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Eine erbarmungslose Entscheidung

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Es geht weiter, mit einem etwas längeren Kapitel (und Jiroushin... irgendwie taucht der immer wieder auf. Das war nicht so geplant) Ich wünsche euch ganz viel Spaß ;-)

Nächsten Sonntag kommt wie gewohnt das nächste Kapitel.

LG Komplett anzeigen

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Kapitel 52 - Flamme

Kapitel 52 – Flamme

 

-Zorro-

„Was soll das werden?“

Misstrauisch starrte er zwischen Jiroushin und Mihawk hin und her. Er war dran gewöhnt, dass der Samurai ihn von oben herab ansah – die Körpergröße tat ihr übriges – aber das Grinsen des Vizeadmirals beunruhigte ihn fast noch mehr.

„Ist das nicht offensichtlich?“, erklärte Dulacre kühl. „Heute wird Jiroushin dein Tanzpartner sein.“

„Was? Ich dachte, wir wollten kämpfen.“

„Wenn du in der Lage bist zu führen, darfst du meinetwegen so viel mit Jiroushin kämpfen wie du willst, aber bis dahin tanzt du.“

Wütend verschränkte Zorro die Arme. So war das Ganze nicht abgemacht gewesen.

„Ach komm, Zorro.“ Breit grinsend ging Jiroushin in Position. „Je schneller du es verstehst, desto schneller können wir nochmal gegeneinander kämpfen.“

Das war ein Argument, dem Zorro nicht viel entgegensetzen konnte. Leise murrend ging er in Position und griff nach der Hand des Soldaten.

„Jiroushin ist äußerst gut darin sich führen zu lassen, weit besser als ich“, bemerkte der Samurai während er um Zorro herumging und leichte Korrekturen an seiner Haltung vornahm, „außerdem hat er eine vollständige Tanzausbildung genossen. Er wird also deine Führungsqualitäten gut einzuschätzen wissen.“

Überrascht sah Zorro den Soldaten an. Erst jetzt bemerkte er es. Im Verhältnis zum Samurai stand Jiroushin ganz anders, seine gesamte Körperhaltung erinnerte Zorro daran, wie Kanan ihm versucht hatte das Tanzen beizubringen, aber selbst sie hatte dabei nicht so elegant und selbstbewusst gewirkt wie Jiroushin.

Dieser lehnte in Zorros Arm, den Oberkörper in einer leichten Biegung, die fast an ein Hohlkreuz erinnerte, die Knie gebeugt, und grinste nun zu ihm auf. Diese Position musste ungeheuer unbequem sein und Zorro fragte sich, wie der andere so selbstverständlich die Balance halten konnte. Er zweifelte arg daran, dass er seinen Körper so verbogen hatte, als der Samurai ihn geführt hatte. Er zweifelte daran, dass er sich überhaupt so verbiegen konnte.

„Unser lieber Hawky hier ist nicht der einzige aus gute Hause, weißt du? Und anders als er habe ich den zusätzlichen Privatunterricht sehr ernst genommen.“

„Und du gibst damit auch noch an?“, bemerkte Dulacre hinter ihm unbeeindruckt, ehe er Zorro wieder ansah.

„Du kennst die Schritte, Lorenor, also tanz sie.“ Der Samurai stellte sich hinter den Soldaten und schien auch dessen Schultern zu korrigieren. „Jiroushin kennt die Grundschritte und die verschiedenen Figuren natürlich auch, aber nicht die Choreografie, welche wir die vergangenen Tage zusammengestellt haben. Deine Aufgabe wird sein, ihn sauber durch die Choreografie hindurchzuführen, verstanden?“

Zorro nickte. Er hatte es schon unzählige Male mit Perona gemacht und fragte sich, warum die Übung heute anders sein sollte. Aber er hatte zugestimmt diesen Mist mitzumachen, also würde er das jetzt auch durchziehen.

Nach den ersten Schritten merkte er den Unterschied.

Jiroushin war leicht, es war als würde Zorro auf niemanden achten müssen, Perona war in den Schritten kaum sicherer gewesen als er selbst und Dulacre hatte er nicht mal bewegt bekommen, selbst wenn er gewollt hätte. Er hatte das Gefühl gehabt, dass es leichter gewesen wäre den Rivers Mountain per Hand zu bewegen als den Samurai.

Der Soldat hingegen schien zu reagieren, bevor Zorro überhaupt vorgab wo er hin wollte, als würde er seine Gedankengänge mit dem Observationshaki lesen. Es war einfach Jiroushin durch die Schritte zu führen und das obwohl Zorro alles andere als sicher war, fast schon so, als würde Jiroushin die Schrittfolge selbst kennen und sich nicht erst von Zorro zeigen lassen.

Fast war es so, als ob… Sie hatten die Drehung einen Schritt zu früh abgebrochen; hatte Zorro falsch gezählt? Die nächste Schrittfolge funktionierte wieder tadellos und da der Samurai nichts sagte konnte es genauso gut sein, dass Zorro sich den Fehltritt nur eingebildet hatte.

Was er sich hingegen nicht einbildete war das schelmische Grinsen des Soldaten in seinen Armen und irgendwie machte ihm das fast Angst und das schaffte noch nicht mal der Samurai.

Irgendetwas war hier faul.

Die gerade Linie aus fünf parallelgelaufenen Schritten war krummer als er geplant hatte, wodurch der Übergang für Zorro viel zu eng wurde und er beinahe über seine eigenen Füße stolperte.

Das missbilligende Zungenschnalzen des Samurais hallte durch den Raum, doch ansonsten blieb es ruhig. Ungewöhnlich ruhig, es passte gar nicht zum Älteren, dass er Zorro nicht alle zwei Sekunden korrigierte. Auf der anderen Seite war es nicht das erste Mal, dass Zorro von selbst den Weg herausfinden sollte.

Nach der nächsten Schrittfolge würden sie die untere Ecke der Tanzfläche erreichen und von dort eine strenge Diagonale zurück zur Mitte laufen, aber Zorro bemerkte etwas.

