Eine erbarmungslose Entscheidung von Sharry ================================================================================ Kapitel 36: Kapitel 34 - Sekunde -------------------------------- Kapitel 34 - Sekunde   -Zorro- „Wo gehst du hin?“, hörte er den anderen ihm hinterherrufen, als Zorro die Tür öffnete und sich zum Gehen wandte. „In die Küche, da gibt‘s noch mehr Alkohol.“ Mihawk schnaubte leise. „Du hast eine Flasche feinsten Whisky getrunken und den Absinth, reicht das nicht in Anbetracht deiner monatelangen Abstinenz?“ „Sagt der Kerl, der mal eben sechs Flaschen Plörre im Alleingang getrunken hat.“ Zu seiner Überraschung folgte der Ältere ihm tatsächlich und begleitete ihn in die verlassene Küche. Perona war offensichtlich schon schlafen gegangen und die alte Uhr über dem noch älteren Herd verriet Zorro, dass es schon bedeutend später war als angenommen. Während Zorro die Küche nach Snacks durchforstete brachte der Samurai mehrere Flaschen zum Arbeitstisch, ehe Dulacre sich mit einer Schale von Nüssen auf die Küchenzeile setzte. „Da sind auch Stühle“, murrte Zorro und zog sich einen von denen zur Rate; auf einen weiteren warf er seine Füße, ehe er nach einer Flasche griff. „Die sind mir zu unbequem. Warum gehen wir nicht ins Kaminzimmer?“ Mit erhobener Augenbraue drehte Zorro sich zu ihm. „Jetzt sitze ich, also bleiben wir hier.“ Mihawk entgegnete nichts, sondern begann damit die Schale mit Nüssen zu leeren. „Was wollte Homura eigentlich?“, fragte Zorro und kaute auf einem alten Reisbällchen herum. „Der ist doch mit Sicherheit nicht nur gekommen, um sich mit dir wegen deiner Schwester anzulegen.“ Aus dem Augenwinkel konnte er sehen wie der andere schmunzelnd den Kopf schüttelte. Für eine gefühlte Ewigkeit schwiegen sie. Zorro war daran mittlerweile schon gewohnt. Der Samurai wollte halt nicht immer reden oder brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um seine Gedanken zu ordnen. Ihm konnte das nur recht sein, so hatte er zumindest Zeit seinen Alkohol zu genießen. Nach so einer Begrüßung hatte er das auch bitter nötig. „Es kann sein, dass mein Vater im Sterben liegt“, antwortete der andere gleichgültig und aß weiter Nüsse. „Oh, mein Beileid?“ „Nicht nötig, ich habe schon seit Jahren nicht mehr mit meinem Vater gesprochen und wüsste auch nicht, warum sich das nun ändern sollte.“ Zorro nickte zustimmend und beobachtete die goldene Flüssigkeit in seiner Flasche. „Du siehst das anders, Lorenor?“ Überrascht sah er auf. „Was? Nein, es ist nur...“ Zorro zuckte mit den Schultern. „Ja?“ Dulacre hatte seine Ellenbogen auf den Oberschenkeln abgestützt und sein bärtiges Kinn auf den gefalteten Händen abgelegt. Zorro seufzte. „Weißt du, geht mich ja nichts an und so, aber ich hatte auch nicht so das beste Verhältnis zu meiner Mutter. Mir ist schon klar, dass die Verhältnisse zu den Eltern manchmal echt kompliziert sein können, je nachdem wie viel Scheiße die halt gebaut haben, das Ding ist aber einfach...“ Erneut zuckte er mit den Achseln. „Wenn ich heute noch einmal die Chance hätte meiner Mutter gegenüberzustehen und ihr von meinem Leben zu erzählen, ich würde es wohl machen.“ Schmunzelnd nahm Zorro noch einen Schluck. „Sie wäre vermutlich ziemlich enttäuscht von mir. Piratenjäger, Pirat, gesuchter Verbrecher. Nicht besonders ehrenhaft.“ In Gedanken prostete er ihr zu. „Auf der anderen Seite bin ich ein verdammt guter Schwertkämpfer, ein Krieger und haben meinen eigenen Ehrenkodex und meinen Stolz. Also wer weiß, was sie sagen würde.“   -Mihawk- Er beobachtete Lorenor dabei, wie dieser von seiner Mutter sprach. Es klang ganz anders als wenn Dulacre an seinen Vater dachte. Der Jüngere schien tiefen Respekt vor ihr zu haben und dass obwohl sie ihn schon als Kind allein gelassen hatte. „Deine Mutter klingt wie eine beeindruckende Person“, murmelte Dulacre und sah wie Lorenor sich zu ihm umwandte. „Wie war sie so?