Das Volk aus den Bergen von Futuhiro (Magister Magicae 4) ================================================================================ Kapitel 11: ohne Plan --------------------- jetzt, Insel Okinawa Natürlich war Victor mit seiner Knarre auch nicht erfolgreicher als Vladislav mit seiner Bann-Magie. Aber das war auch gar nicht sein Ansinnen. Er wollte sich nur bis zu Vladislav durchkämpfen, um mit ihm zwei, drei Worte der Absprache wechseln zu können, denn mitten in diesem Gefechts-Chaos war Zuruf nicht die erste Wahl. Im Hinterkopf jonglierte er dabei schon mit den Details seines eilig gefassten Planes B herum. „Scheiße, Mann, was sind das für Dinger?“, keuchte Vladislav, als sein Vize endlich zu ihm aufschloss. Salz brachte nichts, Bann-Magie brachte nichts, Munition brachte nichts, und Waleri spießte unermüdlich einen nach dem anderen mit seinem großen Horn auf, aber auch da materialisierten sich diese Dinger immer wieder von Neuem, nachdem sie kurz zu Staub zerfallen waren. „ya neznayu“ [keine Ahnung], erwiderte Victor Akomowarov ernst. „Hör zu, wir müssen uns von denen fangen und mitnehmen lassen!“ „Hast du sie noch alle?“ „Eigentlich wollte ich ihnen ja heimlich folgen“, erklärte er und schoss noch einen Pseudo-Tengu über den Haufen. „Aber diesen Plan hast du mir mit deiner Heldentat hier zunichte gemacht.“ „Ich lass mich von denen nicht fangen!“ „Wir müssen irgendwie zu ihrem Lager, und zu ihrem Anführer, falls sie einen haben! Anders kommen wir nicht an die Informationen, die wir brauchen! Wir müssen rausfinden, mit wem oder was wir es zu tun haben! Zur Not müssen wir uns eben als Gefangene dorthin mitnehmen lassen. Anders geht´s ja jetzt nicht mehr.“ „Du spinnst ja!“, entschied Vladislav und schlug einem der Tengu die Faust ins Gesicht, woraufhin dieser zu Bruch ging wie eine Keramik-Vase. Nur leider nicht für lange. „Jetzt hab dich nicht so! Wir befreien uns ja später wieder!“ Der Vize zog kurz das Magazin aus seiner Pistole und prüfte den Füllstand. Nur noch fünf Schuss drin. Das war ganz schön wenig. Unzufrieden drückte er die Munitionsstange mit dem Handballen zurück in den Schacht und wollte weiterschießen. Aber die Waffe klickte mehrfach nur im Leerlauf. „gowno!“, fluchte er. „Ich sagte ja, die Plastikdinger sind Einweg-Waffen“, rief Vladislav ihm zu, als wolle er damit unterstreichen, wieso er seine eigene nicht auch längst gezogen hatte. Dann musste er sich schon wieder aus den ersten gierigen Klauen losreißen, hechtete davon, weil sich ein ganzer Trupp Angreifer gleichzeitig auf ihn stürzte, und trat vorläufig die Flucht an, bis ihm etwas Effektiveres einfiel. Das riesige, einhörnige Rhinozeros folgte ihm auf der Stelle. Victor zog einen doppelt gesicherten Schutzschild aus Bann-Magie vor sich hoch, um sich die Angreifer von vorn vom Hals zu halten. Mit der anderen Hand erzeugte er nacheinander drei Paralyse-Fluch-Kugeln, die wie Projektile davonschossen. Er konnte sich nicht mehr darüber wundern, warum die Geschosse keine Wirkung zeigten, denn da wurde er von einem Tengu hinterrücks am Kopf getroffen und ging zu Boden. Und dort blieb er auch erstmal liegen und rührte sich nicht mehr. Zwei der Kreaturen schnappten ihn sofort an der Jeansjacke und zerrten ihn davon. Ebenso wie die beiden Mädchen, die ursprünglich mitten auf der Lichtung an den Pfahl gekettet gewesen waren und sich trotz Waleris Bemühungen schon längst wieder im Gewahrsam der seltsamen Wesen befanden. Vladislav drückte sich keuchend mit dem Rücken gegen einen Baum und suchte Schutz. Aber es brachte wenig. Die übrigen Viecher folgten ihm bereits auf dem Fuß. Sein Schutzgeist Waleri nahm neben ihm wieder seine menschliche Gestalt an und schaute ebenfalls gehetzt zurück. „Alter, SIND das nun Tengu oder nicht?