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Verliebtsein macht kurzsichtig

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Blick auf Meer

Auf der Reise in die Region der rosa Flamingos würde Charlotte endlich die Gelegenheit haben, Anna aus nächster Nähe zu studieren. Als die Jugendlichen den himmelblauen Reisebus bestiegen, ließ sie sich genau auf dem Platz hinter der Schönheit nieder, denn neben diese hatte sich bereits Lockenkopf Klaus gepflanzt. Hinter Charlotte machten es sich die übrigen Jungen und Aufsichtslehrer Herr Özdemir bequem. Das Summen des Motors bei der Anfahrt zauberte dem Mädchen ein Lächeln ins Gesicht. »Ich bin total aufgeregt. Es ist das erste Mal, dass ich so weit verreise. Und dann auch noch ans Meer!«

Inzwischen waren einige Wochen vergangen, der Sommer hatte Deutschland Mitte Mai eingeholt. Noch immer hatte sich niemand auf Charlottes Nachhilfeanzeige gemeldet, doch sie war frohen Mutes, dass das noch werden würde.

Noch bevor sie die französische Grenze erreichten, nickte Chris im Sitz ein und Theo besiegte Gonzales im eSchach auf dem Tablet. Der Lehrer vergrub sich die ganze Zeit über in einer Zeitschrift, auf dessen Cover sich eine üppige Frau mit wenig Stoff räkelte. Vermutlich die Bildzeitung. In Klaus Ohren steckten In-Ears, auch er döste leicht weg, während der Bus vor sich dahinratterte. Und Anna starrte nur aus dem Fenster raus, bis sie ein paar Snacks aus ihrer Reisehandtasche – eine limitierte June-Tasche aus Leder! – hervorholte.

»Magst du auch eins?«, fragte sie Charlotte durch den Spalt zwischen den Sitzen, als sie ihren beobachtenden Blick bemerkte.

»Äh, ja danke!« Schüchtern nahm die Brillenträgerin den Schokoriegel mit Caramellgeschmack an. Obwohl Anna sie anlächelte, traute sie sich kaum, ihr dabei in die Augen zu sehen. Sie fühlte sich der Schulschönheit einfach nicht würdig. »Vielleicht kann ich auf dieser Reise auch daran arbeiten, selbstbewusster zu sein.«

Da drehte sich auch Klaus zu ihr um, die Ohrstöpsel in der Hand. »Hey Charlotte, was hast du in den Sommerferien dieses Jahr vor?«, wollte er wissen.

»Ich hoffe ... ich kann arbeiten.«

»Arbeiten?«

»Ich möchte Mathenachhilfe anbieten, aber bisher hat sich noch niemand gemeldet«, erzählte sie leicht gefrustet.

»Das ist ja eine Spitzenidee! Find ich wirklich cool!« Wie so oft schon zeigte er ihr ein aufmunterndes Daumenhoch.

Auch Anna fielen ein paar gute Worte zu Charlottes Vorhaben ein: »Ja, nachdem du Bente geholfen hast, hat sie richtig durchgeblickt beim Brückner.«

»Und was habt ihr in den Sommerferien vor?«, fragte Charlotte zurück. Ihre Augen pendelten zwischen ihren beiden Vorsitzern hin und her.

»Ich fliege mit meiner Familie nach Dubai«, sagte Anna mit demselben gemäßigten Tonfall, mit dem sie immer sprach. Dass sie jemals wütend oder verrückt sein konnte, bezweifelte Charlotte stark – sie war einfach eine stilvolle junge Frau, die durch ihr schmallippiges Lächeln verzauberte und ansonsten keine großen Gefühlsschwankungen offenbarte. Anna war eine Lady, durch und durch.

»Wow! Dubai!«, staunte Charlotte und behielt den Rest ihrer Gedanken für sich.

»Annas Eltern müssen viel Geld haben ... «

»Ja ... mein Vater hat dort geschäftlich öfter mal zu tun und deshalb kriegen wir die Reise billiger«, fügte sie noch hinzu. Dann wandte sie sich Klaus: »Lass mich raten. Du fährst zu deinen Großeltern?«

»Woher weißt du das nur ... ?«, erwiderte Klaus frech grinsend und ironisch.

Charlotte erinnerte sich wieder an die Bilder im Guggenmos'schen Badezimmer.

»Ich fahre jedes Jahr zu meinen bayrischen Großeltern. Das ist schon immer Tradition gewesen«, klärte der Brillenträger sie nett auf.

Nachdenklich sah sie ihn an. »Das bedeutet ... sie sind beide nicht da im Sommer ...  «

 

-o-o-

 

Mittags machten sie eine Pause an einer französischen Tankstelle. Die Schülermeute streckte und reckte sich, nachdem sie dem engen Sitzgebilde entflohen waren.

»Puuh! Tut das gut!«

»Endlich Frischluft!«

»Wir machen jetzt eine Pipi-Pause. In zwanzig Minuten sehe ich euch im Bus wieder«, verkündete Herr Özdemir und pilgerte zu den Toiletten. Ließ die Schachclubber einfach stehen.

Gonzales nutzte das für eine Gelegenheit. »Anna, ich gehe kurz zum Kiosk, darf ich dir was Bestimmtes mitbringen?«, fragte er liebevoll, woraufhin er aggressive Blicke seitens Theo und Chris erntete.

Klaus hingegen rieb sich genervt die Stirn mit dem Handrücken – als er könnte er das Theater nicht mitansehen. Es war glasklar, was hier vor sich ging. Dieser Proleten-Muskelschrank war ...

»Weißt du was, ich komme mit, Gonzales. Was möchtest du, Anna?«, mischte sich Theo nun ein.

»Ich komme auch mit!«, meinte Chris.