“ Mit einem schiefen Grinsen nahm der Jüngere noch einen Schluck seines Getränks. „Um ehrlich zu sein, manchmal erinnerst du mich an sie.“ „Wie bitte?“ Nun lachte der andere leicht. „Oh ja, die gleiche Arroganz, ein bisschen zu eitel, ein bisschen zu eingebildet. Ziemlich hochnäsig und überheblich.“ Dem Samurai gefror sein Grinsen. Wie hatte der andere es geschafft die Darstellung seiner toten Mutter dazu nutzen zu können ihn zu beleidigen? „Aber sie war auch sehr selbstbewusst, stolz und voller Ehre.“ Es war ungewohnt Lorenor so reden zu hören, tiefer Respekt klang in seiner Stimme wieder und doch wirkte er äußerst kritisch. Ein bisschen erinnerte es Dulacre daran, wie wenn Lorenor von seinem Kapitän sprach, auch eine Beziehung, die Dulacre nicht nachvollziehen konnte, auch ein Mensch, der entgegen jedweder Logik Lorenor wichtig war. Dulacre beugte sich noch mehr vor. „Erzähl mir mehr von deiner Mutter, von deiner Kindheit.“ Der Jüngere zuckte mit den Achseln. „Gibt nicht viel zu erzählen. Bin in einem Tempel aufgewachsen, keine Ahnung wer mein Vater war, ist mir auch ziemlich egal. Die Mönche haben mich ausgebildet. Sie konnten meine Mutter verstehen, aber nicht selbst in ihrer Sprache reden. Durch sie habe ich lesen und schreiben gelernt. Als ich fünf oder so war sind meine Mutter und ich fort.“ Unbeeindruckt leerte Lorenor die Flasche in seiner Hand mit einem Zug. „Warum?“, fragte Dulacre nach. Es war selten, dass Lorenor so gesprächig war wie heute und das wollte er nutzen. Zum einen war Dulacre einfach neugierig mehr über die Vergangenheit seines Wildfangs zu erfahren; er hatte viele Fragen, die nur der Jüngere ihm beantworten konnte. Wer war seine Mutter gewesen? Warum sprach sie diese tote Sprache? Wie starb sie und was geschah danach mit Lorenor? Dulacre wollte verstehen, er wollte wissen, aber obwohl Lorenor nicht unbedingt ein Geheimnis um seine Kindheit machte, so war er einfach nicht der Mitteilungsbedürftigste. Auf der anderen Seite war Dulacre dankbar darüber die letzten Stunden vergessen zu dürfen, zumindest für den Moment. Zumindest für die nächsten Minuten konnte er diesen katastrophalen Tag ignorieren; wobei ihm natürlich bewusst war, dass er sich damit noch würde befassen müssen. Lorenor schien einen Moment zu überlegen, spielte mit der leeren Flasche auf dem Tisch, die Augen aufs kleine Küchenfenster gerichtet. Im Profil sah er nun wirklich nachdenklich aus. „Keine Ahnung warum“, murmelte Lorenor dann. „Eines Morgens sind wir einfach gegangen. Ich habe nie gefragt warum.“ Er schmunzelte leicht. „Es war die Entscheidung meiner Mutter und ich entschied mit ihr zu gehen.“ „Und wo seid ihr dann hin? Was geschah?“ Nun sah der Jüngere zu ihm herüber. „Du fragst ziemlich viel“, urteilte er mit hochgezogener Augenbraue. „Ich bin einfach nur interessiert“, entgegnete Dulacre und nahm sich erneut von den Nüssen. „Jaja, sicher.“ Der Jungspund schüttelte den Kopf, doch dann griff er sich noch eines der alten Reisbällchen und fuhr zwischen zwei Bissen fort. „Es ist keine spannende Geschichte, ganz ehrlich. Wir lebten in einer kleinen Hütte am Rande eines kleinen Dorfes auf irgendeiner kleinen Insel irgendwo im East Blue. Wir hatten nicht wirklich Geld und meine Mutter war zu stolz, um arbeiten zu gehen. Sie sagte immer, dass die Leistung eines Lorenors nicht in Geld aufzuwiegen sei und es sei entwürdigend für ein paar metallene Münzen den eigenen Körper zu verkaufen.“ Dulacre konnte jetzt schon verstehen, woher Lorenor seinen starken Willen hatte. „Nun ja, es ist schon verständlich, dass gestandene Frau nicht einfach ihren Körper...