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Glücksverfluchte

Die Champions von Asteria
von

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Fuchsbaus Herrscher

„Vergiss, was alle sagen... du gehörst zu uns... zu mir...“, flüsterte sie und ihre zarte, verführerische Stimme floss zäh und langsam wie Kirschblütenhonig durch seine Ohren in seinen Körper, ertränkte jede Ader in jenem süßen Saft, dessen sonderbaren Geschmack er bis heute so sehr mit Asteria verknüpfte, wie nichts anderes. Ihr Duft umspielte seine Nase, zog in seinen Hals und band sich als Schlinge um ihn, während sein Arm zwischen ihre weichen, warmen Brüste gedrückt wurde und ihn so noch weiter an sie fesselte. Er spürte, wie ihre Präsenz alsbald sein ganzes Sein bestimmte, wie das warme Klingen ihrer Worte ihn umhüllte und er willig zu ihrer Trophäe werden wollte.

Langsam drehte er sich zu ihr und sah in die bleichen, durchdringenden Elfenaugen, in denen er sich schon unzählige Male zuvor verloren hatte. Aus der Pupille schien ein zarter Glanz, der sein Herz noch höher schlugen ließ, während sie sich zu ihm reckte und ihre weichen Lippen auf seine rauen legte. Stärker als ihr Klang und intensiver als ihr Duft, überwältigte ihre rauchige Süße ihn in jenem Moment, als sie direkt seine Zunge berührte.

Er verlor die Kontrolle über sich, der Schwindel übermannte ihn und lediglich der feste Griff um ihre schlanke Hüfte gab ihm den nötigen Halt, um nicht rücklings umzukippen. Sie stöhnte kurz auf und löste sich von ihm, legte ihren Kopf auf seiner Brust ab, als habe sie all das eine immense Kraft gekostet.

„Ich liebe dich, Iri“, flüsterte er heiser, die Laute mehr krampfhaft aus seinem Hals pressend, als wirklich aussprechend.

„Weiß ich doch“, gab sie mindestens genauso still zurück. „Ich weiß das ganz genau...“

„Was?“, antwortete er lachend. „Ist das alles?“

Sie schaute auf, kicherte kurz, schloss die Augen und spitzte erneut die Lippen und mit jedem Zoll dem er ihr näher kam, wurden die seinen immer wärmer und wärmer. Er vermochte es zu sagen, dass sie glühen mussten, oder gar lichterloh brannten. So musste sich die Liebe anfühlen... heiß... verdammt heiß...
 

„Argh verflucht!“. schimpfte Ezra, spuckte den brennend heißen Glimmstängel aus seinem Mund, der vom hölzernen Gitter abtupfte, auf dem Boden fiel und seine restliche Asche in hohem Bogen auf dem hübschen Teppich verteilte und – obwohl nun wirklich nicht mehr viel Hitze in dem bisschen Glut hätte sein können – sich sofort daran machte den dünnen Stoff zu entzünden.

Schnell hämmerte er mit seinem Fuß auf die Zigarette, zertrat den restlichen schwarz-weißen Tabak auf dem Boden, was ihn zwar löschte aber auch noch weiter zwischen den Fasern verteilte. Binnen kurzer Zeit war der dunkelrote Teppichboden so dermaßen mit weißen Sprenklern versehen, dass es ihn ein wenig an das sonderbare Fruchtfleisch der Schuppenfrucht erinnerte – und wahrscheinlich war er mindestens genauso geschmacksneutral wie dieses natürliches Vorbild.

„Das ist ja mal wieder großartig gelaufen“, stöhnte er missmutig und rieb sich die Stirn.

Für einen Moment umschwirrten ihn noch die Spuren ihrer Aura, bis ihm endgültig bewusst war, wo er sich befand, und ihr sanfter Duft dem kratzigen Restnebel der Zigarette gewichen war. Warum nur hatte er denn ausgerechnet jetzt an diese uralte Geschichte denken müssen?
 

Mit einem leicht dröhnenden Zerren blieb der Aufzug stehen und hakte sich Stück für Stück in die vorgegebene Schiene ein, damit sich das gusseiserne Sicherheitsgitter endlich öffnen ließ. Um Fingerbreiten rückte die Kabine langsam vor, bis die eingebaute Glocke endlich das erlösende Bimmeln von sich gab.

„Kommt es mir nur so vor, oder ist das alte Ding seit meiner Abwesenheit noch langsamer geworden?“, murmelte Ezra und blies genervt einen Schwall Luft aus, bevor er sich dazu entschied, die unverhoffte Wartezeit dazu zu nutzen, den Unrat vor seinen Füßen mit eben jenen etwas durch den Spalt zwischen Fahrstuhl und Gang zu schieben, was ihm nur mäßig gelang. Immerhin sah es so verteilt nicht mehr ganz so schlimm aus... dachte er wenigstens.
 

In Shinju war der Abend mittlerweile angebrochen. Die Sonne quetschte sich zwischen die Wohnriesen und tauchte die Stadt in einen satten, orangefarbenen Stich, als würde eine kochend heiße Suppe in den Straßen zu brodeln anfangen.

Durch die schmalen Schlitze der Kabine kroch die eigentlich angenehm warme Herbstluft und ließ die glühenden Sonnenstrahlen durch, sodass sie den hölzernen Schacht, welcher an der Seite des Fuchsbaus angebracht war, ordentlich aufheizten und man es nur kurzzeitig darin aushalten konnte. Doch Ezra war dieser Umstand eigentlich ganz recht.

Nicht mehr lange und die Hitze würde bitterer Winterkälte weichen, die durch die Gitter zog. Im Allgemeinen war diese Konstruktion gelinde gesagt unpraktisch, doch als einziger Fahrstuhl im ganzen Haus fuhr dieser ins Dachgeschoss, dem Treffpunkt des Schwarzen Tisches und dieser war der Öffentlichkeit nun einmal nicht zugänglich. Daher wurde dieser uralte Schacht, welcher sowieso weit abgelegen von den Attraktionen des Hauses lag, mit einem komplexen Sicherheitsschloss versehen und als einziger Zugang zur obersten Etage des Fuchsbaus eingerichtet. Seinen Herrschern war er allerdings nicht wirklich würdig und man müsste sich eigentlich umgehend um eine Erneuerung des Aufzugs kümmern...

Aber nicht jetzt.
 

Endlich machte die Schiene jenes erlösende Einrastgeräusch und das Gitter wurde freigegeben. Ezra langte nach seinem Schlüssel, drehte ihn anderthalb mal links herum, drückte dann den Schlüssel tiefer hinein und machte noch einmal eine halbe Umdrehung nach rechts, bis er das gefragte Klicken vernahm, schob dann unter einem geräuschvollen Rattern das Gitter zur Seite und betrat den langen, schmucklosen Gang dahinter, der durch das dünne Sonnenlicht aus den gekippten Fenstern in das gleiche Feuer getaucht wurde, wie der Rest der Stadt.

So weit oben war das geschäftliche Treiben der darunterliegenden Gänge kaum mehr als ein fernes Echo, das durch die Wände fast zur Gänze verschluckt wurde. Lediglich das dumpfe Stapfen seiner Schritte auf dem langen Teppich, aus dem gleichen tiefroten Stoff wie im Aufzug geschneidert, erfüllte den Raum. Gemächlich schlenderte er den Gang entlang, bis er zu seiner linken bei einer kleinen Schuhablage ankam, die sich direkt neben einer großen Schiebetür aus Papier befand, welches auf ganzer Fläche mit den wichtigsten der 1000 Götter Asterias bemalt worden war.

Es war ein atemberaubendes Bild, an Detailgrad kaum zu überbieten. Seien es die schönen Schuppen des großen Drachen Chi'Rayu, welche auf seinen Flug über das Himmelszelt von ihm fielen und sich mal in bullige Wolken und mal in funkelnde Sterne verwandelten, sei es das weite Tuch der schönen Tänzerin Lunariko, das die Welt in Nacht hüllte, oder die kleinen Holzkabinen auf dem Rücken vom riesigen Schattenschleicher Shika'Res in denen die Toten ins Jenseits geleitet wurden.