Jetzt war es Gonzales, der dumm aus der Wäsche guckte. Die Chance, sich Bonuspunkte bei der Schulschönheit zu holen, hatte er verpatzt. Dennoch brauchte er noch eine Information. »Anna?«

»Ähm ... wie wäre es mit Eis am Stiel für alle?«, schlug diese leicht überfordert vor. Die Jungs grinsten zufrieden. »Super Idee!«

Und dann stürmten sie weg, zum Kiosk. Klaus jedoch trat näher an Charlotte heran, um ihr ins Ohr zu flüstern: »Wunder dich nicht, die stehen alle drei auf Anna. Und Anna ... «

»Habt ihr was gesagt?« Lächelnd warf die Besagte den Kopf zurück.

»Nein, gar nichts ... «, flunkerte der Lockenkopf unschuldig.

»Was Klaus mir wohl noch über Anna sagen wollte ... ich hätte es zu gern gewusst.«

Im Handumdrehen kamen die Schachjungs zurück. »Anna! Wir haben nicht nur Eis am Stiel, sondern dir auch noch dein Lieblingsgetränk mitgebracht! Und Macarons! Die magst du doch auch, oder?«, schleimte Theo und hielt ihr einen Kaffeebecher vor die Nase, während Gonzales schon mal ein Wassereis an Klaus verteilte und Chris eine Tüte mit Keksen präsentierte.

»Vielen Dank, Jungs! Das wäre doch nicht nötig gewesen! Hö hö!«, freute sich die Schulschönheit und nahm dem Asiaten den Pappbecher ab. Charlotte kniff die Augen zusammen.

»Aber ich glaube ich sehe, was Klaus meint ... «

 

-o-o-

 

Es dämmerte, als sie ihr Hotel in Le-Grau-du-Roi erreichten. Dass hier ein anderes Klima als im verhältnismäßig kalten Deutschland herrschte, spürte Klaus deutlich. Die Luft roch frischer, sandiger. Seine Nase sagte ihm, dass das Hotel kaum hundert Meter vom Strand entfernt lag. Dabei konnte man das vom Haupteingang aus gar nicht ahnen, da das extrem hohe und breite Gebäude wie ein Wall entlang des Strandes gebaut worden war. Darum freuten sich die Schüler umso mehr, als sie durch einen schmalen Durchgangsspalt die Himmelsröte über den Wellen betrachten konnten.

»Wow! Das sieht echt cool aus!«

»Nicht schlecht, wo genau liegt unser Zimmer denn?«

»Weiß nicht, aber morgen müssen wir unbedingt schwimmen gehen!«

Das Gelaber der Jugendlichen stoppte prompt, als Herr Özdemir sich räusperte. »So, ihr Schachscheißer. Hier ist meine Handynummer. Ruft mich nur im äußersten Notfall an – wir sehen uns in vier Tagen wieder.« Dann drückte er Anna ein paar Reisepapiere in die Hand und verzog er sich in Richtung Hotelhalle. Verdutzt gafften die Schachclubmitglieder ihm nach, wie er locker mit der Sporttasche über der Schulter wegspazierte.

»Was für ein verantwortungsvoller Lehrer ... «, kommentierte Klaus.

Anna fasste sich als Zweite wieder. »Egal. Lasst uns auch einchecken! Komm mit, Charlotte!«

Gut gelaunt zerrte sie das Brillenmädchen mit sich, sodass beide ihre Koffer bei den Jungs vor dem Haupteingang vergaßen. Mehr oder weniger absichtlich.

»Die Koffer lässt sie natürlich stehen. Typisch Anna.«

Schon als sie klein waren, hatte Anna alles Mögliche hinterhergetragen bekommen – ein Charakterzug, von dem Klaus hoffte, dass sie ihn sich noch abgewöhnen würde. Gonzales übernahm die ehrenvolle Aufgabe, sich um Annas Gepäckverfrachtung zu kümmern, was Klaus dazu brachte, kopfschüttelnd mit seinem kleinen schwarzen Rolleykoffer zur Rezeption zu rollen.

Als schließlich alle Clubmitglieder mit Gepäck an der Rezeption standen und die Zimmerschlüssel abgeholt hatten, dämmerte auch Charlotte, dass ihre Reisetasche sich noch einsam auf dem Gehsteig langweilte. »Oh Mist! Ich habe mein Gepäck draußen vergessen ... «, zischte sie und spurtete hinaus.

»Arme Charlotte ... « Klaus beobachtete das Spektakel stumm, sah Gonzales und den anderen Jungs nach, wie sie sich sogar darum stritten, wer von ihnen Annas Koffer in den zweiten Stock hieven dürfte.

 

-o-o-

 

Am Ende der Tortur gewann Gonzales. Hechelnd schleppte er die Sachen ins Mädchenzimmer wie ein treuer, alter Hund. Genauso erschöpft torkelte fünf Minuten später Charlotte herein. Mies gelaunt linste sie mit schmalen Augen zu Gonzales rüber.

»Die Jungs im Schachclub sind alle nur wegen Anna da ... Kein Wunder, sie ist ja auch die Schulschönheit. Aber irgendwie komme ich mir dumm daneben vor.«

Dann verabschiedete sich der Schrank wieder und ließ die Mädchen allein. Augenblicklich begann Anna damit, ihre Sachen auf dem Tisch auszuladen.

»Oh, Anna packt aus! Die Gelegenheit!« Hellwach schnappte Charlotte sich einen Notizblock aus ihrer June-Tasche und schrieb alles auf, was Anna so an Hygieneartikeln benutzte. »Shampoo mit Zitronenduft. Duschgel mit Buttermilch. Auch Zitrone. Bodylotion ohne Duft, mit Gütesiegel. Haarbürste. Gesichtscreme mit Aloe Vera. Geldeodorant gegen Extra-Schweiß ... «

Natürlich tat Charlotte das nicht sonderlich unauffällig, sodass Anna bald stutzte.

»Charlotte? Was machst du da?«

»Oh ... äh ... nichts! Nur mein Reisetagebuch!«, schwindelte die Brillenschlange.

Anna hob kurz den Kopf und nickte dann, bevor sie weitermachte und besagte Hygieneartikel ins Bad brachte. »Ah! Voll die gute Idee!«

Dann trug sie ihre Kleider zu dem Holzschrank daneben und überzog ihr Bett mit einem frischen Laken. Charlotte sah ihr sehnsüchtig nach und starrte missmutig auf ihre Notizen. »Anna ist so wunderschön. Ich bin mir nicht sicher, ob da eine Creme hilft ... «

Da tippte die Schönheit ihr unerwartet von hinten auf die rechte Schulter.

