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Es waren einmal ...

... zwei verzauberte Frauen
von

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Die Sonne stand tief hinter den kahlen Ästen der Bäume, während das helle Blau des wolkenlosen Himmels von der Nacht verneinahmt wurde. Zur selben Zeit erschienen auch die ersten Sterne und einer nach dem anderen fügte sich zu dem glitzernden Ballett hinzu, das jeden Abend begann und erst in den frühen Morgenstunden endete. Eine klirrende Kälte, deren eisige Finger nach Rosas Gliedern griffen, wurde mit dem Wind und der Dunkelheit herangetragen. Sie wusste, wenn das Moosmännchen nicht bald kam, würde es sie erfroren vorfinden – um dem entgegenzuwirken, fing sie an auf der Lichtung auf und ab zu gehen, dabei huschte ihr Blick immer wieder hoffnungsvoll in die Richtung, in die das Männlein verschwunden war.

Mit jedem neuen Windstoß nahm die Kälte zu und Rosa zog sich ihre Kleidung noch enger an den Körper. In der Zwischenzeit, so musste sie erkennen, war die Sonne fast gänzlich verschwunden und nur noch die letzten Strahlen des Abendrotes flirrten und flimmerten durch die Äste hindurch.

Rosa ließ die Arme kreisen, um der Kälte zu widerstehen, doch bald musste sie sich eingestehen, dass dies auch nicht half. Um ihren Händen Wärme zukommen zu lassen, hauchte sie ihren Atem an die Innenflächen und gerade als sie dabei war an den Fingerspitzen diese Wohltat zu wiederholen, vernahm sie das Knacken eines Astes in der unmittelbaren Nähe.

Sofort hielt sie inne und späte zögerlich in den nun schon düsteren Wald hinein, in der Hoffnung etwas erkennen zu können, doch der aufgehenden Mond hielt sich noch hinter den Bäumen versteckt und spendete so nur wenig Licht. Rosa wurde von einem unguten Gefühl ergriffen, das mit der Angst einherging und sie wagte nicht, die aufgekommene Stille mit ihrer Stimme zu zerreißen, in dem sie nach dem Moosmännchen rief.

Erneut knackte es und sie zuckte unwillkürlich zusammen. Langsam drehte sie sich in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war. Sie wollte Schutz bei einem breiten Eichenstamm suchen, blieb aber nach dem ersten Schritt wie angewurzelt stehen, denn direkt daneben, im Dunkeln, leuchteten mit einmal gelbe Augen auf und es folgten weitere. Rosa entdeckte ein Augenpaar nach dem anderen und unter jedem erkannte sie weiße Fänge, die durch das Hochziehen der Lefzen deutlich hervorstachen. Von den geifernden Schnauzen schien ein unheimliches, phosphoreszierendes Leuchten auszugehen.

In Rosas Rücken gingen die letzten grüngelben Strahlen des Tages zur Neige und nun herrschte die Nacht über das Land. Sie wusste nicht, ob sie es Glück oder Unglück nenne sollte, dass der Schnee noch so rein und unberührt war, denn die weiße Oberfläche reflektierte das Sternen- und zum Teil noch verdeckte Mondlicht und sie erkannte, wem sie gegenüberstand: einem Rudel Fenriswölfen.

Mit geöffneten Mäulern traten die riesigen Tiere zwischen den Bäumen hervor und als sich Skalli Fenrisson aus der Dunkelheit in seiner ganzen Größe materialisierte und Rosa seinen Gestank wahrnahm, konnte sie den Impuls, keine unbedachten Bewegungen zu machen, nicht mehr unterdrücken. Sie schnappte nach Luft und bevor auch nur einer der Wölfe zur Hetzjagd ansetzte, rannte sie schon.

 

 

Die Fingerspitzen trommelten einen ungeduldigen Rhythmus auf der Arbeitsfläche des dunklen Schreibtisches. Ein Blick zur Standuhr verriet ihm, es war Zeit für den Schlafmohn aber anscheinend hatte Inos Zofe Rosa noch keine Erdbeeren und Kirschen gefunden – im Winter eine vergebliche Suche – deshalb hoffte er nun auf das baldige Erscheinen der zweiten Zofe. Da Ino den Schlafmohn dieses Mal aussetzte, wegen ihres unstillbaren Hungers nach eben jenen Kirschen und Erdbeeren, schickte er, nachdem weitere Zeit vergangenen war, einen Pagen nach Lilac.