Doch am meisten gefiel ihm das Abbild des Heldengottes Hunter, der auf einem Berg gefallener Dämonen stand, seine blutverschmierte Klinge in der rechten triumphal nach oben gestreckt, den linken Arm hingegen in schwarz-rote Schatten gehüllt. Sein Gesicht blieb durch die grobe, lederne Kapuze in der Finsternis verborgen, lediglich die blitzenden Zähne seines gezacktes Grinsens und sein glutrotes Auge leuchteten den Betrachter an. Er hatte gegenüber allen anderen so einen süffisanten, herablassenden Ton, der seine Macht nur weiter zur Schau stellte – und dadurch auf Ezra nur umso inspirierender wirkte. Er trug nicht ohne Grund den Namen dieses Gottes als Titel.
 

Einen Moment noch schaute er die unzähligen Figuren auf der Malerei an, versuchte sich, so gut es ging, an jeden einzelnen, der unzähligen Götter zu erinnern, da schob sich das Gemälde plötzlich in der Hälfte zusammen, denn jemand wollte den Raum dahinter anscheinend verlassen.

Schnell schlüpfte Ezra aus seinen halbhohen Schuhen und stellte sie akkurat neben die anderen Paare, bevor er sich zur Seite drehte und das lange, dunkle Haar seiner Köchin bemerkte.

„Wie immer zu spät, Meister Hunter!“, sagte Mikki amüsiert, als sie ihn bemerkte und lächelte mild. „Die hohen Herrschaften werden Euch dafür die Leviten lesen, das wisst Ihr, oder?“

„Ich bin gerne zu spät. Immerhin bleiben die Dinge am besten in Erinnerung, die zuletzt auftauchen“, entgegnete Ezra gelassen und streckte sich kurz.

„Glaubt mir, an Euer ungehobeltes Verhalten würde man sich auch erinnern, wenn Ihr zur Abwechslung mal pünktlich wärt.“

„Aber du musst zugeben, meine Dreistigkeit macht auch meinen Charme aus.“

„Absolut“, bestätigte Mikki, fügte dann aber hinzu: „Aber man kann natürlich auch eine Axt im Walde als hübsche Dekoration bezeichnen.“

„Autsch!“Ezra hielt sich theatralisch die Brust

„Welch grausame Worte, werte Dame! Sag bitte nicht, dass du mich nicht zumindest ein bisschen vermisst hast, sonst brichst du mir das Herz.“

Die schöne Elfin machte keine Anstalten darauf einzugehen, sondern legte die Hände vor den Schoß und setzte zu einer tiefen Verbeugung an, wobei sie niemals ihr Lächeln verlor, an dem Ezras Sprüche seit jeher abprallten, als würde man versuchen, Festungsmauern mit Kieselsteinen einzuwerfen.

„Nun, ich wünsche Euch eine erfolgreiche Besprechung, Meister Hunter. Ich habe bereits Tee und Reiswein sowie einige leichte Knabbereien gebracht. Für Euch gibt es frittierte Taikanflossen, zur Feier Eurer Rückkehr. Reicht Euch das als Freudenbekenntnis aus?“

„Mehr als ausreichend. Was würde ich nur ohne dich machen?“

„Verhungern, mein Herr. Ihr würdet elendig verhungern.“ Beide lachten kurz, dann machte sich Mikki auf den Weg, das Dachgeschoss zu verlassen. Ezra nickte noch einmal kurz und wollte bereits die große Tür zur Seite schieben, da bemerkte er, dass seine Hausdame zögerte, das Schloss für den Aufzug aufzuschließen.

„Wenn die Besprechung vorbei ist, triff mich auf der Elften“, sprach sie und schaute kurz über ihre Schulter. Die Schüchternheit ihres Blickes war dem schmalen Schein trauriger Nostalgie gewichen. Ezra legte die Stirn in Falten.

„Du meinst den Außenbereich? Warum? Wenn du etwas sagen möchtest, kannst du das auch jetzt tun.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nicht einfach so, das muss in Ruhe passieren. Ich... ich habe noch ein Geschenk für dich...“

Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete Mikki das Tor und machte sich auf, den Aufzug zu betreten.
 

Einen Moment blieb Ezra allein im Gang zurück. Ein Geschenk? Was sie ihm wohl geben wollte... Was auch immer es war, es musste bis später warten und er sollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Sie hatten wohl das Gespräch gehört und wussten, dass er bereits hier war. Noch einmal sog er einen tiefen Schwall der verbrauchten Luft des Gangs ein und blies sie zwischen seinen Zähnen aus.

Dann schob er die leichte Tür zur Seite, und übertrat die Schwelle.
 

Der Raum war an allen vier Ecken mit großen Standlaternen aus weißem Papier und festen Holzgittern ausgestattet, die fast bis zur Decke reichten und eher schon wie eigene leuchtende Säulen wirkten, welche die Wände mit einem Fächer aus Licht bedeckten.

Der Raum selbst war – im Vergleich zum restlichen Haus – relativ schmucklos eingerichtet, sah man mal von Vasen und Schwertern auf den Holzkomoden ab, aus denen die Schriftrollen quollen. Der größte Blickfang war wohl der kleine Götterschrein an der rechten Wand, bestehend aus einem Grabstein mit altasterischer Inschrift, der durch einen dunklen hölzernen Pavillon mit goldenen Ornamenten überdacht war, dessen vordere Beine wiederum geschnitzte Holzstatuen zweier Elfen – einem Jungen und ein Mädchen – darstellten: sie mit einem halben Dutzend Papierrollen unter dem Arm, er mit einem Zettel und Pinsel bewaffnet.

Das waren die Zwillinge Lyra und Penn, die Schöpfer der Papiermagie und eben diesen Göttern war auch der Schrein gewidmet, in welchem zudem eine rituelle Papierpresse integriert war: Aus einem zähen Gemisch aus Wasser und Fasern von hellem Bambus wurden durch mehrere mit Asterid legierte Walzen lange Bahnen reißfesten Papiers gepresst; das angeblich beste magische Papier der ganzen Stadt, war es doch von den Göttern persönlich gesegnet.

Sein Blick wanderte weiter nach links, tiefer in den Raum hinein, bis er an einem kreisrunden Tisch aus gusseisernem Metall hängen blieb, auf dessen schwarzer Marmorplatte Mikkis Stärkung platziert worden war. Er war so niedrig, dass man sich auf den Boden setzte, um an ihm zu speisen, zugleich aber überdimensional groß, dass er weite Teile des Raumes einnahm.

An seiner rechten Seite hatte eine Menschenfrau Platz genommen, in einem blassrosanen Kimono, das mit weißen Tupfern besprenkelt wurde, welche wohl an umherfliegende Blüten erinnern sollten, dessen Thema auch die goldene Klammer in ihrem pechschwarzen, mit unzähligen Nadeln hochgesteckten Haar aufnahm, denn daran angebracht war eine große, schneeweiße Orchidee. Die ebenso bleiche Grundierung des Gesichts mit unzähligen Farbklecksen an Augen, Wangen und Lippen aufgewertet, die Augenbrauen genaustens gezupft und die Wimpern scheinbar bis in die Unendlichkeit verlängert, wollte man kaum glauben, dass es sich nicht nur um eine farbenfrohe Puppe eines exzentrischen, aber durchaus talentierten Künstlers handelte, hätten ihre Mundwinkel nicht kurz nach oben gezuckt und sie dem Neuankömmling zugenickt.

Immerhin ein halbwegs freundliches Gesicht, allerdings auch das einzige; der bunt geschminkten Dame gegenüber sitzend begrüßte Ezra ein halb ergrauter Elf mit auffälligem Schmuck an seinen spitzen Ohren, der sein langes, faltiges Gesicht mit einer grimmigen Miene bestückt hatte und seine Schale mit Reiswein derart provokant von sich gestreckt hielt, sodass man schon fast hören konnte, wie er vorwurfsvoll ein „Hast du überhaupt eine Ahnung wie lange wir hier schon warten?“, von sich geben würde.

Vor Kopf hingegen saß eine junge, leicht hagere Kitzune mit dünnem, kurzem Haar in kastanienbraun. Gegenüber den anderen beiden Figuren, denen man eine gewisse Extravaganz nicht abstreiten konnte, wirkte sie hingegen äußerst schlicht – selbst gegenüber Ezra, dessen Kleidung auch bei aller Abnutzung seinen ursprünglichen Wohlstand offen aufzeigte.

