Future for Future von Aka_Tonbo (Tatsuro Iwagami/Atsushi Sakurai) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Gott, wie er diesen alten Idioten hasste! Warum konnten sie ihn nicht einfach alle in Ruhe lassen? Niemand störte sich dran, wenn die Älteren die Schwächlinge aus den unteren Stufen in einer Ecke des Schulhofes, um ihr Geld erleichterten. Aber wenn er auf dem Jungs Klo eine rauchte dann schienen sämtliche Lehrkräfte so etwas wie einen Sensor dafür zu haben. Weshalb er dann auch ständig zu diesem greisen Kautz geschickt wurde. Er kannte diese Predigten über seine Zukunft, die er sich mit seinen Allüren verbaue, schon auswendig. Doch hatten sie bis jetzt irgendetwas in ihm bewegen können? Tatsuro schnaubte abfällig über diesen Gedanken hin. Nein! Hatten sie nicht! Warum auch? Mit einem gezielten Griff in seine Jackentasche beförderte er eine leicht lädierte Schachtel Zigaretten hervor und angelte sich eines der Tabakröllchen heraus, dass er sich sogleich zwischen die Lippen klemmte und mit einem Feuerzeug zum Glimmen brachte. Tief zog er den blauen Qualm in seine Lungen, bevor er ihn in einer spielerischen Geste wieder ausstieß. Was wussten diese arroganten Wichtigtuer denn schon über ihn? Alles was sie sahen war einer der aus der Reihe tanzte und den sie mit ihren so gut gewählten Zurechtweisungen wieder in dieses emotionslose System zurückquetschen wollten. Für sie war er nicht mehr als ein Objekt, das es zu bearbeiten galt. Bis nichts mehr übrig blieb als eine ergebene Marionette, die der Gesellschaft zu dienen hatte. Keiner von ihnen hatte sich je die Mühe gemacht, ihn auch nur ansatzweise verstehen zu wollen. Wohl, weil es ihnen zu anstrengend erschien sich mit dem konfrontiert sehen zu müssen, was hinter seiner äußeren Hülle liegen könnte und vielleicht zu erkennen, dass er nicht nur einen fehlgeleiteten Taugenichts darstellte. So wie sich auch seine eigenen Eltern davor scheuten, sich mehr als nötig mit ihm zu befassen. Sicherlich aus der Angst heraus, dass sie etwas in ihm entdecken könnten, das ihr perfektes Bild einer Vorzeigefamilie verblassen lassen würde. Aber was erwartete er auch von jemandem, der nur zu leben schien, um in einem Job zu schuften der einem keine Chance einräumte, irgendwie weiter zu kommen. Und das letzte was er für sich wollte, war in einem Salon zu stehen und alten Weibern einzureden, dass sie mit einer dieser bescheuerten Pudelfrisuren gleich 20 Jahre jünger wirkten. Ein hämisches Zischen rutschte über Tatsuros Lippen und er schüttelte verdrossen seinen Kopf. In dieser Hinsicht waren seine Ernährer schon bewundernswert. Sie konnten anderen so unverhohlen etwas vormachen und dabei ein Gesicht präsentieren, dessen Maske man nie als solche im Stande war zu deuten, wenn man diese Leute nicht in und auswendig kannte. Und genau das war es, was diese Familie für ihn einfach nur noch unerträglich machte. Diese Fassaden. Ständig wurde einem eingehämmert, dass man sich anpassen müsse, wenn man etwas aus sich machen wolle. „Das ist das Leben.“, hörte er seinen Vater immer wieder vorbeten, und je öfter er es sich anhören musste, umso inniger wurde sein Wunsch es anders zu machen. Es war nicht DAS Leben, sondern EIN Leben. Ein Leben von vielen. Aber garantiert nicht seines, das hatte Tatsuro schon vor einiger Zeit beschlossen. Eine vorwitzige Schneeflocke taumelte plötzlich vor ihm zu Boden, was ihn ahnend in den orangefarbenen Abendhimmel blicken ließ. Der erste Schnee des Winters. Nicht mehr lange und auch dieses Jahr würde bald zu Ende gehen. Noch über ein Jahr, bis er dann endlich die High School hinter sich hätte und sein eigenes Leben beginnen konnte. Weg von all diesen genormten Zwängen und dieser geheuchelten Idylle einer zufriedenen Familie. Tatsuro schloss seine Augen und ließ die winzigen, eisigen Kristalle auf seinem Gesicht zergehen. Ja, er würde es ihnen schon zeigen, dass er nicht nur der unnütze dritte Spross war, für den ihn alle hielten. * „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie spät es mittlerweile ist?! Ich hatte dir gesagt, dass du sofort nach der Schule nach Hause zu kommen hast?!“ Genervt verdrehte Tatsuro seine Augen, als er die Haustür schloss und ihm sofort die unerträgliche Stimme seines Vaters entgegenschallte. Genau das konnte er jetzt so gar nicht gebrauchen. Eilig zog sich Tatsuro seine Schuhe in dem kleinen Flur ihres Hauses aus, hing seine Jacke an einen der dafür vorgesehenen Haken und ignorierte die aufgebrachten Worte routiniert, die er aus der Küche einfangen konnte. Natürlich wusste er wie spät es war. So viel Intelligenz konnte er durch aus sein Eigen nennen. Aber er war schließlich auch kein kleines Kind mehr, das Punkt achtzehn Uhr nach Hause rennen musste. Gerade als er sich auf den Weg in sein Zimmer machen wollte, hörte er auch schon die poltrigen Schritte des Mannes, dem er seine Existenz zu verdanken hatte. Was für Tatsuro trotzdem keinen Grund für übertriebene Dankbarkeit darstellte. „Wage es nicht hier einfach so verschwinden zu wollen!“, bellte es Tatsuro sogleich entgegen und er wusste, dass dieser Abend wieder einmal damit enden würde, dass er ohne etwas zu Essen auskommen durfte. Egal, ob er sich nun auf diese Art der Konversation einließ oder nicht. „Hast du wieder geraucht!?“, erweiterte der Mann vor ihm seine Fragerei, worauf sich Tatsuro aber ebenfalls eine Antwort ersparte. „Du bist eine Schande für diese Familie! Eine einzige Geldverschwendung!“, drangen die tobenden Worte an seine Ohren, doch bewegten sie in Tatsuro nur ein Gefühl von Gleichgültigkeit. „Ich könnte es genauso gut verbrennen!“ Mit einer ausdruckslosen Mine blickte er seinem Vater daraufhin in das deutlich wutverzerrte Gesicht und ohne auch nur einen Ton an diesen zu richten, setzte er seinen Weg die Treppe hinauf fort. Ein gleißender Schmerz durchzog nur Sekunden später seinen Körper, als man ihn grob am Arm packte und die Stufen, die er schon erklommen hatte, wieder hinab zog. Was ihn arg ins Straucheln brachte und schließlich zu Boden gehen ließ. Noch immer hielt ihn dieser eiserne Griff am Arm gefangen, doch beeindruckte Tatsuro dieser Akt keineswegs. Er hatte es schon oft genug erlebt. Zu oft, um sich jetzt noch eingeschüchtert, emotional zu zeigen. Diesen Gefallen würde er ihm nicht tun. „Denke ja nicht, dass du mit mir so umgehen kannst. Ich bin nicht deine Mutter!“ Es war ein absurder Gedanke der Tatsuro auf diese Feststellung hin kam, worauf er sich gerade noch so zurück halten konnte, seinem Vater mitzuteilen, dass er auch eine unglaublich unattraktive Frau abgeben würde. Stattdessen hievte er sich mit Hilfe der Wand in seinem Rücken wieder nach oben und starrte dem Mann vor sich in die vor Zorn verengten Augen. Irgendwo in seinem Innersten wusste Tatsuro genau, dass es nun besser wäre sich zurück zu nehmen. Sich vielleicht sogar zu entschuldigen wollte er diese Nacht nicht womöglich noch im Keller zubringen. Doch war der Rebell in ihm viel zu dominant, als dass die Stimme der Vernunft tatsächlich zu ihm durchdrang. Ein abschätziges Grinsen zog nun über seine Lippen, von dem er wusste, dass es sein Gegenüber zur Weißglut bringen würde. „Was willst du machen alter Mann? Mich schlagen, weil dir nichts Primitiveres einfällt?“, sprach er die mit Provokation getränkten Worte aus, die ihr Ziel auch augenblicklich erreichten. Es war ein verqueres Gefühl der Befriedigung, als er den Schmerz durch seinen Kopf rasen spürte, der sich von seiner getroffenen Wange ausbreitete und dem ein bekannter Geschmack von Eisen auf seiner Zunge folgte. Tatsuros Grinsen wurde daraufhin noch breiter. Weitete sich zu einem verspottenden, dunklen Lachen aus, als ihn erneut ein Schlag traf. Noch härter als der erste, noch aufstachelnder. „Du verdammter kleiner Bastard!“, brüllte ihm der Mann bei einer weiteren Attacke entgegen, bis eine weitere Stimme ihn endlich inne halten ließ. „Es reicht!“ Mit einem wütenden Knurren ließ sein Vater von ihm ab, was Tatsuro nun doch etwas benommen zu Boden rutschen ließ, wo er einige Augenblicke verharrte, um sich wieder sammeln zu können. „Du bist wirklich nichts weiter als ein Fehler, den ich nur zu gerne wieder rückgängig machen möchte.“, zischte man ihm noch entgegen, bevor Tatsuro verfolgen konnte, wie sein Vater sich von ihm in Richtung Wohnzimmer entfernte. Seine Mutter stand indes noch einen abwartenden Moment im Türstock der Küche, bevor sie auf ihren geschundenen Sohn zueilte und ihn sich besorgt betrachtete, während sich ihre Hände vorsichtig auf seine Wangen legten. „Warum legst du es auch immer drauf an?“, wisperte sie mit belegter Stimme, die Tatsuro sagte, dass sie den Tränen nahe war. Doch galten diese Emotionen auch wirklich ihm? Oder ging es ihr nur darum, dass er wieder einmal den Familienfrieden zerstört hatte und sie um ihr perfektes Leben weinte, dass sie wegen ihm nicht so geschickt in eine Rolle verpacken konnte, wie es für ihren Ruf wichtig erschien? Wie viele von all diesen leidlich bewegten Gefühlsregungen die sie ihm entgegenbrachte waren echt und aus reiner Sorge um ihn entstanden? Tatsuro stöhnte leicht auf, als sich der Schmerz in seinem Kopf nun ruckartig zu intensivieren schien. Er wusste es nicht. Irgendwann hatte er den Schutz der kindlichen Naivität verloren, den er sich so manches Mal innig wieder herbei wünschte. Nur um nicht verstehen zu müssen. Nur um nicht sehen zu müssen, wie abgrundtief und schwarz der Menschen Seele in Wirklichkeit doch sein konnte. Oft wünschte er sich die Zeit zurück, wo man ihm sagte was gut und richtig war. Wo man ihn an die Hand nahm, wenn etwas zu schwer zu erreichen schien. Und er sehnte sich nach dieser ehrlichen Wärme die einen umgab, wenn man sich zu hilflos und schwach fühlte. Doch all das war ihm an einem bestimmten Punkt in seinem bisherigen Leben abhandengekommen. Irgendwo auf seinem Weg zum Erwachsenwerden hatte man seine Sorglosigkeit von ihm gerissen und versuchte sie seither durch eine Uniform der Direktive zu ersetzen. Aber das war nicht das, was er für sich wollte. Doch je mehr er sich gegen diesen Zwang sich einfügen zu müssen zur Wehr setzte, umso steiniger wurde sein Weg. Umso kälter wurden die Stimmen um ihn herum, die ihn an die Grenzen seiner Willensstärke zu treiben wussten. „Entschuldige dich bei ihm.“ Und umso einsamer fühlte er sich. Das Salz brannte in den kleinen Wunden, die nun sein Gesicht zierten, als ihn die Schwere dieser Erkenntnis traf und er diesen Schwall an Emotionen nicht mehr vollends bändigen konnte. Er war allein. Es gab niemanden, zu dem er gehen konnte, wenn ihm alles zu viel wurde. Niemanden, der ihm sagte, dass er zu ihm halte, egal was kommen möge. Niemanden, der ihn so akzeptierte wie er war. Wie er sein wollte. Niemanden, dem er wichtig war… „Hörst du Tatsuro? Sag ihm, dass es dir Leid tut und du dich bessern wirst…“ Es widerte ihn einfach nur noch an! Das Alles! Diese ganze Heuchelei um ihn herum! Mit einem leidlichen Blick begegnete er dem ernsten Ausdruck, den ihm seine Mutter auf ihre Worte hin schenkte, und am liebsten hätte er sich übergeben, so übel wurde ihm daraufhin. Alles was hier zählte war das Aufrechterhalten einer Scheinharmonie, egal was man darunter begrub und egal wen man damit erstickte. Mit etwas Mühe richtete sich Tatsuro wieder auf und lehnte seinen Körper vorerst noch immer gegen die Wand, da ihn ein leichtes Schwindelgefühl erfasst hatte. Abermals blickte er in das Gesicht der Frau vor ihm, die ihm früher so unendlich viel bedeutet hatte und welche ihm nun so unglaublich fremd erschien. Sollte sie ihm nicht das Versteck bieten das er brauchte, wenn der Sturm zu heftig wurde? „Geh schon zu ihm Tatsuro.“ Erneut spürte er wie ihm die Tränen kamen, doch war das Brennen das er diesmal wahrnahm nicht auf der Oberfläche, sondern zog sich schmerzlich durch sein Innerstes. Langsam wendete er seinen Kopf von einer Seite zur anderen, wie ein apathisches Tier, das zu lange in einem zu kleinen Käfig dahinvegetieren musste. „…nein…“, würgte er aus seiner trockenen Kehle heraus, was seine Mutter mit einem verständnislosen Blick quittierte. „Nein…“, wiederholte er nun etwas energischer und stieß sich von der Wand ab, um sich vor der Frau vor sich zu platzieren und ihr mit deutlichem Unmut auf seinen Zügen mitzuteilen, dass er sich nie bei diesem Mann entschuldigen werde, selbst wenn dieser ihn aus diesem Haus verbannen würde. Ein ergebenes Durchatmen seiner Mutter ließ wissen, dass sie sein stures Verhalten nicht nachvollziehen konnte. Oder wollte. Was Tatsuro Grund genug war an ihr vorbei und wieder in den Flur zu treten. Rasch zog er sich seine Schuhe wieder an, griff nach seiner Jacke und ließ diese Parodie einer Familie hinter sich. Tatsuro empfand den Schnee auf seinen glühenden und schmerzenden Wangen als äußerst angenehm und verrieb das weiße Element noch etwas weitläufiger auf seine Blessuren. Wenn er doch einfach abhauen könnte, ging es ihm, wie schon unzählige Male zuvor, durch seine Gedanken. Doch wo sollte er schon hin? Alles was er tun konnte war weiter durchzuhalten und das Beste draus zu machen. Er wäre wahrscheinlich nicht mal auf die High School gegangen, wäre es nicht der Wunsch seiner verstorbenen Großeltern gewesen, sich sein Leben nicht so leichtsinnig zu verbauen. Egal was er später einmal aus sich würde machen wollen. Sie waren die Einzigen gewesen, die ihm noch das Gefühl gaben ein eigenes Leben haben zu dürfen. Aber auch dieser Halt war nun verloren und es stimmte ihn, wie so oft, wehmütig. Er beneidete seine beiden älteren Brüder wahrlich darum, dass sie dies Alles nicht mehr zu ertragen hatten. Auch wenn er wusste, dass sie dem Ideal ihrer Eltern folgten und nur deshalb die Möglichkeit bekommen hatten, fernab ihr Studium aufnehmen zu dürfen. Sie waren der nachrückende Stolz des Namen Iwagami. Seine Schritte führten Tatsuro durch die Siedlung in der er wohnte. Vorbei an dem kleinen Spielplatz, welcher schon unter einer weichen Schicht Schnee ruhte und vorbei an der Erinnerung an die Tage, wo auch er hier noch Kind sein durfte. Er lief weiter durch den Park, der durch das Weiß und den Schein der Laternen etwas ungemein Friedliches wiedergab. Als würde man durch eines dieser kitschigen Landschaftsgemälde wandern, die seine Großmutter immer so mochte. Ein merkwürdiges Lallen drang über das Knirschen des Schnees unter Tatsuros Füßen an seine Ohren, als er seinen Weg weiter fortsetzte. Bis ihm schließlich eine Gestalt auf einer der Bänke auffiel, die den Pfad säumten und auf denen tagsüber die Alten meist saßen und ihre Plaudereien austauschten. Doch um solch eine Zeit fand man hier meist nur zwielichtige Gestalten oder solche die den Weg, nach einem Besuch in einem Lokal, nicht mehr nach Hause fanden. Und diese Person vor ihm schien eindeutig zu der letzteren Kategorie zu zählen, deutete er die schräge Position die diese eingenommen hatte und das sinnlose Gebrabbel, das von ihr zu hören war, richtig. Bei näherer Betrachtung schien sie auch schon eine ganze Weile dort zu sitzen. Der helle Trenchcoat war bereits mit Schnee bedeckt. Genau wie die dunklen Haare, die ihr nass auf der runden Brille klebten. Sie schien ihn nicht zu bemerken, leierte einfach weiter unverständliche Satzfetzen vor sich hin, nur unterbrochen vom Ansetzen einer Flasche mit bernsteinfarbenem Inhalt, den sie gierig in sich aufnahm. Für einen Moment fragte sich Tatsuro was diesem Mann wohl zugestoßen sein musste, dass er sich nun so gehen ließ, aber verwischte den Gedanken schnell wieder, als er sich seiner eigenen, qualvollen Probleme wieder bewusst wurde. Vielleicht würde er eines Tages auch irgendwo so hocken und seinen Frust in Hochprozentigem ertränken, bis er nichts mehr mitbekam. Bis ihn nichts mehr interessierte. Kapitel 2: ----------- Ein belustigtes Schnaufen entwich Tatsuro, als er sich seine Beute begutachtete, die er vor einigen Minuten aus einem Konbini hatte mitgehen lassen, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Der Inhalt der dunklen Flasche brannte merklich auf seiner Zunge und in seiner Kehle. Doch mit ein wenig Beharrlichkeit würde das schon vergehen, wie auch dieses dumpfe Gefühl in seiner Magengegend. Immerhin spürte er schon die Kälte nicht mehr. „IWAGAMI!“, erschrocken riss Tatsuro seine Augen auf, als er seinen Namen von etwas weiter hinter sich vernahm, worauf er eilig versuchte das klobige Glasbehältnis in seiner Jacke zu verstecken. Kaum, dass es ihm gelungen war, spürte er auch schon die unmittelbare Präsenz einer Person hinter sich, der er sich nun mit einem unschuldigen Grinsen zuwandte, in der Hoffnung seine Nervosität auch gut genug überspielen zu können. Ein Blitz der Erkenntnis traf ihn, als er den Jungen vor sich erkannte, der ihn mit reichlich Verdruss anstarrte, von dem Tatsuro auch genau wusste, wo dieser seinen Ursprung hatte. „Wo verdammt noch mal warst du heut!?“, brachte dieser seinen optischen Anblick dann auch akustisch hervor, was Tatsuro schon reflexartig die Schultern zucken ließ. Er kannte den aufbrausenden Charakter von Yaguchi schon gut genug. Und genau wie an dem Tag als er diesen Wesenszug zum ersten Mal über sich hatte ergehen lassen müssen, interessierte es ihn herzlich wenig, was dieser damit deutlich machen wollte. „Du arroganter Arsch!“, platzte es nun aus Yaguchi hervor. „Du wusstest ganz genau, das wir heute Probe hatten, also warum bist du nicht erschienen!?“ Diese Leier schon wieder. Er konnte es langsam aber sicher nicht mehr hören. Was regte sich dieser Hänfling ständig so auf? Tatsuro entging in seinem schon leicht berauschten Zustand der kritische Blick, den der Junge vor ihm über ihn schweifen ließ, und das dieser daraufhin merklich mit den Zähnen knirschte. „Dir war es wohl mal wieder wichtiger dein Ego auszuleben, was? Wenn es dir mehr Freude macht dich zu prügeln als dich bei uns blicken zu lassen, dann hör mir jetzt gut zu! Keiner zwingt dich in unserer Band mitzumachen. Wenn es dich nicht interessiert, dann verschwinde und wir suchen uns einen anderen Sänger! Glaub ja nicht das du unersetzbar wärst!“ Yaguchi war nun deutlich in Rage, welche sich auch noch ein wenig steigerte, als er den Dunst von Alkohol aus Tatsuros Richtung bemerkte, der ihn bei dessen folgenden Worten die Nase rümpfen ließ. „Jetzt krieg dich mal wieder ein Yaguchi. Nur weil du dich zum Leader gemacht hast, heißt das noch lange nicht, dass du über mich bestimmen kannst wie es dir passt. Außerdem, was soll dieser Mist mit den Proben? Ich kenn die Texte, also mach nicht so einen Wind!“ Tatsuro merkte, das es ihm schon etwas schwer fiel die Worte, die er sagte, nicht zu eirig klingen zu lassen und seinem Gegenüber damit zu verraten, das er nicht mehr ganz Herr seiner Sinne war. „Du bist wirklich erbärmlich …“, entgegnete ihm Yaguchi daraufhin mit einem ablehnenden Ausdruck in seinem Gesicht, den Tatsuro auch von anderen Personen her schon kannte, wenn sie ihn bedachten. Jedoch war er nun eindeutig nicht mehr in der Verfassung sich auch noch mit diesem Möchtegernbandoberhaupt zu streiten. Und das nur wegen dem banalen Grund einer Probe. „Ich weiß schon was ich zu tun habe, also spar dir deinen Aufstand, ok!“, lallte Tatsuro nun etwas zu deutlich, was er für sich selbst aber schon gar nicht mehr registrierte. „Falls du es vergessen haben solltest, eine Band besteht nicht nur aus Einem, der am Mikro steht und schief hinein jammert! Zu deiner Information, wir haben in einer Woche einen Auftritt und ich habe keine Lust, mich wegen so einem egoistischen Pisser wie dir bis auf die Knochen zu blamieren! Entweder du kommst ab morgen regelmäßig zum Proben oder du bist RAUS!“ Yaguchis Augen funkelten nun gefährlich im dämmrigen Licht der Leuchte an der Hauswand neben ihnen. „Und sei dir gewiss“, zischte er eindringlich. “ich mache keine Witze, was das betrifft.“ Damit wandte er sich von Tatsuro ab und ließ ihn einfach stehen. „Was bildest du hysterischer Spinner dir eigentlich ein?“, knurrte Tatsuro ihm noch nach, jedoch nicht laut genug, als das es Yaguchi noch hätte hören können. Doch je länger er noch über dessen Auftritt gerade eben nachdachte, umso mehr stieg in ihm der Wunsch auf, diesem seine Arroganz aus dem Leib prügeln zu wollen. War denn heute diese ganze verdreckte Welt gegen ihn? „Du kannst mir gar nichts Yaguchi! Hast du verstanden, du elender Wixer!“, brüllte er letztendlich in die Nacht, dem ein inniger und tiefer Schrei über sein jämmerliches Dasein folgte, bevor er die Flasche wieder hervorzog und sich einen viel zu hastigen Schluck daraus genehmigte, der ihn gequält würgen und husten ließ. Doch kaum, dass er sich wieder erholt hatte, setzte er sie sich erneut an seine Lippen und ließ die scharfe Flüssigkeit seine Kehle hinunterlaufen, als ihm plötzlich jemand diese Quelle entzog und er nur noch das Splittern von Glas neben sich vernahm. „Ich glaube du hast genug für heute.“, drängte sich daraufhin eine wohlige Stimme in seinen Geist und ließ ihn fragend aufblicken. Verschwommene Konturen tanzten vor seinen Augen hin und her, bis sie sich allmählich zu etwas erkenntlicheren Umrissen zusammen fanden. Vor ihm stand eine schmale, doch großgewachsene Gestalt in einem dunklen Mantel. Das blasse Gesicht war von langen, weichen, ebenholzfarbenen Haaren umrahmt, was in Tatsuros Geist mit dem Bild einer Porzellanpuppe vergleichbar erschien. Ein roter Schal lag ihr um den Hals, in welchem sie auch etwas ihr Gesicht vergraben hatte. Hätte er sie nur gesehen, ohne dass sie ein Wort an ihn gerichtet hätte, wäre er dem Irrglauben erlegen, dass eine Frau vor ihm stehen würde. Eine recht attraktive. Tatsuro wollte etwas zu ihr sagen, auch wenn er nicht wusste was, doch brachte er kein verständliches Wort mehr hervor, lag ihm seine Zunge wie ein Stein in seinem Mund. Die urplötzliche Übelkeit die nun abrupt in ihm aufstieg, ließ ihn sich jedoch hektisch abwenden und in eine der Gassen taumeln, wo er sich recht geräuschvoll zu übergeben begann. Der bittere Geschmack und der nicht minder wiederwertige Geruch, der ihm daraufhin gewahr wurde, ließen ihn sich noch mehr zusammenkrümmen und in ihm den Wunsch festigen, einfach in sich zusammensinken zu wollen und hier in all dem Dreck auf sein Ende zu warten. Es würde eh keinen interessieren. „Hey immer mit der Ruhe.“ Tatsuro überraschte die unerwartete Nähe der Stimme, die er auch zuvor schon hatte vernehmen können und der sichernde Griff an seinem Arm, der ihn daran hinderte zu Boden zu sacken. Doch hielt ihn das unangenehme Krampfen in seinem Bauch davon ab, zu dem Fremden aufblicken zu können. Es war im selben Moment als Tatsuro sich ihm entziehen wollte, dass dieser ihn noch etwas nachdrücklicher umfasste. Ihn ein wenig nach oben zog und weiter in die Gasse hinein, wo er aufgefordert wurde, sich auf die überdachten Stufen einer kleinen Treppe zu setzen, welche wohl zu einem Hinterausgang irgendeines Ladens gehörten. Unruhig flackerte die über ihnen befindliche Lichtquelle in Form einer matten Glühbirne, was Tatsuro in den Augen schmerzte, worauf er diese einfach schloss und dem monotonen Summen der nicht weniger ausgedienten Fassung lauschte, welche die Leuchte in sich hielt. Der Fremde schien sich wieder auf den Weg gemacht zu haben, was Tatsuro ein merkwürdig verlorenes Gefühl bescherte. Wieder war er völlig allein. „Hier.