Null Grad Celsius von Arianrhod- ([Gruvia]) ================================================================================ 2018 | 1. Day | Promise || A helping Hand (Building Family) ----------------------------------------------------------- „Hallo, Mr. Gray!“ Juvia schenkte ihm über den Tresen hinweg ein strahlendes Lächeln, das ihr gesamtes Gesicht aufleuchten ließ. Sie stellte die gläserne Servierplatte weg, auf der nur noch ein paar dunkle Krümel klebten, und wischte die Hände an ihrer blauweiß karierten Schürze ab. Gray verdrehte die Augen, aber inzwischen hatte er sich an ihre Eigenarten gewöhnt. Es war ja nicht nur er, dem sie einen Spitznamen verpasst hatte. Vielleicht half ihr das, sich ihre Stammkunden richtig einzuprägen? Zu dumm, dass ihn das auch an jemanden erinnerte. Außerdem hatte er heute einfach nicht die Energie für unnötiges Zeug wie Proteste gegen harmlose Dinge, die sowieso ignoriert werden würden. Juvia jedoch fuhr gleich fort, munter wie immer: „Das Übliche für dich oder darf es heute etwas anderes sein? Wir haben Bienenstich im Angebot.“ „Nein, danke, das ist nicht so meins. Nur einen Kaffee.“ Gray hatte sich noch nie viel aus Süßkram gemacht oder zumindest hatte er das immer angenommen. Aber da waren immer wieder besondere Dinge, die er einfach nur liebte, wie den Marmorkuchen seiner Mutter oder… Juvias Lächeln wurde breiter. „Schwarz, ohne Zucker, kommt sofort!“ Sie wirbelte herum und schnappte sich eine der bunten Tassen, die auf den Regalen bereitstanden. Mit routinierten Bewegungen brachte sie die Kaffeemaschine zum Laufen, ehe sie sich ihm wieder zuwandte. Bevor sie ihm eine ihrer Fragen stellen konnte, die für ihn immer ein wenig aus heiterem Himmel kamen, wollte er wissen: „Oh, und hast du noch einen Schokomuffin für mich?“ Ihr Lächeln fiel in sich zusammen und sie hob leicht die Platte an, die sie eben noch in der Hand gehalten hatte. „Tut mir leid, die sind eben ausgegangen und wir machen heute auch keine mehr.“ Dann richtete sie sich wieder gerader auf. „Ich kann dir aber Brownies anbieten?“, schlug sie unbeirrt vor. „Nein, danke.“ Gray kramte ein paar Münzen aus der Hosentasche. „Stimmt so. Ich setz mich da drüben hin.“ Er nickte mit dem Kopf zu einem der kleineren Tische, die gar nicht weit entfernt standen. Juvia zog wieder ein langes Gesicht und seufzte, versuchte sich dann aber gleich wieder an einem Lächeln. „Natürlich, Mr. Gray! Dein Kaffee kommt sofort. Und ich sorge dafür, dass morgen ein Muffin für dich übrigbleibt, versprochen!“ Noch im Gehen öffnete Gray seinen Umhängetasche, um die Mappe mit den Berechnungen herauszuholen, die er letzten Abend noch erledigt hatte. Gestern schon war er sie zweimal durchgegangen und heute Morgen nach seiner zu ausgedehnten Joggingrunde erneut, aber ein weiteres Mal konnte nicht schaden. Wenn er sich in diesem Projekt richtig einbrachte und keine Dummheiten anstellte, konnte er sich wirklich etwas auf seinen Lebenslauf schreiben. Etwas Großes, Bedeutendes, das herausstach, mehr als ein paar Einfamilienhäuser oder selbst ein Einkaufszentrum. Etwas, dass ihn sogar aus dem Schatten herausbrachte, den sein Vater warf. Auch wenn er hoffte, dass er das vorerst nicht brauchen würde – bei Fairy Tail Architecture fühlte er sich wohl, verdiente gut und seine Kollegen waren in Ordnung. Kurz, er hatte dort alles, was er von einem Job wollte. Einige Jahre wollte er dort mindestens noch arbeiten. „Bitte sehr.