Sie hingegen hüllte sich in einen schmucklosen, pechschwarzen Kimono, der anders als bei ihrer Sitznachbarin bis obenhin zugebunden war und keinen einzigen Blick auf das Dekolleté freigab, welches jedoch bei ihrer schmalen Brust ohnehin sehr gering ausgefallen wäre. Ihr ungeschminktes Gesicht zierten tiefe Augenringe und wilde Sommersprossen, die knittrigen Schnurrbarthaare gingen meilenweit zur Seite und aus ihren Ohren wuchs ein wilder Schwall weißen Fells.

Kombinierte man dies mit der Tatsache, dass sie, anders als alle anderen im Raum, nicht gerade saß sondern eingeknickt mit leerem, nahezu lethargischem Blick auf das Essen starrte, während ihre Hände fast schon mechanisch über die weiße Spitze ihres Schweifs streiften, bekam man das Gefühl, dass sie so überhaupt nicht zu dieser Gesellschaft gehörte.
 

„Hast du überhaupt eine Ahnung, wie lange wir hier schon warten?“, bellte der Elf vorwurfsvoll.

Er hatte seinen Text gut einstudiert.

„Lass mich nachdenken“, murmelte Ezra während er auf dem letzten verbleibenden Kissen der Kitzune gegenüber im Schneidersitz Platz nahm und sich direkt ein Stück des knusprigen Haifisches, den Mikki extra für ihn gemacht hatte, zwischen die Zähne schob.

„Daran gemessen, dass Mikki das Essen gerade erst gebracht hat, in Kombination mit dem Errötungsgrad in deinem Gesicht und die Tatsache, dass Mirakos Schweif noch nicht die Haare vom ganzen Kämmen ausgefallen sind, gehe ich mal von knapp einer halben Stunde aus.“

„Sehr richtig!“, schimpfte der Elf weiter und wurde auch lauter, von der gleichgültigen Antwort offensichtlich provoziert: „Eine halbe Stunde! Eine halbe Stunde lässt du uns warten, trotz allem Versagens, dass du zu verantworten hast! Und dann kommst du hier hin, sagst keinen Ton und stopfst dir als erstes etwas zu essen in den Mund.“

„Alfo pfunäft mal“, wollte Ezra ansetzen und schlang ein besonders großes Stück des weißen Fleisches mit einem Bissen hinunter, ließ den intensiven Geschmack des Meeres mit dessen bitteren Nachgang sein ganzes Inneres genauso ausfüllen, wie das würzige Aroma des Teigs. „Kannst du dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich das Essen aus Asteria vermisst habe. In Lyn'A'Tischal ist alles so... widerlich deftig. Liegt wie Steine im Magen.“

„Und frittierter Taikan ist dann genau das richtige?“, fragte die Puppe zu Ezras Rechten und spielte darauf an, dass jener Hai, der im Ostmeer ein häufiger Fang war, zwar im allgemeinen recht mageres Fleisch besaß, die Flosse sich jedoch beim Frittieren mit ordentlich Fett vollsog, was zwar für ein tolles Geschmackserlebnis sorgte, aber dafür auch nicht gerade vorteilhaft für die Verdauung war.

„Manchmal muss man seine Prinzipien ein bisschen verraten“, antwortete Ezra altklug und wollte sich schon wieder Nachschlag greifen, da wurde ihm die Schüssel unter seinen Essstäbchen weggegriffen. Langsam folgte er dem Arm, der ihn von seinem Glück abhielt, erwartete schon fast, gleich in zwei mandelförmige Augen zu schauen, die ihn zurechtweisen würden. Stattdessen jedoch war es die Kitzune, die ihm die Schüssel geklaut hatte, was er ihr dezent übel nahm.

„Ezra... ich weiß, du sprichst nicht gern über schlechte Nachrichten... das tun wir alle nicht... und ich weiß auch, dass du so mit mir sprichst, weil es dir Spaß macht, anzuecken...“, murmelte der Elf erstaunlich ruhig und zeigte mit einer Handbewegung auf seine leere Pfeife.

Schnell griff der Angesprochene in seine Taschen und nahm die Pfeife an sich, stopfte etwas weißen Tabak hinein und entzündete sie an einer Kerze auf dem Tisch. Dankbar nahm der Elf sie entgegen und einen tiefen Zug, bließ den dünnen, hellen Dunst aus, bevor er fortfuhr:

„Aber du wirst die Verantwortung übernehmen, für den Überfall der Harpyien.“

„Nun sei nicht so hart zu ihm, mein lieber Goro. Immerhin war es Shiros Unvermögen, den Zug nicht zu beschützen“, wollte bereits die Menschenfrau sanft beschwichtigen, während sie sich eine purpurne Kirsche von der Dekoration eines gedünsteten Tintenfisches nahm, doch Ezra winkte ab:

„Lass gut sein, Kazumi, er hat schon recht. Auch wenn Shiro sich mir gegenüber erklären muss, werde ich für den Vorfall geradestehen.“

„Und das tust du, indem du zu spät zur Krisensitzung kommst?“, grummelte Gonovyn Rovari wieder etwas deutlicher verstimmt, denn er hasste es, wenn man seinen Elfennamen in diese aus seiner Sicht unsäglichen Shinjuer Abkürzungen zwängte. „Ich habe das Gefühl du verkennst den ernst der Lage. Vier unserer Leute sind tot, dem Fuchsbau droht mit der Explosion eine Energiekrise und Mirabelle kann jeden Tag hingerichtet werden!“

Beim letzten Punkt wurde die Kitzune hellhörig und sah in die Runde, versuchte verzweifelt, den Blick Ezras einzufangen, doch dieser ignorierte sie komplett während er wütend auf den Tisch schlug und rief:

„MEINE Leute! Diese Männer gehörten zu mir, sie sind nicht euer Inventar! Und falls es dich interessiert, Gonovyn, ich bin zu spät, weil ich den Nachmittag damit verbracht habe, ihnen anständig die letzte Ehre zu erweisen! Was ist denn aus dem schwarzen Tisch geworden, der höchsten Instanz des Shinjuer Südens, dass wir wegen ein paar Momenten Verspätung uns rechtfertigen müssen, wo wir doch ganz andere Probleme haben?! Hat die magische Strahlung um Asteria irgendwelche Zeitschleifen aufgebaut, dass ihr während meiner Abwesenheit zu kleinkarierten Tatagreisen geworden seid?!“

Schlagartig verstummten alle und sahen betroffen zu Boden. Ezra fuhr sich durchs Gesicht, bemerkte den dünnen Film von Schweiß auf seiner Hand.
 

War er doch so nervös gewesen? Er wusste, dass die Lage schlecht stand und seine Abwesenheit, ausgelöst durch seinen überstürzten und unangekündigten Aufbruch in die alte Heimat, hatten sicherlich nicht zu einer Besserung beigetragen. Es ging nun um Schadensbegrenzung.

„Wenn ich nun einen Tost aussprechen dürfte“, sagte er nach kurzer Überlegung und hob seine Keramikschale mit Reiswein an. Sie war noch warm und ebenso wohl die leicht trübe Flüssigkeit darin.

„Auf die Toten. Auf dass sie sicher auf Shika'Res' Rücken über die Grenze reiten.“

Kazumi tat es ihm gleich, erhob ihre Schale und fügte noch hinzu:

„Und auf unseren heimgekehrten Bruder. Es ist schön, dich in jener dunklen Stunde wieder bei uns zu wissen.“

Da erhoben auch die letzten beiden ihre Schalen, hielten sie einen Moment schweigend in die Luft, bevor alle gleichzeitig daran nippten. Der trocken-bittere Geschmack beim Ansetzen gemischt mit der brennenden Süße im Abgang brachte das Innere zum glühen und umgriff alle mit einer sanften Schläfrigkeit, die die Gemüter entspannte und das Gesicht rot färbte. Selbst Kazumis deckendes Weiß konnte die Auswirkungen der Hitze nicht komplett unterdrücken und ein rosa-roter Schimmer stahl sich um ihre Nase.
 

„Reden wir nicht mehr um den heißen Brei herum“, fing Gonovyn an, stellte die Schale auf den Tisch und nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife.

