Ein unverhofftes Familientreffen von Himikko ================================================================================ Kapitel 46: Taumeln ------------------- Als Bon Shuras Anruf erhalten hatte, glaubte er zunächst an einen schlechten Scherz. Rin Okumura war ohne jeden Zweifel ein Magnet für Ärger, doch dass er und ein Dämonenkönig, welcher noch dazu zufällig die viertmächtigste Person Gehennas war, verschwanden, war mehr als abwegig. Doch natürlich war es genau so gekommen. Andererseits schienen die Baal Ärger ebenfalls magisch anzuziehen. Es lag wohl in der Familie. Er hoffte wirklich, dass diese Christina etwas herausgefunden hatte. Während er, die restlichen Exorzisten und die Baal sich auf den Weg zu ihr machten, blieben Beelzebub und der Rest zurück. Ihre Aufgabe war es, alles zusammenzupacken und es zu einer anderen Unterkunft zu bringen. Die Drachen kamen ebenfalls mit ihnen, sie wollten nicht wieder auf Iblis warten. Die Stelle, welche die Hexen beschrieben hatten, war nicht sehr weit weg. Sie standen nun auf einer weiteren Lichtung, wo bereits mehrere Hexer und Hexen warteten. Sie alle waren damit beschäftigt sich umzusehen oder zu telefonieren. Christina, welche sie zuerst bemerkt hatte, kam zu ihnen hinüber. „Ihr könnt hier sicher die Spuren des Gehennatores spüren, wohl noch besser als wir.”, begann sie ohne Umschweife. „Wir haben außerdem dort drüben zwei Leichen gefunden. Ein Junge und ein Mädchen. Relativ jung, vielleicht 16 bis 19 Jahre alt. Ich vermute, dass sie ein Paar waren.” Sie deutete auf die andere Seite des Waldrandes, wo tatsächlich etwas lag, jedoch mit Tüchern verdeckt worden war. „Wir sind noch nicht sicher, was genau passiert ist, aber wir glauben, dass sie entweder aus Versehen hier rein gestolpert kamen, als sich die Pforte geöffnet hat und dafür sterben mussten oder sie wollten Rin helfen, wer weiß. Jedenfalls konnten wir keine Waffe finden, aber beide haben im Bauchbereich eine heftige Wunde. Ich denke mal, dass Invidia ihren Arm in eine Klinge verwandelt und die damit aufgespießt hat. Die Klinge ist auf der anderen Seite wieder ausgetreten. Adrijana sagt, wenn sie da nicht schon gestorben sind, hat sie der folgende Blutverlust erledigt. Aber sie kann es nicht wirklich genau sagen solange sie keine Obduktion durchführt. Aber schlussendlich ist es wohl egal wie sie gestorben sind.” Bon fragte sich, woher sie wusste, dass es Invidia war, immerhin hatten sie es erst vor ein paar Minuten herausgefunden. Andererseits hatte der Zeitkönig ihr noch eine Nachricht geschrieben und es ihr sicher darin erzählt. „Es ist auch unwichtig.”, lehnte Samael den Vorschlag sofort ab. „Habt ihr sonst noch etwas gefunden?” Christina nickte. „Wir haben ein paar Blutspuren entdeckt. Zu den beiden dort kann es nicht gehören, es war zu weit weg.” Iblis ging daraufhin zu der Stelle auf die Christina deute und kniete sich hin. „Japp, das ist Rins Blut.”, bestätigte er grimmig. „Woher weißt du das?”, fragte Izumo. Iblis zuckte mit den Schultern. „Es riecht nach ihm. Jeder hat seinen eigenen Geruch und wir Dämonen prägen uns immer den von Familienmitgliedern ein. Das kann einiges erleichtern, um jemanden zu finden.” Shura schnaubte. „Ihr seid wirklich wie Raubtiere, was?”, fragte sie dumpf. Für einen Moment lang glaubte Bon, dass die Exorzistin die Dämonen damit beleidigt hatte, doch sie zuckten nur mit den Schultern. „Was machen wir jetzt mit den Leichen?”, mischte sich Adrijana ein, welche ebenfalls dazu gekommen war. „Die Wucht hinter dem Angriff war gewaltig. Kein normaler Mensch kann sowas schaffen. Auf ein Tier passen die Verletzungen nicht. Selbst Laien werden da stutzig sein.” Die Baal wechselten Blicke. „Schafft die Leichen weg und platziert sie irgendwo in einem verlassenen Gebäude damit die Polizei sie dort findet. Wir ziehen dann ein paar Fäden damit sie bei dir landen. Du musst dir wohl irgendwas passendes einfallen lassen.”, bestimmte Lucifer. Die Russin sah Egyn fragend an, woraufhin er nickte. Also gehörte sie wohl zu ihm, wenn sie ihn um Erlaubnis fragte. „Was passiert jetzt?”, erkundigte sich Shura. Lucifer fuhr sich seufzend durch die Haare. „Leider ist es mehr als unwahrscheinlich, dass Rin noch hier ist. Sie werden längst in Gehenna sein. Momentan können wir uns nur neu sammeln und unsere Truppen zusammenziehen. Außerdem wird ihr Angriff auf Assiah nun nicht mehr lange auf sich warten lassen, also müssen wir bereit sein.” „Wir sollen Okumura im Stich lassen?!”, entfuhr es Koneko. Der Rest protestierte ebenfalls und Bon starrte den Lichtkönig wütend an. Als ob er einen Freund zurück ließ! „Wir können momentan nichts für ihn oder Azazel tun.”, mischte sich Samael ungewöhnlich ernst klingend ein. „Noch einmal in den Palast einzubrechen wäre Selbstmord. Wir müssen jetzt abwarten und den richtigen Augenblick erwischen.” Yukio bleckte die Zähne. „Und wenn der nicht kommt?!” „Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Sie wird einen Fehler machen.”, warf Beelzebub ein. „Dann könnte es längst zu spät sein.”, antwortete Izumo kopfschüttelnd. „Wir haben keine Wahl und damit Schluss.”, fuhr Lucifer etwas barsch dazwischen. „Wir erledigen hier alles, dann gehen wir zurück.” Sie entließen die Hexen und machten sich auf den Weg zum Treffpunkt. Per Phasensprung landeten sie am Rande der Heiligkreuz-Akademie. Wie immer war der Phasensprung buchstäblich zum kotzen, aber glücklicherweise fiel es Bon immer leichter seinen Mageninhalt unten zu behalten. Er war sich nämlich ziemlich sicher, dass Iblis ihn knusprig grillen würde, wenn er ihm auf die Schuhe spucken sollte, egal ob sie sich nun besser verstanden oder