Das ungeplante Blind-Date von Sensenmann (oder auch: wenn Peter Parker Matchmaker spielt) ================================================================================ Kapitel 1: Teil 1 ----------------- Mit sich selbst und dem Rest der Welt zufrieden lehnte Stephen Strange sich zurück und machte es sich in einem der Ledersessel in der großen Bibliothek des Sanctum Sanctorums gemütlich.   Für das Erste hatte die Erde wohl Ruhe, was Attacken von Aliens anbelangte. Es hatte den ehemaligen Chirurgen enorme Willenskraft und Energie gekostet mit Hilfe des Zeitsteines Zukunft um Zukunft zu besuchen, um die eine zu finden, in der sie die Schlacht gegen den Titanen gewannen. Über vierzehn Millionen Mal sah Stephen sich gezwungen die Zeitschleife seines Infinity Steines zurück auf den Nullpunkt zu setzen, doch letzten Endes hatte sich seine Mühe gelohnt und sein Plan war aufgegangen. Hier und jetzt, in dieser Realität, war Thanos nie in den Besitz aller sechs Steine gelangt und würde es auch nie wieder können.   Unbewusst fasste Stephen sich an die Stelle, an der das Auge von Agamotto monatelang um seinen Hals gehangen hatte. Die Steine waren durch seine Hilfe ein für alle Mal und unwiderruflich zerstört worden. Im Grunde genommen wusste der ehemalige Arzt, dass dies das einzig Richtige gewesen war und doch ertappte er sich immer wieder dabei, wie er an ihren Kampf zurückdachte.   Das Buch, das er sich von Wong geliehen hatte, lag immer noch unaufgeschlagen auf seinem Schoss, als er gerade diesen wieder die Stufen in die Bibliothek hinaufsteigen hörte. „Stephen?“, fragte der andere Zauberer in dem ihm üblichen ruhigen Ton. Der Angesprochene sah von seinem Buch auf. „Ja?“    „Du hast Besuch“, kündigte der Andere an und lächelte, während er einen Schritt zur Seite trat, um den Blick auf einen jungen, schlaksigen Mann mit zerzausten braunen Haaren und einem offenen freundlichen Gesichtsausdruck freizugeben.   „Uh… uh… hi, Mister Doktor Strange.“ Zaghaft winkte Peter Parker ihm von seinem Platz auf der Treppe aus zu, während Wong sich wieder zum Gehen wandte, um die beiden alleine zu lassen.   Strange begutachtete den Braunhaarigen einen Moment. Zur Abwechslung war Peter einmal nicht in seiner Spiderman-Uniform bei ihm aufgekreuzt. Stattdessen trug er normale Kleidung. Eine blaue Jeans, ein Shirt mit der Aufschrift „I ♥ π“ und einen beigen Rucksack, der lässig über dessen rechte Schulter geschwungen war. War er etwa direkt von der Schule hierhergekommen?   „Peter? Was verschafft mir die Ehre?“, begrüßte er den Jungen klappte sein Buch zu und legte es zur Seite, bevor er von seinem Sessel aufstand.   Nun hatte wohl auch Stephens Umhang Wind von dem unangekündigten Besuch bekommen und schwebte schnurstracks aus dem Nebenzimmer an, um den Neuankömmling zu begrüßen. Stephen rollte mit den Augen, als der Umhang vor Peter in der Schwebe zum Stillstand kam, um ihm mit seinem Saum zuzuwinken. Das Ding wurde wirklich immer anhänglicher.   „Oh, hi!“, grüßte der Junge mit einem breiten Lächeln zurück und winkte nun seinerseits dem Cape zu. Stephen zwang sich bei diesem Anblick dazu, seinerseits nicht zu lächeln. Irgendwie war ihm der Junge mittlerweile ans Herz gewachsen. Er war ein netter, aufrichtiger und äußerst zuvorkommender Mensch für seine Altersgruppe. Interessiert, mit einer schnellen Auffassungsgabe und einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Er konnte verstehen, weshalb Stark so sehr an ihm hing.   