzeitig wie ein Fremder für sie.

Es war keine Strenge oder Schroffheit in seiner Stimme zu vernehmen, nur eine sachliche Ruhe. Sie realisierte, dass sie sich hätte keine Gedanken machen brauchen, dass er mit ihr Mitleid hätte oder sich in irgendeiner Weise schuldig fühlen würde - er fühlte überhaupt nichts.

Die Bedeutung seiner gestrigen Worte wurden ihr erst jetzt wirklich bewusst.

Sie spürte, wie ihr Herz blutete.

 

Wortlos stand Maron auf, ging an Chiaki vorbei und steuerte im Schlafzimmer auf sein Kleiderschrank zu. Dadurch dass sie die letzten Tage bei ihm übernachtet hatte, hatte sie auch einige ihrer Klamotten bei ihm gebunkert. Chiaki folgte ihr, stand schweigend ein paar Schritte hinter ihr.

Maron schnappte sich eine neue Hose, ein neues Oberteil sowie frische Wäsche und ging schnellen Schrittes ins Bad, welches sich neben dem Arbeitszimmer befand.

Auch wenn Chiaki sie schon komplett ohne Klamotten gesehen hatte, so fühlte es sich jetzt merkwürdig an.

Sie war sich nicht sicher, wie dieser neue Chiaki, einer ohne Gefühle, reagieren würde. Und sie war sich auch nicht sicher, ob sie es wissen wollte.

Als Maron sich fertig umgezogen hatte, öffnete sie die Badezimmertür und wollte gerade in den Flur austreten, als sie für einen Moment innehielt und zum Schlafzimmer rüber spähte.

Sie sah, wie Chiaki sich ein graues Hemd aus seinem Schrank holte. Er hatte die Jogginghose gegen eine schwarze Jeans ausgetauscht, trug allerdings kein T-Shirt mehr, sondern war von der Hüfte aufwärts nackt. Hinter ihm schien die Sonne durchs Fenster und ließ seine Haut Golden erscheinen.

Ihr Magen zog sich zusammen. Es war nicht das erste Mal, dass Maron ihn oberkörperfrei sah.

Schlanke, definierte Muskeln zeichneten sich um seiner Brust und seinem Bauch ab.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie sich auf diesen Muskeln ihren Weg herab geküsst, während er seine Hände durch ihre langen, braunen Haare fahren ließ, und immer und immer wieder mit der sanfesten Stimme ihren Namen sagte.

Nun stand sie da und konnte nicht aufhören zu starren.

Unterdessen hatte Chiaki sein Hemd angezogen und zugeknöpft. Dann blickte im nächsten Augenblick zu ihr auf.

„Komm“, sagte er und nickte mit dem Kopf zum Untergeschoss runter. Maron folgte ihm.

 

„Sag… Hätte ich dich gestern nicht konfrontiert, hättest du mir nichts von dem Bann erzählt, oder?“, fragte sie, nachdem sie und Chiaki sich in Jeanne und Sindbad verwandelt hatten und er mit Hilfe seines Pentagramms ein Portal erstellt hatte.  

„Wohlmöglich nicht“, entgegnete er, „Du machst dir wie erwartet unnötige Gedanken darüber.“

Sie blickte ihn mit verengten Augen an.

„Nur zur Anmerkung: Ehrlichkeit ist keine Emotion“, sagte sie, worauf er ihr einen leicht überraschten Blick zuwarf. Anschließend schritten beide durch das Portal.
 

***

„Wo sind wir?“, fragte Jeanne irritiert, als sie sich umschaute.

Sie standen inmitten auf einer Lichtung. Offen und grasbedeckt, umgeben von meterhohen Bäumen. Blumen waren vereinzelt auf dem Gras zu erkennen und kleine Lichtpartikel schwebten umher. Als sie zum Himmel aufschaute, war keine Sonne zu sehen. Nur eine dicke, schwarze Wolkendecke, die alles in ihren Schatten umhüllte.  

Jeanne konnte nicht beschreiben wieso, doch irgendwie hatte dieser Ort, in der sie sich gerade befanden, was Schönes und gleichzeitig Furchteinflößendes an sich.

„Ich dachte, du würdest uns direkt zu Satans Palast befördern.“

„Hatte ich auch vor. Satan muss wahrscheinlich die Präsenz des Portals bemerkt und uns einen Strich durch die Rechnung gemacht haben“, entgegnete Sindbad und fügte anmerkend hinzu, „Ich sagte ja, dass die Welt sich nach seinem Willen verändern kann.“

„Ja, sagtest du“, erwiderte Jeanne nur noch.