“ „Es ging nicht um solche Sachen“, unterbrach der andere ihn grob und rollte mit den Augen. „Meine Mutter hatte viele Fähigkeiten, all unsere Kleidung hatte sie selbst genäht und obwohl ich sie nie in Aktion gesehen habe, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie gut kämpfen konnte. Sie war diejenige, die mir alles über Selbstverteidigung und Angriff beibrachte was ich wusste, bevor ich Meister Koshiro begegnete. Sie war vielleicht keine Schwertmeisterin, aber ich glaube schon, dass sie eine Kriegerin war. Sie hatte diese typische Körperhaltung und katzenhafte Reflexe, aber benehmen tat sie sich eher wie arroganter Adel, also wie du halt.“ Neugierig beobachtete Dulacre den anderen und ignorierte den kleinen Seitenhieb. Ja, Mutter Lorenor hätte er zu gerne kennen gelernt. Mittlerweile schien der andere aufgetaut und sprach ganz frei. „Am Anfang haben die Leute im Dorf noch versucht uns zu helfen, aber meine Mutter hat das alles abgelehnt und sich auch geweigert deren Sprache zu lernen. Sie sagte oft ‚ein Lorenor bettelt nicht um Almosen‘ oder Dinge ‚wie Die Leute wollen doch mit mir reden, warum sollte ich also deren Sprache lernen?‘“ Dulacre lachte leise auf. Das hörte sich wirklich fast schon arrogant an und schon ein bisschen nach ihm. „Aber wir brauchten Geld zum Überleben, also habe ich mich schon sehr früh den Holzfällern des Dorfes angeschlossen, war wahrscheinlich am Anfang keine große Hilfe und trotzdem gaben sie mir jede Woche einen Lohn von 500 Berry.“ Der Jüngere hörte sich dankbar und stolz an, doch der Samurai wurde demütig. Ein kleiner Junge, der hart arbeiten gehen musste, weil die Mutter zu stolz dafür war, weil die Leistung eines Lorenors nicht in Geld aufzuwiegen sei. Noch vielmehr jedoch schockierte ihn der mickrige Lohn, den der andere anpries, wie sollten zwei Personen von 500 Berry eine Woche überleben? Insbesondere wenn man bedachte, dass allein schon die tägliche Zeitung vor 15 Jahren bereits 80 Berry gekostet hatte. Gerade wurde Dulacre zum ersten Mal bewusst was der Jüngere ihm bereits des Öfteren an den Kopf geworfen hatte; sie kamen wirklich aus komplett verschiedenen Welten. „Meine Mutter war davon alles andere als begeistert, aber es war nun mal meine Entscheidung.“ „Deiner Mutter schien das Durchsetzen des eigenen Willens sehr wichtig“, bemerkte er und entschied den fahlen Beigeschmack zu ignorieren. „Oh ja“, stimmte der Jüngere nickend zu. „Sie sagte mir immer, dass nur ich für mein Leben verantwortlich sei und dass ich jede Entscheidung ernst nehmen solle und egal was passierte, sie erhob immer ihren Zeigefinger und sagte: Bereue nicht, Ren, ein Lorenor bereut nie seine Entscheidung.“ „Ren?“, wiederholte Dulacre fragend. „Sie nannte dich Ren?“ „Ach so“, murmelte Lorenor und sah auf. „Ja, sie nannte mich nie bei meinem Namen, außer wenn andere im Raum waren. Sonst nannte sie mich immer nur Ren. Es war eine strenge Regel, dass ich sie Ni - also Mutter - nur nennen durfte, wenn wir unter uns waren, wobei ich selbst dann sie eigentlich immer Lo Ni nannte, was eine respektvolle Anrede ist. Sobald andere Menschen da waren, selbst bei den Mönchen, war sie immer nur Lorenor Zakuro.“ Das auf der anderen Seite kam Dulacre seltsam vertraut vor. Schmunzelnd erinnerte er sich daran, wie seine eigene Mutter ihn gescholten hatte, wenn er ihr nicht den nötigen Respekt entgegengebracht hatte. Schließlich hieß es Frau Mutter und Herr Vater und seit frühester Kindheit hatten seine Eltern ihn mit Sohn – oder Sohnemann, wenn es mal ganz herzlich sein sollte - angesprochen. Mit Ausnahme seiner Schwester und weniger anderer Leute, war er ansonsten schon immer der junge Herr gewesen. „Also bedeutet Ren so viel wie Sohn?“, fragte er dann und lehnte sich vor, um die Flasche entgegen zu nehmen, die der Jüngere ihm reichte. Dieser rieb sich nachdenklich den Nacken. „Ja das kommt schon hin, Sohn oder Kind meinte sie wohl damit, aber eigentlich würde ich Ren eher mit Nachfahre oder Abkömmling übersetzen, es kommt auf den Zusammenhang an.