Im Schatten von YukiKano ================================================================================ Zweiter Satz ------------ Drei Wochen später hatte sich Koshis Leben um 180 Grad gewendet. Er spielte absolut kein Volleyball mehr, unterstützte stattdessen das Fußballteam der Karasuno Oberschule und war jetzt mit Aio zusammen. Und der Fußballer kümmerte sich wirklich hervorragend um seinen Freund, hatte immer Zeit für ihn und war immer für ihn da. Es war von der ersten Minute an ganz anders als mit Daichi und der Grauhaarige fühlte sich Pudel wohl mit seinem neuen Freund und war fast rund um zu Frieden, wäre da nicht dieser kleine Stachel in seinem Herzen, der sich mit jedem Kuss tiefer hineinbohrte. Aber das wird auch vergehen, dachte er zuversichtlich, es brauchte nur noch etwas Zeit. Koshi hatte nur ein paar Tage gebraucht um sein Leben neu zu sortieren, der Volleyballclub hatte an seinem Weggang immer noch zu knabbern. Das Team brauchte dringend einen zweiten Zuspieler – für den absoluten Super-Gau das Kageyama tatsächlich ausfiel – und einen neuen Vize-Kapitän hatten sie auch noch nicht gefunden. Daichi hatte einen Moment lang Asahi in Betracht gezogen, die Idee aber gleich wieder verworfen, als ihm klar wurde wie unfähig das Ass in dieser Position wäre. Viele andere Möglichkeiten hatte er aber auch nicht, was ihn beinahe zum verzweifeln brachte. Ohne zweiten Zuspieler musste Kageyama die meisten Übungen alleine unterstützen und stand nach dem Training meistens kurz vor einem Zusammenbruch. Abseits des Feldes versuchte Kiyoko alles Organisatorische alleine zu regeln und nicht selten musste Daichi ihr unter die Arme greifen, weswegen sich das Training hinzog – besonders an den Tagen, an denen Coach Ukai nicht anwesend war! Richtige Trainingsspiele konnten sie innerhalb ihrer Mannschaft auch nicht mehr bestreiten und so kurz vor dem nächsten Turnier konnte Herr Takeda telefonieren so viel er wollte: Kein anderes Team hatte dafür im Moment Nerven übrig! Auch das Karasuno Nachbarschaftsteam stand ihnen nur selten zur Verfügung und so langsam verloren alle den Elan. Daichi hätte nie gedacht das mit einem Spieler alles steht und fällt! Die Halle war bereits aufgeräumt, seine Mitschüler hatten sich verabschiedet und waren gegangen und er saß hier auf dem Hallenboden, starrte die Einladung zum Turnier böse an und wollte am liebsten heulen. Er sah es ein: Er hatte den Fehler gemacht! Und er vermisste seinen Freund – er vermisste ihn wirklich! Für Koshi Sugawara würde er sogar freiwillig das Volleyballspielen aufgeben … Der Grauhaarige sollte nur zu ihm zurückkommen. Jedes Mal wenn er ihn mit diesem blöden Fußballspieler sah, wollte er am liebsten auf diesen losgehen und ihn kurz und klein schlagen. Er brauchte Sugawara in seinem Leben, nicht nur in dieser Volleyballmannschaft. Er brauchte dessen Küsse, Zuneigung, Liebkosungen. Er wollte ihn glücklich machen und ihm zeigen, dass er ein guter Freund ist! Und er hatte es verbockt … Aber so was von! Jetzt liefen ihm doch Tränen über die Wange. ]¦•¦[ ❀❀❀]¦•¦[ »Sugawara!« Erschrocken ließ Koshi die zwei Fußbälle, die er gerade wegräumen wollte, fallen und drehte sich nach der rufenden Person um. Es war Yazuki - der Kapitän der Fußballmannschaft -, an dessen tiefe Stimme sich der ehemalige Volleyballspieler erst noch gewöhnen musste! Mit dem Fuß stupste er die Bälle an, damit sie nicht mehr im Weg herum lagen und joggte dann locker auf den Torwart zu. »Was gibt es denn?«, wollte der Grauhaarige wissen und sah sich gleichzeitig nach den anderen Mitgliedern des Fußballclubs um. Sie hatten im Trainingsspiel, das sie gerade erst beendet hatten, ein wirklich miserable Leistung gezeigt, weswegen sie Yazuki als Strafe drei 400-Meter Runden rennen ließ. »Wir trainieren gleich noch den Torschuss aus weiter und naher Distanz«, erläuterte der Schwarzhaarige. »Und du hast in den letzten Wochen so viel und fleißig mit trainiert, da dachte ich mir du könntest doch heute mal im Tor stehen und versuchen die Bälle abzuwehren … Was hältst du davon?« Der Grauhaarige runzelte nachdenklich die Stirn. So richtig wusste er nicht, was er von diesem Angebot halten sollte! Ihm behagte der Sport nicht so wirklich. Immer wieder verglich er es mit Volleyball und seiner ehemaligen Position dort. Er suchte nach Parallelen, irgendetwas, was gleich war, fand aber nichts. Seiner Ansicht nach hatte er im Tor auch nicht verloren. Als Zuspieler war es seine Aufgabe gewesen, den Ball so weiterzuspielen, dass ein guter Angriff gelingen konnte und die Mannschaft einen Punkt machte. Als Fußballtorwart musste man den Ball entweder so wegstoßen, dass niemand anderes die Chance auf ein Tor bekam oder aber man fing den Ball. Beides Sachen, die nicht unbedingt zu seinen Spezialitäten gehörten! So etwas konnten Nishinoya, Asahi und Hinata gut! Wieder bohrte sich der Stachel tiefer in sein Herz. Ja gut, er gab es zu: Er vermisste seine Freunde und er vermisste das Volleyball spielen. Er hatte seit drei Wochen kein Wort mehr mit ihnen gewechselt und jedes Mal wenn sie in Reichweite waren und er schon auf sie zugehen wollte, fiel ihm nichts ein was er hätte sagen können. Also ließ er sich von Aio wieder wegziehen. Und so vertat er Chance um Chance. Irgendwann würden sie denken, er hasste sie und dann würden sie ihn auch hassen! Es war nie sein Ziel gewesen, es so weit zu kommen lassen! Sugawara hatte sich noch nicht für eine Antwort entschieden, als der Rest der Mannschaft bereits vom Laufen zurückkam. Die meisten von ihnen fielen um wie die Fliegen, sobald sich der Kunstrasen unter ihren Stollenschuhen befand. Nur ein paar Spieler blieben stehen und herrschten ihre Mitschüler zum wieder aufstehen an. Hinlegen führt zu Kreislaufproblemen! Aio hingegen holte sich nur schnell seine Trinkflasche und gesellte sich dann zu seinem Freund und seinem Kapitän. »Belästigst du schon wieder meinen Freund?