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Ein unerwarteter Abschied

Kaiba und ich saßen am reichlich gedeckten Frühstückstisch der Kaibavilla. Der hauseigene Koch war dazu übergegangen, mir täglich frisches Brot und Toast zu backen. Es gab und gibt nichts Herzhafteres, als ofenwarmes, knuspriges Brot und gerösteten Toast zum Frühstück. Mein Gastgeber beschäftigte sich, wie jeden Morgen, mit der neuesten Ausgabe der Domino Express.
 

„Sag mal Kleiner, Wheeler hat sich mit seiner Mutter angelegt?“ Kaiba sah dabei nicht von seiner Zeitung auf, im Gegenteil: Er blätterte um, während seine Stimme einen belanglosen Ton annahm. „Ich weiß es von Mokuba, weil die gute Frau wohl haarscharf an einem dauerhaften Aufenthalt in der geschlossenen Station vorbeigeschrammt ist.“
 

Mir blieb das Frühstück im Hals stecken. Keuchend klopfte ich mir auf die Brust. Bitte was?
 

„Nun tu nicht so überrascht. Das war doch wohl abzusehen“, fuhr Kaiba ungerührt fort. „Sie hat wohl gehofft, mit einem netten Geschenk und einigen geheuchelten Worten wiedergutzumachen, was sie jahrelang verabsäumt hat.“
 

„Das ist dennoch hart. Stell dir mal vor, Mokuba würde so mit dir umspringen“, gab ich zu Bedenken und nippte an meinem Kakao.
 

„Ich gebe ihm für ein solches Verhalten keinen Grund. Eigentlich interessieren mich die familiären Angelegenheiten der Wheelers nicht, aber da ich nun wohl damit leben muss, dass zumindest temporär die kleine Wheeler mit Mokuba zusammen ist, muss ich zumindest so tun, als würde es mir nahe gehen.“
 

Wie eiskalt und abgebrüht der CEO doch war. Ich hatte weit mehr Grund, eine Abneigung gegen Mrs. Wheeler zu empfinden, und doch ging mir ihr Schicksal ein wenig nahe. Natürlich hatte sie Fehler gemacht, keine Frage, aber dass Joey sie so tief getroffen hatte, damit hatte ich auch nicht gerechnet.
 

Ich wollte etwas erwidern, als die Tür aufging und ein aufgebracht wirkender Roland hereinkam. Kaibas rechte Hand war mir mittlerweile ein Begriff. Vor allem an seinem markanten Schnauzbart konnte man einen der wichtigsten Männer der KC erkennen.
 

„Guten Morgen die Herrschaften“, begrüßte er uns verbeugte sich tief. Etwas schien ihm äußerst unangenehm zu sein, wie er an seinem Hemdkragen zupfte.
 

„Was ist denn Roland? Es ist Sonntag, und ich habe doch Anweisung gegeben, nicht gestört werden zu wollen“, murmelte Kaiba gedankenverloren und blätterte erneut um.
 

„Nun, wir…“, begann Roland, wurde aber sogleich unterbrochen.
 

„Spuck es schon aus, wenn es schon so wichtig ist, dass du entgegen meiner Anweisungen handelst.“ Der Jüngere bedachte den Älteren mit einem strengen Blick und faltete die Domino Express langsam zusammen.
 

„Sie erinnern sich sicher noch an das Mädchen, das behauptet hat, Ihr Gast hätte Sie, nun ja, missbraucht?“ Das Zupfen am Hemdkragen wurde immer stärker.
 

„Was ist mit Mei?“, mischte ich mich aufgeregt ins Gespräch ein. „Ich dachte, sie und ihre Familie wären außer Landes?“ Das brachte mir einen strengen Blick von Kaiba ein, der Roland mit einer Handbewegung bedeutete, weiterzusprechen.
 