Keinen Augenblick später tauchte ein Dämon auf, der so riesig war wie die Bäume.

„Und da ist unser Willkommenskommitee“, sagte Sindbad.

Der Dämon ballte seine Krallen zur Faust und zielte auf die beiden Diebe. Sie konnten den Schlag ausweichen, wodurch der Dämon auf dem Boden einschlug. Der Boden erschütterte.

Gemeinsam kämpften sie gegen die Kreatur. Jeanne war froh, dass sie Sindbad -selbst in seinem jetzigen Zustand- als Kampfpartner vertrauen konnte.

An einem Punkt spuckte der Dämon plötzlich eine dunkle, giftige Substanz aus seinem Maul aus, was alles was es traf verächzen ließ.  

Größtenteils waren die Diebe mit ausweichen beschäftigt, doch mit Mühe konnte Jeanne den Dämon letztendlich außer Gefecht setzen.

Schweratmend ging sie zu Sindbad rüber, der sich seine Handschuhe auszog.

„Chiaki?“

„Meine Hände“, sagte er und klang dabei überrascht, „Ich habe nichts gespürt.“

Sie sah auf seine Hände herab und zog scharf Luft ein. Er musste etwas von dem Gift des Dämons abbekommen haben, was sich durch den Stoff der Handschuhe durchgefressen hat und seine Haut verächtze.

Blut tropfte ihm teilweise herunter.

Doch Jeanne konnte schon sehen, dass manche Stellen anfingen zu verheilen.

Dennoch bereitete ihr der Anblick einen schmerzhaften Stich in ihrem Inneren. Wie als wäre es ihre eigene Wunde.

Sindbad’s Gesichtsausdruck hingegen wirkte wie, als würde er keinerlei Schmerzen verspüren.

Sie sah auf ihrer eigenen Hände herab, die frei von Verletzungen waren.

Die Verbindung ist wohl wirklich gekappt…, ging es ihr durch den Kopf. Der Fluch wirkte demnach wirklich nicht mehr. Eigentlich sollte sie froh darüber sein, doch sie konnte sich nicht freuen.

„Komm. Wir verlieren sonst wertvolle Zeit“, sagte Sindbad. Seine Stimme ließ Jeanne zusammenfahren und riss sie aus ihren Gedanken.

Seine Hände waren inzwischen verheilt, doch die Handschuhe hatte er weggeworfen, da sie nicht mehr tragfähig waren.

Jeanne nickte knapp und damit liefen sie los.

Nach einigen Metern ertönte plötzlich inmitten all der Bäume ein knackendes Geräusch, wie als würden Äste brechen. Jeanne drehte sich blitzschnell um, ihre Hand griff sofort nach ihrem Kreuz.

„Hast du das gehört?“

Sindbad folgte ihrem Blick und ließ ein Messer in seine Hand erscheinen.

Für einen Moment standen sie da, wachsam und kampfbereit. Doch es war nichts weiter mehr zu hören - ebenso tauchte nichts auf.

„War wahrscheinlich nichts gewesen“, sagte Sindbad schließlich. Jeanne wusste, dass er das nicht sagte, um sie in irgendeiner Weise zu beruhigen. Wohl eher um sie dazu zu bewegen weiterzugehen. Dennoch schien es für sie etwas zu sein, was der Chiaki den sie kannte sagen würde.

Die beiden Diebe setzten ihren Weg durch den Wald fort.

 

Es war ein langer Spaziergang, ohne weitere Begegnungen mit Dämonen.

Sindbad war an sich ein recht einfacher Gesprächspartner, wenn Jeanne nicht an den Bann dachte. Oder darüber nachdachte, wie er für sie empfand - oder wie er überhaupt für etwas empfand. Sie vermieden Themen, die was mit Minami oder dem Fluch zu tun hatten und sprachen stattdessen über die Engel und diskutierten mögliche Pläne aus, um ihre Partner zu befreien.

Es dauerte eine gewisse Zeit, welche sich für Jeanne wie Stunden anfühlte, als sie letztlich realisierte, dass sie verfolgt wurden.

Sie hatten fast das Ende des Waldes erreicht.

