Monstrum von Daelis ================================================================================ Kapitel 2: Foolish ------------------ ♫ Oh how I love you The pain won't go away Oh when I need you You're always so far away I cry for you Leaving myself to blame I died for you I gave up everything ♫ Er war ein Narr. Ein absoluter, hoffnungsloser Narr. Hier zu sein, brachte ihm nichts außer dieser Erkenntnis und dennoch kam er wieder und wieder her, um nur einen einzigen Blick auf sie zu erhaschen. Man sollte meinen, inzwischen hätte er begriffen, wie sinnlos dieses Tun war, ja sogar gefährlich. Sein Verstand wusste das und jedem anderen hätte Gabriel einen Vortrag darüber gehalten, dass er sich benahm wie ein liebeskranker Volltrottel. Nur, dass er dieser liebeskranke Volltrottel war und niemand anderes. Nicht einmal vor sich selbst konnte Gabriel diese Dummheit rechtfertigen. Kein Wunder also, dass er seinen Mitstreitern bei Talon nichts von seinen Ausflügen erzählte, denn die hätten ihm genau die gleichen Vorwürfe gemacht, die er sich selbst innerlich auch machte. Seit damals hatte er immer gewusst, wo sich die schweizer Ärztin aufhielt, hatte gewusst, welche Krisengebiete sie aufsuchte, in welchem Krankenhaus oder Feldlazarett sie wirkte und wann sie weiterzog. Nie hatte er Dr. Ziegler aus den Augen verloren. Sie hatte es ihm nicht einmal schwer gemacht. Wo immer sie hinging, erlangte sie Berühmtheit. Die Menschen liebten Angela einfach, liebten ihre Entschlossenheit, ihren Mut und ihre Sanftheit. Wann immer sich die Möglichkeit geboten hatte, hatte er sich davongemacht, um Angela zu sehen. Einen Abend noch ermorderte er einen berühmten Pro-Omnic-Blogger, wenige Stunden später schlich er keine 100 Kilometer südlich in ein heruntergekommenes Krankenhaus, dessen Putz von den Wänden bröckelte. Die wenigen Nachtschwestern hatten Augenringe, liefen längst nach dem Schema Autopilot und waren blind für den schwarzen Rauch, der durch die Gänge wirbelte. Noch weniger Schlaf und Ruhe als die Pflegekräfte gönnte sich jedoch die blonde Ärztin, die er oft noch mitten in der Nacht über einen Patienten gebeugt antraf, dem sie mit ruhiger Stimme erklärte, wie sie ihn weiter behandeln würde. Oft genug hatte er sie auf irgendeinem Feldbett in irgendeinem Krisengebiet liegen sehen, nachdem die Erschöpfung sie übermannt und in tiefen Schlaf gezogen hatte. Er musste sehen, dass sie lebte, dass sie unverletzt war und nicht in einem Kugelhagel gestorben. Mehr als einmal hatte er befürchtet, dass das weiße Zelt mit dem roten Kreuz ihm Angela auf dem Krankenbett liegend statt daneben stehend offenbaren würde. Statt eines blutbeschmierten Kittels, fürchtete ein Teil von ihm stets, er könnte die gebrochenen Flügel ihres Valkyrie-Suits erblicken und dann ihren leblosen Körper. Eine Kugel, die für sie gedacht war oder auch nicht. Einfach erschossen wie so viele. Ein Opfer von tausenden. Eines für all jene, die sie gerettet hatte. Diese Vorstellung bereitete ihm tatsächlich Alpträume. So sollte Angela nicht enden. Das hatte sie nicht verdient. Was er ihr auch vorwarf, sie hatte Vielen Hoffnung gegeben. Der Beiname "Mercy" kam nicht von irgendwoher. Nachdem er wiederauferstanden war als das Monster, das er nun für immer sein würde, war er zornig gewesen. So zornig, dass sich Gabriel mehr als einmal vorgestellt hatte, wie es wäre, die Hände um