Red Silver von minowari (Vampire AU) ================================================================================ Kapitel 7: Lost Balance ----------------------- „Sehen Sie genau zu, Heiwajima-san. Saigo-kun wird Ihnen die Grundregeln erklären. Wenn Fragen sind, fragen Sie. Erinnern Sie sich an das, was Sie über Vampire gelernt haben. Und halten Sie sich bereit zu kämpfen. Lernen Sie was.“ Murokos Stimme war eindringlich und er starrte seinen neuen Lieblingsrekruten ernst an. Shizuo verzog das Gesicht. Die neusten Rekruten – darunter auch einige Veteranen – hatten sich in der großen Halle versammelt und sich aufgestellt wie bei der Armee. Shizuo stand ganz vorne und wurde vor allen anderen belehrt, was Shizuo deutlich gegen den Strich ging. Doch er wusste, sobald er was sagte, würde man ihm das Wort im Munde umdrehen und es gegen ihn verwenden. Also blieb er still. Sie alle trugen dunkle Kleidung, was von ihrer sonstigen Aufmachung her, das komplette Gegenteil war. „Wir müssen uns tarnen und in der Nacht verschwinden“, hatte Muroko dazu gesagt und ehrlich gesagt, gab Shizuo einen Deut darauf, wie er aussah. Hauptsache er kam hier raus. Er blinzelte zu Saigo herüber, der ihm zunickte. Shizuo hatte mit ihm heimlich einen Pakt geschlossen. Sie würden sich beide abkapseln, der sogenannten Bruderschaft entkommen, sobald sie die perfekte Gelegenheit sahen. Doch dazu mussten sie mehr Informationen sammeln. Und Saigo war der festen Meinung, dass Shizuo sich erst einen Platz erkämpft haben müsste, um das Vertrauen der anderen zu gewinnen, bevor sie irgendetwas versuchen konnten. Und heute war Shizuos erste…Jagd. Allein beim Namen, musste Shizuo die Fäuste ballen. Er konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass es Vampire gab, bis er einen direkt vor seiner Nase sehen würde. „Viel Glück.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Muroko und neigte seine Fedora nach unten. „Bist du aufgeregt?“, ärgerte ihn Saigo grinsend von der Seite und Shizuo schnaubte. „Bestimmt nicht.“ „Wir werden konstant beobachtet. Heißt also, dass es nicht einfach wird, abzuhauen. Wir sollten uns einen guten Plan überlegen.“ „Ruhe!“, ertönte es und die beiden Männer verstummten, als vor ihnen ein kräftig gebauter Mann trat. Er trug einen dunklen Sweater mit einer Sturmweste und sah im Gegensatz zu den anderen, wirklich so aus, als käme er frisch von einem Einsatz. „Für alle die mich noch nicht kennen: Ich bin Hasaki Daichi. Ich leite die meisten Außeneinsätze und unterstützte Muroko Akaguchi bei seinen Aufgaben.“ Shizuo runzelte die Stirn. „Wir werden zügig voran schreiten. Unser heutiges Ziel ist ein Vampir in der Mittelklasse. Um Schwierigkeiten zu vermeiden nennen wir ihn M32. Hier ist ein Foto von ihm.“ Der Mann namens Hasaki reichte einen Umschlag an den erstbesten Mann, woraus sich jeder ein Foto pickte und den Umschlag stumm weiter reichte. Als Shizuo das Foto schließlich in seiner Hand hielt stockte ihm der Atem. Ihm entgegen blickte ein braun gebräunter Mann mit Rasterlocken. Tom-san?! Das Papier des Fotos zerknickte in seiner Hand, als er die Wut bereits in seinen Adern spüren konnte. Nein. Zum Teufel nochmal-! Hatte Muroko absichtlich jemanden aus der Lostrommel gezogen, der eine Verbindung zu ihm hatte? Was zum Teufel sollte das? Es konnte doch nicht sein, dass der erste Vampir den er erledigen sollte, sein bester Freund war! „M32 ist ein Schuldeneintreiber aus Ikebukuro. Er hat eine gewisse Routine entwickelt, was seine Opfer angeht. Heute ist Dienstag. Und dienstags geht er zur späten Stunde in die Bar Lost Balance.“, begann Hasaki die Mission weiter zu erklären, als hätte er Shizuos Gesichtsausdruck gar nicht bemerkt. „Sein letzter Angriff war schon einige Zeit her, deswegen vermuten wir, dass er heute zu schlägt. Denkt daran, Vampire sind am einfachsten zu töten, wenn sie selbst speisen.“ Äußerlich musste Shizuo sich zusammenreißen nicht diesen bulligen Mann am Kragen zu packen und in die nächstbeste Wand zu rammen. Was fiel ihm eigentlich ein so über Tom zu sprechen? Als wäre er nichts weiter als ein Objekt! Aber wenn er wirklich ein Vampir war wie dieser Mann sagte, konnte Shizuo nicht verstehen, warum ihm nie etwas aufgefallen war. Er war immerhin sein bester Freund, verdammt! Saigo neben ihm blinzelte ihn fragend an und stieß ihm anschließend mit dem Ellenbogen zwischen die Rippen, als der bullige Mann vor Shizuo zum Stehen kam. „Heiwajima, Sie bleiben in Saigos Nähe. Wir werden uns in kleine Gruppen aufteilen, um so unsere Siegchance zu erhöhen.“, sprach er laut und bemühte sich dabei nicht einmal um die Höflichkeitsfloskeln. Alle anderen schienen kerzengerade zu stehen, einige blickten ernst, andere aufgeregt und wieder andere schienen sich sogar zu langweilen. Das schienen wohl die Veteranen zu sein. Shizuo konnte die Truppe an ihrem Vorhaben heute Nacht nicht hindern, aber er konnte seinen Freund vor ihnen beschützen! Er würde ihm zur Flucht verhelfen! Als Shizuo seinen Entschluss gefasst hatte, blickte er auf in das kantige Gesicht seines Anführers. Dessen braune Augen schienen ihn ausgiebig zu studieren, so als ob er wusste, was Shizuo vorhatte. „Die Fernkämpfer teilen sich bitte in drei Gruppen auf, die Nahkämpfer in zwei.