Majora's Mask von Labrynna ================================================================================ Kapitel 4: Zersplittert ----------------------- Taya führte Link dieselbe Treppe hinauf, die Gorman zuvor erklommen hatte, und der Knabe beobachtete, wie der schlecht gelaunt wirkende Mann ein Haus mit bunt bemalter Frontfassade betrat. Aus den Augenwinkeln sah Link einen kleinen Jungen mit gelbem Kopftuch, der mit ausgebreiteten Armen vor einer schmalen Gasse stand und die drei Passanten argwöhnisch musterte. Da der Schock über die enorme Ähnlichkeit Gormans zu dem Stallknecht der Lon-Lon-Farm Link noch immer in den Knochen saß, wunderte er kaum über das sonderbare Verhalten des Jungen und starrte stattdessen Gorman hinterher, der im Inneren des Gebäudes verschwunden war. Ob Basil wohl einen Zwilling hatte? Taya, die Links Blick mit den Augen gefolgt war und sein Interesse missdeutete, erklärte: „Das dort drüben ist das Rathaus von Unruh-Stadt. Wenn du das Gefühl haben solltest, zu sorgenfrei zu sein, statte dem Bürgermeister und seinen Beratern einen Besuch ab. Du kannst dir sicher sein, dass sie Probleme finden werden, wo gar keine sind!“ Der Knabe zog eine Augenbraue in die Höhe und stieß einen Schwall Quiek- und Knarzlaute aus: „Ich wurde überfallen, meines Pferdes und meines wertvollsten Besitzes beraubt und in einen Laubkerl verwandelt. Seh ich aus wie jemand, der zu wenig Sorgen hat?!“ Zu Links Überraschung nickte Taya mit einem beinah mitfühlend wirkenden Gesichtsausdruck. Hatte er es endlich geschafft, verständliche Worte von sich zu geben? Sobald die Fee antwortete, sank dem Jungen der Mut jedoch sogleich wieder, da ihre Worte überdeutlich machten, dass sie lediglich mutmaßte, was er gesagt haben könnte: „Ja, du hast vollkommen Recht. Politiker sind wirklich eine Plage. Ständig denken sie sich neue Regeln aus, um unsereins den Spaß zu verderben…“ Link dachte daran, dass zu der Vorstellung von Spaß, die Taya, ihr Bruder und das Horrokid teilten, offenbar auch Wegelagerei gehörte und grunzte augenrollend: „Das ist ja überraschend!“ Mit einem erneuten Nicken entgegenete die Fee: „Ja, ganz genau. Ich stimme dir in jedem Punkt zu.“ Einige Herzschläge lang bedachte der Junge seine Begleiterin mit einem zwischen Unglauben, Genervtheit und einer Spur Amüsement schwankenden Gesichtsausdruck, dann verfielen die Beiden in Schweigen, bis sie durch einen breiten Torbogen in das angrenzende Viertel traten. Der Norden der Stadt war offenbar zur Erholung gedacht. Anstatt wie die anderen Teile Unruh-Stadts mit unzähligen Gebäuden voll gequetscht und gepflastert zu sein, wurde dieses Viertel von grünen Wiesen, vereinzelten Bäumen, Blumen und unbefestigten Wegen bestimmt. Rechts neben sich entdeckte Link zwischen hohen Gräsern eine steinerne Rutsche, die vermutlich für die Kinder der Stadt erbaut worden war. In der Nähe schwebte ein riesiger, dunkelvioletter Ballon, dessen Sinn sich dem Knaben nicht erschloss, bis er einen Jungen entdeckte, der versuchte, mit einem schmalen Rohr kleine Steinchen auf den Ballon zu schießen, indem er ins hintere Ende des Rohrs pustete. Offenbar hoffte er, den Balln auf diese Weise zum Platzen bringen zu können. Mit einem Anflug von Amüsement bemerkte Link, dass der Junge die gleichen Kleider trug wie jener, der er kurz zuvor im Osten der Stadt gesehen hatte. Der einzige Unterschied war, dass sich dieser statt eines gelben, ein rotes Tuch um den Kopf gewickelt hatte. Links Erheiterung verflog jedoch schnell wieder, als er dem Blick des Jungen begegnete… In den Iriden des Fremden, die so dunkel waren, dass sie pechschwarz wirkten, lagen Argwohn, Ablehnung und ein