»Ich hab es soweit ... wollen wir mal Küche, Bad und Gemeinschaftsraum angucken?«, fragte sie.

Charlotte nickte. Gemeinsam lugten sie ins Badezimmer, das sich in ihrem Zweier-Zimmer befand. Es sah normal aus, sauber. Kachelfließen, Waschbecken und WC glänzten in altrosa, die Lampe strahlte sie hell an. Ein paar weiße Handtücher hingen über zwei Metallstangen.

Anschließend begutachteten die Mädchen die Küche – diese und den Gemeinschaftsraum teilten sie sich mit den Jungs, denn: Sie hatten sich eine Ferienwohnung gemietet. Mit einem Zweier- und einem Viererzimmer, die jeweils zwei Bäder hatten. Eigentlich purer Luxus, aber wenn es die Schule bezahlte ... Außerdem waren die Preise scheinbar gering in Le-Grau-du-Roi.

In der kleinen Küche mit Holztheke, Herd und Wasserkocher trafen sie auf Chris. Sofort riss Anna ein paar Schränke auf. »Wohaa! Das bietet sich ja super zum Kochen an! Alles da, sogar ein Nudelsieb!«

»Ja. Theo hat vorhin schon gemeint, wir könnten ja morgen Curry machen oder so«, erwiderte Chris und fummelte an dem Reisverschluss seiner Kapuzenweste herum.

»Curry! Ich liebe Curry!« Anna strahlte wie eine Sternschnuppe an Weihnachten.

»Ich weiß ... «, sagte der blonde Junge leise und errötete leicht.

»Komm Charlotte, wir schauen mal ins Jungs Zimmer!«, beschloss die Schachclubpräsidentin daraufhin. Sie schien Chris Reaktion nicht bemerkt zu haben. Oder ignoriert, je nachdem.

Charlotte konnte ihr Verhältnis zueinander nicht wirklich einschätzen. Doch eines war klar: Sowohl Gonzales und Theo als auch Chris schmachteten Anna hinterher.

Chris folgte ihnen ins Jungenzimmer, das aus zwei Stockbetten auf engem Raum bestand. Eng im Vergleich zum Mädchenzimmer.

»Oh, Damenbesuch! Hier gibt's nichts zu sehen, gespannt werden hier nur Bettlaken!«, witzelte Klaus.

Charlotte konnte darüber nicht lachen – Anna schon, sie kicherte zuckersüß.

Ihre Fröhlichkeit berührte die Jungs. Gonzales wurde richtig tomatenrot bei Annas Anblick, Theo blieb eher cool. Alle Jungs waren noch am Auspacken, Klaus und Chris hatten offenbar die oberen Betten für sich beansprucht.

»Wir waren nur neugierig, wie euer Zimmer aussieht. Stimmt's, Charlotte?«, meinte Anna.

»Äh ... ja.« Nervös zupfte diese an ihrem Brillenrahmen herum. »Anna sagt solche Sätze einfach so ... offen und ehrlich. Und die Jungs werden alle ganz nervös in ihrer Gegenwart. Sie hat so eine krasse Ausstrahlung! Naja alle, bis auf Klaus. Der ist wie immer.« Klaus summte nämlich nur fröhlich vor sich hin, als er sein Kissen frisch überzog.

 

-o-o-

 

Nachts lag Charlotte wach und versuchte einzuschlafen. Immer wieder schielte sie zu Anna hinüber, die seelenruhig vor sich hinschlummerte. »Anna sieht sogar im Schlaf aus wie ein Engel. Jetzt kenne ich sie zwar ein Stück besser ... aber je mehr ich herausfinde, desto mehr glaube ich ... «

Der Tag brach an, die Sonne kitzelte ihre Augenlider durch die dünnen Stoffvorhänge hindurch.

» ... dass ich niemals so werden kann wie sie.«

Völlig übermüdet machte Charlotte sich an jenem Morgen fertig, zog ihren sattroten Erdbeerbikini an. Wie der Name schon verriet, war dieser gemustert wie die Oberfläche einer Erdbeere. Anna hingegen trug ein kleines Schwarzes, schlicht und elegant. Als sie so und mit Handtüchern und Strandtaschen bewaffnet runter zum Strand liefen, fielen Charlotte fast die Augen raus. Wie Anna sich bewegte, wie ihre Figur zur Geltung kam – Sie sah atemberaubend aus. Darum mussten die Jungs auch mehrmals schlucken, als sie die Schulschönheit in Badebekleidung erblickten. Charlotte meinte an Gonzales rechtem Mundwinkel Sabber zu erkennen.

»Da hilft definitiv keine Creme. Tassilo wird mich nie mögen.«

Klaus und die anderen hatten nahe am Wasser einen Sonnenschirm mit Handtuchlager aufgestellt, dort ließ Charlotte ihre Strandtasche fallen.

»Komm, lass uns auch ins Wasser gehen!«, drängte Anna sie munter und fasste ihr dabei an den Unterarm. Charlottes Laune besserte sich. »Super Idee! Ins Wasser ... !« Bis ihr ein gravierendes Problem auffiel. »Moment ... Was mache ich mit meiner Brille? Wenn ich sie mitnehme, könnte ich sie verlieren ... dann wäre die Reise gelaufen ... Hilfää ... ? Und wenn ich ohne gehe, finde ich womöglich nicht mehr zurück zum Strand ... Also ... « Charlotte nahm sanft Annas Hand von ihrem Arm weg. »Ich bleib lieber an Land!«

»Mist. Dabei habe ich mich schon darauf gefreut ... Die Gelegenheit, meine Bikinifigur zu verstecken.«

Skeptisch schaute Anna sie an, fand sich dann aber mit dem Korb ab und pilgerte zu Klaus zurück.

 

-o-o-

 

»Hrrm«, grummelte dieser. »Weißt du, was mit ihr los ist?«

Anna schüttelte den Kopf.