“ Ohne großartige Probleme teilte sich die Menge an Rekruten in Gruppen. Ohne, dass Shizuo es wirklich merkte, gesellten sich ein Mann und eine Frau in seine Gruppe, die sich irgendwie um ihn versammelt hatten, als ob er ihr Anführer war. Der blonde Mann blickte jeden einzelnen an und ihre Blicke sagten ihm, dass sie auf ihn neugierig waren. Vermutlich hatten sie von seiner Schlägerei mit Muroko gehört und wollten ihn live auf der Bühne sehen. Shizuo wandte den Blick ab, als Hasaki erneut sprach. „Hat jeder seine Waffen? Gut. Dann folgt mir.“ Alle Rekruten setzten sich in ihren Gruppen in Bewegung und folgten dem stämmigen Mann zu einer anderen Halle, in der mehrere Kraftfahrzeuge standen. Allesamt in schwarzer Farbe getunkt. Hasaki deutete mit seiner Hand auf einen großen Lastkraftwagen; die Rekruten stiegen nach und nach hinein. Shizuo stieg nur unwillig ein, als er sah, dass er da drin fast nichts sehen konnte, außer seine eigenen Hände. Saigo neben ihm flüsterte ihm zu: „Das machen sie jedes Mal. Damit ihr Neuen nicht seht, wo die Geheimbasis liegt.“ Shizuo konnte darauf nur schnauben. Es dauerte nicht lange, bis sie an ihrem Zielort waren. Der Wagen hielt abrupt an, und die Tür wurde geöffnet. Draußen war es zwar nicht viel heller als im Wagen, dennoch konnte Shizuo die Geräusche der Stadt hören. Etwas, dass in ihm eine gewisse Nostalgie auslöste. „Steigt aus. Den Rest werden wir zu Fuß gehen.“ Die plötzliche Freiheit traf Shizuo wie einen Schlag, als er aus dem schwarzen Wagen stieg. Es war dunkel und ziemlich kalt, jedoch störte ihn das recht wenig. Er blickte in den wolkenlosen Nachthimmel, starrte den Wolkenkratzern hinauf und konnte es selbst nicht fassen, dass er nun endlich aus diesem weißen, sterilen Geheimversteck hinaus war. Shizuo atmete für einen Moment tief ein und konnte fast die Abgase auf seiner Zunge schmecken. „Saigo, du bist Teamleiter. Deine Truppe wird die erste sein, die sich der Bar nähern wird. Die zweite Nahkampftruppe hält sich am Hinterausgang der Lost Balance bereit. Die Fernkämpfer werden sich auf den Dächern verteilen und gute Blickwinkel suchen. Jetzt packt euer Funkgerät ins Ohr und schaltete mit dem Gerät auf Kanal 3. Und denkt daran: Haltet euch bedeckt. Ihr dürft unter keinen Umständen auffallen. Alles klar?“ „Verstanden.“, kam es im Chor, bevor bereits die ersten begannen sich wortlos zu verteilen. Shizuo konnte kaum blinzeln, da hatten sich die anderen bereits unter die abendliche Menschenmenge gemischt und waren verschwunden. Saigo und die anderen Unbekannten aus seiner Gruppe packten wie befohlen ihr Funkgerät ins Ohr. „Was ist? Kriegst du nun doch Muffensausen?“, neckte Saigo, als Shizuo sich nicht von der Stelle bewegte. Saigo gab ihm einen Klaps auf den Arm und deutete ihm an, zu folgen. „Komm schon, wir dürfen nicht trödeln.“ „Ich werde diesen Vampir nicht umbringen.“, erwiderte Shizuo statt einer Antwort und das brachte Saigo dazu, verwirrt anzuhalten. Er blickte um sich, in Sorge, jemand hätte das Wort Vampir gehört, dann trat er energisch in Shizuos Distanzzone. „Ist das dein Ernst, man? Bei deinen unmenschlichen Kräften hätten wir ihn beide schnell vom Feld geräumt, bevor er überhaupt Bruderschaft sagen kann!“, wisperte Saigo ihm barsch ins Ohr und konnte anscheinend nicht verstehen, warum Shizuo den Vampir nicht töten wollte. Der blonde Mann blickte hoch und in seinen rehbraunen Augen lag tiefe Wut, die er bislang versucht hatte zurückzuhalten. Mit einem Ruck wurde Saigo am Hals gepackt und an Shizuos Brust gezogen. Dessen Augen waren vor Schreck geweitet, während er Shizuos Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. „Ich werde ihn nicht umbringen, verstanden?“, knurrte Shizuo eindringlich, bevor er nach mehreren geschlagenen Sekunden Saigo los ließ. Er stolperte zurück und die Menschenmenge begann bereits unruhig zu flüstern. Saigo rieb sich mit verzogenem Gesicht den Hals, bevor er wieder näher trat und Shizuo barsch ins Ohr sprach. „Wir müssen ihn umbringen! Versau dir nicht deine erste Mission, Heiwajima. Sonst kommst du nie von ihnen los!“ „Was dauert das so lange bei euch? Gibt es ein Problem?“ Die Frau aus seiner Gruppe war zurückgekehrt und blickte verstohlen über ihre Schulter. Shizuo wich zurück, blickte für einen Moment um sich, bevor er wusste, in welche Richtung er laufen musste. Jetzt oder nie. Er drehte sich um und begann zu rennen, dabei zerknirschte er das Funkgerät mit bloßen Händen. Er sah noch, wie Saigo fluchte und ihm hinterher rannte, jedoch konnte Shizuo ihn bereits nach einigen Metern in der Menschenmenge abwimmeln. Ikebukuro war seine Stadt. Hier kannte er sich aus. Und durch die andauernden Jagden mit dem Floh wusste er, wo jedes Geschäft, jede Ampel und jede noch so kleinste Sackgasse war. Die Bar Lost Balance gab es schon seit einigen Jahren und Shizuo konnte sie bereits von weitem sehen. Er konnte nur hoffen, dass Tom sich wirklich darin aufhielt. Hektisch öffnete er die Tür und sein Atem hechtete durch seine Lunge. Unruhig ließ er die Augen schweifen, von Person zu Person, vom verwirrten bis zum ängstlichen Gesicht. Er rannte nach hinten durch, schaute sogar auf den Männertoiletten nach ihm. Doch er fand ihn nicht. Er war nicht hier… Shizuo fuhr sich unruhig durch seine blonden Haare und lief zum Eingang zurück. Was sollte er nun machen? Ihn anrufen konnte er immerhin nicht. Sein Handy war immer noch in Murokos Besitz. Und irgendwann- „Shizuo…?