Noise Break von Flordelis ([Demonic Reverie]) ================================================================================ Kapitel 12: Kennst du andere Jäger? ----------------------------------- [LEFT]Eine Woche nach diesem Kampf, der etwas in Nerida veränderte, und vielen weiteren kleinen, siegreichen Auseinandersetzungen mit Störungen, war es soweit: sowohl ihrem Vater als auch ihrer Mutter war es gelungen, sich Zeit für einen Nachmittag mit Sabia zu nehmen. Sie waren weiterhin auf diese Freundin gespannt, so sehr, dass Nerida selbst inzwischen nervös geworden war. Ganz im Gegensatz zu Sabia, die sie an diesem Tag leise summend nach Hause begleitete.[/LEFT] [LEFT]Inzwischen war Nerida sich ihrer Freundschaft sicher, sie bezweifelte, dass irgendetwas bei ihr abschreckend wirken könnte. Doch es gab da eine Kleinigkeit, die sie Sabia bislang verschwiegen hatte: »Bevor wir da sind, sollte ich dir noch etwas sagen.«[/LEFT] [LEFT]Sie wandte Nerida den Blick zu. »Hmmm? Was denn? Gibt es ein Thema, das ich nicht ansprechen sollte, außer dieser Störbrecher-Sache?«[/LEFT] [LEFT]Nerida war sich nicht sicher gewesen, ob Sabia daraus ein Geheimnis machen wollte oder nicht, hatte ihre Freundin aber darum gebeten, es für sich zu behalten gegenüber ihren Eltern, vor allem ihrem Vater. Sie hatte ihr erklärt, dass Vane der Gedanke ans Kämpfen nicht behagte, besonders wenn die Person Spaß dabei empfand – und seit sie diesen Splitter erobert hatte, wuchs ihre Freude daran ebenfalls. So sehr sogar, dass sie in letzter Zeit ihre Hausaufgaben vernachlässigte. Ironischerweise wurde es dadurch zu einem Glücksfall, dass die Lehrer es vorzogen, so wenig wie möglich mit ihr zu tun zu haben, denn so trugen sie ihr bislang immer noch gute Noten ein, um sich nicht weiter damit befassen zu müssen.[/LEFT] [LEFT]Sabia schmunzelte plötzlich. »Oder hast du deine letzte Freundin umgebracht?«[/LEFT] [LEFT]Diese Frage brachte Nerida aus dem Konzept. Sie blinzelte verwirrt, was Sabia wieder lachen ließ. Es war nur ein Scherz gewesen, das hätte sie durchschauen müssen. In diesen sozialen Interaktionen war sie immer noch nicht so geschickt wie in den Kämpfen inzwischen.[/LEFT] [LEFT]»Nein, nein«, sagte Nerida schließlich. »Es ist nur ...«[/LEFT] [LEFT]Wie erklärte man einer anderen Person, worum es sich bei Athamos handelte? Es war ein Konzept, mit dem das Allgemeinwissen und der gesunde Menschenverstand überfordert war, besonders, wenn man zum ersten Mal davon erfuhr. Das Gebäude an sich, das so wandelbar und unfassbar war wie nichts anderes auf der Welt.[/LEFT] [LEFT]Wenigstens wusste sie bereits, dass es mehr auf der Welt gab, als nur das, woran die meisten Menschen glaubten, also sollte es nicht zu schwer werden.[/LEFT] [LEFT]»Weißt du, meine Familie wohnt nicht in einem normalen Haus, sondern an einem Ort, den man Athamos nennt. Das ist … quasi eine Schule für außergewöhnliche Menschen, die auch Dinge jagen.«[/LEFT] [LEFT]»Oh, wirklich?« Sabia wirkte ein wenig desinteressiert. »Was kann man denn noch jagen?«[/LEFT] [LEFT]Vieles. Aber das zählte sie lieber nicht alles auf, besonders da es ihre Freundin nicht wirklich zu kümmern schien.[/LEFT] [LEFT]»Albträume«, antwortete sie daher lediglich. »Die werden in Athamos hauptsächlich gejagt.