„Bei allen Verlusten, die uns der Überfall der Harpyien beschert hatte, wiegt der Verlust des Asterids am schwersten. Die Ladung war für das kommende Jahr gedacht. Unsere Ressourcen zur Energieversorgung reichen nur noch vielleicht einen Monat. Wenn wir bis dahin keinen Ersatz finden können – und sei es auch nur übergangsweise – dann werden wir uns beim Schwarzmarkt bedienen müssen...“

„Der wird uns nicht beliefern können und das weißt du auch“, grummelte Ezra. „Die Anlieferung von Asterid im großen Stil wird neben uns nur noch von der Diebesflotte in der Taikanbucht betrieben und denen ist unser Ausscheiden als Konkurrent doch ganz recht. Wir könnten zwar versuchen es ihnen abzukaufen, aber...“

„Keine Chance“, unterbrach Kazumi. „Auch die Diebesflotte hat bei einem Taifun vor drei Monaten schwere Verluste erlitten. Der Preis für ungeschliffenes Asterid auf dem Schwarzmarkt schießt immens in die Höhe. Energie ist ein richtiges Luxusgut geworden – sogar noch mehr als sonst.“
 

Entnervtes Ausatmen bei allen Anwesenden, gefolgt von einem langgezogenen Moment des Schweigens, indem jeder darauf hoffte, im Anstarren der Decke oder energischem Verschränken der Arme die Lösung aller Probleme zu finden.

„Warum tut Celica überhaupt so etwas?“, zerriss da die junge Kitzune die Stille und schaute erwartungsvoll zu Ezra, der sich gerade eine neue Zigarette zwischen die Lippen schieben wollte.

„Na warum wohl, Mirako? Sie hasst mich. Der Überfall ist ein toller Schlag ins Gesicht gewesen. Sie wird sich bestimmt nur ärgern, dass sie mich dabei nicht umbringen konnte“, antwortete der Schmuggler gleichgültig, denn er hatte schon lange aufgehört, in den Kopf der Harpyienmutter hineinzuschauen.

„Das meine ich aber gar nicht. So wie Shiro berichtet hatte, waren doch die Verluste auf ihrer Seite viel höher. Und das nur, um ein paar Tonnen Asterid in die Luft zu jagen?“

„Gutes Argument. Vor allem verwundert es mich, wie sie davon erfahren hatte“, gab Kazumi zu und starrte ebenso den Angesprochenen an. Auch der Elf zu seiner linken drehte wieder den Kopf zu Ezra und kaute unzufrieden auf seiner Pfeife. Ezra indes lehnte sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab.

„Ich weiß, worauf ihr hinaus wollt. Shiro hört sich bereits um, um den Verräter ausfindig zu machen. Aber das hilft uns erst einmal nicht weiter. In erster Linie müssen wir uns etwas einfallen lassen, unsere Ressourcen wiederzubekommen. Und aktuell fehlen mir die Leute und die Möglichkeiten für einen weiteren Raubzug in die gläserne Wüste. Niemand wird mir aktuell einen Zug samt Lokführer zur Verfügung stellen.“

Wieder schwiegen alle. Von den unteren Ebenen drang schwach der Klang des Treibens, jedoch kaum hör- geschweige denn definierbar. Ezra warf sich müde mit dem Rücken voran auf den Boden und starrte zur Decke. Die Asche der Zigarettenspitze rieselte sanft auf sein Gesicht hinab, doch die kurzen heißen Stiche ließen ihn gerade eiskalt.

So hatte er sich all das nicht vorgestellt. Eigentlich wollte der Schmuggler einen Teil der Beute für sein Geschäft verwenden und die Macht der tishalischen Kristalle für seine Energierevolution nutzen, aber das konnte er jetzt vergessen. Wenn er Cirdan nichts vorlegen konnte, dann würde der Elf wohl abspringen und seine Entschädigung würde Ezra mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an den Rand des Ruins bringen. Fest presste er seine Zähne zusammen und blies laut Luft aus der Nase. Er hatte sich verzockt. Er hatte auf eine Karte gesetzt und verloren. Verdammte Celica. Verdammter schwarzer Tisch. Sollten sie doch alle an der Grenze verenden. Er brauchte Ruhe, musste Nachdenken, zumindest für einen Moment. Langsam schloss er die Augen, ließ alles schwarz um ihn werden.
 

Im sanften Wind wehte ihr dunkles Haar, umspielte das spitze Gesicht, während sie sich lasziv an ihn räkelte, ihn durch ihre halbgeöffneten weißen Mandeln anschaute und auf den dünnen Lippen kaute. Seine freie Hand fuhr über ihren nackten Rücken bis sich die Finger in ihren straffen Hintern vergruben. Die andere Hand war in der ihren gefaltet, während sie sich mit allem Gewicht auf ihn legte und das Gefühl ihrer warmen Haut, so fest an die seine gepresst, ihn fast verrückt machte.

„Musst du denn wirklich schon gehen? Ich will nicht, dass du fort bist“, säuselte sie lieblich jedoch mit einem Unterton, der ihren Unmut nur allzu deutlich zeigte. Er lächelte mild, lehnte sich vor und gab ihr einen spitzen Kuss.

„Du bist manchmal wirklich wie ein Kind. Ich bleibe doch nicht lange fort. Nur eine einfache Lieferung.“

Dann drückte er sich hoch und sie rollte enttäuscht auf die Seite, verschränkte demonstrativ die Arme während er sich von der Bettkante hievte, um sich anzuziehen und dabei krampfhaft versuchte, ihren langgezogenen Schmollmund zu ignorieren.

„Nun sei doch bitte nicht so. Du weißt doch am besten, dass man Eryn nicht gern warten lässt“, bat er sie, doch zur Antwort zog sie die Mundwinkel noch tiefer und drehte sich auf die andere Seite. Ein unbeholfenes Aufseufzen, dann ging er zu ihr und küsste die Spitze ihres Ohrs, fing an, die Ecke sanft zwischen seinen Lippen zu massieren.

„Du Arsch“, fluchte sie kichernd und sich schüttelnd, wusste er doch ganz genau, dass sie dort besonders kitzlig war. Dann drehte sie sich auf den Rücken und fasste nach seiner Wange, bevor sie ihre Lippen auf die seine drückte und ihn wie so oft voll und ganz mit ihrem süßen Geschmack ausfüllte. Einen Moment nur schauten sie sich gedankenverloren mit seligem Blick an, dann legte sich ihre Stirn in Falten.

„Wirst du es ihm heute sagen?“

Er nickte stumm, doch bemerkte sofort den leichten Schimmer der Angst in ihren Augen.

„Mach dir bitte keine Sorgen“, fügte er hinzu. „Er wird es schon akzeptieren. Danach sind wir endlich eine richtige eine Familie.“

Sie strich noch einmal über seine von Bartstoppeln raue Wange und schlug die Augen nieder.

„Ja... Das wünsche ich mir so sehr...“
 

„Was ist mit Mutter?!“

Der Ausruf Mirakos riss Ezra aus seinen Tagträumen. Schon zum zweiten Mal an diesem Abend waren seine Gedanken in jene verhängnisvolle Richtung abgedriftet. Er hatte schon lange nicht mehr so intensiv an sie gedacht...

Hatte die Ankunft zuhause ihn mit wehleidiger Nostalgie erfüllt, oder waren es Celicas Taten, die seine begrabenen Gefühle wieder zu Tage förderten?

Vielleicht bekam ihm aber auch einfach die neue Tabakmischung nicht besonders.
 

Als er sich aufrichtete waren bereits alle Blicke auf die Kitzune gerichtet, die sich sichtlich unwohl fühlte und sich noch fester an ihrem Schweif festhielt.

„Ich meine ja nur...“, murmelte sie und zuckte kurz mit den Schultern. „Vielleicht sollten wir uns auch mal um sie kümmern.“

Richtig, das hatte er schon fast verdrängt:

Mirabelle Renarchasse, oder auch die schwarze Witwe genannt. Die wahrscheinlich schönste wie auch blutrünstigste Auftragsmörderin der Welt, Inhaberin von Fuchsbaus mehrstöckigem Badehaus, Mitglied am schwarzen Tisch und in diesem erlesenen Kreis auch Ezras engste Verbündete – auch wenn die Messlatte dafür zugegeben übersehbar niedrig lag.