“ Beinahe erschrocken wandte er sich zu der Stimme um, und ihm entgegen blickte sein bester Freund. „Tom-san!“, rief der blonde Mann, während er unruhig an Toms Kopf vorbei blickte, jedoch keinen der anderen Rekruten entdecken konnte. „Wo warst du all die Zeit? Bleibst vier Tage lang verschwunden und plötzlich sehe ich dich wie von der Tarantel gestochen in meine Lieblingsbar rennen. Wo hast du gesteckt?“ Shizuo holte ein letztes Mal tief Luft, bevor er seinen Freund genauer studierte. Er sah aus wie immer. Braungebrannt, Rasterlocken, trug seine Brille und wirkte auf Shizuo ausgelaugt nach einem anstrengenden Tag. Seine Augen waren auch nicht blutrot oder sonst irgendwie vampirähnlich. „Tom-san, du musst von hier verschwinden. Du bist in Gefahr!“, wisperte ihm Shizuo eindringlich zu, als er den anderen an beide Arme packte. „Jetzt mal langsam. Was ist eigentlich los mit dir, Kumpel?“ Natürlich verstand der andere seine Dringlichkeit nicht. „Ich wurde von ihnen angeheuert. Darum war ich so lange weg. Sie haben mein Handy einkassiert, deswegen konnte ich mich nicht bei dir melden.“, beeilte Shizuo sich zu sagen, bevor er flüsterte. „Sie planen heute Nacht einen Angriff. Also verschwinde von hier!“ Daraufhin verengte Tom die Augen und schien Shizuo genauer unter die Lupe zu nehmen. Sein Freund schien etwas zu ahnen, als seine Augen dunkler wurden. „Du…du weißt von ihnen? Du weißt von uns?“ „Du hättest es mir auch mal sagen können. Und sowas nennt sich bester Freund…“, grummelte Shizuo genervt, bevor er Tom ungeduldig tiefer in die Bar lotste. „Wir müssen durch die Hintertür raus. Dort sind weniger von ihnen, als vorne.“, erklärte Shizuo leise und blickte Tom eindringlich an. Sein bester Freund nickte und übernahm die Führung, als er den blonden Mann zum Hintereingang führte. „Der Barkeeper hier ist ein alter Freund von mir. Vielleicht kann er für ein wenig Unruhe sorgen.“, sagte Tom, als er eine Tür öffnen konnte, auf der eindeutig „privat“ eingraviert war. Überraschenderweise entpuppte sich der Barkeeper als eine pummelige Frau, die es faustdick hinter den Ohren hatte. Mit den Händen in den Hüften und akribischen Augen musterte sie Shizuo, bevor sie sich an Tom wandte. „Klar! Ihr könnt euch auf mich verlassen!“, versicherte sie ihnen mit einem Zwinkern, als Tom sie aufklärte. Mit einem geschäftigen Nicken verschwand sie nach vorne und danach hörte man sie lautstark telefonieren. „Wir haben nur eine Chance.“, begann Tom wispernd, „sie sind sehr hartnäckig, wenn sie uns verfolgen. Es wundert mich nur, dass ich sie noch nicht bemerkt habe…“, sagte der Mann mit den Rasterlocken, während er probeweise in der Luft schnüffelte wie ein Hund. „Du riechst auch nicht wie sie, Shizuo.“, sagte Tom schließlich, als ob es plötzlich das Normalste der Welt wäre, andere Menschen von weitem zu riechen. Dass Tom ihn nicht riechen konnte lag vermutlich daran, dass sich Shizuo vor einigen Stunden mit einem seltsamen Spray einsprühen musste. „Unwichtig, Tom-san. Wir müssen hier weg.“ „Du hast Recht. Wir treffen uns mit meinem Clan. Dort wagen sie sich nicht hin.“ „Deinem Clan…?“, stieß Shizuo mit gerunzelter Stirn hervor. Muroko hatte ihm zwar einige Sachen über die Vampire erzählt, doch das Wort Clan war nie gefallen. Tom lachte kurz. „Tut mir Leid, dass du es so erfahren hast, Shizuo. Aber es gilt ein Geheimhaltungsgesetz unter uns. Aber das weißt du bereits, wenn du bei denen warst.“ Shizuo verzog grimmig das Gesicht. „Hey Jungs! Ein paar Kumpels kommen gleich vorbei und werden den Laden etwas aufmischen, wenn ihr versteht…“, rief die Barkeeperin durch die Tür und die beiden Männer nickten sich zu. Sie warteten für weitere fünf Minuten, dann ertönte plötzlich lautes Gegröle und Brummen von Motorrädern. „Jetzt!“, rief Tom, „Folge mir!“ Ohne weitere Fragen lief Tom los und stürzte sich durch den Hinterausgang. Shizuo blieb ihm dicht auf den Fersen. Die Barkeeperin hatte Recht. Es war ein Riesen Tumult. Überall waren schwarz gekleidete Gangmitglieder, bullige Menschen mit Bärten und Piercings. Die meisten waren auf Motorräder und grölten laut mit Bier in der Hand, während anderen mit ihren Blastern durch die Gegend tanzten und Rap-Bewegungen mit dem gesamten Körper vollzogen. Es war, als ob plötzlich ein großes Event an der Bar Lost Balance stattfinden würde. Shizuo grinste unverhohlen einigen zu. Das würde selbst die Bruderschaft zum Rückzug zwingen. Tom lief in einem schnellen Tempo voran, weshalb Shizuo sogar einen Zahn zulegen musste. Die Stadt rauschte in tausenden Lichtern an ihnen vorbei, und die kalte Luft tat Shizuos Körper gut. Nach einigen wilden Kurven und Zebrastreifen, hastete Tom schließlich in die U-Bahn-Station. Tom machte keine Anstalten langsamer zu werden, selbst nicht, als die U-Bahn-Türen kurz davor waren sich zu schließen. Gerade noch so kamen sie beide hinein und erlaubten sich erst dann nach Luft zu verlangen. Shizuo stützte sich auf seinen Knien ab, während er Tom von unten her anblickte. „Sie scheinen es aufgegeben zu haben…“, murmelte der Mann mit den Rasterlocken und Shizuo wunderte sich, warum Tom nicht einmal schwer atmen musste. War das auch so eine Art Merkmal? Sollte es also wirklich stimmen? Sein bester Freund war ein Vampir? „Früher konntest du doch nie so schnell rennen, Tom-san.