Until We Meet Again von Morwen (Thor & Loki) ================================================================================ Part I: Moonlight ----------------- Von dem Moment an, in dem Thor an Bord des Raumschiffes von Peter Quill und seinen Gefährten erwachte, fühlte er sich, als hätte die Realität einen Schritt zur Seite gemacht und vergessen, ihn mitzunehmen. Er sah, dass sich ihre Lippen bewegten, als sie ihm Fragen stellten, und er spürte, dass er selbst Antworten gab. Doch jede einzelne Sekunde fühlte sich surreal an, als wäre er nicht ganz da, als wäre er nicht länger er selbst. Als wäre ein Teil von ihm mit Loki auf dem Frachter gestorben. Doch Thor machte weiter, weil es alles war, was er konnte. Wie mechanisch setzt er Fuß vor Fuß, als er seine Sachen zusammensuchte, und sein Gehirn schaltete auf Autopilot, als er überlegte, was zu tun war und wie er Thanos den größtmöglichen Schaden zufügen konnte, um seinen Bruder zu rächen. Um sie alle zu rächen. Quill verstand ihn nicht, als er sagte, er würde nach Nidavellir gehen – und wie konnte er auch? Es war gefährlich und selbstmörderisch, und niemand, der bei klarem Verstand war, würde versuchen, einen erloschenen Stern wieder zum Leben zu erwecken. Zum Glück war Thor nicht bei klarem Verstand. Es war das einzige, was ihn am Leben erhalten sollte, nachdem Sturmbrecher sein Ziel beim ersten Versuch verfehlte. Was ihn gleichgültig gegenüber den Gefahren machte, die ihn und die verbliebenen Avengers erwartete, als sie auf den zweiten Versuch hinarbeiteten. Was ihn weder Freude noch Erleichterung, sondern nur Leere spüren ließ, als sie Thanos schließlich besiegten. Denn Loki war tot und sein Volk war ausgelöscht. Was war Thor noch geblieben...? „Nein“, sagte Tony, nachdem sie sich um den Handschuh versammelt hatten, in dem die sechs Steine in einem unirdischen Licht leuchteten. Seine Haare waren versengt und sein Gesicht war eine aschfarbene Maske. „Bitte“, sagte Thor. „Er ist mein Bruder.“ „Ich weiß“, entgegnete Steve sanft. „Aber wir müssen irgendwo eine Grenze ziehen, Thor. Jene Hälfte des Universums zurückzubringen, die Thanos ausgelöscht hat: das ist unsere Priorität. Über dieses Ziel hinauszuschießen, würde dazu einladen, die Macht des Steines zu missbrauchen und weiter zurückzugehen, als geplant. Und wer leben darf und wer nicht, ist eine Entscheidung, die keiner von uns treffen sollen dürfte.“ „Bitte“, wiederholte Thor mit rauer Stimme. „Ich will nicht alle zurückbringen. Ich will nur Loki zurück.“ Tonys leerer Blick richtete sich auf ihn und für einen Moment glomm etwas wie Verständnis darin auf. „Ich habe noch nie einen Infinity-Stein verwendet“, sagte er. „Ich kann nicht garantieren, dass alles so klappt, wie geplant.“ Und bevor ihn irgendjemand daran hindern konnte, hatte er seine Finger in den Handschuh geschoben. Sie hatten keine Zeit, die Rückkehr ihrer gefallenen Mitstreiter zu feiern, denn Thanos war wieder noch immer dort draußen und die Gefahr war noch nicht gebannt. Doch dieses Mal wussten sie, was zu tun war, und als sie ihn zum zweiten Mal – und dieses Mal endgültig – besiegten, kam selbst Thors gebrochenes Herz für einen Moment zur Ruhe. Die darauffolgenden Feierlichkeiten sollten mehrere Tage lang andauern. Nur Quill und seine Leute verabschiedeten sich schon früh – niemand musste