Sasuke hatte nicht vor das Reich der Elfen zu besuchen, die Warnung seiner inneren Stimme und auch das merkwürdige Verhalten des Elfenkönigs hallten noch immer in ihm nach. Aber so ganz ohne Schlafmohn? … Er war skeptisch mit sich selbst, schließlich wusste er nicht wie schwach sein Geist in Wirklichkeit sein würde, trotz des negativen Bauchgefühls. So war es kein Wunder, dass ihm die Antwort des Pagen nicht amüsierte als dieser mit der Zofe im Schlepptau zurückkehrte, damit sie seine Aussage bestätigte.

 

Lilac kannte die richtige Dosierung des Schlafmohns nicht und konnte der Trank nicht zubereiten. Das bekümmerte die Zofe so sehr, dass sie nur noch stottern konnte. Aus ihrer gestammelten Erklärung hörte Sasuke auch die große Sorge um ihre Freundin heraus, was natürlich ihn als König zur Pflicht rief. Er musste als gutes Vorbild für den Adel in dieser Hinsicht voranzuschreiten, daher versuchte er die Zofe zu beruhigen, indem er ihr versicherte, Rosa habe sicherlich einen Unterschlupf für die Nacht gefunden und brauche sich keine Sorgen bei ihrer Rückkehr ins Schloss zu machen. Außerdem würde er am nächsten Tag einen Suchtrupp entsenden, gleich in der Früh.

 

Sasuke konnte nach Lilacs Abgang nur den Kopf über so viel Unvernunft schütteln, die nicht nur Ino, sondern auch er an den Tag gelegt hatten. Erdbeeren und Kirschen im Winter, was für ein Schwachsinn? Warum hatte er Inos Absicht, die Zofe loszuschicken, nicht erkannt? –

Manchmal fragte er sich wirklich, woher sie solche Ideen bekam. Von den Eltern konnte sie es nicht haben, beide kannte er als durchaus Tolerant den Untergebenen und Freigiebig der Dienerschaft gegenüber. Ungewollt schweiften seine Gedanken zu Sakura, die nie solche Anwandlungen besaß wie Ino sie manchmal zeigte und deshalb hatte er sich schon immer die Frage gestellt, wie es zu der Freundschaft zwischen den beiden seit Kindertagen kommen konnte.

Sasuke seufzte. Jetzt war er wieder bei ihr angelangt und er fürchtete die kommenden Stunden der Nacht, wenn seine Erinnerungen emporbrachen und ihm keine Ruhe ließen. Es war nicht nur sie an die er dann dachte, vor seinem geistigen Auge erschienen dann auch Bilder von seiner Familie – sein Vater, seine gütige Mutter und sein geliebter großer Bruder, wie Geister würden sie zusammen mit Sakura widererstehen.

Auf einmal stutzte er, denn vor Sakuras Gesicht schob sich ein anderes, das von Rosa. Er schüttelte den Kopf, um das Bild rauszubekommen. Erneut konzentrierte er sich nur auf Sakura aber wieder erschien nach kurzer Zeit Rosas Antlitz. Er holte das Amulett hervor, doch statt des bekannten Gemäldes, war es ein Bildnis der Zofe, das er sah. Sasuke starrte ohne wirklich etwas zu betrachten und konnte sich das Warum nicht erklären.

 

Am Tag der Verlobung mit Sakura, hatte er ihr ewige Treue geschworen, so wie sie ihm und an diesem Schwur würde er festhalten, selbst dann, wenn er von ihrem Tod erfahren sollte. Für ihn gab es nur sie, immer – sie oder keine; und nun kam eine Zofe daher, ausgerechnet eine Zofe, die sich einen Weg in seinen Kopf bahnte und Sakuras Antlitz zu überdecken drohte.