“, keuchte Shizuo, der sich nun aufrichtete und sich den Rücken streckte, als die U-Bahn losfuhr. Tom lächelte ihn matt an. „Es ist manchmal nicht einfach, seine Kräfte zu unterbinden, Shizuo.“, erklärte Tom leise, als er sich auf einen freien Sitz niederließ, „Aber würden wir es nicht tun…“ Er ließ den Satz unbeendet und hatte den Blick abgewandt. Shizuo verstand. Natürlich. Das hatte Muroko irgendwann mal in einer Stunde erwähnt… Vampire besaßen ungewöhnliche Körperkraft, die weit über die eines Menschen war. „Tut mir Leid, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe. Sie haben mir dort unten Handy und Zigaretten abgeknöpft. Ich könnte nun echt dringend eine gebrauchen…“ Shizuo fuhr sich erschöpft durch seine blonden Haare und blickte durch den Waggon. Es war nicht gerade sehr voll, da es schon spät abends war. Ein Mann mit seiner Frau unterhielt sich etwas lauter als es angemessen war. Dann waren dort einige Schüler, immer noch in ihrer Schuluniform gekleidet. Schüler der Raira High School… „Kann ich verstehen. Sie versuchen den Kontakt zur Außenwelt so gut wie es geht zu vermeiden. Ich bin überrascht, dass du bereits nach vier Tagen hinaus durftest. Was man so hört, ist eher das Gegenteil…“, erwiderte Tom, als er beobachtete, wie die Menschen ein- und ausstiegen. Shizuo verzog das Gesicht. Tom schien die Bruderschaft fast genauso gut zu kennen, wie er selbst. „Ich bin sozusagen deren Liebling oder so. Ihr neuer…Favorit.“ Shizuo spuckte beinahe das letzte Wort aus. „Favorit? Wieso das denn?“ Die Wörter von Tom wurden immer leiser und unverständlicher, als Shizuo die Geräusche ausblendete, in eine bestimmte Richtung sah und sich ihre Blicke trafen. Ihre grünen Augen blitzten gefährlich, bevor sie sich schlagartig umwandte und hinter einem molligen Herrn verschwand. Sie! Dieses Mädchen, das in seiner Truppe war. Sie hatte es geschafft, sie bis hierhin zu verfolgen! „Tom-san.“, sagte Shizuo eindringlich und sein bester Freund verstummte. „Eine von ihnen ist im Wagon. Wir müssen hier raus.“ „Keine Sorge.“, erwiderte er sofort, „Sie wird uns hier nicht angreifen. Zu viele Zeugen.“ Shizuos Blick sagte Tom, dass er nicht gerade überzeugt war und er fuhr fort. „Ich habe schon eine SMS an die anderen geschickt. Sie werden uns an der nächsten Station abholen und begleiten.“ Shizuo reagierte nicht, sondern beobachtete weiterhin das Abteil, in dem er seine Mitrekrutin gesehen hatte, doch sie ließ sich während der ganzen Fahrt über nicht mehr blicken. Als die Bahn anhielt, Tom und Shizuo in dem Gewusel der Leute ausstiegen, standen an einer Säule gelehnt drei Personen, die Toms Gefährten sein mussten. Sie stachen auf unnatürlich Weise aus der Menge heraus, als wären sie Popstars, obwohl ihr Äußeres der eines normalen Menschen ähnelte. Es waren zwei Männer und ein Mädchen. Mehr konnte er auf Anhieb nicht erkennen, denn sie betrachteten ihn so akribisch, als würde er sie gleich angreifen. Als Tom und Shizuo schließlich näher kamen, begann Tom zu sprechen. „Eine von ihnen hat es geschafft uns zu verfolgen. Wir werden uns trennen und sie endgültig abwimmeln.“ Ohne dass jemand nachhakte, schienen alle verstanden zu haben, worum es ging. Sie nickten stumm und als Tom sich an ihn wandte, bat er ihn darum, seinen Arm um Toms Schultern zu legen. „Halt dich an mir fest. Sie kommt näher. Ich kann sie riechen.“ Der blonde Mann wusste nicht genau, was Tom vorhatte, doch sie hatten keine Zeit mehr für großartige Erklärungen, also umschlang er seinen linken Arm um Toms Schultern. „Euer komisches Zeug gegen euren Geruch scheint wohl doch nicht so das Wahre zu sein.“, gab der Mann lachend von sich, währen ein breites Grinsen sein Gesicht bedeckte. „Halt dich gut fest. Ich werde dich tragen.“ Shizuo hob eine Augenbraue. „Tragen? Ich glaube ich kann selbst-“ „Am besten schließt du die Augen. Es wird schnell sein.“ Dann, als hätte man einen Schalter in Toms Körper umgelegt, begann er wahrhaftig zu laufen. Shizuo wollte seine Beine bewegen, doch bemerkte, dass sie gar nicht mehr den Boden berührten. Shizuo hatte seine Augen offen gelassen und konnte nun sehen, wie alles um ihn herum in einen Haufen von wirren Bildern und Geräuschen verschwamm. Der Schwindel kam sofort und er schloss ruckartig die Augen. Nun hatte er den ersten Beweis. Den ersten Beweis, dass Tom ein Vampir war. Enorme Muskelkraft und Geschwindigkeit. Nach nur einigen Minuten hielt Tom wieder an und Shizuo öffnete langsam die Augen. Sie befanden sich nun in einer alten, verlassenen Fabrik. Zumindest sah es ziemlich herunter gekommen aus. Es war dunkel und dreckig und es roch ziemlich stark nach Geröll und Schutt. „Tom-sama, nun klär uns schon auf! Was genau ist passiert? Und wer zum Teufel ist das?“, fragte ein junges Mädchen, welches gerade mal in der Oberstufe sein konnte. Sie hatte sich ihre Haare blond gefärbt, trug schwarze Klamotten, Springerstiefel und hatte Piercings in Lippe und Nase. Sie kaute laut Kaugummi und betrachtete Shizuo mit einem abwertenden Blick. Punk-Girl, dachte sich Shizuo. „Das ist Shizuo, mein Arbeitskollege und guter Freund. Er hat mich vor einem Angriff der Bruderschaft gewarnt und waren dabei ihnen zu entkommen, Nana-san.