fragen, warum – und sie nahmen Nebula mit sich, um mit der Zeit gemeinsam die Wunden zu heilen, die Thanos ihnen zugefügt hatte. Thor überlegte kurz, sich ihnen anzuschließen, doch er entschied sich dagegen. Die Avengers waren die einzige Heimat, die ihm geblieben war, und er wollte noch für eine Weile ihre Nähe genießen, bevor es ihn wieder unwiderruflich in die Ferne und zu anderen Welten ziehen würde. Und so feierte er mit ihnen, lachte mit ihnen und trank mit ihnen, und niemandem fiel auf, dass sein Lachen nie seine Augen erreichte. Es war eine Woche nach ihrer Rückkehr zum Avengers-Hauptquartier, als Thor zum ersten Mal von ihm träumte. Er hatte lange auf seinem Bett gelegen und sich unruhig hin und her gewälzt, wie er es jeden Abend seit der Zerstörung von Asgard tat, bevor ihm endlich vor Erschöpfung die Augen zugefallen waren. Als er sie mitten in der Nacht wieder öffnete, sah er im Halbdunkel des Zimmers in ein Paar vertrauter, grüner Augen. „Hallo Bruder“, sagte Loki leise und lächelte. Sein blasses Gesicht war umrahmt von langen, schwarzen Locken. Er sah genauso aus, wie damals auf dem Raumschiff, bevor der Angriff begonnen hatte – stolz und entschlossen. Unantastbar. Thor spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Seit dem Verlust seines Bruders hatte er auf einen solchen Traum gehofft, hatte gebetet, Loki wenigstens noch ein letztes Mal auf diese Weise zu sehen. „Loki“, entgegnete er mit rauer Stimme und musterte eingehend das Gesicht des anderen, fest entschlossen, sich jedes Detail einzuprägen, in der Hoffnung, sich auch dann noch daran zu erinnern, wenn er wieder erwacht war. „Tränen?“, fragte Loki mit sanftem Spott. „Meinetwegen? Ich fühle mich geehrt.“ „Du hast mir gefehlt“, erwiderte Thor. Der Schmerz über deinen Verlust hat mich fast umgebracht. „Aber jetzt bin ich hier“, sagte Loki. „Und dieses Mal wirst du mich nicht wieder so schnell los.“ Thor hätte fast gelacht. „Für einen Traum bist du sehr überzeugend, Bruder.“ Loki warf ihm einen Blick zu, der fast schon beleidigt wirkte. „Für einen Traum?“ fragte er. „Ich bitte dich, willst du etwa-“ Doch bevor er den Satz beenden konnte, war er wieder verschwunden – hatte sich von einem Moment zum anderen urplötzlich in Luft aufgelöst. Thor starrte auf die Stelle auf dem Bett, an der sein Bruder eben noch gelegen hatte. Zögernd streckte er die Hand aus und ließ sie über das Laken gleiten. Es war warm. Sein Herz begann plötzlich schneller zu klopfen. Nur ein Traum, dachte er und schloss wieder die Augen. Nur ein Traum. Er sollte für den Rest der Nacht kein weiteres Mal träumen. „Ich sehe, du hast dein Augenlicht wiederlangt, Bruder.“ Seit dem ersten Traum waren ein paar Tage vergangen und Thor hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, ihn ein weiteres Mal auf diese Weise wiederzusehen. Dieses Mal saß Loki auf der Fensterbank, die Arme um ein Knie geschlungen, während das Mondlicht hinter ihm durch die Scheiben fiel und sein dunkles Haar mit einem silbernen Kranz schmückte. Thor blinzelte verschlafen, bevor er die Decke zurückschob und sich aufrichtete. „Es ist nur eine Prothese“, entgegnete er. „Es steht dir.“ Loki lächelte, dann stand er auf und setzte sich neben seinem Bruder aufs Bett. Thor musterte ihn lange, ohne ein Wort zu sagen. „Warum erst jetzt?