„Nun, es ist so, sie, also ich weiß nicht wie ich sagen soll, aber sie steht vor unserer Tür.“
 

Sie tat bitte was? Kaiba teilte meine Verwunderung, denn er zog die rechte Braue in die Höhe. Für einen kurzen Moment lang schien er Roland mit seinem Blick vierteilen zu wollen, bevor sich seine Züge wieder normalisierten und der kalten, empathielosen Miene wichen, die er aufzusetzen pflegte.
 

„Darf ich fragen, warum sie noch nicht des Geländes verwiesen wurde?“ Das war keine Frage im herkömmlichen Sinne. Es schwang unmissverständlich Enttäuschung, wie auch Entrüstung in jeder einzelnen Silbe mit.
 

„Weil ihre Eltern darauf bestehen, dass sie mit Ihrem Hausgast sprechen dürfen“, fuhr Roland leise fort und senkte den Kopf dabei ein wenig.
 

„Seit wann erfüllen wir die Wünsche von Fremden, Roland?“
 

„Was wollen sie denn?“ Schlagartig richteten sich die Gesichter der Beiden auf mich. Ich verstand sowieso nicht, warum man mich noch immer als „Hausgast“ bezeichnete, wo ich doch eigentlich genauso ein Bewohner der Villa war, wie Mokuba und Kaiba es waren.
 

„Damit wollten sie nicht herausrücken. Ich habe sie aus dem triftigen Grund nicht abgewiesen, da es Ihre Entscheidung ist, genauso wie die Ihres Gastes, ob Sie sie anhören möchten, oder nicht.“
 

Diese Entschuldigung schien Kaiba zufriedenzustellen. Er nickte nur leicht und sah dann zu mir herüber, abwartend, nahezu schon auffordernd. Man stellte mir tatsächlich frei zu kneifen, oder nicht.
 

„Ich schätze, ich werde sie mir mal anhören. Vom Gelände werfen lassen, kannst du sie ja nachher immer noch, oder?“, hob ich die Schultern ratlos, und schickte mich an, aufzustehen.
 

„Roland, ich möchte, dass vor dem Tor mindestens zwei Personen Posten beziehen, zusätzlich zu den üblichen Sicherheitsleuten. Außerdem soll jemand in der Nähe sein, wenn wir mit ihnen sprechen.“
 

Wir? Ich blickte erstaunt zu Kaiba, der ebenfalls aufstand und mir bedeutete, ihm zu folgen. Rolands Reaktion wurde gar nicht abgewartet – der CEO vertraute wohl darauf, dass man seine Befehle ohne zu hinterfragen ausführte.
 

„Hast du eine Ahnung, was sie wollen könnten?“, fragte ich den Braunhaarigen, der nur mit dem Kopf schüttelte.
 

„Ich bin genauso ratlos wie du. Es kann alles sein, oder nichts. Rache, Schuldgefühle, vielleicht machen dich ihre Eltern für die prekäre Familiensituation verantwortlich, in der sie sich gerade befinden? Wer weiß?“
 

Vor der er Eingangstür angelangt, hielt Kaiba inne. Er schien zu zögern, was sich aber alsbald als Kulanz mir gegenüber herausstellte, ob ich denn nicht selbst aufmachen wollte. Sollte ich? Sie war zweifelsohne wegen mir gekommen, wahrscheinlich auch ihre Eltern. Dezent nervös nahm ich den Türgriff in die Hand und daran.
 

Auf dem weißen Eingangspodest stand die Familie Nakamura, allesamt adrett gekleidet. Ihr Vater, ein guter Mittfünfziger, mit Schnauzbart und Brille, trug einen grauen Anzug mit braun-weiß gestreifter Krawatte. Die Mutter war etwas jünger, wahrscheinlich am Ende ihrer 40er angelangt, in einem silbernen Hosenanzug. Mei wirkte etwas ungelenk, fast schon gepresst, in dem schwarzen Kleid, das sie trug. Die kleine Schwester, Sakura fehlte, wartete aber wohl im Auto, welches ich vor dem Tor parkend erkennen konnte. Ein luxuriöser Schlitten der gehobeneren Klasse, etwas, das Kaiba fahren würde, wenn er privat unterwegs wäre. Daneben fühlte ich mich direkt schäbig in Jeans, Kapuzenpulli und Sneaker.
 