“, brachte es der Mann mit den Rasterlocken grob auf den Punkt, während er die Hand in Shizuos Richtung hielt. Nana, das Punk-Girl, hob immer noch fragend die Augenbraue. „Gewarnt? Wie konnte er das wissen? Ist er einer von ihnen?“, kam es dann skeptisch von einem braunhaarigen Mann, der näher an sie heran trat. Er war sehr schlank und groß, trug eine runde Brille und er wirkte auf Shizuo wie ein Besserwisser. „Eher unfreiwillig, aber ja. Shizuo wurde gezwungen bei ihnen einzutreten.“, antwortete Tom, wie bei einem Verhör. „Gezwungen? Das habe ich ja noch nie gehört.“, gab die dritte fremde Person von sich, „Alle arbeiten dort mit Inbrunst. Vor allem weil es ordentlich Asche gibt, nicht wahr?“ Der fremde Mann wandte sich beim letzten Wort an den einzigen Menschen in der Gruppe. Shizuo hob den Blick. Der Vampir hatte schwarze Haare, die ihm kreuz und quer standen und ein lasches Grinsen im Gesicht, das eher gelangweilt wirkte. Die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben und Shizuo wusste aus Instinkt, dass er ein Draufgänger war. „Shino-kun. Ich vertraue ihm. Genug der Fragerei.“, kam es in einer besonderen Tonlage von Tom, die Shizuo noch nie gehört hatte. Der Vampir namens Shino schwieg und die anderen ebenfalls. „Danke, Shizuo. Ich bin froh, dass du hier bist.“ Zum ersten Mal konnte sich der Mann mit den Rasterlocken bei seinem Retter bedanken. Tom warf ihm ein gutmütiges Lächeln zu. Shizuo hingegen konnte über die letzten Ereignisse nur den Kopf schütteln. „Die haben dort nicht mehr alle Latten am Zaun, Tom-san. Ich wurde von denen angeblich gerettet und soll dafür nun auch einer von ihnen werden. Und dann soll ich plötzlich meinen besten Freund umbringen? Wenn ich Muroko das nächste Mal sehe, dann kann er sich auf ne‘ Tracht Prügel einstellen!“ Shizuo verzog das Gesicht, knurrte unbewusst, während er die Fäuste ballte. „Du wurdest von ihnen gerettet?“ „Angeblich, ja. Ich glaube das immer noch nicht, bis ich diese Pest selbst gefragt habe.“, knurrte Shizuo. „Du meinst Izaya Orihara?“, fragte Tom und sein Blick wurde dunkler. „Wen denn sonst?“ Shizuo musste sich zusammen reißen, um nicht wütend zu schnauben. „Du weißt also, dass Izaya ein Vampir ist?“ „Ich weiß es nicht. Aber Muroko sagt, dass er einer ist.“ „Glaubst du ihm denn?“, fragte Tom und sein Blick wurde anders. „Glaubst du an Vampire?“ Shizuo stockte. Für einen Moment wusste er nicht, was er ihm antworten sollte. Vampire waren bislang nur ein Märchen für ihn gewesen. Ein Hirngespinst, das es nie gegeben hatte. Doch seit er in der sterilen Geheimbasis der Bruderschaft aufgewacht war, schwankte seine Meinung. „Ich weiß nicht. Ich kann es einfach nicht glauben…“, gab Shizuo zu. Zu seiner Überraschung lachte Tom. „Kann ich dir nicht übel nehmen, Kumpel. Immerhin habe ich selbst nie dran geglaubt.“ Shizuos Augen weiteten sich. Das hieße ja… „Seit wann…?“, fragte Shizuo. Toms Lächeln wurde bitter. „Seit drei Jahren. Die Frau die mich verwandelt hat, ließ sich seitdem nicht mehr blicken. Am Anfang war es wirklich schwer, sich zurecht zu finden…“ Drei Jahre? Tom war schon drei Jahre lang ein Vampir und er hatte es nie bemerkt? Wie konnte das bloß sein? Shizuo fuhr sich unwirsch durch seine gefärbten Haare. Sein bester Freund würde ihn nicht anlügen. Dieser ganze Kram musste also wahr sein. Als Shizuo darauf nichts sagte, sondern nur wütend mit den Zähnen knirschte, fuhr Tom fort. „Sie werden dich suchen und finden. Und wenn es soweit kommt, darfst du nicht hier sein. Du solltest in deine Wohnung zurückkehren, Shizuo.“ Natürlich würden sie ihn suchen. Er glaubte nämlich nicht daran, dass er diesen Schnösel Muroko so leicht abgehängt hatte. „Und was ist mit dir?“, fragte Shizuo. Für einen Moment lachte Tom, und als Shizuo ihm besorgt in die Augen blickte, konnte er sehen, wie die Iris nicht mehr dunkelbraun, sondern langsam eine dunkelrote Farbe annahm. „Ich muss mich um mein leibliches Wohl kümmern, bevor ich Dinge tue, die ich hinterher bereuen werde.“, erwiderte Tom und richtete seinen Blick auf Shizuos Hals. „Oh…“, entgegnete Shizuo unbewusst und verstand, was sein Freund meinte. Er musste wohl einsehen, dass Tom ein Vampir war. Auch wenn das in seinem Kopf noch nicht so ganz ankommen wollte. „Okay…dann…bleiben wir in Kontakt?“ „Das wäre gut. Ich brauche meine zweite Hand zurück. Und ich glaube der Monat ist schon lange um.“ Schon beinahe erleichtert seufzte Shizuo. Seitdem er vor einem Monat einen Schuldner nach einen kleinen Wutanfall ernsthaft verletzt hatte, wurde er von seinem Chef zu einem Monat Zwangsurlaub verdonnert. Selbst Tom hatte nichts dagegen sagen können. „Ich werde morgen früh bei deiner Wohnung vorbei schauen. Zur selben Zeit wie immer.“ Shizuo nickte und Tom lächelte ihm entgegen. Er gab ihm einen freundlich gemeinten Klaps auf die Schulter, bevor er sich an den schlanken Vampir mit der runden Brille wandte. „Akira-kun. Bitte begleite Shizuo bis zur Hauptstraße. Nur falls die Bruderschaft sich noch herumtreibt.“ „Das braucht er nicht, Tom-san. Ich schaffe das auch alleine.“, widersprach der blonde Mann. Akira schob sich seine runde Brille ein Stück höher, während Tom seine linke Augenbraue hob. „Wir gehen kein Risiko ein. Sie könnten sonst deine Spuren bis hierhin zurückverfolgen.