Laut dem Schreiben, dass ihm Kazumis Sohn Touma vorhin übergeben hatte, war sie von der Schlosswache bei einem riskanten Auftrag festgenommen und in den Todestrakt des Hungerkäfigs, Shinjus Hochsicherheitsgefängnis gesteckt worden, wo sie nun auf ihre Hinrichtung wartete. Mehr Details waren ihm bisher jedoch nicht bekannt.

Und wie es am schwarzen Tisch üblich war, wurde für solche Fälle ein Stellvertreter ernannt. In Belles Fall war das ihre einzige Tochter Mirako, die aber außer der Namensähnlichkeit nichts mit ihrer Mutter gemein hatte. Soweit Ezra wusste, war das Verhältnis der beiden wahrlich nicht das beste, aber in Momenten wie diesen war Blut wohl dicker als Wasser...

Entweder das, oder Mirako wollte wirklich nicht die Verwaltung des Badehauses übernehmen.
 

Die Kitzune schaute erwartungsvoll, fast schon flehend in die Runde, zog die Augenbrauen fest zusammen. Alle wurden still, versuchten ihrem Blick auszuweichen, denn es wurde klar, dass jeder versucht hatte, das Thema zu ignorieren, denn wenn sie wirklich im Todestrakt saß, stand es außer Frage, dass Mirabelle gerettet werden konnte. Jeder Versuch eines Ausbruchs würde die Aufmerksamkeit unweigerlich auf den Fuchsbau lenken und das konnte man sich gerade jetzt nicht leisten.

„Nimm es uns nicht übel, Mira, aber deine Mutter hat sich das selbst eingebrockt. Jeder weiß, dass man keine hohen Offiziere als Ziele wählt und wir können nur froh sein, dass sie bis jetzt den Mund hält“, brach Gonovyn zuerst das Schweigen, blieb dabei jedoch erstaunlich ruhig, während er einen tiefen Zug seiner Pfeife nahm. Ungläubig schaute das Mädchen den Elfen an und schüttelte den Kopf.

„Aber wir müssen doch irgendwas tun können!“

„Wie ist es überhaupt so weit gekommen? Belle mag bisweilen etwas kurzsichtig sein, wenn das Gold im Kasten klingt, aber sie ist nun wahrlich nicht dumm“, wollte Ezra wissen, doch bekam dafür einen Schwall der Kälte ab.

„Das fragst du noch? Das ist deine Schuld!“, keifte der Elf zurück, wofür er von Kazumi mit einem langen Seufzer bedacht wurde:

„Also wirklich, Goro...“

„Was denn? Es stimmt doch! Wenn du es genau wissen möchtest, Sterlinson: Belle hatte nach dem Überfall versucht, den Stadtrat zu schmieren, um uns aus dem Hive kurzfristig mit Asterid zu versorgen. Als Preis dafür sollte sie den neuen Oberst der Schlosswache, diesen Cher Enfanter ermorden. Das ist dann jedoch schiefgegangen! Und wir halten wieder einmal fest: Wenn du nicht Hals über Kopf das Land verlassen hättest, wegen irgendeiner halbgaren Idee, dann...“

„Sekunde! Halte doch mal... die Luft an...“, unterbrach Ezra die Tirade seines Kollegen und lehnte sich wieder vor, was alle Anwesenden aufhorchen ließ, doch der Schmuggler ließ sie noch am Haken zappeln, zog einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und drückte den Stummel fest in seiner Sake-Schale aus.

„Also... Belle hat mit einem Stadtratsmitglied einen Tötungsauftrag ausgemacht, um unser Asteridkonto aufzustocken, sehe ich das so richtig?“

Alle nickten vorsichtig.

„Das bringt mich doch zu zwei Fragen. Erstens: Wer ist gefragtes Ratsmitglied und was ist seine Verbindung zum Oberst der Schlosswache? Und zweitens: Woher wusste er von unserem Energieproblem?“

Alle schauten sich fragend an.

„Ich... ich denke wohl, Belle hat es ihm gesagt, den Kontakt in erster Instanz aufgebaut“. meinte Kazumi, doch Ezra schüttelte den Kopf.

„Glaubst du wirklich, sie würde so etwas Unprofessionelles tun, ganz gleich wie aussichtslos die Situation war? Angenommen, sie wäre es gewesen, die den Kontakt aufgebaut hatte – was ich, um ehrlich zu sein, für sehr unwahrscheinlich halte – dann hätte sie ihm doch niemals von ihren Gründen berichtet. Das macht sie verletzlich...“

„Mirabelle, die schwarze Witwe und verletzlich? Wusste gar nicht, dass unsere Meisterschlächterin so ein zartes Pflänzchen ist“, gab Goro amüsiert zurück, was Ezra jedoch missfiel und er dem Elfen mit einem Funkeln bedeute, dass er bei der nächsten Bemerkung seine Zähne von der Straße aufsammeln könnte, denn auch wenn der Schmuggler gerne Leute für die ein oder andere Bemerkung unterbrach, sollte man es besser nicht wagen, ebendies bei ihm zu tun. Der Elf räusperte sich und fuhr fort, mit dem, was er eigentlich sagen wollte:

„Ich verstehe, was du meinst: Du willst sagen, dass der Gouverneur vom Überfall Wind bekommen hatte und nun unsere Situation zu unserer Zerschlagung nutzen möchte. Wenn das stimmt, dann zeugt das von einem fast schon unheimlichen Scharfsinn für sein hohes Alter. Oder meinst du vielleicht...“

„Nein, ich glaube nicht, dass der alte Sack sich mit Celica zusammengetan hat, dafür hätte er nicht den Mumm in den Knochen. Aber wenn uns das jemand sagen kann, dann nur die Person, die aktuell auf ihren Tod wartet.“
 

Bei diesen Worten zuckten Mirakos spitze Fuchsohren auf dem Kopf und sie schaute hoffnungsvoll zum Mann ihr gegenüber.

„Meister Hunter... Wollt ihr etwa sagen...“

„Ich kann nichts versprechen, Mirako, aber ich werde mich in jedem Fall mit ihr unterhalten“, sprach er und machte die ersten Anstalten aufzustehen. Gonovyn unterdessen blies den Rauch missmutig durch seine Zähne aus und grummelte:

„Und wie willst du das anstellen, mein lieber Ezra? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie jemanden wie dich reinlassen, immerhin herrscht im Todestrakt generelles Besuchsverbot.“

„Ganz einfach: Du bringst mich rein.“

„W-wie bitte?!“

„Du bist der Casinoleiter, Goro. Ich weiß, dass mehr als genug Wachmänner Haus und Hof bei dir verzocken, da wird sich bestimmt der ein oder andere über einen kleinen Schuldenerlass für einen Gefallen freuen, oder nicht?“

„Also jetzt hör mal“, zischte der Elf, sprang vom Tisch auf und stellte sich dem Menschen, der ihn um fast zwei Köpfe überragte, in den Weg, legte seinen Finger auf dessen Brust und schnauzte:

„Zunächst einmal redest du mit mir in einem vernünftigen Ton! Wenn du etwas von mir möchtest – insbesondere einen solch... abstrusen Gefallen – erwarte ich, dass du mich anständig darum bittest! Und dann...“

„Und dann kommst du mal wieder runter, bevor gleich deine Ohren von Hitzewallungen zu flattern beginnen!“, brüllte der Mann zurück, so laut, dass der Elf seine Ohren anlegen musste und noch ein wenig weiter schrumpfte. Darauf lehnte sich Ezra weiter zu ihm hinüber und raunte ihm zu:

„Damit wir uns ein für allemal verstehen: Ich werde dich nicht um irgendetwas bitten oder anflehen. Ich denke über Lösungen nach und werde diese vorstellen. Und solange du mir nichts besseres vorlegen kannst... dann bitte, bitte mit Kirsche oben drauf, tu was ich sage! Ich weiß sowieso, dass du das kannst.“

Gonovyn lehnte sich ebenso zu ihm:

„Ich kann das tun, ja... und ich werde es tun, weil ich zugeben muss, dass mir aktuell auch nichts besseres einfällt. Aber damit wir uns wirklich ein für allemal verstehen: Du bist hier geduldet, aber das macht dich noch lange nicht zu einem festen Bestandteil unseres Kreises. Und ich bedauere es mittlerweile sehr, dass der alte Hunter tot ist. Gegenüber dir hatte der wenigstens Format. Dass jemand wie du nun an seiner Stelle stehst, ist eine Beleidigung.“

„Ach, wirklich?“ Ezra lachte kurz auf. „Amüsant, immerhin hast du ihn doch damals zusammen mit allen anderen Kitzune aus der Stadt gejagt. Wenn er dein Gesicht wiedergesehen hätte bei seiner Rückkehr, dann hätte er wahrscheinlich die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt und dich in der gläsernen Wüste begraben.“

„Tja...“, antwortete Goro und griff grob den Kragen seines Gegenübers, zerrte ihn so nah an sich, dass die funkelnde Glut des Hasses tief verborgen in seinen sonst so kühlen Augen klar zu erkennen war.