“ Nun lehnte sich der Samurai wieder zurück und griff nach einem Glas neben der Spüle. Während er sich zwei Fingerbreit eingoss begutachtete er den Jüngeren. Dieser hielt seinem Blick unbeeindruckt stand. „Wo kommt deine Mutter her, Lorenor? Was war vor der Zeit im Tempel? So wie du sie beschreibst, muss sie von hohem Stand gewesen sein.“ Lorenor zuckte mit den Achseln. „Da fragst du mich was. Bis auf die Geschichten der Helden Alciels und Harukyuu hat sie mir nicht viel erzählt. Auch von meinem Vater hat sie so gut wie nie gesprochen.“ „Und doch schien sie sehr stolz auf ihre Abstammung zu sein. Sie schien stolz auf den Namen Lorenor zu sein.“ Der andere nickte sachte. „Der Name Lorenor war ihre Erklärung für alles. ‚Ein Lorenor macht so etwas nicht, ein Lorenor braucht nicht…‘, es zwar ziemlich nervig.“ „Also teilst du ihre Ansicht nicht?“ Nun rollte Lorenor mit den Augen. „Es ist doch nur ein Name. Nur ein Wort, so etwas ist bedeutungslos. Es kommt nicht auf die Worte an, sondern auf die Taten. Ja, ich habe meinen Stolz, aber nicht, weil ich Lorenor heiße.“ Dulacre fragte sich gerade was für ein Donnerwetter er sich eingefangen hätte, wenn er seinen Eltern diese Meinung gesagt hätte, selbst seine Schwester hatte nie etwas in dieser Art geäußert und auch wenn Dulacre sich nicht viel aus seinem Erbe machte, so trug der den Namen Mihawk Falkenauge Dulacre doch mit Stolz. „Du hast also deinen Stolz von ihr und dein Ehrgefühl, aber eigentlich weißt du gar nichts über deine Mutter, oder deinen Vater oder deine Herkunft.“ Wieder zuckte sein Wildfang mit den Achseln. „So ist das halt. Sie hat ihn nie beim Namen genannt, wenn sie von ihm sprach - was sie eh so gut wie nie getan hat; ich glaube vielleicht zwei oder drei Mal.“ „Hast du nicht gefragt? Du musst doch neugierig gewesen sein.“ „Natürlich, aber wenn sie nicht antworten wollte, hat sie nicht geantwortet. Einmal hat sie gesagt, dass er noch vor meiner Geburt gestorben ist und das war‘s so ziemlich. Allerdings sprach sie nie respektlos von ihm.“ Für einen Moment schwiegen sie beide, beide in Gedanken verloren. „Und wie starb sie?“ Es war keine Frage, die Dulacre leichtfertig stellte. Er kannte den Schmerz die eigene Mutter zu verlieren sehr gut und doch schien er anders damit umzugehen als Lorenor. „Sie war dumm“, urteilte ebendieser kalt. „Weil sie keine Hilfe annehmen wollte und mein geringer Lohn kaum zum Überleben reichte ging sie immer in den Wald um Pilze und Wurzeln und so ein Zeug zu sammeln. Am Anfang jagte sie auch, aber das wurde wegen Wildknappheit oder so kurz nachdem wir dorthin zogen verboten. Sie war eine grässliche Köchin und hatte keine Ahnung davon wie Dinge zubereitet wurden.“ Nun betrachtete der Jungspund wieder die Flasche in seiner Hand. „Als ich so sieben war kam ich nach der Arbeit nach Hause und da lag sie einfach nur da, an der Feuerstelle, sie hatte mit Eisenhut gekocht.“ Lorenor zuckte mit den Achseln. „Ich rief den Arzt, obwohl sie schon kalt und steif gewesen war. Er meinte sie wäre wohl schon vor Stunden gestorben, vom Gift wahrscheinlich in weniger als einer Stunde dahingerafft worden.“ Dulacre schwieg. „Ich habe daraufhin das Dorf verlassen, um Schwertkämpfer zu werden.“ „Du bist nicht geblieben?“ „Aus welchem Grund? Ich war doch nur wegen meiner Mutter dort gewesen. Schon bei den Mönchen hatte ich den Schwertkampf lernen wollen, aber sie war dagegen gewesen und ich hatte mich ihrem Willen gebeugt. Eine solide Verteidigung fand sie sinnvoll, aber sie war dagegen, dass ich zum Krieger erzogen würde. Sie war der Ansicht, dass dieser Weg nur Unheil für mich bedeuten würde.“ „Trotzdem wurdest du Schwertkämpfer.