Die Familie Nakamura verbeugte sich vor mir. Mei machte einen gequälten Gesichtsausdruck, der dadurch verstärkt wurde, dass ihre Eltern sie offen anfunkelten. Als das Mädchen keine Anstalten machte, zu sprechen, übernahm das ihr Vater, der eine ruhige und tiefe Stimme besaß.
 

„Guten Morgen. Ich hoffe wir stören Sie nicht“, begann er und verbeugte sich erneut. Ihm war die Scham direkt ins Gesicht geschrieben, als er wieder aufsah.
 

„Ähm, nein“, entgegnete ich unsicher und sah zwischen dem Dreiergespann unruhig hin und her. Was wurde das hier?
 

„Ich möchte mich in aller Form für das Verhalten meiner Tochter entschuldigen. Sie hat nicht nur Sie, sondern auch Herrn Kaiba auf das Übelste diskreditiert. Beinahe wäre Ihr guter Ruf wegen der Unfähigkeit meiner Tochter, die Wahrheit zu sagen, ruiniert worden.“ Die einzelnen Worte verließen nur schwer die Lippen des Mannes, der seiner Tochter bemüht heimlich einen Stoß mit der Hand in den Rücken versetzte. Mei zeigte noch immer kein Interesse am Gespräch.
 

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Herr Nakamura“, antwortete ich ehrlich und widerstand dem Drang, zurückzutreten und Kaiba das Feld zu überlassen, der hinter der Tür stand, sodass man ihn nicht sehen konnte.
 

„Ich hoffe, Sie können meiner Tochter, wie auch unserer Familie, noch einmal verzeihen. Mir ist bewusst, dass das sehr viel verlangt ist. Seien Sie sich versichert, dass es uns allen sehr unangenehm ist, Sie in solche Schwierigkeiten gebracht zu haben. Wir werden, aus beruflichen Gründen, unseren Familiensitz nach Hong Kong verlegen. Meine Frau und ich fanden es aber angebracht, Sie darüber persönlich zu informieren, bevor wir uns aus Japan zurückziehen, dass das Verfahren gegen Sie und Herrn Wheeler, wie auch gegen Herrn Kaiba eingestellt wurde.“
 

Dieses Mal verbeugten sich alle drei simultan. Meis Mutter lächelte gequält, und auch sie gab ihrer Tochter einen Stoß.
 

„Es…tut mir leid, was ich damals getan habe“, sagte sie halbherzig, nur um unter den Blicken ihrer Eltern kleiner zu werden.
 

„Schon okay, schätze ich“, murmelte ich überrumpelt.
 

„Es wird nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch die Polizei, hat mir versichert, dass das eingeleitete Ermittlungsverfahren nicht den Medien bekannt gegeben wird. Sollten Sie es jedoch wünschen, würden wir uns bereit erklären, eine öffentliche Richtigstellung vorzunehmen.“
 

Ich wusste, was das für Herrn und Frau Nakamura bedeutete. Wenn sie mit der Story an die Öffentlichkeit gingen, war es das mit jeglichen Geschäftsbeziehungen und kostete sie wahrscheinlich ihre Jobs. Sollte ich darauf pochen, nur um Mei eins auszuwischen? Was würde Kaiba tun? Was würde Yugi tun? Was würde Joey tun?
 

„Ich denke nicht, dass das notwendig ist, Herr Nakamura. Es bedeutet mir sehr viel, dass Sie so über ihren Schatten springen wollen. Ich wünsche Ihnen noch alles Gute in Hong Kong, und hoffe, dass Sie und Ihre Familie dort glücklich werden.“
 

„Das ist sehr edel von Ihnen. Ich wünsche Ihnen ebenfalls alles Gute auf Ihrem weiteren Lebensweg.“ Einhellig verbeugte sich die Familie Nakamura vor mir, bevor sie sich umdrehten und in Richtung Eingangstor gingen. Ich konnte noch Meis Vater leise etwas Murmeln hören, von Enttäuschung und, dass sich nun einige Dinge gravierend ändern würden. Wortlos schloss ich die Tür und sah zu Kaiba auf, der amüsiert die Mundwinkel angehoben hatte
 

„Ich an deiner Stelle hätte darauf bestanden.“
 

„Ich bin aber auch nicht du“, nuschelte ich und ging auf mein Zimmer, wo ich mir mein Handy schnappte und Joeys Nummer wählte. Dieser hob tatsächlich ab und ich erzählte ihm, was gerade passiert war.
 