„Fällt es dir auf?“

Überrascht sah er zum Soldaten in seinem Arm hinab, der immer noch gefährlich grinste, während er in die Ecke nickte, die Zorro in den nächsten drei Schritten erreichen sollte, obwohl sie noch fast am anderen Ende waren.

„Weißt du, Zorro. Hawky hat dir gesagt, du sollst mich durch deine Choreografie führen.“ Obwohl sie nicht da waren, wo sie sein sollten, ging Zorro zum nächsten Element über und zog Jiroushin in die Schwebeposition. „Aber niemand hat gesagt, dass ich dir auch folgen würde.“

Im nächsten Moment machte Zorro einen Ausfallschritt nach hinten.

„Was?“ Sie hätten die Schwebeposition noch mindestens zwei Sekunden halten müssen, bevor sie in eine Drehung gehen sollten.

Zorro machte zwei weitere Schritte zurück und drehte sich dann um die eigene Achse.

„Bei einem Tanz gibt es ganz klare Regeln“, erklärte Jiroushin und sah zu ihm auf, „es gibt eine Schrittfolge, durch die der Partner dem Führenden hindurchfolgt. Der Führende bestimmt den Weg und der Partner passt sich an. Der Führende ist der stete Rahmen, in dem der Partner erblühen kann.“

Sie tanzten nicht mehr die Schritte der Choreographie und Zorro wusste nicht, wo er sie wieder aufnehmen sollte. Sie hatten ihre Tanzlinie schon seit langem verlassen und wenn er den Tanz einfach wieder dort fortsetzen wollte, wo sie unterbrochen hatten, würde die Schrittfolge sie geradewegs gegen die nächste Wand führen. Aber er war viel zu unsicher, um einfach eine neue Schrittfolge zu improvisieren, und Jiroushins Worte verstand er auch nicht.

„Ohne einen Führenden, kann der Partner nicht folgen, das heißt, wenn der Führende nicht führt…“ Plötzlich machten sie eine harte Linksdrehung und Zorro verlor das Gleichgewicht. „… muss der Partner die Führung übernehmen, um den Führenden zu helfen und um den Tanz zu vollenden.“

Zorro stolperte und fiel zu Boden.

„Aber in einem Kampf stehen sich nicht Partner gegenüber, sondern Gegner.“ Überrascht sah er zu Jiroushin auf, der über ihn thronte.  „Zorro, ich habe dich gerade besiegt.“

 

-Mihawk-

„Und nochmal.“

„Bist du sicher, Hawky? Er ist schon ziemlich fertig.“

„Egal. Nochmal.“

Mühselig erhob Lorenor sich. Schweiß rann seinen Körper hinunter und er hatte offensichtlich Mühe gerade zu stehen.

Dabei war die Aufgabe unglaublich simpel. Er sollte Jiroushin in drei Zügen besiegen. Wenn man bedachte, dass Lorenor Jiroushin mittlerweile überlegen war, sollte man eigentlich glauben, dass Lorenor leichtes Spiel haben sollte.

Natürlich hatte Lorenor noch nie gegen Jiroushin gekämpft während dieser seinen heißgeliebten Degen einsetzte, trotzdem sollte Lorenor ihn schnell besiegen können.

Aber dieser Tag und die drei vorrangegangenen zeigten, Lorenor konnte es nicht. Seine Fähigkeit war sich über den Verlauf eines längeren Kampfes stetig zu steigern, bis er seinen Gegner übertraf, aber gerade bekam er diese Zeit nicht und Jiroushin kannte tausende Angriffsmöglichkeiten und wusste wie man nicht in Muster verfiel.

Eins…Zwei… Lorenor lag wieder am Boden.

„Wir sollten es gut sein lassen“, bemerkte Jiroushin, doch Dulacre entging sein Grinsen nicht.

„Nein.“ Lorenor erhob sich schwer atmend und kratzte sich an der noch jungen Narbe im Gesicht. „Wir haben nur noch heute und morgen. Bis dahin muss ich es können.“

Damit hatte der Jüngste im Bunde nicht Unrecht. Jiroushin hatte eigentlich nur für ein paar Tage bleiben wollen, jetzt war er schon fast drei Wochen dabei Lorenor bei seinem Training zu unterstützten und offensichtlich wuchs das Heimweh nach seiner Frau und seinem Kind, außerdem konnte er gar nicht so viel Urlaubszeit haben, wie er hier auf Kuraigana verbrachte.

Lorenor entwickelte sich äußerst langsam im Bereich der Kampfführung. Es hatte lange gedauert, bis er es geschafft hatte seiner Aufgabe als Führender im Tanz gerecht zu werden und als Jiroushin dann entschieden hatte nicht mehr die Rolle des Partners zu übernehmen, sondern mit Lorenor um die Führung zu buhlen, war der Jüngere fast sofort wieder in seine alte Verhaltensform zurückgefallen.

Es war wie Jiroushin gesagt hatte, Lorenor hatte wahrscheinlich knapp fünfzehn Jahre seines Lebens damit verbracht diesen einen Kampfstil anzuwenden und nun verlangte Dulacre von ihm, dass er es innerhalb weniger Wochen änderte. Es war gewiss nicht leicht.

„Ich stimme Jiroushin zu, Lorenor, deine Angriffe werden langsam einseitig und vorhersehbar. Du hast noch drei Versuche, ansonsten beenden wir es für heute.“

Der Jüngere nickte nur, ging in Kampfposition und auf Dulacres Zeichen griffen die Kontrahenten an.

Wieder lag Lorenor am Boden und Dulacre seufzte laut auf.

„Weißt du“, murmelte Jiroushin ihm zu, „irgendwie ist es äußerst befriedigend, dass ich ihn immer noch so leicht besiegen kann, obwohl er mittlerweile so gut ist.“

Es überraschte Dulacre nicht im mindesten, dass Jiroushin Lorenors tatsächliche Stärke auch schon bemerkt hatte, aber es machte es ihm gleichzeitig auch schwerer, dass er im Begriff war Jiroushins erwachenden Kampfeswillen im Keim zu ersticken.