„Erstmal müssen wir den Palast erreichen“, sagte Sindbad mit Blick auf ein großes, dunkles Gebäude, welches im Horizont zu sehen war, „Ab da müssen wir sehen, dass wir unentdeckt eindringen können und-“

Jeanne blieb abrupt stehen. „Wir werden verfolgt“, unterbrach sie ihn.

Sindbad blieb ebenfalls stehen und drehte sich zu ihr um. „Bist du dir sicher?“, fragte er leise.

Jeanne spitzte ihre Ohren, versuchte das zu hören, was sie vorher schon gehört hatte: das Zerbrechen von kleinen Ästen. Sowie dumpfe Schritte.

„Ich bin mir sicher.“

Es lagen keine Zweifel in Sindbad’s Augen.

Er vertraut mir, dachte Jeanne sich etwas erleichtert.

„Wir können nicht rennen“, sagte er—er hatte Recht; der Pfad vor ihnen war viel zu steinig und das Gestrüpp zu dick, um vor ihrem Verfolger sicher davonzulaufen.

„Komm.“ Jeanne schnappte sich Sindbad’s Hand; einen Moment später kletterten sie den nächstgrößten Baum hoch. Jeanne setzte sich auf einem dicken Ast ab, während Sindbad sich auf der anderen Seite des Stammes niederließ. Sie hielten sich am Baumstamm fest und blickten herunter.

Die Schritte näherten sich.

Jeanne’s Augen weiteten sich. Das erste was sie sah, waren rote Haare.

Sie beugte sich etwas weiter herab, um einen besseren Blick auf ihren Verfolger erhaschen zu können.

Es war ein junger Mann von großer Statur und in schwarzen Klamotten gekleidet.

Ohne Zweifel–

„Hijiri Shikaidou“, murmelte Sindbad, „Was macht dein Ex hier?“

„Ironie, dass ich ihn wahrhaftig in der Hölle wiedersehe“, knirschte Jeanne mit den Zähnen.

Sie sprang so schnell vom Baum herunter, dass für eine Sekunde alles um sie herum verwischte. Gezielt landete sie auf Hijiri, sodass er schmerzlich aufkeuchen musste, als sie zusammen auf dem Boden landeten. Sie schlug ihm hart in den Magen und er krümmte sich vor Schmerz zusammen, während sie aufsprang.

Kurz blickte sie über ihre Schulter und sah, dass Sindbad ihr gefolgt war und einige Schritte hinter ihr stand.

Jeanne ließ ihr Kreuz zu ihrem Schwert werden und hielt es an Hijiri’s Hals.

Dieser lag flach auf dem Boden und stierte sie an.

„Was zum Henker machst du hier?“, verlangte sie zu wissen.

„Auch schön dich wiederzusehen, Maron.“ Hijiri drehte seinen Kopf und spuckte Blut. Er wischte sich über den Mund und hinterließ eine rote Spur auf seiner Hand.

Es überraschte Jeanne in dem Moment nicht, dass er wusste wer sie war. Sie blickte ihn gefasst an.

„Jetzt weiß ich endlich, was du all die Nächte immer getrieben hast. Von wegen du hattest für die Schule gelernt“, fügte Hijiri hinzu.

„Und nun?“, entgegnete Jeanne gleichgültig. „Als ob das noch irgendjemand interessiert. Wichtiger ist wohl, was du hier zu suchen hast?“

Doch statt ihr zu antworten, zu Hijiri ihr hoch.

„Hey!“ Verachtung war in Jeanne’s Stimme zu vernehmen. „Ich rede mit dir.“

Schließlich realisierte Jeanne, dass Hijiri nicht sie anstarrte, sondern hinter sie blickte. Sindbad kam auf beide zu und hielt ebenfalls ein Schwert in der Hand, den Blick mit einer beängstigenden Kälte auf Hijiri gerichtet.

„Du hast einen Pakt mit dem Teufel geschlossen“, sagte er ruhig, „Dadurch bist du der Polizei entkommen, nicht wahr?“

Hijiri stützte sich mit seinen Ellenbogen etwas auf. „Du brauchst nicht so tun, als ob du was Besseres wärst, Chiaki Nagoya“, zischte er und wandte sich an Jeanne. „Was findest du nur an ihn? Im Grunde genommen sind er und ich ziemlich gleich-“

„Chiaki ist kein verrückter Psychopath wie du!“, entgegnete sie ihm spitz.

„Sag“, meldete sich Sindbad wieder zu Wort, „Bist du hier, um uns zu töten?“

„Offensichtlich!“, lachte Hijiri boshaft auf.

