Nur ein Experiment von Kerstin-san ================================================================================ Kapitel 1: Nur ein Experiment ----------------------------- Das Handy klingelt genau in dem Moment, als Molly gerade dabei ist, sich in ihrer Küche eine wohlverdiente Tasse Tee zu kochen. Der Wasserkocher brodelt bereits vor sich hin und alles was sie will, ist es diese eine Tasse fertig zu machen, sich auf der Wohnzimmercouch in eine Decke einzuwickeln und ihre hämmernden Kopfschmerzen loszuwerden. Erkältungen sind so unglaublich lästig. Die Pathologin ist froh, dass sie heute auf der Arbeit etwas früher Schluss machen konnte und hat sich seitdem auf eine heiße Tasse Tee mit Zitrone und einem großzügigen Klecks Honig gefreut. Ein altes Hausrezept ihrer Mutter.   Molly riskiert einen Blick auf ihr Handy und unterdrückt nur mühsam ein genervtes Aufstöhnen. Sherlock. Was auch immer es ist, er wird wohl ohne sie auskommen müssen. Besser sie nimmt den Anruf gar nicht erst entgegen, ehe sie sich wieder in ein Gespräch verwickeln lässt. Molly widmet sich stattdessen lieber der frischen Zitrone und beginnt diese fein säuberlich in Scheiben zu schneiden. Ihr Handy klingelt währenddessen munter weiter, aber Molly ignoriert es stoisch. Als sie das Glas Honig aus ihrem Küchenschrank fischt, bricht der laute Klingelton endlich ab und Molly atmet erleichtert aus. Hoffentlich wird Sherlock sich mit ihrer Mailbox zufrieden geben.   Die angenehme Ruhe ist jedoch nur von kurzer Dauer. Erneut unterbricht der durchdringende Klingelton Mollys Bemühungen, den Tee fertig zu kochen. Offensichtlich hat sie sich zu früh gefreut. Natürlich ist es wieder Sherlock. So wie sie den exzentrischen Detektiv kennt, wird er sie so lange mit seinen Anrufen terrorisieren, bis sie endlich antwortet und ihm - bei was auch immer er gerade tut - behilflich ist. Besser also, sie bringt das Ganze schnell hinter sich. Genervt quetscht Molly die letzten Tropfen aus der Zitrone in ihre Tasse, ehe sie sich schnell die Hände abtrocknet und den Anruf wenig begeistert entgegen nimmt. „Hallo, Sherlock. Ist es dringend? Mir geht es heute nicht so gut“, begrüßt sie ihn lustlos. Besser er merkt gleich, wie wenig Interesse sie hat, sich jetzt auch noch mit ihm zu beschäftigen. Der pochende Schmerz hinter ihrer Stirn scheint sich noch mehr zu verstärken und Molly schließt gequält die Augen.   Wie üblich ignoriert Sherlock ihre subtilen Andeutungen und rattert ohne irgendeine Art von Begrüßung einfach los. „Molly, ich möchte, dass Sie etwas für mich tun, das ganz leicht ist, und nicht fragen wieso.“ Das genervte Seufzen, das ihr darauf hin entweicht, kann die Pathologin einfach nicht zurückhalten. „Oh Gott“, stöhnt sie frustriert. „Ist das wieder so ein Spielchen von Ihnen?“ Unfassbar, dass sie wegen so etwas von ihrem Tee ferngehalten wird. Sherlocks beherrschte Stimme unterbricht ihre Gedankengänge. „Nein, das ist kein Spiel“, meint er knapp. „Ich...“ Er zögert kurz und entscheidet sich offenbar für eine andere Formulierung. „Sie müssen mir helfen.“ Molly ist verwirrt und wider Willen neugierig. Es kommt nicht oft vor, dass Sherlock sie um Hilfe bittet. Sicher, es klang eher befehlend, aber trotzdem. Sherlock fragt normalerweise nicht nach Hilfe. „Aber… ich bin nicht im Labor“, entgegnet sie hin- und hergerissen zwischen ehrlicher Neugierde und der verlockenden Aussicht auf etwas Ruhe. „Darum geht es nicht“, entgegnet Sherlock jedoch nur kurz angebunden und Molly gibt sich geschlagen. Was kann es schon schaden, sich sein Anliegen anzuhören, wenn sie dafür offensichtlich nicht mal etwas untersuchen muss? Außerdem scheint sie ihn ja sowieso nicht abwimmeln zu können. „Gut“, seufzt sie. „Dann schnell.“ Molly wartet einige Augenblicke, aber von Sherlock kommt keine Reaktion. Entnervt atmet sie aus „Sherlock?“, ruft sie ungeduldig. „Was gibt’s? Was wollen Sie?“ Endlich bequemt er sich zu einer Antwort. „Bitte, Molly, fragen Sie mich nicht wieso, sagen Sie einfach diese Worte.“ Molly ist sofort auf der Hut und geht beinahe automatisch in die Defensive. „Welche Worte?