“, hörte er es plötzlich neben sich sagen, doch fühlte sich Tatsuro einfach zu erschöpft, um seinen Lidern zu befehlen, sich erneut zu heben. Es sollte ihn auch nicht kümmern, was diese unbekannte Person von ihm wollte. Sollte sie ihn doch einfach wieder in Ruhe lassen, damit er weiter in seinem Selbstmitleid zerfließen konnte. Leicht driftete er nach rechts, worauf er die kalten, metallischen Streben eines Geländers an seinem Gesicht spüren konnte, deren Halt ihm ganz Gelegen kam. Ein kurzer, aber bestimmender Ruck veranlasste Tatsuro schließlich doch noch dazu seine Augen ein stückweit zu öffnen, worauf er sich mit einer Flasche Wasser konfrontiert sah, die er in seinem Zustand aber nur in der Lage war anzustarren. Eine weitere Bewegung brachte ihn dazu sich halbwegs gerade hinzusetzen, und noch ehe er dagegen protestieren konnte, wie man hier mit ihm umsprang, drückte man ihm die geöffnete Flasche an die Lippen und zwang ihm mit sanfter Gewalt deren Inhalt auf. Das Wasser bewirkte, dass das lästige Kratzen in seinem Hals nachließ und der unschöne Geschmack auf seiner Zunge sich etwas auflöste. Schließlich griff er selbst nach dem Behälter und leerte ihn fast vollständig. „Geht doch.“, hörte er es leicht amüsiert sagen und suchte erneut das Gesicht, das zu dieser Stimme gehörte. Der Fremde lächelte ihn mitfühlend an, was Tatsuro sich augenblicklich abschätzig abwenden ließ. Er kannte diesen Ausdruck der ihm sagte, wie bedauernswert er doch wirkte. Doch diese falsche Anteilnahme konnte ihm wahrlich gestohlen bleiben! „Was wollen sie?“, blaffte Tatsuro, ließ sein Gesicht aber abgewandt, um seine leichte Unsicherheit besser verbergen zu können. „Na ja, ein Dankeschön wäre vielleicht ganz nett.“ Ein Dankeschön? Das sollte alles sein? Eine Eingebung huschte durch Tatsuros noch leicht vernebelte Gedanken, doch war sie klar genug, um ihn misstrauisch werden zu lassen. Ein Dankeschön in welcher Form? War er hier womöglich an einen dieser Typen geraten, die stets und ständig auf der heimlichen Suche nach minderjährigen Jungs waren, um mit ihnen ihre schmutzigen Fantasien ausprobieren zu können? Solche Perversen waren ja nichts neues, auch wenn er bis jetzt noch keinem persönlich über den Weg gelaufen war. „Hörn sie Mister, ich lutsche keine Schwänze, ok!“, brachte er seinen Gedanken schließlich in einem bissigen Ton hervor, worauf eine kurzzeitige Stille eintrat, gefolgt von herzlichem Gelächter, dessen Klang etwas ungemein geschmeidiges wiedergab und Tatsuro ein seltsames Empfinden von Wärme einredete. „Das hatte Charakter, das muss ich dir lassen.“, gab der Fremde noch immer recht erheitert zurück, bevor sein Lachen gänzlich abklang und er sich wieder Tatsuro zuwandte, um ihm nun ein seichtes Lächeln zu präsentieren, das ihn etwas irritierte. „Du hast Courage. Man braucht so eine Eigenschaft, um im Leben etwas erreichen zu können.“ Etwas genervt über diese Worte verdrehte Tatsuro seine Augen. Das letzte was er jetzt brauchte war noch jemand der ihm sagte, was er zu tun habe, damit er etwas aus sich machen würde können. Das hörte er schon zu Hause und in der Schule mehr als genug! „Wie alt bist du?“ Diese Frage traf Tatsuro unerwartet, und ohne dass er darüber weiter nachdachte floss die Antwort darauf auch schon über seine Lippen. „Siebzehn.“ Leicht murrte er über diesen viel zu vertrauensseligen Akt seinerseits, musste sich aber schließlich damit abfinden, dass er es nun auch nicht mehr rückgängig machen konnte Außerdem, was konnte dieser Fremde mit dieser Information auch schon anfangen? Er konnte ihn ja genauso gut angelogen haben. „Verstehe.“ Der nachdenkliche Unterton, der dieser Erkenntnis des Fremden anhaftete, ließ in Tatsuro mit einem Male eine bekannte innerliche Rage aufflammen, von der er sich nicht genierte sie schließlich auch zum Ausdruck zu bringen. „Was verstehen sie?! Das man in diesem Alter nicht weiß, was für einen gut ist? Das man zu naiv ist, um begreifen zu können, wie das Leben wirklich funktioniert? Lassen sie sich was gesagt sein, sie verstehen überhaupt nichts was mich betrifft!“ Eigentlich hatte Tatsuro damit gerechnet, das man ihn nun mit aufgebrachten Worten zurechtweisen würde, was seine Art sich mitzuteilen anbelangte. Nur ließ sich der Fremde nicht zu solch einem Akt unnötiger Aufruhr hinreißen, was in Tatsuro den Eindruck erweckte, dass man ihn gar nicht ernst genommen hatte. „Verrate mir, wohin willst du mit all dieser Wut, die dir inne wohnt?“ Wurde er aus heiterem Himmel gefragt, worauf er verfolgen konnte, wie der Fremde eine Hand nach ihm ausstreckte, sie unter sein Kinn legte und unter sanftem Nachdruck seinen Kopf leicht nach links und rechts bewegte. Wohl um sich die dunklen Male auf seinem Gesicht zu begutachten. Diese so selbstverständlich wirkende Geste der filigranen Finger ließ Tatsuro leicht erschaudern. Wie lange war es schon her, dass ihn jemand derart umsichtig berührt hatte? Man ihm keine Schmerzen zufügen wollte? Für einen kleinen Moment schloss er seine Augen erneut. Er vermisste es. Dieses Gefühl von Zuneigung. Etwas erschrocken über diesen sentimentalen Ausrutscher riss er seine Augen wieder auf, nur um daraufhin direkt in die dunklen Augen seines Gegenübers zu blicken. „Was willst du erreichen?“, hörte Tatsuro diesen fragen und kam nicht umhin, diese Stimme als äußerst angenehm zu empfinden, blieb jedoch abermals eine Antwort schuldig. Was sollte er auch wiedergeben? Zwar wusste er, dass er nicht so ein Leben führen wollte, wie Jene, die ihn so vehement in ein Muster zwingen wollten, doch was genau er für sich und seine Zukunft anstrebte, dass konnte er nicht sagen. Mit Bedauern musste Tatsuro verfolgen, wie der Fremde von ihm abließ, und wie ihm dieser Verlust von Nähe auch das verhasste Gefühl von Schwäche aufzeigte. Hinter all seinem schroffen Gehabe lag letztendlich doch nichts weiter als Hilflosigkeit. Hilflosigkeit sich selbst gegenüber. Müde über all diese erdrückenden Gedanken senkte Tatsuro seinen Kopf und wünschte sich erneut, einfach nur einschlafen zu können und nie mehr aufzuwachen. Verwundert hob er sein Haupt wieder an, als er spürte wie man ihm etwas um seinen Hals legte und er den weichen, roten Schall erkannte, dem der angenehme Duft eines sicherlich nicht gerade billigen Parfums anhaftete und der Tatsuro dazu bewegte, diesen einmal tief einzuatmen. Wieder lächelte der Fremde auf ihn herab, doch diesmal empfand er es nicht als etwas Negatives. Sondern als etwas, das ihn ein wenig von seinen trüben Gedanken befreite. „Ich habe das Gespräch mit deinem Freund vorhin gehört.“, erklärte der Fremde weiter und richtete seinen Blick nun auf den Fetzen dunklen Firmaments, der sich über ihnen befand. Erst jetzt bemerkte Tatsuro, dass es aufgehört hatte zu schneien und es merklich kälter geworden war. „Du bist in einer Band, wenn ich das richtig verstanden habe?“ Tatsuro wusste nicht, ob es richtig war zu viel von sich zu verraten, doch nickte er bejahend, was den anderen wieder leicht lächeln ließ. „Du hast eine interessante Stimme. Viel Potenzial um mehr daraus zu machen.“ Das verdutzte Gesicht, das Tatsuro nun offenbarte, deutete man in den richtigen Bahnen, worauf der Fremde wissen ließ, das er auch dessen Wutschrei nicht überhört hatte. „Auch wenn es mich nichts angeht, und ich weiß, dass das sicherlich ein Gedanke von dir ist, muss ich deinem Freund recht geben wenn er sagt, dass es nötig ist an sich zu arbeiten, wenn man Nutzen aus seinem Schaffen ziehen will. Ich habe keine Ahnung, welche Träume dir wichtig sind, doch wenn die Musik dazu gehört, dann halte an ihr fest. Sie kann dir ein unsagbar guter Freund werden.“ Auf diese Worte hin trat eine nachdenkliche Pause des Fremden ein, bevor er sich wieder an Tatsuro wandte. „Du hast das Feuer, das es braucht, da bin ich mir sicher. Doch lass nicht zu, dass es die Kontrolle über dich übernimmt, sondern bändige es dir zu deinen Gunsten. Mit etwas Willensstärke kann man viel bewegen.“ Tatsuro konnte nicht ganz nachvollziehen, was der Fremde ihm versuchte deutlich zu machen, merkte er nun doch immer deutlicher, wie ihm sein geschundener Körper und Geist die letzten Energien abverlangten. Das plötzliche Quietschen einer Tür lenkte seine Aufmerksamkeit jedoch hinter sich, worauf er auch die gedämpften – doch ihm recht bekannten – Klänge des Blue Hearts Songs Tabibito wahrnehmen konnte. Sowie eine weitere Person mit kurzen, wilden, schwarzen Haaren die ihn gar nicht zu bemerken schien, sondern ihr Interesse ausschließlich dem Fremden am Treppenabsatz widmete. „Was treibst du denn hier draußen, Acchan? Wir warten auf dich.“ Tatsuro war sich nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte, als er diese Anrede vernahm. Grinste aber etwas erheitert in den roten Schal hinein, als er den Blick seines Gegenübers einfangen konnte, der deutlich etwas verlegenes wiedergab. „Hast du schon wieder eine streunende Katze gefunden?“, hörte Tatsuro den anderen daraufhin fragen, was nun Acchan ein verschmitztes Lächeln auf die Lippen zauberte. „So könnte man es nennen.“ Dieser trat nun wieder auf ihn zu und lehnte sich leicht zu ihm nach vorn, um ihm verspielt durch die dunkle Mähne zu strubbeln. „Ich muss los.“ Tatsuro wusste nicht wie er das Gefühl, das ihn auf diese Worte hin überkam einzuordnen hatte, was ihn schließlich nur verstehend nicken ließ und er schon dazu ansetzte, sich den Schal wieder abnehmen zu wollen, als eine Hand auf Seiner dies unterband. „Behalte ihn. Als Sänger muss man auf seine Stimme achten.“ Damit zwinkerte er Tatsuro noch einmal zu, bevor er auch seine Hand wieder zurück zog und ein Stück an ihm vorbei die Treppe hinauf trat. „Ich möchte, dass wir uns eines Tages einmal wiedersehen. Und dann will ich sehen oder vielmehr hören, was du bis dahin aus dir gemacht hast. Versprochen?“ Das anhaltende Lächeln, das Acchan noch immer ins Gesicht geschrieben stand, als Tatsuro zu ihm hinauf schaute, übertrug sich augenblicklich auch auf ihn, dem unerklärlicherweise auch ein ungemein starkes Empfinden von Zuversicht anhaftete. „Ich will es versuchen.“ Kapitel 3: ----------- Musik. Mit dieser Option hatte sich Tatsuro bis jetzt nie wirklich auseinandergesetzt, erschien ihm das Singen doch eher als ein guter Zeitvertreib. Mehr etwas, das einen ablenken und beschäftigen konnte, als die Möglichkeit seine Zukunft darauf aufbauen zu wollen. Früher, wenn er seine Sommer bei seinen Großeltern verbracht hatte, hatte er oft und gern mit ihnen zusammen diese witzigen Kinderlieder gesungen. Und er erinnerte sich auch heute noch an dieses beflügelnde Gefühl, das ihn dadurch immer umfangen hatte. Das Gefühl von Liebe. Von Wärme Von zu Hause. Und eigentlich hatte er nur weiter daran festgehalten, weil er damit Erinnerungen verband, die ihm so unglaublich wichtig waren. Es war eine letzte Verbindung zu diesen geliebten Menschen und solange er sang, würden sie immer bei ihm sein. Er kannte zwar die eine oder andere bekannte Band, aber es war nicht so, dass er nun regulär irgendwelche Hochglanz-Musikmagazine kaufte, oder sich all diese Musik-Shows im TV anschaute. Wenn es etwas Interessantes auf dieser Ebene zu berichten gab, dann teilte ihm das Satoshi schon mit. Die meisten CDs die er bei sich herumliegen hatte waren Überbleibsel seiner Brüder, oder eben von Satoshi ausgeliehen. Im Gegensatz zu ihm war Satoshi doch recht passioniert, was das Verfolgen der neusten Erscheinungen im Musikbusiness anbelangte. Wohl auch ein Grund, warum er sich so gut mit Yaguchi verstand. Tatsuro nahm auch für sich selber an, dass er keine sonderlich markante Stimme hatte. Das hatte ihn auch Yaguchi schon einige Male wissen lassen. Aber sie reichte anscheinend soweit, dass es trotzdem Menschen gab, die nicht blitzartig davonstürmten, wenn er einen Song zum Besten gab. Warum ihn Yaguchi bei seinem Drang nach Perfektion immer noch in ihrer Band behielt, war ihm dennoch etwas schleierhaft. Gut, zum jetzigen Zeitpunkt stand er auf einem recht wackeligen Posten, was seinen Platz als Sänger betraf, aber noch hatte er eine Chance es sich nicht gänzlich zu verbauen. Ein gedehntes Seufzen rutschte ihm über die Lippen, als er sich an die Szene von Yaguchi vorhin erinnerte und eigentlich, so wusste er, würde er nicht auf dessen Erpressung eingehen. Sondern ihn einfach sitzen lassen, mit dem Hinweis, dass er ihn mal kreuzweise könne. Hätte er sich vor wenigen Stunden noch zwischen seinem Stolz oder der Aussicht weiter mit Yaguchi in einer Band spielen zu können entscheiden müssen, dann wäre er sicherlich mit einer anrüchigen Geste an Yaguchi vorbei getreten und hätte sich eine andere Beschäftigung gesucht. Doch standen die Dinge jetzt etwas anders. Und auch wenn es seltsam erschien, sich von einer eher unspektakulären Begegnung mit einem völlig Unbekannten so einnehmen zu lassen, so hatte es doch etwas in ihm freigelegt. Und wenn er genauer über die Sache mit Yaguchi nachdachte, dann schien deutlich zu werden, dass dieser wohl einen bestimmten Grund haben musste, warum er ihn nicht schon viel eher – und auch jetzt – nicht einfach durch jemand anderen ersetzt hatte. Er zweifelte nicht daran, dass es auch noch Jungs in ihrer Schule gab, die seine Rolle gerne übernehmen würden. Schon allein weil es ein ungeheurer Pluspunkt bei den Mädchen sein konnte. Aber vielleicht wusste Yaguchi auch, dass er so schnell niemanden finden würde, der es mit seiner Persönlichkeit aushalten würde. Tatsuro grinste nun etwas über diese Erkenntnis. Yaguchi war aber auch wirklich ein nerviger Mensch, mit seinem Hang alles so fehlerlos wie nur möglich gestalten zu wollen. Auf Dauer war dies nur zu ertragen, wenn man seine Allüren kannte und damit zurechtkam. Oder wie in seinem Falle, ihn einfach nicht ernst nahm. Wie es Hiro und Satoshi möglich war, nie die Ruhe zu verlieren, war ihm zwar unbegreiflich, aber für ein Miteinanderauskommen wohl der logischste Weg. Eine Formation, in der sich ständig alle Mitglieder an die Gurgel gingen, hatte keine Chance. Mit Bedauern blickte Tatsuro nun auf die leere Packung Zigaretten in seiner Hand. Die Letzte hatte er zwar erst vor wenigen Minuten geraucht, doch hatte sie ihm nicht die gewünschte Ruhe bringen können, nach der er gesucht hatte. Es schneite erneut, als er die Gasse hinter sich gelassen und sich wieder in Richtung des Hauses aufgemacht hatte, dass er am liebsten nie wieder würde betreten wollen. Aber er hatte keine Wahl. Noch etwas tiefer vergrub er sein Gesicht in dem wolligen, roten Strickwerk, das um seinen Hals lag und erneut stellte Tatsuro fest, wie angenehm dieses doch roch. Ein leichtes Grinsen stahl sich daraufhin auf seine Lippen, dessen Auslöser er nicht benennen konnte, doch fühlte er sich seit langem wieder einmal etwas ausgeglichener. Der Gedanke ein Ziel vor Augen zu haben erleichterte ihn auf eine seltsame Weise. Nun wusste er wenigstens, wo er ansetzen, woran er sich versuchen konnte. Nicht das er glaubte, dass alles mit diesem Vorhaben, sein Leben so gestalten zu wollen, einfacher werden würde. Vielmehr, so konnte er sich gut vorstellen, würde man versuchen, ihm diesen gefassten Gedanken wieder auszureden, da solch ein Ziel nicht weniger unpassend für eine solide Zukunft war, wie überhaupt nicht zu wissen was man wollte. Aber was hatte er schon zu verlieren? Er hatte sich schon vor einiger Zeit allen gesetzten Erwartungen in ihn entzogen, also sollte sich gefälligst auch niemand daran stören, wenn er sich auf etwas fixierte, das von vornherein keiner für ernst nehmen würde. Tatsuro verlangsamte seine eh schon recht gemächlichen Schritte noch etwas, als er sich seiner Umgebung gewahr wurde und blickte prüfend auf die Bank, auf welcher er vorhin noch diese angetrunkene Gestalt hatte beobachten können. Von ihr war nichts mehr zu sehen. Nur der leicht zerwühlte Schnee auf und um diese Sitzgelegenheit zeugte noch davon, dass sich vor nicht allzu langer Zeit jemand dort zu schaffen gemacht haben musste. Eigentlich, so dachte sich Tatsuro, konnte es ihm auch egal sein, was aus ihr geworden war. Schicksale gab es so viele. Seines nicht ausgeschlossen. Die Fassade zeigte keinen Lichtschein in den Zimmern, als er nach einigem Hadern mit sich selbst wieder vor dem Haus angekommen war, das er vor wenigen Stunden mit diesem erdrückenden Gefühl von Wertlosigkeit verlassen hatte. Er konnte nur hoffen, dass niemand mehr munter sein würde und er sich einfach nur in sein Bett legen konnte um zu schlafen. Sollte sein Vater nun auch noch den Alkohol an ihm ausmachen, dann könnte er unter Garantie die Nacht zwischen den verstaubten Kisten und ausgedienten Haushaltsutensilien im Keller zubringen. Oder gleich im Garten sein Lager aufschlagen. Aber das würde dieser alte Wichtigtuer schon aus dem Grund nicht in Erwägung ziehen, da einer der Nachbarn etwas davon mitbekommen könnte. Langsam näherte er sich dem Eingang. Vorsichtig und so lautlos wie möglich steckte Tatsuro den silbernen Schlüssel in das Schloss der Haustür, dessen kurzes Klicken als er den Schlüssel in diesem bewegte, ein leicht ertapptes Zucken bei ihm auslöste. Erschien es ihm unerwünscht laut in der ihn umgebenden nächtlichen Ruhe. Das ganze Haus war in Dunkelheit getaucht, als er es betrat und die Tür mit Bedacht wieder schloss. Erleichtert atmete er auf. Rasch legte er nun die letzten Meter die Treppe hinauf und zu seinem Zimmer zurück. Alles, wonach er sich jetzt sehnte, war Schlaf. * Ein anhaltendes und penetrantes Schaben zwang sich in seinen traumlosen Schlaf und brachte Tatsuro mit einem leisen Murren dazu, seinen Kopf unter seinem Kissen zu verstecken, um dieses nervige Geräusch damit auszublenden. Ein unangenehmes Pulsieren hinter seiner Stirn stellte sich aber kurzdarauf ein, und unter einem erneuten, ungehaltenen Laut des Verdrusses warf er das Kissen schließlich missmutig in den Raum, worauf er ein dumpfes Poltern zu seiner Rechten vernehmen konnte. Unter einigem Zwang öffnete er schließlich seine schweren Lider und blickte etwas verschwommen in den graugefluteten Raum, der ihn umgab. Eine Kopfbewegung in Richtung des Fensters zeigte ihm, dass die Vorhänge geschlossen waren und er sich auch nach merklicher Anstrengung nicht daran erinnern konnte, dass er dies gestern Nacht noch zu Stande gebracht hatte. Mit etwas Mühe richtete er sich schließlich auf, was augenblicklich das Hämmern in seinem Kopf intensivierte und er sich gequält an seine Schläfen fasste. Überhaupt fühlte er sich unglaublich elendig und ein leichtes Schnüffeln an seiner Kleidung verstärkte diesen Umstand noch. Er brauchte eine Dusche und etwas gegen diesen verdammten Schmerz in seinem Kopf. Träge zog er sich schließlich die Sachen aus, die er noch am Leibe trug. Gemächlich schlurfte er durch den kleinen Raum, um in all dem herrschenden Chaos noch ein paar halbwegs saubere Kleidungsstücke zusammen zu sammeln, als sein Blick auf etwas fiel, dass ihn in seiner Suche inne halten ließ. Sinnierend nahm er den roten Schal vom Boden neben seinem Bett auf und ließ sich damit wieder auf die Matratze sinken. Er hatte sich ein Ziel gesetzt. Das erste richtige Ziel in seinem Leben. Und er wünschte sich inständig, dass er auch die Kraft würde aufbringen können diesen Weg beizubehalten. Noch wusste er nicht, was alles auf ihn zukommen konnte. Ob dieses Ziel überhaupt für ihn erreichbar wäre. Immerhin stand er fast völlig am Anfang und er konnte auch nicht darauf zählen, dass man ihn in seinem Wunsch unterstützen würde. Er musste es allein in die Hand nehmen und selbst etwas daraus machen, wollte er vorwärts kommen. Doch konnte er das auch wirklich? Das Bild des Fremden, nein von Acchan, trat wieder vor seine Augen, als er ihm sein Versprechen gegeben hatte. Er hatte es zu versuchen! Es gab immerhin jemanden, der an ihn glaubte. Selbst wenn Acchan sich nicht länger als eine Stunde mit ihm abgegeben hatte, so gab ihm dieses Gefühl, dieses Versprechen etwas Kraft, die er nutzen und ausbauen wollte. Tatsuro erhob sich nun wieder und hing den Schal über die Lehne des Stuhles an seinen Schreibtisch. Er würde es definitiv versuchen! Frisch geduscht – doch noch immer etwas zerschlagen – trat Tatsuro wieder aus dem Badezimmer heraus und suchte sich seinen Weg zurück in sein Zimmer. Bis jetzt war ihm weder sein Vater, noch seine Mutter über den Weg gelaufen, was er nur zu begrüßen wusste. Ein Blick in den Raum vor ihm zeigte jedoch, dass man sehr wohl schon bemerkt hatte, dass er zu Hause und munter war. Das Fenster war geöffnet worden und ließ kühle Winterluft herein, die einige verteilte Papiere aufbauschte und mit den Vorhängen spielte. Eilig schritt Tatsuro auf besagtes Fenster zu, um es wieder zu schließen, da seine Haare noch immer feucht waren und er keinen Wert auf eine Erkältung legte. Er konnte noch verfolgen, wie sein Vater mit einem Schneeschieber in der Hand in der Garage verschwand, deren Einfahrt penibel von Schnee befreit worden war, was auch den Grund für sein frühzeitiges Erwachen erklärte. Seine Aufmerksamkeit schweifte daraufhin über den mit unzähligen Dingen überladenen Schreibtisch neben ihm. Man hatte eine kleine Ecke freigeschoben, um ein Tablett mit einigen kleinen Schalen dort zu platzieren, in denen sich alles befand, was zu einem ausreichenden Frühstück gehörte. Natürlich, sie konnten ihn ja nicht einfach so verhungern lassen. Was würde das denn auch für ein Bild abgeben. Das deutliche Knurren seines Magens erinnerte ihn aber daran, dass es ihm egal sein sollte, warum dort etwas zu essen stand, solange es ihn satt machen würde. Skeptisch beäugte er das Angebot in den Behältnissen, worauf er schließlich einiges davon zusammenkippte und in großen Happen verspeiste. Das Zuschlagen einer Autotür ließ ihn prüfend auf die Uhr an seinem Bett schauen, deren Anzeige ihm verriet, dass sich sein Vater nun auf den Weg in den Salon machte. Was bedeutete, dass er ihn zumindest heute Morgen nicht mehr zu Gesicht bekommen musste. Ihm selbst blieb noch eine Stunde, bevor die Schule begann. Aber nur weil er nun etwas mehr Orientierung seine Zukunft betreffend gefunden hatte, hieß das noch lange nicht, dass er nun seine ganzen alten Rituale über den Haufen warf. Es reichte wenn er zur zweiten Stunde dort auftauchen würde, mochten ihn seine Lehrer eh nicht sonderlich, und ihn interessierte dieses langweilige Gerede über Algebra nun herzlich wenig. Wann würde er das schon einmal brauchen? * Wie zu erwarten störte man sich nicht daran, dass er wieder einmal nicht zur gegebenen Zeit seinen Weg in seinen Klassenraum bewältigt hatte, worauf sich Tatsuro einfach in seinen Sitz sinken ließ und die Blicke des Lehrers und seiner Mitschüler geflissentlich ignorierte. Wenn er richtig lag stand Englisch auf dem Plan. Auch ein Fach, das nicht mit sonderlich viel Spannung aufwarten konnte, doch recht brauchbar war, wenn es darum ging, die Songs die sie ab und zu spielten auch verstehen und einigermaßen verständlich wiedergeben zu können. Es war eines der wenigen Fächer, wo er sich etwas zusammen riss und ab und zu sogar ein kleines Erfolgserlebnis für sich verbuchen konnte, wenn es um einen Test ging. Vielleicht ließ man ihn deshalb auch in Ruhe, wenn er zu spät erschien, da man sich dachte, dass er wenigstens hier etwas mehr Bemühen zeigte als es sonst der Fall war. Sport natürlich ausgeschlossen. Es war das einzige Fach, auf das er sich wirklich immer freute, da er sich dort nicht mit nervigen Formeln oder Fakten herumschlagen musste. „Hey Iwagami, wieder mal den Mund zu voll genommen?