Wolf im Schnee von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 10: Pet --------------- Als Stiles am Morgen erwachte, stellte er mit Erleichterung fest, dass aus der Bewusstlosigkeit des Wolfes mittlerweile ein tiefer, seliger Schlaf geworden war. Woher er das wusste? Miguel schnarchte, als wolle er sämtliche Wälder Alaskas umsägen und schmatzte dabei gelegentlich. Und offenbar träumte er auch, denn er wedelte hin und wieder ein wenig mit seinem Schwanz. Stiles lächelte. Dann erst fiel bei ihm der Groschen: Wedelte mit dem Schwanz? Das konnte nur eines bedeuten; nämlich dass der Wolf doch keine Querschnittslähmung davongetragen hatte. Stiles fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen! Vorsichtig, ohne das Tier aufzuwecken, rückte er von ihm ab, erhob sich und begann erst einmal damit, dass Chaos aufzuräumen, welches bei der gestrigen Lebensrettungsaktion entstanden war; medizinisches Equipment, blutige Tupfer und Tücher und so weiter. Als das getan war, sah der Wissenschaftler noch einmal nach seinem Patienten. Weil er feststellte, dass dieser immer noch tief und fest schlief, wagte er es, sich schnell unter die Dusche zu stellen. Bei seiner Rückkehr begann Miguel gerade aufzuwachen. Das Tier hob müde den Kopf und blickte ihn erwartungsvoll an: „Hey, Großer!“ begrüßte Stiles ihn zärtlich, setzte sich zu ihm, um ihm ausgiebig den Kopf zu kraulen und wollte wissen: „Wie sehr hasst du mich jetzt, dafür dass ich dir gestern so weh getan habe, hm?“ Anscheinend hasste Miguel ihn überhaupt nicht. Im Gegenteil! Der Wolf legte den Kopf auf das Knie des Menschen, gab unter den Zärtlichkeiten, die ihm gerade zuteil wurden, eine Art zufriedenes Schnurren von sich und sabberte sogar ein klein wenig, als sei er das größte Schmusekätzchen, das die Welt je gesehen hatte. Stiles lachte zufrieden, erhob sich wieder und wollte dann wissen: „Denkst du, du kannst aufstehen, Miguel? Dann gehen wir kurz vor die Tür und du kannst dein Geschäft verrichten, ein bisschen frische Luft schnappen, oder was auch immer. Na, komm! Los geht´s!“ Der Wolf sah überhaupt nicht glücklich darüber aus, dass seine Streicheleinheiten einfach so jäh beendet worden waren. Noch weniger entzückte ihn scheinbar die Aussicht, dass er sich nun auch noch bewegen sollte, doch Stiles bestand darauf, weil er wollte, dass der Kreislauf des Tieres wieder in Gang kam. Er klatschte aufmunternd in Hände und feuerte Miguel mit Worte an, bis das Tier sich schließlich tatsächlich doch noch großzügig dazu herabließ, sich schwerfällig zu erheben. Stiles beobachtete seinen Patienten genau und stellte fest, dass dieser ein wenig torkelte, als sei er betrunken und dass er überdies die Hinterpfoten eher hinter sich her schleifte, als dass er wirkliche Schritte mit ihnen tun konnte. Dies war sicherlich gleichermaßen auf die Vergiftung, wie auch auf die Verletzung zurückzuführen und Stiles hoffte ganz einfach, dass beides im Laufe der Zeit von allein vergehen würde, denn es gab leider nicht viel, was er dagegen unternehmen konnte. Dem Wolf behagte seine verletzliche Situation ganz offensichtlich überhaupt nicht, doch Stiles versprach: „Komm´ schon, mein Großer! Bei mir bist du ganz sicher! Ich passe auf dich auf!“ Und sogleich ließ er seinen Worten Taten folgen, öffnete die Tür und blickte sich mithilfe eines Fernglases nach allen Seiten um und erst als er sicher war, dass weder Jäger, noch wilde Tiere in der Nähe waren, ließ Stiles den Wolf nach draußen. Dieser humpelte unsicher los, blickte sich misstrauisch um und hielt sich zunächst ausschließlich in der Nähe des Menschen auf, bis er schließlich ein wenig mutiger wurde und loslief, hier und da ein wenig schnupperte, sich versuchsweise etwas im Schnee wälzte, sein Bein an einem Busch hob und sich dann schließlich immer