«[/LEFT] [LEFT]Sie erwartete einen verwirrten Blick, eine Bitte um Erklärung, doch beides blieb aus. Es schien gar so als ob Sabia schon darüber Bescheid wüsste. Aber weswegen sollte sie dann fragen?[/LEFT] [LEFT]»Kennst du andere Jäger?«, hakte Nerida schließlich nach. »Es sieht nicht so aus, als ob dich das alles überrascht.«[/LEFT] [LEFT]Bislang kannte sie niemanden von außerhalb, dem sie je ein solches Geheimnis verraten hätte, deswegen war sich Nerida auch nicht sicher, welche Reaktion angemessen wäre. Sie hatte verpasst, Darien danach zu fragen, ob seine Erfahrungen – er hatte bestimmt irgendjemanden eingeweiht – anders verlaufen waren. Doch sie war überzeugt, dass Desinteresse nicht unter angemessen zu verstehen war.[/LEFT] [LEFT]Sabia sah sie an, sie lächelte dabei so zuversichtlich, als wäre die Frage nur ein kleiner Scherz gewesen. »Neri, wir sind Störbrecher. Denkst du nicht auch, dass es weniger verwunderlich ist, dass Leute Albträume oder so etwas jagen? Störungen sind schwerer zu verstehen.«[/LEFT] [LEFT]Das leuchtete Nerida ein – ihr Gesicht erhitzte sich ein wenig, als Sabia die Koseform ihres Namens aussprach –, eröffnete gleichzeitig aber ein weiteres Feld, das sie ergründen wollte: »Wie kamst du eigentlich auf die Brecher-Terminologie?«[/LEFT] [LEFT]Sie hatten bereits über die Chaosbrecher gesprochen, darüber, dass Sabia von diesen die Inspiration für den Namen bekam – aber so ganz erschloss es sich ihr noch nicht: andere Personen dachten doch sicher erst einmal an etwas Simples, wie eben Jäger. Sogar in Abteracht blieb man bei diesem Begriff, obwohl den beiden Anführern sicher auch etwas Ausgefalleneres einfallen könnte. Auch die Erklärung, dass ihr der Name gefallen hatte, nagte an Nerida, denn dafür war Brecher doch zu außergewöhnlich.[/LEFT] [LEFT]»Ist das nicht offensichtlich?«, erwiderte Sabia, milde überrascht. »Mit dem Vernichten der Störungen brechen wir regelrecht etwas in den Menschen, die wir retten. Also ist der Name gut gewählt, findest du nicht?«[/LEFT] [LEFT]Wenn sie es so betrachtete, vermutlich. Etwas in ihrem Hinterkopf bestand dennoch darauf, dass es eigenartig war und nagte weiter an ihr. Vorerst wollte sie aber nicht weiter darüber nachdenken und schob es weit von sich.[/LEFT] [LEFT]»Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«, fragte Sabia.[/LEFT] [LEFT]Nerida schüttelte den Kopf. »Ich wollte nur nicht, dass du überrascht bist, wenn wir ankommen.«[/LEFT] [LEFT]Darauf sagte Sabia nichts mehr, weswegen sie ihren Weg in Stille hinter sich brachten.[/LEFT] [LEFT]Normalerweise ging Nerida ihren Schulweg mit Ronan – oder allein, wenn ihre Stundenpläne nicht übereinstimmten –, daher fühlte es sich ungewohnt an, eine andere Person neben sich zu wissen. Aber es war auch äußerst schön, einmal selbst dieses Gefühl kennenzulernen, von dem sie bislang nur in Büchern über Freundschaften gelesen hatte. Wie gut wäre es dann erst, wenn sie öfter gemeinsam zur Schule oder nach Hause gehen könnten? Und wo lebte Sabia eigentlich?[/LEFT] [LEFT]Diesen Gedanken nachhängend kamen sie schließlich an Athamos an. Von außen sah es aus wie ein ganz gewöhnliches Gebäude, was Sabia ihr auch sofort, ein wenig enttäuscht, mitteilte. »Ich dachte, es wäre etwas absolut Spannendes. Aber von hier draußen sieht es aus wie die Nachbarhäuser.