“ Lorenor grinste sachte, aber seine Augenlider wirkten schwer, fast so als wäre er müde. „Natürlich, schließlich ist es mein Leben und nur ich entscheide über mein Schicksal.“ Nun waren sie beide ruhig, für Minuten sagte keiner von ihnen ein Wort; die alte Küchenuhr warnte sie zwischendurch, dass bereits die frühesten Morgenstunden anbrachen, aber keiner von ihnen ging. „Ist es dir nie in den Sinn gekommen, dass du ein Nachfahre Alciels sein könntest? Vielleicht der letzte Überlebende?“ Sein Wildfang beäugte ihn aus den Augenwinkeln, ohne etwas zu erwidern. „In dem Buch von Hakuryuus Lehrling hieß es, dass Hakuryuu seine Schüler angewiesen hatte sämtliche Bürger Alciels auszulöschen und die anderen Reiche dieser Erde jagten jenes Volk ebenfalls. Vielleicht weißt du deshalb nichts über deine Herkunft.“ „Na und?“ Mit zur Seite geneigtem Kopf drehte der andere sich zu ihm. „Das ist doch egal, oder nicht? Mich interessiert weder welches Blut in meinen Adern fließt noch welcher Name meine Vorfahren hatten. Das hat nichts mit mir zu tun.“ „Das sehe ich etwas anders, schließlich...“ „Mir egal.“ Lorenor war aufgestanden und streckte sich. Obwohl der Pirat ihn gerade so unhöflich unterbrochen hatte wirkte er entspannt und gelassen, ganz offensichtlich nicht auf Streit aus. „Wir sind unterschiedlich, Dulacre. Du bist in dieser Welt groß geworden. Einer Welt von Namen und Titeln, deine Vorfahren haben die fünf Inseln besiedelt und irgendwer in der Reihe war doch mal ein Weltaristokrat oder so, nicht wahr?“ Dulacre hatte kaum Zeit über diese saloppe Zusammenfassung seiner Herkunft zu nicken, da sprach der andere bereits weiter. „Aber weißt du, mir ist das alles ziemlich gleichgültig. Ob Titel oder nicht, du kannst trotzdem ein Arschloch sein und meinen Schwertern ist egal mit welchem Blut sie getränkt werden. Der einzige Titel, der mich in irgendeiner Form interessiert, ist deiner und den werde ich mir holen.“ Damit winkte der andere ihm kurz zu und wandte sich zur Türe. „Ich hatte ein paar beschissene Tage und werde jetzt schlafen gehen. Morgen früh trainieren wir dann.“ Dulacre schmunzelte über das Verhalten des Jüngeren. „Du bist ganz schön anmaßend, Lorenor. Noch bin ich hier der Lehrmeister und noch gelten meine Entscheidungen.“ Laut lachend winkte der andere ab, hielt sich dann jedoch sein in Mitleidenschaft gezogenes Handgelenk. „Bild dir das ruhig ein, alter Mann.“ Missbilligend schnalzte der Samurai mit der Zunge. Dieses Handgelenk sah wirklich nicht gesund aus, aber der Jüngere würde sich über seine Sorge nur lustig machen. „Warte Lorenor, einen Gedanken möchte ich dir noch mit auf den Weg geben.“ Die Augenbrauen nach oben ziehend drehte Lorenor sich zu ihm um. „Auch wenn es dir gleichgültig ist welches Blut durch deine Adern fließt und ob du ein Nachfahre Alciels bist, so wundere ich mich dennoch ob das vielleicht deine Fähigkeit der Hakiabsorbtion erklären würde. Schließlich galt das Volk Alciels nicht umsonst als eine gefährliche Kriegerrasse, nicht wahr?“ Es dauerte einen Moment, doch dann wurden die sonst so ernsten Augen groß. „Und ich mag mich irren, aber vielleicht, nur vielleicht, finden sich in einem dieser Bücher, die nur du lesen kannst, auch ein Hinweis darauf warum du dem Wahnsinn verfällst.“ Er konnte beinahe sehen, wie die Rädchen hinter Lorenors Stirn ratterten, ehe sie nach mehreren Atemzügen schließlich einrasteten. „Mag sein“, murmelte jener und zuckte mit den Schultern, doch Dulacre konnte sehen, dass er es nicht annähernd so unbedeutend abtat wie er gerade vorspielte. Lorenor wünschte ihm eine gute Nacht und ging dann. Dulacre sollte auch zu Bett gehen, er hatte die vergangenen Nächte nicht gut geschlafen und der heutige Tag hatte einiges von ihm abverlangt. Es fühlte sich so an, als wären mehrere Wochen ins Land gezogen und nicht nur wenige Stunden. Noch am