wenig Angst. Link konnte sich darauf keinen Reim machen und fragte sich, ob es an seinem neuen Erscheinungsbild lag, dass der andere Junge ihn derart feindselig ansah, obwohl sie sich niemals zuvor begegnet waren. Zu gerne hätte der Knabe seine Begleiterin gefragt, ob die Menschen in Unruh-Stadt ein Problem mit Dekus hatten, da er jedoch wusste, dass Taya ihn nicht verstehen konnte, schwieg er und folgte ihr mit gesenktem Kopf den sandigen Pfad entlang. Nach einigen Minuten kamen die Beiden an eine leichte Anhöhe und Link konnte am Ende des Weges ein reich verziertes Tor entdecken. Taya erklärte in beinah ehrfürchtigem Ton: „Wir sind fast da. Hinter diesem Torbogen befindet sich die Quelle der großen Fee. Sie ist sehr weise und mächtig – also benimm dich gefälligst, wenn wir vor sie treten!“ Link warf ihr einen schelen Seitenblick zu und knarzte: „Genau… Weil ich derjenige von uns bin, den man an seine gute Kinderstube erinnern muss…“ Taya warf ihre Stirn in Falten und schien angestrengt zu überlegen, was ihr Begleiter gesagt haben könnte. Als ihr nichts Überzeugendes einfiel, bekräftigte sie: „Das ist mein Ernst!“ Als Antwort stieß Link ein Grunzen aus, das ausnahmsweise nichts weiter bedeuten sollte. Es war ganz einfach das, was ein Grunzen normalerweise war: ein Ausdruck tief empfundener Genervtheit. Ohne Tayas Reaktion abzuwarten, setzte sich der Junge wieder in Bewegung und marschierte die Anhöhe zu dem mit bunten Farben, Goldapplikationen und Edelsteinen verzierten Torbogen hinauf. Es dauerte nur Sekunden, bis die Fee wieder zu ihm aufschloss und neben ihm in der Luft flog. Es war offensichtlich, dass Taya nervös und angespannt war, die große Fee zu treffen. Anstatt wie sonst ein leicht spöttisches Lächeln auf den Lippen zu haben, hatte Taya diese zu einem dünnen Strich zusammengepresst und auch ihre ansonsten schelmisch funkelnden Augen wirkten auf einmal leicht gehetzt. Während die beiden neben einander her gingen, erinnerte sich Link an sein erstes Aufeinandertreffen mit einer Feenkönigin. Navi war damals ebenfalls sehr angespannt, im Gegensatz zu Taya jedoch voller Vorfreude gewesen. Die Enttäuschung, die seine Fee nach dem Treffen mit einer ihrer Königinnen empfunden hatte, versetzte dem Knaben noch immer einen Stich im Herzen. Das Gefühl eines Déjà-vus wurde noch verstärkt, als Link und Taya den Feenbrunnen betraten. Genau wie in Hyrule waren auch hier die Wände mit einer merkwürdigen Substanz überzogen, die alles funkeln und blitzen ließ wie ein Meer flüssiger Edelsteine. Der Brunnen selbst bestand aus schneeweißem Marmor und das Wasser in der flachen Senke war von einem zarten Türkisblau. Während Link das Gefühl hatte, plötzlich wieder in Hyrule zu sein, und davon völlig überwältigt war, kreischte Taya entsetzt: „Die große Fee! Oh nein!“ Erst jetzt registrierte der Junge den Schwarm orange-gelber Lichtgestalten, der über der Mitte des Brunnens in der Luft schwebte. Die einzelnen Gestalten erinnerten Link an die Nussbrotkerle, die Salia im Winter häufig gebacken hatte: riesiger Kopf mit geschwungener Haartolle, winziger Körper mit kurzen Ärmchen und Beinchen und hauchdünne, lange Flügel. Taya sank am Rand des Brunnen auf den Boden und fragte tonlos: „Was ist bloß geschehen?“ Dabei blickte sie derart erschüttert aus der Wäsche, dass Link sie am liebsten umarmt hätte, obwohl er der Fee ansonsten alles andere als positive Gefühle entgegenbrachte. Während der Junge noch überlegte, wie er Taya trösten könnte, wagte sich eine der Lichtfiguren vor und sagte mit hoher, piepsiger Stimme: „Liebe Taya und Link, hochverehrter Held aus Hyrule…“ Link horchte überrascht auf und hätte beinah überhört, was das Lichtmännchen noch zu sagen hatte. Woher kannte dieses Ding seinen Namen? Und wieso wusste es, dass er aus Hyrule stammte? Unterdessen sprach die Lichtfigur weiter: „Ich weiß, ihr seid hierher gekommen, weil ihr euch Hilfe erhofft habt, aber in unserem jetzigen Zustand können wir leider nichts für euch tun.