„Welch eine Enttäuschung.“, murmelte Sasuke niedergeschlagen. Da gab es hunderte von jungen Damen aus Fürstenhäusern und Grafschaften und er entwickelte ein ungutes Interesse an einer Zofe. Kaum hatte er dies begriffen, malte sich sein Gehirn auch schon aus, welche Folgen daraus entstehen konnten. Sofort unterband er diese Hirngespinste und gerade als er sich die Frage stellte, weshalb er überhaupt über solche Szenarien nachdachte, bemerkte er das rote, pulsierende Leuchten aus der verborgenen Lade seines Schreibtisches.

Der Impuls ließ ihn die Hand heben aber seine innere Stimme veranlasste ein Zögern. Sasuke wusste, dass er das nicht tun sollte aber er konnte nicht mehr wegsehen. Das Licht im Inneren der Lade strahlte förmlich aus den Ritzen heraus. Sein Hals fühlte sich plötzlich trocken an und wie gebannt betrachtete er eine ganze Weile das Leuchten.

Ohne es wirklich zu bemerken, öffnete er schlussendlich doch die Lade und blickte auf den Ursprung des roten Lichtes. Der steinerne Elfenring rief, flüsterte und umgarnte ihn. Jetzt wo er ihn sah, war die Anziehung ihn in die Hand zu nehmen so groß, dass selbst seine innere Stimme an Kraft verlor und nicht mehr vermochte ihn aufzuhalten.

Als Sasuke die Hand nach dem Ring ausstreckte, hielt er die Luft an. Zuerst berührte nur die Kuppe seines Zeigefingers das steinerne Schmuckstück aber das reichte schon aus, damit sich für einen wunderbaren Augenblick alle Gedanken an die Zofe, alle Erinnerungen an Sakura und seine Familie und der Zweifel, den seine innere Stimme ihm zuschrie, auflösten. So schnell, wie die Befreiung gekommen war, zerfiel der Moment des Glückes auch schon wieder und die schmerzvolle Vergangenheit und die verwirrenden Einfälle kehrten flutartig zurück. Sasuke zögerte nicht länger, er nahm den Ring an sich und ließ das Amulett auf dem Tisch liegen. Das rote Licht erlosch in dem Moment als er ihn, zusammen mit seinem Bedenken, dass es doch keine gute Idee sein würde in das Elfenreich zurückzukehren, in die Tasche steckte.

Sasuke wurde sich blitzartig seiner Sterblichkeit so bewusst wie nie und eine andere innere Stimme, geboren aus der Magie des Ringes, flüsterte ihm zu: Die Zeit auf dieser Welt ist begrenzt, warum nicht alles mitnehmen, was das Leben einem bietet, selbst wenn es nur das süße Vergessen aus Elfenhand ist.

Ja, noch einmal alle Sorgen von sich streifen – dieser Wunsch war so stark, dass er ihn bewog aufzustehen, das Arbeitszimmer zu verlassen und über den Ankleideraum in sein Schlafgemach zu gelangen. So brauchte er nicht hinaus auf den Gang, wo Wachen standen und die Pagen von Naruto angestachelt auf ihn lauerten, obgleich der König des Südens nicht zugegen war.

Unverzüglich ging Sasuke zum Kamin, auf dessen Innenseite sich, wo die Flammen nicht hinreichten, ein Stein mit einer Einlassung befand. In diesem Hohlraum war ein Hebel eingelassen, den er betätigte. Sofort hörte er ein vertrautes Klicken – der Mechanismus gab einen verborgenen Gang neben dem Kamin frei, der von einem wandhohen Buchregal verdeckt wurde.

Nur der amtierende König wusste von der spiralförmigen Treppe, die aus dem königlichen Gemach hinab in eine Höhle führte, deren Eingang an den Wald grenzte. Seit Generationen wurde dieses Geheimnis gewahrt und dem Nachfolger erst durch einen versiegelten Brief nach dem Tod des alten Königs offenbart und bisher hatte noch niemand anderes diesen Weg gefunden, der in die äußere Schlossmauer hineingebaut worden war als man es errichtete.

