Track or Treat. von Usagi_Jigokumimi (Auf deiner Spur?) ================================================================================ Kapitel 5: Freunde ------------------ ‘I love the way that this began. Started off right, so innocent. I'm letting you know, I'm letting you go, I want your best friend. I'm giving it up and asking why you seem so shocked and so surprised. I'm sorry it hurts, I'm surely a jerk, I understand why you're mad. Don't talk that crap when you call me back as a matter of fact don't act like that. Everybody knows you're right, everybody knows I'm wrong (wrong).‘ ~ Falling in Reverse, „Fashionable Late“ (2013) Als ich am Morgen das Haus verließ, war es schwül und drückend. Seufzend setzte ich mich in Moms braunen Honda Civic, wie immer, wenn sie Mittelschicht hatte, fuhr sie mich zur Schule. „Wenn du so langsam fährst, kannst du das Auto auch tragen…“, meinte ich müde und schlecht gelaunt, als sie im Schneckentempo auf den Parkplatz kroch. „Du kannst auch laufen!“, giftete sie zurück, „Wenn du dein Erspartes nicht für einen Schrotthaufen ausgegeben hättest, müsste ich dich nicht überall hinfahren!“ „Er ist kein Schrotthaufen, sondern ein Klassiker… Und er wird fahren!“, dass dies erst in einem halben Jahr der Fall sein würde, musste ich ihr ja nicht unter die Nase reiben. Ich hatte mir letztes Jahr zu meinem Geburtstag ein Auto gekauft. Meine Eltern schenkten mir 1000 Dollar und die andere Hälfte sponserte ich. Nach langem Suchen und der einstimmigen Meinung meiner Freunde und Verwandten, dass ich einen Knall hatte, hatte ich mir als Autonarr einen alten Impala 67 gekauft. Ja, das Auto von Dean aus Supernatural. Nein, ich hatte ihn nicht deswegen gekauft, auch wenn ich Jensen Ackles heiß fand. Es war einfach ein wundervolles Auto und ich war in der alten Werkstatt meines Dads auf einen guten Deal gekommen. Jeff, der Chefmechaniker, und mein Dad waren zusammen auf die High-School gegangen. Und wenn ich an den Wochenenden mitarbeitete, müsste ich nur die Teile bezahlen, die bei der Restauration anfielen. Das war vor 10 Monaten her. Ich hatte bist jetzt noch nicht einen Meter mit dem Wagen zurückgelegt, aber ich gab die Hoffnung nicht auf. Mein Dad war schon immer ein Bastler gewesen und hatte mich als ich kaum laufen konnte schon mit in die Werkstatt geschleppt. Ich liebte den schweren Geruch, das Gefühl von Schmieröl und die Befriedigung, wenn etwas, das kaputt schien, wieder funktionierte. Also sah ich das Ganze als Herausforderung und nur ein bisschen als Geldverschwendung. Wahrscheinlich wollte ich deswegen Ingenieur werden… „Einen schönen Tag…“, sagte meine Mutter als ich ging. „Dir auch…“, zog ich eine Grimasse und sie lachte. Gähnend ging ich ins Schulgebäude, wo Leonie mich schon erwartete. „Oh Bitte nicht…“ „Oh bitte doch!“, sagte diese zuckersüß und hackte sich bei mir unter, ihr Schwester Ruth neben sich. „Mein liebster Oscar…“, ich wusste das Leonie nie gefährlicher war, als in ihren netten Momenten, „Würdest mir verraten, was am Samstag vorgefallen ist? Bitte…“ „Wir leben alle drei noch und wie Bob bereits weiß, hab ich auch noch alle meine Zähne!“ Besagter bester Freund steuerte lässig, wie immer, auf uns zu. „Morgen, Bro…“ „Weißt du mehr?“, begrüßte ihn Leonie. „Über Oscars Zähne?