Morgen hatte er sich darauf gefreut Nataku vorzuführen, doch dann war das Gespräch so ganz anders verlaufen, als er es erwartet hatte. Natakus Worte hatten einen wunden Punkt getroffen, einen Punkt, über den er nicht nachdenken wollte. Er hatte es abgestritten, als lächerliche Anschuldigung verworfen. Aber er hatte sich nicht ganz davon frei machen können. Ihm war ja bereits selbst aufgefallen, dass die Art wie sein Wildfang ihn beeinflussen konnte gefährlich war und er wusste wie wichtig ihm seine Schwester gewesen war, immer noch war. Vielleicht war es eine Obsession, vielleicht hatte dieser Schmarotzer tatsächlich Recht. Es war keine kluge Idee gewesen seine Gedanken mit Alkohol ertränken zu wollen, verstummt waren sie dadurch nicht. Eher im Gegenteil, nach und nach hatten seine verworrenen Gedanken dem Marinesoldaten zugestimmt, hatten ihm gedroht, dass seine Impulsivität, seine schlechte Kontrolle, sein brodelnder Zorn eines Tages Lorenors Untergang bedeuten würden. Trunken war er zu der Überzeugung gekommen, dass Lorenor sich ihm gar nicht erwehren konnte, es wahrscheinlich immer wieder versuchte, aber letzten Endes auf ihn angewiesen war. Er war zu dem Schluss gekommen, dass Lorenor nur bei ihm war, da er keine andere Wahl gehabt hatte, vielleicht geistig auch so beschränkt war, dass er gar nicht die Gefahr erkennen konnte die Dulacre darstellte. Er hatte beinahe gehofft, dass Lorenor dies auch einsehen würde, wenn er ihm nur einmal wirklich gefährlich werden würde. Beschämt betrachtete der Samurai das leere Glas in seiner Hand. Selten hatte er sich so gehen lassen. Nataku hatte Recht. Er bemühte sich immer so sehr gelassen und überlegt zu handeln. Wirkte immer gefasst und besonnen, aber er wusste selbst, dass das alles nur eine Maske war. Eine Maske, die er bis zur Perfektion ausgeformt hatte. Während der letzten Jahre hatte er sie nicht ein einziges Mal abnehmen müssen, sie nicht ein einziges Mal verloren und dann tauchte vor ein paar Monaten dieser unverschämte Jungspund auf und plötzlich bekam sie Risse. Schon lange hatte Dulacre sich nicht mehr von seiner Kampfeslust, seiner Blutgier, überkommen lassen, doch dieser Junge brachte sein Blut in Wallung und Lorenor machte ihn so einfach wütend, ließ ihn so einfach aus der Haut fahren. Ohne zu zögern kam Lorenor in sein Leben, riss ihm seine so sorgsam gepflegte Maske vom Gesicht und starrte ihn nieder. Doch das Schlimmste an allem war, es war Lorenor gleichgültig; er machte es noch nicht mal mit Absicht, es passierte ihm nur so nebenbei während er sein Ziel stetig verfolgte. Lorenor ließ sich von ihm nicht einschüchtern, ließ sich von ihm nichts sagen und erst recht nichts befehlen. Du hast nicht über meinen Tod zu entscheiden und erst recht nicht über mein Leben. Ich fälle meine eigenen Entscheidungen, nicht du. Genau das hatte der andere ihm gesagt, hatte ihn einfach aus der Verantwortung genommen. Weißt du, ich bin stark und ich habe einen noch stärkeren Willen. Konnte es sein, dass er Lorenor wieder einmal unterschätzte? Aufseufzend erhob Dulacre sich und fuhr sich durchs Gesicht. Es stimmte schon, immer wieder hatte er den Jungspund mit seiner verstorbenen Schwester verglichen. Das gleiche abartige Talent, die gleiche naive Rechtschaffenheit, ja sie teilten wichtige Charakterzüge. Doch es wäre vermessen zu verkennen, dass Lorenor so ganz anders war. Er war nicht so unschuldig, so kindlich naiv wie Sharak, nicht so gutmütig und vertrauensselig wie sie, aber auch nicht so laut und fröhlich, nahm das Leben ernster und machte sich gleichzeitig um viele Dinge überhaupt keine Gedanken. Ich bin alt genug, um mir die Menschen in meinem Leben selbst auszusuchen. Ich komme mit dir klar und kann dich die meiste Zeit über auch ganz gut leiden. Lorenor traf seine eigenen Entscheidungen