“ Juvia stellte die blaue Kaffeetasse vor ihm ab und presste dann das Tablett gegen ihre Brust, zaudernd, abwartend. Unter ihrer Schürze trug sie einen schwingenden, dunklen Rock mit mädchenhaften Rüschen, der ihre langen Beine akzentuierte, und schlichte Maryjanes in dunklem Rot. Sie hatte ein Tattoo am linken Knöchel, bemerkte er abgelenkt, doch einer der Riemen lag darüber, so dass er nur ein paar schwarze Linien erkennen konnte. Und er wusste nur, wie diese Schuhe hießen, weil er sich noch vor nicht allzu langer Zeit mit etwa hundert Paaren davon hatte herumschlagen müssen, die in der gemeinsamen Wohnung einfach keinen Platz gefunden hatten. Verdammt noch mal, warum erinnerte ihn heute alles an seine Ex?! „Geht es dir nicht gut, Gray? Du bist so blass.“ Zwischen Juvias Brauen stand eine steile Falte und ihre Mundwinkel waren leicht nach unten gezogen. „Soll ich dir lieber einen Tee bringen?“ „Ich mag keinen Tee“, antwortete er automatisch und blickte von ihrem besorgten Gesicht weg. „Mir geht es gut.“ Tatsächlich hatte er kaum geschlafen, nicht mehr nach dem Anruf, den er um vier in der Nacht erhalten hatte. Die undeutlich lallende Stimme, dunkel und samtig, die er früher so gern gehört hatte, war ihm im Ohr geblieben, so dass er laufend gegangen war – zwei Stunden lang. Zu erwarten, dass er sie einfach vergessen konnte, war wohl zu viel des Guten. Aber das alles konnte er Juvia wohl kaum auf die Nase binden. Für einen langen Moment konnte er den intensiven, schweigenden Blick aus ihren meerblauen Augen auf sich fühlen, wie anklagend. Es war ihm, als könnte sie trotz all seiner Versuche, gleichgültig zu wirken, sehen, wie aufgewühlt er war und wie kaputt. Als könnte sie einfach in ihn hineinsehen. Das war zumindest etwas, das sie nicht mit seiner Ex gemeinsam hatte, deren Empathie im Minusbereich herumdümpelte. „O-okay“, murmelte Juvia dann und wandte sich ab. Ihre Schuhe klackerten leise auf dem Holzboden, als sie davonging und sich wieder ihrer Arbeit widmete. Gray sank erleichtert in sich zusammen und griff nach seiner Tasse, um einen Schluck von seinem Kaffee zu nehmen. Das starke Getränk beruhigte seine Nerven und ließ zu, dass er sich wieder auf die Zahlen und Buchstaben in seinem Notizbuch konzentrieren konnte. Er hatte jetzt keine Zeit für all diesen Scheiß, seine Beziehung war schon seit Monaten vorüber, aus und vorbei und nichts, mit dem er sich jetzt noch abgeben musste. Oder überhaupt wollte. Er sollte sich jetzt lieber um seine Berechnungen kümmern, seinen Kaffee trinken und dafür sorgen, dass er rechtzeitig im Büro war. Die Taktik wirkte zum Glück. Denn je länger er hier saß, sich um seine Zahlen kümmerte und seinen Kaffee trank, während die Welt um ihn herum einfach vorbeizog, desto ruhiger wurde er wieder. Der Tag war noch immer nicht gut, aber er hatte ihn zumindest unter Kontrolle. „Hi, Juvi!“ Die tiefe, männliche Stimme, die durch die morgendliche Ruhe im Café schnitt, ließ ihn unwillkürlich aufblicken. „Was für eine Überraschung!“ Sie gehörte einem hochgewachsenen, schlanken Mann mit sorgfältig gestyltem Haar und betont ausgesuchter Kleidung, der mit langen Schritten vor den Tresen trat. Er stützte sich großspurig darauf auf ab und schenkte der jungen Frau dahinter ein gewinnendes Lächeln. „Wer hätte gedacht, dass wir uns so schnell wieder treffen. Erst fast zehn Jahre lang gar nicht und dann zweimal in zwei Tagen. Wenn das kein Schicksal ist.