In ihrer wirklichen Realität kannte Stephen in zwar kaum mehr als ein paar Wochen, aber in der Zeitschleife, welche er beim Kampf gegen Thanos gewebt hatte, hatte er genügend Zeit gehabt den Jungen kennen und mögen zu lernen. Auch wenn er Stark damals gegenüber versichert hatte, dass er nicht zögern würde ihn und den Jungen zum Wohle des Zeitsteines zu opfern, hatte er doch fieberhaft nach einer Möglichkeit gesucht, in welcher am Ende beide überlebten.   Wieder und wieder hatte der Doktor dabei zusehen müssen, wie der Junge und Stark in verschiedenen Szenarien starben. Mal warf sich Stark vor den Jungen, um ihn zu schützen, mal andersrum. Mal tötete Thanos beide mit eigener Hand, dann zerfielen sie beide für immer zu Staub… Lediglich in der letzten Zukunftsvision, welche der Stein ihm offenbart hatte, war es ihnen möglich gewesen gegen den Titanen zu gewinnen, ohne dauerhaft große Verluste hinnehmen zu müssen.   Auch wenn Strange durch die Opferung des Zeitsteines dafür gesorgt hatte, dass er Tony Stark den Weg für die Rettung ihres Universums ebnete, so hatte er dennoch vor allem dem Teenager gegenüber ein schlechtes Gewissen. Er hätte ihm den kurzzeitigen Tod gerne erspart, doch auch dieses Detail war am Ende ausschlaggebend für ihren Sieg gewesen, ausschlaggebend dafür, dass Stark motiviert genug war, dem Titan die Stirn zu bieten.     „Peter?“, lenkte er die Aufmerksamkeit des Brünetten wieder auf sich, nachdem dieser, immer noch voller Faszination, auf den Umhang schaute.   „Oh, Verzeihung!“, entschuldigte dieser sich sofort und zuckte leicht zusammen, bevor er sich wieder an Stephen wandte. „Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten.“   „Um einen Gefallen?“   „Naja… So könnte man es zumindest bezeichnen“, druckste der Teenager rum und strich sich dabei durch die Haare. Eine Geste die der Junge immer machte, wenn er nervös war, wie Strange mittlerweile wusste.  „Aber nur, wenn es nicht zu viel verlangt wäre und sie Zeit hätten“, setzte er ein wenig nuschelnd hinzu und sah ein wenig beschämt zur Seite.   „Von was für einem Gefallen sprechen wir hier?“    „Also ich… ich kenne da jemanden.“   Strange hob bei dem Gesagten fragend die Brauen. „Du kennst jemanden…?“, rephrasierte er und machte dabei eine auffordernde Handbewegung, die dem Jüngeren bedeuten sollte weiter zu reden. Musste man dem Jungen alles aus der Nase ziehen?   „Ja, genau… Ich kenne jemanden, der mir sehr wichtig ist.“   Bei den Worten wurde der Doktor hellhörig. Für einen kurzen Moment hegte er die vage Befürchtung, dass das eine Art Aufklärungsgespräch werden könnte. Bitte alles, nur das nicht, dachte er verzweifelt.   „Jemanden aus meiner… Familie, sozusagen.“   Erleichtert atmete der Zauberer aus. Wohl doch kein Aufklärungsgespräch. Dann begannen die Räder in seinem Hirn allerdings doch zu rattern. Jemand aus Peters Familie? Er sprach es zwar nicht aus, aber die einzige Familie, die dem Teenager noch geblieben war, bestand einzig und alleine aus dessen Tante May. Stephen runzelte leicht mit der Stirn. War seine Tante etwa krank?   Der Umhang tätschelte mit dem Kragen zaghaft Peters Schulter und drängte ihn mit leichtem Druck in dem Sitz Platz zu nehmen, in welchem Stephen noch vor ein paar Minuten gesessen hatte. „Oh, danke. Das ist wirklich sehr nett.