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Ein Stück Freiheit

Wieder stützten mich Arme, doch dieses Mal kräftiger und vertrauter als jene des Pharao. Ich musste nicht einmal die Augen öffnen, um zu wissen, wer mich vor dem Kniefall bewahrte. Mahad hatte mir die Kontrolle zurückgegeben. So war es mein Lächeln, das schlussendlich meine Lippen zierte. Ich wusste nicht, wie er so schnell aus dem Pickup gekommen war, und es war mir auch egal.

„Joey“, hauchte ich. Dieses Gefühl hatte ich so sehr vermisst. Endlich konnte ich mich wieder fallen lassen. Niemand zählte auf mich, niemand brauchte mich; ich durfte endlich jemanden wieder brauchen.
 

„Was machst du für Sachen?“, flüsterte mir mein Freund ins Ohr und bettete mich sanft in seinen Armen. Ich drehte mich langsam herum und sah in das Gesicht des Blondschopfs. Er weinte, wieder.

„Unseren Hintern retten“, neckte ich ihn und schmiegte mich in die Umarmung. Vom Pickup war nichts zu sehen, auch nicht von der Umgebung der VR oder dem Götterdrachen – wir waren auf der Bühne der Messehalle. Das riesige Gebäude wirkte wie ausgestorben.
 

„Versuche dabei nächstes Mal nicht fast draufzugehen, ja?“, lächelte Joey schief und strich mir mit dem Zeigefinger über die Stirn. „Wir wären nämlich alle ohne dich aufgeschmissen.“

Das wagte ich zwar zu bezweifeln, doch wollte ich diesen Moment nicht zerstören. Hier so zu liegen, in Joeys Arme gebettet, einen Rollentausch vollführend, das war es, was ich mir eigentlich wünschte. Ich wollte nicht immer denken müssen, Verantwortung übernehmen, Probleme lösen – ich wollte frei sein.

„Ist ja gut“, rollte ich gespielt mit den Augen und sah mich dann erneut um, dieses Mal genauer. Wir waren tatsächlich alleine, mal abgesehen von unseren Freunden. Mokuba stand bei Serenity, Yugi bei Tea, und Kaiba ein wenig abseits. Jeder hatte irgendwie jemanden, nur der CEO nicht. Auch wenn Mokubas Bruder noch immer ein Ekelpaket war, so wollte ich ihn auch nicht aus der Runde ausschließen. Wahrscheinlich würde er nur den Kopf schütteln und sich aus dem Staub machen, aber anstandshalber schuldete ich ihm das Angebot.
 

„Kaiba?“, rief ich und winkte den CEO heran. Dieser tat so, als hätte er mich überhört. „Kaiba?“, fragte ich erneut. Als wieder keine Reaktion kam, seufzte ich leise. „Danke“, sagte ich ehrlich und wandte mich wieder Joey zu. Auch wenn die Gruppe, mal abgesehen von Yugi, wahrscheinlich nie ganz hinter Kaibas Verhalten kommen würde, so wusste ich, dass er, tief in seinem Inneren, froh war, einige von uns bei diesem Abenteuer dabei gehabt zu haben.
 

Bevor Joey etwas sagen konnte, legte ich ihm den Zeigefinger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. „Mein strahlender Ritter könnte mich ja zum Hotel tragen, wie wäre das?“, grinste ich breit. Die große Last, die dem Blonden von den Schultern fiel, sah man ihm an. Das Gröbste war überstanden, und ich würde ihn auch nicht verlassen.

„Sollten wir nicht eher in ein Krankenhaus, hm?“, fragte er und begutachtete meinen Verband, der sich bereits rot gefärbt hatte.
 

„Das kann man im Hotel erledigen“, meldete sich Kaiba und brachte damit die gesamte Gruppe dazu, sich ihm zuzuwenden. Der CEO stand, typisch für ihn, mit verschränkten Armen vor der Brust da, und betrachtete stoisch die Szenerie, die sich um ihn herum gebildet hatte. „Na was ist? Wollt Ihr hierbleiben?“
 

Joey hatte mich tatsächlich zum Auto getragen. Die ganze Fahrt lang wurde ich umsorgt und behütet. Serenity und Mokuba hingen dabei noch mehr an mir als Joey. Yugi, Kaiba und Tea hielten Abstand und ließen mich mit dem Trio alleine fertig werden.

Im Hotel selbst wurde ich relativ schnell von einem Arzt untersucht. Dieser schmierte mir eine seltsam riechende Paste auf die Brust und gab mir Tabletten, die ich alle zwei Stunden mit etwas Wasser einnehmen sollte. Er versicherte vor allem Kaiba, dass ich keine ernsteren Verletzungen davongetragen hatte. Nach der Behandlung ließ man uns endlich alleine.
 

Joey half mir in bequemere Kleidung, bestehend aus einer Jogginghose und einem Shirt. Erneut vermied er es dabei, den Ring direkt zu berühren. Ich verstand nun auch warum. Tief in meinem Inneren fürchtete ich das Schmuckstück selbst.

