Stand by me von Puppenspieler ================================================================================ II -- Es schockierte Link, wie viele Erinnerungen an vergangene Zeiten er noch wiederentdeckte während seines Aufenthalts im Dorf der Zora.   Während Zelda ihren Forschungen nachging, hatte er Freizeit, die er nutzte, durch das Dorf und die Umgebung zu streifen. Plötzlich erinnerte er sich wieder, wie er als kleiner Junge mit Mipha Verstecken im ganzen Dorf gespielt hatte, und an die spezielle Säule, hinter der er sich versteckt hatte in der Hoffnung, dass die Zora-Prinzessin ihn nicht finden würde. Sie hatte ihn gefunden. Er erinnerte sich, wie sie ihm an steilen Wasserfällen die Schwimmfähigkeiten der Zora demonstriert hatte, und dann mit leuchtenden Augen und strahlendem Lachen voller Stolz aus dem Wasser gesprungen und elegant neben ihm gelandet war. In seichten Gewässern hatten sie auch gemeinsam gespielt. Ein Wettschwimmen hatte Link natürlich nie gewonnen, aber als er noch jung und voll überschäumender, kindlicher Energie gewesen war, hatte er sie trotzdem wieder und wieder herausgefordert.   Sie waren älter geworden. Ihre nächsten Treffen waren fast immer in Zeldas Beisein gewesen. Link hatte Pflichten gehabt, denen er nachgehen musste, statt Zeit mit seiner alten Freundin zu verbringen. Mipha hatte ihre eigenen Pflichten gehabt. Wann immer sie Zeit miteinander verbracht hatten, war es anders gewesen. Die Unbekümmertheit ihrer Kindheit verloren gegangen. Link hatte aufgehört, zu plappern und zu lachen, doch Mipha, anders als Zelda, störte sich nie an seiner Stille. Sie blieb einfach immer Mipha. Mipha, die ihn heilte, wenn er sich verletzte, die lächelte, wenn sie ihn sah, deren sanfte Stimme vom Rauschen der umliegenden Wasserfälle untermalt wurde.   Wenn Links Schweigen ihr zu viel wurde, war sie es, die die Stille füllte.   „Link! Was machst du schon wieder hier draußen so allein?!“   Es war Sidon. Es war natürlich Sidon – kein anderer Zora war so durchdringend laut, und kein anderer Zora sprang mit so viel Energie aus dem Wasser. Link wischte sich die nassen Tropfen vom Gesicht, während er zusah, wie der riesige Zora im Schatten des Baumes, unter dem er saß, in die Hocke ging. „Wird das nicht irgendwann langweilig? Seit du hier bist, verbringst du deine Zeit damit, hier schweigend durch die Gegend zu streifen. Und das, wo du stattdessen Zeit mit mir verbringen könntest!“ Die einzige Antwort, die er bekam, war ein Kopfschütteln. Es wurde nicht langweilig, und vermutlich würde es das auch nie werden. Sidon ließ sich neben ihm bequem auf dem Gras nieder, streckte die Beine aus und lehnte den Kopf in den Nacken. „Hier war einer von Miphas Lieblingsplätzen, damals, als Kind. Sie war richtig oft hier in der Zeit vor der großen Schlacht.“ Er seufzte. „Kannst du’s fassen? Da hat sie so viel Auswahl, und sie sucht sich so ein langweiliges Stück Gras mit einem langweiligen Baum an einem der langweiligsten Gewässer der Region aus! Ich hab das nie verstanden, aber sie wollte es mir auch nicht erklären.“ Sidons Blick wanderte zu Link hinüber, absolut unsubtil auffordernd – Vielleicht kannst du es mir erklären.   Link konnte.       ***       Die Schlacht gegen die Verheerung Ganon lag kurz bevor. Die ganze Welt war in stiller Aufruhr. Selbst der Wind wirkte nervös, das Rauschen des Wassers klang zu hektisch. Es war alles so surreal. Als Ritter der Königsfamilie hatte Link immer gewusst, dass er an einer schweren Pflicht zu tragen hatte, und immer hatte er sie getragen, mit so viel Stolz und Würde, wie ihm möglich war. Doch dass es einst das Schicksal der gesamten Welt sein würde, das mitunter auf seinen Schultern lastete – dass der Tag so bald kommen würde, an dem sie alle ihre gesammelten Kräfte und ihr Leben auf die Waagschale warfen, um das größte Unheil aufzuhalten, er hätte es nie gedacht. Er war noch so jung. Zelda war noch so jung. Und trotzdem hatten sie den Höhepunkt ihres Lebens schon fast erreicht.  Seit die Titanen gefunden waren, war so viel passiert.   Erst gestern war er auf Vah Ruta geritten.   Heute saß er im grellen Licht der Mittagssonne unter einem schattenspendenden Baum in der Nähe des Dorfs der Zora, deren Prinzessin und Recke Mipha direkt neben sich. Das Mädchen sah hinaus aufs stete Treiben des Flusses. Erst, als sie Links Blick bemerkte, regte sie sich wieder, sah zu ihm hinüber. „Ist etwas?“ Link schüttelte den Kopf. Sah nun selbst hinaus aufs glitzernde Wasser. Bald würde er wieder abreisen. Das hier war womöglich das letzte Treffen mit Mipha, bevor sie in die Schlacht zogen. Und was würde danach wohl passieren, wenn alles vorbei war? „Ich möchte, dass du mich noch einmal besuchen kommst.“ Ich möchte gern wiederkommen. Doch er sagte es nicht. Fand nicht die richtigen Worte für ein Versprechen, von dem er sich nicht einmal sicher war, ob er es halten könnte – stattdessen wechselte er das Thema, das ohnehin unausgesprochen geblieben war. „Woran denkst du? Du sahst aus, als wärest du in Gedanken.“ – „Hmm“, machte Mipha zur Antwort. Aus dem Augenwinkel nahm Link wahr, dass ihr eigener Blick auch wieder in die Ferne hinausging. „An eine Geschichte, die ich gehört habe. Von einer Zora-Prinzessin aus alten Zeiten, die einen Hylianer liebte. Es ist nicht bekannt, wie sie ausgegangen ist. Ich frage mich…“ Sie brach ab, seufzend. Als sie weitersprach, war ihre Stimme so leise geworden, dass sie über das Flüstern des Flusses hinweg kaum zu hören war:   „Ob so eine Liebe eine Zukunft hat?“   Link hatte darüber nachgedacht. Und so oft er darüber nachgedacht hatte, die Antwort, zu der er gekommen war, wollte sich nicht verändern. In der Zeit, die er Mipha kannte, war das Mädchen optisch kaum gealtert, während er selbst von einem Kind zum Erwachsenen geworden war. Inzwischen überragte er sie, zu der er in seinen Erinnerungen hatte aufsehen müssen. Und er würde weiter altern. Würde alt werden, während Mipha sich ihre jugendliche Schönheit bewahrte, auch heranreifte, aber sichtbar kaum älter werden würde als eine junge Frau. Irgendwann würde er zu alt werden, um mit ihr Schritt zu halten. Würde erschöpfen auf Strecken, die er heute mühelos bezwang. Falten würden sein Gesicht zerfurchen, während das ihre junggeblieben bliebe. Er würde schwach werden. Seine Glieder würden irgendwann den Dienst quittieren. Wer wusste schon, welche Altersgebrechen in ferner Zukunft auf ihn warten würden? Alles in ihm sträubte sich bei der Vorstellung. Er war stolz auf den Mann, zu dem er herangewachsen war. Er war stolz, dass er die Kraft hatte, zu beschützen, was er liebte. Wenn einst der Tag kommen würde, an dem er nicht einmal mehr sein Schwert heben konnte… Es war eine Schmach. Eine Schmach, die er selbst nicht ertragen wollte, und die er noch weniger einer Frau aufbürden wollte, die er liebte. Es mochte schlimm für ihn sein, aber wäre es nicht schlimmer für die Frau, die am Ende zurückblieb? Die mitansehen musste, wie der Zahn der Zeit an ihm nagte und ihn mehr und mehr zermürbte. Er stieß langsam die Luft aus, schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er schließlich. Seine Stimme klang so fremd, so fern, als spräche ein anderer aus ihm.   „Ich weiß“, erwiderte Mipha schlicht. In ihrer Stimme schwang die Traurigkeit einer unveränderbaren, grausamen Realität mit. „Und trotzdem. Wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass meine Gefühle erwidert werden… ich würde lieber lieben, und mich allem Unglück stellen, als es gar nicht zu versuchen. Und wenn es nur wenige Jahre des Glücks sind, auf die schließlich die Jahre folgen, mit denen viel zu schmerzhaft deutlich wird, dass die gemeinsame Zeit immer zu kurz sein wird. Ich…“ Sie holte tief Luft, bebend. „Ich weiß, dass es furchtbar werden würde. Ich weiß, dass es wehtun würde, zuzusehen, wie der Mann, den ich liebe, unaufhaltsam älter wird, seinem Tod entgegengeht, während ich mich kaum verändere. Es muss für ihn auch furchtbar sein. Dennoch. Ist es egoistisch, dass ich mir trotzdem wünsche, dass diese Zora-Prinzessin aus alten Zeiten ihre Liebe bekommen hat? Dass sie an seiner Seite sein konnte, bis er alt wurde. Und dann weitergelebt hat, nach seinem Tod, mit der Liebe im Herzen, und all den Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, gut wie schlecht.“   „Es ist egoistisch.“ Link ballte lose die Hände zu Fäusten. Das Gras an seinen Fingerknöcheln kitzelte. Er hatte so oft darüber nachgedacht, war so oft zu dem Schluss gekommen, wie dumm und töricht es war, und wie wenig er es ertragen würde, und trotzdem–   „Aber ich bin genauso egoistisch.“       ***       Link fühlte sich taub, als die Geschichte erzählt war. Leer, erschöpft von der Konfrontation mit seinen eigenen Erinnerungen. Zu wissen, dass Mipha in der Zeit vor ihrem Tod so oft hier gewesen war, erfüllte ihn mit den seltsamsten Gefühlen. Wenn sie damals Erfolg gehabt hätten – wäre sie es, die heute hier saß? Die Sidon darüber aufklärte, wieso dieser unwichtige, unscheinbare Ort überhaupt so einen großen Wert hatte. Sie würde trauern. Um den Mann, mit dem sie viele Jahre ihres Lebens verbracht hatte, bis das Alter ihn dahingerafft hatte. Link trauerte um das Mädchen, mit dem er viel zu wenig Zeit hatte verbringen können, weil es viel zu jung gestorben war. Ihr Schmerz… womöglich wäre er sogar größer als seiner. Doch sie könnte aus einem Füllhorn glücklicher Erinnerungen schöpfen, um ihn einzudämmen.   Welches Ende der Geschichte war wohl tragischer?   Sidon neben ihm war ebenfalls still – solange, bis er schwer seufzte und den Kopf schüttelte, ehe er wieder auf die Beine sprang. Er streckte Link eine Hand entgegen, grinsend. Er ergriff sie eher aus Reflex, ließ sich von dem Hünen hochziehen. „Danke. Das erklärt immerhin wirklich, wieso sie diesen öden Platz plötzlich so sehr mochte.“ Kein Urteil. Keine Kritik. Für Link war es immer noch unbegreiflich, dass König Dorophan und sein Sohn die Liebe Miphas nicht in Frage stellten, sondern annahmen und akzeptierten. „Ich hatte auch Lieblingsplätze! Wie wäre es? Wir machen einen Spaziergang und tauschen ein paar Erinnerungen aus.“ Sidons Grinsen wurde so breit, dass Link ahnte, dass es nichts Gutes verhieß – es brachte seine eigenen Mundwinkel trotzdem dazu, ebenfalls zu einem Lächeln zu zucken. Er nickte. Sidon lachte zufrieden auf, klopfte ihm auf die Schulter.   „Ich hoffe nur, mein Freund, du hast inzwischen gelernt, Wasserfälle hoch zu schwimmen! Sonst wirst du dich wohl wieder an mich klammern müssen wie eine Jungfer in Nöten!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)