Er nickte seinem Freund nur zu und ging dann zu Lorenor, der immer noch am Boden kniete und sich das Blut von der neuen Wunde wischte. Er hockte sich neben seinen Schützling.

„Du verstehst immer noch nicht, was dir dieser Kampfstil bringen soll, nicht wahr?“

Lorenor sah ihn von der Seite her an.

„Doch, doch, ich muss den Kampf kontrollieren, damit ich ihn beenden kann wann immer ich will und mich nicht unnötig…“

„Du wiederholst nur meine und Jiroushins Worte, aber was sie bedeuten hast du nicht verstanden, oder?“

Er lehnte sich vor und nahm Lorenor das Kitetsu aus der Hand. Es war ein widerspenstiger Geist, ließ sich weder brechen noch beherrschen, wünschte Dulacre gerade den Tod and den Hals, und doch konnte Lorenor es gut führen. Dulacre’s Schützling war äußerst widersprüchlich.

„Ich möchte dich an deinen Kampf mit Nataku erinnern.“ Dulacre kannte die Einzelheiten aus den Akten und aus seinen Gesprächen mit Lorenor selbst und dem damaligen Kommandanten der G6, der die Strohhüte gefangen genommen hatte, außerdem kannte er den Kampfstil der kalten Klinge der Gerechtigkeit nur zu gut. „Wie viele Angriffe hat er gebraucht, um dich mit einer - seiner Meinung nach tödlichen - Verletzung zu versehen?“

Lorenor wandte den Blick ab, schien offensichtlich nachzudenken.

„Insgesamt sieben Mal“, murmelte er leise. „Aber eigentlich weniger. Die ersten drei Hiebe hätten locker ausgereicht. Ich hab spätestens beim dritten Angriff bemerkt, dass er mir überlegen war, er wusste es wahrscheinlich schon nach dem ersten.“

„Natürlich, du warst ihm damals nicht ansatzweise gewachsen.“

Lorenor sah ihn an.

„Ich hab nach dem dritten Angriff ernst gemacht“, gestand er ein, sich wahrscheinlich nicht einmal bewusst, dass dies ein Geständnis war, „und ab dann hat er auch ernst gemacht und nach drei Angriffen hatte er mich. Es wären weniger gewesen, wenn Ruffy nicht eingegriffen hätte.“

Dulacre zog Lorenor auf die Beine.

„Und hätte er von Anfang an ernst gemacht, hätte er dich nicht unterschätzt, würde die G6 heute wahrscheinlich noch stehen.“

Er konnte sehen, dass Lorenor nachdachte, versuchte zu begreifen worauf Dulacre hinauswollte.

„Du musst jeden Angriff so angehen, als würde das Leben deiner Crewmitglieder davon abhängen. Warte nicht erst drei Schläge ab, denn das sind die entscheidenden.“

Er zeigte mit Lorenors Schwert auf Jiroushin, der überrascht den Degen anhob.

„Das dort ist dein Gegner. Er braucht kaum drei Angriffe, um dich zu besiegen. Nataku hat sieben gebraucht, weil er nicht ernst gemacht hat. Wer also wird den übrigen vier Angriffen standhalten müssen? Der Smutje? Nico Robin? Der junge Doktor, den du so magst? Oder dein Kapitän? Nachdem dein Gegner dich in drei Zügen ausgeschaltet hat, wird er sich deiner Crew annehmen.“

Lorenor sah zum Vizeadmiral hinüber und nahm sein Schwert wieder entgegen; sein Blick hatte sich verändert, da war dieser Kampfgeist, mit dem Lorenor damals auch ihn angesehen hatte. Plötzlich verstand Dulacre, warum er solange gebraucht hatte, um Lorenors Schwäche zu sehen, denn wenn der Jüngere ihm gegenüberstand, hatte er sich nie zurückgenommen, und jetzt sah er Jiroushin mit genau dem gleichen Blick an, nein, es war nicht genau der gleiche Blick, er wirkte fast noch intensiver, als wäre die Zerstörungskraft eines ganzen Waldbrandes auf eine einzige Flamme konzentriert. Die Kontrolle, die er dem Jüngeren die letzten Monate eingetrichtert hatte, würde sich nun endlich bezahlt machen. Fast schon konnte Dulacre das Knistern hören, als er das Feuer im Auge des anderen sah, grinsend fuhr Dulacre fort.

„Also warte nicht darauf, dass dein Gegner ernst macht. Greif ihn von Anfang an mit dem Willen an ihn zu besiegen, denn wenn du es nicht tust, wird er es tun, und wer wird dann deine Crew beschützen?“

Der Jüngere entgegnete nichts, sondern ging in Kampfposition. Jiroushin warf Dulacre einen fragenden Blick zu, machte sich jedoch ebenfalls bereit. Auf Dulacres Zeichen griffen beide an.

Hart schlug Jiroushin zu Boden, Lorenors Klingen direkt an seinem Hals.

„Was zur…?“

Langsam klatschte Dulacre Beifall während Lorenor über dem erschrockenen Jiroushin aufragte. Manchmal war sein Schüler wirklich leicht zu durchschauen, hätte er doch nur mal früher daran gedacht dessen Beschützerinstinkt herauszufordern, dann hätten sie sich einige frustrierende Stunden ersparen können.

„Herzlichen Glückwunsch, Lorenor. Gerade hast du zum ersten Mal in deinem Leben einen Kampf geführt und gewonnen. Du gehörst nun zu den besten Schwertkämpfern der Welt.“

Offensichtlich überrascht wandte der Jüngere sich zu ihm um.

„Was?“

Dulacre konnte ein Lächeln nicht verbergen während er die Arme verschränkte.

„Du hast gerade Cho Jiroushin, den friedvollen Krieger und Verfechter des Degens, einen der fünf besten Schwertkämpfer der Welt, besiegt.“

Schwerfällig richtete sich Jiroushin im Hintergrund auf.