“ „Bitte nenne mich nicht so, Bora“, antwortete Juvia, noch eine der Hefemäuse in der Hand, die sie gerade in die Ablage schichtete. Sorgfältig legte sie das Gebäck ab, ehe sie sich aufrichtete, die Hände an der Schürze abwischend. „Früher hattest du nie Probleme damit, Juvi. Und jetzt hast du für einen alten Freund nicht einmal ein Grußwort übrig?“ Juvia blinzelte ihn einen Moment an. „Willkommen im Council Café“, erklärte sie dann. „Juvia war nur überrascht. Darf sie…“ Sie unterbrach sich mit einem geschäftsmäßigen Räuspern und fuhr dann fort: „Darf ich dir etwas bringen?“ Ihr Freund lachte. „Es ist wirklich niedlich, wie du versuchst normal zu sein. Aber ja, einen Kaffee mit…“ „… drei Zucker und Milch?“, beendete Juvia den Satz, doch ihre Brauen waren eine Winzigkeit zusammengezogen, kaum bemerkbar neben ihrem geschäftsmäßigen Lächeln. Gray gab sich keine Mühe, sein eigenes Stirnrunzeln zu verbergen, doch er beugte sich wieder über seine Notizen und versuchte, das weiterplätschernde Gespräch zu ignorieren. Das ging ihn nichts an. Er kannte Juvia kaum. Das war offensichtlich ein alter Freund von ihr oder sogar noch mehr, wenn er die Anzeichen richtig las. Aber etwas an der Art, wie Bora diesen einen Satz ausgesprochen hatte, sorgte dafür, dass sich alle Härchen in Grays Nacken aufstellen. Er kannte diesen Tonfall, nur zu gut. „Was tust du hier, Bora?“, fuhr Juvia jedoch leichthin fort. „Wolltest du Juvia… mich auf meinem Arbeitsplatz besuchen?“ „Natürlich nicht, das ist nur Zufall“, winkte ihr Gegenüber ab. „Ich habe einen Termin hier in der Nähe und brauche noch meine Morgenration Kaffee. Und dann sehe ich dich hier!“ „Oh“, machte Juvia einfach. Offensichtlich hatte sie ihrem alten Freund nicht mehr viel zu sagen. Dann herrschte für einen Moment Stille, während Bora sich umsah, wie Gray aus den Augenwinkeln bemerkte. Sein abschätziger Blick glitt über die saubere Einrichtung, die blitzblanken Fenster, die Lichterketten und Bilder an den Wänden. „Hier arbeitest du also? Nett hier. Wobei ich wirklich gedacht habe, aus dir würde mehr werden als nur eine Barista.“ Gray spürte, wie sein Griff um seine Tasse fester wurde, ärgerlich. Warum redete dieser Typ so verächtlich über sie? Und warum wühlte ihn selbst so sehr auf? Juvia schien weniger Probleme damit zu haben als er! Er holte tief Luft und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. „Juvia arbeitet gerne hier.“ Sie wandte sich um, um die nun volle Tasse fertig zu machen und ihm zu reichen. „Dein Kaffee.“ Bora nahm das Getränk mit einem Lächeln entgegen und seufzte nach dem ersten Schluck genüsslich. „Danke, Juvi. Genau, wie ich ihn liebe, du erinnerst dich also daran!“ „… Juvia hat dir oft genug einen Kaffee gemacht“, antwortete sie trocken. „Das macht drei Jewel.“ Er reichte ihr großzügig einen Schein. „Ich brauche kein Wechselgeld, behalt den Rest.“ Gray fragte sich, seit wann er so genau hinsah, um zu bemerken, dass Juvias Stimmung von freundlich-erfreut-professionell umschlug zu diesem aufkeimenden Ärger. Ihr Gesicht, nein, ihre Augen waren wirklich ausdrucksstark und einfach zu lesen. Aber wem würde bei dieser Großspurigkeit nicht der Kragen platzen? Aber sie sagte nichts, sondern öffnete nur die Kasse, um den Schein sorgfältig einzuräumen. „Benötigst du noch etwas?