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Verliebtsein macht kurzsichtig

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von

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Der Schäferzug

Kaum, dass der Pausengong ertönte, eilte Charlotte ins Sekretariat, als ginge es um ihr Leben – nun gut, das tat es auch in gewisser Weise. »Wenn ich Nachhilfe gebe – dann wird Mama mehr als einverstanden damit sein. Es kann sein, dass ich dann wieder Streberin genannt werde ... aber ... vielleicht kann ich lernen, darüber zu stehen ... So wie Klaus.«

Charlotte ließ sich von der pummeligen Sekretärin mit den Hamsterbacken in die Nachhilfelehrerliste eintragen und lächelte megazufrieden. »Bei einem richtigen Nebenjob hätte ich das Geld bereits nach einem Monat zusammen ... Aber da ich noch fünf Monate Zeit habe, ist selbst ein geringer Lohn ausreichend! Hoffentlich meldet sich nur jemand ... «

 

-o-o-

 

In der nächsten Unterrichtsstunde schneite Herr Özdemir mit sagenhaften Neuigkeiten herein: »Aufgepasst, ihr Fruchtzwerge! Einige von euch werden sich heute freuen. Anna Marbach aus der 10a hat in diesem Halbjahr mit ihrem Team den Pokal für die deutschen Schulschachmeisterschaften geholt. Deshalb hat die Schulleitung beschlossen, die Schach AG weiter zu fördern, indem sie dessen diesjährige Bildungsfahrt sponsern. Theodor Hoffmann, Klaus Guggenmoos ... « Er klopfte zweimal bedächtig auf den Tisch, bevor er fortfuhr: »Herzlichen Glückwunsch!«

Dann fing Herr Özdemir an, enthusiastisch in die Hände zu klatschen, sodass die gesamte Klasse miteinstimmte.

»Echt jetzt...? ... Der ... geht UMSONST auf Clubfahrt? So gut kann Anna dann doch gar nicht sein! Wenn er besser als Anna sein soll, was Schach betrifft ... «

Charlotte grübelte und grübelte, sie fand den Gewinn ziemlich ungerecht. Außerdem erlaubte sie sich den Gedanken, dass es vielleicht eine Sache gab, in der sie Anna überlegen war. Auf jeden Fall machte sie die Clubfahrtsache extrem neugierig.

»Psst, Klaus, wo fahrt ihr denn hin?«, flüsterte sie Klaus deshalb zu.

Dieser antwortete zwar, aber Charlotte konnte kein Wort verstehen.

»Hää, was soll das heißen?!«, wunderte sie sich daher.

Aber nicht lange, denn vor ihrem Tisch stand bereits Herr Özdemir und empfing sie mit seinem finsteren Todesblick. »Laberbacken sitzen nach, weißt du ja, Charlotte?«, ermahnte der Lehrer sie, woraufhin das Mädchen energielos stöhnte: »Ja ... Ich weiß ... «

 

-o-o-

 

Als das Nachsitzen endlich vorüber war, atmete Charlotte tief aus – sie musste sich beruhigen, sonst würde sie den nächstbesten Schüler, der ihr über den Weg lief, vor lauter Wut umlegen.

»Wo ist diese blöde Schach AG!« Die Sechzehnjährige blies die Backen auf, guckte die gegenüberliegende Tür des Nachsitzraumes an und stellte fest, dass sich der Schachraum genau hier befand. »Das ging ja schnell ... «

Dennoch war sie entschlossen – in der letzten Stunde hatte sie viel Zeit gehabt, um über ihr weiteres Vorhaben genau nachzudenken. Deshalb klopfte sie nun kräftig an die Tür.

Von innen drangen ein paar Stimmen nach draußen, eine näherte sich. Schließlich machte Anna ihr auf. »Ja ...? Oh, Charlotte. Was kann ich für dich tun?«, fragte sie höflich.