und bereute sie nicht, dass hatte er selbst gesagt. Vielleicht war es an der Zeit, dass Dulacre sich von dem Gedanken löste, dass Lorenor und Sharak etwas gemein hatten. Vielleicht war es an der Zeit, dass er Lorenor vertraute und seine Entscheidungen respektierte. „Was bist du nur für ein Dummkopf“, schollt Dulacre sich selbst und verließ die Küche. All dies hätte vermieden werden können, wenn er sich nicht dazu erdreistet hätte für den Jungspund entscheiden zu wollen, nicht versucht hätte ihm die Verantwortung zu entziehen. Lorenor hatte Recht, in Bezug auf seinen Wildfang war es irrelevant was damals mit Sharak geschehen war, das lag in der Vergangenheit und es war einfältig von ihm daran festzuhalten. Sich den Kopf kratzend schritt er durch die leeren Flure. Aber Lorenor war doch ein eigenartiger Kauz, das musste er schon zugeben. Je mehr er ihn kennen lernte, desto weniger verstand er ihn. Aber vielleicht war das ja auch gar nicht nötig. In seinem Zimmer angekommen fegte Dulacre die leere Flasche von seinem Bett und ignorierte, dass sie auf den kalten Steinfliesen zerbarst, ehe er sich einfach in die weichen Laken fallen ließ. Er wusste, dass er viel Alkohol vertrug, allerdings schon lange nicht mehr so viel wie in seiner Jugend und ihm war bewusst, dass sein Körper sich in ein paar Stunden rächen würde, auch wenn der vertraute Kopfschmerz noch nicht eingetreten war, bald würde er kommen. Noch während er sich darüber Gedanken machte schlief er ein.   Der herbeieilende Morgen bestätigte seine Befürchtungen. Die Sonne war noch dem Horizont nahe als Dulacre sich aus den weichen Laken rollte und sein Kopf dröhnte unheilvoll. Schief grinsend erinnerte er sich daran, dass er heute mit Lorenor weiter trainieren wollte, gerade war er sich nicht einmal sicher, dass er es unfallfrei ins Bad schaffen würde. So viel zum ach so großen Samurai Falkenauge. Er brauchte lange, um sich alltagsfertig zu machen, auf dem Weg ins Bad war er vier Mal in irgendwelche Scherben hineingelaufen und beinahe auf einer Flasche ausgerutscht, es war erbärmlich. Nach dem dritten Schnitt entschied er sich seinen Bart heute nicht aufs Haar genau zu trimmen. Es missfiel ihm zwar, aber er brauchte eindeutig erst Kaffee und Kopfschmerztabletten, ehe er sich mit solchen Dingen auseinandersetzen konnte. Von Lorenor wollte er gar nicht erst anfangen. Hatte er denn so viel mehr getrunken, als vor einigen Monaten auf Sasaki? Nein, eigentlich nicht, er war auch deutlich klarer als damals gewesen, war auch am gestrigen Abend nicht annähernd so unzurechenbar gewesen wie an jenem Abend. Was aber auch daran gelegen haben konnte, dass er dieses Mal zumindest hauptsächlich eine Sorte Alkohol getrunken hatte. Mit einem Schmunzeln fragte er sich ob Lorenor auch unter den Folgen der gestrigen Nacht litt. Schwerfällig trotte er die kahlen Flure entlang. Im Eingangsbereich wartete wie fast jeden Morgen ein Tablett mit abgedecktem Frühstück, Zeitung und Kaffee auf ihn. Ach, das Geistermädchen hätte er fast vergessen, auch sie hatte am vergangenen Tag versucht ihn in seinem Zimmer aufzusuchen, aber er hatte ihr ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass er auf ihre Anwesenheit verzichten konnte und sie verschwinden sollte, sofern ihr etwas an ihrem Leben lag. Er war schon immer so gut mit Worten gewesen. Im Kaminzimmer angekommen klaubte Dulacre die Tabletten vom Teebrett und spülte sie mit genügend Kaffee hinunter. Danach schlenderte er zum Sofa hinüber und entschied noch eine halbe Stunde zu dösen bis die Tabletten ihre Wirkung entfalten würden. Doch daraus wurde nichts, denn schon nach wenigen Minuten weckte ihn das leise Knarzen der Türe. Die geschlossenen Augen rollend drehte er sich auf die Seite. Lorenor musste soeben von seiner morgendlichen Laufrunde zurückgekehrt