«, neckte der Stürmer seinen Klassenkameraden und drückte Sugawara einen Augenblick später einen kurzen Kuss auf den Mund. Doch bevor sich der Zuspieler über diese kleine Geste freuen konnte, meldete sich schon wieder der Stachel, der sich erneut ein kleines Stück tiefer bohrte. Langsam verstand sich der 18-jährige selbst nicht mehr. Aio erfüllte all seine Wünsche. Er bekam von dem Stürmer alles, was er von Daichi nicht bekommen hatte und trotzdem … Sein Herz verzehrte sich immer noch nach dem Kapitän des Volleyballteams! »Was wolltest du denn von Koshi?«, hakte der Stürmer neugierig nach und riss seinen Freund mit seinen Worten aus dessen Gedanken. »Ich hab ihn nur gefragt ob er bei der nächsten Übung gerne im Tor stehen würde!« Der Brünette ruckte verwundert den Kopf zurück und blickte seinen Freund an als, hätte dieser nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Ähm«, machte Aio und kratzte sich nervös am Nacken. Es wirkte, als wüsste er was er sagen wollte, nur nicht wusste wie er das am besten in Worte verpackte. Sugawara schmunzelte. Er konnte sich schon denken worauf sein Brünetter Freund hinaus wollte. »Weißt du Yazuki, ich war in meiner alten Sportart eher so etwas wie ein Mittelfeldspieler. Ich habe die Bälle angenommen und sie … Ähm … Dem Stürmer zu gespielt, damit er den Punkt machen kann. Bälle abwehren ist nicht so meins!«, erklärte Sugawara ziemlich verunsichert. Er hoffte der Kapitän hatte verstanden worauf er hinaus wollte. Glücklicherweise nickte der Torwart lächelnd und klopfte dem Grauhaarigen aufmunternd auf die Schulter. »Na dann stehst du eben auf dem Feld und versuchst zu treffen!« »Ähh«, machten Koshi und Aio daraufhin gleichzeitig und sahen sich dann an. Aio hatte nach dem Training versucht mit seinem Freund ein bisschen zu spielen. Nur leider hatte der Grauhaarige so überhaupt keine Begabung für den Sport. Er hatte den Ball kaum getroffen und wenn doch, flog er in sonst eine Richtung oder er stolperte beim schießen über seine eigenen Füße. Aio hatte genau fünf Minuten die Geduld behalten können, dann seufzte er laut auf, küsste seinen Freund und sagte ihm, es sei nicht schlimm, jeder Mensch ist in irgendwas begabt und in anderen Dingen weniger. »Aio und ich wollten uns nachher eigentlich noch Bücher aus der Bibliothek holen, wie wäre es wenn ich das jetzt schon erledige, ihr euer Training beendet und ich dich dann abhole?«, schlug Sugawara vor, weil er wirklich nicht in die Bredouille geraten, am Ende doch noch mitspielen zu müssen. Am Ende würde er noch einen Spieler durch einen unglücklichen Schuss ausschalten und damit dessen Teilnahme am kommenden Turnier verhindern. Der Grauhaarige erschauderte bei dem Gedanken. Hoffentlich, dachte er, ist Aio auf meiner Seite! »Ich halte das für eine gute Idee Hase«, bejahte sein Freund. Dem Himmel sei Dank! »Bis gleich«, verabschiedete sich der Volleyballer schnell, gab seinem Freund einen Kuss und verließ dann das Fußballfeld. Auf dem Weg zur Bibliothek kam er an der Turnhalle vorbei, deren Türen offen standen. Er blieb stehen, warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Mittwoch, 18.55 Uhr. Trainer Ukai war heute nicht da und daher hatte das Team das Training bestimmt schon um 18 Uhr beendet. Warum steht dann die Tür auf, fragte sich Sugawara innerlich und ging zögerlich auf seinen ehemaligen Trainingsort zu. Er stieg schnellen Schrittes die Treppen hinauf. »Hallo?«, rief er in die scheinbar leere Halle hinein und spähte zur Tür herein. Doch was seine Augen erfassten, ließ seinen Atem stocken. Der Stachel bohrte sich noch viel tiefer hinein und er fasste sich an die ziehende Brust. Daichi saß weinend auf dem Boden, hatte die Knie angewinkelt und das Gesicht in den Händen vergraben. Der Grauhaarige war schockiert. Warum weinte er? Etwa wegen ihm? Nein, das konnte sich Koshi beim besten Willen nicht vorstellen! Denn Daichi hatte ihn gehen lassen und war auch nicht auf ihn zugekommen, um das zu klären! Trotzdem konnte sich der Grauhaarige jetzt nicht einfach umdrehen und ihn hier alleine lassen. Leise und bedacht lehnte er seine Tasche deshalb an die Wand, direkt neben der Tür und ging langsam auf den Schwarzhaarigen zu. Dieser schien ihn immer noch nicht bemerkt zu haben. Ohne lange zu fackeln ließ er sich dem Kapitän gegenüber langsam auf die Knie fallen und betrachtete ihn einen Augenblick lang. Bilder von vergangenen Tagen blitzten vor seinem inneren Auge auf. Daichi und er hatten sich auf der Willkommensfeier der Oberstufe das erste Mal getroffen. Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden und wurden schnell Freunde, als sie feststellten, dass sie beide Volleyball liebten. Ohne groß darüber nachzudenken traten sie dem Volleyballclub bei, trainierten zusammen und verbrachten auch die Zeit nach dem Training gemeinsam. Sie verliebten sich langsam und stetig immer ein wenig mehr ineinander, ohne großartig auf ihre Herzen zu hören oder diese Gefühle wahrzunehmen. Irgendwann schien Daichi mit dem Druck in seiner Brust nicht mehr klarzukommen. Das war kurz nach dem Start des zweiten Jahres. Nach dem Training, als sie auf dem Weg nach Hause waren, küsste er Sugawara einfach. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt, riskiert für seine Aktion geschlagen zu werden. Er forderte ihre Freundschaft heraus und setzte sich der Gefahr aus, seinen besten Freund zu verlieren. Und als Sugawara gar nichts tat, nur Stock und steif da stand, mit weit aufgerissenen Augen, wagte er sich sogar noch weiter und verlieh diesem Kuss mehr Leidenschaft. Er hatte den Grauhaarigen solange geküsst, bis ihm selbst die Luft ausging. Und Sugawara … Der wurde rot und rannte weg! Noch heute würde sich der Grauhaarige für diese Aktion am liebsten selbst schlagen. Die beiden redeten danach drei Tage kein Wort mehr miteinander. Sugawara hielt sich in dieser Zeit sehr an Asahi und Nishinoya, lernte die beiden dadurch besser kennen. Daichi kümmerte sich zusammen mit Ennoshita um Tanaka und dessen aufbrausende Art. Unter ihrem damaligen Kapitän wurde die Halle am Abend nachdem Training nicht gemeinsam geputzt. Jeden Tag wurden zwei neue bestimmt, die sich darum zu kümmern hatten. Und so kam es, dass Daichi und Sugawara nach fünf Tagen plötzlich doch wieder dazu gezwungen waren, miteinander zu sprechen. Damals hatten sie eine Weile stillschweigend geputzt, bis Daichi entnervt aufgestöhnt hatte und seinen Besen einfach auf den Boden schmiss. Er entschuldigte sich für den Kuss und das er Sugawara dazu gedrängt hatte und er wollte nicht, dass ihre Freundschaft daran kaputt ging. Er versprach, sich zurück zu halten und seine Gefühle zu unterdrücken, damit der Grauhaarige wieder mit ihm sprach. Und Sugawara hatte nur mit dem Kopf geschüttelt, war auf seinen besten Freund zugegangen und küsste ihn dann, ohne vorher auch nur ein Wort zu sagen. Er fühlte doch dasselbe – schon so lange. Vor fünf Tagen war er einfach nur überrumpelt gewesen und hatte deswegen nichts getan. Und warum er danach weggerannt war, statt Daichi noch einmal zu küssen, war ihm selbst ein Rätsel. Aber der Schwarzhaarige verstand das und schäumte vor Glück über, dass der Grauhaarige genau so fühlte wie er. Von diesem Tag an waren sie zusammen. Sugawara seufzte innerlich und schloss die Augen, als er an ihr erstes Date dachte. Ein ziemlich unverfänglicher Kinofilm. Keine Romanze, keine obszönen Bilder, die ihn rot werden ließen. Daichi hatte einen Arm um ihn gelegt. Sie teilten sich das Popcorn, fütterten sich ab und zu gegenseitig und tauschten immer mal wieder den ein oder anderen Kuss aus. An diesem Abend hatte Sugawara bei Daichi übernachtet, obwohl man das so eigentlich nicht nennen konnte, denn viel geschlafen hatten die beiden nicht! Dem Grauhaarigen lief ein angenehmer Schauer über den gesamten Körper, als er an Daichis sanfte und vorsichtige Berührungen dachte. Wie er ihn am ganzen Körper geküsst hatte, gestreichelt hatte. Sein Freund hatte ihn angefasst, als wäre er aus Porzellan. Als würde er bei der kleinsten zu kräftigen Berührung zerbrechen. Sugawara wurde heiß, als er daran dachte wie schön diese Nacht und alle darauffolgenden waren. Und wieder stellte er sich die Frage, wie das kaputt gehen konnte. Was war nur zwischen ihnen passiert, dass sie sich voneinander abwandten. Was hatte er getan, dass Daichi plötzlich keine Zeit mehr mit ihm verbringen wollte. Ihn nicht mehr küsste. Nicht mehr mit ihm schlief. Egal, welche Theorien und wilde Geschichten sich Koshi ausdachte, es machte am Ende immer wieder keinen Sinn. Er konnte es sich nicht erklären und er hoffte auf eine Antwort von Daichi. Ihre Wege sollten sich nicht trennen, ohne dass Sugawara eine Antwort auf diese Frage erhielt! Ohne weiter darüber nachzudenken, rutschte er noch ein Stück weiter an Daichi heran, legte ihm eine Hand auf das Knie und starrte ihn direkt und aufrichtig an. Nun bemerkte auch der Kapitän endlich, dass er nicht mehr alleine war, hob den Kopf und sah direkt in goldene Augen, die zu der Person gehörten, die er mehr als alles andere auf dieser Welt liebte. »K-Koshi w-wa«, schluchzte er, wurde aber von seinem Freund unterbrochen, der ihm den Zeigefinger auf die Lippen legte. »Ich verstehe dich nicht«, sagte der Grauhaarige leise und war nun auch den Tränen nahe. »Du wolltest mich nicht mehr und weinst jetzt? Warum? Warum hast du es so weit kommen lassen, wenn du mich doch so sehr vermisst?«, flüsterte der Junge mit den goldbraunen Augen traurig, seufzte anschließend und nahm seinen Finger von den Lippen seines Liebsten weg. Im Moment war er sich gar nicht mehr so sicher, ob er die Antwort auf seine Frage wirklich hören wollte. Er hatte Angst, Daichi könnte ihn mit seiner Aussage am Ende noch mehr verletzten, als er es eh schon getan hatte. Der Grauhaarige wollte gerade wieder etwas von dem Kapitän abrücken, als dieser plötzlich nach seinen Handgelenken griff. »Nein«, flüsterte der Schwarzhaarige erstickt, »geh nicht … Bitte lass mich nicht wieder alleine … Ich liebe dich doch Koshi!« Und in diesem Moment bohrte sich der Stachel einmal komplett durch Sugawaras Herz hindurch und glitt auf der anderen Seite wieder hinaus. Der ehemalige Zuspieler keuchte atemlos, schüttelte den Kopf und lehnte sich nach vorne. Ohne abzuwarten drückte er seine Lippen auf die seines Liebsten. Er konnte sich nicht mehr von ihm fernhalten. Dieser Kuss war alles, was er seit Wochen gewollt hatte. Leidenschaft, Liebe, Zuneigung. Daichi schluchzte ein, zwei Mal, hatte sich dann aber wieder so weit unter Kontrolle das er seine Hand an den Rücken des Zuspielers presste und ihn auf seinen Schoß drückte, um ihn näher bei sich zu haben. Im Moment konnte er nicht mehr verstehen, warum er sich so energisch von seinem Freund ferngehalten hatte. Jetzt gerade wollte er ihn nur noch bei sich haben, ihn spüren und küssen und lieben. Am liebsten würde er die Zeit zurückdrehen, alles ungeschehen machen. Der