“, fragte Bob verblüfft zurück,.Ruth kicherte, als Leonie theatralisch die Arme hochwarf. „Ihr seid alle zu nichts zu gebrauchen!“ „Wenigstens hat Oscar nicht Jesus vorgeschoben um am Wochenende nicht mitkommen zu müssen!“, kam es nun hinter uns. Kim begrüßte mich mit einer gewohnt stürmischen Umarmung. „Oscar weiß selbst nicht, warum er sich dass angetan hat…“, meinte Leonie entschieden, „Wahrscheinlich habt ihr euch die ganze Zeit an gegiftet und zum Schluss hat Oscar versucht sich in einer Rolltreppe das Leben zunehmen!“ Immer noch lächelnd zückte Kim ihr Handy. Keine 10 Sekunden später vibrierte Leonies. Irritiert zog die Schwarzhaarige ihr Handy, Ruth lugte über ihre Schulter. „Nein!“, entsetzt sahen die Zwillinge auf das kleine Display, „Wie? Warum…“ „Was hast du ihnen geschickt?“, fragte ich nichts Gutes ahnend, „Die beiden sehen aus, als hätten sie wirklich Jesus enttäuscht!“ „Das hast wohl eher du!“, meinte Leonie und zeigt mir nun das Bild, das ich ebenfalls gestern angehimmelt hatte. Vins und ich eng beieinander, seine Hand zerwühlte mir die Haare. Überrumpelt gluckste ich auf. Versuchte meine Freude und meine Scham über das Bild zu verbergen. „Er ist Satan!“, sagte Leonie entschieden. „Ich bevorzuge Herr der Finsternis. So gut kennen wir uns nun schließlich auch wieder nicht!“, kam es hinter ihnen. Vins war gerade hereingekommen. Kim und ich lachten. Leonie starrte noch immer verwirrt auf ihr Handy. „Morgen… Heute ohne Mützchen?“, begrüßte mich Vins und nickte mir zu. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. War die Schule, wie die Mall? Waren wir hier die Gleichen? Unweigerlich kam mir das Gespräch mit meinem Vater ins Gedächtnis. „Offensichtlich…“, zuckte ich mit den Schultern und fuhr mir durch die Haare, „Hier sind, soviel ich weiß, noch keine Sicherheitskameras…“, griff ich den Witz vom Samstag wieder auf. Ein schmales Lächeln schob sich auf sein Gesicht. Wir gingen nun zu sechst weiter den Flur entlang. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Kim und er hielten Händchen. „Ich glaube, dass das Foto gestellt ist.“, hörte ich Leonie hinter mir flüstern. „Vielleicht tun sie nur so, damit der jeweils andere sich in Sicherheit gewogen fühlt.“, überlegte Ruth. „Das wird’s sein.“ Ich sah die beiden an und schüttelte nur den Kopf. Synchron zuckten sie mit den Schultern. Wir hielten bei meinem Schließfach und Bob fing wieder über den ökologischen Fußabdruck an zu sprechen, als jemand seinen Müll vor uns auf den Boden fallen ließ und wie wichtig Eigenverantwortung war. „Hast du Mathe noch gemacht?“, fragte mich Kim und lehnte sich gegen das Schließfach neben meinem. „Ja…“ „Das klingt nicht überzeugt…“, sagte nun die Blonde. „Ich hab mehr gemacht, als Mathe verdient!“ Vins schnaufte lachend. „Vielleicht hast du ja Mathe nicht verdient…“, sagte er und Kim gluckste. „Vielleicht hast du deine Freundin nicht verdient!“, sagte ich vor Aufregung das Erste, das mir in den Kopf schoss, ohne darüber nachzudenken. Kim lachte unerwartet auf. Ich wusste das Leonie und Ruth genau das bekamen, was sie erwartet hatten. Doch Vins zog die Brauen hoch. „Und wer meinst du, hat sie verdient?“, ein eigentümlicher Blick lag in seinen grünen Augen. „Was fragst du da mich?! Ich würde sie noch nicht mal geschenkt nehmen!“ „Du Arsch!“, Kim versuchte nach mir zu treten und Vins lachte. Er verzog gespielt nachdenklich das Gesicht. Sie boxte ihn auf die Brust und er keuchte leise auf. „Au“ „Verteidige mich gefälligst, du Penner!