“, gab der schlanke Vampir erklärend von sich. Shizuo musste ein genervtes Knurren unterdrücken. „Von mir aus...“ Shizuo war einfach nur froh, dass er draußen war, den vermeintlichen Anschlag auf seinen besten Freund vereitelt hatte und nun endlich zurück in seine Wohnung konnte. „Wir sehen uns.“, sagte Tom an seine Clanmitglieder, bevor er den Kopf zu Shizuo drehte. „Bis morgen, Shizuo.“ Der blonde Mann nickte und er sah dem anderen nach, als Tom binnen weniger Sekunden aus der dunklen Halle verschwunden war. „Komm mit, ich bringe dich soweit ich kann.“, kam es von dem Vampir namens Akira und Shizuo folgte ihm aus der dunklen Halle hinaus. Wortlos trotteten sie durch die dunkle Nacht, nur erleuchtet von den Hochhäusern der Stadt. Irgendwann blieb Akira stehen und Shizuo tat es ihm gleich. „Weiter bringe ich dich nicht. Ich kann sie weder hören noch riechen. Sie haben es wohl für heute Nacht aufgegeben.“, kam der Kommentar, als der braunhaarige Mann mit einem laschen Grinsen zu Shizuo blickte. Riechen… Für Shizuo hörte sich das immer noch albern an. „Ehrlich gesagt wundert es mich schon, wie du ihnen entkommen konntest. Sie passen nämlich auf ihre Soldaten auf, wie Mütter auf ihre Kinder.“ „Ich bin einfach weg gelaufen. Und jetzt bin ich hier. Sonst noch Fragen?“, entgegnete Shizuo genervt und wollte nichts weiter, als nach Hause und in sein Bett und diesen Albtraum mit der Bruderschaft schnell vergessen. Akira verengte die Augen. „Ich vertraue dir trotzdem nicht. Ich habe eine noch feinere Nase als Tom-san. Und du riechst nach ihnen, als ob du ihrem Parfum gebadet hast.“ „Du würdest auch wie sie riechen, wenn sie dich vier Tage lang zwingen, ihre Klamotten zu tragen und dir versuchen alles beizubringen, was sie über Vampire wissen.“, knurrte Shizuo als Antwort und Akira konnte sich dieses Mal ein Lachen nicht verkneifen. Auch wenn es eher wie ein Schnauben klang. „Ich glaube, ich bin dir zu Dank verpflichtet, Shizuo-kun. Danke, dass du Tanaka-sama gewarnt hast.“ Überrascht weiteten sich Shizuos Augen. Die Ernsthaftigkeit und auch der dankbare Ton waren eindeutig rauszuhören. Aber noch mehr überraschte ihn die Höflichkeitsfloskel. „Ich bringe doch nicht meinen besten Freund um…“, grummelte Shizuo. „Einige Menschen tun für Geld alles…“ Das war das Letzte was er von Akira hörte, bevor der Vampir im Dunkeln der Nacht verschwand, als hätte es ihn nie gegeben. Shizuo blinzelte mehrmals und realisierte erst nach einigen Sekunden, dass er nun alleine war. Alleine in Tokyo, alleine in Ikebukuro. Wie ein Vogel streckte Shizuo seine Arme aus und blickte gen Himmel. Er war frei!   ☥   Izaya trabte eilig durch die Menschenmenge. Sein unruhiger Blick glitt auf sein Handy und die digitalen Zeiger. 2 3 : 1 3 Vielleicht schaffte er es noch. An der nächsten Straßenecke konnte er durch eine Reihe Häuser auf die nächste Straße gelangen. Eine Abkürzung. Perfekt. Er hatte nach seinem Besuch bei Oshiro sogar noch einen Termin mit einem Klienten wahrnehmen können. Das Geschäft war recht gut ausgegangen, auch wenn Izaya mit seinen Gedanken ständig woanders war… Nun war er gerade in Ikebukuro angekommen und wollte eiligst nach Hause, jedoch nicht ohne vorher seinen Spitzel zu besuchen. Der hatte nämlich angeblich auch Neuigkeiten für ihn. Und leider wechselte er seinen Standort ziemlich oft in letzter Zeit. Nun sollte er noch – falls er Glück hatte – in Ikebukuros U-Bahn Station sein. Izaya betrat den dunklen Gang, der nur von angrenzenden Fenstern beleuchtet wurde. Nur wenige Menschen waren noch unterwegs und so konnte Izaya schnell voran gehen. Doch bereits nach einigen Metern der entdeckten Abkürzung, blieb er ruckartig stehen. Seine Augen blickten starr nach vorne, während seine Nasenflügel bebten. Vanille war es nicht mehr, jedoch konnte er diesen besonderen Eigengeruch nicht vergessen. Flüchten war sein nächster Gedanke, doch es war bereits zu spät. Shizuos Augen waren geweitet, als er ihn erblickte und genauso starr auf der Stelle stehen geblieben war, wie er selbst. Seine Hand hatte er angehoben zu seinem Hals, genau der Stelle wo Izaya ihn gebissen hatte. Shizuo trug nicht wie sonst sein Bartender Outfit, sondern hatte eine dunkelblaue Jeans am Körper und trug eine schwarze Jacke zum Schutz gegen die Kälte. Sein blondes Haar stach dabei heraus wie die Sonne. „Shizu-chan…“, krächzte Izaya ungeschickt und erkannte seine eigene Stimme nicht mehr. Für einen Moment kam nichts von dem blonden Mann, doch dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck und Zorn benebelte seine Sinne. „Du Bastard…“, knurrte er unter seinem Atem und begann energisch auf ihn zuzugehen. Izaya befahl seinen Beinen sich zu bewegen, zu laufen, doch es passierte nichts, er war wie gebannt von Shizuo und seinem Geruch. Was zum Teufel war das? Das hatte er sonst auch nie bei seinen Opfern. Er konnte sich kaum auf irgendwas anderes konzentrieren, als auf das Monster. Izaya zwang sich zu einem Grinsen. „Wo warst du die ganze Zeit, Shizu-chan? Bist du einer Gang beigetreten oder warum dieses andere Outfit?“, brachte der Informant zustande, doch Shizuo ging darauf gar nicht ein. „Sag mir die Wahrheit, du Floh! Erklär es mir!