„Hör auf darüber auch noch so dämlich zu grinsen“, murrte er und streckte sich schwerfällig, „das war ein Sieg. Wie oft habe ich Zorro vorher besiegt?“

„Nun dann“, nahm Dulacre den zugeworfenen Ball nur zu gerne auf, „Lorenor, du sagtest du wolltest mich mindestens eintausendmal besiegen? Fang mit Jiroushin an. Nie mehr als drei Angriffe, verstanden? Beweise ihm, dass du ihm überlegen bist.“

„Hey, du warst mein Trauzeuge und bist der Patenonkel meines Kindes. Könntest du zumindest so tun, als würde dir das ganze hier nicht einen riesigen Spaß bereiten?“

Dulacre wollte etwas entgegnen, doch dann sprach Lorenor endlich.

„Dieser… Kampfstil, er fühlt sich anders an“, murrte er und schluckte schwer. „Muss ich von nun an immer so kämpfen?“

Diese Frage überraschte Dulacre nicht. Ihm war sehr wohl bewusst, dass diese Art des Kämpfens weniger reizvoll war als Lorenors, gleichzeitig entstand ein ungemeiner Druck für den Kämpfer. Dieser Kampfstil verlangte deutlich mehr Konzentration und Kontrolle als Lorenors bisherige, spielerische und leichtfertige Art.

„Ja, zumindest für die nächste Zeit.“ Der Jüngere entgegnete nichts. „Du musst lernen dich und den Kampf jederzeit und in jeder Situation kontrollieren zu können. Erst wenn dir das gelingt, kannst du auch wieder riskantere Taktiken anwenden und Spaß haben.“

Lorenor seufzte genervt.

„Wie soll das denn möglich sein? Jiroushin reist morgen ab.“

Er zuckte nur mit seinen Schultern.

„Na dann, nutze die Zeit, die dir noch bleibt, sonst wirst du noch ein langes Jahr vor dir haben.“

Einen Moment atmete der Jüngere tief ein und rieb sich mit dem Armrücken über die verschwitzte Stirn. Dann nahm er sein Schwert wieder in den Mund und richtete Kitetsu auf Jiroushin.

„Bist du bereit für eintausend Niederlagen?“

Der Blondschopf ging schwerfällig in Kampfposition.

„Ihr zwei seid wahnsinnig. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?“

 

Sie kämpften wohl die ganze Nacht hindurch. Dulacre konnte es nur vermuten, da er selbst sich für ein paar Stunden Schlaf zurückgezogen hatte, doch als er zurückgekommen war, hatten die beiden wohl nicht eine Minute aufgehört.

Während die ersten Sonnenstrahlen durch die sanften Nebelschwaden brachen knieten beide Schwertkämpfer auf dem Boden, schwer am Atmen, blutig und schmutzig. Dulacre hatte natürlich Recht behalten. Nun, da Lorenor verstanden hatte was es bedeutete von Anfang an einen Kampf zu kontrollieren und er sich nicht mehr zurückhielt, zeigten sich seine Qualitäten. Nicht einmal mehr hatte Jiroushin ihn besiegen können, trotz seines Degens und seiner jahrelangen Erfahrung.

„Okay“, hechelte Lorenor mit einem halben Grinsen und ließ sich auf den Hosenboden fallen, „bereit für Runde zwei?“

„Davor brauche ich eine Pause“, murrte Jiroushin ebenso am Schnaufen und rieb an einem neuen Schnitt am Oberarm.

„Ihr beide macht eine Pause. Lorenor du musst dich umziehen, wenn du dich verwandelst, und ihr beide solltet etwas essen. Jiroushin, wann wirst du abgeholt?“

Einvernehmlich gingen sie zum Schloss zurück und Dulacre schickte den Jüngsten im Bunde ins Bad, während er sich ins Kaminzimmer zurückzog und in seinem Lieblingssessel die Zeitung lag.

Das Marineschiff, welches Jiroushin aufsammeln sollte, würde am frühen Abend eintreffen; es blieb also noch genug Zeit damit Lorenor auch in seiner weiblichen Gestalt gegen den Vizeadmiral kämpfen konnte.

„Mann, bin ich fertig.“ In sauberen Klamotten kam genannter Blondschopf ebenfalls ins Kaminzimmer, während er sich den Nacken rieb. „Das ist einfach nichts mehr für mein Alter. Den ganzen Tag trainieren ist ja eine Sache, aber dann noch die Nacht durchmachen… ich weiß ja nicht.“

Schwerfällig ließ er sich auf einen Stuhl nahe dem Feuer fallen. Dulacre beobachtete ihn aufmerksam. Fast schon beneidete er den anderen dafür, dass er die ganze Nacht gegen Lorenor gekämpft hatte.

„Echt schockierend, wie schnell Zorro so gut geworden ist“, murmelte Jiroushin nun und sah zu Dulacre hinüber. „Ich meine, vor gut einem Jahr hatte er noch keine Chance und heute… tja, die neue Generation ist auf dem Vormarsch, daran gibt es keinen Zweifel.“

Der andere hatte Recht. Vor gut einem Jahr war Lorenor auf Sasaki aufgetaucht, wenige Tage zuvor hatte Nataku ihn vernichtend geschlagen. Doch er hatte nur elf Monate hartes Training auf Kuraigana gebraucht, um mit Jiroushin gleichziehen – nein – ihn übertreffen zu können.

„Du weißt, dass ich schon des Öfteren Übungskämpfe gegen Nataku gewonnen habe?“, bemerkte Jiroushin nachdenklich, als hätte er über genau das gleiche nachgedacht.

Dulacre nickte und blätterte eine Seite um.

„Natürlich. Du bist ja auch der bessere Schwertkämpfer von euch beiden.“

„Hör auf dich über mich lustig zu machen.“

Nun sah er doch auf.

