PP Adventskalender Türchen 19 von Chucks ================================================================================ Kapitel 1: Atempause -------------------- Atempause Die letzten Stunden hatten ihre Spuren hinterlassen. Keiner von ihnen hatte noch intakte Kleidung am Leib und kaum einer von ihnen hatte nicht mindestens eine Blessur davon getragen. Überfordert kam die atemlose Blondine erst jetzt dazu sich umzusehen. Auf ihrer Flucht waren sie in einer kleinen Kirche unter gekommen. Das Gebäude war einfach dort gewesen und hätte Hannah in den letzten zwei Jahren nicht ihren Glauben verloren, würde sie darin wohl eine göttliche Fügung erkennen. Das Innere der kleinen Kirche, die am ländlichen Rand der kleinen Stadt stand, war verstaubt. Es war deutlich, dass bereits längere Zeit niemand mehr hier gewesen war. Geplündert wirkte sie nicht. Vermutlich war es einfach nicht mehr im Sinne der Überlebenden gewesen das Gotteshaus aufzusuchen. Tatsächlich hing noch vereinzelte Weihnachtsdekoration an den Kirchenbänken und in den Fenstern. Scheinbar war mindestens seit einem Jahr niemand in dieser Kirche gewesen. Fast schon sonderbar, dass sie ausgerechnet jetzt hier auftauchten. Vermutlich war jeder von ihnen so durch und durch nicht in Weihnachtsstimmung. Es war schwer geworden eine sichere Bleibe zu finden. In den letzten Wochen waren Baracken und ihr mittlerweile herunter gekommenes Zelt ihre Behausung gewesen. Dann endlich hatten sie diese Kirche gefunden. „Kann sie endlich mal jemand zum Schweigen bringen?“, brummte der große Mann, der gerade die Tür verbarrikadiert hatte und sich nun mit seinem Gewehr am Kirchenfenster positionierte. Hannah musste nicht nach fragen wen John mit seinen Worten meinte. Ihr Blick ging zu den beiden Frauen, die sich mit ihnen in der Kirche verbarrikadiert hatten. Da war Hailey. Die vollkommen aufgelöste Blondine kauerte auf dem Boden. Sie hatte die Knie an den Körper gezogen und schien in ihrer zu großen Collegejacke zu versinken. Noch immer klebte Blut an ihrer Kleidung und ihre hellen Haare waren zerzaust und verdreckt. Zwischen ihren aufgelösten Schluchzern hörte man immer wieder die selben Worte heraus. „Er ist tot. Er ist einfach gestorben. Tot.“ Es war verständlich. Sie hatten schon viele Leben verloren. Freunde, Familie… in den letzten Monaten waren die wenigen Beziehungen, die einem noch geblieben waren, immer wichtiger geworden. Und um so grausamer war es jemanden zu verlieren. Besonders auf die Art, auf die Hailey jemanden verloren hatte. Doch nicht nur Hailey ging es schlecht. Hannahs Blick ging zu der anderen Frau in ihrer Gruppe. Die Brünette, die sie vor wenigen Stunden im Wald aufgegriffen hatten, kauerte mit weit aufgerissenen Augen in einer Ecke der Kirche. Sie hatte noch immer kaum ein Wort gesprochen und in ihrem Blick lag nackte Angst. Sie sagte kein Wort. Apathisch hatte sie die Arme um den Oberkörper geschlungen und wiegte sich vor und zurück. „Ich sag’ euch, die ist vollkommen durchgeknallt. Glückwunsch, ihr hab nen Klotz am Bein aufgelesen.“ „Du bist mittlerweile innerlich auch komplett tot, oder?“ William, der mit Hilfe auf einer der Kirchenbänke Platz genommen hatte, verdrehte den Kopf ein wenig um besser zu John blicken zu können. Auch ihm sah man die Spuren der letzten Stunden an. Der Ärmel seiner Jacke war aufgeschlitzt. Die Kratzer auf seiner Stirn bluteten und das linke Bein seiner Jeans war zerrissen. Auch wenn Hannah kein Blut sehen konnte, war ihr bewusst, dass sein Bein gebrochen war. Er war gestürzt, hatte nicht mehr auftreten können und sie hatten ihn stützen müssen. „Ich kümmere mich um sie“, hob David schließlich die Stimme. Der Feuerwehrmann hatte sich kurzerhand zu ihren Rucksäcken gebeugt um eine Flasche Wasser hervor zu ziehen. Wenn man es genau nahm, dann hatte es David am wenigstens von ihnen erwischt. Er und Hannah waren bis auf ein paar Schrammen der Auseinandersetzung entkommen. David, weil er schlicht kämpfen konnte und gelernt