nicht. Die anderen warteten schon. Agash und die Kinder waren natürlich nicht dabei. Nur wenige Minuten später standen sie wieder in einem Konferenzraum. Diesmal waren neben Angel und den Zweigstellenleitern auch die Lehrer dabei. Der blonde Paladin sah alles andere als glücklich aus. „Bekommt ihr überhaupt nichts gebacken!?”, fauchte er die Baal an, kaum dass sie den Raum betreten hatten. „Erst geht ihr nach Gehenna, versagt und jetzt hat Lilith auch noch ein Gefäß?! Ihr werdet es doch wohl schaffen auf einen 16-Jährigen aufzupassen! Und ihr schimpft euch Dämonenkönige?!” „Ach, halt die Luft an, du erbärmliche Entschuldigung für einen Paladin!”, knurrte Astaroth genervt. Doch der Blonde dachte gar nicht dran. „Ihr habt selbst gesagt, dass-” „Oh um Satans Willen, könnte irgendjemand diesem Jammerlappen die Zunge rausschneiden?!”, fauchte Indra irritiert. Nun richtete sich der Blick des Paladins auf sie. „Und du bist?!”, giftete er sie an. Die Zeitdämonin sah ihn an, als wäre er eine Kakerlake. „Wir sind also auf "Du" Basis? Gut zu wissen. Mein Name ist Indra. Hättest du jetzt bitte die Freundlichkeit den Mund zu halten? Andernfalls schneide ich deine Zunge heraus und ich würde ungern meine Hände mit Blut besudeln. Erst recht nicht mit dem eines Menschen.” Oh Junge. Sofort lief Angel rot an. „Du wagst es mir zu drohen?!” Sie grinste. „Genau das habe ich gerade gemacht, oder? Also sei jetzt still oder die Exorzisten werden sich einen neuen Paladin suchen müssen. Bisher scheinst du deine Arbeit sowieso nicht sonderlich gut erledigt zu haben, wenn man das komplette Chaos in Assiah betrachtet. Würdest du so viel Anstrengung in deine Arbeit stecken wie in deine Haarpflege, wären wir ein ganzes Stück weiter. Also Mund halten, hinsetzen und zuhören. Wir wollen nicht unsere Zeit mit einem impertinenten Vollidioten verplempern.” Das Gesicht des Paladins war unbezahlbar. Einige der Dämonenkönige, aber auch Shura und vereinzelte Exorzisten mussten ein Lachen unterdrücken. Noch interessanter wurde es, als sie die Drachen entdeckten. „Aw, sind die süß!”, entfuhr es einer Exorzistin. Angel sah die Sache anders. „Was sind das für Viecher?!”Die Drachen bleckten die Zähne, Iblis erschien ebenfalls beleidigt. „Drachen, Einstein. Aber kommen wir jetzt mal zum Wesentlichen. Wir haben ein verdammt großes Problem.” .................................................................................................................................... Ein paar Stunden später konnten die Dämonen endlich das Gelände verlassen. Ihre Nerven lagen blank, sie wollten einfach nur noch weg. Allerdings hatte Lucifer seine Zweifel, dass es ihnen gelingen würde, einzuschlafen. Sie sprangen zu einem der Hauptquartiere der Hexen. Äußerlich sah es wie ein gewöhnliches Anwesen aus, doch in Wirklichkeit tummelten sich darin Angehöriger verschiedener Hexenzirkel. Wie erwartet konnte keiner schlafen, von den Kindern einmal abgesehen. Am frühen Morgen kam dann die Nachricht, dass die beiden Menschen von letzter Nacht gefunden worden waren. Samael machte sich daraufhin auf den Weg, um dafür zu sorgen, dass die Leichen bei Adrijana landeten. Es war immer ziemlich nervig, wenn Sterbliche wegen Kreaturen aus Gehenna starben und sie dann alles wieder gerade biegen mussten. Die ganzen Verschwörungstheoretiker weltweit machten es nicht besser. Grigori Rasputin war ein äußert gutes Beispiel. Er war ein Hexer in Egyns Diensten gewesen. Nicht wenige hatten diesen als heiligen Teufel oder als einen Dämonen bezeichnet oder zumindest einen Pakt mit dem Teufel nachgesagt. Verwunderlich war es nicht. Immerhin war er verdammt schwer zu töten gewesen. Er hatte mehrere Attentate überlebt. An seinem Todestag hatte er Unmengen von mit Zyankali vergiftetem Kuchen und Madeirawein zu sich genommen, ohne sich daran zu vergiften. Dann hatte man ihm dreimal in die Brust geschossen und schlussendlich in den Newa geworfen. Und das beste an der Geschichte? Er war nicht etwa seinen Verletzungen erlegen, sondern schlicht und ergreifend erfroren. Hätte man ihn also nicht in den Fluss geworfen, wäre er einfach wieder aufgestanden und munter seines Weges gegangen. Auch hatte er der Zarin äußert nahe gestanden und sie beeinflusst sowie den Untergang der Romanow Familie vorhergesagt. Verständlicherweise rankten sich daher heute noch zahlreiche Legenden und gelegentlich Verschwörungstheorien um ihn. Dass jedoch die Exorzisten ordentlich nachgeholfen hatten, da die russische Zweigstelle Rasputin für einen Dämon gehalten hatte (was ja gar nicht mal so weit weg von der Wahrheit war), wussten die wenigsten. So oder so war der Lichtkönig erleichtert, als alles erledigt war. Seine restlichen Geschwister waren ebenfalls beschäftigt. Sie mussten sich wieder mit allen Hexenzirkeln in Verbindung setzten, vorerst die Kontrolle über die Coven unter Azazel übernehmen und Gehenna kontaktieren. Später würden sie zusammen zu den Exorzisten gehen und ihnen bei der Verteidigung helfen. Der Lichtkönig würde seine Brüder nur sehr ungern allein mit ihnen lassen, denn sie waren momentan äußert gereizt und wenn sie dann in einen Streit mit den Exorzisten gerieten, würde wahrscheinlich Blut fließen und ihre zerbrechliche Zusammenarbeit wäre vorbei. Das konnten sie sich momentan nicht leisten, so sehr es ihnen widerstrebte. Gegen Mittag kam dann die nächste Katastrophe. Iblis hatte einen Brief von Halphas erhalten. Darin stand, dass Lilith nun ganz Gehenna verkündet hatte, dass es Azazel gewesen war, der absichtlich die Barriere manipuliert und die ganze Zeit über für sie gearbeitet hatte. Leider sprach einiges dafür. In der Öffentlichkeit sah man