„Oh nein, Jirou, du weißt zu Scherzen liegt mir nicht. Deine Kontrolle ist der von Nataku weit überlegen und sowohl strategisch als auch technisch gesehen übertriffst du ihn.“ Er senkte seinen Blick wieder auf die Nachrichten der Welt, ganze vier Seiten waren den neuen Rookies gewidmet, die wohl vor kurzem das Sabaody Archipel erreicht hatten. „Er ist mental etwas robuster würde ich meinen und auch physisch stärker als du, wobei er wohl altersbedingt dieses Level nicht mehr lange halten sollte, so wenig wie er trainiert, aber du bist ihm nur aus einem einzigen Grund nicht ebenbürtig.“

„Mein Kampfeswille“, seufzte der Blonde einsichtig ehe er zu Dulacre hinüberkam und sich auf Lorenors Sofa fallen ließ. „Ich bin in einem echten Kampf nie darauf aus meinen Gegner zu töten, Nataku auf der anderen Seite…“

„Genug über ihn, Jiroushin. Ja, mir ist bewusst, dass Lorenor ihn vermutlich besiegen könnte, unter Aufbringung all seiner Kräfte in einem erbitterten Kampf, der ihn vielleicht sogar sein Leben kosten könnte. Nein, er ist mir noch lange nicht ebenbürtig und nein, du brauchst dich nicht dafür zu rechtfertigen, dass du kein geborener Krieger bist. In Anbetracht deiner familiären Lage ist es vielleicht sogar besser, dass du nicht so dem Kampf verfallen bist wie ich.“

Der andere reagierte nicht und so las Dulacre weiter.

„Ich dachte immer, du würdest es nicht gutheißen“, meinte Jiroushin schließlich nach mehreren Minuten der Stille. „Ich dachte immer, dass du mich für schwach halten würdest, weil ich nicht so gerne kämpfe wie du.“

Dulacre sah noch nicht mal auf.

„Was für ein Irrsinn“, bemerkte er kühl, „ich habe dich nie für schwach gehalten, Jiroushin. Deine Prinzipien widersprechen den meinen und deine Gutmütigkeit fordert oft meine Geduld, aber einen Kampf zu beenden bevor er überhaupt begonnen hat erfordert wohl ebenso viel Mut ein, wie einen Kampf einzugehen, vielleicht sogar noch mehr. Es ist wohl einfacher jemanden das Genick zu brechen als von der eigenen Meinung zu überzeugen, so zumindest meine eigene Erfahrung.“

„Du bist ein furchtbarer Mensch, Hawky.“

„Sag mir etwas, das ich nicht weiß. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mir eine Vorbildposition aufgeschwatzt hast.“

„Du hättest ja ablehnen können.“

„Und deinen ewigen Zorn auf mich ziehen? Ich bitte dich…“

Jiroushin neben ihm lachte leise auf und auch Dulacre konnte ein Grinsen nicht verhindern während er eine weitere Seite umblätterte.

„Ganz ehrlich“, sprach der Vizeadmiral weiter, „jetzt gerade hier, mit dem Training und so… ich verstehe dich.“

Überrascht schaute Dulacre den anderen an, der mit einem schiefen Grinsen seine Hände betrachtete.

„Verdammt noch mal, dieser Piratenjäger…“ Er schüttelte den Kopf. „Es sollte mir gleich sein, dass er mich so schnell überholt hat, aber es regt mich richtig auf.“

Plötzlich sah er zu Dulacre hinüber.

„Wenn Zorro einen so angrinst, dann will man doch nur kämpfen. Ich verstehe gar nicht, wie du es aushältst nicht gegen ihn anzutreten. Meine Finger kribbeln jetzt noch und ich kann es kaum erwarten, gleich wieder mit ihm die Klingen zu kreuzen.“

Leise lächelnd faltete der Samurai seine Zeitung.

„Das ist also der Grund, warum du es hier solange ausgehalten hast. Ich war schon überrascht, dass du Frau und Kind solange allein lassen konntest.“

„Ja, wirf es mir auch noch vor“, lachte Jiroushin und warf sich auf dem Sofa auf den Bauch, um Dulacre besser ansehen zu können. Wieder mal wirkte er wie ein junger Bursche und nicht wie ein erwachsener Mann. „Ich bin so fertig und mein ganzer Körper tut mir weh, aber die ganze Zeit denke ich nur darüber nach, wie ich mein Training optimieren könnte. Muskeltraining, natürlich, aber ich muss auch meine Ausdauer verbessern, wenn ich mit Zorro noch mithalten möchte. Ich muss entschlossener werden und auch riskieren, mein Gegenüber zu verletzen, aber…“

Auf einmal schwieg der Blondschopf.

„Was tue ich hier eigentlich? Ich habe eine Familie, einen festen Job. Die Zeiten des wilden Kampfes liegen lange hinter mir. Ich…“ Kopfschüttelnd erhob er sich. „Ich beneide dich fast, Hawky.“

Jiroushin sah zu ihm hinab.

„Fühlst du dich immer so, in seiner Gegenwart? Erweckt er dieses Feuer in dir? Hast du ihn deshalb damals verschont?“

Langsam erhob sich auch Dulacre und legte die Zeitung auf den Beistelltisch.

„Sei vorsichtig, Jiroushin. Diese Flammen verzehren alles was sich ihnen in den Weg stellt.“

Dann ging er zur Türe, die gerade von Lorenor aufgestoßen wurde, nun in seiner weiblichen Gestalt, ein unnatürlich breites Grinsen auf den Lippen.

„Komm schon, Jiroushin. Lass uns kämpfen.“

Dafür, dass Lorenor bereits die ganze Nacht durchgemacht hatte – und grundsätzlich eher der schweigsame Typ Mensch war – zeigte er gerade sehr deutlich, wie sehr er kämpfen wollte.

Ja, es war ansteckend.

Sich gegenseitig zunickend folgten sie dem Jungspund.

Nun zeigte sich der Unterschied zwischen Lorenors beiden Gestalten noch deutlicher. Hatte Jiroushin kaum eine Chance gegen Lorenor Zorro gehabt, konnte er sich gegenüber Lady Loreen problemlos behaupten.

Aufmerksam beobachtete Dulacre die wohl zwei wichtigsten Menschen in seinem Leben.

Ich verstehe gar nicht, wie du es aushältst nicht gegen ihn anzutreten.

Jiroushin hatte den Finger genau in die Wunde gelegt. Dulacre wollte kämpfen, richtig kämpfen. Die letzten Jahre hatte er seinen steten Hunger fast vergessen, er war nicht mehr als ein dumpfes Pochen in seinem Hinterkopf gewesen, aber je besser Lorenor wurde, desto mehr gierte es Dulacre nach ihm.