“ Shizuo blieb einige Meter vor ihm stehen. Offensichtlich traute er sich nicht näher an ihn heran. Izaya musste beinahe darüber lachen. Hatte Shizuo nun etwa doch Angst vor ihm, weil sie ihm gesagt hatten, dass er ein Vampir war? „Was ist? Gehst du mir gar nicht an den Kragen wie sonst immer?“, höhnte Izaya. Shizuo antwortete darauf nicht, sondern verzog das Gesicht zu einer Grimasse und knirschte mit den Zähnen. „Nun sag schon, du Bastard. Was ist passiert an dem Abend?“, forderte er dann erneut und Izaya lachte. „Welchen Abend?“ „Du weißt genau welchen Abend ich meine!“ Natürlich wusste er das. „Weißt du das nicht selbst?“, konterte Izaya mit überraschend leiser Stimme und Shizuo bemerkte den Wandel in seiner Stimme. Shizuo blickte ihn für eine Weile nur wütend an, dann hob er erneut die Hand zu seinem Hals und als Izaya seinem Blick folgte, konnte er sehen, dass das Mal verschwunden war. Oh…? Hatte jemand nachgeholfen…? „Du…Du Bastard hast…du hast mich gegen die Wand gedrückt. Mit nur einer Hand!“ Als Shizuo begann zu erzählen, spitzte Izaya die Ohren. Er konnte sich erinnern? Das konnte nicht sein… „Und du hast mich…“ Shizuo schluckte unruhig und Izayas Körper reagierte allein auf diese kleine Bewegung, als seine Augen Shizuos Adamapfel verfolgten. Seine Kehle brannte plötzlich, und der Durst entfachte wie eine Explosion in seinem Körper. Izaya trat unbewusst einen Schritt näher. „…gebissen…“, quetschte Shizuo leise hervor und aus irgendeinem Grund, wandte er den Kopf zur Seite und konnte Izayas Blick nicht begegnen. „Ich glaube du hast heimlich von der Scotch Flasche an dem Abend getrunken oder?“, versuchte Izaya das Thema angenehmer zu gestalten, doch der Schuss ging nach hinten los. Wieder zornig riss Shizuo den Kopf herum, trat dieses Mal ungehindert auf ihn zu und packte den Informanten an seinem schwarzen Plüschmantel. Dabei berührte er Izayas Haut. Wie eine chemische Reaktion durchzog ein elektrischer Blitz beide Körper und ließ die Männer innehalten. Sie starrten sich an, als hätten sie sich nie zuvor gesehen. Izaya befreite sich daraufhin aus Shizuos Griff und wich zurück, als hätte man ihn gestochen. Er packte sich an seinen Hals und atmete schwerer. „Was…was war das?“, fragte Shizuo schließlich leise und im Dunkeln der Gasse konnte er Izayas sonst dunklen Augen rötlich leuchten sehen. Izaya bemerkte es selbst und blickte für einen Moment zur Seite. Izaya fluchte innerlich. Nein. Nicht schon wieder. Er musste sich zusammen reißen! Izaya kämpfte mit sich selbst und seinen Instinkten und es war nicht einfach, ruhig stehen zu bleiben, während Shizuo so präsentabel vor ihm stand. Als Izaya ihm nicht antwortete, fragte er weiter. „Bist du wirklich ein…“, Shizuos Stimme wurde zu einem eindringlichen Flüstern. „…Vampir?“ Ah. Natürlich. Sie hatten ihn ja aufgeklärt. Es waren also nicht seine eigenen Erinnerungen. Er roch immerhin noch etwas nach diesen verpesteten Söldnern. Izaya grinste ihn unverhohlen an. „Ich dachte, sie haben dir bereits alles von uns erzählt? Trotzdem fragst du noch? Shizu-chan, Shizu-chan…und ich dachte, du hättest was gelernt.“ Izayas Augen zuckten von einem Punkt zum anderen und er analysierte schnell, dass die beiden Erzfeinde – abgesehen von zwei älteren Herrn – ganz alleine in der dunklen Seitengasse waren. Shizuo gab ein genervtes Knurren von sich und Izayas dunkelrote Augen zuckten zurück zu dem blonden Mann. „Du weißt, dass ich bei ihnen war?“ Izayas Grinsen vertiefte sich. „Natürlich. Ich bin Informant, schon vergessen?“ Shizuo glaubte ihm nicht. „Tch. Hör mir auf mit deinen Lügengeschichten! Du weißt es, weil du wirklich ein Vampir bist! Du warst es oder? Du hast mich an dem Abend gebissen! Gib es zu!“, forderte Shizuo, während er mit seiner Hand wild auf seinen Hals deutete. Wenn Shizuo so versessen glaubte, dass Izaya ihn gebissen hatte, konnten es wirklich nur seine eigenen Erinnerungen sein. Und das war gar nicht gut. Waren seine eigenen Kräfte dabei zu schwinden…? Doch Izaya grinste ihn weiterhin an, als sei nichts passiert. Als hätte er gar keinen inneren Monolog. „Und was, wenn ich sage, dass ich es war? Was willst du dann tun, Shizu-chan, hm?“, fragte der Informant, trat dichter auf den anderen zu und sah genüsslich dabei zu, wie Shizuo von ihm zurück wich. „Ich…“, begann Shizuo und musste erneut schlucken, als er weiter zurück trat, bis Izaya ihn an die Wand eines schäbigen Gebäudes gedrängt hatte. „Ich will wissen warum!“, sagte er dann lauter und Izaya stoppte. Pah. Das würde er selbst auch gerne wissen. Warum hatte er Shizuo angefallen? Es war ja nicht so, dass er keine Selbstbeherrschung hatte – Herrgott nochmal, er würde sogar behaupten, dass er sich von den Vampiren in ganz Tokyo am besten unter Kontrolle hatte, was den Durst betraf. Doch Shizuo war eine Ausnahme. Wie er immer eine Ausnahme war. „Das ist leider geheim~“, säuselte Izaya schließlich kindisch und versuchte zu überdecken, wie unzufrieden er eigentlich war. Doch noch immer bekam er Shizuos Geruch nicht aus der Nase. Und wo er nun dem anderen noch näher stand, konnte er ganz genau seinen Herzschlag hören. Wie das Blut durch seine Adern fl- Nein. Orihara, du fasst ihn nicht noch einmal an! Izaya hatte seine Hand bereits angehoben, ohne dass er es wirklich befohlen hatte. Es war ein Kampf