“, hörte er es plötzlich neben sich neugierig fragen, worauf er feststellen musste, dass die Stunde schon vorüber war und ein munteres Geplauder in der Klasse herrschte. Seine Aufmerksamkeit richtete sich folglich auf die Person, die ihn noch immer fixierte. „Mihashi. Es ist mir immer eine Freude dich zu sehen.“, spöttelte er ihm entgegen, worauf dieser ihm ein gekünsteltes Grinsen schenkte. „Es wundert mich nicht, dass dir ständig jemand eine reinhauen will Iwagami. Und wie ich sehe, hat es diesmal wieder geklappt. Oder bist du einfach nur die Treppe herunter gefallen?“ Etwas irritiert über das Gerede des Jungen, der sich nun vor ihn platziert hatte, hob Tatsuro eine Augenbraue an, als ihm ein leichtes Ziepen bewusst machte, worauf der andere eigentlich anspielte. In all seinem Tun hatte er heute noch nicht einmal in einen Spiegel geschaut und somit auch nicht das Ausmaß der Auseinandersetzung mit seinem Vater gestern Abend begutachten können. Das würde auch erklären, warum er heute das Gefühl nicht losgeworden war, dass man ihn eindringlicher als sonst betrachtete. „Mihashi, wenn du nicht riskieren willst am Ende des Tages recht unattraktiv nach Hause zu laufen, zieh einfach wieder ab.“ Mit einem abfälligen Zischen auf diese Bemerkung hin ließ man ihn schließlich wieder allein, was Tatsuro die Möglichkeit gab erst einmal den Waschraum aufzusuchen, um sich selbst genauer in Augenschein zu nehmen. Er hatte schon einmal besser ausgesehen, stellte er fest, als er sich vor der großzügigen Spiegelzeile der Jungs Toilette begutachtete. Aber auch schon schlechter. Bis auf ein paar kleine Blessuren und einem nicht all zu deutlichen blauen Fleck in der Nähe des rechten Wangenknochens war nichts weiter zu sehen. Er war eben recht robust, was so etwas anbelangte. Ein bitteres Auflachen echote von den steril gefliesten Wänden wieder, als er sich ausmalte, was wohl passieren würde, würde er erzählen, dass er diese Verzierungen in seinem Gesicht seinem Vater zu verdanken hatte. Es würde ebenso keinen interessieren. Man würde ihn wohl nur als schlechten Lügner hinstellen, der nichts weiter als Probleme machte und am Ende solch eine Strafe nur zu recht verdient hatte. Und das schien auch sein Vater zu wissen, weshalb er sich wohl auch nicht darum scherte, wenn sein Sohn in solch einem lädierten Zustand durch die Gegend laufen musste. Das Zeichen zur nächsten Stunde ertönte, was Tatsuro nur gelangweilt schnaufen ließ. Er hätte sich noch eine neue Packung Zigaretten holen sollen, dann hätte er jetzt wenigstens etwas zu tun. Kapitel 4: ----------- Erleichtert atmete Tatsuro durch, als sich der Lehrer der letzten Stunde verabschiedete und er diese Stätte der sinnlosen Zeitverschwendung hinter sich lassen konnte. Er musste sich jetzt unbedingt etwas zu Rauchen besorgen. Mit schnellen Schritten durchquerte er die Gänge, vorbei an tuschelnden Mädchen und den kleinen Gruppen von Jungs, die so typisch waren für das Ausklingen eines Schultages. Er beschloss, dass eine Abkürzung über den hinteren Hof des Komplexes ihm etwas Zeit sparen würde. In seinem Verlangen nach seinen Ruhespendern bemerkte er gar nicht, wie eine der kleinen Truppen, an denen er gerade vorbeigezogen war, ihm nun folgte. Das recht aggressive Vorbringen seines Namens ließ Tatsuro jedoch überrascht inne halten und sich umwenden. Ein verdrießliches Seufzen rutschte ihm über die Lippen, als er Mihashi erkannte, gesäumt von drei weiteren Jungen, die ihm aber völlig unbekannt waren. So wie es aussah, würde er noch eine Weile auf sein Nikotin verzichten müssen. „Mihashi.“, brachte Tatsuro in sarkastischer Freundlichkeit hervor, „Was kann ich denn für dich und deine Freunde tun?“ „Gott Iwagami, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich verabscheue.“, fing dieser nun an seine Anwesenheit zu erklären und trat dabei immer näher auf Tatsuro zu. „Deine dämliche Arroganz regt mich schon so lange auf. Du glaubst wohl, dass du der Größte bist, was!?“ Ein prüfender Blick auf den Jungen, der ihm gerade so herzlich seine Gefühle mitgeteilt hatte und die Affen die ihn flankierten ließ Tatsuro abwägen, welche Option für ihn nun die Beste darstellen würde. Vier gegen einen war keine Situation, die er nicht schon erlebt hätte. Doch wusste er auch noch, wie sich diese Auseinandersetzung für ihn gestaltet hatte. Zwar hatte er auch reichlich austeilen können, aber am Ende war er doch ziemlich zerschunden gewesen. „Was ist? Bekommst du es etwa mit der Angst zu tun?“, höhnte Mihashi jetzt großspurig, was sein Gefolge dümmlich feixen ließ. „Ich dachte du wolltest mir etwas von deiner tollen Stärke demonstrieren, oder war das heute Morgen nur überhebliches Gerede?“ Die andere Möglichkeit wäre die einfachste, aber nicht gerade die ehrenhafteste. Flucht. Doch wenn er das täte, dann wäre er morgen das Gespött der ganzen Schule und das wäre in seiner jetzigen Lebensphase nicht gerade etwas, womit er überlegt würde umgehen können. Also hieß es doch zum Angriff übergehen. „Weißt du Mihashi, ich denke, dass du einfach nur ein kurzschwänziger Schisser bist und du mein Bedauern darüber verdient hast.“ Es war ein Leichtes für Tatsuro der heranfliegenden Faust auszuweichen, die auf sein Gesicht zielte. Mit einem belustigten Lachen über diesen verunglückten Akt wich Tatsuro ein Stück zurück, nur um daraufhin nach vorn zu schnellen und seinem Angreifer nun einen gezielten Schlag in den Magen zu verpassen. Unter gepeinigtem Japsen ging Mihashi in die Knie, worauf sich Tatsuro sogleich mit dem Rest dieser Schauspielgruppe konfrontiert sah. Ein hitziger Austausch von Schlägen und Tritten folgte, denen sich Tatsuro nur mühsam erwehren konnte. Doch er hielt stand. Ein plötzliches Hindernis hinter ihm ließ ihn jedoch straucheln und noch im Fall konnte er erkennen, dass es Mihashi war, der ihm hinterrücks ein Bein gestellt hatte, was ihn nun ungeschickt zu Boden gehen ließ. Tatsuro war nicht schnell genug, dass er dem ersten Tritt in seine Seite hätte ausweichen können, worauf er nur gequält aufkeuchen und sich zusammenkrümmen konnte. Ein weiterer Tritt in seinen Rücken folgte und die Erkenntnis, dass er wohl verspielt hatte, als er plötzlich eine vertraute Stimme erkannte. Seine Peiniger ließen daraufhin von ihm ab und er konnte die Zeit nutzen, um wieder auf die Beine zu kommen. Leicht schwankte er noch, als es ihm gelungen war, doch hielt man ihn sichernd am Arm, was Tatsuro unweigerlich an gestern Abend erinnerte. Doch war es diesmal kein Unbekannter, der sich seiner annahm, sondern Satoshi mit seinem anscheinend nie vergehenden, breiten Grinsen im Gesicht. „Alles OK bei dir?“, erkundigte er sich fürsorglich, was Tatsuro nur mit einem leichten Nicken bestätigen konnte. „Was willst du Penner hier?! Diese Sache geht nur mich und Iwagami was an. Also halte dich gefälligst raus, verstanden!“ Tatsuro konnte deutlich die Unsicherheit in Mihashis Stimme vernehmen, was ihn nun ebenfalls zu einem leichten Grinsen animierte. „Vier gegen einen ist keine Sache zwischen dir und mir Mihashi. Oder hast du einen zu derben Schlag auf den Kopf abbekommen, dass du das nicht mehr unterscheiden kannst?“ Der Zorn des Jungen vor ihm war nun deutlich zu greifen und Tatsuro wusste, dass dieser sich nicht einfach so zurückziehen würde. Zu groß war die Schmach, sein Ziel nicht erreicht zu haben. Und gerade als Mihashi erneut auf ihn zustürmte, gefolgt von seinen Anhängseln, nahm er die Präsenz zweier weiterer Personen neben sich wahr, was zur Folge hatte, dass seine Gegner abrupt zum Stehen kamen und reichlich unentschlossen einander anblickten. Und Tatsuro war nicht weniger überrascht, als er erkannte, wer sich hier auf seine Seite geschlagen hatte. „Hiro?...Yaguchi?“ „Ich hatte dir doch gesagt, dass ich dich heute zu den Proben erwarte, aber wie ich sehe spielst du lieber mit Dreck, als dich zu deinen Pflichten zu bekennen.“ Diese Worte verwirrten Tatsuro noch etwas mehr, wusste er nicht wie er Yaguchis Hinweis richtig zu deuten hatte. Doch ließ ihn das heitere Glucksen, das er von Satoshi einfing annehmen, dass dieser sich gerade zu einer ironischen Bemerkung hatte hinreißen lassen und das nicht nur auf seine Kosten. Und Mihashi schien dies ebenso zu sehen, was ihn kopflos über seinen Zorn abermals auf sie zustürzen ließ. Doch noch bevor er hätte etwas ausrichten können, rutschte er auf einer vereisten Stelle am Boden aus und landete ungraziös im Schnee zu ihren Füßen. Dieser Akt brachte nun auch seine Vasallen zum schadenfrohen Lachen und ehe man sich versah, war Mihashi aufgesprungen und unter innigem Zetern auf und davon. Nun, da ihr Führer das Weite gesucht hatte, sah auch die Nachhut keinen Grund mehr, sich weiter hier herumzuärgern und verschwand nun ebenfalls ohne weiteres Aufsehen. „Wirklich, nichts als Ärger hat man mit dir.“, ließ ihn Yaguchi noch wissen, bevor er sich umwandte und auf den Weg zu den Räumen machte, wo sie die Erlaubnis bekommen hatten ihrer Musik nachgehen zu können, ohne dass sich jemand davon gestört fühlte. Unter einem leidlichen Zischen, das er einem Schmerzimpuls in seinem Rücken zu verdanken hatte, klopfte sich Tatsuro den mit Schmutz vermengten Schnee von seinen Sachen, die er morgen nicht mehr würde anziehen können. Eine Hand auf seiner Schulter ließ ihn neben sich blicken, wo er noch immer Satoshi und Hiro vorfand, die ihn aufmunternd angrinsten. „Ich glaube du hast jetzt in Masaaki einen Freund fürs Leben gefunden.“, witzelte Hiro, worauf Tatsuro fast automatisch ein belustigtes Schnaufen entkam. Er und Yaguchi würden sicherlich nie mehr als Bandkollegen sein. Für alles andere waren sie einfach zu unterschiedlich in ihren Ansichten. Aber was sollte es auch? Die High School dauerte nicht ewig und was danach kam, stand noch in den Sternen. Vielleicht würde sich die Band auflösen, da jeder von ihnen seine Zeit in andere Dinge zu investieren hatte. Zumindest konnte er sich das bei den anderen dreien vorstellen. Er wäre einfach nur froh, wenn er nie wieder eine Schule von innen sehen müsste. Ein entferntes Räuspern ließ sie synchron in die Richtung blicken, in die Yaguchi gegangen war, nur um diesen in etwas Abstand stehend vorzufinden, wo dieser mit einer bedeutungsvollen Geste auf sein Handgelenk anzeigte, dass sie ihre Zeit noch für etwas anderes nutzen sollten. „Der Meister ruft.“ Damit setzte sich auch Satoshi in Bewegung, dem Hiro schließlich folgte. Tatsuro stand noch einen Augenblick an Ort und Stelle und blickte den drei Jungen nach, von denen zwei gerade dazu übergingen eine Schneeballschlacht zu beginnen, was Yaguchi nur seinen Kopf schütteln ließ. Und eigentlich, so dachte sich Tatsuro, war er schon irgendwo dankbar, dass sie ihn in ihrer Mitte duldeten, obwohl er solch einen schroffen Charakter darstellte. Mit einem breiten Grinsen nahm er nun ebenfalls etwas von dem weißen Element in seine Hände und formte es sich zurecht, worauf er das runde Geschoß auf die kleine Gruppe vor sich niedergehen ließ. „IWAGAMI, du Spinner!“, brüllte es ihm dann auch schon entgegen, was in Tatsuro den sentimentalen Gedanken aufkommen ließ, dass er Yaguchis Gemotze fast vermissen könnte, würden sich ihre Wege einmal wieder trennen. * „Jungs, ihr müsst schon im Takt bleiben. Satoshi du bist viel zu schnell. Und Hiro, versuch es mal eine Spur flüssiger.“ Tatsuro saß auf einem der Hocker in ihrem Proberaum und beobachtete die Fliege, die um den Abfalleimer in einer der Ecken des Raumes kreiste. Was wohl ihr Interesse geweckt hatte? Vielleicht der alte Cheeseburger? Oder das Onigiri, das er Satoshi vor ein paar Tagen aus der Hand klauen wollte. Und welches dann im hohen Bogen durch das Zimmer geflogen und nach seiner Landung mit reichlich unappetitlichen Schmutzpartikeln dekoriert war? Seine Aufmerksamkeit legte sich wieder auf seine Kollegen, die sich gerade von Yaguchi erklären lassen durften, wie sie diesen langweiligen Oldie zu spielen hatten, den sie für ihren Auftritt nächste Woche einstudieren durften. Es war ein besonderes Event, weswegen es auch zu einer ungewöhnlichen Zeit des Schuljahres stattfand. Irgendein Jubiläum. Das Problem war nur, dass sie musikalische Vorgaben bekommen hatten. Und es war so typisch für Yaguchi, das Ganze trotzdem mit diesem verfluchten Eifer anzunehmen. Sie waren kein Barber Shop Quartett und doch sollten sie nun diese Oldies zum Besten geben, die sie alle etwas überforderten, waren sie doch bei weitem Dynamischeres gewöhnt. Auch wenn er zugeben musste, dass es ihm ein wenig imponierte, dass Yaguchi es hinbekommen hatte, einige der Songs auf ihre Instrumente umzuschreiben und dabei den original Sound dennoch beizubehalten. Doch so wie es aussah würde er heute nicht mehr zu seinem Einsatz kommen, würden Hiro und Satoshi nicht doch noch Yaguchis Anforderungen genügen können. „Uhhhh, ich brauch ne Pause!“, hörte er kurz darauf Satoshi murren, der schon im Begriff war sich erheben zu wollen, als er von Yaguchi zurückgehalten wurde. „Eine Pause sollte man sich verdienen.“, bekam er auch sogleich als Antwort, was Satoshi nur noch inniger murren ließ, sich aber nicht weiter auflehnte. Ein paar Minuten später ertönte erneut der Klang von Sukiyaki und tatsächlich hörte es sich schon wesentlich harmonischer an als noch Augenblicke zuvor. „Ist zu ertragen.“, verkündete Yaguchi schließlich, was in seinem Falle schon so etwas wie ein Lob darstellen konnte. Mit einem Wink seiner Hand deutete er nun auch Tatsuro an, sich zu ihnen zu gesellen, worauf er sich gemächlich in Bewegung setzte. „Ein wenig mehr Enthusiasmus, wenn ich bitten darf.“ Yaguchi hatte gut reden, für ihn war jedes Kinderlied einen riesen Einsatz wert, doch hielt sich bei ihm die Begeisterung über eine Schmonzette wie diese doch arg in Grenzen. Nichtsdestotrotz nahm er das Mikro in seine Hände und auf ein Zeichen, dass er bereit wäre, versuchte man sich erneut. Eine gute Stunde später und ziemlich genervt darüber, immer wieder denselben Song einspielen zu müssen, hatte auch Yaguchi Erbarmen und räumte ihnen großzügig eine Pause ein. Satoshi kramte daraufhin in seiner Schultasche herum, bis er schließlich eine Flasche Cola und eine Schachtel Zigaretten hervorzog und sie auffordernd in die Runde hielt. „Das kann ich echt gut gebrauchen.“, ließ Tatsuro verlauten, worauf er dankend eines der Tabakröllchen an sich nahm. Hiro tat es ihm gleich und sogar Yaguchi ließ sich das Angebot nicht entgehen. Gemeinsam suchten sie sich ihren Weg in einen der Räume, der nur noch als Abstellkammer fungierte, ihnen aber als günstiges Versteck diente, ihrem Laster zu frönen. Kühle Luft zog an ihnen vorbei, als Hiro das Fenster ein Stück weit öffnete, um zu verhindern, dass der Qualm sich nicht zu weit im Zimmer verteilte, damit aber jedem ein leichtes Frösteln bescherte. „Was ist der nächste Song auf deiner Liste?“, hakte Satoshi nach einer Weile des Schweigens nach, worauf er fragend zu Yaguchi blickte, der gerade dabei war seine Zigarette auszudrücken. „Hättest du die Set List gelesen, die ich ausgehändigt habe, wüsstest du es. Aber es war ja nicht anders zu erwarten.“, gab dieser etwas schnippisch zurück. „Der nächste Song ist Mata Au Hi Mate “, erklärte er dann doch noch großzügig, was zwei von drei Personen um ihn herum mit einem resignierten Seufzen quittierten. „Oh, ich finde Ozaki-san ganz cool.“, kam es überraschenderweise aus Satoshis Mund, was selbst Yaguchi mit einem perplexen Starren zurück ließ. „Was? Meine Mom steht auf ihn. Ich glaube sie kauft seit 15 Jahren immer das gleiche Shampoo, nur weil er mal Werbung dafür gemacht hat.“ „Warum müssen wir auch nur solche Softie-Songs spielen? Selbst in den 80ern gab es genug gute, rockige Songs.“ Yaguchi konnte sich einen skeptischen Gesichtsausdruck auf Hiros Feststellung nicht verbieten. „Und was genau schwebt dir da vor?“ Kurz überlegte Hiro auf Yaguchis Frage hin, bis sich seine Gesichtszüge schließlich aufhellten. „Wie wäre es mit You wa Shock “, gab Hiro den Titel für diesen Song passend euphorisch vor, was Satoshi sofort zu einem energischen „ATATATATATATATATA!!!“, plus dazugehörige fliegende Fäuste übergehen ließ. Tatsuro grinste belustigt über dieses Schauspiel. Auch wenn er Hokuto no Ken nur sporadisch gesehen hatte, so war dieser Song doch das unverkennbare Markenzeichen dafür geworden und irgendwie jedem bekannt. „Und ich schätze, dass Iwagami beide Gesang-Parts übernehmen soll?“ Hach Miya war schon manchmal ein Spielverderber. „Klar, das kriegt er schon hin. Er braucht nur so ne super Sonnenbrille und ne Kaltwelle, dann klappt das schon.“, fachte Hiro ihren Nonsens weiter an, was nun auch Satoshi überschwänglich auflachen ließ. „Oh Gott die Mädels wären verrückt nach dir Tatsu.“, brachte er es im Hieven nach Luft noch hervor, was nun selbst Yaguchi ein schmales Lächeln entlockte. „Echt, warum zwingt man uns dazu, unser Potenzial so einzuschränken? Wenn ich mich recht an diese Liste erinnere, ist ein weiterer Song Prussian-Blue no Shozou.“ Es war erneut Hiro, der sich zu Wort meldete, und Yaguchi damit ein etwas empörtes Schnaufen entlockte. „Dieser Song ist ein Klassiker.“ Ah, da kam jetzt wohl doch der verkappte Fan in Yaguchi durch? „Wäre da nicht eher Wine Red no Kokoro ein Klassiker, bezogen auf Anzen Chitai?“ Nun lag alle Aufmerksamkeit auf Tatsuro und seine Einwände. „Du scheinst dich ja auszukennen.“, ereiferte sich Yaguchi auch schon und ging in so etwas wie ein zickiges Schmollen über. „Ich meine ja nur. Es war ihr erster großer Hit. Das weiß schließlich jeder.“ Selbst er. „Wenn ihr euch derart sicher seid, so viel mehr drauf zu haben, dann lasst es doch die Verantwortlichen wissen. Nur dann ohne mich, denn wenn ich etwas weiß, dann dass wir uns mal nicht überschätzen sollten! Am Ende hättet ihr doch eh keinen Plan, was ihr spielen wollt.“ „Oh ich hätte da einige Ideen!“, warf Satoshi dazwischen. „Wie wäre es zum Beispiel mit Jesus von Luna Sea? Das Opening ist genau nach meinem Geschmack. Oder Rusty Nail ist auch nicht schlecht.“ Tatsuro musste etwas schmunzeln über die Euphorie, die Satoshi an den Tag legte. „Ich mag ja Dejavu ganz gerne, das könnten wir mal versuchen.“, brachte er seinen Vorschlag mit ein, wofür Yaguchi aber nur ein Kopfschütteln erübrigen konnte. „Übernehmt euch mal nicht.“, erklärte er seine Reaktion schließlich. „Was glaubt ihr denn, wie lange diese Bands gebraucht haben, bis sie diese Songs richtig beherrscht haben? Wir sind gerade mal am Anfang von Allem und können froh sein, wenn wir diese Softie-Songs ohne große Fehler rüberbringen. Um einen Song wie Jesus oder Dejavu spielen oder singen zu können, muss man schon etwas mehr Talent sein eigen nennen können, als es momentan der Realität entspricht.“ Das war wieder typisch für Yaguchi, ging es Tatsuro auf diese Predigt durch den Kopf. Wo andere einfach nur den Spaß an einer Sache sahen, gab es für ihn nur eiskalte Fakten. Yaguchi schien mit Leib und Seele der Musik verschrieben zu sein. Für ihn war es längst kein einfaches Hobby mehr, sondern eine sehr ernstzunehmende Beschäftigung, bei der er keinerlei Unordnung gutheißen mochte. Und genau diese Einstellung war es, die Tatsuro selbst noch fehlte. Jedoch erforderlich wäre, wollte er in dieser Branche etwas für sich erreichen. Yaguchi mochte ein unglaublich anstrengender Typ sein, den er unter anderen schicksalhaften Umständen sicherlich nicht einmal realisiert hätte, selbst wenn sie in dieselbe Klasse gehen würden. Wäre Sato nicht eines Tages mit der Nachricht zu ihm gekommen, dass ihre Schulband einen neuen Sänger suchte, dann würde er Yaguchi überhaupt nicht kennen. Ob dies nun Glück oder eine Strafe des Schicksals sein sollte, darüber galt es noch ausführlicher zu grübeln. Doch für diesen, sie gerade umgebenden Augenblick, so musste sich Tatsuro zugestehen, fühlte er so etwas wie Bewunderung für den exzentrischen und etwas zu kurz geratenen Jungen, der scheinbar genau wusste, was er aus seinem Leben einmal würde machen wollen. Und wie er es anzustellen hatte, seine Ziele auch erreichen zu können. Er hingegen hatte nur einen schmalen und unwegsamen Pfad vor sich liegen, und jeder falsche Schritt könnte sein Vorhaben zu Nichte machen, würde er nicht genau Acht geben. Ein inniges Seufzen trat Tatsuro über diese Gedankengänge hin über die Lippen, was ihn auch spürbar seine Willenskraft zu entziehen wusste. Was, wenn er einfach zu schwach sein würde? Was, wenn er mit der Entscheidung der Musik zu folgen einen ungemein großen Fehler beging? Er war kein Wunderkind, das mit ungeahnten Talenten überzeugen konnte und sich bei einer Niederlage einfach in einer anderen Nische behauptete. Alles was er war, war nichts Besonderes. Nichts, worauf er sicher aufbauen konnte. Würde er etwas zu Stande bringen wollen, dann müsste er von ganz unten anfangen und er kannte sich gut genug um zu wissen, dass sein Stolz ein -Ganz unten- nur sehr schwer akzeptieren konnte. Verdrießlich schüttelte Tatsuro seinen Kopf, der mit jedem Fakt zu dieser Sache nur noch mehr an Gewicht zuzunehmen schien. „Alles in Ordnung?“, hörte er plötzlich jemanden an seiner Seite fragen und erkannte Hiro neben sich, der ihm eine Hand auf seine Schulter gelegt hatte und ihn mit so etwas wie Besorgnis in den Augen anschaute. Es war nicht das erste Mal, dass Hiro ihm auf diese freundschaftliche Art und Weise nahe kam. Trotzdem umfing Tatsuro bei so etwas ständig dieses Gefühl einer drängenden Unruhe. Gleich einem Reflex zur Flucht. Es war einfach zu selten geworden, dass ihm jemand solche Gesten entgegen brachte. Mal abgesehen von Sato, aber bei ihm war er es einfach gewöhnt, weil sie sich schon ewig kannten. Doch auch wenn er sonst etwas grob behauen wirkte so wusste Tatsuro, dass es mehr als albern wirkte, wenn er bei solchen simplen Berührungen ständig Distanz suchen würde. Konnte man es auch schnell als eine Anfeindung deuten. Aber er hatte nichts gegen Hiro. Er war ein lockerer und umgänglicher Typ. Also schluckte er diese seltsame Nervosität so gut es ging hinunter und brachte sogar ein schiefes Grinsen zu Stande, bevor er Hiro wissen ließ, dass er nur etwas zu tief in Gedanken versunken war. „OK.