hatte auf sich aufzupassen. Hannah wusste, dass sie ihre körperliche Verfassung Will zu verdanken hatte. Er hatte sie beschützt. Und weil er sie beschützt hatte, war er verletzt. Alleine der Gedanke ließ ihren Blick etwas wässrig wurde. Während der Mann den Raum durchquerte hockte Hannah sich neben William und griff besorgt nach seiner Hand. Ihr Blick suchte seinen. „Geht es? Wir haben sicher noch ein paar Schmerzmittel. Vielleicht auch ein paar der Antibiotika von Johns Schnittverletzung. Wir können-“ Weiter kam sie nicht. William hatte ihre Hand genommen und sanft zugedrückt. Sie konnte den Schweiß auf seiner Stirn erkennen und es war sicher, dass er Schmerzen hatte. „Morgen…“ „Aber-“ Wieder kam Hannah nicht wieder. Der Autor hatte sie zu sich hinunter gezogen und seine Lippen auf ihre gelegt. Sofort merkte Hannah wie sich ihr Hals noch mehr zuschnürte. Als er ihre Lippen wieder frei gab, biss sie sich kurz auf die Unterlippe um nicht zu weinen. Obwohl er scheußliche Schmerzen haben musste, lag ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. „Jetzt guck nicht so… Mistelzweige. Darf man nicht einmal mehr seine Freundin küssen?“ Hannah schniefte leise. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie überhaupt noch in der Lage war zu weinen. Sie hatte schlagfertig antworten wollen, schaffte es aber kaum einen vollständigen Satz von sich zu geben. In ihrer Überforderung ließ sie zu, dass Will seine Hand auf ihrer Wange behielt. „Es ist nur ein gebrochenes Bein… ich hab schon viel schlimmere Knochenbrüche überstanden.“ Noch immer schaffte sie es die Tränen zurück zu halten. Ihm zuliebe würde sie nicht weinen. Nicht jetzt. Vermutlich wusste William selbst sehr gut, dass es in diesen Zeiten ein fast sicheres Todesurteil war, wenn man sich nicht bewegen konnte. Es gab keinen Grund ihn noch einmal darauf hinzuweisen. Für einen Moment blieb sie neben ihrem Partner sitzen. Es hatte lange gedauert bis sie einander wieder gefunden hatten. Viel zu lange. Wenn sie ihn jetzt verlor… Hannah versuchte sich von dem unvermeidlichen Gedanken abzulenken. Sie konnte nicht noch mehr verlieren. Das ertrug sie nicht. Ihr Blick war wieder zu ihren Mitstreitern gewandert. John lehnte an der Fensterbank und hatte seine Waffe im Anschlag. Er starrte hinaus in die Dämmerung. Haileys leises schluchzen erfüllt noch immer den Raum. David war vor der Brünetten in die Knie gegangen und sprach leise auf sie ein. Die Blonde kam nicht umher wieder einmal fest zu stellen, dass der Feuerwehrmann unheimlich gut mit Menschen konnte. Schon seinen Umgang mit seinem kleinen Bruder hatte Hannah immer gern beobachtet. Zumindest bis Nash verschwunden war… auch wenn David es vermied über dieses Verschwinden zu sprechen, so ahnte Hannah wie sehr es ihn noch immer mitnahm.
Stumm Williams Hand haltend lauschte sie seiner leisen Unterhaltung. Ihr Name war Rachel. Viel mehr bekam David nicht aus ihr heraus. Die Verwirrung stand ihr noch immer im tränennassen Gesicht. Dadurch, dass man im Inneren der Kirche eine Stecknadel hätte fallen hören, konnte man der leisen Unterhaltung folgen. Sie wusste nicht wo sie war… sie wusste nicht einmal welches Jahr sie gerade hatten. Eindeutig ein Gedächtnisverlust. David tauschte einen kurzen Blick mit Hannah und sie musste nicht fragen was dem Mann gerade durch den Kopf ging. Vermutlich hatten sie den selben Gedanken. Sie würden Rachel nicht mehr alleine lassen. Ganz egal, dass sie sie gerade erst aufgegriffen hatten. Ganz gleich, dass sie kein bisschen von ihrer Vergangenheit wussten. Ihre Verzweiflung und ihre Angst waren ehrlich. John würde sich schon überzeugen lassen. „Ich seh mich mal ein wenig um… vielleicht finden wir noch etwas zu essen.“ Ein Blick von William und ihr war bewusst, dass der Mann es lieber sehen würde, wenn sie nicht alleine durch die Zimmer strich. „Ich bin vorsichtig.