gegen seinen Instinkt. Und Izaya hatte keine Ahnung, warum es ihm bei Shizuo so schwer fiel. Mochte es wohl doch wahr sein, was Oshiro ihm erzählt hatte…? Nein verdammt! „Geheim? Du elendiger Floh, nun sag mir en-“ Weiter kam Shizuo mit seinem Fluchen nicht, denn Izaya war plötzlich voran geschnellt wie eine Schlange und hatte seine Hand auf Shizuo Mund gepresst. Ohne eigenen Willen stand der kleinere Mann vor ihm und Shizuo durchfuhr ein seltsames Gefühl, dass er noch nie verspürt hatte. Eine Mischung aus Angst, Aufregung und noch etwas anderem… „Sei still, Shizu-chan…“ Izayas Stimme war nur noch ein Flüstern. Shizuo tat was man von ihm verlangte, einfach weil er nicht wusste, was nun mit ihm passieren würde. Immerhin spielte ihm sein Gehirn gerade Projektionen von dem letzten Mal ab, als Izaya so dicht vor ihm stand. Seine filigrane Hand an seinem Hals, die Kraft, die ihm die Luft raubte, der Schmerz an seinem Hals… „Ich wollte nie von einem Monster wie dir trinken. Es war eine einmalige Sache und es wäre wundervoll, wenn du das Ereignis einfach vergessen könntest, ne?“ Shizuo blickte hinab in die dunkelroten Augen und sah, wie der Informant boshaft lächelte. Im nächsten Moment lehnte er sich näher zu ihm herüber. Shizuos Augen weiteten sich. Der Informant hielt für einige Sekunden inne. Eine angespannte Stille breitete sich zwischen ihnen aus, als Izaya für einen Moment dem wilden Herzschlags seines Opfers lauschte. Es wurde schneller und schneller und der Durst wurde immer stärker und stärker. Izaya lehnte sich näher… Izaya lehnte sich so nah an Shizuos Hals, dass er fast seine Haut berührte. Nein! Verdammt nochmal! Gerade noch rechtzeitig zog Izaya ruckartig die Hand von Shizuos Mund und trat einen Schritt zurück. Sein gesamter Körper zitterte vor extremer Selbstbeherrschung. Shizuos Herz schlug ihm bis zum Hals und erst als er blinzelte und Izaya plötzlich verschwunden war – und auch verschwunden blieb – traute er sich durchzuatmen.   Was zum Teufel war da gerade passiert!? Izaya knirschte mit den Zähnen, als er ungeachtet der anderen Menschen über die Dächer Tokyos sprang und im Dunkeln des nächsten Gebäudes verschwand, bevor ihn einer sehen konnte. Er hatte beinahe schon wieder von ihm getrunken! Wie konnte er bloß-! Der Vampir stoppte auf einem Hotelgebäude, fuhr sich kurz unruhig durch die Haare, bevor er seine Klamotten richtete. Der Durst brannte immer noch stark in seiner Kehle und Izaya wusste keinen anderen Weg, als sich spontan jemanden zu suchen. Jemand, der nicht dieses…Monster war! Das Hotel war der perfekte Ort. Mit Leichtigkeit verschaffte er sich Zutritt in das Gebäude und streunte geradewegs in die Lounge wo zu seinem Glück auch noch einige Menschen verweilten. Es dauerte etwas, bis er ein passendes Opfer gefunden hatte. Es war die Kellnerin, die ihn mit ihrem Geruch ansprach und er erhoffte sich eine ordentliche Mahlzeit, die ihn vorerst ablenken würde. „Wie kann ich Ihnen denn helfen?“, fragte sie höflich, als sie Izayas gespielt panisches Gesicht erblickte. „Ohje, das tut mir so leid, mir ist in meinem Zimmer ein Malheur passiert. Bitte kommen Sie und sehen Sie sich es an. Ich hoffe, dass man es noch reparieren kann~“ Seine panische Stimme entfaltete sofortige Wirkung. „Alles in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen!“, beruhigte sie mit gehobenen Händen, „Ich werde jemanden schicken und“- „Nein, nein! Bitte…ich möchte nicht, dass noch mehr Leute von meinem Missgeschick erfahren. Es ist mir so peinlich…“, fädelte Izaya geschickt seine Masche zu Ende und grinste innerlich, als die Kellnerin schließlich nickte und Izaya auf ein vorbereitetes Zimmer folgte, das ihm eigentlich gar nicht gehörte. Doch diese Nacht sollte es seines sein. Sofort als die Tür ins Schloss kackte und der Informant sich sicher war, dass niemand sie sehen konnte, hatte er sein Opfer in der Mangel. Der Biss war schnell und leicht auszuführen, als von seinem Opfer keine Gegenwehr kam. Doch genauso schnell wie er den Biss ausführte, so schnell ließ er wieder von seinem Opfer. Er hatte kaum etwas getrunken, als er merkte, dass ihr Blut keinerlei Effekt erzielte. Der Durst brannte noch stärker als zuvor. Die Frau sackte bewusstlos zu Boden, doch Izaya schenkte ihr keine Beachtung. Seine Gedanken rasten. Wieso schmeckte ihr Blut nicht? Wieso hatte er immer noch Hunger? Warum brannte es so stark? Izaya wischte sich unwirsch mit dem Handrücken über den Mund, entfernte ein paar letzte Bluttropfen, ehe er sich seinem Opfer widmete. Man sah kaum die Einstiche, die er hinterlassen hatte. Vermutlich weil er kaum getrunken hatte. Dennoch musste er tun, was getan werden musste. Mit Zeige- und Mittelfinger fuhr er über die Einstichstelle und vollzog sein kleines Ritual. Als er dieses Mal die Finger wegzog, waren die zwei Punkte verschwunden. Erleichtert seufzte er. Seine Kräfte waren wohl doch nicht dabei zu verschwinden… Er legte die Frau auf das gemachte Bett, drapierte sie so, damit es so aussah, als sei sie vor Erschöpfung eingeschlafen. Danach beseitigte er alle Spuren, die auf ihn hindeuten könnten und verließ ungehindert das Hotel, während er im Dunkeln der Nacht verschwand. Doch der Durst brannte weiter in seiner Kehle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)