“ „Aber… Was ist denn nur passiert?!“, wiederholte Taya ihre Frage von zuvor und sah aus großen, schimmernden Augen zu dem seltsamen Wesen auf. Das Lichtmännchen schien für einen Moment zu überlegen, dann antwortete es beinah zögerlich: „Es war das Horrorkid… Es kam in unsere Quelle und hat einen uralten Zauber auf uns gesprochen. Dadurch hat sich unser Körper in viele Einzelteile gespalten – das Ergebnis seht ihr hier.“ Taya machte ein beinah empörtes Gesicht. „Aber die große Fee ist viel mächtiger als das Horrorkid! Sie hätte es mit einer simplen Bewegung der Hand aus dem Brunnen fegen können!“ Es war eine andere Lichtgestalt, die sich hinzugesellte und entgegnete: „Du unterschätzt die Macht, die ihm seine Maske verleiht…“ Bei diesen Worten horchte Link erneut auf. Die Maske, die das Horrorkid dem Maskenhändler geraubt hatte, verfügte über sonderbare Kräfte? Wollte der Händler sie deswegen unbedingt zurückhaben? Unterdessen erwiderte Taya in trotzigem Ton: „Mag sein! Aber wieso habt ihr euch nicht wieder zusammengeschlossen, nachdem das Horrorkid gegangen war?“ Es war das erste Lichtmännchen, das antwortete: „Nun, junge Taya, damit sind wir am Grunde unseres Problems angekommen. Als das Horrorkid seinen Zauber auf uns gesprochen hat, sind Teile von uns geflohen und haben versucht, sich außerhalb des Brunnens in Sicherheit zu bringen. Fast alle haben inzwischen ihren Weg zurück gefunden, aber ein Teil ist bislang nicht zurückgekehrt. Ohne diesen fehlenden Teil können wir uns nicht zur großen Fee zusammenschließen.“ Link stieß einige Knarzlaute aus, als er das Horrorkid bildgewaltig verfluchte. Das Lichtmännchen verzog daraufhin die Lippen zu einem breiten Lächeln und rief erfreut: „Ihr wollt uns helfen? Habt Dank!“ Im ersten Moment wollte der Knabe den Kopf schütteln, um deutlich zu machen, dass er nichts dergleichen gesagt hatte, entschied sich dann aber doch dagegen. Die große Fee war seine beste Chance, das Horrorkid zu finden, seine Okarina und die Maske und damit auch seine ursprüngliche Gestalt zurück zu bekommen und sich schnellstmöglich wieder auf die Suche nach Navi zu machen. Also nickte er stattdessen und wurde dafür von Taya mit einem dankbaren Blick bedacht. Auch das Lichtmännchen lächelte noch ein wenig breiter und wiederholte sich: „Habt Dank! Bringt uns unseren fehlenden Teil und wir werden euch all eure Fragen beantworten.“ Link nickte und Taya schwang sich wieder in die Lüfte, um sich gemeinsam mit dem Knaben auf die Suche nach dem verirrten Feenteil zu machen. Ihre Suche führte die Beiden zunächst zurück in den Süden der Stadt, wo die Zimmerleute noch immer fleißig an ihrem Holzturm werkelten. Link warf argwöhnische Blicke in jede Ecke, immer damit rechnend, jeden Moment wieder von dem angriffslustigen Streuner angesprungen zu werden. Unterdessen erklärte Taya: „Das große Gebäude dort in der Mitte ist übrigens der Uhrenturm. Den Großteil des Jahres steht er einfach nur hier herum, zeigt die Zeit an und ist ziemlich hässlich. Aber wenn der Karneval beginnt, öffnet sich der Zugang zum Inneren des Turms und der Vorstand des Karnevalkomitees nutzt diesen Weg, um die Spitze des Uhrenturms zu erklimmen und von dort aus ein Feuerwerk zu entzünden. Das ist dann der Startschuss für das größte und schönste Fest, das du dir vorstellen kannst!