“, wollte sie wissen, als sie die Schublade ein wenig zu energisch schloss. „Kuchen? Kekse?“ „Danke, ich bin doch kein Kind“, winkte Bora ihre Frage beiseite. „Aber hey, ich habe noch ein paar Minuten Zeit und muss dann nur noch die Straße hinunter, wie wäre es, wenn wir ein wenig plaudern? Gestern war ja nicht wirklich Zeit dafür, mein Termin und alles.“ „Juvia… Ich muss jetzt arbeiten“, wehrte sie ab und nahm demonstrativ die Glasplatte hoch, die sie vorhin schon Gray gezeigt hatte. „Ach, komm schon, Juvi, nun sei mal nicht so“, schmeichelte Bora. „Nach all den Jahren treffen wir uns wieder, nach allem, was wir miteinander erlebt und durchgemacht haben, und du bist so abweisend zu mir?“ Sie seufzte schicksalsergeben. „Ich muss jetzt wirklich weitermachen. Wegen der Grippewelle sind drei Leute ausgefallen und Kinana kann heute nicht in der Küche einspringen. Bitte entschuldige.“ Damit wandte sie sich ab und verschwand durch die Tür, die in die hinteren Räume des Cafés führte. Bora jedoch ließ sich davon nicht abwimmeln. Kurzerhand umrundete er den Tresen und folgte ihr, seine Kaffeetasse in der Hand. „Juvi, jetzt warte do…“ Seine Stimme wurde abgeschnitten, als die Tür hinter ihm wieder ins Schloss fiel. Gray starrte ihnen nach und fragte sich, ob er ihnen folgen und sich einmischen sollte. Juvia wollte diese Gesellschaft offensichtlich nicht, war aber zu höflich oder zu freundlich, um es ihm direkt zu sagen. Und dieser Typ war wirklich aufdringlich und rief ein schlechtes Gefühl in Gray wach, das ihm viel zu vertraut war. Dann schüttelte er heftig den Kopf und packte entschlossen seine Sachen wieder in den Rucksack. Juvia war eine erwachsene Frau, die sich um sich selbst kümmern konnte, erst recht gegen einen nervtötenden Exfreund. Er sollte aufhören, Zeichen von etwas, das gar nicht da war, in harmlosen Situationen zu erkennen! „Du siehst Gespenster“, erklärte er sich murmelnd. „Das geht dich nichts an.“ Außerdem musste er jetzt sowieso los. Sein Boss und sein Teamleiter waren beiden großzügige Leute, die über kleine Unpünktlichkeiten hinwegsahen, solange sie sich nicht häuften, doch er selbst wollte sich so etwas nicht leisten. Er kippte den Rest seines Kaffees hinunter und stand auf, sich den Riemen seiner Umhängetasche über die Schulter schlingend. Außer ihm waren jetzt nur noch ein paar vereinzelte Gäste sowie ein einzelner Keller, der gerade einen Tisch abwischte, anwesend. Keiner von ihnen hatte auf den Austausch zwischen Juvia und ihrem Freund geachtet. Das beruhigte seine wirren Gedanken noch mehr – er hatte nur überreagiert, unausgeschlafen und mit den Nerven am Ende, wie er war. Ein kurzer Blick auf sein Handy zeigte, dass er noch etwa fünf Minuten hatte, um pünktlich zum Büro zu kommen. Also setzte er sich hastig in Bewegung und verließ das Café, nur um gleich daneben in die Seitengasse einzubiegen, die ihn auf schnellstem Wege zum Gebäude von Fairy Tail Architecture bringen würde. Dabei checkte er kurz seine Nachrichtenapp, die sich während seines Frühstücks die ganze Zeit gemeldet hatte. Doch es war nur Natsu, der irgendetwas über die perfekte Konsistenz von Frühstückspfannkuchen laberte, hin und wieder unterbrochen von Lucy („Natsu, andere Leute müssen arbeiten!