ihn nicht mehr, aber laut einigen Dienern im Palast, behielt Lilith ihn immer in der Nähe. Was nun genau stimmte, wusste keiner. Von Rin wussten sie leider nichts, genau wie von Satan. Indra ließ dafür die nächste Bombe platzen und sie alle waren nicht glücklich darüber. „Sag mal, hackt's bei dir?!”, fuhr Iblis sie an. „Du hattest Hinweise darauf, dass Azazel dich eventuell umbringen will und hast nichts gesagt?!” „Wollt ihr mir wirklich weis machen, dass ihr mir geglaubt hättet?”, antwortete sie säuerlich. „Wenn ich ohne Beweise zu euch gekommen wäre und dann Azazel beschuldigt hätte, wäre ich doch gleich wieder rausgeflogen.” „Und warum hast du das nicht schon gestern Abend gesagt?!”, schimpfte Egyn. Die Zeitdämonin wirkte daraufhin etwas peinlich berührt. „Ehrlich gesagt habe ich da nicht mehr an das Attentat gedacht.” Samael schnaubte. „Gibt es sonst noch etwas, das du uns vorenthalten hast?” Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe euch alles erzählt.” „Na, da haben wir ja Glück.” Welch Ironie, dass sowas ausgerechnet aus Samaels Mund kam. Er sollte da ganz still bleiben. Sie beschlossen einstimmig den Exorzisten nichts zu sagen. Die Bastarde würden dann nur versuchen Azazel bei der nächsten Gelegenheit zu erschießen. Noch immer angesäuert machten sich die Baal auf den Weg zu den Exorzisten, um bei der Verteidigungserrichtung mitzuhelfen. ............................................................................................................................................. Rin hatte kein Ahnung wie lange er in dieser Zelle gehockt hatte. Es könnten nur Stunden gewesen sein, vielleicht auch Tage. Es gab hier unten kein Licht, es war somit unmöglich die Zeit zu bestimmen. Meistens schlief er oder döste vor sich hin. Mehr konnte er nicht tun, denn die blöden Ketten hielten ihn ja davon ab von seinen Flammen Gebrauch zu machen. Beelzebub hatte recht gehabt. Es war verdammt frustrierend, wenn man von irgendwelchen Zeichen und Linien aufgehalten werden konnte. Das Geräusch eines Schlüssels, welcher im Schloss gedreht wurde, ließ ihn hochfahren. Die Tür schwang auf und wieder wurde er geblendet. Wie lange konnte man nochmal in vollkommener Dunkelheit verbringen bevor man blind wurde? „Also Nephilim, wie sieht es aus?”, fragte ihn Superbias Stimme. Seine Augen gewöhnten sich zu seiner eigenen Verwunderung recht schnell an die wechselnden Lichtverhältnisse. Neben der ältesten Sünde waren auch Luxuria, Avaritia und ein blauhaariges Mädchen dabei. Laut seinen Brüdern war nur Acedia blauhaarig, also musste sie es wohl sein. „Antworte. Jetzt.”, fuhr die blonde Sünde ihn an. Der Nephilim starrte sie an, dann sagte er mit fester Stimme: „Nein.” Stille folgte, eine Stecknadel wäre zu hören gewesen. „Nein?”, fragte Superbia ruhig nach. „Nein.”, bestätigte der Halbdämon. „Lilith kann mich mal. Ich helfe ihr nicht. Ich werde weder meine Familie noch meine Freunde verraten, sondern Lilith in den Arsch treten!” Ein seltsames Geräusch kam von Avaritia. Es klang wie unterdrücktes Lachen. Superbia warf ihr einen genervten Blick zu, dann wandte sie sich wieder abschätzig an ihn. „Falsche Antwort.” Damit drehte sie sich um und ging. Die restlichen Sünden machten keinerlei Anstalten ihr zu folgen, sie bleiben wo sie waren. „Das hättest du nicht tun sollen.”, sprach Luxuria ihn an. „Weil es auch so viel besser wäre, dieser Psychohexe zu helfen.”, knurrte Rin. „Es bringt nichts seinen Kopf für andere hinzuhalten.”, kommentierte Avaritia und streckte sich. „Du hast dir damit nur einen Haufen Ärger eingebrockt. Aber sei's drum. Ich bin weg. ” Mit diesen Worten ging sie ebenfalls. Luxuria starrte ihn noch immer an. „Was?!”, fauchte er. Sie schüttelte nur den Kopf. Kurz darauf kamen Invidia und Ira in die Zelle. Ira hielt eine brennende Fackel, welche sie in die Wandhalterung steckte, danach zogen sie die schwere Tür zu und schlossen erneut ab. Dann wandten sie sich wieder an ihn. Acedia und Luxuria konnte er nicht ansehen, was sie dachten, doch dafür verpasste ihm das Grinsen der anderen beiden Aveira eine Gänsehaut. Invidia trat nach vorne. „Das wird Spaß machen. Zeit dich schreien zu lassen.~” ................................................................................................................................. Ogygia ertrank im Regen. Die Straßen standen unter Wasser und Dreck verstopfte die Kanaldeckel der Hauptstadt Hawaikis. Nur vereinzelt liefen Passanten umher, die meisten beeilten sich, um schnell ihre letzten Besorgungen zu erledigen und endlich nach Hause zu können. Derartig heftiger Niederschlag war in Egyns Reich nicht ungewöhnlich, allein während der Regenzeiten konnte es wochenlang andauern. Diese war allerdings längst vorbei, weswegen viele diese Entwicklung mit Sorge betrachteten. Ja, sie waren Wasserdämonen, aber in überfluteten Städten und Dörfern wollten sie nicht leben. Es war nur ein weiteres Zeichen dafür, dass Lilith Gehennas Gleichgewicht zerstörte. Midgard, Amaimons Reich, welches hauptsächlich von der Landwirtschaft lebte und ansonsten aus Wald bestand, war stellenweise kahl. Pflanzen und ganze Waldstücke starben ab, Ernten gingen ein, scheinbar ohne jeden Grund. Avalon, das Reich der Lichtdämonen lag in ständiger Dunkelheit, Seelen und Entitäten sorgten für Randale in Manala und inzwischen auch in Assiah. Ganz Gehenna schien langsam vor sich hin zu rotten. Viele spekulierten, dass es vor allem an Satans Abwesenheit lag. Ohne ihn würde bald alles zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. Seufzend zog Agares ihre Kapuze tiefer ins Gesicht und trottete weiter die Straße entlang. Shax, Amon und Paymon