“ Die Fee warf einen verträumten Blick zur Spitze des steinernen Turms und Link fragte sich, ob sie womöglich hier in Unruh-Stadt aufgewachsen war. Anders konnte er sich den starken nostalgischen Beiklang in ihrer Stimme nicht erklären. Er versuchte, sich eine kindliche Taya vorzustellen, die gemeinsam mit ihrem Bruder Tael zwischen Feiernden, bunten Lampignons, Girlanden und Feuerwerkblumen umhertanzte, und musste über die Bilder in seinem Kopf schmunzeln. Das Amüsement verging ihm jedoch schnell wieder, als sich hinter ihm plötzlich ein Knurren erhob, das dem Jungen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Auch Taya rief erschrocken: „Oh nein! Der Köter von vorhin! Renn!“ Ohne einen Blick zurück zu werfen, sprintete Link los, wobei er sich Mühe gab trotz seiner Orientierungslosigkeit eine andere Richtung einzuschlagen als zuvor. Er war sich ziemlich sicher, dass sich der Feensplitter weder im Osten noch im Norden der Stadt befand. Taya bewarf den Streuner unterdessen mit kleinen Steinchen, um ihn von Link abzulenken – jedoch ohne großen Erfolg. Der herrenlose Hund hetzte stur hinter dem Laubkerl her, wobei er die Lefzen leicht anhob und die lange, rosa Zunge seitwärts aus dem Maul hängen ließ. Link warf einen Blick über die Schulter zurück und erschauderte. Die Stellen, an denen sich die scharfen Zähne des Streuners in seine hölzernen Glieder gebohrt hatten, schmerzten noch immer und würden wohl für immer von Zahnspuren gezeichnet sein. Der Junge konnte nur hoffen, dass diese Bissmale verschwinden würden, sobald er seine wahre Gestalt zurückbekam. Die beiden Flüchtenden hielten auf einen rot bemalten Torbogen zu, als auf einmal eine schrille, irgendwie rostig klingende Stimme erklang: „He! Du da! Weg von meiner Deku-Blume!“ Link, der sich erschrocken nach dem Ursprung der Worte umsah, stolperte über seine steifen Beine und stürzte. Da er sich mit seinen kurzen Stummelärmchen nicht abfangen konnte, fiel der Junge wie ein gefällter Baum zu Boden, wo er noch ein gutes Stück rutschte, bevor er zum Liegen kam. Der ihn verfolgende Köter stieß ein erfreutes Knurren aus und machte einen Satz nach vorn, um sich auf seine wehrlose Beute zu stürzen. Link rollte sich auf den Rücken und zog die Beine an, bereit dem Streuner die Füße in den Bauch zu rammen. Taya hingegen wandte sich ab und schlug sich die Hände vors Gesicht als wollte sie das Kommende nicht sehen. Doch anstatt auf Link zu landen und ihm die Zähne in den Leib zu schlagen, wurde der Hund plötzlich von einem schwer aussehenden Leinensack zur Seite geschleudert. Der Streuner rollte über den Boden, überschlug sich mehrfach und rannte dann jaulend und leicht humpelnd davon. Irritiert setzte Link sich wieder auf und entdeckte einen grimmig aus der Wäsche guckenden Deku, der einen gewaltigen Bauch vor sich her trug und zwei Leinensäcke geschultert hatte. Mit dem Kinn auf den am Boden sitzenden deutend, wiederholte der Deku: „Weg von dieser Deku-Blume! Das ist Privatbesitz!“ Noch verwirrter als zuvor sah Link sich um und entdeckte schräg hinter sich eine riesige Blüte mit ausladenden goldenen Blütenblättern, unter denen safrangelbe Kelchblätter hervorlugten. In der Mitte der Blume, dort wo sich eigentlich das Pollenkissen hätte befinden sollen, war ein klaffendes Loch, das jedoch nicht so aussah als wäre es mit Gewalt geschaffen worden. Noch bevor Link sich einen Reim auf dieses sonderbare Gewächs machen konnte, stolzierte der Deku an ihm vorbei, sprang auf die Blume und versank bis unter die Achseln im Loch. Dann wandte er sich wieder dem Jungen zu, der ihn aus geweiteten Augen verblüfft anstarrte. „Wenn ihr hier seid, um vor dem Karneval noch schnell Materialien für eure Kostüme einzukaufen, muss ich euch leider enttäuschen. Ich bin restlos ausverkauft.