»Ich geh mal zu ihr.« Mit diesen Worten ließ Klaus seine Kindheitsfreundin stehen. Breitbeinig lief er auf Charlotte zu, die miesepetrig mit hängendem Köpfchen im Halbschatten unter dem Sonnenschirm saß, während die anderen bereits ihre Runden im Wasser drehten. Klaus stellte sich genau vor ihr in die Sonne.

»Charlotte? Was ist los?«, fragte er direkt.

»W-was meinst du?«

»Na du bist offensichtlich zum ersten Mal am Meer. Warum gehst du nicht mit ins Wasser?«

Das Brillenmädchen erschrak: »Gah! Woher weißt du das?!«

»Geraten.«

»Ich ... ich kann nicht ... « Sie verschränkte die Arme um die Knie, zog sie näher an sich heran.

»Mh?«

»Es ist ... wegen der Brille ... «, erklärte Charlotte schließlich wahrheitsgetreu.

Einen Moment lang sah Klaus weg, überlegte. Dann meinte er: »Hmh. Pass auf. Wir spritzen dich nicht nass, keiner tunkt dich. Und falls du sie doch verlierst, werde ich sie wiederfinden. Versprochen. Kommst du nun mit?« Ermutigend streckte er ihr die Hand aus.

Ein Lächeln huschte über Charlottes Lippen. Dann nahm sie sein Angebot an und erhob sich mit seiner Hilfe. »Okay, dann ja! Aber sag mal ... Wie machst du das mit deiner Brille?«, wollte sie wissen.

»Tjaa ... Ich muss damit leben ... Kontaktlinsen wären sicherlich besser, aber ... Ich habe Angst davor, mir ins Auge zu fassen.« Zur Demonstration deutete er auf sein rechtes Auge.

»Na so was ... «, fiel Charlotte dazu nur ein.

Gemeinsam liefen sie zu Anna, die ihre Füße in den Wellen badete und auf sie gewartet hatte. »Heii ihr zwei, alles gut? Kannst du vielleicht nicht schwimmen, Charlotte?«, fragte sie besorgt.

»Doch, doch! Alles ok, keine Sorge! Ich war nur noch nie im Meer.« Untermalend hob sie die Hände und winkte ab.

Anna zog eine Schnute und grinste im Anschluss. »Achso ... Das ändern wir gleich!«

 

-o-o-

 

Gemeinsam verbrachte der Schachclub einen wundervollen Tag am Strand. Sie spielten Wasserball, veranstalteten ein Wettschwimmen, bauten Sandburgen. Anna und Charlotte gingen Muscheln sammeln, während Theo und Klaus ihren Lieblingsangeber Gonzales im Sand eingruben ... Abends warf Klaus dann eine letzte Frage in die Luft: »Ich gehe nochmal eine Runde schwimmen, bevor wir zurückgehen. Kommt jemand mit?«

»Nö«, antwortete Gonzales.

»Nö«, antwortete Theo.

»Ich verzichte!«, antwortete Chris.

»Hä?!«, antwortete Charlotte.

»Ich komme mit!«, antwortete Anna.

»VERDAMMT!«, riefen alle Jungen außer Klaus gleichzeitig aus.

Charlotte dachte sich dabei nur ihren Teil. »So sehr ich Anna bewundere ... um ihren Fanclub beneide ich sie nicht! Oh je ... Ich gehe mich umziehen.«

So lief sie zurück zum Handtuchlager und schnappte sich ihre Strandtasche samt frischen Klamotten. Doch bevor sie die Umkleidekabinen neben dem Strandimbiss erreichte, ließen die Stimmen der Schachjungs sie aufhorchen. Hinter der angrenzenden Hecke saßen sie auf einer Bank und redeten.

»Schade, dass die Charlotte so hässlich ist.«

»Und so unweiblich.«

»Oh ja.«

»Da ist einfach nichts dran, und wenn, dann an den falschen Stellen.«

»Ich hatte gehofft, dass sie zumindest hier am Strand ein bisschen besser aussehen würde, aber die Brillenschlange macht ja nicht mal im Bikini eine gute Figur! Und dann noch mit diesem Knödel auf dem Kopf.«

»Anna 2.0 wäre cool gewesen.«

»Tja, man kann nicht alles haben. Wenigstens gab es heute Anna im Bikini.«

»Wo gehen wir eigentlich essen?«

»Ich dachte wir kochen Curry im Hotel ... ?«

Mit Tränen in den Augen wandte Charlotte sich von der Hecke ab und verschwand ohne sich umzuziehen.

»Es passiert schon wieder. Alle hassen mich ... nur wegen meinem Aussehen ...! Warum kann ich nicht hübscher, weiblicher sein? Selbstbewusster sein? So wie Anna?«

 

-o-o-

 

»Wir sind wieder da! On y va!«, rief Klaus munter, als er und Anna triefend nass von ihrer Sonnenuntergangs-Schwimmrunde zurückkehrten. [Übersetzung: Lasst uns gehen!]

»Jo, auf geht's!«, sagte Gonzales und schwang sich den zusammengefalteten gelben Sonnenschirm über die Schulter.

»Wo ist Charlotte?« Suchend sah Anna sich um.

»Keine Ahnung ... «, antwortete ihr Chris und hielt dabei ebenfalls Ausschau nach dem Brillenmädchen.

»Wir können nicht ohne sie gehen«, sagte Klaus. »Weiß jemand, wo sie sein könnte?«

»Ich glaube, sie wollte sich umziehen«, murmelte Theo. »Aber das ist schon länger her ... « Er schob sich seine Brille mit dem Zeigefinger hoch.

»Wir sollten sie suchen. Ich schaue mal in die Damen-Umkleiden«, verkündete Anna und stürmte los.

Sie klopfte an jede der Kabinen, doch in keiner war Charlotte aufzufinden. Enttäuscht kehrte sie zum Rest zurück.

»Keiner da ... Jungs, es sieht schlecht aus ... Was machen wir jetzt? Ich habe keine Ahnung, wo sie sein könnte ... «

»Dann müssen wir sie wohl oder übel suchen.« Klaus sprach aus, was keiner tun wollte.

