Verborgen in 221b von lupele ================================================================================ Kapitel 2: Inspektor Letstrade ------------------------------ Sie munkeln. Zwei von meinen Jungs auf dem Revier tuscheln geheimniskrämerisch hinter ihren Schnauzbärten, stehen aber sofort stramm, wenn ich vorbeiziehe. Wie tollwütige Waschweiber benehmen sie sich! Über den Umstand ihrer Unterhaltung haben sie mich nicht so recht ins Bild setzen wollen, als ich sie eines Morgens dabei erwischte. Die Wiedergabe ihrer ureigenen Interpretation einer gewissen delikaten Angelegenheit sei womöglich missverständig aufzufassen, sagten sie- oder würde mehr Schaden als Nutzen anrichten. Kurz vor Dienstschluss bekam ich dann doch noch Bericht erstattet. Der mit Abstand gescheitere der beiden, ein frischgebackener Sergeant, hätte den Doktor und den Detektiv in meinem Büro eindeutig gestikulieren sehen. Neulich, zur Mittagszeit, als die Sonne hereinschien. Und das machte alles so wirksamkeitsdeutlich, wie das Monokel seines Stiefvaters dessen Seheffizienz, betonte er. Die Methoden des Holmes seien ihm nicht fremd genug, um sie nicht genau auf ebenjenen anzuwenden und eins und eins zusammen zu zählen, wo sich hier die Gelegenheit bieten würde. Wozu er sonst das Strand Magazine studiere, frage er sich, wenn nicht, um selbst eines Tages die Besetzung eines höheren Postens im Präsidium anzustreben. Liest das Blatt wohl stets mehrmals, bis es ganz abgegriffen ist. Diese Jungspunde haben vielleicht Zeit! Na, hoffentlich tut er es nach Dienstschluss. Sein gewonnener Eindruck ließe ihm keine Ruhe. Die angestrebte Karrierelaufbahn, seinen polizeilichen Dienstgrad bald zu erhöhen, gestatte schließlich keine Umwege. Und deshalb meinte er, mir nun doch Meldung darüber machen zu müssen und seine Weste rein zu halten. Mir! Als ob ich mir nicht selbst ein Bild machen könnte, aus dem, was an Hinweisen vor mir liegt. Wenn denn da Hinweise wären! Es war also so, dass mein Sergeant, der an dem Tag, an dem wir den Hamperson-Fall endlich lüften konnten, die Tüte mit den Kompassen in mein Büro gebracht hatte. Kurze Zeit später kehrte er noch einmal dorthin zurück, weil er darüber hinaus ein Ermittlungsprotokoll nachliefern sollte. Während er vor meiner Glastür auf mich, der nicht mehr zugegen war, wartete, hätte er der drinnen stattfindenden Auseinandersetzung eine anzügliche Thematik entnommen. Was, teils aus Verwirrung, teils aus Mangel an Gewohnheit, für das Wecken seines Interesses verantwortlich zu machen wäre. Eine fallengelassene Bemerkung, die zu deuten als Hinweis auf einen überaus vertrauenswürdigen, ja fast zu vertrauenswürdigen Umgang zwischen Holmes und Watson schließen ließe, wäre doch sicher in direkten Zusammenhang mit grober Unzucht zu stellen, so seine Auffassung. Watsons Insistenz, das heimische Bett aufzusuchen und das, was der Sergeant noch so alles durch die Scheibe, von der abgeneigt meine beiden Besucher standen, gesehen und gehört hätte, sei für die Bildung seines Verdachts ursächlich gewesen. Eine regelrechte Episode an Assoziationen, dass es sich in meinem Arbeitszimmer nicht bloß um die rein sachliche Analyse eines Kriminaldeliktes handeln würde, sei ihn ihm geweckt worden. Aus dem, was ihm zu Ohren gekommen sei, die im Übrigen sogleich errötet wären, könne er sich was denken. Und zwar, wie die ständigen detaillierten Wissensbekundungen von Holmes zu Stande kämen. Nämlich genaus so, wie möglicherweise bald vor mir präsentierte Aneignungen darüber, was gesellschaftliche Verbannung nach sich ziehen würde. Ich solle mich nur in Acht nehmen, denn er glaube, dass dieses ganze skurrile Detektiv-Wissen, auch das über gewisse Praktiken, auf persönliche Erfahrungen zurückzuführen sei. Nun ja, das sind schwerwiegende Anschuldigungen, das ist wohl wahr. Aber diese Unterstellungen sind nicht meiner Überzeugung entsprungen. Die hier Bezichtigten weisen sich durch eine nonchalante Ungezwungenheit im Miteinander aus und nehmen kein Blatt