“, dankte Peter dem Umhang, welcher ihm daraufhin ein weiteres Mal die Schulter tätschelte und seine Kragenspitzen dann auffordernd in Stephens Richtung drehte.   Stephen seufzte innerlich. Jetzt wurde er sogar schon von einem Umhang getadelt. „Und wie kann ich dir da behilflich sein?“, bemühte er sich daher einfühlend zu klingen, nicht jedoch ohne dem roten Stoff einen warnenden Blick zuzuwerfen.   „Naja… wie soll ich es sagen… Ich glaube diese Person fühlt sich ein wenig einsam, möchte das aber nicht unbedingt zugeben, verstehen Sie? Die Person hat vor kurzem einen sehr wichtigen Menschen verloren und… igelt sich seitdem irgendwie ein…?“   Stephen nickte und fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt, dass Peter über seine Tante redete. Er wusste, dass sie sich aufopferungsvoll um ihren Neffen kümmerte, seit dieser beide Elternteile und sie ihre Schwester verloren hatte. So ein Verlust konnte für eine Person sehr prägend sein, wie Stephen am eigenen Leib hatte erfahren müssen. Für ihn lag es ebenso nahe, dass sie all ihre Energie in die Fürsorge für den Jungen steckte und ihre eigenen Bedürfnisse dabei hintenanstellte. Wahrscheinlich hatte Peter dies erst jetzt bemerkt und wollte daher seinen Rat hören. Umsichtig wie der Junge nun einmal war, hatte er zu Stark mit dieser Sorge vermutlich nicht gehen wollen. Stephen hatte vor einigen Tagen aus den Zeitungen von dessen Trennung mit Pepper Potts erfahren.   „Und du willst dieser Person helfen, wieder aus diesem Loch herauszukommen?“   „Genau! Nur habe ich schon irgendwie alles Mögliche versucht…, aber nichts hat bisher geholfen.“   Stephen nickte und ließ ihn weiterreden.   „Ein Freund von mir meinte, dass es vielleicht gut wäre die Person wieder unter die Menschen zu bringen…“   „Das würde sich zumindest positiv auf die soziale Komponente auswirken“, lenkte Stephen ein. „Bei Patienten mit einer depressiven Neigung kann das durchaus helfen. Man hat in Studien sogar nachweisen können, dass ein stabiles soziales Umfeld sogar stessreduzierend auf die Psyche wirken kann.“   „Also finden Sie das auch?“   „Ich bin kein Psychologe, aber ein paar soziale, private Kontakte haben noch nie jemandem geschadet, Peter. Vielleicht kannst du die Person ja fürs Erste dazu überreden, sich mit ein paar alten Freunden zu treffen? Ein kleiner Tapetenwechsel, sozusagen.“   Peter blinzelte ihn kurz an und versuchte das Gesagte nachzuvollziehen. Dann, mit einem Mal, breitete sich ein Lächeln auf dem Gesicht des Teenagers aus. „Das ist eine gute Idee, Mister Strange!“   Stephen runzelte entgegen dessen leicht die Stirn. War Peter nicht bewusst, dass das seine eigene Idee gewesen war? „Na dann wäre das ja geklärt.“ Mit Mühe verkniff sich der Zauberer eine spitze Bemerkung, die er jedem anderen ohne zu zögern an den Kopf geworfen hätte, doch Peter schenkte ihm gerade ein so aufrichtiges und dankbares Lächeln, dass er es nicht über sich bringen konnte ihn zu verletzen.     „… nicht so ganz.“   Fragend hob Stephen daraufhin eine Augenbraue. „Nicht so ganz?