»Ganz ehrlich: Ich hab keine Lust nach der Ollen zu suchen«, erklärte der Schrank der Gruppe knallhart.

»Gonzales!«, ermahnte ihn Klaus daraufhin.

»Was denn? Ich hasse Alleingänge«, erwiderte dieser schulterzuckend. Da mischte sich Theo ein: »Wir müssen aber auch die Sachen bedenken ... die können wir ja nicht einfach hier stehen lassen. Die Gegend hier ist zwar nicht bekannt dafür – aber Diebe gibt es überall.«

»Wir könnten uns aufteilen ... «, schlug Anna vor.

»Gut. Aber Anna sollte nicht allein in der Dämmerung suchen. Das wäre viel zu gefährlich«, fand Theo.

»Stimmt!« Bei einer Sache waren sich alle einig. Gleichzeitig schien den Schachjungs ein und derselbe Gedanke aufzukeimen: Wer blieb bei Anna?

Böse funkelten sich die Rivalen an.

Da kam Gonzales eine Idee, er bestimmte einfach: »Klaus! Die Suche war dein Vorschlag, also geh du nach Charlotte suchen, während wir die Sachen wieder ins Hotel bringen! Wir treffen uns nachher in der Lobby!«

Die anderen Jungs nickten eifrig. Die Lösung kam ihnen gelegen. Anna hätte so gern etwas eingewandt. Aber sie wusste, sie hatte sich dem Willen der Mehrheit zu beugen.

 

-o-o-

 

»Manchmal können die Jungs ganz schön asozial sein ... ich wette, sie haben was mit Charlottes Verschwinden zu tun.« Klaus lief den Strand entlang und es dauerte nicht lange, bis er Charlotte aufgabelte. Mit angewinkelten Beinen saß sie hinter einer Schilfwand und weinte.

Ein wenig überfordert von der schluchzenden Charlotte, setzte er sich erstmal daneben. Er dachte kurz nach und erriet auf Anhieb die Ursache für den Tränenausbruch des Brillenmädchens.

»Du heulst aber nicht wegen Gonzales oder so?«

Charlotte ließ zur Antwort ihren Kopf noch weiter sinken.

»Echt jetzt.« Genervt kratzte Klaus sich am Ohr. »Mann, bist du leicht zu kränken.«

Der Satz veranlasste Charlotte zum Weiterweinen.

»Mach dir nichts draus, das sind nur oberflächliche Behauptungen ohne Realitätsbezug, die er da vierundzwanzigsieben von sich gibt«, startete Klaus einen Trostversuch, der mächtig in die Hose ging.

Erstmals sah Charlotte auf. »Wie würdest du das denn finden, wenn man über dich sagen würde, dass du hässlich wie die Nacht bist?«

»Mir? Mir wäre das egal. Aussehen ist nicht alles«, erwiderte Klaus.

Das Mädchen vergrub ihre Finger im Sand. »Und wenn du weißt ... dass eine dir wichtige Person, vermutlich genauso über dein Äußeres denkt?«

»Wenn die Person sich nur für mein Aussehen interessiert, kann sie ja wohl nicht so wichtig sein.«

»Du warst bestimmt noch nie verliebt«, behauptete Charlotte.

Klaus Mundwinkel glitten nach unten.

Er starrte in die Ferne. »Doch.«

Die Aussage irritierte sie. Verwundert glotzte sie ihn an. Bevor sie etwas sagen konnte, fuhr er fort: »Nur halte ich nichts vom Verliebtsein. Das ist pure Zeitverschwendung.«

»Zeitverschwendung ... kann sein. In wen ... warst du denn verliebt? Uhm, wenn ich fragen darf ... «, sprach sie doch noch ihre Frage aus.

Die Antwort kam unerwartet schnell. Und hammerhart. »In ein Flittchen. Und in wen bist du verliebt?«

Charlotte errötete leicht und blickte zur Seite, ins Schilf. »In jemanden, der mich nicht liebt. Er ... mag Mädchen wie Anna, genau wie Gonzales und die anderen ... Nicht so unweibliche Brillenschlangen wie mich.«

Da sagte Klaus etwas Unglaubliches, noch während er die Wellen beobachtete, die das Rot des Himmels einfingen und davonschwappen ließen. »Also wenn du mich fragst, bist du die weiblichste Person, die ich kenne.«

Das Brillenmädchen riss die verquollenen Augen auf. »Wirklich?!«

»Du bist zickig, rechthaberisch, eine Heulsuse ... «, erläuterte Klaus, zählte die Punkte dabei an einer Hand ab.

»Na super!«

» ... aber hässlich bist du meiner Meinung nach nicht«, fügte er noch hinzu.

Sie seufzte. »Das ist ein schlechter Versuch, das Gesagte wieder gut zu machen! Ich weiß selber wie scheisse ich aussehe, ich habe einen Spiegel zu Hause!«

»Dann weißt du ja auch, dass du wie eine ganz normale Zehntklässlerin aussiehst.«

Die Argumente prallten an Charlotte ab wie Regentropfen an einer Glasscheibe. Trotzig hob sie die Arme und umfasste ihren Dutt mit beiden Händen. »Pass gut auf, ich werde dir jetzt zeigen, wie hässlich ich bin ... «

Mit zwei Handgriffen fiel die kupferfarbene Mähne herab, die Charlotte so lange zu verstecken versucht hatte. Die keiner sehen durfte. Die ihr so viel Leid im Leben beschert hatte.

Auch Klaus musste wegsehen – bei ihrem Anblick verdeckte er sich schnell die Augen mit seiner Hand. Oder besser gesagt die Wangen. »D-du kannst sie wieder zumachen!«, stotterte er und betete, dass sie seine Wangenfarbe nicht bemerkt hatte. »Wer hätte gedacht, dass Charlotte eine versteckte Schönheit ist?«

»Na siehst du. Hab ich's doch gesagt!« Sie band sich die Haare wieder zusammen.