Grauhaarige schlang seine Arme noch fester um Daichis Nacken, presste sich noch etwas mehr an den Schwarzhaarigen. Er wollte ihn nie wieder freigeben, ihn nie wieder loslassen. Der leidenschaftliche Kuss verwandelte sich schnell in eine wilde Knutscherei und beide verloren die Kontrolle. Hände schlüpften unter Oberteile, erkundeten warme, weiche Haut. Lippen prallten unkoordiniert aufeinander. Zungen tanzten einen Tanz ohne Rhythmus oder Takt. Für Sugawara war dieser Kuss, dass Zeichen dafür das Daichi ihn immer noch wollte … Das er ihn immer noch liebte! Und er wollte den Kapitän jetzt und hier. Ihm war es egal ob sie den Hallenboden danach säubern mussten. Aber er wollte mehr von ihm spüren, als nur den synthetischen Stoff seiner Trainingsjacke. Doch in dem Moment, in dem er seine Hand etwas tiefer gleiten ließ, stieß Daichi ihn von sich herunter und blickte ihn einen Moment später schockiert und schwer atmend an. Auch Koshis Augen wurden tellergroß und er hielt sich die Unterlippe. Sein Freund hatte ihm einmal ziemlich kräftig gebissen, als er ihn von sich hinuntergestoßen hatte. »Es … Es tut mir leid!«, entschuldigte sich der Kapitän, als er bemerkte, was er seinem Freund angetan hatte. Er wollte an ihn heran rutschen, sich auch körperlich bei dem Grauhaarigen entschuldigen. Doch dieser stand plötzlich auf, warf dem Schwarzhaarigen noch einen schockierten Blick zu und stürmte dann aus der Turnhalle. Daichi starrte ihm noch einen Augenblick nach, fasste den Entschluss ihm nicht nachzurennen und schlug stattdessen einmal mit voller Wucht den Fußboden der Turnhalle. Mazuki hatte recht: Er behandelte Koshi schlecht und er hatte ihn nicht verdient! Völlig aufgewühlt kehrte Sugawara zum Fußballplatz zurück. Er hatte komplett vergessen, warum er diesen überhaupt verlassen hatte. Das einzige was ihm im Moment durch den Kopf spukte, war Daichis Aktion von gerade eben. In einer Sekunde sagte er ihm noch, dass er ihn liebte und in der nächsten stieß er ihn von sich und biss ihm obendrein auch noch in die Unterlippe. Der Grauhaarige verstand die Welt nicht mehr, konnte nur mit Mühe und Not die aufkeimenden Tränen unterdrücken. Warum tat er ihm das an? Womit hatte er das verdient? Er wünschte sich eine Antwort auf diese Fragen. Der Grauhaarige blieb auf halber Strecke stehen, blickte das Fußballfeld aus der Entfernung skeptisch an und drehte dann um. Er konnte Aio jetzt nicht unter die Augen treten. Er hatte ihn betrogen und er wollte niemals zu dieser Art Menschen gehören. ]¦•¦[ ❀❀❀]¦•¦[ Auch am nächsten Tag hatte sich Sugawaras Laune nicht gebessert. Er ging sowohl Daichi, als auch Aio aus dem Weg, versteckte sich in den Pausen vor beiden und wollte nach Schulschluss eigentlich ganz schnell verschwinden. Nur leider vereitelten Asahi und Nishinoya diesen Plan. Denn noch bevor Koshi das Schulgelände verlassen konnte, packte ihn jemand am Arm und drehte ihn zu sich um. Nishinoyas Augen spiegelten Wut, aber Enttäuschung wieder und Sugawara musste den Blick bereits nach wenigen Sekunden abwenden, weil er es nicht ertrug ihn anzusehen. »Sprichst du jetzt nicht mehr mit uns?«, fragte – zu Sugas Verwunderung – Asahi. Der Grauhaarige hielt es für schlauer, darauf nicht zu antworten. Egal was er sagen würde, der Libero würde ihm die Worte im Mund umdrehen und er hatte jetzt keine Lust auf eine sinnlose Diskussion. Er wollte doch eigentlich nur nach Hause! »Ihr beide kotzt mich wirklich an!«, knurrte Nishinoya, als er das Gesicht des Grauhaarigen näher betrachtete. »Ihr benehmt euch wie zwei kleine Kinder! Du liebst ihn, er liebt dich … Was ist so schwierig daran? Warum kriegt ihr das nicht auf die Reihe? Selbst Kageyama und Shoyo schaffen es irgendwie!« Wütend trat der Schwarzhaarige noch einen Schritt näher an Sugawara heran und ließ sich nicht einmal mehr von seinem eigenen Freund aufhalten. »Ich weiß das er Scheiße zu dir war, aber kannst du da nicht einfach drüber hinweg sehen?« Verwirrt war der Grauhaarige dem Kleineren einen kurzen Blick zu. Meinte er das ernst? Sollte sich Koshi diese abweisende, verletzende Art und Weise wirklich noch länger gefallen lassen, nur damit Daichi einen zweiten Zuspieler in seinem Volleyballteam hatte? Denn das war doch alles, worauf Nishinoya eigentlich hinauswollte. Ehe der Junge mit dem Muttermal allerdings antworten konnte, legte ihm plötzlich jemand den Arm um die Hüften und zog ihn ein Stück von dem Libero weg. »Hey Babe!«, sagte eine fröhliche Stimme und drückte dem Zuspieler gleich darauf einen feuchten Schmatzer auf die Lippen. Aus dem Augenwinkel bemerkte der 18-jährige, wie der Libero die Hände zu Fäusten ballte und leise knurrte. Erneut zog Asahi an dessen Ärmel, wieder ohne Erfolg. »Verpiss dich Mazuki, Suga und ich haben was zu klären!«, fauchte der Kleinste der Runde daraufhin. Der Fußballer zog nur belustigt die Augenbrauen hoch. »Lass mich raten: Dein nächster Satz lautet dann ,Und das geht dich nichts an‘ oder?« Nishinoyas Nasenflügel blähten sich auf und er bohrte seine Fingernägel noch unnachgiebiger in seine Handflächen. Nur nicht ausrasten, sagte er innerlich zu sich selbst, darauf wartete der Arsch doch insgeheim. Aber wenn der so weiter machte, konnte sich der Libero mit Sicherheit nicht mehr beherrschen! »Dein Hund ist ja richtig süß wenn er sich aufregt!«, sagte Aio nun an Asahi gewandt. Böse blickte dieser ihn daraufhin an. Dass das Ass überhaupt so einen bösen Blick drauf hatte, hatten weder Nishinoya, noch Koshi gewusst, geschweige denn erwartet. »Bezeichne ihn noch einmal als Hund und es setzt was!