“ Hannah war aufgestanden. Mit einem Griff hatte sie die Waffe von ihrem Gürtel gezogen und sie entsichert. In der Vergangenheit hätte sie sich nie vorgestellt, dass sie je in der Lage sein würde sicher mit einer Waffe umzugehen. Aber die Jahre hatten sie geschult. Es war schlicht nicht mehr möglich unbewaffnet durch die Straßen zu ziehen. Man musste sich wehre können, oder man starb. Der Nebenraum der kleinen Kirche war leer. Sonderlich viel konnte Hannah nicht erkennen. Der Raum hatte kein Fenster und das Licht funktionierte nicht. Während sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten, lauschte sie in die Stille der Kammer hinein. Kein Röcheln. Kein Atmen. Sie waren scheinbar wirklich alleine. Es dauerte nicht lange und Hannah hatte eine weitere Gewissheit. Nahrung würden sie hier nicht finden. Ein wenig überflüssige Weihnachtsdekoration lag in einer Ecke. In den wenigen Kisten befanden sich vor allem Dekorationen und Gegenstände für die vorherigen Messen. Schließlich kehrte Hannah mit ein paar Kerzen und einigen Pappbechern in den Händen zu ihrer Gruppe zurück. Schweigend machte sie sich daran den kleinen Campingkocher aus ihrem Rucksack zu ziehen und den Topf von dem Karabinerhaken an der Seite des Gepäckstückes zu lösen. Schließlich fischte sie ein Feuerzeug aus ihrer Hosentasche. Sie konnten alle eine Pause verdienen. Und auch wenn es besonders im Winter schwieriger war an sauberes Trinkwasser zu gelangen… jetzt gerade brauchten sie eine Pause. Hannah hatte eine Flasche gefiltertes Wasser im Topf geleerte und kramte in den Untiefen ihres Rucksackes nach der kleinen Dose, für die sie schon so oft belächelt worden war. Aber selbst wenn man ihr nachsagte, sie würde unnötigen Ballast mit sich herum schleppen. Manchmal brauchte man eben eine Pause. Stumm warf sie zwei der Teebeutel in das langsam köchelnde Wasser. Ein paar Minuten später füllte sie den Tee in die Pappbecher um und machte sich daran ihn an ihre Mitstreiter zu verteilen. Als erstes steuerte sie Hailey an. Behutsam ging sie neben der aufgelösten jungen Frau in die Knie und griff nach ihrer bebenden Hand. „Hailey? Du solltest etwas trinken…“ Die aufgelöste Blonde schüttelte nur den Kopf und wich ihrem Blick aus. „Hailey… ich bin sicher er-“ „Was? Er hätte das gewollt? Du weißt nicht was er gesagt hätte. Du weißt nicht was- du kennst ihn nicht- du- “ Hailey brach erneut in hemmungsloses Schluchzen zusammen. Hannah stellte den Becher zur Seite und zog die Blonde an sich heran. Hailey ließ sich bereitwillig führen. Einen Augenblick lang hielt sie sie einfach nur fest und ließ zu, dass die Andere ihre Trauer mit ihr teilte. Mittlerweile war ihr bewusst geworden, dass es Momente gab, in denen man schlicht nichts sagen brauchte. Das es Augenblicke gab, in denen man einfach still sein musste. Dieser hier war so ein Moment. Es brauchte etwas bis Hailey sich von ihr löste. „Ich glaub, ich wär jetzt gern ein bisschen alleine.“ Die aufgelöste Frau wich ihrem Blick aus und Hannah drückte ihr nickend den dampfenden Becher Tee in die Hand. Nachdem sie David und Rachel ihre Becher gebracht hatte, hockte sie sich wieder neben William. Sofort merkte sie seinen liebevollen Blick auf sich. „Es geht ihr sehr schlecht… manchmal hab ich den Eindruck, dass es immer schlimmer wird jemanden zu verlieren.“ Hannah strich sich erschöpft eine Strähne Haar hinter das Ohr. Mit einem tonlosen Seufzen drückte sie ihm den Becher Tee in die Hand. „Und du solltest dich ausruhen.“ Sie konnte das sanfte Lächeln auf Williams müdem Gesicht sehen bevor es richtig auftauchte. Anstatt seinen Tee zu trinken, hielt er an ihrem Blick fest. „Du gibst dir noch immer die Schuld oder?“ Wieder schnürte sich ihr Hals etwas zu. „Weil ich nun einmal an dem Unfall nicht unschuldig war..“ „Das war meine Entscheidung, Hannah.“ „Ich weiß, aber-“ „Hey… ich liege gerade mit gebrochenem Bein auf einer verdreckten Kirchenbank. Lass mir wenigstens das Wissen heldenhaft meine Freundin gerettet zu haben.“ Hannah zwang sich zu einem kleinen Lächeln. Dann beugte sie sich zu dem Autoren hinunter und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Aber nur bis es dir wieder besser geht.