waren ihr dicht auf den Fersen. „Was für ein Wetter.”, murmelte Shax. „Da vermiss ich doch fast die Zelle im Palast. Dort war es immerhin trocken.” Amon und Paymon brummten zustimmend. Agares ignorierte sie und bog in eine Seitengasse ein. „Wir sind fast da.”, raunte sie ihnen zu. „Denkt dran den Kopf unten zu behalten. Das letzte, was wir jetzt brauchen, sind irgendwelche Idioten, die uns die Wachen auf den Hals hetzen.” Amon schnaubte. „Die meisten von denen müssten selbst in 'ner Zelle hocken, da werden sie sicher nicht so dumm sein, zu den Wachen zu rennen.” Paymon schüttelte den Kopf. „Aber sie könnten versuchen mit ihnen zu verhandeln. Sie liefern uns aus und dürfen dafür ungestört ihre Geschäfte weiterführen.” Sie standen nun vor einem scheinbar verlassenen Steingebäude. Fenster und Türen waren vernagelt, doch die Wasserdämonin wusste, dass es alles andere als verlassen war. Sie gingen zur Rückseite des Gebäudes, welches zum Großteil von einer Kletterpflanze überwuchert worden war. Dort, ziemlich weit rechts, waren mehrere Bretter, die man beiseiteschieben und somit ins Innere gelangen konnte. Vorsichtig quetschten sie sich hindurch und folgten einem Gang, welcher sie unter das Gebäude in einen stillgelegten Abschnitt der Kanalisation führte. Dort würde heute ein Markt stattfinden, jedoch kein normaler. Es war einer der größten Schwarzmärkte in dieser Stadt. Man bekam dort fast alles und seit Lilith den Thron bestiegen hatte, waren die Waren begehrter denn je geworden. Vorräte kosteten nun ordentlich Geld, Luxusgegenstände gab es nicht für die normale Bevölkerung. Selbst einfache Stoffe waren lächerlich teuer geworden. Damit war eine gewaltige Kluft zwischen dem Adel, den Reichen und dem gemeinen Volk entstanden. Es hatte die einfachen Leute extrem abhängig von mächtigen Familien gemacht. Nachdem sie eine weitere Tür geöffnet hatten, fanden sie sich in einer weiteren, riesigen Halle wieder. Einfache Stände und Bretterbuden waren eng beinander aufgebaut worden, ohne jegliche Systematik oder Organisation. Es war wie so oft krachend voll. Dämonen und andere Kreaturen drängten sich um die Stände. Manche waren Verbrecher, andere Flüchtlinge und wieder andere wollten einfach nur ihren Familien helfen. Es wurde gefeilscht und geboten, jeder wollte so viel wie möglich ergattern. Für jeden gab es irgendetwas nützliches. Waffen, Ausrüstung, Kleidung, Nahrungsvorräte und gefälschte Dokumente waren die häufigsten Dinge. Agares ließ ihren Blick umher schweifen. Genau wie bei ihrem letzten Besuch, gab es ein reichhaltiges Angebot. In Haut gewickelte Bücher, Kräuter und Medizin, Drogen, Amulette, getrocknete Zutaten wie sie Hexen und Schamanen verwendeten, Knochen, Krallen und Zähne, Schrumpfköpfe, Tiere, Tier-Eier, verschiedene Pulver, Plunder aus Assiah (Sie unterdrückte ihr inneres aufgeregtes Gequieke) und vieles mehr. „Wie in Satans Namen sollen wir hier Danag finden?”‚ murmelte Amon und sah sich ebenfalls um. „Rumfragen ist momentan nicht grad die beste Strategie.” „So viele Alukah mit roten Haaren gibt es nicht, das wird schon irgendwie.”, beruhigte Shax ihn. „Beeilen wir uns.” Leider wurde es doch nicht so einfach. Man musste immer wieder aufpassen, dass man nicht in den Gegenstrom geriet und durfte nicht schüchtern mit den Ellbogen sein. Gleichzeitig gaben sie sich Mühe den Blick gesenkt zu halten. Nicht jeder kannte ihre Gesichter, aber es waren genug und keiner von ihnen wollte nochmal in einer Zelle landen. Endlich schien Shax etwas gefunden zu haben und winkte sie hinüber. Danag war ein typischer Kleinverbrecher und vor allem in Drogenhandel, Schmuggel, Dokumentenfälschung und kleinere Diebstähle involviert. Getötet hatte er allerdings noch nie, er war also noch relativ harmlos. Nun, so harmlos wie ein Halbfeuerdämon, Halbalukah eben sein konnte. Er war inzwischen schon so oft im örtlichen Gefängnis gewesen, dass er quasi die Lebensgeschichten aller Wächter kannte und immer munter mit ihnen plauderte. Er war zudem immer recht entspannt, wenn er mal wieder bei seinen Machenschaften erwischt und verhaftet wurde. Außerdem hatte er ihnen in der Vergangenheit bereits öfter geholfen, er war also gar kein so schlechter Kerl. Geld würde er jedoch trotzdem wollen. Während sie langsam näher traten, sahen sie sich seinen Stand näher an. Wie so oft bot er Drogen und gefälschte Dokumente an, hinzu kamen diesmal auch einige Lebensmittel und Ware aus Assiah. Seit die Grenze so instabil geworden war, dass sich ständig Gehennatore öffneten, hatten sie diese immer häufiger. „Hallo Danag. Lange nicht gesehen.”, begrüßte Shax das Halbblut. Danag schien absolut nicht überrascht zu sein, sie zu sehen. „Ah, wenn des nicht meine alten Freunde sind. Ich hatte mich schon gefragt, wann ihr kommt.”, grinste er und setzte seine Sonnenbrille ab, mit der er seine Augen versteckte. Agares unterdrückte ein Schaudern. Wie bei allen Alukah war die Hornhaut komplett schwarz. Die Iris war dagegen gold, was seiner Feuerdämonenhälfte zu verdanken war. Wenn man das schwarze in den Augen und die Zähne ignorierte, konnte er durchaus als Dämon durchgehen. „Du hast uns also erwartet.”, stellte Paymon fest. Danag zuckte mit den Schultern. „Ich hatte so 'ne Ahnung. Ich hab gehört, dass ihr dabei seid, Widerstandsgruppen gegen Lilith zu versammeln. War also nur eine Frage der Zeit bis ihr vorbei schaut.” Als sie sich alarmierte Blicke zuwarfen, hob er abwehrend die Hände. „Schon gut, es sind nur Gerüchte, es ist euch keiner auf der Spur.” Erleichtert atmete Agares aus. Sie hatten sich viel Mühe gegeben, um alles geheim zu halten, aber sie hatten bei weitem nicht die Ressourcen, die