“ Spielerisch boxte er mir nun auf die Schulter und zerwühlte mir dann, wie auf dem Foto, die Haare. „Ey!“ Wer hätte gedacht, dass er nicht nur bei Kim so körperlich war. Ich hatte ihn irgendwie nicht, wie den Umarme-Typ eingeschätzt… „Also seid ihr jetzt wirklich Freunde…?“, Leonie schien zu tiefst erschüttert und ein bisschen enttäuscht. „Niemals!“, sagte Vins grinste aber. „Er riecht komisch!“, meinte ich nun, purer Hohn. Es gab keinen Menschen, der für mich besser roch. „Das ist der Schwefel!“, nickte Vins wissend, „Einer der Nachteile meines Jobs als Herrscher der Hölle.“ Ich schnaubte. „Wenn du der Teufel bist, bin ich Jesus!“ „Was passt! Leonie und Ruth enttäuschen dich bestimmt ab und an.“, zuckte Bob überlegend mit den Schultern. Vins und ich brachen in schallendes Gelächter aus. Kim verkniff sich sehr angestrengt ihr Lachen. „Ich hoffe dir ist bewusst, was du da angerichtet hast.“, sagte Leonie und stakste davon,.Ruth sah ihr kurz nach und lachte dann bevor sie ihr hinterher ging. „Unmöglich…“, tat Kim enttäuscht. Sie küsste Vins, schnipste mir gegen die Stirn und folgte ihren Freundinnen zum Englisch Leistungskurs. „Ich muss auch zu Englisch.“, seufzte Bob, „Bis Später, Digger!“ Plötzlich allein mit Vins wurde mein Lächeln nervöser. Wir hatten tatsächlich jetzt zusammen Mathe Leistungskurs. Ich machte mein Schließfach zu und ging mit Vins schweigend durch den Flur. Ein paar Leute grüßten mich und sahen ziemlich verwirrt aus, dass Vins neben mir herging. „Du bist also an den Hausaufgaben verzweifelt?“, fragte er schließlich in meinen inneren panischen Monolog hinein. „Hm?“, verwirrt sah ich ihn mit großen Augen an. „Mathe?“, fragte er langsam, als wäre ich doof. „Oh…“, ich räusperte mich, „Ja… Nee, ich hab das Nötigste gemacht. Bei Aufgabe 13 hatte ich einfach keinen Bock. Ich weiß, dass meine Antwort falsch ist.“ Er schmunzelte tatsächlich. Als wir in den Matheraum kamen steuerte ich etwas unentschlossen auf meinen Platz rechts in der Mitte zu. Wir hatten keinen festen Sitzplan, aber wenn man zu beginn des Jahres wo saß, saß man da meistens auch den Rest des Jahres. Vins war immer noch hinter mir. Da er später zu uns gekommen war, hatte er den einzigen freien Platz weiter vorne eingenommen. Ich setzte meinen Rucksack ab und Vins ließ sich neben mir fallen. Justin, der sonst neben mir saß, sah Vins verwirrt an. „Ja?“, fragte Vins angriffslustig, als Justin vor seinem eigentlichen Platz stand. Justin entschied, wie ich fand sehr klug, nicht zu antworten und sich schlicht auf Vins alten Platz zu setzten. Justin war okay, wenn wir auch keine besten Freunde waren, trotzdem gluckste ich. „Du bist auch so ein Typ, der das mit Charme macht.“, spottete ich leise und kramte meine Hausaufgaben hervor. „Bei dir scheint er doch zu wirken!“, scheinheilig lehnte sich der Größere zu mir vor. „In deinen Träumen…“, natürlich wurde ich rot. Ich hoffte inständig das er das nicht bemerkte. „Das sind also deine Hausaufgaben?“, fragend zog er meine Aufzeichnungen zu sich ran. Er nahm einen Stift aus meiner Federtasche und blätterte durch die Seiten. „Malst du mir jetzt Penisse an den Rand?“, fragte ich leise, Mr. Keller begann vorne die Luft zu bewegen. Viele meinten er wäre genauso wie Mathe. Wenn Mathe wirklich er war, war Mathe tatsächlich ein Arschloch. „Willst du schnell abschreiben?