“ Taya, die sich von dem barschen Ton des Händlers angestachelt fühlte, schnappte: „Ach, und warum bist du dann überhaupt noch da?“ Während Link ihr einen irritierten Blick zuwarf – Was interessierte sie, was dieser Händler trieb? – antwortete der Angesprochene: „Weil ich noch kein Souvenier für meine Frau habe. Habt ihr schon mal etwas von einem Edelstein namens ‚Mondträne‘ gehört? Angeblich soll es ihn in dieser Gegend geben und er soll von beinah überirdischer Schönheit sein – das wäre genau das Richtige für meine Frau.“ Link zuckte desinteressiert mit den Schultern und Taya schüttelte den Kopf: „Aber… das sind doch nur Gerüchte!“ Der Deku-Händler verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. „Da habe ich anderes gehört. Ich werde diese Stadt nicht ohne eine Mondträne verlassen!“ Taya setzte bereits zu einem bissigen Gegenkommentar an, stoppte sich jedoch selbst und sagte stattdessen: „In Ordnung. Wir hören uns für dich nach diesem Edelstein um.“ „Oh! Wirklich?!“ Der Deku-Händler klatschte begeistert in die Hände und sah Taya dankbar an. Link hingegen lief bei dem listigen Funkeln in den Augen der Fee ein Schauer über den Rücken. Sie führte irgendetwas im Schilde, da war er sich ganz sicher… Nur was? Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten. Nur Sekunden später nickte Taya bekräftigend und entgegenete: „Sicher doch! Versprochen! Heiliges Ehrenwort! Aber…“ Ihre Mundwinkel zuckten zu einem durchtrieben wirkenden Grinsen in die Höhe. „Aber im Gegenzug hilfst du uns!“ Der Deku stutzte für einen Moment, dann nickte er zaghaft. „In Ordnung. Was kann ich für euch tun?“ „Wir suchen eine verirrte Fee“, setzte Taya an, wurde aber sogleich wieder vom Händler unterbrochen: „Was? Eine verwirrte Fee?“ Das Feenmädchen rollte mit den Augen und seufzte genervt: „Eine verirrte Fee, keine verwirrte.“ Dann beschrieb sie dem Deku-Händler die winzigen Lichtmännchen, in die sich die große Fee aufgespalten hatte und fragte anschließend: „Hast du so etwas hier in der Gegend gesehen?“ Der Deku überlegte für einen Moment und schüttelte dann den Kopf, was seinen gesamten Körper durchrüttelte. „Nein, tut mir leid.“ Mit einem leisen Quieken ließ Link enttäuscht den Kopf hängen und seufzte. Es wäre auch wirklich zu schön gewesen, wenn ausnahmsweise mal etwas einfach gewesen wäre… Taya hingegen zeigte sich wesentlich weniger leicht zu entmutigen. Anstatt sich sogleich wieder auf die Suche nach dem Feensplitter zu machen, foderte sie in herrischem Ton: „Na, dann sperr die Lauscher auf und frag herum!“ Im ersten Moment machte es den Anschein als wollte der Deku-Händler protestieren, aber dann schien ihm wieder einzufallen, dass Taya versprochen hatte, sie und Link würden sich im Gegenzug um Informationen über die sagenhaften Mondtränen bemühen. Also nickte er lediglich, was Taya ein zuckersüßes Lächeln aufs Gesicht zauberte. „Sehr schön!“ Dann nickte sie Link zu und die beiden traten durch den roten Torbogen in das angrenzende Viertel. Während Link den leicht ansteigenden Weg entlang marschierte und nur am Rande die bunt bepflanzten Blumenkübel und bemalten Ladenfronten wahrnahm, betrachtete er seine Begleiterin aus den Augenwinkeln. Obwohl er jetzt schon seit mehreren Stunden – die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten – mit Taya durch Unruh-Stadt lief, konnte er die Fee noch immer nicht einschätzen. Manchmal machte es den Eindruck als hätte sie ein weiches, mitfühlendes Herz, doch im nächsten Augenblick wirkte sie wieder emotionskalt, berechnend und allein auf ihr Wohl bedacht. Obwohl