sie eigentlich brauchten. Die Ausgangssperren, die Kürzungen der Vorräte und die verstärkten Patrouillen machten es nicht einfacher. Besonders durch das Militär wurde zur Zeit hart durchgegriffen, viele die der eigentlichen Königsfamilie treu geblieben waren, mussten fliehen oder warteten bereits auf ihre Hinrichtung. Deserteure wurden ebenfalls mit dem Tode bestraft und es gab Hinweise, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt werden sollte. In anderen Worten: Die einfache Bevölkerung war am Arsch und die Adligen machten sich einen Bunten, auch wenn Agares bezweifelte, dass dies lange anhalten würde. Lilith würde dem Rat nie erlauben weiter zu bestehen, sie war zu paranoid dafür. Auch glaubte sie nicht daran, dass die Dämonin den Aveira etwas von ihrer Macht abgeben würde. Sie zwang sich wieder dem Gespräch zuzuhören. „Also, was bekomme ich dafür, wenn ich euch helfe?”, grinste Danag. „Was immer du willst. Geld. Alkohol. Noch bestehende Anklagen werden fallen gelassen. Egal.”, antwortete Shax. Der Halb-Alukah tippte sich nach nachdenklich gegen das Kinn. „Verlockend. Aber wenn die irre Königin rausbekommt, dass ich euch geholfen habe, wäre das nicht gut. Weder für mein Leben noch für's Geschäft. Aber reden wir anderswo drüber. Hier versteh ich kaum ein Wort.” Er winkte einen seiner Kumpanen heran, damit er auf den Stand aufpasste und machte sich zusammen mit den Stellvertretern auf den Weg zu einer abgelegeneren Stelle am Rande der Halle. Dort war ein relativ großer Lagerraum, dessen Tür er öffnete und sich darin gegen die Wand lehnte. Mit verschränkten Armen sah er sie erwartungsvoll an. „Wie gesagt, ihr solltet mir lieber was gutes bieten. Ist nichts persönliches, ich mag euch, aber mein Leben mag ich nun mal mehr.” Amon schnaubte. „Dir ist doch sicher klar, dass Lilith dich mit deinen kleinen Verbrechen nicht so leicht vom Hacken lassen wird, wie wir es immer getan haben? Sie sieht deinesgleichen als Ungeziefer an. Willst du das wirklich riskieren?” Danag überlegte erneut bevor er nickte. „Schätze ihr habt da nicht ganz Unrecht...ach Scheiß drauf, ich sag euch, was ihr wissen wollt.” Agares war überrascht. „Wir hätten nicht gedacht, dass du dich so einfach überzeugen lassen würdest.” Sie bekam ein Schulterzucken zur Antwort. „Ich hatte nie viel für den ganzen Politik Kram übrig, aber selbst ich kapiere, dass es uns unter Satan und seinen Bälgern besser ging. Da sind sich sogar viele hier auf dem Schwarzmarkt einig. Aber es wird euch kosten.” Sie versicherten ihm schnell, dass er belohnt werden würde, dann begann er zu erzählen. „Manche Sachen sind natürlich nur Gerüchte, man hört zur Zeit viel in der Unterwelt, aber da viele Geschäfte mit Leuten im Palast machen, sollte vieles stimmen. Satan geht's wohl den Umständen entsprechend gut, er ist eben eingesperrt und hat am Lilith am Hals. Armer Kerl, aber immerhin ist sie mehr als attraktiv. Interessanter wird's schon bei Azazel und diesem Nephilim. Was war sein Name noch gleich? Was aus Assiah, oder? Na egal. Jedenfalls sieht man Azazel immer mal, aber er sieht aus wie auf 'nem Drogentrip. Extrem blass, tiefe Schatten unter den Augen, die Haare sind total schlaff und wahrscheinlich sogar am ausfallen...und er hat ordentlich an Gewicht verloren. Sein Gesicht ist eingefallen. Außerdem haben wohl schon einige beobachtet, dass er hin und wieder Blut hervor hustet. Scheint jedoch nicht die rote Seuche zu sein. Er ist jedenfalls so gut wie immer an Liliths Seite, aber verhält sich ruhig. Einige sagen, dass sie ihn längst gebrochen hat. Zum Nephilim kann ich nicht viel sagen, er hockt in einer Zelle. Angeblich will sie ihn benutzen, um Assiah zu erobern, mehr weiß ich nicht.” Sie nickten beunruhigt. Sie machten sich wirklich Sorgen um den Geisterkönig und natürlich um Rin. Wie auch die Baal glaubten sie nicht daran, dass Azazel wirklich ein Verräter war. „Und weiter?”, hakte Paymon nach. „Na ja, wie ihr ja wisst, haben sich die meisten Adelshäuser recht schnell unterworfen, aber so einige warten nur darauf sie wieder vom Thron zu stoßen. Sogar einige, die Satan eher negativ betrachtet haben, wären bereit ihm dabei zu helfen wieder auf den Thron zu kommen. Ich kann euch nachher mal 'ne List geben. Ansonsten ist Lilith momentan dabei die Sirenen zusammenzutrommeln.” Das war neu. „Die Sirenen?”, fragte Shax, obwohl er bereits eine üble Vorahnung hatte. Danag nickte. „Sie will sie auf die Vergänglichen loslassen und natürlich auf die Dämonenkönige und denen, die ihnen folgen.” „Aber sie sind immun gegen den Gesang, weil Satans Blut in ihren Adern fließt.”, gab Amon zu bedenken. Der Alukah grinste bitter. „Lilith hat ,wenn man meinen Quellen glauben darf, eine Möglichkeit gefunden, das zu umgehen. Sie werden genauso betroffen sein wie alle anderen. Und ich glaube ich muss euch nicht erzählen, was passiert, wenn sie auch noch alle Baal unter Kontrolle hat. Dagegen war der Krieg gegen sie 'ne Kissenschlacht.” Die Dämonen starrten ihn mit offenen Mündern an. „...Das ist ein Scherz oder?”, fragte Shax. „Nö. Und wenn es schon die Baal trifft, sind du und Alastor genauso am Arsch, Erzdämonen hin oder her. Die Sirenen machen natürlich nicht freiwillig mit, aber sie haben nicht wirklich 'ne Wahl.” „Super. Als ob sie nicht schon genug Macht hat.”, seufzte Paymon. „Kannst du uns noch etwas zu Liliths Züchtungen sagen? Wir hören immer wieder Gerüchte darüber.” „Jepp. Scheinbar hat sie Uphirs alte Aufzeichnungen gefunden. Ihr wisst schon, die über die illegalen Züchtungen, verbotene Alchemie und das Verschmelzen von Lebewesen?” Agares spürte wie sich ihr Magen umdrehte. Wenn Lilith wirklich