« Erschrocken wurde das Ass nun von seinem Freund und dem ehemaligen Zuspieler angesehen. Hatte er gerade wirklich jemanden Schläge angedroht? Sugawara konnte es gar nicht fassen. Das dieser jemand sein aktueller Freund ist, interessierte ihn dabei überhaupt nicht. Es schockierte ihn viel mehr, dass Nishinoya so einen Einfluss auf den – eigentlich sehr schüchternen - Schüler des 3. Jahres hatte. Aber irgendwie freute ihn das auch und füllte ihn mit Stolz. Er ist und bleibt eben die Team Mama, egal ob er Mitglied des Teams ist oder nicht. Und vor allem Asahi konnte mit seinen 18 Jahren jetzt so langsam mal aus sich herauskommen und sich auch mal was trauen. Das er gleich mit Schläge androhen anfing, fand selbst Sugawara aber etwas zu übertrieben. Eine gut überlegte, mit Nachdruck ausgesprochene Beleidigung hätte für den Anfang auch gereicht, aber wenn das Ass halt mit einer Prügelei in sein Erwachsen-Sein starten wollte: Bitte, soll er ruhig machen! Koshi würde ihn mit Sicherheit nicht aufhalten! Aios Lachen holte sie alle aus ihren mehr oder minder tiefen Gedankengängen zurück ins hier und jetzt. »Soll ich jetzt vor dir Angst haben?«, fragt er den Zopfträger belustigt und schaut ihn herausfordernd an. »Wer’s glaubt wird selig, Riesenbaby!« Asahi schien sein neu erlangtes Selbstbewusstsein schon wieder verloren zu haben, weswegen er sich unmerklich ein wenig hinter seinem Freund versteckte. Nishinoya rauchte natürlich schon wieder vor Wut. War ja klar. Seinen Freund hatte eben niemand auszulachen und wer es doch tat, musste mit den Konsequenzen rechnen! Doch kaum hatte der Libero dem Fußballer ein paar Takte erzählt, lachte dieser gleich wieder los. »Ich glaube wir hatten vor zwei Tagen schon mal das Vergnügen miteinander oder? Da habe ich dir doch dein Veilchen und die aufgeplatzte Lippe verpasst, während du mit deinem Grundschüler Körper nicht mal mein Gesicht erreicht hast!« Der Schwarzhaarige knurrte kampflustig und ballte die Hände zu Fäusten. Sugawara sah seinen Freund hingegen böse an. Okay, es war eine Sache, dass sie sich anscheinend nicht sonderlich gut leiden konnten, aber mussten sie deshalb zu jeder erdenklichen Zeit eine Prügelei provozieren? Coach Ukais Geschrei hallte schon ganz deutlich in den Ohren des Grauhaarigen wieder. Er musste dieses unnötige Gerangel, bei dem Aio körperlich deutlich überlegener wäre, unbedingt verhindern! Denn wenn die beiden sich einmal in den Haaren hatten, konnte vermutlich nicht mal mehr Asahi etwas dagegen tun. Obwohl der jetzt schon aussah, als würde er vor Nervosität beinahe in Ohnmacht fallen. Sugawara verzog das Gesicht. Wie konnte ein 18-jähriger, der mit Absicht bedrohlich aussah, nur so eine Flachzange sein? Der junge mit den goldenen Iriden würde das vermutlich niemals verstehen! Aio und Nishinoya funkelten sich immer noch gegenseitig wütend an, wahrten aber im Augenblick noch genügend Sicherheitsabstand zueinander. Aber der Grauhaarige wusste: Noch ein falsches Wort von seinem Freund und der Libero ist nicht mehr zu bremsen! Er musste sich also schnell etwas Gutes einfallen lassen, damit Asahi und Nishinoya endlich in Richtung Turnhalle verschwanden und Aio ohne blaue Flecken davon kam. Und obwohl er sich eigentlich im Moment von dem Fußballer fernhalten wollte, weil er seine Gefühle und Emotionen im Moment nicht einordnen konnte, wusste er, dass es keine andere Möglichkeit gab, als Aio mit einer gemeinsamen Unternehmung von hier weg zu locken. Nur leider hatte Koshi darauf im Moment eigentlich gar keine Lust. Demnach war auch Stimmung angespannt, aber etwas blieb dem Grauhaarigen wohl oder übel nicht übrig. Also zog er zaghaft an dem Ärmel seines Freundes und zog ihn dann mit etwas mehr Kraftaufwand von seinen ehemaligen Teamkollegen weg. »Kommst du jetzt mit zu mir? Meine Eltern sind heute nicht da und ich hab sturmfrei!«, sagte der Junge mit dem Muttermal lieblich und drückte seinem Freund anschließend einen Kuss auf die Lippen, ehe dieser eine Antwort abgeben konnte. Das ist gleich der nächste Grund, dachte Nishinoya sauer und presste seine Fingernägel noch mehr in seine Handflächen, dafür könnte ich beiden eine runterhauen! Doch bevor er dieses Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, wurde er plötzlich von Asahi hochgehoben. Sein Freund legte ihn einfach über seine Schulter, als wöge er nicht mehr als eine Feder. Nachdem der Brünette sich vergewissert hatte, dass sein Freund nicht aus versehen hinunterfallen konnte, drehte er sich lächelnd zu dem Fußballer und dem ehemaligen Volleyballspieler um. »Na dann, war schön mal wieder mit dir gesprochen zu haben! Wir haben jetzt Training und sind eh schon wieder viel zu spät dran! Mach‘s gut, man sieht sich!«, beeilte er sich zu sagen und verließ dann schnellen Schrittes den Ort des Geschehens. Er rannte schon beinahe vor Sugawara und Mazuki weg, ignorierte seinen Freund, der ihm auf den Rücken trommelte und ihn anbrüllte, er solle ihn bloß runter lassen, damit er Mazuki nochmal eine verpassen kann. »Ich denke das ist keine so gute Idee!«, kommentierte der Brünette diese Aussage nüchtern und seufzte anschließend. Mittlerweile waren sie vor der Turnhalle angekommen, weswegen er seinen Freund wieder absetzte. Doch bevor er ihn aus seinen Fängen entließ, packte er ihn sanft an den Schultern und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. »Das mit Suga und Daichi scheint endgültig vorbei zu sein und wir haben absolut kein Recht uns in diese Angelegenheit einzumischen!