“, fragte er schließlich leise. „Warum hast du so lange damit gewartet, mich in meinen Träumen zu besuchen?“ „Ist es tatsächlich das, was du denkst?“, erwiderte Loki. „Dass ich nur ein Traum bin?“ „Was solltest du sonst sein, Bruder? Ich habe dich sterben sehen.“ Loki warf ihm einen Blick zu, als wüsste er etwas, was Thor nicht wusste. „Und wie oft bin ich danach wieder zurückgekehrt? Komm schon, Thor, du kennst mich. Und ich habe dir ein Versprechen gegeben.“ Thor streckte die Hand aus, doch im letzten Moment zögerte er. Er wollte den anderen berühren, doch er wagte es nicht, aus Angst, sein Bruder würde sich sofort wieder in Luft auflösen. „Wenn du kein Traum bist, warum bleibst du dann nicht bis zum Sonnenaufgang?“ Loki machte ein nachdenkliches Gesicht. „Weil ich nicht kann“, erwiderte er. Mit diesen Worten war er erneut verschwunden. „Wie hast du überlebt?“ Thor stellte die Frage, die ihn schon seit Tagen beschäftigte, kaum, dass sein Bruder ihm in dieser Nacht erneut im Traum erschien. Lokis Gesicht war regungslos. „Gar nicht“, sagte er. „Thanos hat mich getötet. Du warst dabei, du hast es selbst gesehen.“ Thor schloss die Augen. Nach ihrer letzten Begegnung hatte ihn die unsinnige Hoffnung erfüllt, dass sein Bruder es irgendwie geschafft hatte, dem Tod erneut von der Schippe zu springen. Doch mit seinen Worten hatte Loki diese Hoffnung nun zerstört. „Hat es wehgetan?“, fragte Thor leise. „Nur für einen Moment.“ Loki streckte die Hand aus und verschränkte seine Finger mit denen seines Bruders. Thor sah auf ihre verschlungenen Finger herab. Lokis Hand in der seinen war trocken und warm und so furchtbar vertraut. Es fühlte sich fast schon zu real für einen Traum an. „Ich wollte nicht gehen.“ Loki hob den Blick und für einen kurzen Moment war Thor überwältigt von der Traurigkeit und der Zuneigung und der Sehnsucht, die er in den Augen seines Bruders sah. „Ich war endlich am richtigen Ort, und ich wollte nicht gehen.“ „Ich weiß“, sagte Thor sanft. Dann war er wieder allein. „Verliere ich den Verstand?“, wisperte Thor in der nächsten Nacht, ohne der Gestalt, die mit untergeschlagenen Beinen neben ihm auf dem Bett saß, Beachtung zu schenken. „Glaub mir, Bruder, diese Frage habe ich mir in den letzten Tagen schon unzählige Male gestellt“, seufzte Loki. „Wenn du kein Traum bist, was bist du dann?“ Thor zögerte. „Wo bist du dann?“ Loki sah aus dem Fenster. „Weder hier noch dort“, sagte er leise, „sondern irgendwo dazwischen.“ „Wo ist ‚dort‘?“, fragte Thor behutsam. Sein Bruder machte ein Gesicht, als versuchte er angestrengt, sich an etwas zu erinnern. „Der Ort, wo ich bin, wenn ich nicht hier bin“, sagte er schließlich. „Ich weiß nicht, wo er ist. Ich weiß nicht mal, was er ist.“ Ein harter Ausdruck trat in seine Augen. „Aber es gefällt mir dort nicht. Dieser Ort...“ Er zögerte. „Er hat nicht dich.“ „Dann bleib bei mir“, sagte Thor. Loki schenkte ihm ein wehmütiges Lächeln. „Ich weiß nicht, wie“, entgegnete er. Und wieder war er fort. „... Thor?“ Natashas besorgte Stimme ließ ihn von den Flammen des Kamins aufblicken, vor dem er sich an diesem Abend niedergelassen hatte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie, bevor sie sich neben ihn auf den Teppich setzte. „Du siehst blass aus. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?