dieses verbotene Wissen benutzte, dann prost Mahlzeit. „Ja, davon haben wir gehört.” Wer hatte das nicht? Die anderen nickten zustimmend. Danag nickte. „Angeblich arbeitet sie an neuen Dingen. Unter anderem versucht sie angeblich unter anderem Sirenen-Alukah Hybriden zu züchten.” „Du machst Witze.” „Seh' ich aus, als würde ich Scherze machen? Oh, und an den Dämonen, die in Zellen sitzen, experimentiert sie auch munter rum. Man munkelt, dass sie erreichen will, dass sie ihr bedingungslos gehorchen und nicht mehr sterben. Quasi wie solche Zombie Teile auf die Menschen in Assiah so stehen.” „Was für Teile?”, fragte Amon verwirrt. Der Halbdämon zuckte mit den Schultern. „Vor einiger Zeit kam so ein komisches Heft aus Assiah rüber, da war das drin. Sind eigentlich wie Ghule, nur ohne Intelligenz und die alles töten wollen.” „Also will Lilith sie zu etwas machen, dass ohne Reue tötet, blutdurstig ist, nicht sterben kann und auf sie hört?”, fasste Paymon zusammen. „Genau. Sie wird's wohl nicht bis zu ihrer Invasion schaffen, aber verstörend genug ist es. Heißt wohl, dass sie Satans Flammen irgendwie benutzen kann, um sich neue Haustiere zu basteln.” „Tja, sie hat Ambitionen. Das muss man der Hexe lassen.”, murrte Amon. „Hey, kein Grund die armen Hexen zu beleidigen.”, murmelte Agares. „Jetzt aber nochmal kurz zurück zu den Adligen.”, lenkte Shax das Gespräch zu einem anderen Thema. „Sicher kennst du noch mehr Leute, die uns im Kampf mit Lilith helfen würden, nicht wahr?” Danag grinste. „Klar doch. Dann hört mal gut zu.” ............................................................................................................................................................ Die nächsten zwei Wochen waren für die Dämonenkönige unerträglich. Sie erfuhren nur wenig über ihre beiden Brüder oder ihren Vater und was sie hörten, war mehr als besorgniserregend. Dafür wussten sie nun, dass Lilith plante, Sirenen einzusetzen, sowie neue vorher noch nicht existierende Wesen. Da kam doch wirklich Freude auf. Allerdings sahen sie momentan das größere Problem bei den Sirenen. Mit ihren Stimmen konnten sie Menschen und den Großteil der Dämonen bezirzen, es würde folglich ein gewaltiges Chaos geben, wenn sie keine Vorkehrungen trafen. Hinzu kam, dass die Dämonengöttin angeblich eine Möglichkeit gefunden hatte, sie ebenfalls zu verhexen. Wenn dies stimmte, mussten sie sich gut vorbereiten. Vaya hatte derweil seit Rins Verschwinden genug davon immer nur doof daneben zu stehen (Vayas Worte, nicht die Worte der Baal) und übte nun mit Egyn regelmäßig Nahkampf. Sie hatte bereits einige grundlegende Techniken von Ankou gelernt, also stellte sie sich sogar recht geschickt an. Sie musste nur aufhören sich zu entschuldigen, wenn sie Egyn traf und zu Boden warf. Richtig interessant würde es jedoch werden, wenn die Dämonen, Illuminati und Exorzisten aufeinander trafen. Hoffentlich schlugen sie sich nicht gegenseitig die Köpfe ein. Momentan war es Abend und sie warteten in einem verlassenen U-Bahn Tunnel auf die Ankunft ihrer Stellvertreter, sowie einiger Dämonen ihrer Elite Einheiten. Laut Berichte hatten sich hier unten schon öfter Gehennatore geöffnet, also hofften sie, dass sie wirklich hier rauskamen. Nicht gerade eine gute Strategie, aber ohne Rin hatten sie niemanden, der eine Gehennapforte öffnen konnten, es blieb ihnen somit keine andere Wahl. Das war wohl der einzige Vorteil der geschwächten Barrieren. Endlich öffnete sich die Pforte und tatsächlich hatten sie Glück. Ihre Stellvertreter inklusive Alastor und der Eliteeinheiten standen vor ihnen. „Ihr lebt ja noch. Beeindruckend.”, kommentierte Alastor trocken. Lucifer verdrehte die Augen. Er hatte jetzt wirklich keine Nerven. „Tja, tut mir leid dich zu enttäuschen. Ist euch jemand gefolgt?” Kopfschütteln seitens der Stellvertreter. „Nein, aber wir sollten hier trotzdem nicht ewig rumhocken.”, gab Ankou zu bedenken und sah sich um. „Wo sind wir hier überhaupt?” „In einer verlassenen U-Bahn Station.”, antwortete Lucifer. „Jetzt kommt. Wir können hier keinen Phasensprung ausführen, weil die Exorzisten hier vor einigen Jahren Bannkreise platziert haben.” „Können sie die nicht entfernen?” Lucifer zuckte mit den Schultern. „Sie behaupten, dass es zu viele sind. Vielleicht vertrauen sie uns auch einfach nicht.” „Ich würde es an ihrer Stelle nicht anders machen.”, brummte Halphas. „Gibt es etwas neues von Rin, Azazel oder Vater?”, fragte Egyn hoffnungsvoll. Shax schüttelte niedergeschlagen den Kopf. „Leider nein. Man hört so gut wie nichts vom Palast. Da sie Assiah noch nicht angegriffen haben, scheint Rin noch Widerstand zu leisten, aber sicher nicht mehr für lange. Hoffen wir auf das Beste.” Sie standen nun vor einer Gabelung. „Wir müsse nach-”, begann der Lichtkönig nur um von Iblis unterbrochen zu werden. „Oh nein, ganz sicher hören wir nicht auf dich, wenn es um Orientierung geht.” Er wurde wütend angefunkelt. „Ich kann mich ja wohl bei zwei Wegen für den richtigen entscheiden!” Die Baal, die Stellvertreter und Lucifers Eliteeinheiten wechselten vielsagende Blicke. „Gehen wir einfach nach links.”, seufzte Egyn. Endlich erreichten sie die Oberfläche. Die Dämonen sahen sich neugierig um, immerhin waren die meisten von ihnen noch nie in Assiah gewesen. Sie entwickelten ein sehr großes Interesse an Ampeln, Hydranten, Autos, Verkehrsschildern und den Anzeigetafeln. Besonders Agares wirkte äußert aufgeregt. Samael zog sein Handy hervor, Beelzebub eine Karte und zeigte sie den Neuankömmlingen. „Wir sind hier und dort müssen wir hin.” Er zeigte es auf der Karte und alle nickten. „Und so muss das Gebäude aussehen.”Diesmal zeigte