“, wollte Vladislav überfordert wissen. „Ich hab keinen Schimmer. Kämpfen tun sie jedenfalls wie welche“, gab Waleri außer Atem zurück. Vladislav deutete auf die Lichtung hinaus. „Hol Victor da raus!“ „Ich denk ja gar nicht dran!“ „Wie jetzt!? Du meuterst?“ „Bei sowas: ja!“, brummte Waleri, ergriff den Motus-Boss am Ärmel und zog ihn weiter in den Wald hinein, um vor den näher kommenden Tengu zu flüchten. „Mein Schützling bist immer noch du. Ich bin dafür verantwortlich, daß dir möglichst nichts passiert. Für den da bin ich nicht zuständig. Und in so einem Kampfgetümmel lass ich dich auch sicher nicht alleine oder geh Risiken ein! Los, weiter!“ „Waleri!“ „Der kann besser auf sich aufpassen, als wir, glaub mir!“ „Wir brauchen Victor aber noch!“, jaulte Vladislav auf. Der Genius Intimus blieb stur. „Er wollte doch gefangen werden! Jetzt retten wir erstmal unsere eigenen Ärsche! Um Victor kümmern wir uns vielleicht später!“ Vladislav, der es nicht gewohnt war, schnell und lange zu rennen, hatte langsam nicht mehr genug Puste, um noch weiter mit seinem Schutzgeist zu streiten. Er hatte schon Mühe damit, überhaupt noch mit Waleri Schritt zu halten. Die zwei Russen hetzten eine gefühlte Ewigkeit ziel- und planlos durch den Wald. Durch den Schleier von Adrenalin sah alles gleich aus. Ein Baum wie der andere, wohin sie sich auch wandten. Vladislav hatte schon längst jegliche Orientierung verloren und rannte bloß noch blindlings seinem Genius Intimus nach. Ob der noch wusste, wo er war oder wohin er sollte, oder ob der auch nur noch kopflos immer geradeaus rannte, konnte Vladislav nicht sagen. Und es war ihm auch egal. Er durfte seinen Schutzgeist im dichten Unterholz bloß nicht verlieren. Mehrmals hatte er das Gefühl, in Sicherheit zu sein und die Tengu endlich abgeschüttelt zu haben. Aber immer, wenn er sich eine kurze Atempause gönnen wollte, tauchten sie wieder auf und er rannte weiter um sein Leben. Egal wohin, nur weg. Wie groß war diese verdammte Insel? Sollten sie nicht schon längst an irgendeiner Küste sein, so weit wie sie jetzt schon gerannt waren? „Waleri, ich kann nicht mehr weiter!“, röchelte der Boss der Motus irgendwann und ließ sich zurückfallen. Waleri bremste, hechtete zu ihm zurück und packte ihn grob am Handgelenk. „Sei nicht albern! Komm weiter, du Pussi!“, verlangte er aufgekratzt und zerrte ihn gnadenlos mit sich davon. „Eh, sieh mal! Da drüben ist ein Haus.“ „Glaubst du etwa, das stört diese Dinger, die uns am Arsch hängen?“ „Mir egal! Ich verschanze mich jetzt da drin. Ich renne keinen Meter mehr!“ „Wie du meinst“, gab Waleri nach und änderte die Richtung. Das war ihm lieber, als Vladislav tragen zu müssen. Zwischen den Bäumen und dem Gestrüpp kam ein flacher, grauer Betonbau ohne Fenster zum Vorschein. Er war so winzig, daß er kaum Platz für einen einzigen, vernünftigen Raum bieten konnte. „Was glaubst du, was das ist? Hat was von einem Travo-Häuschen“, stellte Waleri im Näherkommen fest. „Mitten im Wald?