“, nuschelte ich und konnte nicht genau sehen, was er da in meinen Aufgaben herum kritzelte. Mr. Keller sammelte gerne mal die Hausaufgaben ein oder ließ sie Vorrechnen. „Nee.“, grinste Vins mich an und verschränkte die Arme über meinen Aufgaben, so dass ich nicht sah, was er gemacht hatte. „Hast du wirklich Penisse rein gemalt?“ „Ich bin berüchtigt für meine Penisse, große Kunst.“ „Ich weiß nicht, ob das ‘ne gute Sache ist.“, sagte ich leise und sah nach vorn. „Kommt drauf an, wen man fragt.“ „Den Kinderschutzbeauftragten…“, war meine Antwort. „Deine Mutter…“, war seine Antwort. „Fick dich!“, lachte ich etwas zu laut. „Mr. Sprout!“, bellte Keller von vorne und ich zog eine Grimasse. „Wenn Sie meinen Ausführungen nicht lauschen müssen, können sie doch nach vorn kommen und…“, seine schmalen Schildkrötenlippen verzogen sich gehässig, „… lösen Aufgabe 13 der Hausaufgaben!“ „Gerne…“, innerlich ihn, Vins und mich verfluchend stand ich auf. Natürlich musste es Aufgabe 13 sein, die mit Abstand schwerste von den 15. Sichtlich gegen das Lachen ankämpfend, reichte mir Vins meine Notizen und ich ging nach vorne. Keller reichte mir die Kreide und ich blätterte in meinen Notizen nach der Aufgabe. Ich ahnte was dieser Penner zu meinem Lösungsweg sagen würde. Doch als ich zu der Aufgabe kam, sah ich das Vins sie korrigiert hatte. Tatsächlich fand ich nicht einen Penis. Verdutz sah ich nach hinten. Der Dunklehaarige reckte frech den Daumen nach oben und lehnte sich zurück in seinem Stuhl. Ich war nun wirklich nicht schlecht in Mathe, wenn ich wollte, aber so schnell hätte ich es auch mit großem Enthusiasmus nicht hingekriegt. „Nun fangen Sie an!“, meinte Mr. Arschloch neben mir und verhalten lächelnd schrieb ich den von Vins korrigierten Lösungsweg plus Antwort auf. Schon bei der Hälfte bemerkte ich die unverhohlene Missgunst meines Lehrers, da ich es offensichtlich richtig hatte. „Schön!“, sagte er, als ich ihm die Kreide wieder reichte, „Da wir das jetzt hätten, können Sie sich setzten und bitte seien Sie jetzt aufmerksamer!“ Seinen Lieblingsschülern hätte er jetzt ein A gegeben Ich setzte mich hin und verpasst Vins unauffällig eine auf den Hinterkopf, als ich an ihm vorbei ging. „Danke!“, nuschelte ich. „Wenn ich gewusst hätte, dass du nach vorne musst, hätte ich wirklich nur Penisse rein gemalt!“ „Pisser!“ Der Rest der Stunde verging damit, dass wir uns gegenseitig Penisse auf unsere Blöcke malten. Vins kassierte eine arge Rüge, weil er mich lachend einen „Spast“ nannte, als ich ihm einen Penis auf den Arm malen wollte. Ich wusste das uns alle ansahen. Das keiner verstand, was da abging, aber mir ging es ja nicht anders. Am Freitag hatte ich noch das Gefühl gehabt, er würde mich am liebsten erschießen und irgendwo flach in der Wüste vergraben. Jetzt blödelten wir wie die besten Freunde durch die Gegend und nervten unser Umfeld. Es war wundervoll, es war genau das, was ich wollte und es war gelogen. Denn ich wollte nicht sein neuer bester Freund sein. Ich wollte mehr sein, alles sein… Ich… Ich hatte danach Physik und Bio, in beiden, war Vins nicht. Bob begrüßte mich mit seinem üblichen „Bro…“ Die Stunden verstrichen und ich wackelte nervös mit den Beinen. Würde Vins die Mittagspause mit uns verbringen? Würde