Navi sich niemals durchtrieben gezeigt hatte, musste der Junge plötzlich an seine verschollene Freundin denken. Navi hatte während ihres gemeinsamen Abenteuers dazu geneigt, ihr empfindsames Herz hinter einer harten Schale aus Zynismus und anscheinender Empathielosigkeit versteckt. Ob es bei Taya ähnlich war? „Hier ist keine verirrte Fee“, platzte das Feenmädchen in Links Gedanken und drehte sich suchend um die eigene Achse. In ihrem Gesicht mischten sich Ärger und Sorge zu einem beinah bedrohlich wirkenden Ausdruck. Zum ersten Mal seit seiner Verfluchung war Link beinah froh um seine neue Gestalt. Er war sich sicher, dass Taya ihm in diesem Moment ordentlich den Marsch geblasen hätte, hätte er etwas Falsches gesagt… Da er sich noch immer nicht verbal verständigen konnte, deutete er stumm auf die Tür einer in der Nähe befindlichen Schwertkampfschule und hoffte, Taya würde den Hinweis verstehen. Denn, wer sagte eigentlich, dass sich der Feensplitter nicht in irgendein Gebäude verirrt hatte – zum Beispiel durch ein offenstehendes Fenster – und nun nicht wieder zum Feenbrunnen zurückkehren konnte, weil er gefangen war? Während Link darauf wartete, dass Taya auf sein Gefuchtel reagierte, bemerkte er einen weiteren Jungen, der die Uniform-ähnliche Kleidung trug wie die beiden anderen, die Link in Ost- und Nord-Unruh-Stadt gesehen hatte. Dieser trug ein blaues Kopftuch statt eines roten oder gelben und Link fragte sich, ob es sich bei den Jungen vielleicht um Drillinge handelte, da sie sich zusätzlich zu der uniformen Kleidung auch noch zum Verwechseln ähnlich sahen. „Was willst du denn?!“, keifte Taya, als sie mit Verzögerung bemerkte, dass Link mit dem Arm in der Luft ruderte und auf die Schwertkampfschule deutete. „Du kannst kein Schwert mehr führen!“ Der Knabe legte den Kopf schief und blickte seine Begleiterin mit einem «Stell dich nicht dümmer als du bist»-Blick an als könnte er seine Gedanken direkt in ihr Gehirn projezieren, wenn er sich nur genug anstrengte. Tatsächlich erhellte kurz darauf Erkenntnis ihr Gesicht und sie rief: „Ach, du meinst die verirrte Fee könnte sich womöglich in einem dieser Geschäfte verstecken? Gar keine dumme Idee!“ Die Verblüffung in Tayas Stimme war regelrecht beleidigend. Doch anstatt einen Gedanken daran zu verschwenden, ob seine Begleiterin ihn für dumm oder zurückgeblieben hielt, wandte Link sich um und watschelte auf die nächstgelegene Tür zu – nur, um dann ernüchtert stehen zu bleiben. So klein wie er war, konnte er den Türknauf nicht erreichen… Aus Verzweiflung versuchte Link, die Klinge durch springen zu fassen zu kriegen, aber der einzige Effekt, den er damit erzielte, waren stechende Kopfschmerzen, weil er sich immer wieder den Kopf an dem Knauf anstieß. Wenn seine Arme doch bloß nicht so verdammt kurz gewesen wären… Taya schwebte derweil hinter ihm in der Luft, beobachtete seine fruchtlosen Bemühungen und kicherte leise vor sich hin. Dabei war ihr eigentlich gar nicht zum Lachen zumute. Was, wenn sie den verlorenen Feensplitter nicht finden sollten? Es war schlimm genug, dass sie dann die große Fee nicht zusammensetzen könnten, noch dramatischer erschien Taya jedoch, dass sie damit womöglich ihre letzte Chance vertun würden, etwas über den Aufenthaltsort des Horrorkids zu erfahren. Was, wenn sich der Waldkobold bereits in diesem Moment aus dem Staub machte und Tael mit sich nahm, ihn regelrecht entführte? Früher hatte sie sich keine Sorgen gemacht, wenn Tael alleine mit dem Horrorkid umhergestreift war. Aber das Horrorkid hatte sich verändert… Es war immer ein Schelm gewesen, ein kleiner Tunichtgut, der nichts als Schabernack im Kopf gehabt hatte, aber