Aber er wusste genau, dass er es bereuen würde, wenn er seine Geduld aufgeben würde. Glücklicherweise war er immer noch Herr seiner Entscheidungen und auch wenn er sich danach verzehrte Lorenor im Kampf niederzustrecken, so wollte er doch mehr als nur ein einziges Mal gegen ihn kämpfen. Er wollte ihn nicht verlieren! Und das aus so vielen vernünftigen und unvernünftigen Gründen.

Dulacre erhob sich und schritt nach vorne. Überrascht unterbrachen die beiden Kontrahenten ihren Kampf und sahen ihn an.

„Hawky, was ist denn?“

„Lorenor, gib mir dein Schwert“, befahl er kühl, ohne den Jüngeren anzusehen.

„Was? Wofür?“

Wie immer als Loreen kämpfte Lorenor mit Josei, welches er ihm nun widerstrebend reichte.

„Geh zur Seite, nicht, dass du verletzt wirst.“

„Was? Wovon redest du?“, murrte sein Wildfang unzufrieden und bewegte sich keinen Millimeter.  Mit verschränkten Armen sah er zum Samurai auf. „Es sind nur noch ein paar Stunden, bis Jiroushin abreist und ich habe ihn noch nicht besiegt.“

Besiegt?“, wiederholte Jiroushin auflachend. „Ganz ehrlich, so schwach bin ich dann doch nicht.“

„Du wirst ihn heute nicht mehr besiegen, Lorenor, und du hast genug gekämpft, deine Bewegungen werden unsauber.“

„Aber…“

„Schweig und geh zur Seite.“

Mit ausgestrecktem Arm unterstrich Dulacre seine Entschlossenheit.

„Jiroushin, wie fühlst du dich? Glaubst du, du hältst noch eine Runde aus?“

Er sah zu seinem besten Freund hinüber, der kurz den Kopf zur Seite lehnte und ihn nachdenklich betrachtete, dann seufzte er und ging mit einem leichten Grinsen in Kampfposition.

„Sei nicht zu hart zu mir, in Ordnung?“

„Was?“ Offensichtlich verwirrt sah Lorenor zwischen ihnen hin und her. „Was bedeutet das?“

„Heute, Lorenor, werde ich dir zeigen, wie ich kämpfe.“ Er sah wie die kindlich großen Augen noch eine Spur größer wurden und Lorenor einen Schritt zurückmachte. „Du wolltest mich doch immer mal in Aktion erleben, hier ist deine Chance.“

Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als Lorenor wortlos mehrere Schritte zurückging.

„Natürlich werde ich dir nicht mein ganzes Können seigen können. Das würde weder diese Insel noch mein Gegner überstehen…“

„Vielen Dank auch“, warf Jiroushin mürrisch ein.

„…aber vielleicht wird es dir eine gute Vorbereitung sein.“

„Eine Vorbereitung? Worauf?“, hakte Lorenor direkt nach.

Doch anstatt zu antworten, wog Dulacre Josei einen Moment in seinen Händen, schon lange hatte er nicht mehr mit ihm gekämpft, dreißig Jahre würden es wohl sein.

Ich bin nicht mehr der kleine Junge von damals, Josei, also glaube nicht, dass ich mich von dir kontrollieren lasse.

Während er tief ausatmete verschwand die Hitze der Klinge und Josei beugte sich seinem Willen. Dann richtete Dulacre sich auf, richtete die Klinge in seiner rechten Hand neben sich gen Boden und erwartete Jiroushin mit offenen Armen.

„Nun denn, Jirou. Lass uns dem Jungspund eine Show bieten.“

„Wie du willst.“

Im nächsten Moment griff der Blondschopf ihn an.

Ah, da war es. Dulacre hatte sich nicht geirrt und ein Blick aus seinem Augenwinkel verriet ihm, dass Lorenor es auch bemerkt hatte. Jiroushin kämpfte anders!

Mit Leichtigkeit wich Dulacre dem anderen aus, griff ihn gleichzeitig an. Jiroushin parierte seinen Angriff und rutschte einige Schritte zurück, eilte wieder nach vorne ohne Scheu. Mehrfach wendete Dulacre den Degen mit seinem Schwert ab und drängte Jiroushin zurück. Doch dieser ließ sich nicht beeindrucken, sprang über Dulacre hinweg und nutzte den Sekundenbruchteil, den Dulacre zum Umdrehen brauchte, um zur Seite zu springen und ihn anzugreifen.

Nur ein Ausfallschritt erlaubte ihm dem Degen zu entgehen, aber dadurch hatte er seine Deckung einen Spalt öffnen müssen und Jiroushin nutzte dies gnadenlos aus.

„Na komm, Hawky. Ein Anfänger könnte sehen, dass du mich hier tanzen lässt. Ich dachte wir wollten deinem Wildfang eine Show bieten.“

Ob Jiroushin es selbst bemerkt hatte? Er kämpfte viel freier als sonst, deutlich weniger bedacht, als hätte er wirklich Spaß daran gefunden. Die vergangenen Wochen, in denen er hatte helfen und vereiteln sollen, dass Lorenor führte, hatte er ganz offensichtlich seine eigenen Führungsqualitäten neu entdeckt.

Konnte es sein, dass Jiroushin endlich im Begriff war zu verstehen?

Und dann boten sie Lorenor eine Show. Für Dulacre war es ungewohnt so viel Rücksicht gegenüber seinem Gegner zu üben und ihn gleichzeitig so nahe an dessen Grenzen zu bringen. Aber er kannte Jiroushin gut, konnte ihm ansehen, wie weit Dulacre gehen konnte, ohne ihn zu gefährden und trotz allen Spaßes konnte Jiroushin Dulacres Kontrolle nun mal nicht gefährden.

Nach mehreren Stunden beendete Dulacre den Kampf mit einem eindeutigen Sieg, als er merkte, dass Jiroushin wohl seine letzten Reserven anzapfen musste. Zu seiner Überraschung war Lorenor im Anschluss sehr ruhig, im Gegensatz zum gutgelaunten Jiroushin, der sich über seine schmerzenden Knochen und seinen schwitzigen Körper beschwerte.