“, nahm Hiro seine Erklärung an, bevor er sich wieder von ihm entfernte und sich, wie schon einige Minuten zuvor, an das leicht geöffnete Fenster stellte, um sich erneut eine Zigarette anzuzünden. „ODER…“, hallte es plötzlich durch das winzige Zimmer, „wie wäre es, wenn wir was von Derulangche spielen würden? Ich weiß, dass du auf deren Sänger stehst Miya-kun.“, offenbarte Satoshi dieses Detail, was Yaguchi schlagartig rot werden ließ. „ Sie heißen D´erlanger! Und ich steh nicht auf den Sänger. Ich bewundere seine Bühnenpräsenz, nichts weiter.“, zischte dieser reichlich aufgestachelt, worauf sich die Diskussion zwischen Satoshi und Yaguchi noch etwas weiter zuspitzte. Was jeden anderen, der diese beiden nicht kannte, wohl zu der Annahme bewegt hätte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sich die beiden nicht nur mit Worten niederzuringen versuchten. Doch Tatsuro kannte diese Szene schon. Zu oft hatten er und auch Hiro mitverfolgen können, wie sich die beiden ein musikzentriertes Wortgefecht lieferten. Bis schließlich einer von ihnen genervt das Handtuch warf und grummelnd mit einem, „Idiot“ oder „fanatischer Besserwisser“, das Ende dieses Zweikampfes einleitete. Und diesmal war es Yaguchi, der schließlich entnervt die Hände gen Himmel streckte und folglich mit einer abwinkenden Geste Sato stehen ließ. Tatsuro grinste leicht. Egal wie unterschiedlich sie auch alle in ihrem Wesen sein mochten, so gab es dennoch eine Sache die sie alle zu verbinden wusste. Musik. Kapitel 5: ----------- „Jungs ich schwöre euch, wenn das jetzt nicht funktioniert, dann such ich mir eine andere Band und ihr könnt sehn wo ihr bleibt!“ Ein allgemeines Stöhnen erfüllte auf Yaguchis Worte hin den Raum, in dem sie nun seit mehr als zwei Stunden zu proben pflegten. Oder wie es Tatsuro empfand, gepeinigt wurden. Yaguchi war heute noch um eine Spur nervtötender als es sonst der Fall war. Eigentlich war Tatsuro immer der Annahme gewesen, dass in dieser Hinsicht gar keine Steigerung mehr möglich wäre, aber da hatte er sich wohl gründlich getäuscht. Er konnte nicht sagen wie oft sie nun schon sämtliche Songs, die sie auf diesem Festival zu spielen hatten, durchgegangen waren. Und wie oft er der Meinung gewesen war, dass es doch ziemlich gut klang, was sie da von sich gaben. Bis Yaguchi sie dann wieder anmotzte, dass sie sich gefälligst mehr Mühe geben sollten und jedem von ihnen einen Hinweis zu zischte, was er anders, beziehungsweise wie er es richtig zu machen hatte. Doch egal wie sehr sie sich auch mühten, so schien man Yaguchi heute einfach nicht wohlgestimmt zu bekommen. Sie hatten noch zwei Tage bevor sie diesen Auftritt zu bewältigen hatten und Tatsuro war sich sicher, dass keiner der dort Anwesenden großartiges von ihnen erwartete, wusste man doch, dass sie noch Amateure waren und kleine Unstimmigkeiten da einfach dazu gehörten. Jedoch führte sich Yaguchi hier auf, als würden sie ein Konzert im Tokyo Dome geben, wo sie sich vor tausenden Zuschauern beweisen müssten. Hier konnten sie ja schon von Glück reden, wenn sie zehn Leute halbwegs begeistern konnten. „Miya, nun reg dich mal wieder ab!“, hörte Tatsuro nun Satoshi in einem deutlich entnervten Tonfall von sich geben, der damit wiedergab, was ihm und augenscheinlich auch Hiro bei all der Schikane auf der Zunge lag. „Ich soll mich abregen!“, wetterte man Satoshi daraufhin entgegen, worauf Tatsuro für sich feststellen musste dass, wäre er jetzt an Satoshis Stelle, er Yaguchi einfach am Kragen gepackt und ihm deutlich gemacht hätte, dass er sich hier mal nicht so aufspielen sollte. Aber auch wenn Satoshi sich schon öfter mit Yaguchi in den Haaren hatte, so hatte sich dieser nie zu einem groben Akt wie diesem hinreißen lassen. Dafür verdiente Satoshi wahrlich seinen Respekt. Solch eine Seelenruhe war wirklich beeindruckend. Und auch diesmal war außer harscher und zurechtweisender Worte nichts weiter zu verfolgen, bis Yaguchi mit deutlichem Verdruss im Gesicht aus dem Zimmer stürmte und mit dem schwungvollen Zuwerfen der Tür deutlich machte, was sie ihn alle mal konnten. „Was ist denn mit dem heute los?“ Hiro befreite sich nun von seinem Bass und setzte sich mit einem erschöpften Seufzen auf einen der herumstehenden Stühle. „Ich glaub er hat einfach zu viel Stress.“, erklärte Satoshi daraufhin seine Theorie, während er mit einem seiner Drumsticks versuchte eine wohl juckende Stelle auf seinem Rücken zu erreichen. „Das Festival steht kurz vor der Tür und die Zwischenprüfungen sind auch nicht mehr in allzu weiter Ferne. Außerdem weiß ich, dass Miya nach der Schule auch noch einem Job nachgeht.“ Ok, das war nun auch neu für Tatsuro. Ihm war klar, dass Yaguchi ein recht zielstrebiger Charakter war, aber das mit dem Job hatte er bis dato nicht gewusst. Wie auch? Nur weil sie in einer Band spielten hieß es noch lange nicht, dass sie auch so etwas wie Freunde waren. Generell wusste er kaum etwas über Yaguchis Privatleben, und er war sich sicher, dass dieser es auch so belassen wollte. „Tja, dann war’s das wohl für heute.“, meinte Hiro daraufhin und griff bereits nach seiner Jacke hinter sich. Tatsuro schaute auf die Uhr über der Tür. Sie waren nun seit fast drei Stunden hier und wenn er ehrlich war, dann reichte es ihm auch. „Hey Iwagami, hast du noch Lust auf ne Runde Zocken in den Arkaden?“ Etwas überrascht schaute Tatsuro zu Hiro, der ihn nun abwartend ansah. Es war das erste Mal, dass Hiro gedachte ihn in eine Aktivität nach den Proben einzubeziehen. Oder überhaupt fragte, ob sie noch Zeit zusammen verbringen könnten. Es ließ Tatsuro etwas überrumpelt zurück. Er war nun vielleicht vier Monate in der Band und bis dato war er stets allein oder mit Satoshi abgezogen, wenn die Proben vorüber waren. Das hieß, wenn er denn zu den Proben aufgetaucht war. Hiro kam nun an ihn heran und lehnte sich ihm ein Stück entgegen. „Hab gehört, dass du ein einfacher Gegner bist was Street Fighter angeht.“, zog er ihn daraufhin mit einem herausfordernden Grinsen auf. Tatsuro drehte sich sofort zu Satoshi, dem er dieses Leck an Information zu verdanken haben musste. Satoshi rutschte daraufhin sein Drumstick ganz zufällig aus einer Hand, worauf er hinter seinem DrumSet abtauchte, um sich aus dem Sichtfeld zu bringen. Ein leichter Schubs von Hiros Schulter gegen die Seine brachte Tatsuros Aufmerksamkeit auf diesen zurück. „Also, was ist nun?“ Tatsuro schnappte sich seine Tasche und seinen Mantel. „Warum nicht. Aber die erste Runde geht auf dich.“ Damit verließen sie den Raum, worauf Satoshi erleichtert aufatmen wollte, als die Tür erneut aufflog. „Glaub nicht, dass du mir davonkommst, Takayasu.“, hörte er Tatsuro grollen, bevor er dann gänzlich abzog. Mit einem Seufzen griff Satoshi nun den Drumstick auf. Tatsuro konnte ein nachtragender Typ sein, aber zum Glück wusste er auch, dass er ihn mit einer Schachtel seiner Lieblings Pockys wieder etwas gnädiger stimmen konnte. *** Es war der Abend vor dem Festival, als Tatsuro beschloss die Nacht bei Satoshi zu verbringen, um zu vermeiden, dass er durch irgendetwas mit seinem Vater aneinander geraten würde. Das Letzte was er gebrauchen konnte war ein ramponiertes Gesicht bei einem Auftritt. Es war die letzten Tage noch kälter geworden und Tatsuro tänzelte ob seiner kalten Zehen ein wenig vor Satoshis Haustür herum, als dieser dann auch endlich aufmachte. „Wurde aber auch Zeit!“, murrte er in seinen Schal und kickte seine Schuhe in dem kleinen Flur von seinen Füßen. Gut das Satoshi allein zu Hause war, und er sich seine derzeitige Laune auch nicht verkneifen brauchte. In dieser Hinsicht war Sato ein wirklich gelassener Kerl und Tatsuro dankbar wenigstens einen Freund zu haben, der es mit ihm aushielt. Tatsuro machte es sich wie immer in Satoshis neongrünem Monster von einem Sitzsack bequem, bis dieser sich mit zwei Tassen Tee zu ihm gesellte. In Satoshis Zimmer sah es nicht weniger chaotisch aus als bei ihm, was ihn sich immer etwas wie zu Hause fühlen ließ, wenn er hier war. Der einzige Nachteil war, dass er somit auch meist zwischen all dem Gerümpel und herumliegenden Klamotten schlafen musste, machten sie sich des Futons wegen kaum die Mühe, davon etwas beiseite zu räumen. Aber solange er nicht wieder mit Satoshis alten Socken im Gesicht aufwachte, sollte es ihm auch weiterhin egal sein. „Und schon Lampenfieber, wegen morgen?“, erkundigte sich Satoshi schelmisch, während er an seinem Tee nippte. „Pfff, soweit kommt es noch. Ich glaube nicht, dass sich das große Flattern wegen eines Publikums von fünf Leuten lohnt.“ „Lass das Mal nicht Miya hören, der würde dir sofort sagen, “ damit wechselte Satoshi zu einem überernsten Gesichtsausdruck und einer versuchten Miya Stimmparodie, „dass du auch für diese fünf dein Allerbestes geben solltest.“ Tatsuro kam nicht umhin aufzulachen über diese kleine Vorführung. „Er nimmt das Ganze eindeutig zu ernst. Keiner erwartet, dass wir tatsächlich gut sind. Also was soll´s.“ „Naja, er hat seine Zukunft schon durchgeplant. Er will Gitarrist werden und eine Band gründen, mit der er was erreichen kann. Und wenn wir mal ehrlich sind, ist es schon ein Wunder, dass er es mit uns aushält.“ Satoshi schaute nun etwas nachdenklich auf die Tischplatte vor sich. „Ich bewundere ihn schon ziemlich dafür, dass er weiß was er will und auch schon daran arbeitet es wahr werden zu lassen. Sieh uns im Gegensatz dazu an.“ Tatsuro war etwas überrascht über Satoshis Gedanken, aber er wusste ebenso, dass er nicht Unrecht hatte. Dass er nicht wusste was er wollte hielt man ihm wie eine scharfe Klinge an die Kehle. Aber er hatte sich mit der Zeit an das brennende Gefühl, dass diese auszulösen vermochte, gewöhnt. Er rückte sich noch etwas bequemer in seiner Sitzgelegenheit zurecht und schaute überlegend an die Decke. Satoshi schien indes nichts weiter von ihm zu diesem Thema zu erwarten und schaltete den kleinen Fernseher in einer Ecke des Raumes ein. Tatsuro schenkte dem nicht weiter Beachtung, sondern ließ seine Gedanken kreisen. Noch etwas über ein Jahr und er hatte die Schule hinter sich gebracht. Seine Brüder hatten im Salon ihrer Eltern angefangen, aber das kam für ihn nicht in Frage. Er dachte, dass er es vielleicht in einer Werkstatt als Mechaniker versuchen könnte. Vorzugsweise für Motorräder. Er hatte eine Schwäche für schnelle Maschinen. Vielleicht sollte er auch in eine andere Stadt ziehen. Weg von der Familie, die ihn eh nur als Fehler ansah. Das Problem war nur, dass er dafür Geld brauchte. Geld, das er nicht hatte. Er hoffte einfach nur, dass er einen Job finden würde, um dann so schnell wie möglich ausziehen zu können. Selbst wenn er in einen Wandschrank ziehen müsste. Alles war besser als unter dem Dach seiner Eltern zu bleiben. Tatsuros Finger fanden ihren Weg in den weichen, roten Stoff seines Schals, den er immer noch um den Hals trug, was ihm auch jetzt erst wirklich auffiel. Und für einen Moment schloss er seine Augen und versuchte sich an das Gesicht der Person zu erinnern, die ihm diesen gegeben hatte. Er mochte betrunken gewesen sein an diesem Abend, doch dieses Gesicht hatte er noch genau vor Augen. Mein Gott, es war so ein attraktives Gesicht gewesen, dass er sich manchmal doch fragte, ob er es nicht nur geträumt hatte. Seine Hand griff den Schal noch etwas fester. Der Beweis, dass es kein Traum gewesen war. Was bedeutete, dass auch dieses Versprechen keine wirre Fantasie darstellte. Tatsuro vernahm das aufgeregte Kreischen von Mädchen aus dem Fernseher, und Satoshi der ein etwas mürrisches, „Wie kann man als Kerl nur so verdammt heiß aussehen?!“, vor sich hin murmelte. Tatsuro ließ seine Augen aber weiterhin geschlossen, selbst als er sich erneut an Satoshi wandte. „Ich habe jemandem ein Versprechen geben müssen, es ebenfalls mit der Musik zu versuchen.“, erzählte er ihm, worauf er Satoshis neugierigen Blick auf sich spüren konnte. „Und wer soll das sein? Sicherlich niemand aus deiner Familie.“, erkundigte er sich auch sogleich, was Tatsuro leicht lächeln ließ. „Tsk, meine Familie wird froh sein, wenn sie mich loswird. Und ich ihnen nie wieder unter die Augen komme.“ Erneut kreischte es aus dem TV-Gerät, hatte Satoshi über seine Worte wohl nicht weiter umgeschaltet. „Und wem hast es nun versprochen?“ Tatsuro schlug seine Augen wieder auf und war schon im Begriff sich Satoshi zuzuwenden, um ihm von dem kleinen Zusammentreffen mit Acchan zu erzählen, als sein Blick auf den Bildschirm des Fernsehers fiel. Mit schreckgeweiteten Augen betrachtete er die Person, die er dort sah. „Ihm…“, gab er in einem irritierten Flüstern wieder, was Satoshi nicht wirklich hatte verstehen können. „Huh?“, kam es auch recht eloquent von ihm zurück, was Tatsuro seinen Arm ausstrecken und auf den Mann in dieser Show deuten ließ, die ihm wage etwas sagte. „Ihm. Ihm hab ich es versprochen.“ Tatsuro schenkte dem skeptischen Blick Satoshis keine Beachtung, als dieser auf den Bildschirm schaute und dann zurück zu Tatsuro. Dieser war nun unmittelbar vor das Gerät gerutscht und schaute wie gebannt auf den Mann, dessen Name dem Zuschauer als Sakurai Atsushi eingeblendet wurde. Satoshi lachte amüsiert auf. „Sorry Tatsu, aber ich glaube das ist höchst unwahrscheinlich. Jemand wie er lebt in einer ganz anderen Welt. Er ist womöglich nicht mal menschlich. Ich meine, schau ihn dir doch an. Der Typ ist, “ Satoshi wedelte mit einer Hand, die er auf Sakurai gedeutet hielt, herum, „ unreal!“ „Uh huh.“, war allerdings alles was er von Tatsuro darauf zu hören bekam, was Satoshi dazu brachte ihn etwas genauer zu studieren. Dieses Verhalten war überaus seltsam an Tatsuro zu beobachten. Konnte er sich nicht daran erinnern, dass ihn jemand schon einmal derart eingenommen hatte. Selbst dieses Porno-Sternchen, auf das er so stand, hatte so eine Reaktion nicht in ihm bewirken können. Satoshi würde sich eher die Zunge abbeißen, als seinen aufkommenden Gedanken je laut auszusprechen. Aber gerade in diesem Augenblick sah Tatsuro mit seinen großen, begeisterten Augen und dem Lächeln auf den Lippen nahezu niedlich aus. Das war definitiv ungewohnt und nicht weniger merkwürdig es festzustellen. Daraufhin kam die Show zu ihrem Ende und Tatsuro schaute ruckartig zu ihm zurück. „Lass mich alles wissen, was es über ihn zu wissen gibt!“ Damit kam dieser auf allen Vieren auf ihn zu, was Satoshi automatisch die Beine an sich ziehen und seinen Freund konfus mustern ließ. „Und ich meine Alles!“ Satoshi lag in Seesternposition auf seinem Bett und schnarchte vor sich hin, hatte er es schon vor zwei Stunden aufgegeben Tatsuro dazu bringen zu wollen, sich von dem Stapel Musikzeitschriften wieder loszusagen, damit sie etwas anderes mit ihrer Zeit anstellen konnten. Doch selbst wenn er Satoshi noch eine Lektion in Sachen Street Fighter verpassen wollte, so kam er einfach nicht von all den zu findenden Informationen los, die sich vor ihm ausgebreitet befanden. Satoshi hatte außerdem eine der Buck Tick CD´s seiner Schwester aus ihrem Zimmer entwenden können, welche er nun in Dauerschleife hörte. Er hatte sogar feststellen dürfen, dass ihm Sakurais Band nicht einmal fremd war. Einer seiner Brüder hatte ein, zwei Alben von ihnen gehabt, woher er auch den einen oder anderen Song kannte. Nur hatte Sakurai zu jener Zeit noch einen anderen optischen Stil gepflegt, weswegen ihm diese Verbindung nicht ansatzweise gekommen war. Auch weil er ihre Musik nicht weiter verfolgt hatte. Aber nun sahen die Dinge so ganz anders aus. In einer etwas albern erscheinenden Geste vergrub Tatsuro sein Gesicht in dem Schal, den er Satoshi nicht hatte anfassen lassen, nachdem er ihm erzählt hatte, wie er zu diesem gekommen war. Es war ein schwelendes Gefühl von Zuversicht, das sich in ihm niedergelassen hatte, nun wo er um Sakurais Status wusste. Vielleicht war es ja doch keine so abwegige Idee, der Musik eine Chance zu geben. Kapitel 6: ----------- „Meine Güte Satoshi, hast du die Nacht im Wald zugebracht?“ Satoshi konnte sich ein herzhaftes Gähnen über Hiros Feststellung und Miyas kritischen Gesichtsausdruck nicht verbieten. „Meine Nacht war nicht so erholsam, wie ich es gern gehabt hätte. Dank Tatsuros neuer, großer Liebe.“ Satoshi gähnte erneut, ließ seinen Kopf gegen die Scheibe eines der Fenster des Schulflurs kippen und schloss seine Augen. „Was erwartet ihr also, wenn man von einem stöhnenden Typen geweckt wird, der dir was von verrückten Clowns und ewiger Einsamkeit vorsingt?“ Miya, wie auch Hiro zogen verwirrt ihre Augenbrauen nach oben. „Bitte, was?!“ „Tatsus Man-Crush. Der Kerl mit den langen, sexy Haaren und…“,wiederholt gähnte Satoshi über sein Gemurmel, das für keinen der beiden Zuhörer wirklich Sinn ergab. Miya war demnach der Erste, der sich sammelte. „Ok, wie dem auch sei. Wir haben noch eineinhalb Stunden bis zum Auftritt. Heißt, in einer halben Stunde in der Turnhalle, verstanden?! Und holt mir Iwagami her. Wenn er uns heute sitzen lässt, dann sind verrückte Clowns sein kleinstes Problem!“ Damit zog Miya davon. Sicherlich schon zu besagter Turnhalle, um auch nochmal alles genau durchzuchecken. Kaum, dass dieser außer Sichtweite war, knuffte Hiro Satoshi gegen den Oberarm. „Hey Sato, erzähl mir etwas mehr über Iwagamis Schwarm.“ Es war lange her, dass sich Tatsuro derart energiegeladen fühlte, und das obwohl er die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte. „Iwagami?“, hörte er Yaguchi deutlich ungläubig hinter sich fragen, als dieser zu ihm aufschloss und ihn in seiner typisch skeptischen Manier musterte. „Yaguchi hey!“ Das unerwartete Klopfen, das Tatsuro daraufhin auf dessen Schulter ausübte, schien diesen nur noch argwöhnischer zu machen, waren solche Gesten keineswegs üblich zwischen ihnen. „Was…warum bist du schon hier?“, hinterfragte er schließlich Tatsuros Präsenz, war er sich sicher, dass dieser gleich eine Bombe platzen lassen würde, alla „Ich hab mir den Musikknochen geprellt und kann heut nicht singen“ oder etwas ähnlich Dämliches. „Ich warte darauf, dass wir auf die Bühne können.“ Miya fehlten darauf erst einmal die Worte, wartete er doch immer noch auf irgendeine Hiobsbotschaft. Es wäre auf jeden Fall eher zu verarbeiten, als Iwagami so…so, er mochte es fast motiviert nennen, zu sehen. Iwagami selbst schien sich nicht an seiner perplexen Person zu stören, sondern schaute wieder zurück auf die Bühne, wo gerade ein Stück des Theaterclubs aufgeführt wurde, worauf Tatsuro eine leise Melodie zu summen begann. Gott, er hoffte inständig, das Sato und Iwagami gestern nicht irgendein seltsames Zeug geraucht hatten und irgendwelche Nachwirkungen die Erklärung für ihr heutiges Auftreten darstellten.Er konnte sich nichts anderes vorstellen, als das sie sich tatsächlich vollkommen blamieren würden. „Weißt du Yaguchi, ich glaube ich werde mich in Zukunft etwas eingehender mit dem Singen befassen. Vielleicht bring ich ja doch noch mal was damit zustande.“, hörte er dessen Worte an ihn gerichtet, und wünschte sich jetzt von irgendwoher einen Stuhl, auf den er sich mit einem ergriffenen Seufzen hätte niederlassen können. Was um alles in der Welt war gestern denn noch passiert, nachdem sie sich nach ihrem letzten Mal Proben voneinander verabschiedet hatten? Miya bekam noch immer kein Wort zu Stande, konnte aber beobachten, wie Iwagami für sich lächelte und sein Gesicht ein Stück weit in dem roten Schal vergrub, den er um den Hals gelegt hatte. * „So, was genau ist nun mit Iwagami los?“ Das Festival ihrer Schule war vorbei und sie hatten sich zum Abend hin in der Wohnung von Hiros Bruder getroffen, der ihnen diese, auf Hiros Bitte hin, während seiner Abendschicht für ein paar Stunden überlassen hatte. Es war Freitag und somit konnten sie es sich erlauben etwas zu feiern. Satoshi schaute kurz zu Miya, der sich gerade neben ihn gesetzt hatte, während Tatsuro und Hiro sich über die Spielkonsole ein Match lieferten. Satoshi zuckte leicht mit den Schultern und griff eine Handvoll Kartoffelchips auf, die er nun versuchte sich allesamt in den Mund zu stopfen. Miya rollte ergeben mit den Augen, ließ Satoshi aber die Zeit sich noch etwas ausführlicher zu seiner Frage äußern zu können. „Dieser eine Sänger hat es ihm auf einmal angetan. Er meint sogar, dass er ihn erst vor kurzem persönlich getroffen hat.“ Satoshi deutete daraufhin auf Tatsuro. „Der Schal den er trägt, der soll angeblich ein Geschenk von besagtem Sänger gewesen sein. Ich durfte ihn nicht mal anfassen.“, schmollte Sato über diese grenzenlose Gemeinheit und stopfte sich erneut mit Chips voll. „Und wer soll dieser ominöse Sänger bitte schön sein?“ Satoshi seufzte ergeben und erzählte Miya schließlich, was ihm Tatsuro den Abend zuvor erzählt hatte. Miya kam diese Story zwar auch recht unglaubwürdig vor, doch wenn dieser angebliche Vorfall Iwagami derart zu beflügeln wusste, würde er ihn auch von nichts anderem überzeugen wollen. Außerdem musste er feststellen, dass er Iwagami noch nie so offen erlebt hatte wie heute. Er hatte nicht einmal gemault vor ihrem Auftritt. Auch nicht, als er seine übliche Predigt gehalten hatte, dass sie gefälligst ihr Bestes geben sollten. Und zu seinem Erstaunen schien Iwagami das auch ernst genommen zu haben. Die Sache war die; er wusste das Iwagami irgendwo Potenzial besaß. Nur deswegen hatte er ihm mehr als für seine Nerven angebracht durchgehen lassen, was seine Allüren der Band gegenüber betraf. Und auch wenn sie heute nur Cover Songs gespielt hatten, die bei weitem nicht das abverlangten, was einem jeden von ihnen Motivation brachte, so hatte er Iwagami zum ersten Mal fokussiert erleben können. Könnte sich Iwagami diesen Fokus bewahren, könnte er womöglich doch noch etwas aus sich und seinem Gesang machen. „Du Arsch!“, donnerte es auf einmal von Hiro, der sich auf einen überschwänglich lachenden Tatsuro am Boden stürzte und ihn in eine Kabbelei verwickelte. Satoshi indes feuerte jeden der beiden damit an, das er entweder Hiro oder Tatsuro mit Popcorn bewarf. „Uhhhh…, wirklich wie die kleinen Kinder“, murmelte Miya ergeben. „Oh hey, ich hab da noch was, um unseren gelungenen Auftritt zu feiern, und die Tatsache das Rina-chan unserem Sato heute nach dem Auftritt zugezwinkert hat.“ Damit sagte sich Hiro von Iwagami los und begab sich zu einem der Schränke hinter der Couch. „Tada!“ Zufrieden präsentierte Hiro eine dieser riesigen Flaschen mit Sake. „Na los, wie die großen Jungs.