sein. Unglaublich, dass dieser Kerl selbst nach dem gestrigen Abend noch diszipliniert genug war seinen Trainingsplan einzuhalten. Dulacre selbst wäre noch nicht einmal aufgestanden, wenn er sich nicht darum sorgen müsste, was der Jüngere dann wieder anstellen würde. Schon wieder im Halbschlaf wunderte er sich in welcher Gestalt Lorenor trainieren gewesen war. Dulacre hatte ihm empfohlen Lady Loreen nicht zu sehr zu vernachlässigen. Bereits jetzt klaffte zwischen beiden Individuen ein beträchtlicher Kräfteunterschied und wenn Lorenor nicht aufpasste würde dieser immer größer werden. Es wäre fatal, wenn sein Wildfang eines Tages einem Gegner gegenüberstehen würde und sich dann in seine schwächere Form verwandeln müsste. „So verbissenen trainiert der Samurai Falkenauge also seine geschätzte Lady Loreen.“ Er sprang auf. Direkt vor seinem Sofa hockte niemand anderes als Konter… nein Vizeadmiral Cho Jiroushin, ein verschmitztes Grinsen auf dem fröhlichen Gesicht, eine Marinekappe falsch herum auf den blonden Locken. „Mann, du siehst ja ziemlich bescheiden aus, Hawky“, lachte sein bester Freund seit Kindheitstagen. „Jirou?“, stellte Dulacre verdutzt fest und fuhr sich überrascht durchs Haar. „Was machst du denn hier?“ Die viel wichtigere Frage war, warum hatte er den anderen nicht bemerkt? Seine Kopfschmerzen hatten sich mittlerweile auf ein moderates Level heruntergeschraubt, aber er konnte kaum glauben, dass er nicht wahrgenommen hatte wie sich jemand ihm bis auf wenige Zentimeter nähern konnte, ohne dass sämtliche Alarmglocken angingen. „Oh mein Gott, guck doch nicht so geschockt.“ Der Blondschopf lachte erneut. „Du warst doch derjenige, der mich eingeladen hat.“ Noch eine Sekunde überlegte Dulacre wie ihm so etwas hatte passieren können, doch dann überwog die Freude, dass sein bester Freund und ehemaliger Vize wirklich vorbeigekommen war. Es war zwar eine unerwartete, aber nicht unerfreuliche Überraschung. „Jirou. Es ist schön dich zu sehen. Ich habe schon lange nicht mehr von dir gehört. Seit unserem Gespräch vor vier Monaten schien es unmöglich dich zu erreichen.“ Nun rieb sich der andere verlegen den Nacken während sie zum Esstisch hinüber schlenderten. „Tja, tut mir leid, aber mit meiner neuen Position und all den Vorbereitungen für das Kind hatte ich kaum noch Luft zum Atmen.“ Der Samurai griff eine weitere Tasse vom Teewagen und bot seinem Freund etwas Kaffee an. „Lirin lässt dich einfach so verreisen? Ist sie nicht bald ausgerechnet?“ Synchron setzten sie sich hin und griffen je nach einer Gabel. Normalerweise würde Dulacre niemandem erlauben von seinem Teller zu essen, erst recht nicht sein Frühstück, aber nun ja, es war Jiroushin. Ebendieser winkte mit einem tiefen Seufzer ab. „Ehrlich gesagt war es ihre Idee. Ihr geht es gut und sie hat noch etwas mehr als zwei Monate und meinte es würde mir gut tun noch mal etwas zu unternehmen, ehe mich meine väterlichen Pflichten einholen würden.“ Für einen Moment entgegnete Dulacre nichts. „Du hast eine kluge Frau, Jirou“, meinte er dann schlicht und konzentrierte sich auf sein Rührei. Natürlich hatte er die Ausrede des anderen sofort durchschaut, von wegen zu wenig Zeit. Dulacre wusste ganz genau, warum der andere ihm für Monate aus dem Weg gegangen war. Es lag an… „Hey, Dulacre, wo bleibst du denn? Wir hatten doch gesagt, dass wir...“ Wie aufs verdammte Stichwort kam Lorenor ins Kaminzimmer. Die nächste Sekunde dehnte sich ins unendliche als erst Überraschung und dann Entsetzen über Lorenors hartes Gesicht glitten, gleichzeitig nahm Dulacre aus dem Augenwinkel war, wie Jiroushin neben ihm seine Gabel fallen ließ. Sein eigener Blick raste durch den Raum. Dulacre fand was er suchte. „Lorenor Zorro!“ Dann griff Vizeadmiral Cho Jiroushin an. 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