weiter entfernte. Doch urplötzlich überkam Stiles ein seltsames Gefühl. Was, wenn der Wolf nun einfach verschwinden würde? Die schwarze Gestalt wurde jedenfalls immer kleiner und aus irgendeinem Grund wurde dem Menschen nun ganz schlecht und sein Herzschlag ging rasend schnell. Es war beinahe wie eine dieser Panikattacken, die er in seiner Jugend häufiger gehabt hatte. Als hätte es der Wolf gespürt, hielt er abrupt inne, blickte sich um und machte sich schließlich wieder auf den Rückweg. Bei Stiles angekommen schleckte er ihm die Finger ab, beinahe als wolle er sich entschuldigen und stupste den Menschen an, um ihm zu bedeuten wieder hinein zu gehen. „Ich weiß, für dich beginnt bald die Paarungszeit, aber du bleibst doch noch ein bisschen bei mir, oder?“ fragte Stiles das Tier mit einem unsicheren Lachen und kam sich dabei vollkommen lächerlich vor. Anstatt einer Antwort humpelte der Wolf einfach auf die Eingangstür zu, was sich wohl als ein `Ja´ interpretieren ließ. Wieder im Haus überlegte der Biologe, was seinem tierischen Patienten wohl zum Frühstück schmecken mochten und servierte ihm schließlich gekochten Reis, den er noch vom Vortag übrig hatte, welchen er mit drei Dosen Thunfisch verrührte. Nun würde sich zeigen, ob sein Gast trotz seiner enormen Größe ein reiner Wolf, oder vielleicht doch eher ein Hund-Wolf-Hybride war, wie Stiles vermutete, denn Wölfe waren reine Karnivoren, wohingegen der Verdauungstrakt von Hunden auch Mischkost vertrug. So oder so würde es gar nicht so leicht werden, ein hundert Kilo schweres Tier aus seinen begrenzten Vorräten zu verköstigen. Das war nicht dasselbe, wie einen kleinen Polarfuchs mit durchzufüttern. Stiles stellte sich schon mal darauf ein, selbst ein wenig kürzer zu treten und sich überdies auf vegetarische Kost zu beschränken. Er rührte Milchpulver in die entsprechende Menge Wasser und goss sich das Ganze über seine Cornflakes. Der Wolf vertilgte sein Frühstück in Windeseile und blickte den Menschen danach erwartungsvoll an, so dass dieser sich seufzend erhob und dem Wolf zum Nachtisch auch noch ein Drittel seines Vorrats an Trockenfleisch kredenzte. Zum Glück käme Danny ja in einer Woche wieder. Stiles musste ihm unbedingt vorher eine Nachricht schicken, dass seine kommende Bestellung gehörig aufgestockt werden musste. Als sie beide satt waren, erklärte Stiles: „Und weißt du, was wir jetzt tun, mein Freund? Jetzt werde ich dich unter die Dusche stellen! Dein ganzes Fell ist schließlich verklebt von Blut und du fängst langsam an zu riechen. Außerdem müssen Indoor-Wölfe sauber sein!“ Der Wolf schien zu ahnen, was ihm bevorstand, denn er hatte keineswegs die Absicht, dem Menschen in die Nasszelle zu folgen. Stiles musste ihn erst wie einen ungezogenen Welpen am Nackenfell schnappen und mit sanfter Gewalt hinter sich her schleifen. Als nun das lauwarme Wasser angestellt wurde, gab Miguel ein entrüstetes Schnauben von sich und versuchte sogleich, wieder aus der Wanne hinauszuspringen, doch da war Stiles unerbittlich und verstellte ihm den Weg: „Tut mir leid, Kumpel! Wenn du und ich nun zusammen wohnen wollen, dann ist ein Minimum an Hygiene eben nötig. Da draußen in der Wildnis kannst du dich in Aas und Exkrementen wälzen, soviel du willst, aber ich bin ein Mensch und werde von so etwas krank!“ erklärte er ihm geduldig, als er das Tier liebevoll einschäumte. Schließlich spülte Stiles das Shampoo gründlich wieder aus und vor ihm stand nun ein großer Wolf mit gesenktem Kopf und leidender Miene, der mit seinem tropfnassen, herabhängenden, schwarzen Pelz plötzlich nur noch halb so imposant wirkte. Doch Miguel wusste sich durchaus für die erlittene Misshandlung zu rächen, denn gerade als Stiles sich nach einem Handtuch für ihn umdrehen wollte, begann das Tier ausgiebig damit, sich zu schütteln und verwandelte damit das Badezimmer in wüste Wasserspiele: Stiles, der nun von Kopf bis Fuß tropfnass war, schimpfte erbost: „Ganz toll, du kleines Monster. Bist du jetzt stolz auf dich? Das war sehr, sehr böse!