“, meinte er auffordernd und holte von irgendwoher noch Sakeschalen. Miya hatte sich zu der ersten Schale überreden lassen, es dann aber auch dabei belassen. Im Gegensatz zu den anderen drei. Und eigentlich hatte er nicht übel Lust, sie sich selbst zu überlassen und einfach nach Hause zu gehen. Aber ihm war auch klar, dass seine drei Bandkollegen in so einem Zustand nicht ohne ein waches Auge gelassen werden sollten. Hiros Bruder mochte es vielleicht egal sein, wenn sie in ihrem jugendlichen Übermut seinen Sake leerten. War er in diesem Alter, laut Hiro, auch kein Musterknabe gewesen. Aber es würde ihre Eltern interessieren und das würde definitiv Konsequenzen haben. Somit konnte er Sato nur knapp davor bewahren ins Glas der armen Goldfische zu reiern, und ihn gerade noch rechtzeitig zum Badezimmer zerren. Wo dieser auch immer noch vor dem Klo hockte und sich keinen Meter mehr bewegen ließ. Er hatte ihn also sitzen lassen, um sich nach den anderen beiden umzusehen und musste mit Entsetzen feststellen, dass die Balkontür offen stand. Hoffentlich hatte sie keiner gesehen, wie sie irgendwelchen verdächtigen Unsinn anstellten, was sie doch noch alle verpfeifen würde. Mit hastigen Schritten war er schließlich auf dem Balkon, doch was er dort vorfand, war eindeutig nichts womit er gerechnet hatte. Lallendes Gelächter; ja. Eine betrunkene Rauferei; nicht überraschend. Aber ihren Sänger und Bassisten beim knutschen zu ertappen war etwas, das er nur zu gern wieder aus seinem Kopf würde löschen wollen. Gott, war er denn wirklich der einzig halbwegs Vernünftige in ihrer Runde?! Dann schien Hiro ihn in seinem Tran zu bemerken und schob sich mit einem dümmlichen Grinsen Iwagami ein Stück vom Leib, der nun ebenso verklärt zu Miya blickte. „Hey Miya, willst du auch?“ Miya war gerade dabei Hiro mitzuteilen, dass er lieber einen Eimer Bleiche trinken würde, als mit irgendeinem von beiden rumzumachen, als ihm Hiro eine reichlich zerknautschte Schachtel Zigaretten entgegenhielt. Ok, das konnte er nun definitiv gebrauchen. Mit einem Raunen schnappte er sich die Packung und schüttelte sich eines der ebenso lädierten Tabakröllchen heraus. Der erste Zug hatte etwas überaus Befreiendes, und er wagte sich darüber wieder zu den anderen beiden zu schauen. Und das Universum schien Gnade walten zu lassen, lehnten diese einfach nur an der Balkonumrandung und schauten gläsern in die Nacht. Einen Moment später vernahm er das Summen einer Melodie von Iwagami, was etwas Beruhigendes vermittelte. Der nächste Laut der an ihre Ohren drang war allerdings weniger angenehm, als es nun an Hiro war sich übergeben zu müssen. *** Fünf Monate. Fünf Monate waren vergangen, seit er das letzte Jahr in der High School angefangen hatte, und das man ihm wohl so miserabel wie möglich gestalten wollte. Der Druck der Schule wurde immer penetranter, dass er am liebsten ganz darauf verzichtet hätte überhaupt noch dort zu erscheinen. Außerdem hatte er sich einen Job suchen müssen, nachdem ihm sein Vater, nach einer erneuten Auseinandersetzung, sämtliche finanziellen Mittel entzogen hatte. Es war nicht so, dass es das Geld seiner Eltern gewesen wäre, auf das er über die letzten Jahre zurückgreifen konnte, selbst wenn diese es für ihn aufbewahrten. Es war das Geld, das ihm seine Großeltern hinterlassen hatten, welches er eigentlich zu seinem zwanzigsten Geburtstag hätte ausgehändigt bekommen sollen. Aber da sein Vater es nicht einsah, ihn und seinen Ungehorsam finanziell zu unterstützen, waren alle Ausgaben die es für ihn zu machen galt von diesem Geld abgegangen. Das Geld, das man ihm nun verweigerte. Und er konnte nichts dagegen tun. Natürlich genoss es sein Vater ihn straucheln zu sehen. Zu sehen wie restlos erschöpft er nach seinem Job war, den ihm Hiros Bruder verschafft hatte und denn er einfach nur hasste. Er hatte nicht angenommen, dass es ihm leicht fallen würde. Dazu kannte er sich und seine Eigenheiten zu gut. Aber dieser Job, egal wie sehr er darauf angewiesen war, laugte ihn mental vollkommen aus. Nicht nur einmal stahl sich der Gedanke in seinen Kopf, dass dies durchaus auch sein restliches Leben sein könnte Denn je länger er es mitmachte, umso wertloser fühlte er sich. Was, wenn sich nie wieder etwas für ihn ändern würde? Wenn er nun bis zum Ende seiner Tage fettige Burger verkaufen würde, während die Welt an ihm vorbei zog? Ein weiterer Fakt der ihn zu zermürben wusste war, dass ihre Band erst einmal auf Eis lag, hatte Yaguchi derzeit andere Probleme zu bewältigen, deren genaueren Inhalt er jedoch nicht kannte. Er würde es nicht zugeben, aber er war schon so weit, dass er selbst dessen nervige Art vermisste und das sagte einiges über seinen derzeitigen Gemütszustand. Denn Tatsuro umfing immer mehr das Gefühl zu ersticken. Nun wo er nirgendwo mehr die Möglichkeit hatte so zu singen, dass es ihn befreien konnte. All die aufgestaute Energie, die er dadurch verspürte, trug nur weiter dazu bei, dass er sich aufgewühlt fühlte und sein Dasein nicht zum ersten Mal verfluchte. Die lauten Stimmen seiner Eltern drangen durch seine Zimmertür und er suchte nach seinem Discman, dessen Kopfhörer er sich aufsetzte und sich, wie so oft nach einem anstrengenden Tag, von Sakurais Stimme in den Schlaf lullen ließ.Er brauchte sich nicht einreden, dass es nicht wegen ihm war, dass sie sich stritten. Er meinte sogar, dass sie es extra taten, um ihn wissen zu lassen, wie sehr er diese Familie strapazierte. Instinktiv griff er nach dem roten Schal, den er seiner Mutter vor einiger Zeit gerade noch so hatte entreißen können, als sie gedachte diesen waschen zu wollen. Und er rollte sich noch etwas missmutiger zusammen, als er sich daran erinnerte, dass sie ihm daraufhin noch bezichtigen wollte, dass er diesen wohl irgendwo gestohlen habe, da sie der Meinung war, dass dieser Schal viel zu hochwertig sei, als das er ihn sich selbst gekauft haben könnte. Dass es ein Geschenk gewesen sei empfand sie als eher unwahrscheinlich, dass hatte er ihr deutlich angesehen. Letztendlich hatte sie es dabei belassen, fehlte ihr wohl die Energie über so etwas streiten zu wollen. Und er konnte nichts dagegen tun, als ihm stumme Tränen über die Wangen liefen, bevor er schließlich in einen traumlosen Schlaf fiel. Kapitel 7: ----------- „Gott, du siehst echt erbärmlich aus mein Lieber.“ Das war das Erste, was er von Satoshi zu hören bekam, als er nach einem Wochenende voller Nachtschichten vor dessen Tür stand. So hatte er sich seine Sommerferien wahrlich nicht vorgestellt. Es war somit schon eine ganze Weile her gewesen, dass sie sich hatten treffen können, fand er doch kaum noch Zeit für sich selbst. Außerdem war Satoshi über den Sommer bei seiner Tante auf dem Land gewesen und erst seit zwei Tagen wieder zurück. Ohne etwas auf dessen Feststellung zu erwidern, trat Tatsuro an ihm vorbei und zog seine Schuhe aus. Er wartete auch nicht ab, dass man ihm voraus ging, sondern steuerte von selbst Satoshis Zimmer an. Dieser folgte ihm nun ebenso wortlos, zumindest bis sich die Tür des Zimmers hinter ihnen schloss. „Also, wie ist es dir ergangen in der letzten Zeit?“ Es war ungewohnt Satoshi mit diesem besorgten Unterton in der Stimme zu hören und Tatsuro wusste, dass dieser auch so zu verstehen schien. Satoshi mochte nicht immer die hellste Kerze auf dem Kuchen sein, aber er war dennoch jemand, der sich um seine Freunde kümmerte. Und genau dieser Gedanke war es, der Tatsuro dazu bewegte seine störrische Fassade zu lockern und sich mit einem kläglichen Seufzen dazu herabzulassen, Satoshi all seinen angestauten Kummer vor die Füße zu schütten. „Wow, dass hört sich wirklich ganz schön hart an.“ Satoshi hatte ihn nicht unterbrochen und ihm ebenso ungewohnt geduldig zugehört. Und Tatsuro fragte sich, ob dieser über die letzten Monate tatsächlich reifer geworden war, und er wirklich der einzige, der nicht wusste, wie er es anstellen sollte sich in der Welt der Erwachsenen zurechtzufinden. Und es machte ihn schon wieder so wütend. Wütend über sich selbst. „Hier.“, vernahm er daraufhin Satoshis Stimme, der nun neben ihm stand und ihm eine Schachtel Pocky und eine Zeitschrift hinhielt. „Das bringt mich immer auf andere Gedanken.“, meinte er mit einem albernen Grinsen, das Tatsuro nur zu gut kannte. Und dann musste auch er etwas lachen, als er erkannte, dass ihm Satoshi ein Pornoheft in die Hand gedrückt hatte und er feststellen durfte, dass manche Dinge noch immer die Gleichen waren. Es nahm ihm etwas von der Last auf seiner Seele. Tatsuro musste noch immer über den Gedanken feixen, sich Satoshi als Gemüsebauern vorzustellen. Hatten dessen Eltern ihn die letzten Wochen auf der Farm seiner Tante abgesetzt, nicht damit dieser faul relaxen konnte, wie er gehofft hatte, sondern damit dieser sich ein Bild von harter Arbeit machen durfte. Denn wie auch Tatsuro selbst, hatte Sato noch keinen konkreten Plan, was er nach der High School mit sich anstellen wollte. Und Tatsuro beneidete ihn, dass dessen Eltern es bis jetzt noch recht locker sahen. Und wenn wirklich alle Stricke reißen sollten, bliebe ihm ja immer noch das Farmerleben, hatte dieser gemeint. „Auch wenn ich wahrscheinlich wahnsinnig werden würde, mit den ganzen alten Leutchen.“, schnaufte Sato entgeistert. „Aber ich könnte meine Drums spielen ohne das es irgendwen stören würde, da dort eh alle schwerhörig sind.“ Auch in dieser Hinsicht hatte Satoshi eindeutig mehr Glück, hatte er sein Drum Set im Keller aufbauen können und musste nicht darauf verzichten, wenn ihm danach war. Er durfte nicht einmal seine Musik in normaler Lautstärke hören, da sich irgendjemand immer belästig zu fühlen schien. Satoshi sprang mit einem Male von seinem Bett auf und störte sich auch nicht daran, dadurch den Inhalt seiner Tüte Chips auf dem Boden zu verteilen, als er zu seinem vollgeramschten Schreibtisch marschierte.Nach einigen „Uhhh´s“ und „wo zum Teufel“, schien er endlich fündig geworden zu sein und reichte Tatsuro erneut eine Zeitschrift. Doch diesmal über Musik. „Seite 46“, wies er ihn an, was Tatsuro der Aufforderung folgen ließ. Er hatte ab und zu in eine hineingeschaut, wenn er sich auf dem Weg zur Arbeit im Konbini, nicht weit davon entfernt, noch etwas geholt hatte. Aber dieses Heft war neu und er blätterte es interessiert durch, bis er die angegebene Seite erreicht hatte. „Ich hab keine Ahnung, ob du immer noch auf ihn abfährst oder es eh schon weißt. Mir fiel es nur gerade wieder ein.“ Tatsuro war sich nicht sicher, wie er auf einen Beobachter wirken musste, als er den Bericht über Sakurais Band vor Augen hatte. Aber selbst wenn er wie ein schmachtender Trottel erscheinen sollte, war ihm das in diesem Moment ziemlich egal. „Hast dich also noch nicht wieder kurieren können, huh?“, hörte Tatsuro seinen Freund nur beiläufig feststellen, war er viel zu vertieft in diesen Artikel, was Satoshi leicht den Kopf schütteln ließ. Und dann setzte Tatsuros Herzschlag einen Augenblick aus, nur um viel zu hektisch weiter zu schlagen. „Sie machen eine Tour.“, murmelte er und mit einem begeisterten Satz stand nun auch er auf seinen Beinen und wedelte mit der Zeitschrift vor Satoshi herum. „Sie machen eine Tour! Und kommen sogar nach Mito.“, teilte er ihm etwas zu euphorisch mit, dass Satoshi lieber einen Schritt zurückwich, um sein Magazin nicht noch um die Ohren gehauen zu bekommen. Es hatte sich also wirklich nichts geändert, was Tatsuros Vernarrtheit in diese Band oder eher dessen Sänger anging, und er wähnte sich ein wenig stolz, dass er ihm mit diesem Wink in solch eine Begeisterung versetzen konnte. Doch diese verebbte schnell wieder, worauf sich Tatsuro mit einem ergebenen „Verdammt!“ wieder in seine Sitzgelegenheit fallen ließ und er an die Decke starrte. „Was ist?“, erkundigte sich Satoshi demnach etwas irritiert und schaute weiterhin auf seinen, nun etwas geknickt erscheinenden, Freund. „Ich habe kein Geld für ein Ticket. Der Vorverkauf ist in einer Woche und ich komm so kaum über die Runden. So ein Extra ist nicht drin.“ Damit versteckte er sein Gesicht unter dem immer noch aufgeschlagenen Magazin in seiner Hand und seufzte frustriert. Gut, das hätte sich Satoshi wohl denken sollen. Nun tat es ihm auch etwas Leid, Tatsuro in solch eine Aufruhr versetzt zu haben, nur damit dieser sich jetzt so niedergeschlagen fühlte. „Das ist echt ganzschöner Bockmist.“, murmelte Satoshi, selbst am Überlegen, wie er seinem Freund da irgendwie weiterhelfen könnte. „Hey, ich habs!“ Tatsuro schielte nun, etwas neugierig über Satoshis Ausruf, unter dem Heft hervor und erkannte, wie dieser unter seiner Matratze herumfummelte. „Hier.“ Tatsuro sah, wie dieser nun eine Socke in seiner Hand hielt, was ihn fragend seine Augenbrauen heben ließ. Satoshi kam nun auf seinen Knien zu ihm hinüber und drückte eben diese Socke in Tatsuros arglos baumelnde Hand. Schon im Begriff, sich etwas angewidert davon befreien zu wollen, merkte er, dass sich etwas in dieser zu befinden schien. Ein Griff hinein und er holte ein paar Scheine hervor. „Mein Verdienst von der Farm. Ich wollte mir eigentlich ein neues Ride Becken holen, aber das kann ich auch später noch.“ Tatsuro war etwas sprachlos ob dieser unerwarteten Geste Satoshis und schaute erneut auf das Geld in seiner Hand. „Gib es mir wieder, wenn du es kannst, ok?“, meinte dieser unbefangen, und es war Tatsuro noch nie so klar wie in diesem Moment, wie groß Satoshis Vertrauen in ihn sein musste, um so ein Angebot derart selbstverständlich anzubieten. „Ich…“ Tatsuro wusste noch immer nicht, was er sagen sollte. Satoshi winkte einfach ab. „Ich denke du kannst mal etwas Ablenkung von deinen Sorgen gebrauchen.“ Damit war das Thema für diesen durch und Tatsuro war klar, dass er Satoshi noch etwas mehr schuldig war, als nur die Rückzahlung seines Geldes. *** Die folgenden Wochen setzte Tatsuro alles daran seinem Job bestmöglich nachzukommen. Satoshis Hilfsbereitschaft hatte etwas ihn ihm bewegt. Ihm einen Ansporn gegeben, dessen Unterstützung am Ende auch verdient zu haben. Denn wenn er ehrlich war, war er es selbst leid über sein Schicksal und all die Unfairness zu jammern, von der er geglaubt hatte, dass sie ihm hinter jeder Ecke auflauerte. Und sein neu aufgekommener Eifer ging auch an seinen Kollegen nicht ungeachtet vorüber. So zeigte sich zu Tatsuros Überraschung, dass es sich um einiges einfacher mit ihnen auskommen ließ, nun da er die Hilfe war, die sie auch benötigten. Diese Veränderung im Arbeitsklima legte sich nach und nach auf sein gesamtes Auftreten nieder, sodass er sich nach einem stressigen Tag zwar immer noch geschafft fühlte, aber es sich bei weitem nicht mehr so isoliert und erdrückend anfühlte wie zuvor. Deswegen saß er in seiner Pause nun auch hier im Hinterhof ihrer Filiale und unterhielt sich mit Joey, ihrem amerikanischen Studenten und Yukari, ihrer burschikosen Küchenkraft, während er eine von Joey angebotenen Zigaretten mit Vanillearoma rauchte. „Das ist eine echt bizarre Kombination.“ Und nicht zum ersten Mal rümpfte Tatsuro die Nase, als er einen weiteren Zug davon nahm. Aber es war besser als nichts. Dass er eigentlich noch nicht rauchen durfte störte hier bis jetzt niemanden. „Das sagt mir der Japaner, der gestern erst meinte, Eis mit Aalgeschmack wäre eine gute Idee.“, kam es von Joey und er stellte wiederholt fest, dass er dessen Akzent einfach ungemein sympathisch fand. Tatsuro musste unwillkürlich lachen, als Joey und auch Yukari nun von Ekel gepackt die Köpfe schüttelten. „Es gibt nun mal nichts Besseres als Unagi.“, stellte er daraufhin amüsiert klar und schnippte den Rest seines Tabakröllchens in eine der Pfützen im Hinterhof. „Dann lad mich mal zu welchem ein.“, hörte er Joey sagen, der ihm nun beim Hineingehen einen Arm über die Schultern legte und neckend durch die Haare strubbelte. „Sicher, wenn ich hier zum Manager aufgestiegen bin, kein Problem.“ Ein erheitertes Schnaufen war von Joey zu vernehmen der, während ihnen Yukari die Tür offen hielt, meinte, dass er dann ja ewig warten könne. *** Mit einem erschöpften Seufzen ließ sich Tatsuro auf einen der Sitze sinken. Gut das die U-Bahn um diese Zeit fast leer war und er somit seine Ruhe hatte. Fast einem Ritual gleich, holte er etwas aus seiner Tasche hervor. Verträumt schaute er auf das Konzertticket das er, seit er es erstanden hatte, mit sich herumtrug. Ihm schien es die sicherste Variante zu sein, wusste er doch nur zu gut, dass seine Mutter ab und an in seinem Zimmer herumschnüffelte. Natürlich immer mit der Erklärung, dass sie saubergemacht habe, da er dazu ja nicht im Stande sei. Sollte sie dieses Ticket finden, konnte man davon ausgehen, dass man ihm diese Geldverschwendung in allen möglichen Fassetten nachtragen würde. Und er wollte sich seine Vorfreude einfach durch Nichts und Niemanden zerstören lassen. Und er war es ebenso Leid sich immer wieder mit ihnen zu streiten. Denn solange er unter dem Dach seiner Eltern hauste, gab es so etwas wie Privatsphäre für ihn nicht. Das hatte er schon bei seinen älteren Geschwistern erleben dürfen. Erneut wünschte er sich, dass er endlich genug Geld beisammen hätte, um ausziehen zu können. Er steckte das Ticket zurück in die Plastikhülle, in der er es aufbewahrte und schob seine unerfreulichen Gedanken bei Seite. Zwei Tage, dann würde er Sakurai endlich einmal live sehen und hören können. Die Durchsage ließ ihn wissen, dass seine Haltestelle die nächste wäre und er freute sich nun nur noch auf sein Bett. Er hatte die Station kaum verlassen, als er hinter sich eine Person seinen Namen sagen hörte. Das hatte ihm noch gefehlt. Ohne dem wirklich Beachtung zu schenken, setzte Tatsuro seinen Weg fort in der aberwitzigen Hoffnung, dass man ihn ziehen lassen würde. Eine leere Dose die ihn am Rücken traf, und deren blechernes Aufkommen begleitet von hämischem Gelächter, ließ diese Hoffnung allerdings zerplatzen. „Mihashi!“, wendete sich Tatsuro mit zynischer Begeisterung der Person zu, der er diese unerwünschte Unterbrechung seines Heimweges zu verdanken hatte. „Wie ich sehe, bist du noch immer so kurz und bitter.“, gab er diesem zurück, was Mihashi, wie zu erwarten, nicht besonders witzig fand. Sie waren nicht in der gleichen Klasse gelandet wie das Jahr zuvor, was Mihashi aber nicht davon abzuhalten schien, ihm dennoch auf die Nerven gehen zu müssen. „Iwagami. Na zurück von deinem Loser-Job? Hast dich wohl endlich damit abgefunden, es eh zu nichts weiter zu bringen, huh?“ Es gab eine Zeit, da hätte er sich den Spinner vor sich geschnappt und ihm eine verpasst. Doch Tatsuro musste für sich feststellen, dass Mihashis Worte ihn kalt ließen. Denn was wusste dieser schon? „Große Töne für jemanden, der sich nur auf Daddys Geld und dessen Unterstützung verlässt. Aber ich sag dir was Mihashi-chan, selbst wenn ich in der Gosse stehe, rieche ich nicht so erbärmlich, wie jemand der das Arschkriechen zu seinem Hobby gemacht hat.“ Tatsuro konnte nun genau verfolgen, wie sich Mihashi in eine Episode hineinsteigerte. Wie das verzogene, kleine Kind, das er schon immer gewesen war. Und weil es ihm eindeutig zu dumm erschien hier noch weiter Zeit zu verschwenden, ließ er ihn einfach stehen. „DU VERDAMMTER…!“, hörte er es wettern, doch als er sich erneut umwandte sah er, wie Akira, der Hund seines Nachbarn auf ihn zuhasstete, der ihm auch gleich freudig an den Beinen hinaufsprang. „Iwagami-kun. Gott sei Dank.“ Tatsuro sah nun auch Akiras Besitzer heraneilen, was die gesamte Situation für Mihashi zu kippen schien und er sich, unter einem verächtlichen Zischen, in die entgegengesetzte Richtung begab. Rukawa-san kam etwas abgehetzt vor ihm zum Stehen, während Tatsuro Akira hinter den Ohren kraulte. „Ich dachte schon nun ist er mir gänzlich entwischt.“, japste dieser noch immer außer Puste und griff nach der Leine, die ihm Akira aus der Hand gezogen haben musste. Akira war ein noch junger, plüschiger Shiba-Inu Wildfang, der sich über seinen Spieltrieb gern einmal vergaß. Aber er war eine gutmütige und herzliche Seele von einem Hund, welche ihn nun mit einem breiten Hundegrinsen anhechelte, während sich Rukawa-san noch immer sammelte. „Ich bin eindeutig nicht fit genug für diesen Hund.“, schnaufte dieser, was Akira, wie zur Bestätigung, kurz bellen ließ. Mit einem Schmunzeln tätschelte Tatsuro Akira noch einmal den Kopf, bevor er sich nach einer Verabschiedung schließlich auf den Weg machte. Kapitel 8: ----------- Es regnete. Ein Umstand, der ihm den Tag nicht hatte vermiesen können. Genau so wenig, wie die nicht überraschenden Überstunden. Oder die Zurechtweisung des Managers, der ihn beim Rauchen in der Pause erwischt hatte. Sein Vater hatte es nicht geschafft ihm seine gute Laune zu nehmen, als er ihn heute Morgen routiniert daran erinnerte, dass er im Gegensatz zu seinen Brüdern eine einzige Enttäuschung sei. Der Regen war kühl auf seinem erhitzten Gesicht und brannte merklich in den Schrammen, die er den vier Idioten zu verdanken hatte, die ihm, auf dem Heimweg durch den kleinen Park, aufgelauert waren. Sie hatten ihn noch großzügig wissen lassen, das man ihnen aufgetragen habe ihm eine gründliche Abreibung zu verpassen, bevor man im Kollektiv auf ihn losgegangen war. Er brauchte sich nicht wirklich fragen, wem er diese Aktion zu verdanken hatte. Denn wie die feige Ratte, die besagter Urheber schon immer gewesen war, zeigte sie sich nicht persönlich. Wohl aus Angst, er könne sie trotz seiner nun lädierten Person immer noch vorführen. Es war ein Hieb in den Magen, der ihn wieder zusammensacken ließ und ein darauf folgender Tritt, mit dem man ihn in die aufgeweichte Erde der Grünanlage beförderte. Er hatte etwas Mühe sich sofort wieder aufzurappeln, doch durchfuhr ihn ein Schub Energie, als er mit ansehen konnte, wie sich zwei der Spinner an seiner Tasche zu schaffen machten. Sicherlich um ihm den mickrigen Betrag an Geld abnehmen zu können, den er in seinem Portmonee hatte. Aber es ging ihm nicht um das Geld, als er nun so energisch versuchte sich seine Tasche wieder zurück zu holen, und dabei einem der Kerle mit einem Kopfstoß wahrscheinlich die Nase brach. Zumindest schrie dieser dementsprechend herum, während sich seine Hände, die er davor hielt, mit Blut rot färbten. Er hatte abermals keine Chance, als man ihn daraufhin erneut zu fassen bekam und ihm das Knirschen in seinem Unterkiefer ein flaues Gefühl zu bescheren wusste. Dann hielt man ihn zu zweit auf den Boden gedrückt, sodass er nichts weiter tun konnte als mit anzusehen, wie man den Inhalt seiner Tasche nun auf den Rasen kippte. Und Tatsuro hoffte inständig, das man wirklich nur darauf aus war ein paar Yen abzustauben. Doch dann griff einer der Typen nach der unscheinbaren Plastikhülle und die Übelkeit wich abermals verzweifelter Rage. „Oi, seht euch das mal an.“, hörte er es dann auch schon verlauten und sein wertvollster Besitz wurde an einen, der ihn festhielt, weitergereicht. „Pfff! Ist das nicht die Band mit der Schwuchtel als Sänger?“, meinte jener abfällig und Tatsuro wehrte sich noch etwas eiserner in ihrem Griff. „Stehst wohl auf solche Weiber-Typen, was? Hast bestimmt dein Zimmer voll mit seinen Postern, um dir daran einen runterholen zu können, huh!?“ Hämisches Gelächter füllte die feuchte Abendluft, gefolgt von weiteren Grobheiten gegen ihn, bis sein Körper aufgab und sein Geist zu benommen war, um noch etwas zu versuchen. Tatsuro wusste nicht, wie er hier her gekommen war. Auch nicht warum. Das Einzige was er wusste war, das er in seiner Verfassung nicht nach Hause wollte. Dort würde nur die verbale Variante seines zuvor erlebten Leidens folgen, und das konnte er einfach nicht verkraften. Es waren Wochen vergangen, seit er mit Hiro mehr zu tun gehabt hatte als nur ein flüchtiges „Hey“ in den Schulfluren. Und es war in dem Moment, wo dieser die Apartmenttür öffnete, in dem Tatsuro einfiel, dass ihn und Hiro nichts weiter verbunden hatte als die Band. Die Band, die ebenso seit Wochen nicht mehr existierte. „Sorry, falsches Apartment.