Beschämt räusperte der Lockenkopf sich. »Ich will dir das überhaupt nicht sagen, aber du kapierst es sonst scheinbar nicht.«

Charlotte sah ihn fragend an, ihre verlorenen Tränen hatten nass schimmernde Bahnen auf ihrer zarten Wange hinterlassen.

»Ich finde du bist charmant, hübsch und intelligent. Sei einfach mehr du selbst und hör auf dich zu verstellen«, riet er ihr.

Binnen Sekunden wandelte sich die Stimmung des Mädchens.

»So etwas Liebes hat noch nie jemand zu mir gesagt! Bis auf Milou!«, rief sie dankbar aus und umklammerte Klaus Arm.

»Nur nicht übermütig werden!« Er scheuchte sie mit einer Hand weg von sich.

»Trotzdem glaube ich ... nein, weiß ich ... dass ich niemals gut genug für ihn sein werde ... « Jetzt hatte Charlotte sich wieder in das Häufchen Elend zurückverwandelt, das Klaus hinter dem Schilf vorgefunden hatte.

»Mann, hast du ein schlechtes Selbstbewusstsein. Das hätte ich von der Zicken-Charlotte nicht erwartet.«

»Deine Worte tun manchmal wirklich weh«, sagte sie.

»Deine auch«, erwiderte er.

Sie sahen sich direkt an. »Was ... habe ich denn gesagt?«, fragte Charlotte verunsichert und ahnungslos.

Klaus verschränkte die Arme auf den Knien. »Zum Beispiel nennst du mich immer vor allen in der Klasse Glasauge. Das ist nicht nur inkorrekt, da ich eine Brille trage und kein Glasauge habe, sondern auch noch total auf mein Äußeres reduziert. Komplett oberflächlich. Ich hasse sowas.«

Charlotte war sprachlos. Ihr war wohl nie eingefallen, dass auch sie andere mit ihren Worten verletzen könnte.

»Keine Sorge, wegen so was fange ich nicht gleich an zu heulen«, meinte Klaus und traf damit einen Nerv.

Erneut rannen ihr unter den Brillengläsern Tränen herunter. »Buhuu ... du hast keine Ahnung wie das ist, als Mädchen, wenn alle Jungs dich höchstens mit einem Stock anfassen würden!«, schluchzte sie.

Er seufzte, fasste sich ein Herz und sagte: »Na komm her.«

Während Charlotte Rotz und Wasser heulte und aufjaulte, als hätte ihr jemand den kleinen Zeh abgesägt, drückte Klaus sie an seine Schulter.

Umarmte sie. Sekunden verstrichen und das Brillenmädchen erwiderte seine Umarmung. Sie waren sich nah. Zu nah. Was Klaus spürte, versetzte ihn in Aufruhr. »Moment ... sind das ihre ... BRÜSTE!«

Augenblicklich vernahm Charlotte seine Erregung quiekte los: »IIIIIIIEEH!«

Klaus Zelt war aufgeschlagen, sein Gesicht schimmerte komplett purpurrot und Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. »Äh ... also ... äh ... «, stammelte er unsicher. Doch Charlotte hatte sich längt wieder beruhigt und starrte ihn mit Knopfaugen an, beziehungsweise, seine Beule in der Hose.

»Ich dachte immer, du wärst schwul«, kommentierte sie gelassener als erwartet.

Peinlich berührt hielt Klaus beide Hände vor sein bestes Stück. »D-das ist ein Versehen! Es ist nicht wegen dir ... ! Bitte erzähl das keinem weiter! So was passiert manchmal, ohne dass ich an irgendwas denke ... wirklich! Bitte behalt das für dich! Und ich bin hetero!«

Charlotte schaute dennoch zu der Stelle, die Klaus verdecken wollte. »DAS sehe ich.«

Dann fing sie an zu lachen.

»Wer hätte gedacht, dass mich das aufheitert. Jetzt weiß ich, dass ich vielleicht doch nicht ganz so hässlich bin!«

»Ich bitte dich ... erzähl das nicht weiter ... «, flehte Klaus zerknirscht.

»Ok, ok, mach ich nicht!« Sie lächelte. »Das werde ich nie vergessen!«

Panisch rief der Lockenkopf nur: »Charlotte!«

 

-o-o-

 

Schließlich kehrten die beiden wieder zur Ferienwohnung zurück. Immer noch beschämt von der ganzen Sache flüsterte Klaus Charlotte ständig zu, dass sie es auch wirklich niemandem erzählen sollte. Diese tat das Thema jedes Mal mit einem genervten »Jaja« ab. Anna bemerkte natürlich, dass etwas nicht stimmte und verhörte Charlotte später, als sie allein in ihrem Zimmer saßen.

»Was haben du und Klaus denn für ein Geheimnis?«

Charlotte erschrak und ließ beinahe das Handtuch fallen, das sie gerade zurück ins Bad hängen wollte. Dann setzte sie ein schlechtes Pokerface auf, das Klaus Alltagsblick imitieren sollte. »Gar keins«, antwortete sie monoton.

»Ach komm schon. Ich bin doch nicht blöd!« Anna lächelte und zwinkerte ihr zu. Deshalb errötete Charlotte leicht und wandte den Blick ab, um der Schönheit ja nicht in die Augen schauen zu müssen. Sie konzentrierte sich darauf, einen ruhigen Tonfall beizubehalten.

»Es ist wirklich nichts Großartiges. Eigentlich will Klaus nur nicht, dass ich euch seinen Spitznamen verrate.«

»Spitznamen?«

»Ich nenne ihn in der Klasse immer Glasauge«, log Charlotte mehr oder weniger.