“ Der Wolf wirkte davon wenig beeindruckt. Er wedelte fröhlich mit dem Schwanz und wenn Stiles nicht genau gewusst hätte, dass das unmöglich war, dann hätte er sogar behauptet, dass Tier würde ihn auslachen: „Ja, du mich auch!“ fluchte Stiles, wischte die Sauerei weg und schälte sich dann aus den nassen Klamotten, um sich etwas Frisches herauszusuchen. „Und nun komm´ du Verbrecher! Wir müssen noch deinen Verband wechseln!“ knurrte Stiles immer noch ein wenig verstimmt und dirigierte das Tier ins Labor. Verblüfft stellte der Biologe fest, dass die Verletzung bereits verschorft war. Außerdem war dies doch gestern Abend noch ein tiefes Loch im Fleisch gewesen, oder nicht? Doch davon war heute nichts mehr zu sehen. Eigenartig! Eigentlich hatte Stiles sogar eine Entzündung befürchtet und einen sehr langwierigen Heilungsprozess, doch dies hier glich einem echten Wunder. Der Mensch schüttelte ratlos den Kopf und fragte das Tier: „Was meinst du Miguel, wirst du mir wohl eines Tages verraten, was das Besondere an dir ist?“ Natürlich antwortete der Wolf darauf nicht, doch es hätte Stiles wohl auch nicht mehr erstaunen können, wenn er es tatsächlich getan hätte. Bis zum Mittagessen verzog sich Stiles in sein Labor, um noch ein bisschen zu arbeiten. Dem Wolf hatte er zuvor ein bequemes Lager im Flur bereitet, damit dieser sich noch ein wenig gesund schlafen konnte. Als es Zeit wurde, einen Pause einzulegen, gab es für Stiles Nudeln mit Tomatensauce und für den Wolf das dafür vorgesehene Hackfleisch, verlängert mit ein paar leckeren rohen Eiern für ein glänzende Fell: „Lass´ es dir schmecken, Kumpel!“ sagte der Mensch gutmütig und wandte sich seiner eigenen schlichten Mahlzeit zu. Danach stürzte er sich ein weiteres Mal für viele Stunden in seine Arbeit und war darin sogar so vertieft, dass er sich nicht einmal vom Knurren seines eigenen Magens stören ließ. Erst als Miguel irgendwann damit anfing, an seinem Hosenbein zu zupfen, wurde dem Wissenschaftler bewusst, dass es wohl langsam Zeit wurde, den Feierabend einzuläuten. Nach dem Abendessen fand Stiles dann, er hätte sich einen DVD-Abend und eine große Schale gesalzenes Mikrowellen-Popcorn verdient. Er legte den Film `Wolfsblut´ nach einer Erzählung von Jack London ein. Miguel fand indes, er habe sich Streicheleinheiten und seinen Anteil am Popcorn verdient. Er kletterte mühsam neben den Menschen auf das Sofa und platzierte dann seinen großen Kopf auf dessen Schoß. Der Aufforderungscharakter dieser Handlung ließ sich beim besten Willen nicht ignorieren: „Also gut, du Räuber! Du hast gewonnen“ erklärte Stiles mit einem gutmütigen Grinsen, kraulte dem Wolf ausgiebig die Brust, welcher sich daraufhin lustvoll knurrend auf den Rücken wälzte, um dezent darauf hinzuweisen, dass er auch einen äußerst flauschigen und liebesbedürftigen Bauch hatte. Stiles musste lachen: „Du bekommst wohl gar nicht genug, was?“ Wahrere Worte waren nie gesprochen worden, denn während des ganzen Filmabends ließ Miguel sich streicheln und wann immer Stiles darin auch nur für einen Moment innehielt, wurde er dafür mit der Schnauze angestupst. Als ihnen beiden schon fast die Augen zufielen, erhob Stiles sich schließlich schwerfällig, verschwand kurz im Bad, ließ den Wolf noch einmal kurz vor die Tür, wies ihm dann sein Nachtlager im Flur und verschwand selbst in seinem eigenen Schlafzimmer. Er hatte die Tür offen gelassen und es dauerte keine fünf Minuten, ehe das Tier dem Menschen dorthin folgte: „Na, Miguel? Bist du einsam?