«, sagte er bestimmt, klang aber doch ein wenig traurig und hörte sich so an, als wäre es seine eigene Beziehung, die da gerade zu Ende ging. »Außerdem«, fügte er noch hinzu, »Scheint Sugawara mit ihm glücklich zu sein und das sollten wir ihm gönnen, denn mit Daichi hat er in den letzten Wochen echt keinen Glücksgriff getan!« »Ja, aber davor war doch alles in Ordnung zwischen den beiden und von jetzt auf gleich soll das alles vorbei sein?«, jammerte der Schwarzhaarige. »Ich verstehe das nicht!« »Wir sind auch nicht diejenigen, die das verstehen müssen!«, entgegnete Asahi poetisch. Nishinoya wollte ihn am liebsten fragen, ob er aus versehen ein Poesiealbum verschluckt hatte, aber da rief Daichi schon nach ihnen. Und Ihr Kapitän klang nicht gerade erfreut. Ob er ihr Gespräch wohl mitbekommen hatte? Oder war er einfach nur sauer, weil die beiden fast zwanzig Minuten zu spät zum Training erschienen waren? Innerlich seufzte der Libero. Selbst wenn er nachfragen würde, eine ordentliche Antwort würde er eh nicht erhalten. Also ließ er es lieber gleich bleiben, bevor er die Wut ihres Kapitäns nur noch mehr entfachte und am Ende heute Abend zur Strafe ganz alleine die Halle putzen und aufräumen durfte! Sollte doch ein anderer in das Fettnäpfchen treten, ihren Chef zu fragen, warum er so eine Laune an den Tag legte. Vermutlich wird es Hinata sein, der heute den Schrubber ganz alleine in die Hand nehmen darf. Denn auch wenn der Orangehaarige gut Volleyball spielen kann, hat er ein Einfühlungsvermögen, wie ein Elefant der im Porzellanladen sitzt! War nicht das erste Mal, dass dem Team Hinatas fehlende Empathie zu Gute kam! ]¦•¦[ ❀❀❀]¦•¦[ Sugawara seufzte erleichtert, als er die Haustür aufschloss und seine Eltern tatsächlich nicht zu Hause waren. »Hast du Hunger? Meine Mutter hat sicherlich noch irgendetwas gekocht bevor sie verschwunden ist?«, fragt der Grauhaarige und verschwindet schnell in der Küche. Irgendwie behagt ihm diese Situation gar nicht. Aio war vorher noch nie bei ihm zu Hause gewesen und jetzt waren noch nicht einmal seine Eltern da. Koshi wurde das Gefühl nicht los, dass heute etwas passieren würde, was er eigentlich nicht wollte. Er verstand sich selbst nicht! Aio würde ihm das geben, was er sich von Daichi in den letzten Wochen vergeblich gewünscht hatte, aber nach der Sache in der Turnhalle gestern, war sich der Grauhaarige nicht mehr so sicher, ob er überhaupt noch mit dem Fußballer zusammen sein wollte. Denn im Moment fühlte sich das ganze mehr als nur falsch an! Er sollte recht behalten: Seine Mutter hatte tatsächlich noch einen Eintopf gekocht, bevor sie verschwunden war. Als Koshi gerade zwei Portionen fertig machen wollte, schlangen sich plötzlich zwei Arme von hinten um ihn und Aio drückte seinen rauen Lippen an die zarte Haut des ehemaligen Zuspielers. »Können wir heute vielleicht mal andersherum anfangen: Erst der Nachtisch und dann das Essen?« Der Grauhaarige riss erschrocken die Augen auf. Er hatte es gewusst! Aber er würde sich nicht beirren lassen. Daher umklammerte er die Suppenkelle wie einen Schraubstock und tauchte sie in die gelbliche Brühe ein. Ohne auf Aios eindeutige Annäherungsversuche – mittlerweile presste er sich schon regelrecht an ihn und ließ ihn spüren was er wollte – einzugehen, nahm er die beiden Schüsseln und trug sie zum Tisch. Ohne seinen Freund noch einmal anzusehen, ließ er sich auf dem Boden nieder und begann seine Suppe zu löffeln. Sie schmeckte nach Ingwer und Zwiebel – Gemüse das er überhaupt nicht leiden konnte -, aber er aß brav auf. Denn so hatte er zu mindestens einen Vorwand, um Aio nicht ansehen zu müssen. Der Grauhaarige würde sich am liebsten hauen oder so etwas in der Richtung. Vor zwei Tagen war noch alle in Ordnung und er war tatsächlich glücklich mit dem Fußballer und dann küsste Daichi ihn und plötzlich fand er den Fußballer anhänglich und nervig, wollte ihn im Moment nicht in seiner Nähe haben. Koshi würde am liebsten die gesamte Nachbarschaft einmal zusammen schreien und anschließend vor Scham auswandern wollen. Am besten nach Alaska, mitten in den Wald, wo ihn niemand mehr Nerven kann! Da gibt es keine Jungs, die einen verletzten und einem blöd kommen, dachte er grimmig und schob sich noch einen Löffel Suppe in den Mund, und Volleyball und Fußball kann man da auch nicht spielen, also wird mir weder Daichi, noch Aio nachrennen! Und irgendwann ende ich dann mit einem voll bärtigen Holzfäller auf einer Rentierfarm, führte er seine Gedanken fort. Also wenn das mal kein gelungener 10 Jahres Plan war, wusste er auch nicht mehr weiter. Langsam aber sicher bekam er nämlich das Gefühl, dass er nichts anderes verdiente, als den schwitzen Holzfäller Aaron, das Rentier Rudolf und eine kleine Blockhütte, von der man denkt das sie bei jeder Windböe auseinander fällt. Wäre Aio jetzt gerade nicht im selben Raum wie er, hätte er vermutlich lauthals über seine völlig verqueren Gedanken gelacht. Aber Aio würde fragen und die Antworten wollte Sugawara nicht laut aussprechen! Genau eine Stunde schaffte Sugawara es, Aio aus dem Weg zu gehen. Dann rief glücklicher weise seine Tante an und er tat so, als gäbe es einen Notfall. Seine Tante hatte die Welt nicht mehr verstanden und sich mehrmals erkundigt, ob es ihrem Neffen auch wirklich gut ging, aber das interessierte den ehemaligen Zuspieler herzlichst wenig. Ohne das Thema lange zu zerkauen, hatte er wieder aufgelegt und innerhalb von drei weiteren Minuten verabschiedete er Aio vor der Haustür mit einem schnellen Kuss und machte sich zu Fuß in die entgegensetzte Richtung auf. Wo er eigentlich gerade hinlief, wusste er nicht wirklich. Aber kratzen tat es ihn auch kein bisschen. Hauptsache er konnte aus diesem erdrückenden Haus flüchten, denn nach einer Stunde