“) oder Erza („Sie sind nur perfekt mit frischen Erdbeeren!“), die ihren eigenen Senf dazugeben mussten. Warum nochmal war dieser Haufen seine besten Freunde? Kopfschüttelnd bog er um die Ecke, um der Gasse auf der Rückseite des Council Cafés zu folgen, doch in diesem Moment öffnete sich die Hintertür des Lokals. „…her hätte dich eine kleine gebrochene Regel nicht gestört“, drang Boras zu laute Stimme zu Gray hinüber und er stöhnte genervt auf. Hatte er nicht eben beschlossen, dass er sich da nicht einmischen und gar nichts weiter davon wissen wollte? Dann trat schon Juvia auf die Gasse, zwei große Müllsäcke in den Händen. Ihr alter … ‚Freund‘ folgte ihr gemütlich, immer noch seine Tasse in den Händen. Auf die Idee, ihr zu helfen, kam er anscheinend nicht. „Juvia ist nicht mehr die gleiche Person wie früher, Bora“, belehrte die junge Frau ihn. „Und du solltest das auch nicht mehr sein. Wir waren jung und dumm und das hätte ganz schön ins Auge gehen können. Juvia ist jetzt anders.“ „Langweilig, wolltest du wohl sagen“, zog ihr Begleiter sie auf und sah kaffeetrinkend zu, wie sie den großen Container öffnete und die Müllsäcke hineinhievte. Mit einem lauten Krachen ließ sie den Deckel wieder zufallen, ehe sie sich zu ihm umdrehte. „Ehrlich“, verbesserte sie kühl. „Und Juvia mag ehrlich.“ Sie trat zu ihm und nahm ihm die inzwischen leere Tasse aus der Hand. „Bitte lass Juvia jetzt in Ruhe.“ Er lachte und verschränkte die Arme vor der Brust, lässig gegen die Wand gelehnt. „Du bist heute wirklich ganz besonders kratzbürstig. Wir sollten nachher etwas zusammen essen gehen. Wann hast du Mittagspause?“ „Juvias Mittagspause ist zu kurz, um essen zu gehen.“ „Ach, das macht nichts. Dann heute Abend? Das passt mir eh besser.“ Er beugte sich vor, so dass sein Gesicht nur ein paar Zentimeter von Juvias entfernt war, als wollte er sie küssen. Das Lächeln in seinem Gesicht sollte wohl gewinnend sein, doch auf Gray wirkte es einfach nur blasiert und viel zu selbstgefällig. „Nur wir zwei, ein hervorragendes Essen, ein guter Wein, Kerzenschein…“ Boras Stimme klang verheißungsvoll aus. „So wie früher. Nur, dass ich dir diesmal auch wirklich etwas bieten kann.“ Juvia wirkte nicht sehr überzeugt, die steile Falte zwischen ihren Brauen war nicht mehr zu übersehen und ihr kühler Tonfall kaum zu überhören. „Juvia hat keine Zeit, sie muss ihre…“ „Man, Juvi, früher warst du echt spontaner!“, beschwerte sich Bora entrüstet. „Du musst dich nicht so zieren, ich…“ „Hey, man, sie hat dir gerade gesagt, dass sie keine Lust auf dich hat.“ Gray hätte sich am liebsten geohrfeigt. Warum mischte er sich jetzt doch ein?! Beide fuhren herum und starrten ihn überrascht an, als hätten sie ihn erst jetzt bemerkt. Die Tatsache akzeptierend, dass er jetzt nicht mehr einfach so weggehen konnte, setzte Gray sich wieder in Bewegung, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Du solltest das respektieren.“ Boras Augen verengten sich und er machte ein paar Schritte auf Gray zu, die Schultern zurückgezogen, die Hände automatisch zu Fäusten geballt. „Was geht dich das an?!“, wollte er feindselig wissen. „Und wer ist du überhaupt?“ Gray zuckte mit den Schultern. „Ich gehe hier nur vorbei.“ Gleichzeitig rief Juvia jedoch aus: „Mr. Gray!