seit es diese Maske trug, hatten sich die Streiche, die es den Menschen spielte, gewandelt. Früher waren es harmlose Streiche gewesen, aber seit es diese Maske trug, schien das Horrorkid tatsächlich danach zu trachten, Schaden anzurichten und Leid zu säen. Anfangs hatte Taya es noch lustig gefunden, wenn der Kobold mit der Magie der Maske Unfug getrieben hatte, aber als sie begriffen hatte, dass aus Spaß Ernst geworden war, hatte sie schnell jegliche Freude verloren. Tael und sie waren nur deswegen beim Horrorkid geblieben, weil sie geglaubt… nein, gehofft hatten, sie könnten es davon überzeugen, die Maske wieder abzulegen und zu seinem früheren Selbst zurückzukehren – immerhin war es ihr Freund und Freunde ließ man nicht so einfach im Stich! Doch wenn Tael irgendetwas passieren sollte, weil das Horrorkid nun vollends durchdrehte, würde Taya sich nie verzeihen, dass sie ihren Bruder nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte… Ihre trüben Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ein kleiner Mann, der lediglich aus einem Wust dunkelbrauner Locken, Bart und einer gigantischen Nase zu bestehen schien, die Tür zur Schule aufriss und Link ärgerlich zu mustern schien, was jedoch schwer auszumachen war, da seine Augen in dem Meer seiner Haare untergingen. „Was willst du denn, Kleiner?!“, blaffte der Mann Link an. „Wir unterrichten keine Deku! Also hör auf, zu klopfen und zieh Leine!“ Dann knallte er dem völlig konsternierten Jungen die Tür wieder vor der Nase zu. Link sah irritiert zu Taya auf, die etwas hilflos wirkend mit den Schultern zuckte. „Vermutlich hast du ihn nur genervt, weil du bei deinen Versuchen, die Tür zu öffnen, immer wieder dagegengestoßen bist. Lass uns unser Glück lieber woanders versuchen.“ Gesagt, getan. Den Rest des Tages verbrachten die Beiden damit, in der Nähe von Hauseingängen herumzulauern und darauf zu hoffen, dass jemand das Gebäude betrat oder verließ, sodass sie ins Innere schlüpfen konnten, solange die Tür geöffnet war. Doch alles, was ihre Bemühungen brachten, war die Erkenntnis, dass Dekus in Unruh-Stadt offenbar nicht sonderlich beliebt waren. Mehr als einmal wurde Link kaum, dass er ein Geschäft betreten hatte, wieder herausgeworfen, wobei nicht selten die Worte „Wir verkaufen nicht an Deku“ fielen. Die Sonne war schon fast untergegangen, als Link sich auf die Treppenstufen neben dem Gasthaus «Zum Eintopf» sinken ließ und Taya aus traurigen Augen resigniert und müde ansah. Vom vielen Herumlaufen taten ihm die Füße weh und auch wenn seine hölzerne Haut keine Schürfwunden bekommen konnte, hatte er das Gefühl, dass er sich bei dem einen oder anderen Rauswurf verletzt hatte, als er auf den Boden gestürzt war. Auch Taya wirkte inzwischen ziemlich entmutigt. Mit jeder Stunde, die verging, hatte sie mehr und mehr das Gefühl, ihren Bruder endgültig verloren zu haben. Um sich selbst einzureden, dass ihre Situation nicht so düster war wie sie ihr vorkam, sagte sie mit mehr Zuversicht als sie empfand: „Vielleicht hat ja der Deku-Händler etwas gesehen oder gehört. Komm, lass uns zu ihm zurückgehen und ihn fragen.“ Wenige Minuten später standen die Beiden wieder vor der goldenen Deku-Blume und sprachen mit dem Händler, der auf ihre Nachfrage hin begeistert nickte: „Oh ja, ich hab eure verwirrte Fee gesehen! Sie ist zum Waschplatz geflogen.“ Bei diesen Worten deutete er gen Süden, wo sich eine kurze Treppe erhob und zu einem Teil der Stadt führte, den Link und Taya noch nicht erkundet hatten. Taya setzte bereits dazu an, den Deku erneut zu korrigieren, aber Link quiekte ein schnelles „Danke! Du hast uns sehr geholfen!