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“, schloss er meine Erzählung ab. „Wenn du echt drauf bestanden hättest, wären sie alles losgeworden.“
 

„Hättest du denn?“, wollte ich wissen.
 

„Hm, ich denke nicht. Mei mag zwar ein Miststück sein, aber dass darunter die ganze Familie zu leiden hat, wäre auch falsch.“
 

Erleichtert atmete ich aus. Das war genau das, was ich hören wollte. Yugi dachte sicher ähnlich. Herr und Frau Nakamura erschienen mir zumindest ehrlich genug, als dass sie bereit waren, für die Fehler ihrer Tochter geradezustehen.
 

„Hast du etwas von deiner Mutter gehört?“, fragte ich nach einigen Momenten des Schweigens, die wieder in eine drückende Stille mündeten.
 

„Naja, ich weiß, dass sie sich für eine Psychotherapie angemeldet hat. Will wohl aufarbeiten, was ich ihr an den Kopf geworfen habe“, gab Joey kleinlaut durchs Handy zu.
 

„Überlege dir vielleicht einmal, dass du ihr schreibst. Einen Brief oder sowas. Du musst dich ja nicht entschuldigen, wenn du dich im Recht siehst, aber, ich würde das nicht so stehen lassen wollen.“
 

Zu meiner Überraschung erntete ich Zustimmung für meinen Vorschlag. „Das hat Tris auch gemeint. Ich denke drüber nach.“
 

Joey und ich quatschten noch eine Weile. Serenity ging es gut. Sie war inzwischen bei Freunden ihrer Mutter untergekommen, bis sich die psychische Lage dieser normalisiert hatte. Auf ihren Bruder war sie wohl nicht sauer, sondern nur einfach ein wenig verwirrt. Was ich so heraushörte, hatte Joey deswegen furchtbaren Bammel gehabt. Ein blaues Auge, würde ich einmal sagen. Nach dem Gespräch legte ich das Handy beiseite und warf mich nachdenklich aufs Bett. Verstehe einer die Welt – das Kind so ein verzogenes, falsches Gör, und die Eltern so vernünftig.
 

Ich rollte mich auf den Bauch und schnappte mir mein Deck aus der Nachttischschublade. Gezielt griff ich nach dem Schwarzen Magier und legte den Rest beiseite. Ob mein Alter Ego wohl auch so reagiert hätte? Ein warmes Gefühl in meiner Bauchgegend signalisierte mir Zustimmung auf meine unausgesprochene Frage. Vielleicht war ich ja doch kein schlechter Mensch, wenn ich so an den heutigen Tag dachte. Der Ring war vielleicht gar nicht böse, wenn ich mich beherrschen lernte. Intuitiv hatte ich das für mich Richtige getan, und darauf kam es an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Satra0107
2020-04-29T19:17:12+00:00 29.04.2020 21:17
Das war wirklich unerwartet, das Mei noch einmal auftaucht. 😮

Aber Davids gute Seite ist einfach stärker! Ich glaube die Familie ist so schon genug gestraft. Da muss man nicht nochmal nachtreten.
Antwort von:  SuperCraig
30.04.2020 01:40
Mir ist das spontan eingefallen.

Irgendwie hat sich das noch nicht ganz abgeschlossen angefühlt.

Dass er so nett ist, überrascht mich selbst ein wenig. Eigentlich war er als sehr rachsüchtiger Charakter konzipiert. Da hat sich die Entwicklung wohl ein wenig verselbstständigt, oder so.


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