Bevor Sasuke ging, warf er sich einen schwarzen Reiseumhang über und mit einer Laterne, die stets im Gang darauf wartete, erleuchtet zu werden, ging er die ersten Stufen hinab. Auf der linken Seite betätigte er einen Messinghebel und wie von Geisterhand schob sich das Regal wieder vor den Eingang. Der dafür zuständige Mechanismus befand sich wie der Geheimgang selber, im Mauerwerk.

Die steinernen Stufen boten ihm einen sicheren Tritt und Halt fand er an der eisernen Kette zu seiner Rechten. Obwohl es auf der Treppe kalt war und die Höhle vollkommen vom Frost beherrscht wurde, reichte Sasuke der einfache Reiseumhang. Die Magie der Elfen, die er in Form des Ringes mit sich führte, schützte ihn.

 

 

Rosas Lungen brannten und obwohl die Luft eisig war, spürte sie die Kälte nicht. Das Rudel hatte sie in den Wald gejagt und hetzen sie nur. Sie spielten mit ihr, wie eine Katze mit einer Maus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Wölfe ernst machten. Aber so lange würde sie nicht aufgeben – vielleicht bekam sie noch ihre Chance, vielleicht geschah auch noch einer Wunder. Vielleicht …

Im Wald lag der Schnee nicht so hoch, aber dafür versperrten kahle Sträucher und die Bäume ihr immer wieder den Weg. Büsche mit Dornen und Stacheln zerrten an ihrer Kleidung und rissen sich immer wieder Stofffetzen und Fäden heraus. Das Heulen der Wölfe drang an Rosas Ohren; die Panik hatte schon längst Besitz von ihr ergriffen. In ihrem Kopf hämmerte staccatoartig die Frage, wann sie die scharfen Fänge in ihrem Leib spüren würde.

Rosa hoffte auf einen Hochsitz, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Bei der Sprungkraft der Wölfe musste es schon ein kletterbarer Baum sein, der sie hoch genug brachte. Das Klettern war kein Problem aber sie konnte schlecht stehen bleiben und nach etwas passendem Ausschau halten, zudem war es so Dunkel, dass sie nicht einmal ihre Umgebung richtig erkannte.

 

Ihr Vater hatte dafür gesorgt, dass sie eine gute Kletterin wurde, damit sie an die schönsten Kirschen in den Baumwipfeln kam – sehr zum Missfallen ihres Kindermädchens, der Mamsellen und ihrer Mutter; Letztere starb jedes Mal vor Sorge, sobald sie ihre Tochter im Baum erblickte, während ihr Vater alle auslachte und lauthals jedem zurief, der sich um sein Mädchen sorgte: Könnt nur froh sein, dass sie kein Junge geworden ist. Wer weiß, welche Flausen sie da im Kopf gehabt hätte. Abenteuerliches Ding. Eine Aussage, die ihre Mutter nicht glücklicher machte, besonders die Bezeichnung „Ding“ schlug ihr schwer auf den Magen. Selbst Sasuke hatte ihr einige Male mahnend hinterhergerufen, wenn sie sogar im Kleid auf die Bäume kletterte. Belustigt war ihr Blick zu ihm runter gewesen. Sasuke war kein Feigling, ganz im Gegenteil, aber er war besorgt und lieber blieb er unten, um sie für den Fall der Fälle aufzufangen als ihr fluchend hinterher zu steigen.

 

Sasuke. Rosas Gedanken waren plötzlich bei ihm und Tränen sammelten sich in ihren Augen, was sie im Moment gar nicht gebrauchen konnte, schließlich war die Sicht jetzt schon durch die Dunkelheit nicht ausreichend. Während ihrer Zeit an seinem Hof, hatte sie stets gehofft ihm irgendwie ein Zeichen übermitteln zu können, damit er wusste, dass es ihr gut ging. Nun konnte sie darüber froh sein, ihn ein letztes Mal gesehen zu haben, denn allen Anschein nach – wenn kein Wunder geschah – erwartete sie nach der Hatz ein grausamer Tod durch die mahlenden Kiefer der Wölfe. Das Heulen wurde lauter und Rosa glaubte, den stinkenden und heißen Atem des Todes in ihrem Rücken zu spüren.  