vor den Mund, auch nicht vor mir. Halten zusammen wie Pech und Schwefel, erst jüngst wieder, als ich sie zwei Tage, nachdem sich der Doktor diese Gehirnerschütterung zugezogen hatte, besuchte. Holmes hat ihn ja fast vor mir heilig gesprochen, ihn schwer verteidigt und die Angriffsfläche, die er dem Übeltäter auf dem Gehweg geboten hatte, als Heldenmut herausgestellt. Sie befassen sich doch mit allerlei abnormen Zeug, da bildet besagte Unterhaltung keine Besonderheit. Ich habe sie Techniken anwenden sehen, die nahe an der Grenze zum Illegalen waren. Verdrehen einem auch gerne mal das eigene Wort, so dass Auflösungen dem Ende eines Rätsels passend gemacht werden. Aus Mangel an zeitlichem Kontingent belasse ich es zugegeben oft dabei, drücke schon mal ein Auge zu, wenn dadurch der eine oder andere nichtige Fall abgeschlossen wird. Ich kann mich nicht ewig an Kleinigkeiten aufhalten, so ist es manchmal günstig, wenn man meine Wege abkürzt, wo ich selbstredend, aber eben später, selbst zum Abschluss finden würde. Kein Grund also, in die verdorbene Richtung zu spekulieren, sind ja schließlich zwei gesetzestreue Burschen. Wer weiß, was der Jungspund gehört hat und womit Holmes da schon wieder geprahlt hat. Vielleicht hat er nur wieder eine neue Monografie entworfen, wissenschaftlich ausgeleuchtete Aspekte von illegalen oder sonstwas für Praktiken in der Arbeit mit Gewaltverbrechern, oder so ähnlich…diese Einzelschriften aus seiner Hand sind doch recht kompliziert zusammenzufassen. Warum der Doktor das alles mitmacht? Keine Ahnung. Ist ein solider Bursche, war ein paar Mal mit ihm Kartenspielen. Weiß der Himmel, was den armen Mann dazu bewegt. Ist es vielleicht schlicht und einfach Mangel an Abgrenzungsvermögen, Hang zu Unterwürfigkeit, fehlendes Selbstvertrauen? Was auch immer, er hat genug mit Holmes als Freund zu tun, so sehe ich das. Dann noch diese Arzt-Patienten-Konstellation, die sie da leben und die bestimmt nicht immer nur von schönen, kleinen Bagatellen und Schürfwunden erzählt, sondern sicher auch von unappetitlich Blut-bespritzten Körperteilen, die zusammenflickt werden müssen, von härteren Maßnahmen ganz zu schweigen. Ja, der Doktor ist immer zur Stelle, das ist schon auffällig. Immer eng dabei eben. Habe es gar nicht als anstößig empfunden, aber es stimmt, bei vielen ermittlungstechnischen Verzwickungen und bei daraus resultierenden Einschnitten in Seele und Konstitution, war er im Spiel. Wie seinerzeit, als dieser Professor der Mathematik, seineszeichen kriminalistisches Genie, es auf die Spitze getrieben und persönlich Hand angelegt hat. Nun, ich sollte besser darüber schweigen…unschöne Sache damals. Auch diesmal war es so. Aus aktuellem Anlass kam er mit in das verfallene Hinterhaus, zu der Verhaftung. Da gab es keine Verletzten, nur Papierschnipsel, die ja ach so bedeutsam waren. Aber einen Polizeiarzt hatte ich eigentlich nicht bestellt. Mh. Bei der grausamen Attacke mit dem Messer, und natürlich jede Sekunde danach, hat er auch wieder an Holmes` Fersen geklebt. Als wir gemeinsam den ganzen Fall aufgelöst haben, Täter und Tatwaffe zuordnen konnten, war er mit hier. Verfiel Holmes da nicht in dieses leichte Taumeln? Doch, ich erinnere mich, er hatte noch ein paar kleine Ergänzungen im Feinschliff beizutragen, ganz ohne seine Wichtigtuerei kommt er ja nicht aus, und ich dachte kurz, er würde immer noch kränkeln. Watson hat ihn dann aufgefangen, ja. Ganz anständig sah das aber eigentlich aus. Das Schwanken war ja dann auch so schnell verflogen, wie es gekommen war und Holmes ging zu seiner liebsten Herausforderung an sich selbst über, nämlich der, sein Gehirn zu strapazieren und Watson beiseite zu lassen. Bei dem Angriff mit dem Messer hatte der Doktor etwas von seiner Professionalität verloren, glaube ich. Er sah genauso bleich aus, wie der Verletzte, sehr wenig distanziert für einen routinierten Arzt, aber so betroffen wie ein Angehöriger. Kann man so oder so deuten. Im Zweifel für den Angeklagten, mir selbst war