„Dann kann ich ja beruhigt sein, dass der alte Hunter schon vor seiner Rückkehr aus dem Leben geschieden ist... mit deiner Klinge in seinem Rücken!“

Von Ezra wieder ablassend entfernte sich der Elf zurück zum Tisch und sagte nur mit einem hämischen Grinsen:

„Ihr habt Glück, Meister Hunter. Wir haben regelmäßig einen Gefängniswärter bei uns, der seinen ganzen Soll verpulvert. Setzt bestimmt auch heute wieder auf die falschen Würfel und wird dankbar sein, wenn wir ihn ausnahmsweise mal nicht bis auf die Unterhose ausziehen. Wenn er heute Abend da ist, kann ich Euch eventuell noch diese Nacht Bescheid geben.“

Ezra indes verzog keine Miene, sondern lächelte nur sanft, war bereit das Spiel mitzuspielen. Eine tiefe Verbeugung machend sprach er mit der größtmöglichen Untergebenheit die er aufbringen konnte:

„Das ist zu freundlich, Meister Rovari. Ich werde mich derweil vorbereiten. Ihr trefft mich auf der elften Ebene, wenn Ihr ein Ergebnis habt. Meine Damen, es war ein aufschlussreicher Abend. Wenn mein Treffen mit Meisterin Renarchasse erfolgreich war, werde ich Euch über alles weitere informieren. Ich wünsche Euch noch eine ruhige Nacht.“

Dann drehte er sich um und verließ das Zimmer. Die Tür war kaum verschlossen, da vergrub er seine Finger im Holz und schnaubte Luft aus, atmete tief ein und aus, um seinem Ärger Luft zu machen. Dieser Mistkerl...er untergrub seine Autorität und machte ihn vor allen Leuten lächerlich, wissend, dass Ezra ihm kein Haar krümmen konnte. Die ganze Situation entwickelte sich mit jedem Moment mehr und mehr in eine Richtung, die ihm absolut missfiel.

Aber gut, man konnte es nicht ändern. Es kam darauf an, nun eine Lösung zu finden. Hoffentlich würde Mirabelle eine Idee haben – und nicht zu sehr um ihre Befreiung bitten.
 

Cirdan sah nicht wirklich abgeneigt von dem Gästezimmer aus, das Mikki ihm zeigte, soviel konnte die Elfin mit ihrer langjährigen Erfahrung mittlerweile sehr gut sagen. Genaustens überprüfte der seltsam kleine Elf den gesamten Raum, kühl, jedoch nicht abweisend; selbst die Tatsache, dass er auf dem Boden schlafen sollte, da dies in Shinju so üblich war, nahm er kommentarlos hin und erfreute sich stattdessen über die Bequemlichkeit der zur Verfügung gestellten Laken.

Im Allgemeinen hatte sich Ezras Geschäftspartner äußerst genügsam und über alle Maße höflich gegenüber Mikkalia gezeigt, während sie ihn durch die Hallen des Fuchsbaus geführt hatte. Und auch wenn ihn das teiloffene Badehaus und das explizit beworbene Glücksspiel, zwecks mangelnder Diskretion, offensichtlich befremdeten, so gab er sich den Sitten und Bräuchen interessiert hin und man erwischte ihn dabei, dass ihm der Fisch in Hunters Bar äußerst mundete.

„Eigenlob stinkt“ hieß es grundsätzlich, aber Mikkalia wollte sich gerade durchaus selbstzufrieden auf die Schulter klopfen, denn als sie am Vormittag den Elfen in das Haus begleitet hatte, hatte sie nicht erwartet, den Schaden, den ihr Meister angerichtet hatte tatsächlich weitestgehend bis zum Abend repariert zu bekommen. Sie sollte bei Gelegenheit eine Gehaltserhöhung fordern.
 

Zumindest dachte sie das, doch im Moment, als dass sie auf der Türschwelle stand und ihr dickstes Lächeln aufsetzte, da bemerkte sie die Kälte im Blick des Elfen, der so viel kleiner war als sie, aber dennoch die Welt zum gefrieren bringen konnte.

„Nun, ich danke Euch für Eure Gastfreundlichkeit, Fräulein Mikki“, sagte er kühl und griff an die Tür. Nein, er war in keiner Weise zufrieden! Er wollte sie abwimmeln! Das sollte er nicht wagen! Fest krallte sie sich in den Türrahmen und lächelte ihn noch lieber an, als sie jemals zuvor einen Gast ansah.

„Gibt es denn noch etwas, was ich für Euch tun kann?“, säuselte sie zuckersüß, doch spürte zugleich, dass der Druck gegen ihren Arm stärker wurde, wobei zugleich die Maske der Höflichkeit wie angeschweißt auf dem Gesicht dieses alten Mannes saß, der nur noch energischer wurde.

„Ich denke, Ihr habt Euch eine Pause verdient. Sagt nur noch bitte Mister Sterlinson Bescheid, dass ich morgen früh von ihm erfahren möchte, wie es weitergeht. Gute Nacht!“

Mit diesen Worten riss er mit aller Kraft an der Tür, sodass die Elfin aus dem Rahmen sprang und das Holz mit einem lauten Klatschen aufeinanderschlug.

Unbeholfen stand die fleißige Hausdame vor der verschlossenen Tür und wusste nicht so recht, was sie nun tun sollte.

„Also... wenn ihr noch etwas braucht, dann... dann zögert nicht, nach mir zu rufen, mein Lord... in Ordnung?“

Keine Antwort.

„L-Lord vei Brith?“, fragte sie zaghaft. Noch immer blieb das Holz still. Ob er sich beim Türschließen verletzt hatte? Vielleicht sollte sie ja mal nachsehen...

Vorsichtig griff sie an der Klinke und schob die Tür ein kleines Stück zur Seite, gerade genug um hindurchzulinsen.

„Ich sagte: Gute Nacht!“, hallte es von drinnen und die Tür schlug vor ihren Augen wieder zu. Vor Schreck fiel sie nach hinten und stieß sich den Hintern. Ein langgezogener Schmerz lief ihren Rücken hinauf und schnürte ihr die Luft ab.
 

„Ärgerst du wieder unsere Gäste?“, fragte da eine bekannte Stimme von der Seite mit einem leichten Schwung von Amüsement.

„Wie viel... habt Ihr mitbekommen, Meister Hunter?“

„Definitiv mehr als genug. Ich sage dir ja, du sollst nicht immer so zwanghaft sein“, bemerkte Ezra entspannt, aber auch mit seinem großen Grinsen konnte er vor seiner Vertrauten nicht verbergen, dass ihn eine innere Unruhe plagte.

„Na komm, steh erst einmal auf.“

Müde ergriff Mikki die raue Hand ihres Meisters und ließ sich hochziehen. Dann legte der Schmuggler seinen Arm um ihre Taille und führte sie zu den nächstgelegen Treppen.

„Verzeih mir bitte... ich dachte, ich könnte ihn um den Finger wickeln...“

„Keine Chance, Süße. Der hat schon jemanden, die ihn viel fester um den Finger gewickelt hat. Lass den beiden ein paar Stunden... ich glaube Miss Severa kann ihn viel besser beruhigen als wir beide zusammen.“

„Beruhigen? Aber wie denn? Ist sie nicht nur seine... Zofe?“

„Komm schon Mikki, sei doch nicht so verklemmt.“

„W-Was meinst du denn damit?“

Ezra schob die Tür zum Außengelände der elften Ebene auf und schaute die Elfin fast schon mitleidig an während er ein sehr dünnes, sehr stark mit Spitze verziertes... sehr, sehr aufreizendes Stück schneeweißen Stoff auf seinem Zeigefinger hochhob, das Mikkalia beim Anblick die Wangen rot färbte. Schnell griff sie danach, doch ihr Meister steckte es weg, bevor sie es auch nur berühren konnte.