Anna lachte auf. »Ach so. Wundert mich nicht, dass ihn das aufregt.«

»Ja. Total lächerlich. Als ob ihn alle damit mobben würden.«

»Das werde ich garantiert nicht.«

»Habe ich ihm auch gesagt. Und von den Jungs glaube ich das auch nicht.« Das Kupferduttmädchen verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Die würden ihn vielleicht mobben, aber nicht aus diesem Grund.«

»Ohje. Und ich dachte schon, es wäre was passiert«, äußerte Anna ihre Besorgnis, was Charlotte innerlich zusammenzucken ließ. Doch Gott sei Dank bemerkte die Schönheit ihre Unruhe nicht. »Ich gehe mal in die Küche und gucke nach dem Curry. Kommst du mit?«

»Ich komme nach, muss mich noch umziehen.« Sie deutete auf den Stapel Klamotten, den sie sich für die Party, die sie noch besuchen würden, zurechtgelegt hatte.

»Okay, bis gleich.«

Anna verließ das Zimmer.

 

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Im Flur traf die dunkelhaarige Schönheit auf Klaus. Frech grinste sie ihn an, was Klaus nervös machte.

»Du, Anna ... Charlotte hat dir doch gerade nichts Komisches erzählt, oder?«

Sie schnippte mit den Fingern. »Ach, wenn du das Geheimnis meinst: Das ist bei mir gut aufgehoben! Wir werden dir schon keinen Spitznamen verpassen!«

Klaus hätte sein Getränk ausgespuckt, hätte er eines getrunken.

Munter quetschte Anna sich an ihm vorbei in Richtung Küche, wo Theo seinen Kopf herausstreckte.

»Anna, du kommst gerade richtig zum feinschmecken. Du darfst gleich ‚Aaah!' sagen! Oh und Klaus! Würdest du nachher mal kommen? Ghihihi!«, giggelte der Chinese.

Am liebsten wäre Klaus im Erdboden versunken. Fuchsteufelswild wirbelte er um 180 Grad herum, stapfte zum Mädchenzimmer zurück und klopfte kräftig an die Tür.

Eine überraschte Charlotte öffnete ihm. »Was ist denn los?«

»Wie konntest du das verraten... ?!«

Charlotte fehlten kurz die Worte. »Hä, was?«

»Du bist echt das Letzte!«, warf er ihr an den Kopf.

So zornig hatte sie ihn noch nie erlebt. »Was soll das denn jetzt?!«

»Das weißt du ganz genau. Mir machst du nichts mehr vor, Miss Ich-bin-ja-so-hässlich. Vermutlich hast du das auch noch mit Absicht getan, um mich lächerlich zu machen!«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, aber das solltest du jetzt nicht so laut rumbrüllen!«, zischte sie und deutete mit dem Zeigefinger Richtung Küche, von wo aus neugierige Schachgesichter zu ihnen rüber starrten.

»Doch na klar, soll doch jeder wissen, dass du eine falsche Show abziehst! Aber weißt du was? Du hattest gar nicht mal so unrecht: Du bist wirklich hässlich wie die Nacht – von innen! Ich nehme jedes gute Wort über dich zurück!«

»Was ... ?«, sagte Charlotte geschockt.

»Richtig gehört. Du bist eine miese, verlogene Brillenschlange!«

Langsam sammelte sich das Wasser in ihren Augen. »Wenn ich so scheiße bin wie du sagst, wieso hast du dich dann überhaupt mit mir abgegeben, du Idiot?!«, motzte sie mit erstickter Stimme.

»Ich bin kein Idiot!«

»Oh doch. Du weißt immer alles besser, aber bist dumm wie Brot!«

»Wenigstens tue ich nicht so, als wäre ich dumm wie Brot!«

»Grrrr.«

»Weißt du, ich hatte echt Mitleid mit dir.« Er stemmte eine Hand in die Hüfte. »Wie kann man auch kein Mitleid haben mit einem Mädchen, das behauptet, dass der eigene Vater ein Arsch ist.«

Nun hatte er es geschafft, Charlottes wunden Punkt zu treffen. Die erste Träne tropfte auf den Teppichboden. »Wow. Du hattest also die ganze Zeit nur Mitleid mit mir. Gut zu wissen. Aber weißt DU was? Jetzt weiß ICH wenigstens, wie du wirklich bist: Ein Heuchler! Ein falsches Schwein! Und ein Lügner!«, brüllte sie.

»Das geb ich alles gern zurück, falsche Zicke.«

Klaus drehte sich um und ging ein paar Schritte weg.

»Glasauge!«, rief sie ihm wütend hinterher, was ihn dazu veranlasste, den Hals nochmal kurz zurückzuwerfen.

»Du weißt, wie sehr ich das hasse.«

»Und wie ich das weiß!«

 

-o-o-

 

Die Sonne hatte sich bereits vom Tag verabschiedet, doch das störte Klaus nicht, als er zurück an den Strand lief, um sich abzureagieren. »Blöde Kuh! Jetzt muss ich mir die nächsten Wochen ständig Ständerwitze anhören! Nur weil sie die Klappe nicht halten konnte!«

Nachdem er ein schönes Fleckchen im Sand gefunden hatte, setzte er sich und betrachtete die Sterne. Nicht lange blieb der Lockenkopf allein, sein Freund Theo war ihm hinterhergeeilt.

»Verschon mich bitte«, sagte Klaus.

Theo pflanzte sich gemächlich neben ihn. »Tu ich. Ich wollte nur mal anmerken, dass du die Knödel-Tussi voll hart rangenommen hast! Hätte ich nicht von dir gedacht! Ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, was die hier soll ... sie hat zwar Gonzales besiegt, aber das sagt nicht wirklich was über ihre Intelligenz aus. Immerhin ist sie in der Klasse ja eher eine von den hirnlosen Hühnern. Außerdem redet sie mit uns kaum was, total komisch. Ich verstehe nicht, warum sie in den Schachclub wollte. Und dann sieht sie noch aus wie eine Mischung aus einer Sekretärin und Emily Erdbeer!«

Irgendetwas an Theos Worten passte Klaus überhaupt nicht. »Mach mal halblang. Charlotte ist vielleicht eine blöde Zicke, aber man kann sich normal mit ihr unterhalten. Sie ist witzig, intelligent ... und so übertrieben hässlich, wie du und Gonzales sie darstellen, ist sie auch nicht.«

»Na wenn das so ist, warum hast du sie eben so runtergemacht?«, fragte Theo verwundert.