auch elend zumute, als sich das Leben aus dem Verwundeten weichen sah. Ein paar angstbesetzte Tage später war ich dabei, als er uns Besucher des Krankenzimmers verwies, ziemlich bestimmend zur Tür hinaus. Aber eigentlich sagt Watson doch ständig Dinge wie: “Lassen wir ihm seinen Schlaf! Er braucht ihn”, also habe ich mir nichts dabei gedacht, ausser, dass er ihm Ruhe verschaffen wollte und darauf bestand, sich ihm zu widmen. Und da soll womöglich noch was anderes im Spiel sein? Wollte er ihn tatsächlich für sich allein haben, nach all der Zeit der Unsicherheit? Selbst wenn, kann man das wohl getrost auch noch als Freundschaftsdienst durchgehen lassen. Diese ständige Nähe ist doch quasi berufsbedingt, die ist durch nichts anderes ausgelöst, als durch Interesse am Heilungsverlauf! Der Doktor ist doch zahm, wie Nachbars Katze. Meiner Einschätzung nach fällt er in die Kategorie derer, die eine starke Anziehungskraft auf die Ladies dieses Landes verübt. Militärischer Typus. Der sollte nach den Strapazen von Verbrechensaufklärung und Verbrecherobduktion, die unbarmherzig das Allerletzte von einem fordern kann, abends bei einer Frau liegen. Die Weichheit des anderen Geschlechts suchen, die keine Anforderungen an den angegriffenen, wenn auch augenfälligen Körper und Geist eines Veteranen stellt. Um sich hineinzubetten in die Idylle eines konventionellen Lebens. Und er hätte es eigentlich schon längst haben können, so beurteile ich das, jawohl! Ihm fliegen die Herzen der Damen sicher zu. Wo auch immer ich zwischen Rechtssystem und Eisenstangen, zwischen Klinikgang und Pathologie auf ihn treffe, da hätte sich schon die eine oder andere finden lassen. Klientinnen und Patientinnen gibt es doch wie Sand in Brighton. Scheint hohe Ansprüche zu stellen, dass er noch nicht zugegriffen hat. Hat er mir gegenüber nicht selbst einst seine Abenteuer auf den Kontinenten angedeutet? Ja, das war er. Etliche Jahre muss das schon her sein. Wie die Zeit vergeht…Ich stelle mir eine gediegen Elegante für ihn vor, gepaart mit einem kleinen Hauch Exotik vielleicht..., so eine hätte ich auch gerne. Mit einem Talent, das geweckt werden muss. Nur Verstand sollte sie haben. Genug, um ihn beim häuslichen Plauderstündchen nicht mit Kuchenglasuren und Kirchenbasaren zu langweilen, aber nicht so viel, wie er in seinem jetzigen Heim aushalten muss. Und genug, seinen Kauz an bestem Freund in ihr Leben zu integrieren. Nun ja, vielleicht ist das so betrachtet doch etwas unrealistisch. Aber wenigstens Bürgerlichkeit und Gleichklang, das hätte er zumindest verdient. Worüber mache ich mir hier Gedanken? Eigentlich bin ich immer davon ausgegangen, dieses Ziel zu erreichen, stünde in den nächsten Jahren auf seinem Lebensplan. Aber wer weiß, vielleicht will er etwas ganz anderes? Alles in allem klingt das jedenfalls recht machbar und früher oder später wird es ihn auch treffen, habe es oft genug gesehen. Eine Schar Kinder dazu und vergessen sind die alten Freunde. Sich mit Holmes die Bleibe zu teilen, kann doch keine Dauerlösung sein. Der hat ein viel zu unbezwingbares Wesen. Der einzige, der ihn bändigen kann, ist ausnahmslos Watson. Und das nur, wenn Holmes es zulässt. Gewissermaßen besitzt auch er ein ästhetisches Charisma. Ja, könnte mir vorstellen, dass es viele so sehen…sicherlich ist er nicht uninteressant als Objekt für jemanden, der Eroberungsdrang in sich spürt…das würde wieder passen, zum Doktor, meine ich. Sie rangeln um die Dominanz, hab´s hin und wieder registriert. Sie reiben sich verbal…da lässt sich keiner die Butter vom Brot nehmen. Den Herrn Privatdetektiv umgibt diese markante Mischung aus rau-sanfter Schönheit, zugegeben. Wenn ich das schon wahrnehme, kann es durchaus sein, dass Watson das genauso sieht und es ihn mehr anspricht, als jedes Weib. Interessante Indizien, das alles. Und da ist noch mehr: Er ist ein Träumer. Ein hochintellektueller, der seine Träume sicherlich zerlegt, aber auch einer, der in Muse und Poesie flüchtet. Er kann es also, sich