“, nuschelte er somit nur entschuldigend, als er sich auch schon wieder abwandte, um gehen zu wollen. „Warte!“ Hiro hatte sein Handgelenk gepackt, was Tatsuro inne halten ließ. Aber auch nur, weil ihm einfach die Kraft fehlte, ihn wieder abzuschütteln. „Gott Tatsuro! Du kannst nicht einfach wie ein Zombie vor der Tür auftauchen und dann ohne Erklärung wieder verschwinden wollen.“ Hiro zog leicht an seinem Arm. „Komm schon rein. Ist auch keiner da.“ Das nächste was Tatsuro wieder einigermaßen bewusst wurde war, dass Hiro vor ihm kniete und sich um einige seiner Blessuren kümmerte. „Willst du erzählen was passiert ist?“, erkundigte dieser sich beiläufig, aber Tatsuro schüttelte nur den Kopf. Er verspürte solch eine Wut über das, was vorgefallen war, dass es ihn fast vollständig zum Gefrieren brachte. Er fühlte einfach nur eiskalte Wut. Und es gab einfach kein Ventil dafür. Zu einem späteren Zeitpunkt in seinem Leben würde er sich fragen, ob es nicht hätte ersichtlich sein müssen, warum ihn Hiro manchmal so merkwürdig ansah. Warum dieser ihm stets eine Hand auf die Schulter oder den Rücken gelegt hatte und ihm dabei näher kam als es notwendig war. Er würde sich ebenso fragen, ob er tatsächlich der Grund gewesen sein sollte, dass Hiro ihre Band verlassen hatte und nie wieder von sich hören ließ. Doch in diesem Moment, hier in Hiros Zimmer, auf dessen Bett, mit all dieser aufwühlenden Energie die ihn unter Spannung setzte, verschwendete er keinen Gedanken daran, warum dieser ihn plötzlich küsste. Oder warum er sich nicht darauf einlassen sollte. Alles was zählte war das Gefühl, dadurch seine Gedanken betäuben zu können. Den Schmerz, den er spürte in etwas anderes verwandeln zu können. Ihn beinahe zu genießen. Bereits am nächsten Morgen würde er es in eine hintere Ecke seines Geistes geschoben haben und mit einem simplen, „Man sieht sich.“, verschwinden. Seine Eltern waren bereits im Salon, als er nach Hause zurückfand, und er die Schwere seines Unglücks einfach nicht mehr aufhalten konnte. Diese Wixer hatten ihm alles abgenommen und waren auf und davon, während er sich noch im Dreck gekrümmt hatte. Alles war umsonst gewesen. Satoshis Hilfe. Sein Eifer. Seine Zuversicht. Dieses Konzert sollte seine Belohnung sein. Es war einfach nur naiv gewesen zu glauben, dass auch er sich einmal etwas Gutes verdient hatte, was ihn den erstbesten, greifbaren Gegenstand packen ließ, um ihn mit einem zornerfüllten Schrei gegen die Wand ihm gegenüber zu werfen. Er hatte es so satt. Somit war es pure, trotzige Frustration, die ihn dennoch zum Kenmin Bunka Center führte, wo er nun seit gut einer Stunde aus der Distanz verfolgte, wie sich schon andere Fans davor tummelten. Und er hasste jeden Einzelnen, der diese aufgeregte Vorfreude wiederspiegelte. Oder all diese kichernden Weiber, die sich in kleinen Trupps so hingebungsvoll über die Band unterhielten, und seinen Unmut dadurch nur noch mehr schürten. Und es bedurfte großer Anstrengung, diesen Unmut nicht auch ausdrücklicher vorzubringen, als er wieder einen dieser skeptischen Blicke auffing, die man ihm zuwarf, um dann leise tuschelnd und etwas eiliger von ihm Abstand zu gewinnen. Tatsuro knurrte erneut vor sich hin, was einen vorbeilaufenden Pinscher ihn großspurig ankläffen ließ, bevor er von seiner Besitzerin teilnahmslos weitergezogen wurde. Eine weitere Stunde verging, in der Tatsuro seinen Platz vor einem der bepflanzten Betonkübel des Geländes nicht verlassen hatte, als die ersten Tropfen aus dem wolkigen Grau zu Boden strebten, was er allerdings geflissentlich ausblendete. In ein paar Minuten wäre Einlass, und er konnte nichts weiter tun, als hier herumzustehen und dem einfach nur zuzusehen. Irgendwie hatte er die perfide Hoffnung gehabt, dass diese Pisser, die ihm sein Ticket abgenommen hatten, hier auftauchen würden, um es dann an irgendwen überteuert verschachern zu können. Und er hatte sich dutzende Szenarien zusammengesponnen, wie er all seine Wut auf sie niedergehen ließ. Denn er hatte erneut keine Ahnung wohin mit dieser verschlingenden Rage, die ihn so einnahm. Der letzte Schwall an Fans trudelte in die Halle und der Regen übernahm den Platz, den diese vorher noch ausgefüllt hatten. Nun setzte sich auch Tatsuro träge in Bewegung, und lief ohne ein bestimmtes Ziel drauf los. Am Eingang stand noch immer die Security, um sicher zu gehen, dass sich niemand einfach zutritt verschaffte oder um Nachzügler noch hineinlassen zu können. Der Regen wurde intensiver und Tatsuro konnte ein leichtes Frösteln nicht unterbinden. Es mochte ein eigenwilliges Bild abgeben, als er sich daraufhin den roten Schal aus seiner Tasche holte und ihn sich umlegte. Denn immerhin war Sommer. Doch er brauchte nun einfach etwas, das ihn irgendwie festigte. Aber je länger er sich auf das Stück Wolle um seinen Hals konzentrierte, umso missmutiger wurde er wieder. Er hätte heute Abend in dieser Halle sein sollen! Stattdessen lief er wie ein verhungerndes Tier vor diesem Gebäude herum, in der Hoffnung irgendetwas erhaschen zu können. Sein Blick fiel auf die Mauer, die sich der Halle anschloss. Und mit einem Male war ihm alles völlig egal. Zum Teufel mit allem! Der Regen gab ihm eine gewisse Deckung, war niemand weit und breit zu sehen, der auf ihn hätte aufmerksam werden können. Es war von Vorteil, dass er etwas größer gewachsen war als der Durchschnitt und auch nicht ganz ungelenk, was solche Aktionen anbelangte. Mit Hilfe eines Astes, der über die Mauer hing, hangelte er sich den feuchten Stein hinauf und nutzte eben jenen Baum als Schutz, als er in den weitläufigen Innenhof hinabstieg. Das wäre erst einmal geschafft. Als Tatsuro sich prüfend umschaute, konnte er nur sporadische Deckungsplätze erkennen, die ihn weiter an die Hintertür führen konnten. Aber was hatte er schon zu verlieren? Er hatte genug Adrenalin im Körper, um es drauf ankommen zu lassen. Er war keine zehn Meter gekommen, als er auch schon eine energische Stimme vernahm, die dazu aufforderte stehen zu bleiben. Doch in seinem Frust tat Tatsuro genau das Gegenteil und dachte gar nicht daran, sich schon geschlagen zu geben. Dieser Tag war eh ein einziges Desaster! Letztendlich hatte er drei bulligen Sicherheitstypen nicht viel entgegen zu setzen, was ihn aber nicht eingeschüchtert kleinbeigeben ließ. „Dieser Punk ist wie ein tollwütiger Waschbär!“, hörte er einen der Drei murren, als er ihn hart am Schienbein getroffen hatte, worauf die zwei anderen ihn noch etwas eiserner festhielten. Und irgendwie war es genau das, was er brauchte, um seinen Frust loslassen zu können. „Jetzt beruhig dich mal wieder Bürschchen. Die Sache ist eh für dich gelaufen.“, kampflustig zischte Tatsuro den Mann vor sich an, als er auch schon grob dazu gebracht wurde sich zu bewegen. „Lass seine Eltern ihn abholen.“, meinte einer schließlich, was Tatsuro nur kalt auflachen ließ. Da könnten sie lange warten, bis einer von ihnen hier auftauchen würde. Eher würden sie noch vorschlagen, ihn der Polizei zu überlassen, da er kein Teil dieser Familie sei. „Einen kleinen Fang gemacht Takashima?“ Es war eine neue Stimme, die dies fragte. Die dazugehörige Person trat aus dem Schatten der schweren Metalltür des Hintereingangs und rauchte gelassen. Tatsuro erkannte diese sofort. Nicht, dass er mit ihr schon einmal persönlich zu tun gehabt hätte, aber er hatte genug Videos gesehen, um zu wissen, dass er der Lead-Gitarrist der Band war. Jener den er auch damals schon gesehen und der Sakurai wieder zu ihrer Runde gebeten hatte. Imai schaute Tatsuro unbeeindruckt an, als dieser recht widerspenstig gegen den Griff der beiden Securityleute anzerrte. Dann blieb seine Aufmerksamkeit an seinem Schal hängen und er verengte ein wenig seine Augen. „Du bist Acchans Streuner.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die Tatsuro ein wenig aus dem Konzept brachte. Imais Augen waren kritisch und kühl, als sie ihn erneut abmaßen. „Lasst mich kurz mit ihm allein.“, meinte dieser daraufhin, was natürlich auf Unverständnis der Security traf, war es schließlich ihr Job böse Überraschungen durch aufdringliche Fans zu unterbinden. „Das geht schon klar. Oder nicht?“ Diese Frage war an Tatsuro gerichtet, der mit diesem Wechsel etwas überfordert war, schließlich aber ein holpriges Nicken zu Stande brachte. Imai führte ihn etwas in den Hof hinein, begleitet von den wachen Augen Takashimas und seiner Jungs. „Was glaubst du mit so einer Aktion zu erreichen?“ Die Stimme des Gitarristen hatte etwas nachdrückliches, was Tatsuro nicht überraschte, ihn aber auch nur mit den Schultern zucken ließ. Was sollte er auch erklären? Er hatte sich gar nichts von dieser Aktion versprochen. Es war einfach nur der stupide Drang nach Aufmischung gewesen. Selbst ihm war klar, dass er nicht so einfach hier hereinkommen würde. Dann spürte er plötzlich den festen Griff einer Hand in seinem Nacken, was ihn etwas erschrocken in das unmittelbare Gesicht Imais blicken ließ. „Das letzte was wir brauchen sind Probleme.“, gab er Tatsuro eindringlich zu verstehen und dieser schluckte etwas trocken ob dieser Zurechtweisung. „Kapiert?“, hakte Imai nach und Tatsuro nickte wiederholt nur stumm. „Gut.“ Imai löste seinen Griff nicht, als er Tatsuro wieder in Richtung der Security dirigierte und Tatsuro annehmen ließ, dass er nun wieder ihnen überlassen wurde. Dann allerdings schob er Tatsuro an Takashima und Anhang vorbei. Durch einen der dimm beleuchteten Gänge, wo er ihn in einen Raum verfrachtete und anwies dort zu warten. Tatsuro ließ sich daraufhin auf einen der Stühle sinken und legte seinen Kopf in seine Hände. Sein Adrenalin ebbte spürbar ab und ließ ihn ausgelaugt und mit leichten Kopfschmerzen zurück. Hier würde er nun darauf warten dürfen, dass ihn irgendwer abholte, oder wenigstens aus der Halle entfernte. Seine Eltern würden sicherlich so oder so Wind davon bekommen, was er hier abgezogen hatte und ihn danach höchstwahrscheinlich auf die Straße setzen. Bitter lachte er über diese Wahrscheinlichkeit in seine Handflächen. „Am besten ich springe gleich von einer Brücke, dann hätten alle Ruhe.“, setzte er seinen trüben Gedanken nach und erschrak sich wiederholt, als er eine weitere vertraute Stimme plötzlich im Raum vernahm. „Das ist aber nicht das, was du mir versprochen hattest.“, ermahnte diese ihn und Tatsuro war mit einem Male zum Heulen zu Mute, dass er auch nicht wagte Sakurai anzusehen. Selbst wenn er sich die letzten Wochen über immer wieder dieser Vorstellung hingegeben hatte, was wäre, würde er ihn noch einmal vor sich haben. Doch keine seiner Fantasien hatten ihn als heulendes und durchgeweichtes Desaster gezeigt. Also versteckte er sich weiterhin hinter seinen Händen, deren Finger sich nun derb in seinen Haaren vergruben, damit der dadurch ausgelöste Schmerz ihn ablenken konnte. Das nächste was er vernahm war wie sich Schritte entfernten und sich die Tür öffnete und wieder schloss. Und plötzlich gab es kein Halten mehr für seine geschundenen Emotionen, sodass er unter einem Jammern in sich zusammenrutschte und Rotz und Wasser heulte. Er wollte einfach nur noch hier weg. Egal wie. Und egal wohin man ihn brachte. Die sanfte Berührung einer Hand, die über seine Haare strich, war etwas das er glaubte sich in seinem Schmerz nur einzubilden. Doch dann legte man eine Hand unter sein Kinn und schob es wieder ein Stück nach oben. Durch seine tränenschweren Lider erkannte er das unscharfe Gesicht von Sakurai, der ihm eine Packung Taschentücher hinhielt, die Tatsuro auch sogleich schnappte und sich mit einer der Zellstoffbahnen die offensichtlichsten Spuren aus dem Gesicht wischte. „Tut mir leid Kitten, aber ich muss wieder los. Die Jungs werden sonst ungeduldig. Hier, zieh das an und dann folge Takashima, der vor der Tür wartet. Noch einmal strich man ihm durch die Haare und dann war er wieder allein mit sich. Etwas tranig schaute er auf die Sachen in seinem Schoß, welche sich bei genauerer Betrachtung als ein Konzert Shirt und eine dazu passende Wickelhose mit dem Logo der Tour entpuppten. Selbst an ein Handtuch zum Abtrocknen hatte man gedacht. Tatsuro blickte an sich hinab und merkte erst jetzt, wie unangenehm ihm seine Sachen am Leib klebten. Also tat er wie ihm geheißen und stand kurz darauf neben Takashima, der ihn finster anschaute. Nur mit einem Kopfzeig deutete dieser an, ihm zu folgen. Tatsuro nahm an, dass irgendeine Autorität sich nun seiner annehmen würde und er lauschte schwermütig dem dumpfen Auftakt des Konzerts, der durch den Gang vibrierte. Dann öffnete Takashima eine weitere Metalltür und führte Tatsuro eine Treppe hinauf, was ihn etwas stutzig machte. Umso größer wurden seine Augen, als er sich mit einem Male auf einem der Ränge wiederfand, wo auch schon andere Fans dem Jubel folgten, den das Erscheinen der Männer auf der Bühne ausgelöst hatte. Takashima schuppste ihn ein wenig nach vorn, sodass er gegen eines der kreischenden Mädchen stieß, die ihn über ihre Fan-Hysterie hinweg jedoch vollkommen ignorierte. Dann war Takashima wieder verschwunden und Tatsuro konnte noch immer nicht erfassen was vor sich ging. Erst als er Sakurais Stimme vernahm, schwenkte seine Aufmerksamkeit vollends auf die Bühne, von welcher er seine Augen die nächsten eineinhalb Stunden auch nicht mehr abwenden würde. Kapitel 9: ----------- Tatsuro ließ die letzten Fans sich zurückziehen, während er einfach nur weiter auf einem der Sitze verharrte und erst einmal wieder etwas mehr zur Besinnung kommen musste. Es war ein fantastisches Konzert gewesen. Genau wie er es sich vorgestellt hatte. Und noch etwas besser. Er hatte nicht aufhören können, Sakurais Bühnenpräsenz aufrichtig zu bewundern. Wie einfach er all diese Fans in seinen Bann ziehen konnte, selbst wenn er sich nur seine langen Haare zurückwarf. Er konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass ihm so etwas eines Tages ebenso möglich sein würde. Er hatte keine Ausstrahlung, die einen zu faszinieren wusste. Eher fühlte man sich von seiner Art aufzutreten schnell genervt oder provoziert, wenn man nicht gerade ein Gemüt wie Satoshi besaß. Mit einem anregenden Prickeln erinnerte er sich an die kleine Bühnenshow von Sakurai und Imai-san zurück. Es beförderte seine Fantasie in gänzlich neue Dimensionen. Er fragte sich wirklich, ob es derart einfach erscheinen sollte, solche Dinge mit einem anderen Kerl auf einer Bühne durchzuziehen, selbst wenn es hauptsächlich dazu diente die Fans anzuheizen. Der Rang hatte sich bis auf ein paar verstreute Nachzügler geleert, was auch Tatsuro Anlass gab sich zu erheben und den Weg nach draußen anzustreben. Er war die Treppe vollständig hinabgestiegen, als ihm etwas einfiel. Seine Sachen waren noch in diesem Raum. Selbst wenn es ihm um seine Klamotten egal gewesen wäre, so wollte er den Schal nicht hergeben. Ihm war klar, dass er sicherlich alle Geduld des Teams hier überspannen würde, aber er schlich sich dennoch den Gang entlang, den er zuvor mit Takashima hier her genommen hatte. Es ging geschäftig zu, doch niemand schien sich an seiner Person zu stören, als man an ihm vorbeieilte, was Tatsuro nur Recht sein sollte. Vor besagtem Raum angekommen überkam ihn die Eingebung, dass man ihn womöglich verschlossen hatte und er somit seine Sachen und seinen Schal vergessen konnte. Doch zu seiner Erleichterung ließ sich die Tür widerstandslos öffnen, was ihn rasch hindurch schlüpfen ließ. Leise schloss er sie wieder, nur um daraufhin perplex im Zimmer zu stehen und auf den Mann zu starren, der dort auf der etwas lädiert aussehenden Couch saß. Sakurai hatte die Augen geschlossen, seinen Kopf auf die Rückenlehne gebettet und seine Arme darauf entlang gestreckt. Seine Körperhaltung gab etwas Entspanntes wieder. Und er rührte sich auch nicht, als Tatsuro näher an ihn herantrat. Sicherlich, so ging es Tatsuro durch den Sinn, war Sakurai nach solch einer Show einfach zu erschöpft, und am Ende hier eingeschlafen. Der Gedanke, dass dieser auf ihn gewartet haben könnte, ließ ein aufgeregtes Kribbeln in Tatsuros Bauch zurück. Vor Sakurai angekommen betrachtete er ihn etwas eingehender. Es war auch jetzt nicht von der Hand zu weisen, dass Sakurai ein wirklich sehr attraktiver Mann war. Und diese Tatsache wurde auch nicht davon abgeschwächt, dass dieser in seinem Zugabe-Outfit hier saß und ihn ein leichter Schein von Schweiß umgab, der auch in den etwas zerzausten Haaren festhing. Und wie eine Motte die das Licht anstrebte, folgte Tatsuro einem seiner törichten Impulse. Vorsichtig kniete er sich über Sakurais Schoß und stützte seine Hände gegen die Lehne unter dessen Armen. Erneut huschte dieses kleine, sexy Bühnenshow von vorhin durch seinen Kopf. Es war wirklich kein Wunder, dass Sakurai solch eine Gewalt über seine Fans hatte. Tatsuro wusste, dass er kurz davor stand ein ziemliches Risiko einzugehen, was ihn aber letztendlich nur noch mehr beflügelte. Und wie so oft in solch einer Situation, blendete er alle Konsequenzen routiniert aus. Er spürte das leichte Stechen an seinem Mundwinkel, das von einer der Blessuren des gestrigen Zwischenfalls herstammte, als er seine vorwitzigen Lippen auf die von Sakurai legte und es ihn wie in einer Art von Trance zurückließ. „Womit habe ich mir den verdient?“, drang es daraufhin an seine Ohren und er konnte die leichte Berührung von Sakurais Lippen gegen die seinen wahrnehmen, als er ihn dies fragte. Erst dann zog sich Tatsuros Gesicht soweit zurück, dass er Sakurai in die Augen schauen konnte. „Als Danke für diesen Abend.“, gab er noch immer etwas benommen wieder, worauf Sakurai ein leichtes Lächeln zeigte. Und erst als er dessen behutsame Finger spürte, die über den nicht zu verkennenden blauen Fleck auf seiner rechten Wange strichen, katapultierte es ihn zurück in die Realität. Mit sich weitenden Augen nahm er den Mann unter sich wahr und das was er sich gerade mit ihm erlaubt hatte. „Na wieder zu Gegen?“, erkundigte sich dieser ohne anklagend zu klingen. Tatsuro wäre sicherlich in eine Starre aus Beschämung verfallen, hätte ihn Sakurai nicht mit den folgenden Worten abzulenken gewusst. „Bis du in einer dieser Gangs?“ Etwas irritiert über diese unerwartete Frage, brauchte Tatsuro einen Moment darauf zu reagieren und schüttelte letztendlich mit dem Kopf. „Warum prügelst du dich dann?“ Es war dieser Punkt, der Tatsuro dazu brachte seinen Kopf zu senken, und sich neben Sakurai auf die Couch fallen zu lassen, da er merkte, wie wieder diese Wut in ihm aufkam. Dachte wirklich jeder, dass er nicht besser wäre als stets und ständig nach Streit zu suchen, nur um primitive Aggressionen loswerden zu können? Auch wenn ihm so viel Frust inne wohnte, ließ er ihn nicht einfach so an anderen aus. Ging man jedoch zuerst auf ihn los, dann war es schließlich sein Recht sich zu wehren. Aber selbst seinem Vater gegenüber war er nie handgreiflich geworden, egal wie sehr es ihm auch schon danach verlangt hatte. Doch unter dem Strich sah wohl wirklich niemand etwas Gutes in ihm. „Entschuldige. Ich habe nicht das Recht voreilige Schlüsse zu ziehen.“ Eine Hand von Sakurai umfasste eine von Seinen, die er so krampfhaft zu einer Faust geballt hielt, dass es schmerzte. „Schon ok.“, hörte er Sakurai verstehend flüstern, als dieser ihn gegen sich zog, damit Tatsuro seinen Kopf auf dessen Schulter legen konnte. Beruhigend strich dieser ihm über den Rücken und seine kurzen Haare, was Tatsuro völlig zu überfordern wusste. Dieser behutsame Umgang mit ihm war ihm noch immer so fremd und dann war es wieder Sakurai, der ihn daran erinnerte, dass er es ebenso verdient hatte mit Nachsicht behandelt zu werden. Und Tatsuro ließ sich davon einspinnen, bis sein Körper an Spannung verlor und er gänzlich gegen den Anderen sank und ein ersticktes Wimmern über seine Lippen rutschte. Sakurai hörte nicht auf sich seiner anzunehmen. Ihm seine Schwäche erneut zu gewähren, während er an ihn gepresst saß und nicht wusste wohin mit all diesen Emotionen aus Bedauern, Wut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die seinen Körper zum Zittern brachten. Das Aufreißen der Zimmertür war zu vernehmen, was Tatsuro sich wieder etwas mehr verspannen ließ, gefolgt von einer kurzen andächtigen Pause. „Gott! Ich bin eindeutig zu nüchtern für solchen Firlefanz!“, war Imais ergebener Hinweis zu vernehmen, der die Tür mit den Worten, „Ein Idiot für einen anderen!“, geräuschvoll wieder zuwarf. „Wird er mich nun qualvoll daran erinnern, dass ich seinen Sänger nicht vollheulen soll?“, rutschte es Tatsuro in alter selbstsicherer Manier heraus, was Sakurai ein herzliches Lachen entlockte. „Keine Sorge, Imai ist zwar etwas scharfkantig im Charakter, aber ein klasse Typ, solange der Pegel stimmt.“, witzelte er zugetan, was Tatsuro erleichtert gegen Sakurais Schulter seufzen ließ. „Er wollte mich sicherlich daran erinnern, dass wir uns in Kürze auf den Weg ins Hotel machen werden.“ Natürlich, sie konnten schließlich nicht ewig hier sitzen bleiben, auch wenn Tatsuro diesen Augenblick nur ungern wieder aufgab. Selbst wenn es nur aus Mitleid von Sakurais Seite hingenommen wurde, dass er sich so unverschämt anhänglich geben durfte. Also richtete er sich mit einem trüben Seufzen wieder auf, und stand dennoch etwas verloren da, als Sakurai es ihm gleich tat. Dann fiel sein Blick auf seine Sachen und er nahm dies als Grund, sich wieder in Bewegung zu setzen, um diese einzusammeln. Unsicher schaute er auf den Schal, worauf er plötzlich Sakurais Stimme neben sich vernahm, die ihn wissen ließ, dass er ihm den schon nicht wieder wegnehmen würde, hatte er seinen Zweifel wohl gleich zu deuten gewusst. „Ich…ich gehe dann wohl besser.“ Rasch drehte er sich zu Sakurai um und verbeugte sich vor diesem. „Danke für alles. Ich weiß es mag lächerlich klingen, aber ich werde versuchen es wieder gut zu machen.“ Nicht zum ersten Mal strich ihm Sakurai daraufhin durch seine Haare. „Schon gut Kitten. Ich weiß wie es ist, nicht zu wissen, wohin man wirklich gehört oder was man aus sich machen soll. Also sehe es als ein Geschenk.“ Tatsuro war gerade im Begriff etwas erwidern zu wollen, als er deutlich das Knurren von Sakurais Magen vernahm. „Ehrlich, ich könnte mal wieder einen Burger vertragen.“, raunte dieser resigniert, was Tatsuro schneller antworten ließ, als er zu Ende gedacht hatte. „Ich wüsste da einen Laden. Also…“ Er musste über sich selbst den Kopf schütteln. Was bildete er sich ein? Demnach hätte er auch mit allen möglichen Antworten gerechnet, außer mit einem „Warum nicht.“ Konfus, ob er gerade richtig verstanden hatte, blinzelte Tatsuro Sakurai eulenhaft an. „Warte etwas abseits der Liefereinfahrt auf mich.