“ Sie blieb noch einen Moment neben ihrem Freund sitzen ehe sie sich schließlich mit dem letzten Becher auf dem Weg zum dem belagerten Fenster der Kirche zu machen. John hatte sich eindeutig in eine Position gebracht, die keine Zweifel daran offen ließ, dass er das Fenster in den nächsten Stunden nicht verlassen würde. Hannah machte sich gar nicht erst die Mühe den Mann vom Gegenteil zu überzeugen. Ohne weitere Worte schob sie ihm den dampfenden Becher vor die Nase. Durch das teilweise zerstörte Fenster drang die kalte Nachtluft in den Raum. Es hatte erneut zu schneien begonnen. Vor einigen Jahren hatte Hannah sich noch über einen weißen Dezember gefreut. Jetzt allerdings war es vermutlich mit eine der tödlichsten Dinge, die sie erwarten konnten. Es wurde zunehmend frustrierender. Stumm lehnte die Blonde sich neben John an das Fensterbrett. Anstatt ebenfalls hinaus in den Schnee zu sehen, konnte sie ihren Blick nicht von William nehmen. In der Hütte war Ruhe eingekehrt. Haileys Schniefen war leiser geworden. Der Schlaf hatte Rachel besiegt und die Brünette war auf einer der Kirchenbänke zusammengerollt eingeschlafen. David zog gerade seine Jacke aus um sie Hailey über die zitternden Schultern zu legen. Hannah kam nicht umher ihm dafür sehr dankbar zu sein. Es war gut, dass er da war. Vermutlich ging es ihm nicht unbedingt besser als dem Rest von ihrer Gruppe, aber es war gut, dass er bei Verstand blieb. Sie brauchten jemanden, der sich um sie alle kümmerte.
Wieder wanderte ihr Blick zu William. Sein Kopf lag auf seiner Schulter und auch er war eingeschlafen. Das verletzte Bein lag nach wie vor unbeweglich ein wenig hoch gelagert. Wieder merkte die Blondine, wie sich ihr Hals zuschnürte. So konnten sie nicht weiter gehen. Hier konnten sie unmöglich länger bleiben und William würde so definitiv nicht weiter gehen können. Sie brauchten Hilfe. Wenn sie ihn verlor, dann- „Er wird schon wieder.“ Aus ihren Gedanken gerissen, zuckte Hannah kurz zusammen. Erst jetzt merkte sie, dass John nicht mehr aus dem Fenster sah, sondern den Blick auf sie gerichtet hatte. Ihre Sorge war wohl noch immer nicht aus ihrem Blick gewichen, denn John sprach weiter. „Die Straße hoch standen ein paar Wagen. Ich guck morgen ob einer von denen anspringt.“ Hätte Hannah nicht in den letzten Monaten gelernt, dass John ganz und gar nicht auf körperliche Nähe stand, sie wäre ihm in diesem Moment um den Hals gefallen. So aber erwischte sie sich bei einem leisen Schniefen und beeilte sich den Blick von dem großen Mann neben sich zu nehmen. Anders wäre sie vermutlich definitiv in Tränen ausgesprochen. Der letzte Blick zu dem schlafenden William allerdings reichte und Hannah merkte, dass es zu spät war. Ihre Wangen fühlten sich nass an. „Was, wenn er es nicht schafft? Was wenn die Wagen nicht anspringen und wir hier fest sitzen? Was wenn- wenn er - wenn wir-“ Hannah brach ab. John sagte nichts. Schniefend beeilte sie sich ihre Wangen mit den verdreckten Handrücken zu trocknen. Kurze Zeit war es still zwischen ihnen. Hannah war schon fast gewillt sich wieder weg zu drehen. Dann bewegte sich John und schob seinen halb geleerten Teebecher über die verdreckte Fensterbank vor die Nase der Blondine. „Mach ’ne Pause, Hannah.“ Wieder merkte Hannah, wie sich ihr Hals ein wenig fester zuschnürte. Ein kurzer Blick zu dem großen Mann neben sich. Kurzerhand stellte sie sich auf die Zehenspitzen und zog ihn kurz zu sich runter. Ein kurzer, kaum merkbarer Kuss auf die Wange folgte. Ehe er etwas sagen konnte, deutete sie über denen Kopf. Dort hing ein vertrockneter Mistelzweig. „Du solltest wohl auch eine Pause machen.“ John gab ein leises Schnauben von sich. Erschöpft nahm sie den noch warmen Becher in beide Hände und nippte an dem Getränk. Vielleicht hatte John recht… vielleicht war eine kurze Pause nicht das Schlechteste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)