“, fragt sie skeptisch. „Ich liebe dich“, antwortet Sherlock vollkommen beherrscht und Molly blinzelt zuerst irritiert und dann wütend ihr Telefon an. „Lassen Sie mich in Ruhe“, entgegnet sie verletzt und wünscht sich sofort, dass ihre Worte abwehrender und giftiger und nicht so kraftlos klingen würden. Was bildet sich dieser Mann eigentlich ein? „Molly, nein, bitte nicht!“, ruft Sherlock laut und mit überschlagender Stimme. „Nicht auflegen! Legen Sie nicht auf!“ Wider besseren Wissens lässt sich Molly auf eine weitere Diskussion ein. „Wieso tun Sie mir das an?“, fragt sie aufgelöst. „Wieso machen Sie sich über mich lustig?“ Wie üblich lässt sich Sherlock zu keiner Erklärung seines merkwürdigen Verhaltens herab. „Bitte, ich schwöre, Sie müssen mir nur zuhören“, tönt es blechern und hektisch aus ihrem Lautsprecher. „Molly, das ist für einen Fall. Es ist...eine Art Experiment.“ Mit einem Mal ist Molly ganz ruhig. Nicht weil sie sich von diesem Schock erholt hat, sondern weil sie von kalter Wut durchströmt wird. Für einen Fall, natürlich. Was sollte es auch anders sein? Sherlock Holmes und seine üblichen Experimente, damit er einen Fall lösen kann. Und natürlich ist es mal wieder die Art von Experiment, die Mollys Gefühle verletzt. Was für eine Überraschung! „Ich bin kein Experiment, Sherlock“, sagt sie entschieden und ein bisschen verächtlich. Zu ihrer Überraschung scheint der Meisterdetektiv zu bemerken, warum sie auf einmal so unterkühlt reagiert. „Nein, natürlich sind Sie kein Experiment. Sie sind eine Freundin. Wir sind Freunde“, entgegnet er schmeichelnd und mit viel freundlicherer Stimme. „Aber, bitte, jetzt sagen Sie diese Worte für mich.“ Der letzte Satz klingt genauso herrisch und fordernd, wie sonst auch. So wie Sherlock für gewöhnlich immer klingt, wenn er seinen Kopf durchsetzen will.   Zu Mollys Entsetzen ist sie auf einmal wieder den Tränen nahe. Was tut dieser Mann ihr nur regelmäßig an? Wie kann er noch immer so eine Macht über sie haben? Nach allem, was sie wegen ihm schon durchgemacht hat? Nach all den Jahren ist es immer noch das selbe. Es ist wirklich frustrierend. „Bitte tun Sie das nicht“, schluchzt Molly erstickt auf. „Das...Das... Lassen Sie das“, fleht sie. Wie nicht anders zu erwarten, werden ihre Bitten und Wünsche von Sherlock wieder einmal mit Füßen getreten. „Es ist sehr wichtig“, entgegnet er so ruhig und kontrolliert, als hätte sie gar nichts gesagt. So als würde es ihn überhaupt nicht berühren, was er hier in ihr auslöst. Und vielleicht tut es das auch nicht. „Ich kann nicht sagen wieso, aber ich schwöre es Ihnen“, fahrt er nach kurzem Zögern fort. Molly schüttelt verzweifelt den Kopf und starrt abwesend vor sich auf die Küchenplatte. Sie kann das nicht. Unmöglich. Was für ein krankes Experiment soll das nur sein? Macht es Sherlock so viel Spaß auf ihren Gefühlen herumzutrampeln? Molly hat mittlerweile stillschweigend akzeptiert, dass er für sie nie das Empfinden wird, was sie für ihn fühlt. Das ist in Ordnung. Aber das hier ist etwas ganz anderes. Sie will sich nicht seinem Spott aussetzen. „Ich kann das nicht sagen“, wehrt sie verzweifelt ab. „Ich...Ich kann das nicht zu Ihnen sagen.“ Er weiß warum. Er weiß es ganz genau. Sherlocks nächsten Worte treffen Sie daher völlig unvorbereitet und mitten ins Herz. „Doch. Natürlich. Wieso denn nicht?“, fragt er munter und am liebsten würde Molly ihm dafür quer durch das Telefon hindurch eine Ohrfeige verpassen. Sie beherrscht sich mühsam, um ihn nicht wütend anzufahren. „Sie wissen wieso“, entgegnet sie so ruhig, wie es ihr gerade möglich ist. „Nein, ich weiß nicht wieso“, entgegnet Sherlock mit der ihm so üblichen Entschiedenheit und Mollys Lippen entweicht ein ungläubiges und halb ersticktes Schluchzen, während sie sich abwesend über die Nase wischt. Sie fragt sich, ob dieses Theater etwa schon ein Teil seines Experimentes ist. Egal, wie schlecht Sherlock schon immer mit Gefühlen und Emotionen war, es ist unmöglich, dass er keine Ahnung hat, was er mit diesem Anruf gerade anrichtet. So ahnungslos kann er einfach nicht sein. „Natürlich wissen Sie's“, entgegnet sie schnippisch. „Bitte“, sagt Sherlock fast flehend. „Sagen Sie es jetzt.