er ihnen das Bild auf Samaels Handy. Wieder nickten alle. Um einen Phasensprung auszuführen, musste man wissen wie der Ort an den man wollte, aussah. Am besten sollte man zusätzlich wissen, wie weit der momentane und gewünschte Aufenthaltsort in etwa war, um Verwechslungen zu vermeiden. Natürlich könnten die Baal sie einfach mitnehmen, aber falls etwas passierte und sie getrennt wurden, wäre es fatal, wenn die Dämonen nicht wussten, wo sie hin mussten. Sicher war also sicher. Sie hatten keine Lust, sie irgendwo in der Antarktis oder in Australien aufzulesen. Oder in einer Polizeistation, weil sie mit Waffen rumrannten. Es war nicht besonders viel auf den Straßen los, daher würde es wohl niemanden auffallen, wenn plötzlich mehrere Leute verschwanden. Hofften sie. Falls doch, dann dumm gelaufen. Sie hatten echt andere Sorgen. Lucifer atmete erleichtert auf, als sie endlich wieder im Hexenquartier standen. Während sich Amon auf den Weg zu seinen Kindern und Agash machte, bezog der Rest ihre Unterkünfte für die Nacht. Ab morgen würden sie in der Heiligkreuz-Akademie bleiben. Davon war keiner begeistert gewesen, aber es gab dort zum einem mehr Platz, um die Truppen unterzubringen, welche noch kommen würden und zum anderen würde es zweifellos zu Liliths ersten Zielen gehörten. Die Schüler der Akademie waren vorerst nach Hause geschickt worden, offiziell wegen dem ständig wechselnden, extremen Wetter und erhöhter Erdbebengefahr. Dies war nicht mal gelogen. Das Gelände war wirklich stark betroffen. Leider währte ihre Ruhe nicht lange, denn erneut klingelte sein Telefon. Schon wieder einer seiner Hohepriester. Seufzend nahm er den Anruf entgegen. Langsam ging es in die heiße Phase. .............................................................................................................................................. Rin lag zusammen gerollt auf dem Boden seiner Zelle, den Schweif fest zwischen die Beine geklemmt und am zittern. Er konnte nicht mehr, er wollte nicht mehr. Er hatte sich auf Schmerzen eingestellt, doch dies war mehr als er je hätte erwarten können. Wie konnte man sowas mögen? Manche der Aveira hatten sichtlich Spaß daran, aber weshalb? Sicher, er hatte von Sadisten gehört, Shiratori war immerhin einer gewesen (oder war das Astaroths Einfluss?), aber es selbst am eigenen Leibe zu erleben, war anders. Was jedoch eindeutig schlimmer war als die körperlichen Schmerzen, waren die Angriffe auf seine Psyche. Zu Beginn war es noch irgendwie wegzustecken gewesen. Sie hatten ihn größtenteils verspottet, ihm gesagt er wäre wertlos und niemand würde ihm helfen oder sich auch nur für ihn interessieren. Das Problem war, dass man es irgendwann glaubte, wenn man es immer wieder hörte. Dann war es noch schlimmer geworden. Sie hatten ihn mit Visionen und Illusionen geplagt, ihn mit Dingen konfrontiert, die er lieber vergessen wollte und manipulierten seine Erinnerungen. Er sah sich in Assiah, wo er nur verachtet und gehasst wurde, dann war er in Gehenna, wo er von seiner Familie terrorisiert wurde. Sie verletzten ihn, misshandelten ihn und lachten ihn aus. Er wusste, dass es nicht echt war. Diese Erinnerungen waren falsch. Doch die Dämonenkönige hatten recht gehabt. Wenn sich Luxuria und Acedia zusammen taten, war es ein einziger Albtraum. Oft nahm Invidia die Gestalt von Leuten an, die ihm wichtig waren und folterte ihn dann. Sogar Shiros Gestalt hatte sie bereits angenommen, woher auch immer sie von ihm wusste. Mit jedem Tag, der verging, fiel es ihm schwerer Realität und Lüge zu unterscheiden. Hatte Yukio ihn versucht zu erschießen? Hatte sein Vater ihn jemals verbrannt, weil er Widerwirte geäußert hatte? War er zusammengeschlagen worden, wenn seinen Halbbrüdern langweilig gewesen war? Er hatte keine Ahnung mehr. Was wenn es stimmte? Was wenn seine angebliche Familie ihm das wirklich angetan hatte? Seine Albträume wurden immer intensiver, der Hunger und der Durst waren beinahe unerträglich. Dennoch weigerte er sich aufzugeben. Immer wenn Lilith seine Zelle betrat, leistete er Widerstand, egal wie schwer es ihm inzwischen fiel. Ein Teil von ihm wollte allerdings nur, dass es endete. Leider waren Lilith und die Aveira nicht die einzigen, die ihn gerne quälten. Aulak hatte ihm gegenüber einen gehörigen Groll entwickelt und ließ es sich nicht nehmen immer wieder vorbei zu schauen. Die Besuche liefen meist gleich ab, doch an den ersten konnte er sich am deutlichsten erinnern. Der Alukah hatte sich ihm grinsend genährt und nur gesagt, dass ihm diesmal keiner helfen konnte. Dann war er plötzlich über ihm gewesen, die Zähne waren in voller Länge draußen. Was danach kam, wusste der Nephilim nicht mehr. Er war später aufgewacht, sehr geschwächt und orientierungslos. Als er an seinen Hals gegriffen hatte, konnte er dort die bereits verschlossene Wunde spüren. Damit war klar gewesen, was passiert war. Der Alukah war noch öfter gekommen und hatte sogar begonnen seine Kräfte gegen den Nephilim zu verwenden, um ihn gefügig zu machen und zu demonstrieren, dass er ihrer Gnade ausgeliefert war. Laut Aulak hatte sein Blut eine fast schon berauschende Wirkung. Na danke. Warum er nicht längst an Blutverlust gestorben war, blieb ein Rätsel. Wahrscheinlich regenerierte er Blut schneller als normale Menschen. Er zuckte zusammen, als sich die Tür öffnete. Doch es waren weder Lilith noch Aulak oder eine der Aveira, sondern einer der Wachen, der ihm Essen brachte. Es waren nur zwei Scheiben Brot und etwas Wasser, aber für Rin sah es aus wie ein Festmahl. Dennoch traute er dem Frieden nicht. Bisher hatte man immer hungern lassen und wenn Essen kam, musste er immer