Jeanne sah mit einem alarmierenden Ausdruck zu Sindbad rüber. Unbewusst ließ sie die Spitze ihres Schwertes sinken.

„Und glaub jetzt ja nicht, dass ihr beiden mir überlegen seid“, sagte Hijiri in einem drohenden Ton, während wieder er auf die Beine kam. „Als ob ich alleine hinter euch her bin.“

Jeanne ging einen Schritt zurück, nicht wissend was sie tun soll. Es wäre ein leichtes Hijiri bewusstlos zu schlagen. Und dann? Ihn fesseln? Oder ihn irgendwie zur Erde zurückschicken?

„Aber bevor sich irgendwer einmischen kann, werde ich dafür sorgen, dass ich meine Rache bekomme-“

Bevor Jeanne es auf irgendeiner Weise registrieren konnte, hatte Sindbad mit einer blitzschnellen Bewegung sein Schwert in Hijiri’s Herz getrieben.

Hijiri’s Körper begann zu zucken. Er hustete und spuckte Blut. Seine Augen waren dabei auf Sindbad fixiert, blickten ihn ungläubig an.

Dieser zog sein Schwert heraus und Hijiri fiel zu Boden.

Jeanne drehte sich zu Sindbad um. „Was hast du gerade getan?“, fragte sie fassungslos.

Sindbad bückte sich, um die blutige Klinge auf dem Gras zu reinigen. „Jemanden getötet, der vorhatte uns zu töten.“

„Du hast ihn ermordet!“

„Sei realistisch, Maron. Er wurde geschickt, um uns zu ermorden. Er hätte es getan, wenn ich ihm nicht zuvorgekommen wäre.“

Jeanne fühlte sich wie als würde sie keine Luft bekommen. Sie versuchte nicht auf Hijiri’s leblosen Körper zu blicken.

„Du kannst trotzdem nicht einfach einen anderen Menschen töten. Menschen tun sowas nicht. Menschen mit Gefühle tun sowas nicht!“

„Mag sein“, sagte Sindbad und ließ sein Schwert verschwinden, „Aber er war ein Problem und jetzt ist er keins mehr. Besser er stirbt als wir.“

„Wir sind Diebe! Keine Mörder! Das mindeste wäre einfach gewesen ihn bewusstlos zu schlagen und in unsere Welt zurückzuschicken!“

„Wieso bist du nicht froh darum, dass er komplett aus deinem Leben weg ist? Wenn ich dich daran erinnern darf, er wollte dich zweimal vergewaltigen.“

„Du verlangst von mir ernsthaft, dass ich glücklich über einen Mord sein soll?!“ Jeanne schaute ihn entgeistert an. Das brennende Gefühl von Tränen bahnte sich in ihren Augen an. „Das bist nicht du! Dein altes Ich wäre nie so weit gegangen!“

„Wenn ich ehrlich bin, wäre ich damals im Freizeitpark so weit gegangen.“

„Ach echt? Was hat dich dann abgehalten?“

Darauf hatte Sindbad keine Antwort.

„Siehst du“, sagte sie, „Etwas in dir hatte dich davon abgehalten. Vielleicht Empathie? Etwas was dich noch menschlich machte. Und jetzt-….jetzt-...“

Jeanne versuchte tief durchzuatmen, doch sie konnte sich nicht beruhigen.  

Alles drehte sich. Der kupferartige Geruch von Blut lag in der Luft und sie versuchte sich an einem Baum abzustützen.

„Maron?“, hörte sie Sindbad hinter sich sagen.

„Bitte lass mir für ein paar Minuten in Ruhe. Ich möchte allein sein“, sagte sie mit schwacher, monotoner Stimme.

Damit wandte sie ihm den Rücken zu.

Sindbad seufzte. „Okay. Ich lasse dich kurz allein und komme gleich wieder.“

Jeanne konnte hören, wie er sich abwandte und ging. Sie blickte hinter sich und sah wie er hinter den Bäumen verschwand.
 

***

Sindbad lief einige Minuten den Wald, angetrieben durch eine Rastlosigkeit, die er sich selbst nicht erklären konnte.

Überhaupt war es für ihn schwer zu beschreiben, was er in letzter Zeit fühlte.

So konnte er sich auch nicht erklären, was ihn dazu getrieben hatte Hijiri zu töten. Oder was er danach gefühlt hatte.