“ Obwohl Molly wütend und frustriert sein sollte, gewinnen doch die Tränen die Oberhand. „Ich kann es nicht“, schluchzt sie erstickt. Verfluchte Erkältung denkt sie ärgerlich. Wenn sie erkältet ist, ist sie aus irgendeinem Grund besonders nahe am Wasser gebaut. „Nicht zu Ihnen.“ Ärgerlich wischt sie die Tränen beiseite. Wem will sie hier eigentlich einreden, dass es nur an der Erkältung liegt, dass sie gerade in Tränen zerfließt? „Warum?“, fragt Sherlock nüchtern. „Weil“, setzt Molly an und muss tief durchatmen. „Weil es wahr ist“, würgt sie hervor und da sie sich nicht sicher ist, ob die Bedeutung auch wirklich bei Sherlock ankommt, wiederholt sie es zur Sicherheit noch einmal. „Weil es wahr ist, Sherlock.“ Sie muss erneut ein Schluchzen unterdrücken. „Es war schon immer so.“ Ob er damit zufrieden ist? Hat er jetzt endlich verstanden, was ihr Problem ist? Offenbar nicht, denn seine nonchalante Antwort besteht lediglich in einem: „Wenn es wahr ist, dann sagen Sie es doch einfach.“ Mollys Kehle entringt sich daraufhin tatsächlich so etwas wie ein ersticktes Lachen und sie schüttelt ungläubig den Kopf über seine Dreistigkeit. „Sie Mistkerl“, murmelt sie fassungslos, aber Sherlock wischt die Beleidigung einfach bei Seite. „Sagen Sie es trotzdem.“ Molly hat keine Ahnung woher ihre nächsten Worte stammen, aber ihren Lippen entweicht tatsächlich ein: „Sagen Sie es.“ Sie ist über sich selbst erstaunt. „Na los, sagen Sie es zuerst“, schiebt sie hastig hinterher. Molly verbucht es als Triumph, dass sie den großen Sherlock Holmes daraufhin kurzzeitig sprachlos erleben darf. „Was?“, ertönt es nur perplex aus ihrem Telefon. „Sagen Sie's“, meint sie entschieden. „So als würden Sie es ernst meinen.“ Wenn er der Meinung ist, irgendwelche Spielchen mit ihr spielen zu können, kann sie das Ganze auch genauso gut umdrehen. Und ein kleiner selbstsüchtiger Teil in ihr möchte tatsächlich nichts lieber, als genau diese Worte nur ein einziges Mal aus seinem Mund zu hören. „Ich...“, ertönt es unsicher und Molly kneift instinktiv die Augen zusammen und lehnt sich noch näher an den Lautsprecher ihres Handys heran. „Ich...liebe dich“, sagt Sherlock, aber es klingt irgendwie falsch und Molly zögert. So als würde er ihre Zweifel spüren, wiederholt Sherlock es nach einem kurzen Moment noch einmal. „Ich liebe dich.“ Diesmal klingt es entschiedener und Molly starrt ihr Handy nachdenklich und auch erschüttert an. Sie bringt es nicht fertig daraufhin irgendetwas zu entgegnen. „Molly?“, ertönt es blechern. „Molly, bitte!“ Diesmal klingt Sherlock verzweifelt.   Es ist nur ein Experiment, ruft sie sich in Erinnerung. Nur ein Experiment. Das hat er zu Beginn gesagt, aber für Molly ist es so viel mehr als das. Es ist eine Qual. Denn Sherlocks Liebeserklärung klang täuschend echt und Molly möchte nichts mehr, als es glauben zu können. Sie wünscht sich sehnlichst, dass es wirklich wahr ist und nicht nur für irgendeinen Fall. Obwohl sie es so viel besser weiß. Sie hat ihn förmlich dazu gezwungen diese Worte auszusprechen. Sie weiß, dass er es nicht wirklich so meint. Sie hat keine Ahnung, was Sherlock überhaupt mit diesem Anruf bezweckt, aber er klang ernst, als er meinte, dass es wichtig sei und er hat sogar Mollys Spielchen mitgespielt. Die Pathologin atmet tief durch und legt ihre ganzen Gefühle in diesen einen Satz, den sie ihm jetzt sagen wird. „Ich liebe dich“, haucht sie schließlich gequält in ihr Handy. Ihre Stimme ist leise, aber sie meint jedes Wort ernst. Molly glaubt ein erleichtertes Ausatmen am anderen Ende der Leitung zu hören. Vielleicht ist es aber auch nur Einbildung. Dann nur noch Stille und zuletzt der piepende Ton, der ihr verrät, dass die Verbindung unterbrochen wurde.   Gepeinigt kneift Molly erneut ihre Augen zusammen. Sie kann nicht verhindern, dass ihre Augen erneut brennen und wischt sich wütend einige verräterische Tränen ab. Was immer das hier auch gerade war, sie hofft, dass es das wirklich wert war. Dass es nicht nur irgendein Experiment von Sherlock war, sondern wirklich wichtig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)