“ Damit rauschte Sakurai auch schon aus dem Raum, worauf ihm entging, wie Tatsuro mit fischähnlichen Mundbewegungen der ganzen Szene noch immer keinen rechten Glauben schenken konnte. Und wieder dem besseren Wissen, dass man ihn höchstwahrscheinlich veralbert hatte, tat er wie ihm geheißen. Sollte er die ganze Nacht hier stehen, so hätte er dennoch keinen Frust darüber verspürt. Zu großartig war all das, was er am Abend hatte erleben dürfen. Er würde eine gute Weile von all diesen Erinnerungen zehren können. Da war er sich sicher. * „Und das ist auch wirklich in Ordnung? Ich meine…“ Tatsuro erschien das Alles noch immer wie ein Traum, als Sakurai tatsächlich neben ihm aufgetaucht war. So leger angezogen, dass er auf den ersten Blick wirklich kaum ins Auge fiel. Seine langen Haare hielt er außerdem unter einem Bascap versteckt. „Mach dir mal keine Gedanken Kitten. Ich hab trotz allem noch meine Freiheiten. Oder sagen wir mal, ich nehme sie mir.“ Die Dämmerung wechselte zu einem sternlosen Abend, doch zum Glück hatte der Regen vorerst aufgehört. Wortlos durchquerten sie eine kleine Grünanlage auf ihrem Weg, den Tatsuro vorgab, da er einfach nicht wusste, über was sie sich unterhalten konnten. Sein Alltag war mehr als banal und er wollte auch nicht nur albernen Unsinn von sich geben. „Bist du noch in deiner Band?“, nahm ihm Sakurai glücklicherweise diese Bürde ab. „Die ist erst einmal auf Eis gelegt. Zurzeit gibt es für uns alle andere Dinge zu bewältigen.“ Das war zumindest das, was sich Tatsuro weiterhin eisern einredete. Aber wenn er ehrlich war, glaubte er nicht mehr daran, dass sie sich jetzt noch einmal als Band zusammenfinden würden, bevor das Schuljahr zu Ende ging. Nach ihrem Abschluss würde Yaguchi sicherlich eine andere Band gründen. So wie dieser es sich auch vorgenommen hatte. Warum sollte er auch auf sie zurückgreifen? Sie waren schließlich nur eine Schulband gewesen. Und das es unzählige andere gab, die Yaguchi als Sänger einsetzen konnte, stand auch außer Frage. „Ich vermisse es zu singen.“, stahl sich der Gedanke dazu eher unbeabsichtigt über Tatsuros Lippen. „Singen kann man überall. Das ist das Schöne daran. Man braucht kein Instrument.“ Ein freudloses Lächeln zeigte sich bei diesem Hinweis auf Tatsuros Gesicht. „Ich wünschte es wäre so einfach. Zu Hause ist man froh, wenn man mich nicht zu Gesicht bekommt, und hören will man mich genau so wenig. Aber mir sind einfach die Hände gebunden, bis ich mir etwas Eigenes leisten kann. Was also heißt, weiter unter dem Dach meiner Eltern zu hocken und mir ihre ewigen Predigten darüber anzuhören, was für eine Enttäuschung ich doch für sie bin.“, zischte er verdrossen, nur um sich folglich für sein kindisches Gejammer dumm zu fühlen. Es gab durchaus Menschen, die es schwerer hatten als er. „Uhm, sorry. Ich weiß, jammern bringt einen nicht weiter. Es ist nur, dass mir anscheinend nie etwas wirklich gelingen will.“ Er ließ seinen Kopf hängen. „Ich weiß einfach nie so recht, was ich tun soll.“ Tatsuro hasste es wenn man ihm ständig durch seine Haare wuschelte, aber er gestand sich ein das, wenn es Sakurai tat, es ihn mit einem angenehmen Gefühl versah. „Ich weiß, dass in diesem Alter vieles nicht einfach erscheint, aber mein Gefühl sagt mir, dass du kein Kerl bist, der so einfach aufgeben wird. Solche Hürden zu meistern formt einen Menschen. Er muss nur selbst entscheiden, ob zum Guten oder zum Schlechten.“ Tatsuro ließ sich das Gesagte durch den Kopf gehen, dann nickte er verstehend. Sakurai hatte recht. Es vergingen noch ein paar Minuten, in denen sie sich über Musik unterhielten, schien dieses Thema doch einfach eine solide Brücke zu sein. Schließlich hielt Tatsuro kurz vor dem angestrebten Burgerladen inne, und blickte etwas verschämt zu Sakurai hinüber. Er war sich nicht sicher, ob es nun tatsächlich eine so gute Idee wäre, gemeinsam auf seiner Arbeit aufzutauchen, wo er sich neugierigen Blicken komplett ausgeliefert sehen würde. Und das wollte er Sakurai nicht wirklich antun. Er fühlte sich neben ihm eh schon so unsäglich fehl am Platze. War dieser so oder so das Hinschauen allemal wert. „Ist es ok, dir die Sache zu überlassen?“, erkundigte sich Sakurai kurz darauf, und Tatsuro verstand sofort auf was dieser hinaus wollte. „Klar, kein Problem.“ * Sakurai ließ seinen Blick über die Leute um sich herum schweifen, konnte aber niemanden erkennen, der sich zu innig auf ihn konzentrierte. Soweit so gut. Natürlich war es ein Risiko, sich hier so öffentlich zu zeigen, hatten manche Fans beinahe einen siebten Sinn, wenn es um das Enttarnen ihrer Idole in halbseidenen Verkleidungen ging. Es war von Vorteil, dass sie erst Übermorgen das nächste Konzert geben würden und er sich vorerst keine Gedanken darüber machen musste, heute noch mit den Jungs in die nächste Stadt aufbrechen zu müssen. Seine Aufmerksamkeit legte sich auf Iwagami-kun, den er durch das große Fenster erkennen konnte. Imai hatte ihm ohne Vorbehalte ins Gesicht gesagt, dass er nicht ganz dicht wäre. Dass es mit seinem verqueren Helferkomplex in Bezug auf diesen Jungen nur schief gehen konnte. Und er es dabei hätte belassen sollen, ihm einfach nur das Konzert ermöglicht zu haben. Und womöglich hatte Imai auch Recht. Aber trotzdem ließ ihn etwas in Bezug auf diesen einen Streuner nicht los. Es lag nahe, dass er sich irgendwo selbst in ihm wiederfand. Mit all den rebellischen Ambitionen und dem Straucheln auf dem Weg ins Erwachsen werden. Doch konnte er sich damals der Liebe und Unterstützung seiner Mom immer sicher sein, was eine wirklich wichtige Essenz für sein Leben dargestellt hatte. Was hier aber leider nicht der Fall zu sein schien. Und je mehr er über diesen Jungen erfuhr, umso mehr festigte sich der Gedanke, dass er hier etwas Gutes tun könnte. Und sei es nur, ihm so viel Mut zu zusprechen, dass er wenigstens ein richtiges Ziel für sich vor Augen hatte. Er wollte daran glauben, dass dieser das Potenzial dafür besaß. Iwagami-kun war nun mit seiner Bestellung an der Reihe, was die Frau an der Theke dazu übergehen ließ, ihre Hände an sein Gesicht zu legen und seinen Kopf leicht von einer Seite auf die andere zu dirigieren. Sie schien auf ihre Art besorgt über dessen Zustand. Iwagami-kun indes zeigte sich etwas genervt, ließ sie aber machen. Es folgte ein Austausch von Worten, der die Frau schließlich mit dem Kopf schütteln, bevor sie dazu wechselte ihm durch die Haare zu strubbeln. Iwagami-kun zeigte sich noch entrüsteter über diese Geste und wich ihr folglich aus. Eine weitere Person, diesmal ein junger Mann, trat neben die Frau und das gleiche Schauspiel schien sich zu wiederholen. Tatsuro zeigte sich ergeben. Man drückte ihm schließlich seine Tüte in die Hand und als er bezahlen wollte, lächelte man ihm nur zu und lehnte mit ein paar Worten ab. Er schien im ersten Moment überfordert mit dieser Geste. Und es machte Sakurai das Herz etwas schwer zu merken, dass dieser es wohl wirklich nicht gewöhnt war, dass man ihm etwas Gutes tun wollte. Über seine Gedanken bemerkte Sakurai nicht einmal, das Iwagami-kun den Laden wieder verlassen hatte und somit plötzlich wieder neben ihm auftauchte. „Hat etwas länger gedauert. Sorry.“ Sakurai schenkte ihm ein Lächeln, als Zeichen, dass es ihm nichts ausgemacht hatte. „Deine Freunde sahen besorgt aus.“, merkte er an, als sie sich auf den Weg machten, ohne einen bestimmten Ort anzusteuern. Er konnte daraufhin verfolgen, dass Iwagami-kuns Wangen rot wurden. Nach allem was dieser heute Abend schon zu Stande gebracht hatte, war dies das erste Mal, dass er sich verlegen zeigte. „Uhm… sie sind etwas nervig, wenn es um so etwas geht. Die zwei haben irgendwann beschlossen mich als ihren kleinen Bruder zu adoptieren.“ Iwagami-kun versuchte zwar ebenso genervt zu klingen, aber das täuschte nicht über den bewegten Ausdruck in seinem Gesicht hinweg. Dieser Junge schien wirklich wie einer der Streuner, die er manchmal aufsammelte und welche zuerst fauchten und kratzten, sich dann aber als ungemein liebebedürftig herausstellten. Und jeder in seiner Band wusste, dass er kein Problem damit hatte Umarmungen zu verteilen. Nur leider waren seine Jungs eher widerspenstig, wenn es darum ging ihn seinen Spleen abseits der Bühne ausleben zu lassen. Wenigstens nahmen es ihm seine Katzen nicht übel und freuten sich meist über seine Zuwendung. Schließlich setzten sie sich auf eine Bank in dem Park, denn sie zuvor schon durchquert hatten. Erst als Tatsuro seinen Burger in den Händen hielt wurde ihm bewusst, wie ausgehungert er eigentlich war, und konnte ihn nicht schnell genug verdrücken. Sakurai schmunzelte amüsiert über dieses Bild. Der letzte Bissen jedoch war dann doch etwas zu groß und Tatsuro würgte angestrengt daran. Somit fiel ihm auch nicht auf, dass sich Sakurai erhoben hatte und er sich demnach etwas verwundert umschaute, als er sich allein auf ihrer Bank wiederfand. „Na sieh einer an. Wen haben wir denn hier?“ Tatsuro drehte sich mit gereizter Vorahnung den Stimmen zu, die nun noch näher rückten. „Was ist los kleiner Homo? Ganz allein im Park um dir die Augen auszuheulen, weil du dein Homo Konzert verpasst hast?“ Ein Schwall dümmlichen Lachens war von den vier Idioten zu hören. „Hab ‘nen guten Preis für dieses Ticket bekommen. Vielleicht sollten wir dich nochmal filzen. Mal sehn, ob du uns wieder so ein nettes Geschenk machen kannst.“ Tatsuro sagte nichts dazu. „Hey, ich rede mit dir!“ Grob stieß man ihm gegen die Schulter, als er sich zu unbeteiligt über ihre Häme zeigte. Dann schaute er dem Rädelsführer jedoch kühl ins Gesicht. „Lieber ein Homo, als ein degenerierter Vollidiot der keinen hoch kriegt.“ Tatsuro setzte ein selbstgefälliges Grinsen auf. „Deswegen hat dich deine Mama auch nicht mehr lieb. Weil du es ihr nicht besorgen kannst.“ Es war nur ein Augenblick, der Tatsuro übrig blieb, um der heranfliegenden Faust auszuweichen, nur um daraufhin Sakurais Stimme zu vernehmen, der hinter der Gruppe Schläger stand, die Tatsuro umkreist hatten. „Wenn ihr wisst was gut für euch ist, solltet ihr ihn in Ruhe lassen.“, meinte dieser gelassen und zog nun etwas aus seiner Hosentasche. „Wie wäre es, wenn ich unseren Freund und Helfer dazu holen würde?“ Nun erkannte Tatsuro auch, dass es ein Mobiltelefon war, das Sakurai da in seiner Hand hielt, und ohne Umschweife augenscheinlich eine Nummer wählte, um sich das Gerät dann an sein Ohr zu legen. Es war zu beobachten, wie sich die vier Affenköpfe unsichere Blicke zuwarfen. Der erste zog mit einem Murren davon, kurz gefolgt von den anderen beiden. Der Hauptaggressor schenkte Tatsuro noch einen letzten verächtlichen Blick, bevor dieser mit einem arroganten Zischen schließlich ebenso abzog. Tatsuro legte seinen Kopf in den Nacken und atmete hörbar durch. „Du scheinst wirklich die interessantesten Leute zu kennen.“, hörte er Sakurai feststellen, der sich nun wieder neben ihn setzte und ihm eine Flasche mit grünem Tee in den Schoß legte. „Ich bin wie ein Magnet für solche Spinner.“, raunte Tatsuro müde. „Dann waren die der Grund für dein farbintensives Make up?“ Tatsuro schaute weiter in das Dunkel der Baumkronen, die er über sich ausmachen konnte und zuckte nur abtuend mit den Schultern. Sakurai lehnte sich nun ebenfalls etwas zurück und sie schwiegen für einen Moment. „Vielleicht kann ich dir bei ein paar Dingen etwas behilflich sein“, bot Sakurai ziemlich überraschend an, und unterstrich dies mit einem aufrichtigen Blick, um klar zu stellen, dass er es durchaus ehrlich meinte. Tatsuro stellte sich indes die Frage, ob ihn diese Kerle nicht doch erwischt hatten und er sich Sakurais Angebot schlicht und einfach nur im Delirium zusammenspann. Alles andere erschien ihm einfach zu surreal. Kapitel 10: ------------ Ein Jahr später Tatsuro stöhnte unglücklich, als sich einfach kein sauberer Teller für seine aufgewärmte Pizza finden ließ. Entweder er brauchte mehr Geschirr oder er musste doch einmal wieder aufwaschen. Aber vorerst würde es eine Zeitung als Unterlage auch tun. In dieser Hinsicht war das Alleinleben doch etwas nervig. Aber er würde es dennoch nicht wieder hergeben wollen. Seit gut einem Jahr lebte er nun hier. Und auch wenn es wirklich nur ein winziges Apartment mit dem nötigsten an Ausstattung war, so war es doch sein Apartment. Es war ein schwüler Sonntagabend, weswegen er auch nur in einem weiten Shirt und Boxer-Shorts herumlief. Die Klimaanlage hatte vor wenigen Tagen ihren Geist aufgegeben, aber Sawada-san, sein Vermieter, hatte versprochen gleich morgen jemanden deswegen vorbeikommen zu lassen. Sawada-san war ebenso sein Arbeitgeber. Er hatte ihm das kleine Apartment über einem seiner Lagerräume überlassen und war einer der coolsten Chefs den sich Tatsuro vorstellen konnte. Sawada-san besaß ein gut strukturiertes Musikgeschäft, das sich auf zwei weitläufigen Etagen eines ehemaligen Szene Cafés verteilte, dessen ursprüngliches Flair Sawada-san zu einem Teil gleich mit übernommen hatte. Tatsuro mochte die bunten und dynamischen Graffiti und den Hauch von Industrie-Schick, denn es passte alles so ungemein gut zusammen. Er hatte nicht nur einmal vor der Wand mit den Fotos gestanden, die Sawada-san mit einem bekannten Musiker oder einer bekannten Band zeigten, die für Promotion oder aus einem anderen Businessgrund in seinem Geschäft gewesen waren. Erst letztens war der ehemalige Gitarrist von 44Magnum bei ihnen aufgetaucht, um einfach nur mal seinen alten Freund Sawada-san besuchen zu wollen. Ja, Tatsuro mochte seinen Job. Er hatte ihn noch während den letzten High School Monaten gewechselt und das Glück gehabt, dass Sawada-san ihn nach seinem Abschluss als Lehrling eingestellt hatte. Und es wurde wirklich nie langweilig. Er hatte außerdem den besten Zugang zu allen musikalischen Neuheiten und lernte jeden Tag etwas dazu. Manchmal, wenn er noch nicht nach Hause wollte, ließ ihn Sawada-san dabei zusehen, wie er zu ihnen gebrachte Gitarren reparierte. Und wenn Sawada-san gut gelaunt war, spielte er ihm sogar etwas auf einer von ihnen vor. Und wenn er ihm so zuhörte überlegte er selbst auch schon mal, ob er nicht lernen sollte eine zu spielen. Es gab genug Sänger, die auch Gitarre spielten. Aber bevor er sich neuen Aufgaben verschrieb, sollte er wohl erst mal versuchen etwas Ordnung in sein Chaos zu bringen, das leider nicht nur aus benutztem Geschirr bestand. Sato und Hiro waren gestern bei ihm gewesen. Einfach um etwas abzuhängen. Miya hatte unter gerümpfter Nase abgelehnt, da er wisse was meist für ein Durcheinander bei ihm herrschte. Und seit er sich hier einmal in ein altes Sandwich gesetzt hatte, blieb er solchen Treffen meist fern. Tatsuro grinste erheitert, als er sich daran zurückerinnerte und sein Blick streifte über die kleine Postkartensammlung an der Pinnwand über dem Telefontisch im Flur. Sie waren alle von Sakurai. Selbst wenn nicht viel darauf zu lesen stand und er auch nie mit seinem Namen unterschrieb. Aber durch ihre sporadischen Telefonate wusste er von wem sie stammten. Sporadische Gespräche und Briefwechsel, die auch alles waren, was sie über das letzte Jahr verbunden hatte. Tatsuro machte sich nichts vor. Es war mehr als er eigentlich erhoffen durfte. Aber dennoch hatte er sich ab und zu gewünscht ihn wieder einmal persönlich sehen zu können. Natürlich hatte er nie danach gefragt. Es war sicherlich auch besser so. Seinen Freunden hatte er erzählt die Karten wären von seinen Brüdern, was weiteres Erklären nicht notwendig machte. Ohne Sakurai säße er wohl immer noch bei seinen Eltern, oder letztendlich doch auf der Straße. Aber dieser hatte es irgendwie gemanagt, dass er hier einziehen konnte. Und er hatte ihm auch diesen Job besorgt. Zumindest hatte er seine Beziehungen dafür zum Einsatz gebracht. Und Tatsuro fühlte so viel Dankbarkeit für diesen Mann, dass ihn dieses Gefühl manchmal fast zu überwältigen drohte. Seine Eltern hatten sich zwar nicht überschwänglich gezeigt als er meinte, dass er ausziehen würde, aber es war ihnen dennoch anzumerken, dass sie es auch nicht bedauerten. Seitdem hatte sich die Beziehung zu seiner Mutter wieder etwas stabilisiert. Nun wo er auch einem Job nachging, der ihr wohl nicht mehr ganz so unangenehm war, wenn sie Nachbarn oder Freunden von ihm erzählte. Sein Vater war allerdings noch immer der zynische, alte Spießer und somit hielt er sich fern von ihm und seinem Elternhaus. Ein blechernes Scheppern klang von draußen durch das geöffnete Fenster seines Wohnraumes an Tatsuro heran, worauf er dem Geräusch ahnend nachging. Er brauchte nicht lange, bis er den Urheber für den abendlichen Lärm erkannte. Tatsuro gab ein bestimmtes Pfeifen von sich, was den schwarz-weiß gescheckten Kater zu ihm hinaufschauen ließ. Daraufhin begab er sich zu einem der Hängeschränke über seiner Kochnische und holte eine Dose Katzenfutter hervor. Mit einer Schale in der er es angerichtet hatte begab er sich wieder zum Fenster, wo Kai nun auf dem schmalen Fenstervorsprung saß und ihn abwartend fixierte. Tatsuro stellte das Futter ab und Kai wartete den obligatorischen Augenblick ab, in dem er sich mindestens drei Meter von ihm zurückzuziehen hatte, bevor er es sich schmecken ließ. Erneut murrte Tatsuro, als er feststellen durfte, dass seine Pizza nun auch wieder kalt war. Dennoch riss er sich ein Stück davon ab, da es auch mit sauberen Messern schlecht aussah. Dann ließ er sich auf seinem Lieblingsplatz nieder. Satoshi hatte ihm als Einzugsgeschenk tatsächlich seinen Monstersitzsack überlassen. Von da aus schaute er zufrieden auf Kai, der ab und zu ein Schmatzen hören ließ. Es war während eines blinden Umhergreifens nach seiner Flasche Soda, und einem weiteren Bissen in sein Abendessen, als er durch das Klopfen an der Apartmenttür darin unterbrochen wurde. Er erwartete keinen Besuch, aber manchmal schaute Hiro noch mal vorbei. Nur heute würde er ihm sagen müssen, dass er keine große Energie zum Rummachen hatte. Ein Ritual, das sich irgendwie eingeschlichen hatte und über das sie beide nicht sprachen. Mit seinem Stück Pizza im Mund öffnete er schließlich die Tür, nur um es dann, beim Anblick seines Besuchers, achtlos zu Boden fallen zu lassen. „Charmant.“, erwiderte jener auf diesen Vorgang und brachte Tatsuro mit dem folgenden amüsierten Lächeln dazu panisch die Augen zu weiten. Und dann ebenso panisch die Tür wieder zuzuwerfen und sich umzuschauen. Unpassender hätte dieser Besuch nicht sein können. Schlagartig merkte er, wie dermaßen unangenehm ihm der Zustand seiner Behausung war. Aber vor der Tür stehen lassen konnte und wollte er Sakurai auf keinen Fall. „Verdammt!“ Damit öffnete er die Tür nun wieder, was ihm einen fragenden Gesichtsausdruck von Sakurai einbrachte. „Uhm, einfach versuchen nicht zu genau hinzusehen.“, meinte er schließlich nur und bot diesem mit gesenktem Kopf an hereinzukommen. Dabei fiel ihm auch wieder das Stück Pizza ins Auge, das er rasch über die Brüstung des Aufstiegs zu seinem Apartment beförderte Sakurais fragender Gesichtsausdruck war noch immer präsent, als Tatsuro die Tür geschlossen hatte und sich zu diesem umwandte. „Nett hast du es hier Kitten.“ Auch wenn es deutlich aufziehend klang, so war es doch nur dieser Spitzname, den er zu hören brauchte, um Sakurai wortlos um den Hals zu fallen und ihn fest zu umarmen. Selbst wenn er nicht wirklich damit gerechnet hatte, so erwiderte Sakurai diese Geste sogleich, wenn auch nicht so inbrünstig wie es Tatsuro tat. „Diese Begrüßung gefällt mir schon besser.“, neckte ihn Sakurai folglich und strich ihm liebevoll durch die Haare. „Du lässt sie wachsen?“ Nun löste sich Tatsuro wieder von ihm und mit einem etwas schüchternen Lächeln nickte er kurz. „Ich will mal was neues versuchen.“, erklärte er schließlich, worauf sein Blick wieder auf das Chaos seiner Wohnung fiel. „Sorry, aber ich hatte noch keine Zeit zum Aufräumen.“ Daraufhin scannte Tatsuro alles ab, um die peinlichsten Dinge noch fix einsammeln zu können. Wie seine rote Unterhose zum Beispiel, die über der Stehlampe in der Ecke drapiert hing. Wie die dort gelandet war konnte er sich selbst nicht recht erklären. Rasch befreite er den Sessel von allem was dort nicht hingehörte. „Uhm…“ damit deutete er an, dass Sakurai Platz nehmen konnte und hastete weiter herum, um etwas Ordnung zu schaffen. Aus dem Augenwinkel heraus sah er wie Sakurai dem Angebot folgte. Und kaum dass dieser saß, sprang Kai ins Zimmer und dann auf Sakurais Schoß. Tatsuro hielt die Luft an. Kai hasste es, wenn man ihn streicheln oder generell anfassen wollte. Er hatte es selbst durch einen schmerzlichen Versuch erfahren dürfen. Aber nichts war von dieser Aggression zu sehen, als Sakurai den Kater zu kraulen begann, bis dieser sich sogar auf dessen Oberschenkeln zusammenrollte und zufrieden schnurrte. „Deiner?“ Tatsuro schaute noch immer wie gebannt auf diese unerwartete Szene und bekam gar nicht mit, wie man ihn angesprochen hatte. „Eifersüchtig?“, hörte er es dann aber fragen, was ihn Sakurai konfus anschauen ließ. „Huh?“ „Ich fragte ob er zu dir gehört?“ „Oh. Nein. Nein, er ist ein Streuner den ich ab und zu füttere. Nur lässt er mich nicht an sich heran, ohne auszuschlagen.“ Sakurai schmunzelte kryptisch. „Man braucht etwas Geschick mit diese Art von Rebellen.“, meinte er und deutete Tatsuro an zu ihm zu kommen. „Mach keine hastige Bewegung und sei so locker wie möglich.“ Tatsuro war sich nicht sicher, ob es nur das bräuchte, um Kai ihm gegenüber friedlicher zu stimmen. „Gib mir deine Hand.“ Damit streckte ihm Sakurai seine entgegen. Und so simpel diese Geste auch sein sollte, spürte Tatsuro wie ihm etwas warm wurde, als er dieser Bitte folgte. Er versuchte demnach sich nicht zu verspannen, als Sakurai seine Hand auf Kai niedersenkte. Kai verfolgte das Ganze mit augenscheinlichem Desinteresse, kraulte Sakurais andere Hand ihn doch noch immer unter dem Kinn. Aber Tatsuro würde wirklich nicht darauf wetten. Dann spürte er das weiche Fell unter seinen Fingern und wagte sich es sanft zu streicheln. Dann löste Sakurai seine Hand von ihm. Doch obwohl Kai seinen Kopf von ihm abgewendet hatte, schien er sofort zu merken, dass Sakurais Hand fehlte und schaute ruckartig zu Tatsuro, der sein Tun ebenso prompt stoppte. Es vergingen ein paar angespannte Sekunden, in denen sich Tatsuro und Kai nur anstarrten. Dann drehte Kai seinen Kopf fast divenhaft wieder nach vorn und zeigte auch kein weiteres Missfallen, als er ihn wieder zu streicheln begann. „Siehst du.“, Sakurais Stimme war überraschend nahe, was Tatsuro aufblicken ließ und erst dann wurde er sich darüber bewusst, dass er quasi neben ihm kniete. Und das war auch nicht das einzige, was ihm bewusst wurde. Für einen verschreckten Moment schaute er etwas zu intensiv auf das Lächeln, das Sakurai immer noch trug. Und Verdammt! In natura sah dieser Mund einfach noch so viel verführerischer aus, als auf all den Postern und Fotos, die er über das letzte Jahr von ihm gesehen hatte. Und er verfluchte seine Teenagerhormone aufs Äußerste, als ihm ebenso in den Sinn kam, was er zu ein paar bestimmten Fotos unter dem Schutz seiner Bettdecke tat. Oder warum er froh war, seinen angestauten Trieben ab und zu mit Hiro Luft machen zu können. „Ich sollte wirklich weiter Ordnung machen.