»Das weißt du doch ganz genau.« Grummelnd starrte Klaus ins Wasser.

Theo sah seinen Lockenfreund solange an, bis dieser ihn ansah – und die Fragezeichen im Gesicht des Asiaten erkannte.

»Moment. Charlotte hat euch nichts erzählt ... ?«, stellte Klaus schließlich fest.

»Bro, ich hab dir doch gerade erklärt, dass sie nicht mit uns redet.«

»Theo! Was sollte der Spruch eben in der Küche?«

»Welcher Spruch?!«

Ihm ging nun ein Licht auf. Das eine hatte nichts mit dem anderen zu tun.

»Jedenfalls weint sie sich gerade die Seele aus dem Leib«, erwähnte Theo.

Daraufhin erhob sich Klaus und ging zurück.

 

-o-o-

 

Dabei traf er die Clubpräsidentin im Flur der Ferienwohnung. »Anna, kann ich dich kurz sprechen?« Es war ihm ernst, das spürte Anna.

»Äh ... aber klar doch.«

»Du musst mir genau sagen, was Charlotte dir erzählt hat!«

Prompt wanderte Annas Laune in den Keller.

»Was interessiert dich das ... ich dachte, dir ist doch egal, was Charlotte sagt, oder?«

»Bitte, Anna.« Klaus sah ihr direkt in die Augen.

»Mist. Wieso interessiert er sich bloß so für sie? Ich hasse sie.«

»Ich habe es dir doch schon gesagt – sie hat mir deinen Glasauge-Spitznamen verraten«, antwortete Anna wahrheitsgetreu.

»War das alles?«

»Was habt ihr zwei denn so ein großes Geheimnis, dass ihr es mir nicht erzählen könnt?« Anna lächelte, doch eigentlich war sie verzweifelt. »Warum? Warum habt ihr ein Geheimnis vor mir?«

Erleichtert atmete Klaus aus. »Das macht mich wirklich froh. Ich glaube, ich muss mich bei Charlotte entschuldigen.«

Die Panik übermannte Anna. »Was?! Nein!« Darum musste sie sich schnell etwas einfallen lassen.

»Äh Klaus ... eine Sache wäre da noch ... «

Sofort schrillten seine Alarmglocken los. »Was? Hat sie noch etwas gesagt?«

Anna sah verlegen zur Seit auf den Boden, während sie sprach: »Ja also ... äh ... Sie meinte, am Strand wäre noch was passiert. Meinst du das?«

Geschockt und verlegen gleichzeitig ballte Klaus seine Hand zur Faust.

»Anna, lüg mich gefälligst nicht an.«

Der Satz traf sie mitten ins Herz, so viel Wut lag darin. Dann fuhr er fort: »Als wir Kinder waren, hab ich dir die meisten Lügen abgekauft. Aber wir kennen uns immer länger und du schaust immer weg von mir, wenn du lügst. Unsere Freundschaft ist mir wirklich wichtig, also mach sie nicht durch so was kaputt. Ich denke, ich verstehe, was in dir vorgeht ... «

Sie fühlte sich ertappt. Blanke Panik übermannte ihren Körper. So gut es ging, versuchte sie ihr Zittern zu verbergen. »Weiß er von meinen Gefühlen?!«

»Ich denke, du hast Angst, dass Charlotte die Beziehung zwischen uns beiden verändern könnte. Aber du musst keine Angst haben. Zwischen dir und mir wird sich nichts verändern, das verspreche ich dir. Aber lüg mich nicht an.«

Dann ging er in das Zimmer, in dem Charlotte sich gerade die Seele aus dem Leib heulte und ließ Anna allein. Mit dem Echo seiner Worte im Herzen.

 

-o-o-

 

Als Klaus das Mädchenzimmer betrat, sah er Charlotte nicht – dafür eine große, dicke Rolle aus einer Bettdecke, die an einen Burito erinnerte. Sie hatte sich wohl darin eingewickelt. »Hey ... Charlotte. Wegen dem, was ich vorhin gesagt habe ... «, begann er, ging langsam auf ihr Bett zu und setzte sich. Dann hob er sachte einen Teil der Decke hoch, an dem er ihren Kopf vermutete. Was er sah, ließ ihn in der Bewegung versteinern.

Da saß eine völlig aufgelöste Charlotte.

»Sie ... sie ist nicht einfach nur traurig, so wie am Strand. Sie ist nicht traurig. Das, was ich gesagt habe, unser Streit – hat sie richtig verletzt.« Erschrocken verdeckte er mit der Hand seinen Mund, als könnte er seine Gefühle verstecken.

»Verschwinde!«, plärrte sie ihn an, mit einem leidenden Blick. Ihre Brillengläser waren milchig geworden durch das Tränenwasser. Es war alles seine Schuld.

Klaus senkte den Kopf, sodass sich seine Brille spiegelte. »Was ich gesagt habe war nur, weil ich dachte, du hättest unser Geheimnis verraten ... «, brachte er mühsam hervor.

Charlotte heulte immer noch Rotz und Wasser, schrie aufgebracht: »Und selbst wenn ...? Jetzt weiß ich ja, dass du mir die ganze Zeit nur aus Mitleid geholfen hast. Ich hasse dich, Klaus! Und jetzt hau endlich ab und lass mich in Ruhe, sonst knallt's!«

Immer noch hockte Klaus mit gesenktem Kopf da, er biss sich nun auf die Lippen. Zitterte. Dann stand er auf, lief aus dem Zimmer und schloss die Tür. Von außen lehnte er sich dagegen, sank daran hinunter und kauerte sich zusammen. Legte wieder seine Handfläche auf die Lippen, als wäre ihm übel. Aber ihm war nur schlecht.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Werden sich Charlotte und Klaus wieder versöhnen?
Wer ist Klaus Ex-Freundin?
Erfahre mehr in Verliebtsein macht kurzsichtig 2

Links zum Weiterlesen findest du auf:
www.whiscy.de/verliebtsein-macht-kurzsichtig

Insgesamt ist Verliebtsein macht kurzsichtig in 4 Bänden abgeschlossen.

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