“   „Na ja… die Person hat momentan nicht unbedingt so viele Freunde… und da dachte ich, dass Sie…“, begann Peter wieder herumzudrucksen und wandte nun ganz offensichtlich peinlich berührt den Blick zur Seite. Der Junge schloss kurz die Augen, überlegte wohl, wie er die nächsten Worte am besten wählen sollte. Nach ein paar Sekunden sah er wieder zu Strange und hob in einer beschwichtigenden Position die Hände. „Also verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß, dass Sie viel zu tun haben, aber vielleicht könnten Sie…?“   „Vielleicht könnte ich…?“, wiederholte Stephen, nachdem der Junge den Satz wohl so im Raum hatte stehen lassen wollen und drängte ihn mit einer ungeduldigen Bewegung seiner Hand weiter zu reden.   „Dass Sie vielleicht… Dass Sie sich mit diesem Jemand treffen könnten?“ Peter rutschte bei den Worten in seinem Sitz nach vorne und sah Strange voller Hoffnung an. „Morgen, um genau zu sein? Bitte?“   Verdutzt und zugegebenermaßen leicht überrumpelt blinzelte der Doktor daraufhin. Damit hatte er nicht gerechnet. „Oh.“   „Oh?“, wiederholte Peter, sein Blick nun nicht mehr ganz so hoffnungsvoll.   „Du willst, dass ich mich morgen Abend mit dieser Person treffe?“   Der Junge nickte eifrig.   „Auf keinen Fall“, antwortete Strange prompt und schnappte sich wieder das Buch von dem kleinen Beistelltisch, mit dem Ziel das Gespräch hier und jetzt zu beenden.   „Och kommen Sie, Doc! Bitte!“, blitzschnell war Peter aus seinem Sessel verschwunden und versperrte dem älteren Mann den Weg. „Bitte! Nur ein Abend? Bitte, bitte?“ Flehend legte Peter die Hände aneinander und hielt sie mit den Daumen an sein Gesicht, sah Strange aus seine großen, traurigen Augen heraus an. „Mir fällt sonst wirklich keine andere Person ein, die dafür besser geeignet wäre!“   „Und wieso wäre gerade ich dafür geeignet?“   „Weil Sie auch einsam sind?“   Stephen schnaubte verächtlich. „Ich bin nicht einsam!“   Der Umhang schwebte nun langsam zu dem Paar hinüber und hob beschwichtigend beide Saumzipfel in Richtung Stephen, um ihn zu beruhigen. Dann streckte es einen der Zipfel aus, um Stephen über die Wange zu streicheln, doch der Zauberer wehrte das Stück Stoff mit einer wedelnden Handbewegung ab. „Lass‘ das!“   Beleidigt und verletzt, ob Stephens Reaktion, wich der Umhang zurück und rümpfte eingeschnappt den Kragen, bevor er zu Peter schwebte und sich – zu Stephens Unmut - um dessen Schultern legte. Stephen stöhnte daraufhin genervt. „Oh, großartig! Jetzt hältst du also zu ihm?“, meinte der Zauberer etwas barsch und starrte auf das rote Stück Stoff, welches sich unter seinem strengen Blick nur noch fester um die Schultern des Jüngeren schmiegte.   „Sind Sie sicher…? Außer Ihnen und Ihren Umhang habe ich hier nie irgendjemanden gesehen…“   „Ich habe Wong.“   „Abgesehen von Mister Wong?“   „Deine Sorge um meine Person in allen Ehren, aber ich brauche keine Gesellschaft.“   „Wissen Sie, genau dasselbe hat die Person auch gesagt…“, nuschelte Peter kaum hörbar und lies resigniert die Schultern sinken. Er wirkte sichtlich enttäuscht. Stephen wollte schon weiter gehen, doch fühlte er sich nun irgendwie verantwortlich dafür, dass der Junge nun so geknickt wirkte. Er seufzte angesichts der traurigen Erscheinung, die der sonst so lebensfrohe Junge nun abgab. Stephen fuhr sich mit den Fingern seiner rechten Hand über den Nasenrücken und versuchte sich zu beruhigen. In seiner Not war Peter extra zu ihm gekommen, um ihn um Hilfe zu bitten, doch nun hatte dieser das Gefühl, alles nur noch Schlimmer gemacht zu haben.   „Na schön.“, lenkte Stephen nach einer Weile ein. „Ich helfe dir.