verstecken und Aio bloß nicht zu nahe kommen, gingen auch ihm so langsam die Ideen aus. Und dann kam auch noch dazu, dass er schon von Natur aus nicht sehr kreativ veranlagt ist! Er sollte seiner Tante für diese ungeplante, planlose Rettung etwas kaufen. Am besten Leckerlis für ihre fünf Katzen. Davon hatten alle etwas, auch Tante Mai! Hoffentlich kam Aio nur nicht auf die blöde Idee, ihm zu folgen. Denn dann würde er in Erklärungsnot geraten. Seine Tante war nämlich vor über zehn Jahren zusammen mit ihrem Mann nach Australien ausgewandert. Die konnte man also nicht mal eben besuchen. Als der Grauhaarige das nächste Mal von seinen Schuhen aufsah, stand er wieder vor der Schule. Genaugenommen vor dem Nebeneingang, der seitlich von der Turnhalle lag. Irgendwer des Volleyballteams hatte die Tür geöffnet und lautes Geschrei drang von innen nach draußen. Das Gummi der Schuhe quietschte über den Hallenboden und das dumpfe Geräusch von Händen, die gegen das Leder des Volleyballs schlugen, waren zu hören. Ohne es wirklich zu wollen, ging Koshi einen Schritt näher heran und sah seinen ehemaligen Teamkollegen beim Spielen zu. Coach Ukai gab Anweisungen, weil ein fünf gegen fünf für alle eine ungewohnte und gewöhnungsbedürftige Aufstellung war. Kageyama musste alle fünf Punkte die Spielfeldseite wechseln, weil es unfair wäre ein Team komplett ohne Zuspieler dastehen zu lassen und Tadashi rannte um die Punktetafel herum wie das Duracell-Häschen. An sich ein wirklich lustiger Anblick, wäre er gleichzeitig nicht auch so traurig. Denn Sugawara konnte selbst aus dieser Entfernung die Verzweiflung auf den Gesichtern seiner Freunde sehen! Kein Wunder, in den drei Tagen begann schließlich das Turnier und keiner konnte ein ordentliches Training absolvieren, geschweige denn ein vernünftiges Trainingsspiel. Kageyamas Sorgen, er könnte sich verletzten und ausfallen, fühlte das gesamte Raumvolumen mit unausgesprochener Angst und Sugawara war kurz davor seine Jacke auszuziehen und mit zu trainieren, damit seine Freunde in der Vorrunde wenigstens das erste Spiel gewannen! Aber er ließ es bleiben, denn jetzt in Daichis Nähe zu sein, würde sein Herz noch mehr durcheinander bringen! Aber er verweilte noch eine Weile vor der Turnhalle, lehnte mit geschlossenen Augen an der Außenwand und hörte seinen Freunden beim Spielen zu. Irgendwie war das schon ein klein bisschen masochistisch, denn er vermisste es, selbst zu spielen. Auch wenn er bei den offiziellen Spielen nicht mehr selbst auf dem Feld stand, wollte er wenigstens noch im Training sein bestes geben und seine Teamkollegen darin unterstützen, besser zu werden. Sugawara blieb schließlich bis zum Abpfiff des Trainings vor der Halle stehen, dann versteckte er sich, sodass seine Kollegen ihn nicht entdecken würden, wenn sie die Halle verließen. Erst als er sich ganz sicher war, dass alle verschwunden waren, nutzte er seinen Zweitschlüssel, um selbst noch einmal die Turnhalle zu betreten, in der er die letzten drei Jahre unzählige Stunden zu gebracht hatte. Ohne lange zu überlegen holte er sich einen Ball aus dem Geräteraum, legte seine Jacke ab und begann dann, den Ball gegen die Wand zu schlagen. Er wusste selbst nicht genau warum er das tat, denn davon lösten sich seine Probleme auch nicht einfach in Luft auf! Viel zu viele Fragen gingen ihm durch den Kopf und ohne die Hilfe eines anderen würde er die Antworten darauf niemals erhalten. Und ob er überhaupt all diese Fragen beantwortet haben wollte, wusste er auch nicht! Und dann verlor er die Kontrolle. Der Ball flog an ihm vorbei zum anderen Ende der Halle und er sank weinend auf den Hallenboden. Er konnte seinen Tränen nicht aufhalten, sie nicht zurückhalten. In ein paar Monaten würde er auf eine Universität in Tokio gehen und studieren. Bis dahin entschied sich, ob er professionell Volleyball spielen würde oder ob er diesen Sport nur noch als Hobby betreiben würde. Wenn er am Wochenende also nicht auf dem Spielfeld glänzte, hatte sich sein Traum vermutlich ausgeträumt. Und da Daichi ihn niemals grundlos gegen Kageyama auswechseln würde, sahen seine Chancen ziemlich schlecht aus! Daichi war auch noch so eine Sache. Sugawara und er hatten sich dazu entschieden die gleiche Uni zu besuchen, egal ob sie beide in der Volleyballmannschaft spielen würden oder nicht. Koshi konnte sich nicht vorstellen das der Kapitän sich jetzt noch die Mühe machte und nach einer anderen Uni suchte. Zumal der Campus groß ist und die beiden sich vermutlich eher selten, bis gar nicht, über den Weg laufen würden. Und zu allem Überfluss war da jetzt auch noch die Sache mit Aio, die er entweder beenden oder in den Griff kriegen musste! »Scheiße!«, fluchte der Grauhaarige verzweifelt und schlug kräftig mit beiden Fäusten auf den Hallenboden. »So eine verdammte Scheiße!« Er wusste nicht mehr weiter und hatte auch keine Ahnung, wen er um Rat fragen sollte. Seine Eltern fielen aus der engeren Auswahl schon mal raus. Die beiden wussten ja nicht mal, dass er auf Jungs stand. Blieben ihm eigentlich nur noch die Mitglieder des Karasuno Volleyballclubs, denn andere Freunde hatte der ehemalige Zuspieler nicht. Aber wen von denen fragte man in so einer entscheidenden und wichtigen Sache um Rat? Nishinoya und Tanaka wohl eher nicht. Die beiden ließen sich viel zu sehr von ihren Gefühlen leiten und redeten erst und dachten anschließend über das was sie gesagt hatten nach. Die anderen Jungs aus der 2. Klasse kannte er zu wenig, als das sie ihm eine brauchbare Antwort auf sein Dilemma geben könnten. Tsukishima flog auch sofort aus der engeren Auswahl hinaus. Dem Eisklotz konnte man höchstens ein spöttisches Lachen und ein sarkastisches Kommentar entlocken. Kageyama schien da zwar nicht so desinteressiert, hatte aber vermutlich auch nicht viele brauchbare Tipps für Sugawara übrig. Und Hinata würde vor lauter Aufregung vermutlich kein klares Wort herausbringen. Wer blieb ihm also noch übrig? Die Auswahl – wenn man das überhaupt so nennen konnte – war schwindend gering. Denn die einzigen, die Sugawara in Betrat zog waren Asahi, Tadashi und Daichi selbst. Obwohl … Letzteres strich sich quasi von ganz alleine. Denn Sugawara würde ihm bestimmt nicht von seinem Dilemma erzählen. Damit konnte ihr Kapitän doch eh nichts anfangen, weil er sich ausschließlich auf Schule und Volleyball konzentrierte. »Hallo?