„Liebst du mich auch noch, wenn ich den Ring weiterhin trage?“, fragte ich, als mein Freund sich zu mir setzte. Die Tatsache, dass er meinem Blick auswich, wie auch der Frage, versetzte mir einen Stich.

„Du hast Angst, oder?“

Joey senkte den Kopf ein wenig und nickte dann. „Ganz ehrlich? Ich habe riesigen Schiss. Dieses Ding hat Bakura böse gemacht und scheint es auch mit dir zu tun. So wie Johnson drauf war…“

Ich griff nach seiner Hand und drückte diese fest. Was sollte ich als Nächstes sagen? Mahad wollte ich nicht noch zusätzlich mit Schuldgefühlen beladen.

„Ich glaube nicht, dass der Ring mich böse macht, Joey. Wie viel Gutes habe ich durch den Ring bewirkt, hm?“
 

Mein Freund drückte meine Hand ebenfalls fest. „Er hat ein Monster in diese Welt geholt. Slifer war real, so real wie Ra damals. Diese Dinger hätten zerstört werden sollen.“

Ich wusste ob der Geschichte vom Battle City Finale. Joey hatte sich damals gegen Ra behauptet und außerdem versucht Mai Valentine zu retten. Wenn Mahad und Yugi Recht hatten, musste Joey trotz all dieser Vorkommnisse in seinem Leben, einen äußerst starken Charakter besitzen.

„Aber Joey…“, begann ich, wurde aber gleich unterbrochen.
 

„Du bist in der Lage diese Dinger zu kontrollieren, wie Yugi, Kaiba und Marik. Du kannst sie genauso real in diese Welt holen. Was machst du, wenn sie außer Kontrolle geraten? Unzählige Menschen werden leiden und sterben.“

Ich wusste nicht, wie ich ihm diese Angst nehmen konnte, denn sie war berechtigt. Wenn dieser falsche Wechsel noch einmal passierte, und ich am Ende auch noch eines der Göttermonster beschworen hatte…
 

„Dann musst du stark genug für uns beide sein.“
 

Joey sah mir zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs in die Augen. „Lasse mich nicht in die Dunkelheit fallen, die mich umgibt. Wenn du Recht hast, dann wird mich der Ring nicht gehen lassen, wie er es mit Bakura getan hat.“ Ich zog ihn sanft zu mir und legte seine Arme um mich. „Halt mich fest und lass mich nicht mehr los, denn, wenn ich ehrlich bin, habe auch ich eine Scheißangst.“
 

Endlich war es draußen, endlich konnte ich tun, was ich schon seit geraumer Weile unterdrückte: Weinen. Mit jeder Sekunde die verging, krallte ich mich fester in Joeys Shirt. Jeder hatte Erwartungen in mich, Kaiba, Yugi, Mokuba, sogar Joey – ich musste immer da sein, mir irgendetwas aus dem Ärmel schütteln und glänzen. Prophezeiungen, Schicksal – das war alles bis zu dem Grad lustig, wo Menschen verletzt wurden. Ich hasste mich selbst, dass ich so schwach war. Hätte Kaiba an meiner Stelle diesen Ring bekommen, er würde zweimal Schnippen und die Welt wäre gerettet. Yugi, der sein Puzzle mit dem Ring kombiniert – unaufhaltbar. Was mache ich? David verbockt es natürlich.
 

Mein Weinen wurde von einem lauten Schluchzen begleitet. Diese Last, diese Verantwortung, sie war unerträglich. Nicht einmal ein zweites Ich war in der Lage, dem Pharao wirklich zur Seite zu stehen. Wie sollte ich es also tun? Mahad war so viel besser als ich und selbst er hatte Angst vor dem Bösen, das im Ring, nein in mir, lauerte.
 

„Ich werde dich nie verlassen“, hauchte Joey mir leise ins Ohr und presste mich fest an sich. „Nichts wird mich von dir trennen, und wenn du und Yugi die Welt retten müsst, werde ich euch beistehen, so wie damals.“

Ich konnte seine sanften Lippen auf meiner Wange spüren, wie sie langsam nach oben glitten Seine Hände wanderten an meiner Brust entlang und kamen auf dem Milleniumsring zum Ruhen. Diesen umschlossen sie fest.

„Ich werde immer da sein. Ich werde dich immer beschützen und behüten, so wie du es mit mir getan hast und tust. Ich werde dein Licht sein, wenn die Dunkelheit dich zu verschlingen droht. Ich liebe dich von ganzem Herzen.“
 

„Was, wenn ich durchdrehe und die Kontrolle verliere? Hältst du mich dann auf?“ Meine Frage war nicht mehr als ein Flüstern, doch ich wusste genau, dass Joey mich verstanden hatte.

„Dann führe ich dich ins Licht zurück. Wenn es sein muss, dann messe ich mich wieder mit einem Gott. Versprich mir nur, dass du mich nie vergisst.“
 

Joeys Lippen legten sich auf meine und küssten mich zärtlich. War diese kurze Zeit der Freiheit bereits ausreichend gewesen, um meinen Freund von den Ketten der Vergangenheit zu befreien? Konnte es sein, dass Joey Wheeler endlich zu sich selbst gefunden hatte? Eines war mir jedoch klar: Ich hatte meinen Ankerpunkt gefunden. Er und Yugi, genauso wie Mokuba und Kaiba, sie würden mich nicht in der Dunkelheit vergessen, niemals. Ich konnte die Exodia einst kontrollieren und würde es auch mit einem Gott schaffen.
 