«[/LEFT] [LEFT]Dabei deutete sie auf die anderen Bauten in der Straße, in denen sich Wohnungen und auch Geschäfte befanden. Letzteres fehlte bei Athamos, weswegen man es – auch aufgrund eines angebrachten Klingelschilds und den Briefkästen – durchaus für einen Teil dieser normalen Welt halten konnte. Aber das war nur Fassade.[/LEFT] [LEFT]»Innen ist es größer«, sagte Nerida, während sie die Tür aufschloss.[/LEFT] [LEFT]Sabia folgte ihr in die – überraschend normale – Eingangshalle (dieses unauffällige Aussehen diente laut Jii dazu, dass sich alle entspannten). Wie immer befanden sich zahlreiche Traumbrecher (teilweise noch in Ausbildung) hier und unterhielten sich miteinander. Für jeden Unbeteiligten klangen die Gespräche wie ein sanftes Flüstern, denn ein Schleier der Ruhe lag auf der gesamten Schule, vermutlich um Jiis Nerven zu schonen. Der angenehme Nebeneffekt war natürlich, dass auch alle anderen dadurch Frieden fanden.[/LEFT] [LEFT]Von der Halle gingen mehrere Gänge ab, die zu den wichtigsten Bereichen der Schule führten: das Direktorat, die Klassenzimmer, die Cafeteria und die Krankenstation. Wer allerdings eine Rundreise plante, konnte einfach irgendeinen Weg wählen, denn sie waren alle miteinander verbunden. Zu den Wohnungen kam man ebenfalls über jeden Gang, denn sie lagen – inzwischen – recht zentral und waren so am besten zu erreichen.[/LEFT] [LEFT]Sabias Blick wanderte über die anderen Anwesenden, die Wände und Decke, wo eine Beleuchtung angebracht war, deren Lichtquelle allerdings diffus und kaum zu beschreiben war. Für Nerida zählte nur, dass es nicht in den Augen brannte und auch für Albträume jeder Art angenehm zu fühlen war – und bislang war es auch so.[/LEFT] [LEFT]»Das ist interessant«, sagte Sabia. »Es ist innen wirklich größer aus als es von außen aussieht.«[/LEFT] [LEFT]Gemeinsam folgten sie einem der Wege bis zu den Wohnungen, wobei sie von einem verlockendem Duft nach Kuchen begleitet wurden. Dieser stamme, so erklärte Nerida, von Bernadette, einer der Traumbrecherinnen. »Sie kümmert sich um alle wie eine Mutter.«[/LEFT] [LEFT]Etwas in Sabias Augen verdüsterte sich, ihr Blick schien weit in die Ferne zu gehen. »Beneidenswert. Hoffentlich wissen sie, wie gut sie es haben.«[/LEFT] [LEFT]Es wäre ein guter Zeitpunkt, um sie nach ihrer Familie zu fragen, aber gleichzeitig wollte Nerida nicht kurz vor der Begegnung mit ihren eigenen Eltern die Stimmung herunterziehen. Noch dazu würden ihr Vater oder ihre Mutter ebenfalls Interesse an dem Thema zeigen, also könnte sie auch bis dahin warten – und hoffen, dass Sabia nicht allzu angegriffen davon war.[/LEFT] [LEFT]»Jii ist es sehr wichtig, dass die Traumbrecher sich alle wohlfühlen.«[/LEFT] [LEFT]Nach diesem Satz sah Sabia sie ratlos an, weswegen sie sofort erklärte, dass Jii der Direktor der Einrichtung war. Das schien die Verwirrung nicht unbedingt stillzulegen, doch weiteres konnte sie dazu nicht beisteuern, denn mehr gab es nicht.[/LEFT] [LEFT]An der Tür ihrer Wohnung angekommen, hielt Nerida wieder inne. »Hier sind wir.«[/LEFT] [LEFT]Ein wenig unsicher trat sie von einem Fuß auf den anderen. War sie wirklich bereit, ihren Eltern eine Freundin vorzustellen? Vor allem eine, mit der sie ein solches Geheimnis teilte? Würde jemand es herausfinden, weil sie nicht vorsichtig genug waren?