»Ich ... hrmmhrmm«, räusperte sich die Brillenträgerin. » ... ich möchte gerne der Schach AG beitreten!«

Verdattert glotzte Anna sie an, bevor sie beteuerte: »Das tut mir leid, aber ... wir nehmen momentan keine neuen Mitglieder auf, erst Anfang nächsten Schuljahres wieder.«

»Oh ... «, entfuhr Charlotte.

Da rief einer der Mitglieder lautstark nach Anna.

»Ich muss dann wieder ... «

»Oh, ja – kein Problem!« Das Mädchen mit dem Kupferdutt winkte ab und verkniff sich ihre Enttäuschung. Doch bevor sich die Tür zum Schachclub schloss, stemmte sich eine Hand dagegen – Klaus Hand.

»Wer ist denn da? Oho, Charlotte! Sag bloß du willst jetzt doch in die Schach AG!«, traf er den Nagel auf den Kopf.

»Woher weißt du das?!«, sprudelte sofort aus Anna heraus.

»Hehe. Ich hab sie eingeladen«, verriet er ihr grinsend. Die Schulschönheit wirkte darüber nicht besonders glücklich. »Oh ... Achso ... «, sagte sie trocken.

Da fügte Klaus hinzu: »Charlotte ist wirklich schlau. Sie hat immerhin bei der letzten Matheolympiade den ersten Platz gemacht.«

»Wir könnten sie zwar tatsächlich gebrauchen, aber ... Regeln sind Regeln.«

Anna sorgte wirklich immer für Ordnung und Sitte, das musste man ihr lassen.

»Ach komm schon, Anna. Stell dir vor, wie cool das wäre, wenn wir noch jemanden aufstellen könnten. Und Gonzales ... «, wandte Klaus ein.

Zähneknirschend gab sie nach – Seine Argumente hatten sie wohl überzeugt. »Ok, schon gut. Du musst trotzdem den Aufnahmetest bestehen, Charlotte. Ist das in Ordnung?«

»Äh ja klar!«, stammelte sie und schob sich die Brille wieder hoch, die heruntergerutscht war.

»Dann komm rein!«, sagte Anna und hielt ihr die Tür auf.

Das Zimmer der Schach AG war ein alter Kollegstufenraum für Oberschüler, der kurzerhand nach Gründung des Clubs umfunktioniert worden war. Darum stellten sich hier einige verratzte Sofas quer, es gab ein Waschbecken, eine Tafel und eine Pinnwand. Auf letztere hatten die Mitglieder ihre Siegerurkunden gepinnt – es waren verdammt viele. Charlotte staunte. Mitten im Raum, im Herzen von zwei Sofas und zwei Sesseln, präsentierte sich ein Wohnzimmerglastisch mit Schachbrett. Darum herum saßen Theo, der Quotenasiate aus Charlottes Klasse, und zwei weitere Typen, die der Uniform nach zu urteilen mit Anna die Begabtenklasse besuchten. Die grauen Blazer hatten etwas Erhabenes an sich. Schmerzvoll dachte Charlotte daran, dass sie wohl auch in diese Klasse gepasst hätte, hätte sie sich in der Vergangenheit mehr Mühe gegeben. So wie Anna.

Klaus pflanzte sich zu den Jungen auf das Sofa neben Theo mit der Topffrisur. Schon immer hatte Charlotte die zwei für ein passendes Duo gehalten: beide Brillenschlangen, beide Nerds, beide mit lächerlichem Haarschnitt.

Da sie nun leider mit zum Glasaugentrupp zählte, durfte sie eigentlich nicht weiter über die Zwei herziehen. Deswegen ließ sie die bösen Gedanken ruhen und setzte sich ebenfalls in einen der Ledersessel vor dem Schachbretttisch.

»Hey Leute, das hier ist Charlotte. Charlotte, das sind Theo, Chris und Gonzales. Charlotte möchte gern dem Schachclub beitreten. Wer von euch möchte sie herausfordern?«, stellte Anna sie einander vor.