“ Wann hatte er das letzte Mal geschlafen? Thor war sich selbst nicht ganz sicher. Ebenso, wie er sich nicht mehr länger sicher war, ob er bei seinen Begegnungen mit Loki überhaupt geschlafen hatte. Er zögerte für einen Moment, sich ihr anzuvertrauen. Doch wenn er nicht bald mit jemandem sprach, würde er noch wahnsinnig werden. „Es ist Loki“, entgegnete er schließlich. „Er besucht mich jede Nacht.“ „Thor...“ Natasha schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. „Ich verstehe, dass sein Verlust nur schwer zu verkraften ist. Ihr seid immerhin zusammen aufgewachsen...“ Doch Thor schüttelte nur den Kopf. „Du missverstehst mich“, sagte er. „Es ist mein Bruder. Anfangs hielt ich ihn auch für einen Traum, eine Vision, aber mittlerweile... glaube ich nicht länger daran.“ Natasha sah ihn aufmerksam an. „Du meinst es ernst“, stellte sie fest. Er drehte den Kopf zur Seite und erwiderte ihren Blick. Was auch immer sie in seinen Augen entdeckte, es schien die Bestätigung zu sein, die sie gesucht hatte. „In Ordnung“, sagte sie schließlich und nickte. „Dann zeig es mir.“ „Er kommt nur, wenn ich mich hinlege und die Augen schließe“, sagte Thor, als sie in sein Zimmer traten und sich auf das Bett legten. „Ich glaube nicht, dass es wichtig ist, ob ich vorher geschlafen habe oder nicht.“ „Ich schwöre, das ist definitiv das Seltsamste, was ich je getan habe“, murmelte Natasha, doch sie tat es ihm gleich und schloss ebenfalls die Augen. Thor wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war – vielleicht eine Stunde, vielleicht auch mehr – als er die vertraute Aura seines Bruders spürte. „Ich sehe, du hast Besuch“, sagte Loki mit leichtem Spott. „Soll ich später wiederkommen?“ Thor schüttelte den Kopf. „Bitte bleib, Bruder“, erwiderte er, während er vorsichtig an Natashas Oberarm rüttelte, um sie zu wecken. Loki hob eine Augenbraue, doch dann zuckte er nur mit den Schultern. „Ich werde es versuchen.“ Endlich schlug Natasha die Augen auf und setzte sich auf. Für eine Weile tat sie nichts anderes, als Loki anzustarren, der mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand lehnte. „... mein Gott“, raunte sie schließlich. „Du hattest Recht.“ Thors Herz schlug schneller. „Du kannst ihn sehen?“ „Die Begeisterung ist ganz meinerseits“, entgegnete Loki trocken. Natasha ignorierte ihn jedoch nur und stand auf. „Wir müssen Tony und den anderen davon erzählen“, sagte sie. „Vielleicht haben sie eine Idee, was hier los ist.“ „Hey!“, rief Loki ihr nach, als sie den Raum verließ. „Keine warme Begrüßung für mich?“ Thor musste lächeln. Bei den Nornen, wie er seinen Bruder doch vermisst hatte! „Sie hat dich gesehen, Bruder“, erwiderte er. „Was bedeutet, dass dich auch andere sehen können. Was wiederum bedeutet, dass ich nicht von Sinnen bin und deine Geschichte tatsächlich wahr ist.“ Er stand auf und trat auf den anderen zu. „Wo auch immer du bist, Loki“, sagte er leise und legte eine Hand an die Wange seines Bruders, „wir werden dich finden.“ Loki sah ihn an und Thor sah Hoffnung in seinen grünen Augen aufleuchten. „Versprichst du es mir?“, fragte er. Thor nickte. „Du hast mein Wort, Bruder.“ Als Natasha fünf Minuten später mit einem skeptischen Steve und einem noch völlig verschlafenen Tony im Schlepptau zurückkehrte, war Loki schon längst wieder fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)