den dünnen, blassen Hals der Schweizerin zu legen und zuzudrücken bis sie aufhörte, zu atmen. Wie es sein mochte, zu sehen, wie das Leben aus ihren Augen wich? Doch schnell war ihm klar gewesen, dass auf ein rachgeborenes Hochgefühl schnell die Pein folgen würde, die Frau getötet zu haben, die ihm so lange so viel bedeutet hatte - und es noch immer tat. Rache war nicht immer süß. Jacks Tod hatte ihn das auf schmerzhafte Weise gelehrt und bei Angela wäre es nicht anders. Leise knirschte das Leder seines Handschuhs, als er die Hand zur Faust ballte. Nur wenige Meter vor ihm drang aus einem kleinen Raum, der mehr ein improvisiertes als tatsächliches Büro war, fahles Licht, das fraglos von einer Funzel von Lampe stammte, die diesen Namen kaum verdiente. Das heruntergekommene Gebäude war wohl mal eine Nervenheilanstalt gewesen, wenngleich Gabriel bezweifelte, dass hier jemand Heilung erfahren hatte dürfen ehe Dr. Ziegler ihre Arbeit aufgenommen hatte. Jetzt lagen und saßen überall erschöpfte Hilfskräfte und verletzte Soldaten gleichermaßen. Viele Türen fehlten, die Wände waren kahl und der Boden war staubig und schmutzig. Kahle Neonröhren tauchten die Flure in bleiches, kaltes Licht. Sie musste nicht hier sein. Ebensogut könnte Angela an einem angesehenen Krankenhaus irgendwo auf der Welt arbeiten, umgeben von Luxus und dankbaren Menschen - und vor allem: sicher. Doch sie zog es natürlich vor, die gefährlichsten Kriegsgebiete aufzusuchen, um dort den Verletzten zu helfen. Das war so typisch für sie, dass Gabriel darüber längst nur noch seufzen konnte. Der Schauplatz der Kämpfe lag förmlich um die Ecke. So nahe, dass blutige Stiefelabdrücke auf dem Boden davon zeugten und er sogar jetzt leise einen Schuss hören konnte, der die Stille der Nacht durchbrach. Nicht so nahe, dass er fürchtete, irgendjemand hier im Krankenhaus könnte in die Kämpfe geraten, doch so nahe, dass ihm sehr wohl klar war, dass die Ärztin, um deretwillen er hergekommen war, womöglich morgen schon selbst auf dem Schlachtfeld stehen würde, den Caduceus-Stab fest umklammert und bereit, ihr eigenes Leben zu riskieren, um den Opfern der Kämpfe zur Seite zu eilen. Flink wirbelte Gabriel in einer Wolke schwarzen Rauchs in den Schatten eines klapprigen Regales, das mit Verbandsmaterial und diversen Döschen und Fläschchen in wildem Durcheinander bestückt war. Nicht weniger unordentlich sah die Ärztin selbst aus. Ihr blonder Schopf war zerzaust, ihr Zopf hatte sich schon halb gelöst und ihr weißer Kittel war fleckig und zerknittert. Es musste ein wirklich langer Tag gewesen sein, denn sie schlief, den Kopf auf einer aufgeschlagenen Akte, tief und fest. Mehr als einmal hatte er sie früher bei Overwatch auch so angetroffen - schlafend auf irgendwelchen Unterlagen spät in der Nacht, weil sie die Arbeit nicht hatte bis zum nächsten Tag ruhen lassen wollen. Sie gönnte sich selbst als letztes Ruhe. Gabriels Blick wanderte kurz durch den Raum, dann zu der Tür, die dieser Raum tatsächlich noch besaß, und schließlich zurück zu Angela, ehe der Assassine die Tür mit einem leichten Stoß ins Schloss einrastete. Die Ärztin regte sich nicht. Leise trat er näher, bis er direkt neben der blonden Frau stand. Den Blick auf ihre Unterlagen sparte er sich. Selbst wenn es Dokumente waren, deren Inhalt er verstand, ging es ihn wohl nichts an und höchstwahrscheinlich war es sowieso nur