Monstrum von Daelis ================================================================================ Kapitel 5: I died for you ------------------------- ♫ Oh how I love you The pain won't go away Oh when I need you You're always so far away I cry for you Leaving myself to blame I died for you I gave up everything ♫   Hinter der Geheimtür hatte ihn eine schmale Treppe hinabgeführt, bestimmt zwei Geschosse - also unter den Keller, mutmaßte Gabriel. Die schale Beleuchtung flackernder Lampen erhellte den Weg nur unzulänglich, sodass er jeden Schritt bewusst tat, um nicht zu stürzen oder seine Anwesenheit preiszugeben. Die Treppe endete an einer schweren Sicherheitstür, die Reaper langsam aufzog, war sie zu seiner Überraschung und Freude zugleich doch nicht verschlossen. Immerhin dieses Ärgernis blieb ihm erspart, wenn schon sonst nichts. Nur ein leises Klicken verriet, dass die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Vor Reaper lag nun ein kurzer Flur, hell erleuchtet von Neonröhren. Vier Türen zweigten ab. Zwei davon führten zu Toilettenräumen, die durchsuchte Gabriel als erstes, doch beide stellten sich als leer heraus. Keine Staubschicht überzog die Waschbecken, keine schlammigen Fußspuren auf dem Boden. Die Sauberkeit gab klar Aufschluss darüber, dass hier nicht geplündert worden war und die Räume zumindest bis vor kurzem noch aktiv genutzt wurden. Die dritte Tür führte in ein Treppenhaus, das Reaper zwar hinaufblickte, aber dann nicht weiter untersuchte, sondern einfach den Notriegel von innen vorlegte. Von dort könnte ihm also niemand in den Rücken fallen. Blieb die vierte Tür, welche Gabriel vorsichtig aufschob und doch noch in der Bewegung innehielt. Aus dem Raum konnte er Schritte hören, dann das unnachahmliche Geräusch, wie eine Waffe durchgeladen wurde. Ohne zu zögern löste er seine Gestalt auf, verwandelte sich in einen Schwall schwarzen Rauches und drang auf diese Weise, schier unverletzbar - oder zumindest glaubten das die meisten - in den Raum ein.   Noch ehe er seine feste Gestalt wieder angenommen hatte, war ihm bereits klar, wer ihm hier gegenüberstand. Das Aufblitzen des roten Visors, das warme Licht goldener Flügel. Soldier: 76 und Mercy. Overwatch. Jack und Angela. Von allen, die sich ihm in den Weg hätten stellen können, waren es ausgerechnet diese beiden. Das Schicksal hatte wirklich einen grausamen Sinn für Humor. Jeden anderen der Agenten Overwatchs hätte er ohne mit der Wimper versucht zu töten und er wusste, bei Jack konnte ihn das kleinste Zögern das Leben kosten. Sie beide kannten einander viel zu gut, wussten wie der jeweils andere dachte und kämpfte. Jack kannte jeder seiner Stärken und Schwächen, ebenso wie Gabriel seine kannte. Bei ihrer letzten Auseinandersetzung hatte er die Überraschung auf seiner Seite gehabt, Jack allerdings Ana, weshalb sie beide heute noch hier standen. Andernfalls hätte er seinen einstigen besten Freund früher womöglich getötet - und es anschließend bereut. All der Dinge zum Trotz, die sie trennten und zu Feinden machten, konnte Gabriel doch nicht abschütteln, was sie beide für einander einst gewesen waren. Kollegen, beste Freunde, Brüder. Dennoch schoss er. Die Kugeln verfehlten die beiden Menschen, doch Gabriel hatte nicht einmal halbherzig gezielt. Jack zu töten, das brächte er womöglich über sich. Irgendwie. Aber nicht hier und jetzt, während Angela zusah. Das konnte er ihr nicht antun. Nicht nach allem, was geschehen war, was sie für ihn getan hatte und was sie für ihn war. Ein Licht im Dunkeln, ein Schimmer der Hoffnung, dass er unter Reapers Maske doch noch immer Gabriel Reyes war. Jack erwiderte das