 

 

Als das Moosmännchen in Begleitung der Waldnymphe Orina Coeligena zurückkehrte, die in ihren Händen einen Berg praller und tiefroter Kirschen und herrliche süß schmeckend Erdbeeren hielt, lag die Lichtung im Mondschein verlassen da.

„Wo ist es, dein verzaubertes Menschenkind? Hat es sich versteckt?“, neugierig sah sie sich um und erblickte nur jede Menge Spuren im Schnee. Belustigt über das entsetzte Gesicht des Moosmännchens, kicherte sie: „Hat dem Menschlein wohl zu lange gedauert und es ist gegangen.“

Das Männlein beachtete sie nicht, denn es kämpfte mit seinen Gefühlen, die sein Innerstes aufwühlten. Ratlosigkeit, Enttäuschung und Trauer stritten um die Vorherrschaft in seinem kleinen gütigen Herzen und der Waldgeist war nicht fähig zu sprechen, was er auch nicht gekonnt hätte, denn eine Singsangstimme erklang und rief: „Nicht freiwillig gegangen. Nicht freiwillig.“, und ein mehrstimmiger Chor wiederholte das Gesagte.

Das Moosmännchen sah sich verwundert um, während die Elfe zu einem Eichenbaum ging und sich dessen knorrige und alte Wurzeln, die aus der Erde und dem Schnee ragten, genauer anschaute.

Ein „Oh!“, entkam Orina Coeligena als sie das schmale und flache Gesicht erblickte, welches unter einer pilzartigen Kappe zu ihr aufsah. Ein Pilzkind, dessen helle Statur fast mit dem Schnee verschmolz, wenn sein Hütchen nicht gewesen wäre – dieses war Rot und mit vielen weißen Punkten übersehen. Nun entdeckte auch das Moosmännchen das kleine Geschöpf und kam näher herangewatschelt.

Orina Coeligena beugte sich noch tiefer hinunter und dabei fiel ihr das von Efeu durchflochtene, lange und rote Haar über die schmalen Schultern.

„So. So.“, sagte sie leise. „Nicht freiwillig. Was wisst ihr denn?“, sie sprach das Pilzkind mit Absicht im Plural an, denn vorhin hatte ein vielstimmiger Chor die Worte des kleinen Kappenträgers wiederholt.

Wolf.“, sagte das Pilzkind und sein Singsang zitterte und die Gruppe rief mit ebenso viel Ehrfrucht: „Fenris!

 

Aus dem Mund des Moosmännchens erklang ein klagender Laut und Orina Coeligena ließ vor Schreck die Kirschen und Erdbeeren aus ihren Fingern gleiten. Verwirrt über diese Antwort starrte sie ungläubig auf das Pilzkind und ein rascher Blick zum Himmel bestätigte ihren Gedanken, den sie laut aussprach.

„Fenriswölfe? Aber wir haben keinen Vollmond.“, doch die Pilzkinder beharrten darauf und wiederholten ihren Ausruf noch einmal. „Wolf! Fenris!

Der Klageruf des Männleins wurde lauter und Orina Coeligena hielt sich die schlanken Hände mit den langen Fingern entsetzt vor ihren Mund. Die Kinder vom Volk der Amanita Muscaria logen nie und so musste die Waldnymphe dem Grauen in die Augen sehen: das Fenrisrudel jagte.

Im Hintergrund hörte sie das Moosmännchen jammern: „Oh je. Fenriswölfe, dann lebt sie sicherlich nicht mehr…“, doch da protestierten die Pilzkinder und riefen im Chor: „Noch nicht. Noch nicht. Noch jagen sie. Noch jagen sie. Hetzen. Hetzen.

Das Neigen ihrer Kappen zeigte die Richtung an, in die Rosa gejagt worden war. Glücklich stimmte dies das Männlein aber auch nicht, stattdessen klagte es sich selber seiner Unbrauchbarkeit an.