“   „Wirklich? Sie würden sich sogar mit der Person treffen wollen?“   Es nutzte nichts. Aus dieser Nummer kam er jetzt nicht mehr raus. Immerhin war es ja nur ein Abend, von dem sie hier sprachen. Wenn Peters Tante auch nur ansatzweise so wie ihr Neffe war, würde das vielleicht nicht einmal in einer Komplett-Katastrophe enden. „Ja.“   „Oh super!“, jubelte Peter triumphierend und lief ohne Vorwarnung auf den anderen Mann zu, um ihn zu umarmen. „Danke! Danke, danke, Doc! Das werden Sie nicht bereuen, versprochen!“   Stephen wurde von der stürmischen Umarmung regelrecht überrumpelt und hatte Mühe nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Er seufzte, erwiderte die Umarmung jedoch etwas zögerlich. Wie hielt Stark das sonst nur aus?   Als der Junge sich wieder von ihm löste, nutzte der Umhang die Gelegenheit um von dessen Schultern, wieder auf die von Stephen zu gleiten. Dieser war dem Artefakt einen äußerst skeptischen Blick über die Schulter zu. Anscheinend schien der Umhang dieses Mal mit seiner Reaktion zufrieden zu sein. Störrisches Ding.   Peter war seinerseits immer noch mit seiner Dankesrede beschäftigt. „Oh, ich bin sicher, dass Sie das Date nicht bereuen werden, Mister Doktor Strange! Ich kümmere mich auch um alles und schreibe Ihnen dann, wann und wo Sie morgen hinkommen sollen“, versicherte der Junge ihm mit einem breiten Lächeln, zu dem keiner hätte Nein sagen können und eilte bereits in Richtung Treppe. „Ich weiß, dass Sie ihn mögen werden, Doc!“   Stephen sah ihm einen Augenblick lang nach, bis die Bedeutung von Peters letztem Satz in sein Bewusstsein durchgesickert war. Er stutze. Hatte der Junge etwa gerade ihn gesagt?     ............................     Am nächsten Abend hatte Stephen seine Zaubererrobe gegen zivile Kleidung getauscht, wobei er dennoch nicht ohne seinen Umhang außer Haus hatte gehen wollen. Dieser schmiegte sich nun, getarnt als eine rote Übergangsjacke, eng an seinen Oberkörper. Er spürte wohl sein momentanes Unbehagen. Stephen seufzte angesichts des Schlamassels, in welchen Peter Parker ihn da nur hineingeritten hatte und verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken zu Wong, bevor er durch eines seiner Portale trat und direkt in den Flur vor dem Gastraum des Lokals wieder auftauchte.   Peter war zwar so freundlich gewesen, ihm noch am gleichen Abend Adresse und Uhrzeit mitzuteilen, doch recht viel schlauer war Stephen seitdem nicht geworden. Er wusste nicht einmal, mit wem er sich überhaupt treffen würde.   Natürlich war ihm tief in seinem Unterbewusstsein klar, dass Peter nicht ganz unrecht mit seiner Vermutung hatte: Auf eine gewisse Art ufühlte Stephen sich einsam. Diese Tatsache hätte er zwar nie Leben zugegeben, doch etwas Wahres fand sich daran schon. Zu seinen Glanzzeiten, als einer der besten Neurochirurgen des ganzen Bundesstaates, war er immerzu von Leuten umgeben gewesen, die ihn verehrten und bewunderten, gerne so sein wollten wie er selbst. Vor seinem Autounfall, dem Wendepunkt in seinem Leben, war er sozial stark eingebunden gewesen, Spendengalen hier, Kongresse dort… Und jetzt, als Meister des Sanctum Sanctorum, waren diese Zeiten endgültig vorbei. Die einzige Gesellschaft die er hatte, waren Wong und sein geliebter Umhang, gelegentlich auch hin und wieder Peter Parker, der dann und wann im wahrsten Sinne des Wortes vorbeischwang.   