“ Etwas ungelenk zog er sich daraufhin zurück, als ihn irgendetwas die Balance verlieren ließ und er nach hinten kippte. Zum Glück war es kein schmerzliches Aufkommen, auch wenn ihm da wohl ein paar CD Hüllen in den Rücken stachen. Kai sah dies wohl als Grund sich wieder zu verabschieden, und so war es Sakurai der ihm auf die Beine half. „Wie wäre es, wenn ich dir etwas zur Hand gehe?“, fragte dieser hilfsbereit, doch war es weit weg von sauber, was Tatsuro dabei durch den Sinn ging. „Vielleicht…vielleicht der Abwasch.“, versuchte er sich noch irgendwie zu retten, was Sakurai kurz nicken und sich zu der kleinen Küchenzeile begeben ließ. Tatsuro atmete innerlich erleichtert auf. Das konnte ja noch ein extrem peinlicher Abend für ihn werden. Und wo er gerade bei diesem Gedanken war. Wie lief er hier eigentlich herum? Tatsuros Kopf flutete eine unangenehme Hitze, als er an sich herunterschaute. Gott, er war echt ein Desaster. „Ich bin mal kurz…“, Tatsuro machte eine leichte Handbewegung in Richtung Badezimmer, als er auch schon davonstürmte. Aber wenigstens war sein Bad vorzeigbar, da auch er es widerlich fand, wenn man dessen Sauberkeit vernachlässigte. In einem Haushalt mit zwei älteren Brüdern hatte er in dieser Hinsicht leider einiges hinnehmen müssen. Nur leider gab es auch kein ofuro, sodass er wenigstens einmal die Woche mit Sato in ein Badehaus ging. Soviel Zeit musste einfach sein. Schnell angelte er sich eine seiner bequemeren Hosen von einer der provisorisch aufgespannten Leinen und zog sich diese über. Nach einem Blick in den Spiegel und der Erleichterung darüber, dass sein Shirt keine fragwürdigen Flecken aufwies, schnüffelte er vorsichtshalber noch einmal daran, ob es noch vertretbar sei und kehrte dann zu Sakurai zurück. Es war so ein surreales Bild, wie dieser das Geschirr für ihn spülte, als wäre er nicht der Sänger einer immer populärer werdenden Band. Dann schaute ihn Sakurai unerwartet an, was Tatsuro sich ertappt abwenden ließ. „Isst du eigentlich noch etwas anderes als Fastfood?“ Diese Frage hörte er nicht zum ersten Mal. Yukari hatte ihn dies ebenso schon gefragt, als sie das letzte Mal hier gewesen war. Und auch wenn er es schätzte, dass sie sich immer noch um ihn kümmerte, konnte sie zuweilen etwas zu fürsorglich erscheinen. Was auch schon zu dem ein oder anderen peinlichen Zwischenfall geführt hatte. Sie hatte ihn vor ein paar Tagen wortwörtlich aus seinen Sachen geschüttelt, da sie ihm ab und an eine Ladung Wäsche waschen abnahm, wenn er es nicht in den Waschsalon schaffte. Und egal wie taff er sonst auch sein mochte, so fühlte er sich immer noch peinlich berührt, wenn er daran dachte, dass er am Ende in nichts weiter als seinen ausgewaschenen blauen Boxershorts vor ihr gestanden hatte, die sie ihm in ihrem Waschwahn beinahe auch noch abgenommen hätte. Etwas verlegen fuhr sich Tatsuro über seinen Hinterkopf. „Uhm…es ist halt billig und geht schnell. Außerdem hab ich eh keine Ahnung vom Kochen.“ Sakurai schien seine Aufgabe schon beendet zu haben, ließ er nun das Wasser ab und trocknete sich seine Hände an einem Geschirrtuch. „Vielleicht sollte ich Imai fragen, ob er es dir beibringen kann. Er hat ein unerwartet gutes Händchen dafür.“, schlug Sakurai eindeutig zu ernst vor, was Tatsuro erschrocken seine Augen weiten ließ, denn er war sich sicher, dass er schon die erste Unterrichtsstunde nicht überleben würde. Er glaubte genau zu wissen, dass Imai-san nicht gut auf ihn zu sprechen war. Außerdem hatte dieser etwas Einschüchterndes, gegen das auch er mit seiner robusten Fassade nicht ankam. „Na, überstürzen wir da mal nichts. Ich denke Imai-san hat schon genug um die Ohren.“ Selbst Tatsuro war klar, dass die Lockerheit, die er hier zu verkörpern versuchte, nur ein schlechter Witz war. Aber er versuchte es dennoch, was Sakurai letztendlich erheitert auflachen ließ. „Es wäre mir die Frage allein schon wert, nur um sein Gesicht daraufhin sehen zu können.“ Tatsuro hegte keinen Zweifel, dass sich bei dieser Frage Einiges auf Imais Gesicht ablesen lassen würde. Etwas schmollend, dass Sakurai ihn hier für seine Belustigung missbrauchen wollte, sammelte er CDs und Mangas zusammen und stopfte diese in einen der Wandschränke. „Ach nun zieh nicht so ein Gesicht.“ Tatsuro würde wohl nie über den Effekt hinwegkommen, den Sakurais unmittelbare Nähe bei ihm auslöste. Legte dieser ihm nun einen Arm über die Schultern und zog ihn kumpelhaft zu sich heran. „Ich überlass dich schon nicht dem bösen Wolf.“, meinte er mit einem Zwinkern und griff nach einer der CDs, die Tatsuro übersehen hatte. „Wie läuft es denn zur Zeit so bei dir?“, erkundigte er sich daraufhin und Tatsuro konnte sich ein breites Strahlen nicht verkneifen, bevor er ihm schließlich erzählte, was alles in den letzten Wochen passiert war. Er hatte Sakurai eh noch schreiben wollen, aber nun konnte er es ihm auch persönlich erzählen. „…und dann sagte er tatsächlich „Hallo“ zu mir. Ich hätte fast ein CD Regal deswegen umgerannt.“, berichtete Tatsuro begeistert von seiner Begegnung mit Jimmy-san, vor wenigen Tagen. „Ich hab ihn um ein Autogramm gebeten.“ Tatsuro zeigte auf einen Werbeflyer für preisgesenktes Schweinekotelett, der an einem Regal hing. „Ich hatte leider nichts anderes zum Unterschreiben.“, erklärte er schelmisch, schaute Sakurai ihn doch nun fast genauso fragend an, wie es Hirose-san getan hatte, als er ihm diesen Zettel für eine Unterschrift vorgehalten hatte. „Sato und die Jungs sind so neidisch darauf.“, fügte er noch zufrieden an. „Dann heißt das wohl, dass ich dir schon zu uninteressant geworden bin.“ Tatsuro war merklich irritiert über diese seltsame Feststellung. Dann hellten sich Sakurais Gesichtszüge jedoch wieder auf. „Wie läuft es mit der Band?“ Tatsuro hatte Sakurai in einem seiner letzten Briefe darüber berichtet, dass sie die Band wieder zusammenbringen würden. Aber zu diesem Zeitpunkt war alles noch ziemlich wage. Und eigentlich hatte er sich auch gar nicht so viel Hoffnung diesbezüglich gemacht, war das einzige, was er damals wusste, dass Sato Yaguchi getroffen hatte und sie wohl eher aus einem Spaß heraus das Thema einer Wiedervereinigung der Band aufgegriffen hatten. Aber das hatte er Sakurai natürlich nicht geschrieben. Er war einfach nur froh gewesen, ihm etwas erzählen zu können, das den Anschein erweckte, dass er tatsächlich dem Versprechen folgte an der Musik dran zu bleiben. Es war stets ein äußerst unangenehmes Gefühl sich vorzustellen, ihn letztendlich doch nur zu enttäuschen. Aber nun konnte er ihm ehrlich davon berichten, dass sie zwar einen etwas unregelmäßigen Rhythmus für ihre Treffen hatten, aber dran blieben. Derzeit hatten sie auch noch keinen passenden Ort gefunden und griffen somit erst einmal auf die Garage von einem Freund von Hiros Bruder zurück. „Nicht ideal, aber trotzdem besser als nichts.“, meinte Tatsuro dennoch zuversichtlich. „Das freut mich wirklich zu hören. Und Optimismus ist immer gut. Ich und die Jungs haben auch nicht anders angefangen.“ Tatsuro nickte motiviert. Er hatte auch nicht vor sich schon geschlagen zu geben. Und er hätte sich gern noch über so viele andere Dinge mit Sakurai unterhalten wollen, als dieser jedoch einen Blick auf seine Uhr warf und sich mit einem Seufzen durch seine Haare strich. „Tut mir leid Kitten, aber ich muss mich wieder auf den Weg machen.“ Tatsuro ließ auf diesen Hinweis hin enttäuscht seinen Kopf hängen. Aber er hätte es sich auch denken können. Sakurai war nun einmal nicht irgendeiner seiner Freunde. „Verstehe.“ „Na nun schau nicht so.“ Sakurai strich ihm erneut über die Haare. „Ich bin eigentlich nur auf der Durchreise und habe noch ein paar Stunden Autofahrt vor mir. Aber ich wollte gern mal vorbei schauen, bevor ich wieder weiter muss. Es ist eine Erleichterung zu sehen, dass es dir wirklich gut geht.“ Tatsuro war sich im Klaren darüber, dass er kindisch reagierte, als er Sakurai an seinem Hemd festhielt, als dieser gerade von ihm zurücktreten wollte. „Kannst du nicht auch morgen früh fahren?“, verlieh er seinem Wunsch Ausdruck und schaute mit bittenden Augen auf den Mann vor sich. Sakurai lächelte geduldig. „Und wo soll ich schlafen?“, erkundigte sich dieser nicht wirklich ernsthaft. „In meinem Bett.“ War Tatsuro dennoch recht schnell mit seiner Antwort, in der Hoffnung womöglich doch noch etwas bewirken zu können. „Wird das nicht ein wenig eng für zwei?“ Dass war nicht das, was Tatsuro gemeint hatte, auch wenn ihm diese Vorstellung ein vorwitziges Kribbeln bescherte. „Ich…ich meinte, ich hätte dann hier auf dem Futon geschlafen.“, erklärte er seine Ansicht mit roten Wangen und aufgewühlt schlagendem Herzen. Sakurai kam nun wieder an ihn heran und Tatsuro wusste, dass die folgende Umarmung den Abschied bedeutete. „Danke für das Angebot, aber ich kann nicht.“ Sakurai strich ihm einmal leicht über den Rücken, doch es bewegte so viel mehr in Tatsuro, das er beinahe erneut dazu verleitet war diesen festzuhalten. „Ok.“, nuschelte er gegen dessen Schulter und trat von ihm zurück. Er versuchte sich an einem ehrlichen Lächeln, als er sich vor der Tür endgültig von Sakurai verabschiedete, worauf dieser plötzlich im Gehen inne hielt. „Das hätte ich fast vergessen. Ich habe noch was für dich.“ Damit war Sakurai wieder bei ihm und holte etwas aus seiner Tasche hervor. „Ich weiß dein Geburtstag ist erst in einer Woche, aber so kann ich es dir wenigstens persönlich geben.“ Ungläubig schaute Tatsuro auf das Päckchen, das man ihm überreichte und nach einem fragenden Blick zu Sakurai, meinte dieser auch, dass er es ruhig schon öffnen könne. Tatsuros Augen weiteten sich nicht zum ersten Mal vor Überraschung an diesem Abend, als er schließlich sah, was dieser ihm da geschenkt hatte. „Ein Mobiltelefon?!“, unsicher, ob es auch tatsächlich für ihn gedacht war, schaute er Sakurai an, der ihm mit einem Schmunzeln bestätigend zunickte. „Wow.“ „Alles was du wissen musst ist in der Kiste. Also dann, pass auf dich auf.“ Und diesmal hielt er ihn noch einmal auf, indem er ihn zu sich zog und ihn überwältigt auf die Wange küsste. „Danke!“, gab er seiner Aktion auch eine Erklärung. „Bedankst du dich bei jedem so?“ „Wenn diese Person es sich verdient hat.“, grinste Tatsuro nun wieder spitzbübisch, was Sakurai mit einem Lächeln den Kopf schütteln ließ. „Na dann, keine Ursache.“ Kapitel 11: ------------ Ein leises Ächzen stahl sich hervor, als Sakurai seine müden Glieder streckte und er den gerade gelesenen Brief mit einem seichten Lächeln in einer Schublade seines Schreibtisches verstaute. Tatsuros Briefe an ihn waren meist ein ziemliches Durcheinander. Schrieb dieser wohl so, wie ihm die Gedanken in den Kopf kamen. Aber nichtsdestotrotz freute er sich immer, wenn er etwas von ihm zu lesen bekam. Es gab ihm stets das Gefühl, dass er damals keine falsche Entscheidung getroffen hatte, sich ihm anzunehmen und ihm etwas Unterstützung zukommen zu lassen. Es war wie mit einem kleinen Bruder, den er nie gehabt hatte. Tatsuro war ein Charakter, der wenn man sich die Zeit nahm so viel mehr offenbarte, als man auf einen flüchtigen Blick annehmen würde. Natürlich war er auch immer noch ein normaler Teenager und Sakurai konnte nicht abstreiten, dass es ihm manchmal ziemlichen Spaß machte ihn mit kleinen Spitzen etwas aus der Fassung zu bringen. Das dieser eine gewisse Faszination für ihn empfand war ihm bewusst. Trotzdem verhielt sich Tatsuro nicht wie ein aufdringlicher Fan, was es Sakurai einfacher machte sich eine kleine Bruder/großer Bruder Dynamik einzureden. Er wollte sich nicht als einen Mentor sehen. Das erschien ihm in seinen Augen etwas zu distanziert. Auch wenn er Tatsuro einige Dinge mit auf den Weg gegeben hatte, was das Singen anging, musste dieser am Ende selbst entscheiden, was er für sich nutzen wollte. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass seine Band und ihre Musik sich nicht würde auf dem großen Markt behaupten können, so wäre er nicht enttäuscht, noch würde er ihn einfach verstoßen. Es reichte ihm zu erleben, wie sich Tatsuro diesem Ziel stellte. Mit allem was ihm aufzubringen möglich war. Und er wünschte ihm, dass es sich irgendwann für ihn lohnen würde. Zu gern würde er ihn einmal mit zu ihren Aufnahmen mitnehmen wollen, damit dieser eine Vorstellung davon bekam, wie sich so etwas abspielte. Leider gab es einige Faktoren, die davon abrieten und somit verwarf er diese Idee stets wieder. Es war einfach das Beste, allen unnötigen Aufmerksamkeiten so lange wie möglich aus dem Weg zu gehen. Für beide Seiten. *** Es war wieder Winter geworden, ohne das Tatsuro dem große Beachtung geschenkt hatte. Sein Leben schien ihm oft genug keine Zeit mehr dafür zu lassen, auch einmal auf die kleineren Dinge zu achten. Aber heute merkte er den Wechsel der Jahreszeit doch recht nachdrücklich. Mit einem Murren zog er sich die Kapuze seines dunkelblauen Filzmantels noch etwas tiefer ins Gesicht. Es sollte zum Glück nicht mehr lange dauern, bis der Zug, den er gedachte zu besteigen, einfahren würde. Dann würden ihm gut vier Stunden Fahrt bevorstehen, aber das Ziel war diese Reise auf jeden Fall wert. Selbst wenn er zu Fuß hätte gehen müssen. Es verging eindeutig immer viel zu viel Zeit bis er Sakurai wieder einmal persönlich zu Gesicht bekam, ohne das hunderte von Fans um sie herum tobten. Er hatte eines der Sommerkonzerte besucht und diesmal Sato dazu mitgenommen. Und es war gleich noch einmal so gut, wenn man sich mit jemandem darüber unterhalten konnte, der ebenso dabei gewesen war. Für Satoshi mochte seine anhaltende Begeisterung immer noch ein Spleen sein, und so gesehen war das auch ganz gut so. Tatsuro hatte schon lange aufgehört zu behaupten, dass er Sakurai persönlich kennen würde, denn auch er war nicht leichtsinnig genug irgendetwas zu riskieren. Somit war es auch nur bei einem Konzert geblieben, wo er ein Fan von vielen war. Aber es tat dennoch gut Sakurai gesehen zu haben. Ihn bei einer Bühnenshow zu beobachten war so ganz anders, als wenn man ihn als einfache Person vor sich hatte. Und doch zog Tatsuro keine Seite der anderen vor. Es war das Gesamtbild, das ihn derart faszinierte. Selbst nach all der Zeit konnte er es noch immer nicht recht fassen, dass gerade dieser Mann sich damals seiner angenommen hatte, anstatt ihn einfach als einen hoffnungslosen Fall abzutun. Es war noch gut eine Woche bis Weihnachten, und er fühlte sich erneut etwas nervös wenn er daran dachte, dass er Sakurai diesmal etwas schenken wollte. Dessen Geburtstagspräsent hatte sich als äußerst praktisch erwiesen, war es doch damit so viel einfacher in Kontakt zu bleiben. Die Frage zu beantworten, wie er denn zu diesem Gerät gekommen sei, hatte etwas Ideenreichtum gekostet. Immerhin war es noch nicht wirklich Gang und Gebe so etwas zu besitzen. Schon gar nicht jemand wie er. Er hoffte nur, dass sich Sakurai wenigstens etwas über sein Präsent freuen würde. Auch hier hatte er wieder etwas erfinden müssen, um Miya dazu überreden zu können. Es war früher Nachmittag, als er in Maebashi ankam, wo es genau so kalt war wie in Mito, als er es verlassen hatte. Aber das war nur noch eine Nebensächlichkeit. Tatsuro legte sich den obligatorischen Mundschutz an, als er sich zum Ausgang, ihrem verabredeten Treffpunkt, begab. Es brauchte nicht lange, bis Tatsuro die Person ausfindig gemacht hatte, die er suchte. Wusste er doch genau, wonach er Ausschau halten musste. Hätten sie nicht bestimmte Dinge abgesprochen, hätte er dem Man in dem grau-melierten Wolltrenchcoat und der dezent getönten Brille, der an einer der Pfeiler der Bahnhofshalle lehnte, auch nicht weiter Beachtung geschenkt. Sakurai trug einen enormen schwarzen Schal um seinen Hals, sodass man den Teil unterhalb seiner Nase gar nicht zu sehen bekam. Eine ebenso schwarze Beanie versteckte seine Haare, außerdem trug er eine dieser engen Jeans, die ihn modischen halbhohen Stiefeln steckte. Er hatte sich geirrt! Sakurai hätte so oder so seine Beachtung verdient, selbst wenn er ihn nicht kennen würde. Er hatte einfach so eine Aura. Aber gut, selbst wenn sie jemand zusammen sehen sollte, würde man ihn als den Neffen von Sakurais Schwägerin vorstellen. Sie hatten sich ausführlich darüber unterhalten, um nicht unangenehm überrascht zu werden, sollte man sie aufhalten. Deswegen trug er auch den Mundschutz. Diese Dinger waren immer eine gute Sache, um sich ein wenig unkenntlich zu machen. Tatsuro schaute Sakurai noch einen Moment lang einfach nur an, während dieser seinen Blick über die Menschen vor sich schweifen ließ. Als er ihn entdeckte, konnte er an dessen Augen erkennen, dass dieser unter seinem Schal zu Lächeln schien. Sakurai machte einen leichten Kopfzeig, das er zu ihm herankommen solle, dem Tatsuro auch ohne Umschweife folgte. „ Hey Oni-chan.“, folgte Tatsuro ihrer Scharade, was Sakurai ihn kurz und mit einem leichten Lachen umarmen ließ. Sakurai lotste ihn schließlich zu einem Parkdeck, bis dieser vor einem schwarzen, eleganten Mitsubishi zum Stehen kam und ihn öffnete. „Das Ganze hat schon ein gewisses Yakuza Flair.“, ließ Tatsuro ihn mit einem erheiterten Unterton wissen, als er neben Sakurai auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Sakurai zog einen seiner schwarzen Lederhandschuhe aus und wuschelte Tatsuro durch die Haare. „Ich lebe eben um zu beeindrucken.“ * Es war nicht so, dass sie etwas Bestimmtes mit ihrer Zeit geplant hatten. Tatsuro wäre glücklich, selbst wenn sie sich nur unterhalten würden. Also überließ er es Sakurai, wohin er sie bringen würde. Er wagte einen verstohlenen Blick auf den Mann neben sich zu werfen, während er sie durch den Verkehr chauffierte. Die kürzeren Haare waren zuerst etwas gewesen, das Tatsuro beinahe zum Schmollen gebracht hätte. War doch das erste Mal, dass er Sakurai damit gesehen hatte, durch einen Artikel mit dazugehörigen Fotos in einem Magazin gewesen. Nicht das es Sakurai nicht auch gut stehen würde, aber irgendwie hatte er sich in seinem jugendlichen Trotz gewünscht, dass dieser ihn vorher dazu befragt hätte. Nur um sich dann wieder einen Idioten zu schimpfen, was er sich da eigentlich einbildete. „So, da wären wir.“ Dies ließ Tatsuro kurz blinzeln, bevor er seine Aufmerksamkeit von Sakurai nahm und durch die Windschutzscheibe schaute. „Huh?“, rutschte es ihm wenig intelligent heraus, als er in etwas Abstand einen Mauerwall erkannte. „Wenn du schon einmal hier bist, solltest du wenigstens ein Wahrzeichen dieser Stadt gesehen haben.“, grinste Sakurai ihn an und setzte an aus dem Wagen auszusteigen. Es war Tatsuro zuvor nicht weiter aufgefallen, sorgte die kalte Luft stets dafür, dass sich auf Sakurais Wangen ein dezenter Rotton zeigte, der nicht zur Besorgnis aufrief. Doch nun, wo sie das Maebashi Castle wieder hinter sich hatten, wirkte Sakurai ungesund blass. Auch wenn er sich sonst nichts weiter anmerken ließ. „Alles in Ordnung bei dir?“, hakte er dennoch nach, was ihm einen fragenden Blick von Sakurai einbrachte. „Ich kann mich nicht beschweren. Die Dinge laufen gut für uns.“ Sie hatten sich bis jetzt eigentlich nur über Themen unterhalten, die Tatsuro betrafen. Und er hatte auch ausreichend zu erzählen gehabt, weswegen es jetzt nicht wirklich ungewöhnlich erschien, dass Sakurai seine Frage als allgemeines Interesse aufgegriffen hatte. „Hast du Lust auf was zu essen?“, erkundigte sich Sakurai, noch bevor Tatsuro seine Frage zu dem eigentlichen Grund hätte richtig stellen können, was ihn letztendlich bestätigend nicken ließ. Es war ein etwas ungewöhnlicher Ort, führte sie ihr Weg doch in das Souterrain eines Gebäudes, wo sie schließlich ein kleines gemütliches Restaurant vorfanden. Alle Plätze waren in separate Nischen unterteilt, so dass man sich von den anderen Gästen ungestört fühlen konnte. Tatsuro verstand sofort, warum Sakurai diese Wahl getroffen haben musste. Es erinnerte ihn erneut daran, dass er neben Sakurai noch immer ein niemand war und diesem mit seiner Gesellschaft womöglich mehr Ärger bereiten konnte als er annehmen wollte. Aber er war auch egoistisch. Schon immer gewesen, wenn er etwas nicht aufgeben wollte und deswegen war es auch kein schlechtes Gewissen, das sich in ihm zeigte. Wenn er etwas in sich spürte, dann eher den Wunsch, dass dieser Tag nie zu Ende gehen sollte. „Es ist das erste Mal, dass ich dich derart konzentriert sehe.“, Sakurai schmunzelte leicht, als Tatsuro von seiner Karte aufschaute, die er gerade noch so eingehend, über seine wirbelnden Gedanken hinweg, fixiert hatte. „Essen und Musik, das sind die einzigen Dinge die diese Aufmerksamkeit auch wert sind“, versuchte er nonchalant zu kontern, als ihn Sakurai schon aus großen Augen anschaute und sich theatralisch eine Hand auf sein Herz legte. „Das trifft mich nun doch.“ Tatsuro wusste, dass es nur dazu dienen sollte ihn aufzuziehen, aber er konnte die wärmende Flut, die ihn deswegen erfasste, nicht zurückhalten. Mit einem „Tsk“, versteckte er sein Gesicht hinter der Karte, hörte aber noch das leichte Feixen von Sakurai. „Und du willst nichts?“ Tatsuro schaute etwas irritiert auf Sakurai, der sich einfach nur ein weiteres Glas Wasser bestellt hatte, als Tatsuro seine Wahl der Bedienung mitgeteilt hatte. „Ich hab keinen großen Hunger.“ Darauf konnte Tatsuro nicht wirklich etwas erwidern, also beließ er es dabei und nippte stattdessen an seiner Cola. Ein Blick auf seine Uhr verriet, dass sein Zug in nur zwei Stunden wieder zurückfahren würde, was ihn etwas unglücklich dreinschauen ließ. Es war immer dasselbe. Wenn er schon mal die Möglichkeit hatte Sakurai zu treffen, dann verging die Zeit derart rasch, dass es ihn immer mit einer leichten Panik erfüllte wenn er merkte, dass ihm nicht mehr viel Zeit übrig blieb. Wer konnte schon sagen, wann sie sich wieder einmal würden sehen können? Was ihm wieder etwas ins Gedächtnis rief. Eilig wühlte er in seiner Tasche herum, bis er das kleine rechteckige Präsent in seiner Hand hielt und es sich in deren Schutz noch einmal unsicher ansah. Er hatte sich die Mühe gemacht, es in Geschenkpapier einzuwickeln, auf welchem Katzen mit drolligen Weihnachtsmützen zu sehen waren. Es erschien ihm perfekt dafür. „Uhm…ich…ich hab hier etwas, das ich dir geben möchte.“ Damit nahm er allen Mut zusammen und schob es über den Tisch hin zu Sakurai, der etwas verwundert auf die kleine Kiste blickte. „Für mich?“ Tatsuro nickte aufgeregt. „Es ist ein…ein Demo Tape. Wir haben ein paar eigene Songs eingespielt und ein paar Cover sind auch noch mit drauf.“ Er fühlte sich wirklich albern, dass er Sakurai nicht Ansatzweise ansehen konnte, während seine Erklärung. „Ich wollte, dass du unsere Songs als Erster hörst. Miya hat sie geschrieben. Er ist ganz gut darin. Uhm ja…“ Das Servieren seines Essens erlaubte es ihm dies als Vorwand zu nehmen, sich nun damit befassen zu können, anstatt Sakurais Reaktion abzuwarten. „Das bedeutet mir wirklich viel. Danke.“ Tatsuro schaute Sakurai noch immer nicht an, zeigte aber ein erleichtertes Lächeln auf sein Gesicht auf dessen Worte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)