[/LEFT] [LEFT]Plötzlich ergriff Sabia ihre Hand und drückte sie. »Keine Sorge, es wird schon alles gut gehen.«[/LEFT] [LEFT]Nerida blieb nur zu hoffen, dass es so war. Nach einem Nicken öffnete sie die Tür.[/LEFT] [LEFT]Ihre Eltern erwarteten sie bereits im Wohnzimmer, kurz hinter dem Eingang (ihre Brüder hatten es vorgezogen, dem Treffen erst einmal fernzubleiben). Nerida stellte sie alle einander vor – und bemerkte dabei, wie Sabias Augen auf Konia geheftet blieben. Das grüne Haar ihrer Mutter war zwar ein Blickfang, doch eigentlich hätte sie eher erwartet, dass ihr sehr großer Vater und dessen langes braunes Haar eher Aufmerksamkeit erregten.[/LEFT] [LEFT]Ihre Eltern bemerkten das offenbar nicht.[/LEFT] [LEFT]»Wollen wir uns setzen?«, fragte Vane schließlich, seine sanfte Stimme füllte sofort den gesamten Raum aus.[/LEFT] [LEFT]Doch auch davon schien Sabia nicht beeindruckt. Sie gab lediglich eine knappe Bestätigung, ehe sie sich jeweils zu zweit gegenüber auf die Sofas setzten.[/LEFT] [LEFT]Durch die Stimme ihres Vaters, deren Echo immer noch durch den Raum tanzte, konnte glücklicherweise kein verlegenes Schweigen eintreten. Noch ehe es verhallte, stellte Konia auch schon die erste Frage: »Also, Sabia, Nerida hat uns erzählt, dass ihr euch in der Schule kennengelernt habt. Wohnst du schon lange in der Stadt?«[/LEFT] [LEFT]Bislang war es Nerida nicht in den Sinn gekommen, aber da sie Sabia früher nicht gesehen hatte, musste es bedeuten, dass sie entweder erst hergezogen oder früher zumindest auf einer anderen Schule gewesen war. Sie verfluchte sich innerlich selbst dafür, nicht danach gefragt zu haben.[/LEFT] [LEFT]Sabias Lächeln zeigte jedoch keine Spur von Enttäuschung darüber. »Tatsächlich wohne ich erst seit kurzem hier. Ich hatte ein paar Probleme, hier Anschluss zu finden, bis ich Nerida begegnet bin.«[/LEFT] [LEFT]Sie schenkte der Erwähnten einen kurzen, warmen Blick.[/LEFT] [LEFT]Jemand anderes hätte vermutlich nachgehakt, wo sie vorher gelebt hatte, aber da ihre Eltern nicht sehr viel von der Welt außerhalb ihrer eigenen Stadt kannten, interessierte sie eine solche Frage nicht weiter. Nerida auch nicht.[/LEFT] [LEFT]»Ich bin sehr erstaunt, in was für einem Gebäude Sie hier wohnen«, bekundete Sabia. »Als Nerida mir hiervon erzählte, konnte ich es kaum glauben. Aber es zu sehen ist wirklich etwas ganz eigenes.«[/LEFT] [LEFT]»Normalerweise sollten Menschen hiervon auch nichts wissen«, sagte Vane. »Aber bei Freunden, denen unsere Kinder vertrauen, machen wir eine Ausnahme.«[/LEFT] [LEFT]Nicht zuletzt dadurch, dass sie Erinnerungen beeinflussen konnten, wenn es sein musste. Aber das war etwas, das sie nicht einfach erzählten, aus Gründen, die Nerida nicht wirklich verstand – jedenfalls wurde ihr so etwas in der Art stets als Erklärung genannt, wenn sie nachhakte.[/LEFT] [LEFT]»Sind Sie beide Traumbrecher?«, fragte Sabia, den Blick hauptsächlich auf Konia gerichtet.[/LEFT] [LEFT]Waren die grünen Haare wirklich derart faszinierend? Oder versuchte sie gerade, die Ähnlichkeit zu Nerida zu ergründen?[/LEFT] [LEFT]Vane und Konia tauschten einen kurzen Blick miteinander, vermutlich beide verwundert darüber, dass es in diesem Gespräch plötzlich um sie ging.