Dulacre selbst musste gestehen, dass er auch besser gelaunt war als zuvor. Wenn Jiroushin so kämpfen konnte machte es ihm fast schon Spaß mit ihm zu spielen und ein bisschen körperliche Betätigung war nun mal gesund für Geist und Körper.

Nachdem sie alle geduscht und saubere Klamotten angezogen hatten – und Jiroushin seine Habseligkeiten in die Eingangshallte gebracht hatte – genossen sie noch ein gemeinsames Abendessen mit Perona, bevor der Vizeadmiral aufbrechen musste.

Spät am Abend saßen Dulacre, Lorenor und Perona noch am Feuer, ehe sie sich schließlich zur Nachtruhe verabschiedete.

Aus dem Augenwinkel beobachtete er den Jüngeren. Er war nun noch schweigsamer als sonst. Ob es ein Fehler gewesen war ihm zu zeigen, was ihm noch bevorstand?

Nein, wenn Lorenor sich davon brechen lassen würde, hätte er es nie soweit geschafft. Trotzdem beunruhigte es Dulacre, dass er noch nicht ein Wort über diesen Kampf verloren hatte.

Dulacre schloss das Buch in seinem Schoß und betrachtete seinen Wildfang ganz unverhohlen. Im Schein des hellen Kerzenlichts wirkte sein Blick noch feuriger als während eines Kampfes und das, obwohl er ganz ruhig die Seiten vor sich verfolgte.

Sie hatten schon fast ein Jahr zusammen trainiert und sein Herz wurde schwer bei dem Wissen, dass ihm kaum mehr die gleiche Zeit mit Lorenor bleiben würde.

Jiroushin hatte Recht, es war grausam, aber er bevorzugte diesen Schmerz. Wie sagte Lorenor immer so treffend, Schmerz zeigte einem, dass man noch am Leben war.

Mittlerweile hatte Dulacre mit seinen Gefühlen Frieden gefunden. Er würde sie nie offen ausleben können, das war ihm bewusst, würde sie nie offen Lorenor gegenüber zugeben können, aber wenn sie nach einem so erfüllenden Tag hier im Kerzenlicht saßen, dann war er glücklich, so unvorstellbar glücklich.

Nie hätte er gedacht, so fühlen zu können und wenn er dieses Glück noch ein weiteres Jahr fühlen durfte, dann war er bereit auch den Preis dafür zu zahlen.

„Ist was?“ Lorenor sah auf, im Licht der Flammen wirkten seine Wangen gerötet. „Du starrst mich die ganze Zeit an.“

„Du bist noch schweigsamer als für gewöhnlich, Lorenor, und ich bin besorgt, ob es an meinem Kampf gegen Jiroushin liegen könnte“, verschwieg Dulacre geschickt seine wahren Beweggründe.

Der Jüngere sah einen Moment weg, dann schloss er sein Buch ebenfalls und nickte langsam.

„Ich denke viel darüber nach“, gestand er leise ein, „ich frage mich, warum du es mir gezeigt hast.“

Ein Hochgefühl stieg in Dulacre auf, er stand auf und schritt zum Schachbrett hinüber, auf dem ihre derzeitige Partie ausgebreitet lag. Auf seinem Wink hin folgte ihm Lorenor.

„Eine ausgezeichnete Frage“, lobte er und sah den anderen an. „Und? Warum glaubst du habe ich es getan?“

Der Jüngere betrachtete ihr Schachbrett – er war seit knappen zwei Wochen am Zug – und verschränkte die Arme.

„Ich weiß es nicht wirklich. Dass du kämpfen willst ist mir klar, aber gegen Jiroushin kannst du nicht richtig kämpfen, nicht so wie du es gerne wölltest, oder? Du musst auf ihn Rücksicht nehmen.“ Nun sah Lorenor ihn an. „Außerdem hättest du die vergangenen Wochen jeden Tag gegen ihn kämpfen können, hast es aber nicht. Warum jetzt? Warum heute? Lag es nur an Jiroushin? Das glaube ich, um ehrlich zu sein, nicht. Ja, er war im Kampf gegen dich viel besser als gegen mich, als hättest du ihn angespornt. Aber du hast es nicht deswegen getan. Nein, sondern wegen mir.“

Neugierig hörte Dulacre seinem Wildfang bei seinen Gedankengängen zu.

„Ich dachte zuerst, dass du mich vielleicht einschüchtern wolltest. Damit ich nicht größenwahnsinnig werde, nur weil ich jetzt Jiroushin besiegt habe, aber das ist es nicht. Du weißt, dass ich mich von so etwas nicht beeindrucken lasse. Im Gegenteil, ich hab selbst immer noch gar nicht das Gefühl, mich so sehr verbessert zu haben und daher denke ich… Ich denke du wolltest mir zeigen, wie gut ich geworden bin, weil ich es sehen konnte. Weil ich den Unterschied zwischen euch sehen konnte.“

Laut atmete Dulacre aus, erleichtert, dass Lorenor es nicht nur bemerkt, sondern auch verstanden hatte.

„Ganz recht, Lorenor. Ich glaube du hast immer noch nicht begriffen, wie sehr du dich entwickelt hast. Ich glaube du denkst immer noch, dass du dich von deinem Ich von vor einem Jahr kaum unterscheidest, nicht wahr?“

Lorenor zuckte mit den Achseln und nickte langsam.

„Glaubst du, du könntest Nataku mittlerweile besiegen?“

Offensichtlich über diese Frage überrascht wandte der Jüngere den Blick ab.

„Keine Ahnung. Ich konnte ihn damals kaum einschätzen. Ich wusste, dass er mir überlegen war, aber um wie viele Lichtjahre…“ Erneut zuckte er mit den Schultern.