“ Ihr Gesicht hatte seinen finsteren Ausdruck verloren, im Gegenteil, sie lächelte begeistert und hielt beide Hände um die Tasse geschlungen, als wollte sie sie falten. Ihre Augen leuchteten hingerissen. „Gray, huh?“, machte Bora und baute sich bedrohlich vor ihm auf. „Wir haben deine Meinung gehört, aber sie interessiert hier niemanden, also verpiss dich besser, bevor ich ungemütlich werde.“ Gray musste den Kopf heben, um Bora in die Augen zu sehen, der mit einem überheblichen Grinsen auf ihn herunterstarrte. Aber so ein Größenunterschied bedeutete nicht viel. „Nach dir.“, antwortete er darum ruhig. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Bora es nicht mit ihm aufnehmen konnte, aber er hatte auch keine Lust auf eine handgreifliche Konfrontation. Der andere wich zurück, überrascht von seiner Gelassenheit. Dann verzog sich sein Gesicht wütend. „Du hast mir gar nichts zu sagen!“ Jedes Wort unterstrich er damit, indem er Gray den Zeigefinger gegen die Brust stieß. „Ich kenne Juvi schon ewig, länger als so ein dahergelaufener Wichser wie du und…!“ Genervt packte Gray seine Hand und drehte sie so abrupt um, das Bora vor Schmerz aufschrie. Zur Kompensation ging er leicht in die Knie und er verlor völlig seine überhebliche Fassade. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, obwohl Gray wusste, dass der Druck gar nicht so groß war, und sein Blick huschte besorgt von seiner Hand zu dem Gesicht seines Gegners. „Gray!“, rief Juvia im Hintergrund erschrocken aus, eine Hand über den Mund gepresst. Doch sie machte keine Bewegung, um einzuschreiten, und Gray ignorierte sie. Kalt starrte er auf Bora hinunter. „Hör zu. Du bist hier nicht erwünscht. Juvia hat keine Lust auf dich und wenn du das nicht respektieren kannst, ist das dein Problem und nicht ihres. Solltest du dich ihr noch einmal ungebeten nähern oder irgendwie sonst belästigen, dann wirst du es bereuen, das verspreche dir.“ Er schickte ein Raubtiergrinsen hinterher, bei dem er alle Zähne zeigte, und Boras Augen weiteten sich. „Haben wir uns verstanden?“ Ein hastiges Nicken folgte und Gray stieß den Mann von sich, ihn jäh loslassend. Bora landete fast auf dem Hintern, ehe er sich fangen konnte. Pikiert noch den letzten Rest seiner angeschlagenen Würde zusammenraffend richtete er sich wieder auf und zog sein Jackett zurecht. „Du bist ja irre“, knurrte er und wich einen Schritt weiteren zurück. Gray schob seine Hand wieder zurück in die Hosentasche. „Wenigstens belästige ich keine Frauen. Verzieh dich jetzt besser.“ Er machte eine Kopfbewegung die Straße hinunter. Doch Bora konnte nicht einfach verschwinden, ohne das letzte Wort zu haben. „Dein Verlust, Juvi“, warf er höhnisch über die Schulter in Juvias Richtung zurück, die ihn jedoch kaum beachtete. Ihre Augen waren fest auf Gray gerichtet und etwas tief in ihrem Inneren schien zu glühen. Bora spuckte aus und trollte sich endlich. Erst, als er um die Ecke gebogen war und außer Sichtweite verschwand, wandte Gray sich zurück zu Juvia. Doch im selben Moment warf sie schon die Arme um ihn und umarmte ihn überschwänglich. Es war, als wollte sie ihn so bald nicht mehr loslassen. Gray spürte, wie er sich versteifte. Ihr Körper war weich und anschmiegsam, ihr Haar kitzelte in seiner Nase und sie duftete nach Vanille und etwas Blumigen und völlig ungewohnt. Die Tasse, die sie noch immer in der Hand hielt, drückte sich gegen sein Kreuz. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen und wie er sich am Schnellsten wieder befreien konnte. Zögerlich ließ Juvia ihn los und wich einen Schritt zurück. „E-entschuldigung“, stotterte sie verlegen „Juvia wollte dich… nicht erschrecken.“ Sie wich einen weiteren Schritt zurück, sein Unbehagen spürend. Er war nun mal nicht der berührungsfreudigste Mensch! Und seit seiner Trennung waren die einzigen Frauen, die ihm so nahe kamen, Lucy und Erza und das war etwas völlig anderes. „Vielen Dank“, erklärte sie dann und ihre Stimme klang ein wenig gestelzt, als ob sie sich jetzt erst bewusst wurde, wie nahe sie einem beinahe Fremden getreten war. Dann holte sie tief Luft und riss sich sichtlich zusammen. Ihre nächsten Worte klangen wieder natürlicher und ihr Lächeln war klein, aber es hellte ihr gesamtes Gesicht auf. Es traf Gray tiefer als alle strahlenden Begrüßungen, die sie ihm sonst so großzügig entgegenwarf. Ihm war nie aufgefallen, wie hübsch sie eigentlich war, und wie ausdrucksstark ihre schönen Augen. „Juvia hätte das auch allein hingekriegt, aber nicht so schnell und bei weitem nicht so effektiv! Ich glaube nicht, dass er es noch einmal versuchen wird“, versicherte sie. „Juvia ist echt froh, dass du mir geholfen hast!“ „Äh, schon okay“, winkte er ab; mit Dankbarkeit konnte er noch nie sonderlich gut umgehen. Trotzdem breitete sich ein warmes Gefühl in seinem Bauch aus. Das war einfach nur schön, gut – zu wissen, dass man jemandem helfen konnte und nicht völlig defekt war. „Nein, das ist nicht!“, widersprach Juvia energisch. „Tu eine gute Tat nicht einfach so ab, Mr. Gray! Juvia ist dir sehr dankbar! Du bist ein guter Mensch.“ Ihr Gesicht war ernst und voller Entschlossenheit und sie sah ihm dickköpfig die Augen, als wollte sie ihn nur dazu herausfordern, ihr zu widersprechen. Die Worte das hätte doch jeder gemacht blieben ihm im Hals stecken und er starrte sie an. Für einen Moment wusste er nicht, was er jetzt tun würde. Schreien? Wegrennen? In Tränen ausbrechen? Stattdessen wich er noch einen weiteren Schritt zurück. „Ich… ich muss jetzt wirklich gehen, ich bin schon zu spät. Ich… Man sieht sich.“ Er war sich bewusst, dass er nun eine eigene Flucht antrat, aber im Moment konnte er sich nicht mit ihr auseinandersetzen. Oder dem, was sie gesagt hatte, so aufrichtig und bestimmt, als könnte es keinen Zweifel an der Wahrheit ihrer Worte geben. Hastig lief er davon, ohne sich umzudrehen. Ihre Stimme hallte hoffnungsvoll hinter ihm her: „Bis morgen, Mr. Gray!“ Und trotz all der aufgewühlten Emotionen schafften ihre Worte es, dass dieses warme, gute Gefühl zurückkehrte. ~~*~~☕~~*~~ „Guten Morgen, Mr. Gray!“ Juvias freudestrahlendes Gesicht war ein wohlbekannter Anblick, aber heute kam er nicht umhin, die Geste zu erwidern. Nachdem er letzte Nacht auch noch so gut geschlafen hatte, dass er jetzt tatsächlich fit war, war das nicht einmal eine Anstrengung. Im Gegenteil, das kleine Lächeln kam natürlich und einfach. Es war ein schöner Morgen, sonnig und beinahe warm, der Himmel klar. Der Frühling kündigte sich an, wie man nicht nur an den Miniaturosterglocken erkennen konnte, die in bunten Körbchen auf den Tischen und dem Tresen standen. „Kaffee wie immer?