Theo guckte in die Luft, als wolle er nichts mit der Sache zu tun haben und Chris erweckte den Anschein zu frieren – so stark zitterte er. Der Junge wirkte auch ziemlich schmächtig und blass, vielleicht war er ja krank? Oder die hellblonden Haare brachten seinen Teint einfach nicht gut heraus. Auf jeden Fall war ersichtlich, dass der Möchtegern-Schwede keine Lust auf ein Schachspiel hatte.

Der letzte in der Runde verschränkte selbstgefällig die Arme. »Ich würde mich heute dazu bereiterklären«, meinte er und grinste kampflustig. Gonzales hatte kurzgeschorene, rotbraune Haare und buschige Augenbrauen, von denen er eine selbstsicher hochgezogen hatte.

Anna klatschte einmal kurz die Hände zusammen und sagte dann zu Charlotte: »Prima. Um bei uns Mitglied zu werden, musst du eines der bestehenden Mitglieder besiegen. Aber du hast nur einen Versuch, also lass dir ruhig Zeit bei deinen Zügen.«

Charlotte musterte Gonzales genauer, er schien wild entschlossen und siegessicher zu sein. Von der Statur her schätzte sie ihn als sportlichen, muskulösen Typen ein. Dessen Größe sein Übriges zu diesem Eindruck beitrug. Er war körperlich gesehen ein langer, breitschultriger Schrank. »Auweia. Was das für ein Typ ist ... « Sie war froh, dass es sich bei dem Wettkampf um Schach und nicht um Wrestling handelte.

»Bitte sei nicht allzu traurig, wenn es nicht klappt. Ich bin kein einfacher Gegner!«, prahlte Gonzales während sie die Figuren aufstellten.

»Eingebildet also ... !« Es blieb Charlotte keine Zeit, ihre Gedanken fortzuführen, die Präsidentin des Schachclubs starrte sie bereits erwartungsvoll an. »Seid ihr bereit? Weiß beginnt!«, moderierte Anna.

In dem Fall: Charlotte. Sie wusste genau, was sie bei ihrem ersten Zug tat – und einige Clubmitglieder erkannten ihre Strategie ebenfalls. »Ist das nicht ... ?«, raunte Klaus Anna zu, die neben dem Sofasitzer stand.

Sie nickte ihm zu: »Ja.«

Zwei Züge später fielen dem stämmigen Gonzales fast die Augen heraus. »Was?! Ich bin matt?!«, fiepte er entsetzt.

Charlotte grinste selbstzufrieden.

»Wie ist das möglich?!«, plärrte ihr Gegner weiter, und wollte eigentlich überhaupt nicht wissen, wie das Ganze von statten gegangen war – doch Anna klärte ihn trotzdem auf: »Die Technik, die sie angewandt hat, ist der Schäferzug! Es ist ein Anfänger- oder Kindertrick um ahnungslose Gegner in drei Zügen zu schlagen. Allerdings spielt diese Taktik heute kaum noch jemand, da der Schäferzug bereits aus dem ersten Zuge heraus ersichtlich ist und sofort geblockt werden kann.«

»Ich verlange eine Revanche! So ein mieser Trick ist kein echtes Schach!«, protestierte der Schrank und zeigte mit dem nackten Finger auf die angezogene Charlotte.

»Nun ja ... sie hat fair gewonnen, Gonzales. Als erfahrener Spieler hättest du den Schäferzug bemerken sollen. Deshalb ... herzlich Willkommen im Schachclub, Charlotte!«

Anna und die anderen fingen alle an zu klatschen – bis auf Gonzales.

»Huh? Ich hab's geschafft! Bin ich jetzt etwa schon ein bisschen mehr ... wie Anna?«

Diese ging durch die zweite Tür, die Charlotte erst jetzt bemerkte und welche vermutlich zu einem ehemaligen Putzschrank führte, holte einen Papierstapel hervor und setzte diesen auf dem Glastisch neben dem Schachbrett ab. Es waren alles Reisemagazine und Prospekte.