irgendwas tun, um es sich zu "verdienen". Der Wächter stellte es wortlos vor ihm ab, ohne ihn anzusehen. Hatte er Mitleid mit ihm? Gut möglich. Bringen würde es nur nichts. „Wo ist der Hacken?”, krächzte Rin hervor. Es wunderte ihn, dass er nach dem ganzen Schreien noch sprechen konnte. „Gibt keinen. Luxuria und Avaritia meinten, dass du es nötig hast.”, kam die knappe Antwort. Damit drehte er sich um und ließ ihn wieder in der Dunkelheit zurück. Zuerst spielte der Nephilim mit dem Gedanken, das Essen und Wasser einfach stehen zu lassen. Wer wusste schon was da drin war? Andererseits knurrte sein Magen und er war vollkommen ausgetrocknet. Er beschloss es zu riskieren. Das Brot war trocken und das Wasser schmeckte etwas schlammig, aber es war ihm egal. Als der Teller und der Becher leer waren, lehnte er sich wieder gegen die Wand. Allerdings währte die Ruhe nicht lange. Die Tür öffnete sich erneut und Avaritia betrat die Zelle. Der Nephilim war überrascht. Sie hatte sich bisher noch nie hier blicken lassen. Hin und wieder wurde er in einen anderen Raum gebracht und er meinte sie dort gelegentlich gesehen zu haben, allerdings nur als stille Beobachterin. Was wollte sie von ihm? Die Silberhaarige starrte ihn an. „Du bist echt am Ende.”, kommentierte sie. Rin schnaubte. „Ach wirklich? Danke für die Info. Hätte ich nie selbst bemerkt.” Sie lachte kurz auf. „Du bist nicht leicht klein zu bekommen, was? Du verschwendest aber deine Zeit. Du kannst nicht gewinnen.” „Ich hab die Rede schon bekommen. Wenn das alles ist, kannst du wieder gehen.”, brachte der Halbdämon hervor. Sie verdrehte die Augen. „Ich versuche hier, dir 'nen Gefallen zu tun. Je länger du es hinauszögert, umso schmerzhafter wird es für dich und umso nerviger für uns.” „Warum haben du und Luxuria mir Essen bringen lassen?”, fragte Rin, ihre Aussage komplett ignorierend. Die Aveira zuckte mit den Schultern. „Hey, wir sind nicht herzlos. Luxuria hat sogar irgendwie Mitleid mit dir...abgesehen davon bringst du uns nicht, wenn du tot bist. Klar, Lilith braucht dich nicht unbedingt, aber schlechte Laune hätte sie trotzdem. Und wenn sie schlechte Laune hat, ist das schlecht für uns. Glaub mir, es ist besser ihr einfach zu geben, was sie will. Dieses Miststück wird ziemlich ungemütlich, wenn sie ihren Willen nicht bekommt. Sie ist da wie ein kleines Kind.” Rin sah sie verwundert an. „Du scheinst nicht viel von ihr zu halten. Warum arbeitest du dann für sie?” Sie lachte kalt. „Ich bin ein Teil von ihr. Oder war es mal. Wenn ich versuche mein eigenes Ding zu machen, bin ich schneller weg als ich mit Gula 'ne Flasche Alkohol weg bekomme. Außerdem könnte ich nirgends hin. Satan und deine Geschwister oder generell Gehenna sind nicht grad angetan von uns. Sie würden mich töten.” Der Nephilim schüttelte den Kopf. „Nur weil du ein Teil von ihr bist oder warst, heißt das lange noch nicht, dass du alles tun musst, was sie dir sagt. Du hast deine eigene Persönlichkeit und eigene Ziele, oder? Ihr solltet selbst entscheiden können.” Zu seiner Überraschung hielt Avaritia inne und sah ihn durchdringend an. Er konnte die Emotion jedoch nicht benennen. „Es spielt keine Rolle.”, sagte sie langsam. „Ernsthaft, mein Rat: Gib auf. Du wirst nie gegen sie bestehen. Mach es dir und allen anderen einfach.” Er antwortete nicht und sie schien es nicht zu erwarten. Erneut wurde er allein in der Zelle zurückgelassen. Eine weitere Woche verging. Zumindest glaubte er, dass es eine Woche war. Seine Albträume wurden immer schlimmer, die Illusionen stetig realer. Inzwischen glaubte er, dass sein Vater und seine Geschwister ihn vielleicht wirklich verletzt hatten und er es nur verdrängte. Er wusste nicht mehr was real und was Einbildung war. Er war am Ende. Er wollte, dass es aufhörte. „Hey. Sieh mich gefälligst an.”, sagte Astaroths Stimme und kickte ihn mit dem Knie in den Magen. Er rührte sich kaum. „Was? Bist du schon am Ende? Erbärmlich. Aber was kann man schon von einer Missgeburt wie dir erwarten?” „......” „Vater hätte dich einfach umbringen sollen, dann hätten wir einiges an Sorgen weniger. Das hier ist alles deine Schuld.” „......” „Langweilig. Jetzt sagst du nicht mal was? Heeeeey, ich rede mit dir.” Der Halbdämon schwieg weiterhin. Bevor Astaroth (Invidia) ihn zusammenschlagen konnte, öffnete sich die Tür. Es war Lilith, diesmal allein. Sie hatte zuvor ein paar Mal Azazel mitgenommen. Dieser hatte nie irgendeine Regung gezeigt, egal in welchem Zustand er war. Einige Male war er sogar ebenfalls von ihm gefoltert worden, aber das könnte durchaus nur Invidia gewesen sein, oder? So oder so war er ihnen allen wohl wirklich egal. „Das reicht jetzt. Ich rede mit ihm.”, sagte die Dämonengöttin. Als sie alleine waren, schwieg sie für einige Sekunden, doch ergriff schließlich das Wort. „Du hast es endlich eingesehen, oder? Dass du wertlos bist. Dass du deiner sogenannten Familie nur Unglück gebracht hast. Gut, du bist ihnen sowieso egal. Deine Freunde hassen dich. Du hast niemanden mehr. Ich kann dir aber die Schmerzen nehmen. Alles was du tun musst, ist mich rein zu lassen.” Etwas sagte Rin, dass dies eine schlechte Idee war. Sie versuchte ihn zu manipulieren. Jedoch war die Stimme so winzig, dass er sie einfach ignorierte. Sie hatte recht. Er war wertlos. Er hatte niemanden mehr. Er war in dieser Hölle gefangen, er wollte, dass es aufhörte und sie war die einzige, die ihm helfen konnte. Ihn hasste sowieso jeder. Es machte keinen Unterschied mehr. Damit traf er seine Entscheidung. „....Ich lasse dich rein.” Die einzige Antwort, die er bekam, war ein raubtierhaftes Grinsen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)