[/LEFT] [LEFT]»Nein, nur ich«, sagte er, als er wieder Sabia ansah. »Aber ich bin auch nicht im aktiven Dienst, ich bin der Arzt in dieser Einrichtung. Konia erforscht die Albträume.«[/LEFT] [LEFT]»Oh, ich verstehe.«[/LEFT] [LEFT]Nerida legte eine Hand auf ihr Herz. »Ich werde Papas Nachfolgerin.«[/LEFT] [LEFT]Sabias Interesse entflammte sofort. Neugierig sah sie Nerida an. »Davon hast du mir gar nichts erzählt.« Das klang fast schon tadelnd.[/LEFT] [LEFT]Bei genauerem Nachdenken fragte Nerida sich, ob sich das mit ihrer Tätigkeit als Störbrecherin vertragen würde – und ob sie so lange überhaupt noch Störbrecher sein müssten. Irgendwann wären doch alle Splitter gefunden. Oder?[/LEFT] [LEFT]Sabias Miene wurde wieder ein wenig weicher. »Das hört sich jedenfalls schön an, dass du in seine Fußstapfen treten willst. Aber weswegen besuchst du dann eine normale Schule?«[/LEFT] [LEFT]Das war eine Frage, die Darien so lange gestellt hatte, bis er endlich in Abteracht aufgenommen worden war. Sie war immer noch fasziniert, wie besessen er sich bei diesem Thema zeigte.[/LEFT] [LEFT]»Wir müssen die notwendigen Dinge lernen, die jeder Mensch braucht.« Das war ihr stets gepredigt worden und sie hielt es für sinnvoll. »Und unter unserem Direktor gibt es ein Mindestalter für die Ausbildung zum Traumbrecher.«[/LEFT] [LEFT]»Klingt vernünftig«, sagte Sabia nach einem kurzen Moment.[/LEFT] [LEFT]Vane nickte darauf. »Das denke ich auch. Seit wir diesen Standard haben, gibt es viel weniger Verletzungen.«[/LEFT] [LEFT]»Aber hier soll es nicht um Traumbrecher gehen«, warf Konia ein, bevor sie noch weiter in dieses Thema abrutschten. »Erzähl uns mehr von dir, Sabia. Wir haben dieses Treffen immerhin arrangiert, um mehr über dich zu erfahren.«[/LEFT] [LEFT]»Oh, natürlich.« Sabia lachte entschuldigend. »Ich war nur so neugierig. So etwas erfährt man schließlich nicht jeden Tag.«[/LEFT] [LEFT]Vane und Konia nickten gemeinsam.[/LEFT] [LEFT]Nerida war lediglich erleichtert, dass ihre Eltern keinen Verdacht schöpften, dass Sabia nicht so fassungslos war, wie man es eigentlich sein müsste, wenn man so eine große Sache erfuhr. Hätten sie weitere Fragen gestellt, wäre mindestens Nerida sicherlich eingeknickt und hätte alles gestanden. Den Blick ihres Vaters, seine Enttäuschung, wollte sie sich nicht einmal vorstellen.[/LEFT] [LEFT]Im Moment wirkten ihre Eltern unsicher. Natürlich, normalerweise lernten sie keine Freunde kennen, die nicht bereits alles über diese geheime Welt wussten, was nicht selten bedeutete, dass sie auch schon die Familie dahinter kannten (mit der Familie von Amy, den Lanes, waren sie schließlich schon befreundet, bevor Amy und ihre Zwillingsschwester auf die Welt gekommen waren). So wussten sie nicht so recht, was eigentlich angebrachte Fragen wären.[/LEFT] [LEFT]Schließlich war es wieder Konia, die das Wort ergriff: »Was machen denn deine Eltern?«[/LEFT] [LEFT]Nerida sah Sabia mit neu erwachter Neugierde an. Ihre Freundin legte die Fingerspitzen aneinander, als müsste sie sich auf etwas konzentrieren, lächelte aber weiterhin, wenn es auch etwas traurig wirkte. »Meine Eltern sind leider letztes Jahr verstorben. Deswegen musste ich auch herziehen. Im Moment lebe ich allein in einer betreuten Wohnung.