Es war wie als wären jegliche Worte, die er zum Beschreiben seiner Gefühle brauchte aus seinem mentalen Wortschatz verschwunden.

Was er sagen konnte, war dass er sich leicht fühlte. Wie als würde das Gewicht von permanenter Angst und Schuld, welches er mit sich trug nicht mehr existieren. Doch war es falsch diese Leichtigkeit zu fühlen?

Für einen Moment blieb Sindbad abrupt stehen, als er ein schwaches Wispern hörte.

„Du spielst mit dem Feuer.“

Er drehte sich um und blickte in alle Richtungen. Doch es war niemand zu sehen.

Noch immer war das Wispern zu hören. Teilweise waren es mehrere, kindliche Stimmen, die undeutlich und alle auf einmal auf ihn einsprachen.

Es war wie als würde der Wald zu ihm sprechen.

„Ein Mensch, der seine Menschlichkeit ablegt-…“

„-macht ihn nicht besser als ein Dämon.“

„Ich bin besser“, entgegnete Sindbad.

Die Stimmen kicherten. „Hier im Land der Schatten, können Sterbliche weder Leid noch Freude empfinden.“

„Sie sind in einem Käfig gefangen und werden nie wieder Glück empfinden.“

Unbeeindruckt hörte er zu, bis plötzlich eine Stimme so deutlich zu hören war, wie als würde man ihm die Worte direkt ins Ohr flüstern. „Du befindest dich in diesem Käfig, Junge.“

Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

„Die Liebe. Ein scheußliches Bund“, sagte eine andere Stimme höhnisch, „Und so leicht zu zerstören.“

„Haltet die Klappe“, presste Sindbad zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es pochte in seinem Kopf.

„Sie scheint dir doch nichts mehr zu bedeuten. So wie sie dich ansieht. Als würdest du nicht mehr bei ihr sein, obwohl du direkt neben ihr stehst.“

Ohne den Stimmen weitere Beachtung zu schenken, ging Sindbad davon.
 

Jeanne stand an einem großen Baum gelehnt am Rande des Waldes und blickte gedankenverloren zum Palast. Er war nur noch wenige Kilometer entfernt. Drachenartige Kreaturen flogen in dessen unmittelbarer Nähe und kreisten um die Türme.

Vor ihr waren Gesteine, Felsen und trockene Gestrüppe zu sehen. In Sichtweite waren auch Gebäuderuinen zu erkennen.

Wir sind gleich bei euch, Fin…, dachte sie sich, schloss kurz die Augen und drehte sich mit dem Rücken zum Stamm. Ein schwerer Seufzer entkam ihr.

Im nächsten Moment begann sie zu zittern und sie schlang ihre Arme um ihren Körper.

Noch immer konnte sie das Bild von Hijiri’s toten Körper nicht vergessen.

Energisch schüttelte Jeanne den Kopf und versuchte tief ein- und auszuatmen.

Dann öffnete sie ihre Augen und sah betrübt zu Boden.

Sie vermisste Chiaki. Sie vermisste ihn schmerzlich, wie als hätte sie ihn seit Wochen oder Monate nicht mehr gesehen. So fühlte sich es für sie an. (Vielleicht war auch bereits so viel Zeit auf der Erde vergangen.)

Sie wünschte mit Miyako jetzt reden zu können. Oder Fin.

Ihre besten Freundinnen würden sie verstehen.

Doch konnte sie selbst ihnen von dem Bann erzählen, welches Chiaki seine Emotionen genommen hatte?

Jeanne war sich nicht sicher.

Ein Rascheln war auf einmal zu hören und im nächsten Moment tauchte Sindbad auf.

Für einige Sekunden war es still zwischen ihnen, bis Sindbad das Schweigen durchbrach: „Wegen vorhin... Du weißt, dass ich alles tue was auch immer nötig ist, um uns am Leben zu behalten. Ich dachte, du würdest mich verstehen.“

Jeanne zuckte innerlich zusammen. „Das ist was anderes“, erwiderte sie, hob ihren Kopf und sah ihm direkt in die Augen, „Weißt du… Ich habe mich in dich verliebt, weil ich weiß dass du ein gutmütiger Mensch bist. Jemand, der hinter seiner Fassade ein gutes Herz hat. Jemand, der sich für die Menschen einsetzt, die ihm wichtig sind. Selbst nachdem ich deine wahre Identität herausgefunden habe, habe ich an dich geglaubt.“