er lieber bei seinen coolen Freunden sitzen? Wie würde es morgen sein oder den Rest der Woche? Könnten wir vielleicht am Wochenende etwas unternehmen? Vielleicht könnte ich Kim irgendwie dazu bringen. Meine Gedanken kreisten um alles, nur nicht um den Unterricht. Mehr als einmal ermahnte mich unser Biolehrer Mr. Lopez, eigentlich einer meiner Lieblingslehrer, mit den Gedanken in der Klasse zu bleiben. Tatsächlich bat er mich unnötigerweise nach der Stunde noch kurz zu bleiben. „Ist alles in Ordnung, Oscar?“, fragte er mich und schien sittlich besorgt. Ich war sonst sehr aktiv in Bio, nicht so wie Bob, aber das Fach faszinierte mich. „Ja, ich…“, schnell überlegte ich mir eine Ausrede, „Ich bin im nächsten Lauf der Staffel der letzte Läufer, wenn das klappt bleibe ich auf der Position und…“, ich zuckte mit den Schultern. „Du hoffst auf ein Stipendium…“, Mr. Lopez schien beruhigt, „Ich kann das gut nachvollziehen, aber setzt dich nicht zu sehr unter Druck. !“. Er putzte kurz, aber gründlich seine Brille, „Wir Lehrer sind momentan nur zu mehr Wachsamkeit aufgerufen worden, wegen der Sache mit Miguel…“ Die Erinnerung an das Gespräch mit meinem Vater am Abend zuvor traf mich wie ein Fausthieb. „Ich bin mit meinen Freunden in der Kantine verabredet!“, beendete ich die Unterhaltung. Mr. Lopez nickte und ich flüchtete regelrecht aus dem Raum. Ich ging schnell zu meinem Schließfach und Kim stand plötzlich neben mir - ohne Vins leider. „Ich hasse Keller!“, war ihre Begrüßung und ich grunzte zustimmend. Irgendwo hinter uns krachte es ziemlich laut. Kim lehnte sich an mir vorbei, sah aber nichts. „Mich hat er heute auch schon auf dem Kieker gehabt!“, ich stopfte Mathe zurück ins Schließfach und zog alles für Geschichte hervor. Wieder rumste es und jemand lachte hysterisch. Mehrere Schüler um uns herum liefen in die Richtung aus der der Krach kam. „Was geht denn da ab?“, Kim lief nun ebenfalls auf den Tumult zu. Ich schlug schnell mein Schließfach zu und folgte ihr. Ich stieß gegen Kim, als sie zurückschreckte. Ein Stuhl war in unsere Richtung geflogen. Lukas, ein schmaler Typ mit roten Haaren, denn ich nur vom Sehen her kannte, stand bleich und nass vor Schweiß in der Tür zum Kunstraum. Seine Augen waren riesig und glasig. Er lachte, laut und hysterisch. Alles was er fand, packte er und warf es um sich. „Sie kriegen mich nicht!“, schrie er jetzt lachend und verschwand im Raum. Glas zerbrach. Ein Keramikbecher flog aus der Tür. Ein paar Leute lachten verhalten. „Lukas!“, Miss Bladin, die Kunstlehrerin kam nun angerannt, „Beruhige dich!“ Doch es klirrte und er rief wieder: „Sie kriegen mich nicht! Ich fliege nämlich weg!“ In meinem Kopf rasteten zwei Sachen ein. „Er will aus dem Fenster springen!“, japste ich auf und schoss an Kim vorbei. Hinter mir kamen entsetzte Laute. Ich schilderte in den Kunstraum. Lukas stand mit panischem Blick auf dem Fenstersims. Wir befanden uns im zweiten Stock, wenn er falsch landete, könnte er sich umbringen. „Ich fliege!“, schrie er mir lachend entgegen. Doch liefen ihm Tränen übers Gesicht . Pure Panik lag in seinem Blick, „Sie kriegen mich nicht!“ „Niemand kriegt dich…“, sagte ich ruhig und versuchte nicht auf den Scherben am Boden auszurutschen, als ich mit beruhigend erhobenen Händen auf ihn zu ging. Im Fensterrahmen hinter Lukas hingen nur noch vereinzelte scharfkantige Glassplitter. Er krallte sich mit den Händen an den Überresten fest. Ich sah wie ihm das Blut die Arme entlang lief und unterdrückte ein Würgen. „Ich fliege… ich fliege weg!