Feuer. Pulsmunition, erkannte Gabriel sofort und konnte einem Treffer nur knapp entgehen, indem er sich erneut in Rauch auflöste, um den Raum ein gutes Stück weit zu durchqueren. Aus den Augenwinkeln konnte er den blauen Strahl sehen, der seinen Freund mit dem Stab der Ärztin verband. Auf lange Sicht würden sie nicht Katz' und Maus spielen können. Er kannte Jack gut genug, um zu wissen, dass der sich nicht zurückhalten würde. An Jacks Stelle täte er das nämlich auch nicht. Hinter seiner Maske zierte ein bitteres Lächeln Gabriels Züge. An Jacks Stelle würde er auch alles tun, was nötig war, um Angela vor dem Monster namens Reaper zu beschützen. Auch wenn das mitnichten hieß, er würde sich nicht wehren.   Gabriel konnte nicht einmal sagen, wann sich diese Situation in der Hitze des Gefechts ergeben hatte, aber als Jack zu Boden ging, konnte er nicht anders als gleichermaßen Erleichterung wie Schuld zu empfinden. Er würde Jack  töten, wenn er musste, auch wenn er das nicht wollte. Zwar konnte Gabriel nicht mit Sicherheit sagen, dass die Wunde, auf die Jack seine Hand presste und aus der dickes Blut zu Boden tropfte, nicht lebensbedrohlich war, doch das spielte letzten Endes keine Rolle. Mit einem gezielten Tritt beförderte er Jacks Waffe aus dessen Reichweite. Den Lauf seiner eigenen Waffe hingegen richtete er drohend auf den am Boden knienden Soldaten. Dann allerdings lenkte ein Klicken seine Aufmerksamkeit in Richtung Mercy, in deren Richtung er sofort mit der anderen Waffe zielte. Die Ärztin selbst hielt ihre kleine Pistolemit beiden Händen umklammert, die sie unverwandt auf ihn richtete. "Was jetzt, Doc?", grollte er in Richtung der blonden Frau, die ihn entschlossen anfunkelte und doch zögerte. Sie hätte schießen können, doch sie hatte es nicht getan, obwohl ihr eigenes Leben auch auf dem Spiel stand. Wer zuerst schoss, würde den anderen womöglich töten. Wenn einer von ihnen schoss. Angela sagte kein Wort. Seine innere Stimme höhnte bereits, dass er doch nicht abdrücken würde. Niemals und unter keinen Umständen.  Ein leises, bitteres Lachen entrang sich Gabriels Kehle, dann traf ihn die Kugel.   Er hätte es wissen müssen. Sie würde schießen. Nicht um ihretwillen, aber sicher um Jacks willen. Es tat kaum weh. Gabriel hatte immer erwartet, wenn er eines Tages starb, dann würde sein ganzer Körper schmerzen, würde er sich wünschen, zu sterben. Doch stattdessen fühlte er sich vielmehr wie betäubt und bemerkte kaum, wie er zu Boden sank, wie seine Sicht verschwamm und sich in rasantem Tempo eine rote Pfütze unter ihm ausbreitete. "Gut gezielt", brachte er halblaut hervor. Genau so, wie er es ihr immer gepredigt hatte. Ziel auf Herz oder Kopf, wenn du jemanden sicher ausschalten willst. Sonst könnte es dich oder deine Kollegen das Leben kosten. Wie oft hatten sie darüber diskutiert? Wie oft hatte sie bei den Übungen absichtlich auf Beine und Arme geschossen? Gerne hätte er die Hand nach ihr ausgestreckt. Sie noch einmal berührt, vielleicht die Träne von ihrer Wange gewischt, die er glaubte, auszumachen, doch dafür fehlte ihm bereits die Kraft. Doch das war in Ordnung. Er würde hier sterben, damit sie und Jack leben konnten, damit er sie nicht töten musste. Für diese beiden Menschen war Gabriel bereit, zu sterben, war es immer gewesen, selbst wenn es ironisch anmuten mochte. Für sie gäbe er alles. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, gut verborgen unter der weißen Maske, als Gabriel seinen letzten, matten Atemzug tat. Minuten, ehe jemand die Maske beiseite zöge, um dem Mann darunter die letzte Ehre zu erweisen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)