Er sah weg. Jeanne sprach weiter: „Doch jetzt fällt es mir schwer an diesen Glauben festzuhalten. Du bist wie ein komplett anderer Mensch und es fällt mir schwer damit klarzukommen.“

Sindbad ging auf sie zu. „Ich hatte keine Ahnung, dass dich das so erschüttern würde.“

„Natürlich hattest du keine Ahnung.“ Ihn so nah zu haben, ließ Jeanne’s Herz unbewusst schneller schlagen. „Du hattest keine Ahnung, weil du keine Gefühle hast. Weil du all deine Emotionen abgeschalten hast. Nicht nur zu mir, sondern auch zu allem anderen.“

„Das stimmt nicht“, sagte er.

„Was stimmt nicht?“

Er hob seine Hand und seine Fingerspitzen strichen leicht über ihren Unterarm. Die Stelle an der er sie berührte kribbelte, wie als würden all ihre Nerven sich darin konzentrieren.

„Es ist nicht so, dass ich gar keine Gefühle mehr habe.“ Er klang verloren und leicht verwirrt. „Ich verstehe zwar nicht ganz, was das ist, was ich gerade fühle. Was ich auf jeden Fall weiß ist-… Ich will nicht, dass du aufgebracht bist.“

Er legte seine Hand zärtlich auf ihre Wange, strich mit dem Daumen über ihre Haut.

Sie erstarrte.

Ihr Gesicht begann zu glühen.

„Es tut mir leid, Maron“, sagte er, „Entschuldige. Für alles.“

Ihr Herz machte einen Sprung. Mit einem leisen Schluchzer reichte sie nach ihm, schlang ihre Arme um ihn. Er erwiderte die Umarmung, beugte sich anschließend zu ihr herunter und küsste sie.

In dem Moment war alles für Jeanne wie vergessen. Der Kuss war heiß und mit einem Hauch von Begierde gezeichnet.

Seine Lippen bewegten sich auf ihren, seine Finger fuhren über ihre Wangen und fanden sich auf ihrem Nacken wieder.

Er drückte sie enger an sich. Sein Körper reagiert so wie sonst auch…, dachte sie sich.

Ob Gefühle oder gar keine Gefühle. Dies brachte eine heillose Befriedigung mit sich.

Er empfand etwas für sie, selbst wenn es nur etwas Körperliches war.

Außerdem sagte er, dass ihm alles Leid täte. Bestimmt hatte das etwas zu bedeuten. Vielleicht ließ der Bann nach. Vielleicht hielt es nicht dauerhaft. Vielleicht—

Ohne dass der Kuss unterbrochen wurde, wurde Jeanne mit dem Rücken gegen den Baum hinter sich gedrückt, was sie leise aufkeuchen ließ.

Sindbad küsste ihren Mundwinkel, wanderte ihren Hals hinab und küsste ihren Puls. Sie spürte seine Lippen sanft auf ihrer Haut; seine Hände fuhren unterdessen ihre Beine hoch, verschwanden unter ihrem Rock.

Ihr Verstand begann langsam auszusetzen.

Lass es geschehen, sagte ihr Körper.

Er wusste, wo sie es liebte berührt zu werden. Was sie vor Lust erschaudern ließ. Was für eine Wirkung er auf sie hatte.

Nur Chiaki konnte dieses Feuer in ihrem Inneren auslösen. Nur er allein.

Ihre Augen öffneten sich leicht; ihr Blick war benebelt von Verlangen.

Schließlich bemerkte sie, wie Sindbad sie ansah.

Seine blauen Augen wirkten kühl und bedachtsam.

Jeanne fühlte sich wie, als hätte man ihr einen Eimer eiskaltes Wasser ins Gesicht geschüttet. Sie rang fast nach Luft.

„Ich will nicht, dass du aufgebracht bist“, hatte er gesagt.

Seine Hände hielten sie immer noch fest.

Gerade als er sie erneut küssen wollte, flüsterte sie gegen seine Lippen: „Es tut dir eigentlich nicht leid, oder?“

Er stoppte sich und sah ihr in die Augen.

Jeanne kannte diesen Blick. Er überlegte, was das Richtige wäre zu sagen. Nicht die Wahrheit, sondern das Beste, Schlauste. Etwas womit er das bekommen würde, was er wollte.

Und was er wollte, war sie zu manipulieren. Indem er ihr Reue für seine Taten vortäuschte.