“, lachte er jetzt wieder und ich wusste nicht, was ich tun sollte.Ich betete einfach stumm, dass jemand die Polizei gerufen hatte - samt Feuerwehr. „Niemand kriegt dich. Ich helfe dir.“, versuchte ich ihn zu beruhigen, „Wenn du vom Fenster wegkommst, helfe ich dir…“ Einen Fuß vor den anderen setzend näherte ich mich ihm. Er zuckte nicht vor mir weg, stieg aber auch nicht vom Fenstersims. Sein Blick war völlig entrückt und er begann zu zittern. „Sie dürfen mich nicht kriegen!“, flüsterte er jetzt wieder und brach dann erneut in schallendes Gelächter aus. Jedes Haar auf meinem Körper stellte sich auf. Das war einfach verdammt gruselig. „Ich lass’ nicht zu, dass sie dich kriegen!“, sagte ich bestimmt, dabei imitierte ich meinen Vater so gut wie möglich, „Aber du musst zu mir kommen! Ganz langsam…“ „Nein, nein, nein, nein…“. Er keuchte, ruckte von mir weg. „Okay, okay!“, ich ging wieder ein Stück zurück, halb in die Hocke. Ich war noch nicht nah genug, wenn er sich jetzt fallen ließ, würde ich ihn nicht erwischen. Lukas drehte sich und schwankte gefährlich, ich nutze den Augenblick und verringerte den Abstand zwischen uns weiter. Hinter mir was es toten still. „Ich fliege einfach weg!“, wieder ein Lachen, ein Schluchzen, alles war eins, „Es hört dann auf! Es muss aufhören!“ Lukas holte hektisch Luft. Sein Lachen war nur noch ein Krächzen, doch ich war nah genug dran. Bevor er noch ein Stück weiter nach vorne rutschen konnte, schlang ich die Arme um seinen Oberkörper und zerrte ihn zurück. Schmerzhaft schrammten meine Arme an den Glasresten vorbei. Er schrie, lachte und schlug um sich, doch ich ließ nicht los und zerrte ihn weg vom Fenster. Plötzlich hielt jemand die Arme von Lukas und zerrten ihn mit mir zurück. Coach Tuker und Mr. Lopez waren unbemerkt hinter mir in den Raum gekommen und halfen mir den verwirrten Schüler zu bändigen. Schließich konnten die beiden Männer ihn auf den Boden drücken und ich ließ keuchend los. Ich wich zurück und sah wieder in das vor Panik verzerrte Gesicht von Lukas. Sein Zittern wurde immer schlimmer. Sine Kopf ruckte umher. „Sie haben mich!“, kreischte er in eindeutiger Todesangst, noch immer lachend. Schließlich verdrehten sich seine Augen nach hinten, sodass nur noch das weiße sichtbar war und sein Körper schüttelte sich. „Er krampft!“, ich kniete mich neben den Jungen. Ich versuchte mich zu erinnern, was man jetzt am besten tat. Was würde meine Mutter jetzt machen? Ich nahm einen süßlichen Geruch war. „Ich glaube er erbricht sich. Wir müssen ihn so drehen, dass er nicht daran erstickt!“ Die Lehrer konnten ihn durch das Krampfen nicht in stabile Seitenlage bringen, also drehten sie ihn seitlich und versuchten seinen Mund zu öffnen. Weißer Schaum, wie Geifer, und eine gelbe Flüssigkeit tropfte heraus. „Hier entlang Officer!“, hörte ich Miss Bladin sagen. Zwei Polizisten und ein Sanitäter stürmten in den Raum. Die Lehrer wichen dem geschulten Personal und ich stand ebenfalls auf, doch ich konnte meinen Blick nicht von dem Jungen am Boden nehmen. War das Miguels Ende gewesen? War es schon zu spät? Warum war niemand Miguel zur Hilfe gekommen? Lukas zuckte jetzt so heftig, dass man ihn kaum fixieren konnte. Die Schüler vor der Tür nuschelten und kreischten erschrocken. „Er stirbt!