« Sugawara schreckte hoch, sah ertappt in die Richtung, aus der die Stimme kam und entdeckte Daichi. Die beiden sahen sich einen Moment überrascht und verwirrt an, ehe sich Sugawara vom Hallenboden erhob. Mit gestraften Schultern und gespielter Selbstsicherheit schritt er auf den Kapitän des Volleyballteams zu. Als er direkt vor ihm stand, zog er seinen Schlüsselbund aus der Jackentasche, zog den Schlüssel für die Turnhalle aus dem Ring und überreichte diesen dem Kapitän. »Ich denke mal euer neuer Vize-Kapitän kann den gut gebrauchen«, murmelte er leise und schaffte es schlussendlich nicht dem Schwarzhaarigen in die Augen zu sehen. Dafür war er einfach nicht stark genug. Ihre Finger streifen sich, als der Größere das geformte Metall nahm, und Koshi durchfuhr ein Kribbeln. Er sollte seine geistige Verwirrung offiziell machen, denn er war eindeutig nicht mehr ganz dicht! Daichi behandelte ihn so mies und er wollte nichts lieber, als auf ihn drauf hüpfen und Aio behandelte ihn wie einen Prinzen und dem ging er lieber aus dem Weg. Er schien einen Hang für Bad-Boys zu haben und sollte vielleicht doch mal einen Psychiater aufsuchen. Oh Gott, sagte er zu sich selbst, ich werde verrückt! »Koshi« Diese warme, leise Stimme riss ihn schließlich aus seinen Gedanken und er kam nicht drum herum, in Daichis schokoladenbraune Augen zu schauen. Weil nur es schaffte, diese Gefühle in ihm hervorzurufen. Weil nur er es schaffte, dass Koshi das Gefühl hatte er hätte nicht in allem versagt. Weil nur es ist, mit dem der Grauhaarige schlafen möchte. Weil nur er es ist, den der Grauhaarige liebt. Und es ist nur er, der dafür sorgen kann, dass wieder alles so wird, wie es bis vor ein paar Wochen noch war. Nur Daichi kann ihm sagen, was er falsch gemacht hat. Und nur Daichi kann dafür sorgen, dass sein gebrochenes Herz wieder heilt. Aber Daichi scheint das alles nicht zu interessieren. Daichi scheint ihn nicht mehr zu lieben! Dieser Schlag traf den Grauhaarigen so hart und unvorbereitet, dass er mit Schock geweiteten Augen einen Schritt zurücktaumelte und dabei seinen Freund ansah, als hätte dieser ihn geschlagen. Die Wunde in seiner Lippe erinnerte ihn daran, dass Daichi ihn nicht länger wollte und das er nicht länger die Rolle in Daichis Leben spielte, die er mal gespielt hatte. Er war für den Kapitän nicht mehr von großer Bedeutung. Denn mehr als einen Ersatz-Zuspieler und einen Vize-Kapitän sah dieser in dem Grauhaarigen nicht mehr. Und da war er wieder: Der Stachel, der sich in Koshis Herz bohrte. Tiefer und Tiefer, Wort für Wort. Bevor Daichi noch ein Wort zu dieser Situation sagen konnte, nahm der ehemalige Zuspieler seinen ganzen Mut zusammen, küsste den Schwarzhaarigen ein letztes Mal und verließ dann die Halle so schnell, dass nicht einmal der Kapitän hinterher kam. Sugawara hatte seinen Schlussstrich gezogen – oder es zu mindestens versucht und jetzt würde er versuchen ein neues Kapitel zu beginnen. Ohne Daichi, mit Aio. Auch wenn sein Herz noch ein paar Kapitel lang dem Schwarzhaarigen Kapitän des Volleyballclubs der Karasuno gehören würde. Ob er das wollte oder nicht, nichts und niemand würde das ändern können. ]¦•¦[ ❀❀❀]¦•¦[ Am nächsten Tag suchte Sugawara Aio gleich nach dem Ende der ersten Pause auf, küsste ihn und entschuldigte sich für sein unmögliches benehmen des gestrigen Nachmittags. Die Lüge um seine Tante aufzudecken, traute er sich dann aber doch nicht, weswegen er irgendetwas erfand, was nach einem typischen Tanten-Notfall klang. Der Fußballspieler verzieh ihm das ohne ein weiteres Wort und zusammen machten sie sich auf zur nächsten Stunde. In ihrer eigenen Welt gefangen bemerkte sie Tanaka und Nishinoya nicht. Die beiden hatten sich in sicherer Entfernung postiert, das ganze Schauspiel beobachtet und Würgegeräusche ausgespuckt, als Aio nette Worte zu ihrem Teamkameraden sagte. Als Fußballer und Volleyballer außer Sichtweite waren, blickte der Libero den Außenangreifer angeekelt an. »Also wenn du mich fragst, zieht der Typ Kilometerlangen Dreck hinter sich her … Das rieche ich bis hier!«, zischte der Kleinere aufgebracht und wäre dem Fußballer am liebsten hinterher gerannt um ihm noch mal eine Faust in seine hässlich Visage zu donnern. »Ich hatte Suga eigentlich immer für ziemlich intelligent gehalten, aber das mit dem Bengel etwas nicht, bemerkt ja wohl jeder!«, merkte Tanaka an. »Aber nun ja: Liebe macht eben blind!« Das eben gesagte diente zur Unterhaltung des Liberos, der los prustete, kaum das Tanaka zu Ende gesprochen hatte. »Nach der kurzen Zeit kannst du nicht von Liebe reden!«, korrigierte dieser seinen Freund altklug, knurrte dann bedrohlich. »Und selbst wenn die beiden schon zehn Jahre zusammen wären: Dieser Idiot hat nichts nettes im Sinn!« »Also starten wir hiermit unsere Operation?« »Definitiv!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)