„Was bin ich nur für ein Moosmännchen? Was? Was? Ich bin an allen Schuld. Sobald die anderen davon erfahren, werde ich des Waldes vertrieben und muss fortan als Geächteter leben.“

In seinem Gezeter bemerkte das Männlein nicht, wie die Nymphe an ihn herantrat und sich nun zu ihm herunterbeugte. „Ist es dir wichtig, das Menschenkind?“

„Wichtig?“, erstaunt über die Frage sah er zu der Frau hinauf, die ihre Worte noch einmal wiederholte.

Das Moosmännchen erwiderte hastig: „Ja. – Oh höre Orina Coeligena, ich habe dich um Erdbeeren und Kirschen nicht der Menschen wegen gebeten, die danach verlangen, sondern …, weil das arme Kind vom schelmischen Elfenvolk verflucht wurde und sich nicht zu erkennen geben kann, ohne ihre Lieben, die sie suchen, in Gefahr zu bringen. – Sie hat ein gütiges Herz und das sie Kirschen und Erdbeeren bringen soll, ist auch nur wegen den Elfen. Die haben ihre Hand im Spiel …“

„Gräm dich nicht“, unterbrach die Nymphe ihn. Sie hatte ihren Entschluss gefasst. Sie würde helfen.

 

Es kam selten vor, dass ein Moosmännchen bei anderen Naturgeistern für einen Menschen vorsprach aber wenn dies passiert, dann nicht ohne Grund. Ohne sich dem Moosmännchen weiter zu erklären, wandte sie sich der Eiche zu. Behutsam legte Orina Coeligena beide Hände flach auf den Stamm und lehnte auch ihre Stirn an die Rinde. Sie murmelte einen sanften Gesang und die Reaktion darauf folgte sofort. Die Äste der Eiche fingen plötzlich mit schwanken an und mit einmal erfüllte ein Knacken und Knarzen die Lichtung, denn die umstehenden Bäume folgten dem Ruf. Der Sturm in den kahlen Kronen sprang von einem Baum auf den anderen über und sein Weg führte in den Wald hinein.

Orina Coeligena entfernte sich von der Eiche und bedankte sich bei ihr. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Moosmännlein zu, der niedergeschlagen dreinblickte.

„Ich sagte gräm dich nicht. Ist das Menschenkind wirklich reinen Herzens, wird der Wald es schützen, egal welcher Zauber der Elfenkönig auf es oder die Welt gelegt haben mag. Er ist mächtig, ohne Frage – aber er ist kein Naturgeist.“

 

[End. Kapitel 12]


Nachwort zu diesem Kapitel:
Herkunft der Namen Orina Coeligena und Amanita Muscaria

- Orina Coeligena: der Name stammt aus dem Tierreich und muss eigentlich "Coeligena Orina" heißen - das ist die lateinische Bezeichnung für den Grünmusketier, eine seltene Kolibriart, die zur Gattung der Waldnymphen (= Coeligena) gehört. (Quelle: Wikipedia - https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCnmusketier)
- Amanita Muscaria: ist die lateinische Bezeichnung für den Fliegenpilz (Quelle: Wikipedia - https://de.wikipedia.org/wiki/Fliegenpilz) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Goetterspeise
2019-06-30T09:28:46+00:00 30.06.2019 11:28
Oh man. Ich hoffe wirklich, dass der Wald Sakura helfen wird.
Der Elfenkönig hat aber halt auch böse Tricks drauf. Gerade auch bei Sasuke. >.<
Zum Glück hat sie sich mit dem Waldmännchen gut gestellt. :)

Liebe Grüße!
Antwort von:  blechdosenfee
03.07.2019 21:27
Ich werde nicht verraten, ob er ihr hilft oder nicht. Will ja hier die Handlung nicht vorwegnehmen.
Der Elfenkönig hat auch seine Gründe dafür, dass er so an Sasuke interessiert ist, wie der Teufel an den Seelen.
Wäre auch nicht ganz passend für die Handlung gewesen, wenn Rosa dem Moosmännchen dumm gekommen wäre. Außerdem hätte es auch nicht in das Konzept der Märchen, dem Guten wird geholfen, dem Bösen nicht, gepasst. :D

Viele Grüße


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