„Meister Hunter!“ , rief sie mahnend: „Ihr könnt nicht einfach die Wäsche von Damen entwenden. Was seid Ihr, ein Lustmolch?!“

„Jetzt beruhige dich doch, sonst platzt du noch vor Scham“, meinte er lachend und betrat das Außengelände.
 

Die Elfte der insgesamt dreizehn Ebenen zeichnete sich durch seine große Aussichtsplattform aus, dessen Boden aus grauen Steinplatten gefertigt war und in den mehrere kleine, heiß dampfende Bäder eingelassen waren, an deren Rändern kleine Beete mit wildem Bambus, blauen Orchideen und Nachtschattenminze angebracht waren, wodurch der Wasserdampf einen stetig erfrischenden Minzduft in sich trug. Als Schattenspender in der Mittagssonne war in der Mitte ein Kirschblütenbaum gepflanzt, dessen Äste noch den letzten Fleck des wohl höchsten Gartens von Shinju abdeckten und dem Wasser mit seinen Blüten einen blassrosanen Schimmer verliehen.

Die elfte Ebene war ausschließlich den besser Betuchten vorbehalten und unter den Gästen, die sich so entspannt im Wasser räkelten und dabei genüsslich ein Glas Cher Enfanter Rotwein schlürften, tummelten sich Großhändler, Meisterköche und Hauptmänner der Wache, aber auch Edelprostituierte und Tänzerinnen, die sich mit dem Vergnügungen an ihrem Körper eine goldene Nase verdient hatten. Für alle war dieser Ort ein kleines Stück vom Paradies in einer sonst so grauen Welt.

Ezra trat an das lange Geländer und lehnte sich vor, starrte auf die flackernden Lichter der Stadt, die er eigentlich liebte, aber an diesem Tag konnte ihn der Schein nicht wirklich aufheitern.

„Du warst früh fertig“, bemerkte Mikki.

„Ja, es war ein schnelles, aber erquickendes Gespräch. Goro wird mir gleich Bescheid geben, ob wir unseren... Plan weiter verfolgen können.“

„Dann hätte ich ja gar nicht so viel zu essen machen brauchen...“

„Die Flossen waren dafür aber umso besser. Wenn auch etwas schwer im Abgang.“

Mikki kicherte kurz und wartete zögerlich mit ihrem Anliegen, während sie in die Ferne starrte, unwissend daran, wie sie fortfahren sollte. Sanft fuhr sie sich über die dünne Gänsehaut auf ihrer Hand, ausgelöst durch die erfrischende Windböe, die in diesen Höhen herrschte.
 

„Nun sag schon, was du auf dem Herzen hast. Immerhin wolltest du mich ausgerechnet hier treffen.“

Ezras Worte holten sie wieder zurück aus der Ferne, in der sie sich verloren hatte und sie schaute den blonden Mann mit einer gewissen nostalgischen Sehnsucht in ihrem Blick an. Langsam griff sie in ihre umgebundene Dienstschürze und holte eine lange Stange hervor, um die ein Stück Stoff gewickelt wurde. Die Augen beschämt zu Boden gerichtet hielt die Elfin es ihm hin.

„Eine...Zeichnung?“

„Eine Malerei! Ich habe sie von einem Künstler aus dem Drachenbezirk anfertigen lassen. Nun komm schon, sieh es dir bitte an.“

Ezra seufzte laut auf und öffnete die kunstvoll verschnürte Kordel. Eine Malerei, wie kitschig... Er hatte Mikki ja gern, aber manchmal war sie wirklich etwas zwanghaft. Und wahrscheinlich hatte sie einen großen Teil ihres Lohns dafür rausgeworfen.
 

Langsam rollte er die Malerei auseinander, erwartete das Abbild einer leicht bekleideten Dame oder ein Stillleben, oder sonst etwas, was er als Dekoration in der Bar aufhängen konnte.

Doch während sich vor ihm die fein geschwungenen Linien getrockneter Tinte in verschiedenen blassen Farben erschlossen, putzte sich allmählich der resignierte Ausdruck von seinem Gesicht und seine Brauen zogen sich zusammen.

Auf dem Bild waren vier Personen abgebildet, zwei Männer und zwei Frauen, jeweils zwei zu einem Pärchen zusammengestellt. Die Frau beim ersten Pärchen war Mikki, die sich verliebt an einen jungen Elfen mit verschmitztem Gewinnerlächeln ankuschelte.

Ezra war ebenfalls im Bild, starrte den Betrachter stumm und ernst an. Neben ihr, fast auf gleicher Höhe lehnte sich eine ebenso junge Elfin an ihn. Ihr langes schwarzes Haar, das nie zu enden scheinen wollte, schwang sich locker um ihren Körper, wie der Kimono den sie trug. Entgegen des festen Stands ihres Partners war ihre Haltung grazil geschwungen, ihre Konturen waren fein und aus einem Zug gezeichnet. Doch am meisten hing er an ihren Augen, dem milchigen Weiß, das selbst auf diesem flachen Bild ihn in eine unergründliche Tiefe zog.
 

„Und? Gefällt es dir?“, fragte Mikki in sanftem Ton und legte den Kopf schief, doch ihr Meister schwieg.

„Weißt du, ich hatte darauf gehofft, dass du es in dein Zimmer hängen würdest. Ich finde, es ist sehr gut geworden...“

„Süße, du weißt, dass nichts auf der Welt die beiden wieder zurückholen wird, oder?“, unterbrach Ezra die Elfin und schaute auf. Diese legte traurig die Ohren an und senkte den Blick wieder.

„Entschuldige, Ez'... ich wollte keine Wunden aufreißen...“

„Nein, so meine ich das nicht. Es ist schön, wirklich. Ich habe nur Angst, dass du an meinen Plan die falschen Erwartungen knüpfst.“

„Ach, so sieht das also aus! Hälst du mich etwa für dumm?!“

Mikkalia riss den Kopf hoch und funkelte den Mann vor ihr beleidigt an. Die wenigen verbliebenen Gäste schauten teils sich gestört fühlend, teils interessiert in die Richtung der beiden und die stechenden Blicke blieben bei Ezra nicht eine Sekunde unbemerkt.

„Beruhige dich doch... Die Leute gucken schon.“

Der Kommentar half, dass auch die Elfin der plötzlichen Aufmerksamkeit gewahr wurde und sich mit einer schnellen Verbeugung bei den Gästen für ihre Lautstärke entschuldigte.

„Ich glaube, bei dir reißt dieses Bild doch viel eher Wunden auf, als bei mir, nicht wahr?“

Sie nickte kurz.

„Vermisst du Eryn?“, fragte er und legte eine Hand auf ihre Schulter.

„Beinahe jeden Tag. Aber ich vermisse nicht nur ihn... Ich vermisse uns... Uns alle gemeinsam, verstehst du? Nur... wenn ich die guten Zeiten nicht festhalte, habe ich Angst, diese irgendwann zu vergessen.“

„Aber du kannst das Bild nicht behalten, weil es dir wehtut, nicht wahr?“

Mikki lachte kurz auf. Ihre Stimme war von der liebenswerten halbhohen Tonlage auf eine tiefere, ernste geschwungen, die Ezra manchmal etwas zu sehr an die Frau auf diesem Bild erinnerte.

„Ist das selbstsüchtig von mir? Ein Bild malen zu lassen nur um es dann dir zu geben, weil ich es nicht ansehen kann?“

„Ein bisschen. Aber ich gebe zu, es ist gut. Nur du weißt, ich habe es nicht so mit Bildern an der Wand.“

„Wenn du es nicht magst, schmeiß es bitte nicht weg. Verwahr es einfach irgendwo, damit ich es mir wieder ansehen kann, in Ordnung?“

Ezra konnte sich in ihren Mandelaugen fast schon spiegeln, so dick saß der Wasserschimmer auf ihrer Iris, obwohl sie dennoch keinen einzigen Tropfen vergoss. Tief sog er die vom Dampf feuchte Luft ein und hielt das Minzaroma in seinem Kopf für einige Momente fest, bevor er es wieder den gleichen Weg nach draußen presste. Normalerweise konnte er gut mit Frauen, aber seit seiner Ankunft schien der Wurm drin zu sein und das wurmte ihn. Insbesondere bei seiner ältesten Freundin.