«[/LEFT] [LEFT]So war es also. Nerida war froh, dass sie es nicht im Vorfeld erfragt hatte, so musste Sabia diesen Schmerz nur einmal ertragen. Und in Zukunft könnte sie mehr Rücksicht darauf nehmen.[/LEFT] [LEFT]»Ich wusste gar nicht, dass es so etwas hier gibt«, meinte Konia, nachdem sie alle ihr Beileid bekundet hatten. Sie sah Vane an. »Vielleicht wäre das ja etwas für Darien.«[/LEFT] [LEFT]Er verzog sein Gesicht ein wenig. »Erzählen wir ihm lieber nichts davon.«[/LEFT] [LEFT]Nerida war es auch lieber, wenn ihr Vater und ihr Bruder sich zu Hause stritten. Sie mochte diese Stimmung dann zwar nicht, aber immerhin waren alle zusammen, das war schön.[/LEFT] [LEFT]»Darien ist dein Zwillingsbruder, oder?«, fragte Sabia. »Der Junge, den wir mal getroffen haben?«[/LEFT] [LEFT]Nerida nickte. Das weckte die Neugier ihrer Eltern. »Du kennst Darien?«[/LEFT] [LEFT]Sicher verwunderte sie beide, dass ihr Bruder davon noch nichts erzählt hatte. Sonst redete er immerhin auch gern über alles Mögliche, was geschah – besonders wenn er mal wieder Parthalan herausgefordert und sich recht gut geschlagen hatte. Nicht, dass Nerida das einschätzen könnte, dafür kannte sie sich damit nicht gut genug aus.[/LEFT] [LEFT]Sabia sah diese Frage als Aufforderung, mehr darüber zu erzählen und begann dann auch sofort damit: »Also, Neri und ich saßen eines Nachmittags in einem Café …«[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Etwa zwei Stunden später war das Treffen wieder vorbei. Neridas Eltern mussten sich nun wieder um ihre Arbeit kümmern. Keiner ihrer Brüder war mittendrin aufgetaucht.[/LEFT] [LEFT]Sabia verabschiedete sich von Vane – »Bis dann, Dr. Belfond.« – und Konia – »Es war mir eine Freude, Konia.« – und verließ dann mit Nerida die Wohnung wieder. Im Gang wandte sie sich ihr zu. »Deine Eltern sind wirklich nett, du hast nicht gelogen.«[/LEFT] [LEFT]»Natürlich nicht.« Warum sollte sie so etwas auch tun? Ihr blieb nur noch zu hoffen, dass ihre Eltern sie ebenfalls mochten, aber im Prinzip sah sie darin kein Problem.[/LEFT] [LEFT]Sabia sah den Gang in beide Richtungen hinunter. »Ich denke, du solltest mich zum Ausgang begleiten. Das hier ist doch etwas verwirrend.«[/LEFT] [LEFT]Nerida wollte ihr das gerade bestätigen, als sie plötzlich eine andere, kindlichere Stimme hörte, die auf sie zukam: »Hoffentlich hat Lady Koni noch Eis für Abby.«[/LEFT] [LEFT]»Ich bin sicher, dass sie welches hat«, erwiderte jemand ruhig.[/LEFT] [LEFT]»Wenn nicht, fragst du sie dann, ob sie welches für Abby macht, Papa?«[/LEFT] [LEFT]Ehe er ihr eine Antwort geben konnte, kamen ein Mann und ein kleines Mädchen um eine Ecke. Das rosa Haar der Kleinen wirbelte regelrecht um ihren Kopf, als sie diesen wandte und Nerida entdeckte. Sie begann zu strahlen. »Neri!«[/LEFT] [LEFT]»Hallo, Abby«, sagte Nerida lächelnd. »Hallo, Kieran.«[/LEFT] [LEFT]Der Mann neigte den Kopf ein wenig.