“ Irgendwer brüllte: „Machen Sie die Tür zu!“ „Oscar komm raus, komm…“, Mr. Lopez, wollte mich am Arm hinaus bugsieren, doch ich entzog mich. Sah starr auf den Todeskampf vor mir, „Oscar!“ Ich schüttelte nur den Kopf und entzog mich wieder dem Lehrer. „Nein!“ „Raus mit dir, mein Junge!“, plötzlich war da mein Vater. Mit schreckensweiten Augen sah ich ihn an. Keinen Widerstand duldend schob er mich in den Flur. „Was passiert da jetzt?“. Ich wollte irrationaler Weise wieder in den Raum, „Schafft er es?“ Dad hielt mich zurück. „Warte hier!“ „Aber…“ „Du hast alles richtig gemacht. Ich bin sehr stolz auf dich… Und jetzt warte hier!“ Ich sah wie an meinem Vater zwei weiter Nothelfer mit einer Trage in den Raum hasteten. Mein Vater ließ mich los, sah mich ein letztes Mal mahnend an und schloss dann hinter sich die Tür. Schweratmend sah ich auf das orangelackierte Holz. „Oscar“, irgendwer sagte meinen Namen, doch es war mir egal. Schweratmend ging ich einen Schritt zur Tür drehte dann um und ging zur schließfachgesäumten Wand. Mit so viel Kraft, wie ich auf bringen konnte, schlug ich gegen ein Schließfach. Irgendwer kreischte auf. Wieder drehte ich mich um und sah zu der geschlossenen Tür. Ich fuhr mir völlig überfordert mit mir und meinen Gefühlen übers Gesicht. Erneut wollte ich gegen das Schließfach hauen, solange bis dieses verdammte Loch in mir endlich aufhörte zu schreien und zu bluten. Doch bevor ich nochmal zu schlagen konnte, schloss sich eine Hand fest um mein Handgelenk. Ich wollte mich umdrehen. Wem auch immer mich festhielt welche verpassen, doch sofort schloss sich die andere Hand viel zu gekonnt um mein noch freies Handgelenk. Ich starrte in Vins grüne Augen. „Ganz ruhig!“, sagte er leise, „Atme!“ Ich ließ die Hände sinken, sah in das Grün, dass ich so liebte und hätte am liebsten geschrien. Keuchend holte ich Luft. Mit einer Hand hielt er mein Handgelenk weiter umschlossen, mit der anderen packte er mich nun im Nackten und zog mich an sich ran. Stirn an Stirn standen wir nun da. „Fahr runter! Es ist alles gut!“ „Oscar!“, Kim trat neben mich, legte eine Hand auf meinen freien Arm und kämpfte anscheinend mit den Tränen. „Du hast ihm das Leben gerettet, der schafft das!“, sagte Vins Ich sagte nichts, die ganze Anspannung, all die Wut schien durch Vins Berührungen davon zu schmelzen, ich taumelte zurück. „Du bist ein Scheiß Held!“, lachte Kim halb unter einem Schluchzer. Vins Griff wurde fester. Er legte einen Arm um mich, gab mir den Halt, den ich alleine nicht mehr hatte. Irritiert sah Vins auf seine freie Hand und zog meinen Arm, den Kim noch immer umklammerte nach vorne. Verwirrt folgte ich seinen Bewegungen. „Du blutest.“, sagte er ruhig. Tatsächlich strömte es rot aus meinem Arm in zwei tiefen, langen Schnitten. „Oh Shit!“, sagte Kim und kramte sofort nach Taschentüchern. Starr sah ich weiter auf die Tür, als könnte ich hindurchsehen, wenn ich mich nur genug anstrengte. „Bitte geht alle in eure Klassen!