“ fragte Stiles schläfrig. Die Antwort lautete offenbar Ja, denn nun erklomm der Wolf nämlich die Schlafstätte des Menschen. „Nein, das geht nicht! Hier ist es zu eng für uns beide.“ klagte Stiles, doch das sah Miguel vollkommen anders und hatte auch schon eine Idee, die offensichtlich inspiriert war von Spielen wie `Jenga´ oder `Tetris´, wie sich das Platzproblem lösen ließ. Die Antwort lautete STAPELN und der Wolf ließ sich kurzerhand halb auf, halb neben dem Menschen nieder: „Du bist SCHWER!“ beschwerte sich Stiles, doch das interessierte Miguel nicht im Geringsten. Er parkte einfach bloß seine Schnauze in der Halsbeuge seines Menschen und war kurz darauf zufrieden schnarchend eingeschlafen. Und Stiles selbst musste zugeben, dass er sich ausgesprochen warm und sicher unter dem schweren pelzigen Leib fühlte. Viel zu früh am kommenden Morgen war der Wolf bereits wieder wach und `ready for action´, wie Stiles an den großen Pfoten merkte, die auf seinem Bett umherliefen und damit schweren Seegang simulierten. Der Biologe rollte sich murrend auf den Bauch, vergrub sein Gesicht in seinem Kissen und das nächste, was er spürte, war eine lange, raue Zunge, die über seinen Nacken fuhr. Stiles beschloss, dies zu ignorieren, so dass der Wolf nun dazu überging, spielerisch nach seinem Nacken zu schnappen. Stiles kicherte: „Also gut, du hast gewonnen! Ich stehe gleich auf!“ versprach er. Und er verschwendete dabei keinen einzigen Gedanken daran, dass da ein wildes Tier mit Reißzähnen, lang und scharf wie Dolche an seinem Genick knabberte und dass dies möglicherweise eine potenziell gefährliche Situation war. Stattdessen drehte er sich wieder herum, schlang kurz die Arme um seinen Wolf und rieb sein Gesicht an dessen Pelz und erhob sich dann, um ins Bad zu gehen. Als er nach einer Weile Miguel zum Frühstück holen wollte, saß dieser immer noch im Bett und kaute, zufrieden mit sich und der Welt auf dem T-Shirt herum, in welchem Stiles geschlafen hatte: „Im Ernst? Was soll denn das werden, du Racker? Nun ist es kaputt!“ schimpfte der Mensch Augen rollend. Der Wolf beantwortete dies mit einem fröhlichen, lebhaften Bellen und Schwanzwedeln. Dieses T-Shirt war einmal verdammt teuer gewesen. Das wusste Stiles, weil Lydia es ihm gekauft hatte. Alles, was Lydia je für ihn gekauft hatte, war teuer gewesen. Es waren auch immer genau die Kleidungsstücke, für die er von seiner Umwelt die Komplimente bekam. Genauso waren es immer genau die Kleider die kratzten, ihn am Kragen würgten, oder an denen man den ganzen Tag herumzupfte, damit sie so saßen, wie es vorgesehen war. Kurz gesagt, er hatte sich in diesen Sachen nie wohl, oder wie er selbst gefühlt und das war auch kein Wunder, denn im Grunde hatte seine Ex-Frau mit diesen Kleidungsstücken immer bloß versucht, aus ihm den Mann zu machen, den sie gern gehabt hätte. Und mit einem Mal fühlte Stiles Genugtuung, als er dabei zuschaute, wie Miguel mit seinen scharfen Zähnen das blöde T-Shirt in Streifen riss! Der Wolf schenkte ihm sein strahlendstes Raubtier-Lächeln und Stiles wurde mit einem Mal etwas klar: Wenn Miguel ihm signalisieren sollte, dass er nicht in die Wildnis zurückkehren, sondern lieber bei ihm bleiben wollte, dann würde er ihn mit nachhause nehmen! Er hörte bereits Freunde und Familienmitglieder, die ihn fragten, ob er wohl den Verstand verloren hätte, sowie die Kollegen im Institut, die ihm vorwerfen würden, dass er die professionelle Distanz verloren hätte, doch das war ihm egal! Das was er jetzt hatte, war genau das, wovon der fünfjährige Mieczyslaw Stilinski geträumt hatte, als er seinem Dad erklärt hatte, dass er zum Geburtstag gern einen Wolf hätte. Bekommen hatte er bloß ein langweiliges Meerschweinchen! Vielleicht drehte er ja gerade durch vor Einsamkeit, aber das hier fühlte sich an, wie... ...Schicksal? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)