eine Patientenakte. Nichts von Interesse. Er war um ihretwillen hier, nicht um Informationen für Talon zu stehlen. Selbst wenn er jetzt die Möglichkeit dazu hätte, Gabriel ließe sie vorüberziehen. Das hier, das hatte nichts mit Talon zu tun. Andernfalls müsste er die Ärztin auch töten und das brächte er nicht über sich. Unbewusst hatte er die Hand nach ihr ausgestreckt, sodass nur noch Millimeter die klauenartigen Spitzen seiner Handschuhe ihn von den zerzausten blonden Strähnen der Ärztin trennten. Nur die Hand ausstrecken, dann könnte er sie berühren. So nah war er ihr selten gewesen. VIelleicht eine handvoll Male, wenn überhaupt. Die Gelegenheit hatte sich einfach nicht geboten und manches Mal war es auch einfach zu riskant gewesen, sich ihr auf mehr als 50 Meter zu nähern. Jetzt aber trennte ihn nichts von der Schweizerin, die nicht einmal ahnte, dass er hier war. Stumm seufzte der Assassine Talons und ließ die Hand wieder sinken. So war es schon seit Jahren. Selbst wenn Angela zum Greifen nah war, hätte sie doch nicht ferner sein können. Nicht für ihn, den sie sonst nur auf dem Schlachtfeld traf, als Feind, der diejenigen bedrohte, die sie zu schützen suchte. "Qué ha sido de nosotros?" Gabriels Worte waren kaum mehr als ein Flüstern und galten mehr ihm selbst als ihr, die kein Spanisch sprach und obendrein schlief. Wenn sie jetzt erwachte, was würde er ihr sagen? Würde er überhaupt etwas sagen oder einfach fliehen in der vagen Hoffnung, sie könnte den schwarzen Rauch nicht bemerken, der ihre Seite verließ? Würde sie glauben, er wäre hier gewesen, um sie zu ermorden? Bestimmt. Es wäre der naheliegendste Schluss. Er hatte viele einstige Overwatch-Agenten getötet. Mehr als er aufzählen konnte. Sie musste ja glauben, selbst auch zu seinen Zielen zu zählen. Oder wusste sie es besser? Hatte sie bemerkt, dass er zögerte, wann immer sie das Schlachtfeld betrat? Hatte sie geschlussfolgert, dass er sie längst hätte finden und töten können, hätte er es gewollt, so auffällig wie sie ihre Aufenthaltsorte preisgab? Gabriel wollte es gar nicht wissen, denn müsste er erfahren, dass Angela ihn durchschaut hatte, wüsste er selbst nicht, ob er bereit wäre, sich ihr von Angesicht zu Angesicht zu stellen. Würde sie ihn bei seinem alten Namen nennen? Wäre er noch einmal Gabriel statt Reaper? Mehr als einmal hatte er sich dies gewünscht. Nur einmal noch seinen Namen von ihren Lippen zu hören. Doch dann obsiegte die Furcht, sie könnte ihn mit Abscheu oder Hass aussprechen, nicht mit dem sanften, tadelnden Tonfall wie einst, nicht mit der gleichen Wärme, die so typischs für die kluge Frau war, der er so verfallen war. Er hatte sich nicht das kleinste Stück gerührt, hatte nur da gestanden und sie angesehen, blind für die Wirklichkeit und versunken in seinen Erinnerungen, als ihre Stimme leise die Stille durchbrach. "Gabriel?" Der Klang seines Namens holte ihn in Sekundenschnelle aus seinen Gedanken ins Hier und Jetzt zurück. Zeit zu gehen. Sofort. Solange sie noch glauben konnte, er wäre nur ein Traum gewesen und nicht wahrhaft hier. Sie sollte und durfte nicht wissen, dass unter Reapers Maske noch immer der Mann ruhte, den sie hatte retten wollen und dessen Herz ihr nicht weniger gehörte als an den vergangenen Tagen, an denen sie ihn noch mit einem herzlichen Lächeln begrüßt hatte.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)