“, kam nun unser Direktor und die übrigen Lehrer. Sie verscheuchten die Schaulustigen. Bevor Direktor Finnick etwas zu mir sagen konnte, sprach Mr. Lopez in ruhiger Stimme mit ihm. Kim drückte jetzt ein Taschentuch auf die Schnitte. „Du blutest dich voll…“, sagte ich entschuldigen, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Ich hab’ mehr mit Blut zu tun, als ihr beide zusammen“, scherzte sie, doch ich konnte nicht lachen. Die Schülerscharen wurden verscheucht und wir blieben zu Dritt zurück. Vins und Kim sahen Finnick an, als würden sie ihn beißen, wenn er sie von mir trennen wollte. Die Minuten krochen dahin. Nichts passierte. Niemand kam heraus oder ging in den Kunstraum. Ich wusste nicht, was ich machen würde, wenn er gestorben war. Endlich, fünf quälende Minuten später, ging die Tür auf. Erst kam mein Vater heraus, dann sah ich wie die Sanitäter, gefolgt von einem Arzt, Lukas auf einer Trage herausbrachten. Bevor einer etwas sagen konnte, zog Dad mich in eine ruppige Umarmung. „Das war sehr dumm und sehr mutig!“, sagte er entschieden, was Kim seufzend bestätigte. Ich nahm ihr das durchgeblutete Taschentuch ab und drückte die Schnitte nun selbst ab. „Ich denke, er wird es schaffen!“ Erleichternd atmete ich aus. „Du hast wirklich schnell geschalten. Auch dass sie ihn drehen, damit er nicht an seinem Erbrochenen erstickt.“ „Ich hab’ einfach nur gedacht was würde…“ „Deine Mutter tun…?“, lächelte er milde und ich nickte. Ich konnte ein dumpfes Lachen nicht unterdrücken. Schließlich sah meinen Vater die Schnitte. „Wir bringen ihn am besten ins Schwesternzimmer!“, sagte Vins. Mein Vater musterte ihn kurz, sah den Arm, denn er um meine Schultern wieder gelegt hatte und sah dann zu Kim. „Macht das…“ „Das ist eine gute Idee!“, mischte sich auch Direktor Finnick ein. Dad zerwühlte mir nochmal die Haare und ich ging mit Vins und Kim davon. Wir waren kaum um die nächste Ecke, als ich stehen blieb. „Ist alles…“, sah Kim mich besorgt an, doch ich sah zu Vins. „Was ist das für ein Scheißzeug?!“, ich klang aggressiver als beabsichtigt. „Os…“, setzte wieder Kim an. „Ich hab nicht gesagt, dass er es vertickt oder selber nimmt, aber ich will wissen, was das ist!“ Kim sah nun ebenfalls ihren Freund. „Cold Clown“, seufzte Vins nun. Ich blinzelte verwirrt. „Was?“ „Das Zeug nennt sich Cold Clown…“, er fuhr sich wütend durch die Haare, „Ist mega auf Partys angesagt. Man wird total entspannt und alles ist witzig Man lacht über alles…“ „Das ist widerlich!“, war Kims Kommentar. Sie erinnerte sich, wie ich mich, an das Gelächter von Lukas. „Ist es das Zeugs, das Miguel umgebracht hat?“ Er nickte. „Wie kann man das freiwillig nehmen? Wie…?“ „Es wirkt wohl schneller als andere Sachen und in der richtigen Dose entspannen alle Muskeln und man ist einfach wie nach ‘nem Joint voll gut drauf. Doch das ist irgendwas auf Pilzbasis und was Chemisches. Abhängig machend as fuck!“ „Woher weißt du das?“, fragte Kim, was ich dachte. „Ich hab’s noch nie genommen und würde es auch nicht nehmen!“, Vins wirkte hart, ich nickte jedoch. „Leute in meinem Bekanntenkreis schon…“, er biss sich nachdenklich auf die Unterlippe, „Wenn man zu viel nimmt, wird man so paranoid und kriegt Halluzinationen… Und wenn man noch mehr nimmt…“, er schwieg. „Stirbt man!“, beendete ich seine Gedanken. Stumm sahen wir drei uns an. „Du…“, Vins kämpfte eindeutig mit sich, „Du solltest echt ins Schwesternzimmer, Kumpel. Du blutest den Boden voll!“ Tatsächlich waren überall um mich herum kleine, rote Punkte. Ich nickte. „Ja, lass uns weiter.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)