“ „Ich seh hier nirgends eine Zufahrt, oder sowas.“ „Mir ist alles egal! Ich geh da rein, wenn offen ist!“, beharrte Vladislav und warf sich schwungvoll gegen die Metalltür. Tatsächlich ging die Tür auch ohne jedes Problem auf, als er die Klinke herunterdrückte. Er stolperte etwas haltlos hinein. Sein Schutzgeist folgte ihm und krachte die Tür von innen wieder zu. „Ist hier irgendwas, um die Tür zu verbarrikadieren? ... Oha!“, machte er, als er sich umsah. Für ein Bauwerk, das keine Fenster hatte, war es hier drin erstaunlich hell. Über ihnen brannte nämlich eine moderne Lampe. Die Wände waren säuberlich weiß gestrichen und der Boden ordentlich gefliest. Der Raum war komplett leer, abgesehen von einer Treppe, die nach unten führte. Das hier war nur ein Eingang, wurde den beiden klar. Was immer das hier für ein Objekt war, es lag unterirdisch und schien eine beachtliche Größe zu haben. „Also ...“, begann Waleri nach kurzem Abwägen nachdenklich. „Wir sollten nicht hier stehen bleiben und warten, ob Tengus Türen öffnen können oder nicht. Lass uns runter gehen“, entschied er. Er spürte über die mentale Verbindung, daß Vladislav damit absolut nicht einverstanden war, aber völlig hilf- und ratlos war, weil er auch keine bessere Idee hatte. Der Boss war doch ein ganz schöner Angsthase, wenn er mal selber agieren musste, statt nur von seinem Büro aus die Fäden zu ziehen. Hinzu kam ganz eindeutig noch, daß Vladislav sich ohne seinen Vize Victor Akomowarov verloren und verunsichert vorkam. Verstehen konnte Waleri ihn da sogar ein wenig. Das war immerhin Vladislavs erste echte Mission. Da durfte er noch unsicher und unprofessionell sein. Und Waleri hatte noch nie die Chance oder die Notwendigkeit gehabt, sich als Schutzgeist zu beweisen. Er hatte Vladislav noch nie ernsthaft gegen irgendetwas oder irgendjemanden verteidigen müssen. Folglich hatte Vladislav auch nie gelernt, sich auf ihn zu verlassen. Victor hatte da ganz andere Voraussetzungen. Der hatte sich schon oft genug bewährt. Auf den zählte Vladislav. „Dieser Verschlag hier scheint genutzt zu werden“, redete Waleri ihm also weiter gut zu, um ihn zum Mitkommen zu bewegen. „Hier muss doch irgendwo eine Menschenseele zu finden sein. Die werden uns schon sagen, wie wir hier wieder weg kommen.“ Vladislav nickte und atmete tief durch, bevor er sich seinem Schutzgeist anschloss und die Treppen hinunter stieg. Unten erstreckten sich zunächst ein paar Meter Gang mit einer offen stehenden Tür am anderen Ende und einer geschlossenen Tür zur Linken. Durch diese offene Tür kam ihnen freudig ein wuscheliges Wesen entgegen getrabt. Es hatte langes, ockerfarbenes Fell und die Größe und Statur eines Dackels, inclusive der strubbeligen Schlappohren und der hechelnden, heraushängenden Zunge. Aber wo andere Hunde eine Schnauze hatten, hatte dieses Tierchen einen kurzen, beweglichen Rüssel, ähnlich einer Tapir-Nase, der aufgeregt in der Luft herumschnorchelte. „Na hallo, was bist du denn für ein spaßiges Ding?“, wollte Vladislav wissen und ging in die Hocke, um dem begeistert schwanzwedelnden Tier über den Kopf zu streicheln. Das Wesen schien zutraulich zu sein. Es gab durch seinen Rüssel einen Ton von sich, der stark nach einer verstopften Trompete klang. Dann saugte es sich mit der Nase plötzlich an seinem Unterarm fest wie ein Staubsauger. „Hey!?