von einer Sache lossagen, um sich einer anderen zu öffnen. Aber in die Arme eines anderen Mannes flüchten? Grober Unfug! Sobald er an der Entwirrung eines Tatherganges dran ist, träumt er, aber anders als man es gemeinhin ab Mitternacht tut. Abwesend kapselt er sich von dem Drumherum ab, wird schroff und taucht in seine Thesen ein, als wäre das alles, was noch zählt. Manchmal kommt etwas Handfestes dabei heraus, ich gebe es zu. Aber soweit, Sünde sagen manche dazu, würde er doch nicht gehen, nein, nein. Besagten Doktor ignoriert er dann ja schließlich auch, seine Detektei ist eindeutig alles, wofür er lebt. Dieses Wort allein, Sodomie. Hört man immer häufiger, von solchen Verstrickungen, in letzter Zeit. Gerade hier, im Yard. Deswegen muss man ja nicht bei jeder thematisierten Liaison, die womöglich viel weiter gesteckt ist, als es zu vermuten steht, sofort daran denken! Ich habe bisher auch nie darüber nachgesonnen, hatte nie Assoziationen an mehr als ein Vertrauensverhältnis, das zwischen den beiden herrscht. Und das zu mir, das mit der Bewahrheitung dieser wüsten Theorie wegbrechen würde. Gut, um der Pflicht genüge zu tun, kann ich ja mal genauer achtgeben, wenn ich das nächste Mal auf einen Schlummertrunk in der Baker Street vorbeischaue. Ist ja ab und an ganz nett, unter gleichgestelltem Intellekt zu weilen, sage ich mir. Und den einen oder anderen meiner aktuellen Problemfälle bekommt man dort immer wieder gerne von mir vorgetragen. Kann sicher nicht schaden, sie durchzusprechen, sie häufen sich, weil ich so lange an der Hamperson-Verhaftung saß, zu der ein gewisser Sherlock Holmes ständig neue Ideen beizutragen hatte, die mich aus meinem Konzept brachten. Schnell ist er ja. Wäre ein guter Inspektor geworden, hier in meiner Abteilung, wenn er gewollt hätte. In welchem Amt auch immer, ab und an gibts ganz nützliche Denkanstöße von ihm und seinem Freund, sind eben eingespielt. So ist es eigentlich meistens. Ist mir noch gar nicht weiter aufgestoßen, so alltäglich ist das, sie auf dem Revier und an Tatorten als Gespann anzutreffen, auch, wenn manchmal nur die Dienste von einem verlangt werden. Na ja, sie brauchen etwas, worüber sie reden können, nehme ich an. Vom Frühstück bis zum Dinner, denen fehlt sonst die Kurzweiligkeit in ihrem Junggesellenhaushalt, das wird`s sein! Haben eben die gleichen Interessen. Sie nehmen es nicht so krumm, können die Schauerschauplätze, zu denen ich sie zitiere, gut abstrahieren. Nicht wie ihre Vermieterin, die ich in letzter Zeit ständig Stoßgebete zum Himmel schicken höre, wenn ich ihre Türglocke ziehe. Wie sollte ich mich überhaupt positionieren, wenn da was an anderes ans Licht käme? Vollstreckung der Rechtssprechung des Systems, dem ich unterstellt bin und an das ich glaube? Ich bin ein diensteifriger Polizist, aber ich bin nicht wie Stanley, Tobias und Athelney. Ich meine natürlich Hopkins, Gregson und Jones, die obendrein noch skrupellos werden können. Nein, ich muss diese wirre These ruhen lassen. Mehr darf da nicht sein und deshalb ist es nicht so! So sind sie nicht. Es gibt keine Beweise, keine Indizien, keine Schlussfolgerungen zu ziehen- wie Holmes sagen würde. Er ist ein guter Mann, hat mir schon Ehre zuteilwerden lassen, die ihm gebührte und die ich gebrauchen konnte. Das gäbe ja einen Aufstand. Sämtliche Polizeiarbeit wäre fortan für ihn tabu. Holmes ist schlau genug zu wissen, dass ich mir das denken kann. Aber soweit denke ich nicht, das ist doch alles Humbug. Ich bleibe bei den Fakten, die ich sehe und ich sehe nur Spekulationen, noch lange kein kriminelles Delikt. Die beiden sind mit ihrer Arbeit verheiratet, wie ich. Ehrbare Bürger, die das Verbrechersyndikat zerstören und nicht selbst dem Laster darin frönen. Das Ganze ist doch offenkundig gegenstandslos, wenn ich meiner eigenen Menschenkenntnis glaube und auf die kann ich mich wohl verlassen, nach zwanzig Dienstjahren. Ich werde mir den Sergeant zur Brust nehmen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)