“ und marschierte augenblicklich davon. Die neu aufflammende Hoffnung, den Feensplitter doch noch finden zu können, erfüllte den Jungen derart mit Adrenalin und Tatendrang, dass er völlig überhörte wie der Händler antwortete: „Gern geschehen.“ Der Waschplatz war ein winziger, gepflasterter Platz, der von einem künstlich angelegten Kanal durchzogen und von einem einzelnen Baum gesäumt wurde. Auf einer morsch aussehenden Bank saß ein Mann mit Leierkasten, der traurig klingende Lieder spielte und Link einen Schock versetzte. Der Müller aus Kakariko! Link war derart gelähmt vor Überraschung, dass er erst mit Verzögerung registrierte, dass Taya ihm etwas zurief: „He! Der Feensplitter haut ab!“ Fast im selben Augenblick sauste eine orangegelbe Gestalt an Link vorbei und verließ den Waschplatz. Sofort wirbelte der Junge herum und rannte hinter dem Lichtmännchen her, der in Richtung Ost-Viertel davonflog. Als Taya ihn einholte, fauchte sie Link an: „Wieso hast du den Splitter entkommen lassen?! So spannend ist Guru-Guru nun wirklich nicht!“ Link stutzte, blieb aber nicht stehen. Guru-Guru? Er wusste zwar nicht, wie der Müller aus Kakariko hieß, aber bei dem Klang dieses Namens beschlich ihn dennoch das Gefühl, dass er genau wie bei Gorman einem Doppelgänger begegnet war. Guru-Guru klang jedenfalls nicht nach einem hylianischen Namen. Was war dies bloß für ein sonderbarer Ort?! Inzwischen hatten sie Ost-Unruh-Stadt erreicht, doch von der verirrten Fee war weit und breit nichts mehr zu sehen. Link hob einige in der Nähe stehende Obstkisten an, um sich zu vergewissern, dass der Feensplitter sich nicht darunter versteckte, während Taya leise vor sich hin zeterte: „Du musstest den Splitter ja entkommen lassen. Klasse… einfach nur klasse… Das hast du wirklich, wirklich gut gemacht!“ Link wollte gerade zu einem protestierenden Quieken ansetzen, als er die verirrte Fee auf dem Vordach des Gasthofs entdeckte. Sie versteckte sich halb hinter einem Gerüst, das eine riesige Glocke hielt, und beobachtete aufmerksam ihre Verfolger. Der Knabe nickte mit dem Kinn in Richtung des Lichtmännchens und versuchte, seine Begleiterin auf diese Weise so unauffällig wie möglich auf seinen Fund aufmerksam zu machen. Diese warf ihm jedoch nur einen ärgerlichen Blick zu und fragte schnippisch: „Hast du irgendwelche Zuckungen?!“ Als Link daraufhin mit den Augen rollte, sah Taya sich doch noch um und zuckte vor Überraschung leicht zusammen, als auch sie den Feensplitter entdeckte. „Du bleibst hier“, raunte sie Link zu und flog dann auf das Vordach des Gasthofs, wo sie sich langsam und vorsichtig der verirrten Fee näherte. „Hab keine Angst! Wir sind hier, um dir zu helfen!“ Taya war etwa einen Meter von dem Lichtmännchen entfernt stehen geblieben und streckte nun betont langsam die Hand nach ihm aus. Dieses lugte argwöhnisch um einen Gerüstpfeiler herum und musterte Taya aus ängstlichen Augen. „Ja? Wirklich?“ Taya nickte und erklärte: „Wir wollten die große Fee besuchen und haben dabei von eurem Unglück erfahren. Die anderen Splitter haben uns losgeschickt, um dich zu suchen. Du bist der Letzte, der noch fehlt.“ Für einen langen Moment sahen sich die Beiden schweigend und abwartend an, während Link unten angespannt hin und her lief und wartete. Dann wagte sich das Lichtmännchen aus seinem Versteck und schwebte zögerlich auf Taya zu. „In Ordnung. Ich glaube dir. Ich werde euch zurück zum Brunnen folgen.“ Als Link dies hörte, machte er vor Freude einen kleinen Luftsprung. Endlich hatten sie zumindest einen kleinen Erfolg erzielt! Er konnte nur hoffen, dass die große Fee wirklich wusste, wo sich das Horrorkid aufhielt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)