Stephen schüttelte diesen Gedanken ab und gab sich schließlich einen Ruck. Er zog den Slingring von seinen Fingern und verstaute ihn in einer der Jackentaschen. Dann trat er in den überschaubaren und eher rustikal eingerichteten Gastraum und nahm sich kurz Zeit, sich in dem Raum umzusehen. Die Anzahl der Gäste war für einen Samstagabend durchaus überschaubar. Viele freie Tische gab es kaum mehr, lediglich am Fenster war noch kleiner Tisch für zwei Personen frei. Stephen zögerte sich nicht und ging mit ruhigen Schritten auf gerade diesen zu.   „Strange?“   Beim Klang seines Namens hielt der Zauberer in seiner Bewegung inne. Er stutze. Die Stimme kam ihm merkwürdig bekannt vor. Er drehte seinen Kopf etwas nach links, ließ seinen Blick kurz über die Gäste an den Tischen schweifen. Er staunte nicht schlecht, als seine Augen schließlich fanden, wonach er gesucht hatte. „Stark?“   Der Ingenieur saß nur eine Reihe weiter, an einem kleinen Tisch gedeckt für zwei Personen. Der Mimik des Anderen nach zu urteilen, schien dieser ebenso überrascht zu sein ihn hier zu sehen, wie er selbst. Stephen musterte ihn kurz. Stark trug die gleiche Kleidung, inklusive Sonnenbrille, wie damals im Central Park. Stephen hegte die vage Vermutung, dass die Sportjacke und -Hose eine nicht ganz so unwichtige Rolle in Verbindung mit dessen Kampfanzug spielten. Eine Vorsichtsmaßnahme, die der Doktor nur zu gut nachvollziehen konnte.    Stark nahm die Brille ab, als Stephen sich seinem Tisch näherte. „Hat Hogwarts heute geschlossen, oder wo haben Sie ihre Zauberuniform gelassen?“   Stephen schüttelte leicht den Kopf, ob dieser Bemerkung. Typisch Stark, dachte er. Immer einen Spruch auf den Lippen. „Die Gelder für eine Wechselgarnitur sind zu knapp. Heute ist ausnahmsweise einmal Waschtag.“, entgegnete er trocken, woraufhin er ein breites Grinsen von dem Kleineren erntete.   „Ich dachte in Hogwarts wären keine elektrischen Geräte erlaubt?“   „Wir haben Hauselfen.“   „Wirklich?“ Anhand von Tonys Mimik konnte er erkennen, dass dieser sich ernsthaft fragte, ob es im Sanctum Sanctorum in der Tat so etwas wie Hauselfen gab.   „Nein. Natürlich nicht.“   „Oh… Zu schade… Ich hätte wirklich einen gebrauchen können.“, entgegnete der Brünette daraufhin und klang für einen kurzen Moment tatsächlich ein wenig enttäuscht. „Also? Was hat Sie heute aus den heiligen Wänden ihres Zaubertempels gelockt? Ich dachte sie dürfen den Tempel nur im äußersten Notfall verlassen?“   „Wong ist vollkommen dazu im Stande das Sanctum Sanctorum in meiner Abwesenheit zu beschützen“, antwortete Stephen gelassen. Wenn er Wong diese Aufgabe nicht zugetraut hätte, dann hätte er das Sanctum auch nicht für eine Sekunde verlassen. Doch er wusste, um das Wissen und Können des anderen Zauberers und setzte sein volles Vertrauen in seinen Freund.  Abgesehen davon glaubte er nicht, dass sie so schnell wieder einen Angriff durch Aliens zu befürchten hätten. Immerhin waren die Infinity Steine zerstört und das Gleichgewicht zwischen den Welten in ihrem Universum wiederhergestellt worden. „Und außerdem verlasse auch ich hin und wieder einmal meine vier Wände, um Essen zu gehen.“   Stark hob fragend eine Augenbraue. „Ganz alleine?“, hakte dieser nach und beugte sich zur Seite, um an dem größeren Mann vorbei sehen zu können.   „Ich warte noch auf jemanden. Genauso wie Sie, vermute ich?“, konterte Stephen und deutete mit einer Bewegung seines Kopfes auf die zwei gedeckten Plätze an Starks Tisch.    „Oh… Ja … ich warte auch auf jemanden. Eigentlich.“   „Eigentlich?“   Stark zuckte mit den Schultern. „Ja… Ich habe mich da in etwas reinreden lassen… Ein Blind Date, wissen Sie? Man kann sich bei sowas ja nie sicher sein, ob der jeweilige Partner auch kommt.“   Stephen hob bei dem Gesagten kaum merklich die Brauen. Die Tatsache, dass Stark sich hier mit einem Date traf, hätte ihn nicht überraschen sollen. Immerhin hatten die Boulevardzeitungen tagelang von nichts anderem, als der Trennung von Tony Stark und Pepper Potts berichtet. Da Stephen generell mit emotionaleren Situationen, in denen sein Einfühlungsvermögen gefragt war, überfordert war, beschloss er lieber gar nicht erst in ein Fettnäpfchen zu treten. Stattdessen witterte er jetzt die Gelegenheit, das Gespräch zu beenden.   „Dann will ich nicht weiter stören…“, sagte er und hob bereits die Hand zum Abschied, als sein Gehirn urplötzlich eins und eins zusammenzählte. Er hielt abrupt in seiner Bewegung inne. Hatte Tony gerade gesagt, dass er auf ein Blind Date wartete, in das ihn jemand hineingeredet hatte? Er ahnte Schlimmes.   „Doc? Ist alles in Ordnung?“   Vielleicht, so hoffte Stephen zumindest, war das alles nur ein großes Missverständnis? Ein merkwürdiger Zufall? Aber wie Stephen sein Glück kannte, war ihm das mit Sicherheit nicht gegönnt. Er rief sich noch einmal das in Erinnerung, was Peter zu ihm gesagt hatte. Ich weiß, dass Sie ihn mögen werden, Doc! Wenn Peter ihn nicht mit seiner Tante verkuppeln wollte, aber behauptete die Person, um die er sich Sorgen machte, gehöre zu seiner Familie, dann blieben nicht mehr viele Optionen übrig. Oh, Gnade dem Jungen, wenn ich ihn das nächste Mal in die Finger bekomme, verfluchte Stephen den Knirps innerlich und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Milliardär zu, der ihn mittlerweile besorgt musterte.    „Stimmt etwas nicht? Bitte sagen Sie mir nicht, dass Ihre Blitznarbe gerade die nächste Alien-Invasion wittert. Davon habe ich für die nächste Zeit wirklich genug.“   Stephen ignorierte die nicht gerade originelle Anspielung auf Harry Potter und kam stattdessen sofort auf den Punkt. „Sagen Sie… Ihr Junge, Peter Parker…“   „Was ist mit ihm?“   „Hat er auch nur im geringsten irgendetwas mit diesem Blind Date zu tun, von dem Sie gerade sprachen?“   Tony blinzelte perplex und legte den Kopf schief. „Eh… Ja? Er und Rhodey haben mich…“ Tony stutzte plötzlich und musterte den Zauberer fragend. „Moment… Woher wissen Sie das? Haben Sie seit Neuestem gelernt die Gedanken von anderen Leuten zu lesen? Weil… das mag vielleicht der letzte Schrei sein, was Vampirfilme angeht, aber im echten Leben wäre das ziemlich creepy.“   Stephen seufzte und verfluchte den Jungen in Gedanken. Ohne auf Starks wahnwitzige Befürchtung zu reagieren, schälte er sich langsam aus der Jacke, in die sich sein Umhang geformt hatte, warf diese in einer flüssigen Bewegung über die Rückenlehne des freien Stuhls und setzte sich dann dem Ingenieur gegenüber, bevor er ihm seine Hand reichte.   „Hallo, mein Name ist Doktor Stephen Strange und es sieht ganz so aus, als sei ich Ihr Date für den Rest des heutigen Abends.“    Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)