„Dann lass mich dir eine Antwort geben, Lorenor.“ Der andere sah ihn an. „Bevor dein erstes Jahr hier auf Kuraigana um ist, wirst du auch ihn übertroffen haben.“

„Was? Aber das sind nur noch ein paar Tage.“

„Ich weiß. Du bist in den letzten Monaten wirklich weit gekommen, viel weiter als ich dir zu Anfang zugetraut hätte, und doch glaub mir, du hast noch nicht mal die Hälfte des Weges geschafft, um es mit mir aufnehmen zu können. Aber das hast du natürlich heute gesehen.“

Er beobachtete, wie Lorenor eine Spielfigur – einen Läufer – nahm und sie neu positionierte.

„Ja, das habe ich“, murmelte er ruhig, „und du willst mir sagen, dass das was ich heute gesehen habe bereits Homuras Grenze ist?“

Dulacre nickte nur.

„Warum? Denkst du ich würde mich nun an ihm rächen, sobald ich ihm überlegen bin?“

„Aber nicht doch“, beschwichtigend hob er eine Hand. „Ich weiß doch, dass du nicht viel von Rache und derlei Gefühlen hältst.“

„Warum dann? Warum hast du ausgerechnet heute mir gezeigt wie du kämpfst? Worauf soll ich mich vorbereiten? Was hat das mit Nataku und Jiroushin zu tun?“

„Es ist ganz simpel Lorenor. Jiroushin ist hierfür nicht wirklich von Belang, seine Fähigkeiten sollten dir nur zeigen, wie weit du bereits gekommen bist. Nataku auf der anderen Seite ist Jiroushin von seiner mentalen und physischen Stärke überlegen und das ist relevant für dich.“

„Warum?“

Nun grinste Dulacre und er sah auf seinen Schützling hinab.

„Sobald du stark genug bist Nataku zu besiegen, bist du bereit.“ Lorenors Augen wurden groß. „Ab dann, Lorenor, werde ich dir beibringen, was der Unterschied zwischen Menschen wie uns und ihnen ist, und solltest du das durchhalten, solltest du wirklich vor Ablauf dieses Jahres gut genug werden, werde ich gegen dich kämpfen, und dich hoffentlich nicht ausversehen umbringen.“

„Was?“

Seine Schultern rollend ging Dulacre zurück zu seinem Sessel.

„Ich habe dir heute gezeigt, wie ich kämpfen kann, damit du dich drauf vorbereitest. Denn wenn du dachtest, dass das vergangene Jahr anstrengend war, hast du keine Ahnung was dich erwartet. Sobald du stark genug bist, werde ich aus dir einen Schwertmeister formen, wie die Welt ihn noch nicht gesehen hat. Du wirst dem Tod in den kommenden Monaten öfters ins Gesicht blicken als in deinem bisherigen Leben. Ich werde dir zeigen, warum die Kluft zwischen den anderen Schwertkämpfern und mir so unüberbrückbar ist. Ich werde dir zeigen, wie du die Grenzen des Menschenmöglichen überschreitest, denn nur so kannst du mir ebenbürtig werden.“

„Aber…“ Lorenor folgte ihm und sah ihn fast schon zögerlich an. „Also nicht, dass ich mich beschweren will oder so, aber du hast immer gesagt, dass du auf keinen Fall gegen mich kämpfen würdest, ehe ich nicht stark genug wäre dich zu besiegen. Weil du mich ausversehen umbringen könntest, wenn du die Kontrolle verlierst, das hast du gerade selbst noch gesagt. Und jetzt willst du es doch tun? Warum?“

Dulacre lehnte sich nach vorne.

„Weil ich ungeduldig werde. Ich dachte mir fünf Jahre seien eine überschaubare, realistische Zeit, aber nach heute… Lorenor, du wirst mich bis zum Ende deines Aufenthalts hier nicht besiegen, aber wenn du Kuraigana verlässt wird es neben mir kaum einen Schwertkämpfer geben, der dich noch besiegen könnte, das verspreche ich dir.“

Er beobachtete Lorenors Reaktion, wie er nachdenklich von Dulacre zum Schachspiel, dann zum Feuer, zum Buch neben ihm, seine Hände und dann wieder zu Dulacre hinübersah. Er hatte etwas anderes erwartet, verschmitzte Energie oder unbeeindruckte Gleichgültigkeit, aber wieder einmal reagierte Lorenor nicht nach seiner Annahme.

„Ich will dich besiegen“, sagte er schließlich.

„Wenn du in einem Jahr diese Insel verlässt, wird dir nur noch eine Eigenschaft fehlen, um mich zu besiegen, aber da ich dir diese eine Eigenschaft nicht beibringen kann, wirst du sie dir selbst aneignen müssen, und danach wirst du zurückkommen und mich besiegen.“

„In Ordnung.“ Lorenor stand auf. „Dann lass uns morgen mit diesem ultimativen Training anfangen.“

Überrascht sah er auf.

„Lorenor, ich sagte doch gerade…“

„Ich habe dich gehört. Aber du bist nicht der einzige, der ungeduldig wird. Ich beherrsche Haki, bin mein eigenes Monster geworden, habe Führen gelernt und meinen Körper perfektioniert. Ich bin bereit. Ich bin bereit das Menschenmögliche hinter mir zu lassen und dich zu besiegen.“

Die Hitze in Dulacres Inneren war beinahe unerträglich. Schon wieder ging der Jüngere diesen einen Schritt mehr.

Grinsend erhob er sich, doch dann wurde er Herr seiner Gefühle.

„Dann ab ins Bett mit dir, Lorenor. Du wirst den Schlaf brauchen, wer weiß, wann du noch mal die Chance dazu haben wirst.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: RuffysKreationen
2020-02-03T16:24:30+00:00 03.02.2020 17:24
Ouh, das klingt nach einem super Training! *___*
Cool, dass Mihawk auch endlich mal kämpft!!! Woohoo!
Antwort von:  Sharry
09.02.2020 19:27
Ja, es ist ja auch das ultimative (!!!!) Training ;-)
und ich bin auch dafür, dass wir den alten Herrn mal ans Schwitzen kriegen

LG
Antwort von: RuffysKreationen
10.02.2020 16:38
JAAAAAAAAAAAAAAAAA! :D


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