Indem er ihr die Zuneigung vorspielte, die sie von ihm misste. Indem er ihre Gefühle für ihn ausnutzte.

Damit sie kein emotionaler Handicap für ihn mehr war.

Er ließ von ihr los und ging einen Schritt zurück. Sein Gesichtsausdruck war immer noch eine unlesbare Maske.

Bevor Sindbad was sagen konnte, waren plötzlich zwei Stimmen in unmittelbarer Nähe zu vernehmen. Sofort hielten sich die beiden Diebe hinter den Bäumen bedeckt und spähten vorsichtig hervor.
 

 

 

 

 

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Hoffe das Kapitel hat den einen oder anderen gefallen :‘)

Wird zwar wieder eine Weile dauern, aber bis zum nächsten Mal!



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mariah-91
2019-05-22T13:19:29+00:00 22.05.2019 15:19
Ich finde das Kapitel großartig, du schreibst so tolle Cliffhanger, ich will jedes Mal am liebsten sofort wissen wie es weiter geht. Ich freue mich auf jeden Fall aufs nächste Kapitel :)
Antwort von:  mairio
22.05.2019 16:01
vielen Dank! :)

Keine Ahnung wann es weiter geht, aber ich bemühe mich :)
Von:  Koraja
2019-05-22T10:07:10+00:00 22.05.2019 12:07
Oh oh! Es geht weiter!
Und sofort möchte ich einem gewissen Herren wieder den Hals umdrehen!

Juhu! Chiaki bemerkt nicht mals physische Schmerzen! Also merkt er auch gar nicht, wenn ich ihm wirklich den Hals umdrehe.... *Grübel*

hmpf.... Hijiri.... du weißt wirklich, wie du meine Nerven strapazierst! XP Der Knallkopp hat mir gerade noch so gefehlt!
hm, wenn ich mir das so recht überlege, könnte das mit dem Psychopath nicht so ganz abwegig sein... zumindest in Chiakis (hoffentlich nur momentaner) Situation!
*grübel grübel* was Hijiri wohl für einen Pakt geschlossen haben könnte... Wehe da hast du dir auch noch was böses ausgedacht! xP
O.O OK.... Chiaki hat es nochmal geschafft mich zu schocken!!! Ich möchte ihn gerne als Sandsack benutzen! Darf ich? =)
Und wuah! wieso bekomme ich bei kurz alleine lassen wieder so ein ganz ganz ungutes Gefühl???

„Die Liebe. Ein scheußliches Bund“, sagte eine andere Stimme höhnisch, „Und so leicht zu zerstören.“ Bist du zufällig Fluch der Karibik Fan? Ich muss dabei jedenfalls an Davy Jones denken! =)

Jetzt wird er auch noch ein lügender und manipulierender Schuft!!! OHH!!!!
GRMPF GRMPF GRMPF!!!
Ich hatte ja kurzzeitig die Hoffnung, dass das vllt nur ein anderer Dämon ist, der sich als Chiaki ausgibt....
ARGH!

Schade, dass das Kapitel zu Ende ist... Jetzt werde ich mich wieder in Geduld üben müssen!
aber hihi, vielleicht habe ich mich bis dahin wenigstens wieder beruhigt =)

LG Koraja =)
Antwort von:  mairio
22.05.2019 12:36
Halli Hallo :)

Ja, jeder möchte dem Jungen am liebsten eine klatschen xD hat er irgendwo auch verdient
(auch wenn ich ihn dazu getrieben habe xDD)

Cool, dass du direkt erkannt hattest, dass der eine Satz von Fluch der Karibik ist :D :D Mein Respekt!! :D
*1000 punkte für Griffindor ;) *

Vielleicht (!!) dauert die wartezeit fürs nächste Kapitel nicht soooo lange :) (kann ich nicht versprechen, aber ich bemühe mich :) )

LG :]
Antwort von:  Koraja
24.05.2019 00:48
das wäre sehr schön! =) muahaha

Und Fluch der Karibik... ich kann die Filme fast mitsprechen! xD Ich hab keine Ahnung, wie oft ich die Filme schon gesehen habe, ich tippe mal irgendwas dreistelliges xD
Antwort von:  mairio
24.05.2019 08:08
Ach so... krass! okay dann ist klar, dass man sowas sofort erkennt :))

kleiner Statusupdate: ca. ein Viertel vom neuen Kapitel ist geschafft :)


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