“, wollte Juvia wissen und griff bereits nach einer Tasse. „Ja, aber ich muss gleich los.“ „Kein Problem!“, versprach sie und wechselte ohne hinzusehen zu einem der Pappbecher, um dann kurz an der Maschine zu hantieren. Während diese klackend ansprang, wandte sie sich wieder zu Gray und nahm das Geld entgegen. „Du siehst heute besser aus“, bemerkte sie beiläufig. „Juvia ist froh!“ Er zuckte mit den Schultern, die Hände in die Hosentaschen geschoben. „Und du, keine nervigen Exfreunde mehr da?“, versuchte er nonchalant zu bleiben und die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Kichernd schüttelte sie den Kopf. „Nein, weit und breit keine in Sicht!“, beteuerte sie. „Anscheinend hast du ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt.“ Erneut zuckte er mit den Schultern, als wäre das keine große Sache. Was sollte er auch darauf sagen? Jeder hätte in dieser Situation so gehandelt, er war nichts Besonderes, auch wenn sie etwas anderes behauptete. Aber wenigstens hatte er heute seine Selbstbeherrschung wieder. „Hier ist dein Kaffee“, riss sie ihn aus den Gedanken und schob ihm den Becher über die Theke zu, während sie noch den Plastikdeckel darauf drückte. Er nahm ihn mit einem Nicken entgegen und hob die Hand zum Gruß, sich bereits abwendend. „Juvia hat noch etwas für dich, Mr. Gray“, hielt sie ihn auf. „Hä?“ Überrascht drehte er sich wieder zu ihr um. Sonnig strahlte sie ihn an, einen kleinen Korb vor die Brust haltend, der mit einer dunkelblauen Serviette abgedeckt war. Von wo hatte sie den hergezaubert? „Hier.“ Geradezu brüsk streckte sie ihm die Gabe mit beiden Händen entgegen. „Juvia hat sie nur für dich gemacht!“ Verwirrt nahm er den Korb entgegen, eher aus Reflex denn einer bewussten Entscheidung, und versuchte ungelenk, hinein zu spähen. In einer Hand den Korb und in der anderen den Kaffeebecher haltend war das gar nicht so einfach, okay! Doch der vertraute, himmlische Duft, der ihm entgegenschlug, ließ ihn den Inhalt bereits ahnen. „Du hättest das nicht machen müssen“, versuchte er es trotzdem. Juvia wollte nichts davon hören: „Du hast Juvia geholfen. Das ist das Mindeste, was ich für dich tun konnte. Und es hat mir Freude bereitet.“ „A-also gut.“ Er stellte den Becher ab und schlug die Serviette für einen kurzen Blick zurück. Tatsächlich stapelten sich die Schokomuffins darin, die er so gerne aß und die Juvia ihm erst gestern versprochen hatte. Juvias Lächeln hatte nichts von seiner Intensität verloren, bemerkte er, als er aufblickte, doch es war wieder kleiner, ruhiger, schöner… Wie gestern und erneut verfehlte es nicht seine Wirkung. Doch ihre Finger waren nervös in ihrer Schürze verkrampft und ihr Blick flackerte einen Moment, unsicher. Sein Widerstand fiel in sich zusammen. „Danke. Die werden mir den Tag versüßen.“ Sofort hellte sich ihr Gesicht wieder auf und das allein war den Besuch im Café wert, auch wenn er vorhin gezögert hatte, überhaupt hereinzukommen. „Ich werde dir den Korb morgen wieder vorbeibringen“, versprach er. „Schönen Tag noch.“ Er nahm seinen Kaffee wieder auf, schenkte ihr ein Lächeln und machte sich endgültig daran, das Café zu verlassen. Erst nach einigen Augenblicken erscholl hinter ihm ihre Stimme: „Bis dann, Mr. Gray!“ Und zum ersten Mal machte ihm der Spitzname nichts aus. Das war ein guter Tag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)