„Versprochen. Ich verwahre es sicher.“

Dankbar stellte sich die Hausdame auf die Zehenspitzen und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange, doch erschrak kurz, als sie sich wieder löste, griff nach ihrer Schürze mit beiden Fingern und setzte eine kurze Verbeugung in Richtung Tür an.

Ezra schaute ebenfalls in die Richtung und bemerkte den alten Elfen sofort. Stumm verabschiedete er sich von Mikki und begab sich zu Gonovyn.
 

„Nun machst du dich auch schon an deine Haushälterin ran?“, grummelte der alte Elf abwertend. Seine Pfeife versteckte er hinter dem Rücken, denn auf der elften Ebene war – anders als im Rest des Hauses – das Rauchen untersagt.

„Was ich mit wem in meiner Freizeit tue geht dich einen feuchten Dreck an, Goro. Außerdem wäre es mir neu, dass dich meine Liebschaften interessieren. Sag mir lieber, ob du etwas für mich hast.“

Der Elf machte sich schon wieder bereit zum Gehen, sagte jedoch über seine Schulter.

„Dein Mann heißt Saito Moji. Er hat heute Nachtwache und anscheinend darauf gehofft, vorher noch das große Geld zu machen, um sich vor dem Dienst zu drücken. Tja... ist dann wohl schief gelaufen. Des einen Freud des anderen Leid, nicht wahr?“

„Ist doch deine Lebenseinstellung, wenn ich mich nicht irre.“

„Moji wird am Eingang des Hungerkäfigs auf dich warten, wenn der Mond am höchsten steht“, erklärte der Elf weiter, ohne auf Ezras Bemerkung überhaupt einzugehen. Er wollte bereits die Ebene verlassen, doch dann drehte Gonovyn sich nochmal um und legte das gehässigste Grinsen an den Tag, das er aufbringen konnte.

„Dann wünsche ich gutes Gelingen, Meister Hunter. Begeht besser keine Dummheiten, während Ihr dort seid. Aber wenn doch... keine Sorge, bis zum Todestrakt habt Ihr es dann ja nicht mehr weit.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Phinxie
2019-01-05T19:35:58+00:00 05.01.2019 20:35
Auch dieses Kapitel ist geschafft :)

Also, das typische Gelaber von wegen Schriftbild gut, blabla, Wortwahl gelungen, blabla, kennt du ja bereits - ich springe einfach mal zu dem Teil über, der dich am meisten interessiert ;)

Deine Beschreibungen sind mal wieder erste Sahne! Ich habe das Gefühl, du steigerst dich in jedem Kapitel mehr rein, so viel wie möglich von deiner Welt zu beschreiben, was bei einer so großen High Fantasy Welt wie deiner jedoch nur angemessen ist! Dadurch bekommt sie Leben eingehaucht und der Leser hat nicht nur das Gefühl, sich zwischen einem Raum und einem Wald zu bewegen, sondern ein komplettes, detailliertes und gut ausgearbeitetes Bild deiner Welt vor sich liegen zu haben. Es sind vor allem die Kleinigkeiten, die du teilweise geflissentlich erwähnst, die deine Welt so lebendig wirken lassen, z.B das mit dem Haifischfleich.

Des weiteren fand ich deine Ratssitzung ebenso schön :)
Am Anfang hatte ich ein wenig Sorge, dass es sich ziehen würde, dass es einen starken, politischen Klang annehmen würde, von dem ich dann sowieso nur die Hälfte verstehen würde und dass es halt einfach... langweilig wird.
Aber das war nicht der Fall. Ich fand, du hast deine Charaktere sehr gut eingebaut, sie wunderbar beschrieben und auch ihre Charakterzüge fein herausgearbeitet. Ich kann zwar noch nicht wirklich gut einordnen, wieso sie als die 'Herrscher' des Fuchsbaus bezeichnet werden, bzw, welche Tätigkeiten sie zum Herrschen gemacht haben, aber das mag vielleicht noch kommen ;)

Ich finde es auch interessant, wie du einem scheinbaren Nebencharakter doch mehr zusprichst, als ich anfangs geglaubt habe. Beispiel Mikki. Ich habe sie anfangs echt nur als einfaches Hausmädchen gehalten, dass vielleicht Gefühle für Ezra hegt.
Du hingegen machst aus ihr eine mysteriöse Person, die im persönlichen Bezug zu Sterlinson steht und dazu eine Vergangenheit hegt, die anscheinend wichtig ist. Mikki wird wohl kein Hauptcharakter werden, doch sie wird wichtig sein - zumindest habe ich es ein wenig im Gefühl. Du lässt sie aber nicht als unbedeutenden Nebencharakter, der halt da ist, erscheinen, sondern als eine Person mit tragender Rolle im Geschehen und mag sie noch so klein sein. Übrigens hatte ich bei bisher keinem deiner Charakteren das Gefühl, hier einem Nebencharakter zu begegnen, der halt 'da' war.
Ist das gut?
Ist das schlecht?
Ich kann es selbst schwer sagen.

Überhaupt bin ich interessiert, was da bei Ezra passiert ist und warum seine Geliebte/Freundin/Verlobte/Baldige Ehefrau/...mir fällt kein weiteres Nomen, sie zu beschreiben, ein xD Auf jeden Fall, was mit passiert ist, ob sie tatsächlich tot ist, oder eventuell nur verschwunden... Ich glaube aber auch, dass sich das Geheimnis noch lösen wird ^^

Ich kann momentan nur schwer sagen, worauf du bei der Geschichte hinaus willst.
Momentan werden Charaktere vorgestellt, die in ihrem Umfeld agieren und einige Probleme lösen, Überfälle planen oder sonstiges. Aber für mich hat sich noch nicht so wirklich der rote Faden herauskristallisiert, verstehst du?
Das mag bei einem Epos wie deinem zu dem Zeitpunkt wohl noch vollkommen normal sein und von daher bin ich gespannt, wie deine Geschichte weiter gehen wird :)

Dein treuester Fan <3
Antwort von:  Lazoo
06.01.2019 07:56
Wie immer erfreut es mein Herz, einen so ausführlichen Kommentar zu lesen. :) ich denke ich muss nicht mehr erwähnen wie sehr mich das jedes Mal aufs neue freut und ich ungeduldig auf deine Antwort warten, mich zugleich aber dauernd davor fürchte es könnte dir nicht gefallen. Von daher sehr schön, dass die letzten Kapitel alle den Phinxie-TÜV überstanden haben xD

Um ehrlich zu sein, habe ich nicht gedacht, dass dieses Ding tatsächlich zu einem Epos mutieren würde, aber scheinbar hast du Recht ^^"
Aber dementsprechend wird es natürlich noch etwas dauern, bis sich alles aufgebaut hat und die Handlung Fahrt aufnimmt. Das wollte ich aber auch so explizit haben, nicht mehr so fix vorgehen wie bei Alice, sondern Zeit lassen mit dem Aufbau der Welt. Also bitte ich dich noch um ein wenig Geduld, bevor die richtige Action losgeht :)

Was deine Frage angeht: Fuchsbaus Herrscher heißen so, weil sie alle legalen wie auch illegalen Geschäfte leiten. Ihnen gehört das Gebäude. Wie sie an diese Ehre gekommen sind, steht dabei auf einem anderen Blatt, aber um das einmal festzuhalten: die aktuelle Besetzung des schwarzen Tisches ist (selbstverständlich) nicht die Gründerbesetzung, zumindest nicht ausschließlich.

Da auch viele Charaktere in späteren Geschichten eine wichtige*re Rolle spielen werden, haben viele Charaktere weit mehr als nur zwei Zeilen und sind zudem auch stark ausgearbeitet. Ein großer Charakter-Cast ist auch für mich etwas ganz neues und daher kann das manchmal vielleicht etwas unbeholfen wirken.

So oder so erfreut es mich sehr, wenn dir nach wie vor gefällt, was du ließt und verbessert meine Laune jedes Mal aufs neue signifikant.

Dein ebenso treuster Leser <3


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