»Gut. Da wir jetzt alle vollzählig sind, schlage ich vor, dass wir mit der Planung der Clubfahrt beginnen. Ich bin mir sicher, ihr habt viele Wünsche und Ideen ... «

»Anna, wie kannst du nur dulden, dass diese Brillenschlange mitfährt!«, motzte Gonzales weiter »Die ist doch bestimmt nur angetanzt, um umsonst zu verreisen!«

Leider fühlte sich Charlotte jetzt seltsam ertappt.

Zum Glück verteidigte Klaus sie: »Halt Mal Gonzales, ich habe Charlotte in den Schachclub eingeladen, ganz unabhängig von der letzten Siegerehrung. Und ich wusste bisher selbst nichts von der Sponsorenreise.«

Charlotte wurde immer mulmiger zumute, sie bekam ein schlechtes Gewissen. »Uhm ... eigentlich hat Gonzales ja recht ... ich bin nur da, weil ich gerne umsonst verreisen würde – und, um mir zu beweisen, dass ich ... eines Tages der Mensch werden kann, den Tassilo gern hat.«

Einer, der ihren Gefühlswandel registrierte, war Theo, der scharf zu ihr herüberlinste. Er schlug vor: »Vielleicht sollten wir sie nochmal gegen einen besseren Gegner antreten lassen.«

Der Satz vernichtete das Ego des Schrankes im grauen Blazer. »Besser?! Was soll das heißen?! Eine Revanche mit mir genügt völlig!«

Die beiden wollten sich fast schon an die Gurgel gehen, da ging Klaus dazwischen und mischte sich ein: »Hört mal. Charlotte hat mich besiegt. Darum habe ich sie erst gefragt.«

»Oh!«, staunten alle Beteiligten gleichzeitig.

»Na wenn das so ist«, meinte Theo und rückte seine Brille mit dem kleinen Finger zurecht.

Die ganze Zeit über war Chris, der äußerlich betrachtete Möchtegern-Schwede, stumm geblieben und hatte Anna beobachtet. Jetzt meldete auch er sich zu Wort:

»Ich finde, Anna sollte das entscheiden, als unsere Präsidentin.«

Die Schulschönheit starrte verbissen auf den Prospekthaufen. Die Entscheidung schien ihr schwer zu fallen.

Sie schaute erst zu Chris, dann zu Klaus. Dann sagte sie bestimmend: »Regeln sind Regeln. Und laut Regeln hat Charlotte aufrichtig unseren Aufnahmetest bestanden und ist jetzt ein vollwertiges Mitglied der Schach AG der Kopernikus-Gesamtschule. Und deshalb wird sie auch auf unsere Bildungsfahrt mit dürfen.«

» ... « Die Jungs gaben Ruhe.

Chris lächelte sie mild an. »Na also, alles geklärt.«

Klaus zeigte seiner Kindheitsfreundin ein fesches Daumenhoch. »Gut gesprochen, Anna!«

Gefasst wie immer sprach die dunkelhaarige Schönheit gleich den nächsten Diskussionspunkt an: »So und jetzt zurück zum Thema. Ich schlage eine Fahrt an die südfranzösische Küste vor.« Sie hielt eines der Magazine hoch.

»Wohaa! Das Meer! Super Idee!«, rief Gonzales freudig aus.

»Also ich bin dabei!«, bestätigte auch Theo, genau wie Klaus: »Meer klingt super!«

»Was meinst du, Charlotte?«, wollte Anna von Charlotte wissen. Sie lächelte das neue Schachclubmitglied an.

»Was, ich, ähm ... ja!«, schreckte sie hoch.

Dass Anna Charlottes Meinung berücksichtigte, war wirklich nett. Um ehrlich zu sein, wäre das Mädchen überall hin mitgefahren.

Daraufhin wendete die Schachclubpräsidentin sich allen zu: »Voll gut! Dann ist das schon mal beschlossen: Die Schach AG fährt ans Meer.«

 



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