“, machte Vladislav erschrocken und kippte beinahe nach hinten um, als er sich dem Saugrüssel zu entziehen versuchte. „Hör auf damit, lass los!“ „Eeeetooooo ... konban wa?“ [Ääääh, guten Abend?], mischte sich da eine irritierte Stimme aus dem Hintergrund ein. In der Tür am Ende des Gangs war ein älterer, europäisch aussehender Herr im weißen Laborkittel erschienen. Die Jahre hatten ihm schon einen gehörigen Kahlschlag in den Scheitel getrieben, so daß er nur noch einen buschigen Kranz Haare um den Kopf herum hatte. Sein Tonfall klang eher nach einer Frage als nach einer Begrüßung. Es war offensichtlich nicht vorgesehen, hier unten Besuch zu bekommen. Waleri grüßte auf Japanisch zurück und begann ein Gespräch mit dem Mann, um zu erfahren, wo sie hier eigentlich gelandet waren. So einen halben Bunker mitten im tiefsten Wald fand er ja schon etwas dubios. Nach einigen ruhigen, sachlichen Wortwechseln lachte er plötzlich auf. „Ihr seid Russen? Dann können wir ja auch Russisch sprechen, statt uns mühsam mit Japanisch abzuquälen.“ „Seh ich auch so. Willkommen“, meinte der grauhaarige Mann daraufhin in astreinem Russisch und lächelte leicht. „Hier hat sich ja schon ewig keiner mehr her verirrt. Vor allem kein Russe.“ Waleri wandte sich an seinen Schützling, der inzwischen wieder aufgestanden war, aber immer noch mit dem regen Interesse des Fellknäuels zu kämpfen hatte. „Wir sind hier in einer Forschungsstation gelandet“, gab er seine Erkenntnisse weiter. „Das ist Professor Doktor Hülsenkorn, ein Genetiker.“ „Sehr erfreut“, nickte Vladislav. „Warum seid ihr hier in Japan, wenn ihr Russen seid?“ „Mit unserem Forschungsschwerpunkt ist man hier ... naja ... ungestörter, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Okay, ihre Arbeit war also nicht ganz legal, ging Vladislav auf. Die Jungs waren ihm direkt sympathisch. „Habt ihr eure Einrichtung deshalb so weit hier draußen im Nirgendwo? Und ist deshalb hier alles mit Bann-Magie gesichert?“ In den Augen des Professors blitzte es kurz undeutbar auf. „Sie spüren die magischen Schwingungen hier? Sind Sie ein Magi?“ „Ja, ich bin selbst Bann-Magier“, stimmte Vladislav zu. „Und das da ist dann folglich Ihr Schutzgeist?“ „Richtig.“ Professor Doktor Hülsenkorn nickte verstehend in sich hinein. Dann deutete er auf Vladislavs Unterarm. „Ist der Knutschfleck da von unserem Knuddelz?“, wechselte er das Thema. „Ja.“ „Schlecht. Sein Rüssel ist giftig.“ „Wie bitte!?“, quietschte Vladislav entsetzt und schaute sich den runden Fleck nochmal genauer an, den das Tierchen auf seiner Haut hinterlassen hatte. Ihm lief es sofort eiskalt den Rücken hinunter. Sowas ließen die hier frei rumlaufen? „Ach, nicht so wild. Das kann man recht einfach behandeln“, beruhigte der Professor ihn in relaxtem Tonfall. „Aber Sie werden wohl eine Weile hier bleiben müssen, damit wir das medizinisch versorgen können.“ „Was ist das für ein Viech!?“ „Ein Hybrid! Ein Ergebnis unserer gentechnischen Experimente. Es hat also keinen wissenschaftlichen Namen. Wie gesagt, wir nennen es 'Knuddelz'. Ist doch ein süßes Kerlchen, nicht?“ „Ja, ganz süß, dieses giftige Ding“, zynelte Vladislav. Er fand den Tapir-Dackel nach dieser Hiobsbotschaft gar nicht mehr so süß. Das Tierchen gab abermals ein fröhliches, wenn auch verstopft klingendes Tröten von sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)