„Aus Bösem kann manchmal Gutes erwachsen“, echote es in meinem Kopf. Da war eine Stimme, vollkommen fremd und doch vertraut. Sie wirkte wie die von Mahad, doch durchzogen mit einem nichteinzuordnenden Unterton. Seltsamerweise beruhigten mich diese Worte. Ich schlief in Joeys Armen ein, behütet und umsorgt von dem Menschen, den ich am Meisten liebte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich persönlich glaube, dass selbst aus Bösem Gutes erwachsen kann. Dafür haben wir Beweise - Kaiba, Pegasus, sogar Atem. Warum also sollte es hier anders sein? Es gibt genügend gute Kräfte, die einen Gegenpol zum etwaigen Bösen darstellen - Freunde, Familie und Joey.

Wenn man sich die Götterkarten ansieht, lässt sich dieser Schluss ebenfalls ziehen. In den Händen von Marik und auch Dartz waren sie nicht mehr als Rachewerkzeuge, während Yugi und der Pharao sie zum Guten genutzt haben.

Ich empfinde es persönlich als wichtig auch aufzuzeigen, dass Yu Gi Oh nicht nur ein Kartenspiel ist, wo man eben ein paar Monster aufs Feld klatscht und die Welt rettet. Auch soll der OC nicht als alleiniger Retter der Welt gefeiert werden; er hat Macken und Schwächen und ohne starke Freunde wäre er ein eher durchschnittlicher Charakter, mehr nicht. Die Gemeinschaft, die Freundschaft zu Yugi und die Liebe zu Joey sind die Stütze und der Ankerpunkt, den er braucht, um wirklich eine Hilfe zu sein.

In einem Interview meinte Kazuki Takahashi einmal, Joey sei der stärkste Charakter in Yu Gi Oh, weil er weder Magie noch Geld brauche, um seine Ziele zu erreichen. Ich würde ihn zwar nicht als so stark einordnen, aber sicher auf einer Stufe mit Yugi und Kaiba. Jedenfalls soll dieses Kapitel zwei Dinge zeigen: Joey braucht nicht immer Hilfe, er bietet sie auch (erfolgreich) an, und der unbrechbare Wille aus der Serie, der ist auch hier, trotz dem Joch der Vergangenheit, noch immer vorhanden.

Eine schöne Woche allen! :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Satra0107
2020-01-22T20:39:59+00:00 22.01.2020 21:39
So ein tolles Kapitel 💙 jeder braucht eine Person die vertrauen kann, bei der man man selbst sein kann ohne sich zu verstellen und wo man auch mal schwach sein kann. (Und ja auch ein Kaiba braucht so eine Person 😜) Das hast du hier sehr schön dargestellt.
Ich würde mich sehr freuen, bald wieder was neues zu lesen. ☺️
Lg Satra
Antwort von:  SuperCraig
23.01.2020 01:48
Wenn ich ehrlich sein muss, ich an Joeys Stelle hätte alles hingeschmissen. Liebe hin oder her, tagtäglich mit der Angst leben zu müssen, dass der eigene Freund vollkommen durchdreht und dabei ein Duel Monster real machen könnte, oder sich an der Seele von jemandem zu schaffen macht...

Brauchen und haben sind halt so Sachen. :D Kaiba wird nie wirklich den Wunsch nach so einer Person hegen, zumindest nach außen hin, weil es menschlich wäre, und damit eine Schwäche darstellt. Wer so nach Perfektionismus, sei es körperlich oder geistig, strebt, wie Kaiba, dem sind solche Dinge verhasst und halten einen vom Aufstieg in eine höhere Ebene ab.

Ich bin noch gerade ein wenig mit dem Wichteln beschäftigt, und einer etwaigen Teilnahme an einem Wettbewerb. Danach werde ich mich aber wieder daran setzen!

Ich hoffe, du musst nicht zu lange warten.

LG
SuperCraig
Antwort von:  Satra0107
24.01.2020 19:39
Dann ist Joeys Liebe wirklich sehr groß zu David, wenn er selbst das aushalten kann. Ich fürchte ohne Joey würde David viel mehr Probleme mit dem Ring bekommen. Ohne die Liebe würde ein wichtiges Licht im Herzen fehlen.

Das Kaiba sicherlich nicht von sich aus auf Partnersuche geht, dass ist glaube ich bald selbsterklärend 😅 deswegen muss man solchen Leuten jemanden ins Leben "schubsen " und dann muss er es auch noch annehmen. 😉
Ich bin immer für die Liebe anstatt für den Aufstieg in eine höhere Ebene. Dann blieb ich lieber da wo ich gerade bin 😆

Ich freue mich auf mehr und werde geduldig warten 😊
LG Satra


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