[/LEFT] [LEFT]Kieran Haze und seine kleine Adoptivtochter Abby waren zwei ganz besondere Personen – auch wenn Nerida nicht ganz klar war, was sie so außergewöhnlich machte. Sie wusste, dass Haze einmal einer der drei Weltenzerstörer gewesen war und dass er das aufgegeben hatte, um von Konia vernichtet zu werden, weil er sterben wollte, es aber nicht konnte. Als Nerida noch klein gewesen war, hatte sie eine besondere Bindung zu ihm verspürt, die noch immer existierte – doch seit er die kleine Abby adoptiert hatte, die einfach nicht weiter wuchs und immer ein Kind blieb, nahm Nerida sich ein wenig zurück. Wer auch immer Abby war, sie benötigte diese Liebe und Aufmerksamkeit wesentlich mehr. Außerdem war die Kleine selbst für sie viel zu niedlich, um sie wegen irgendetwas zu beneiden.[/LEFT] [LEFT]Nerida breitete die Arme aus, Abby hüpfte auf sie zu – hielt aber kurz vor ihr abrupt inne und starrte Sabia aus großen Augen an. Nerida folgte ihrem Blick, konnte jedoch nicht erkennen, was Abby so irritierte. Vielleicht weil sie eine Fremde war?[/LEFT] [LEFT]Sie ließ die Arme wieder sinken. »Abby, das ist meine Freundin Sabia. Du musst keine Angst vor ihr haben, sie ist echt nett.«[/LEFT] [LEFT]Die Kleine hörte nicht auf ihre gut gemeinten Worte, sondern versteckte sich lieber hinter den Beinen von Haze, der inzwischen nähergekommen war. Auch er musterte Sabia, in seinem Blick war wie üblich nichts zu lesen; seine Miene war vollkommen ausdruckslos.[/LEFT] [LEFT]Nerida stellte auch ihn vor, er nickte nur knapp.[/LEFT] [LEFT]»Interessant«, sagte Sabia. »Ich wusste gar nicht, dass du hier so viele Leute kennst. Aber das passiert wohl, wenn man hier auch wohnt, nicht wahr?«[/LEFT] [LEFT]Etwas schwang in ihrer Stimme mit, das Nerida nicht näher benennen konnte. Sie musste unwillkürlich an einen eifersüchtigen Darien denken. War Sabia das etwa auch?[/LEFT] [LEFT]»Ich bringe dich jetzt lieber zum Ausgang«, lenkte Nerida ein. »Es wird sonst spät.«[/LEFT] [LEFT]Daraufhin lächelte Sabia sofort wieder. Sie hakte sich bei Nerida unter und zog sie mit sich den Gang hinunter, weg von Haze und Abby. Die beiden sahen ihnen noch lange hinterher, das Mädchen ängstlich, er neutral. Aber sie glaubte, dass er die Stirn kaum merklich gerunzelt hatte, etwas, das einem nur auffallen konnte, wenn man ihn lange genug kannte, so wie Nerida es tat. Warum reagierten sie so auf Sabia?[/LEFT] [LEFT]Dann bog Sabia mit ihr um eine Ecke, so dass sie die beiden anderen nicht mehr sehen konnte. Aber ihre Blicke gingen Nerida nicht mehr aus dem Kopf. Auch dann nicht, nachdem sie sich von Sabia verabschiedet hatte und wieder auf dem Weg in ihre Wohnung war. Irgendetwas stimmte nicht. Ihre Vernunft wollte dem auf den Grund gehen, aber etwas anderes, etwas Mächtigeres sagte ihr, dass Haze und Abby nur irritiert von Sabias Stärke waren. Wie könnten sie auch nicht? Sabia war eine Störbrecherin, etwas, das niemand kannte. Man musste doch einfach davon irritiert sein, das ging gar nicht anders. Vielleicht besaßen sie ja auch nur Störungen, denen sie sich irgendwann widmen müssten, das wäre auch ein Grund, sich an Sabia zu stören. Aber bis dahin musste sie nicht weiter darüber nachdenken, denn es war unwichtig. Sie musste auch keinen der beiden deswegen befragen, sonst würden sie nur misstrauisch werden und das half am Ende niemandem. Nein, für den Moment sollte sie alles so lassen. Es war alles in Ordnung.[/LEFT] [LEFT]Damit verwarf sie jeden Gedanken an ihre Blicke und begann stattdessen zu summen, während sie die letzten Meter hinter sich brachte.[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)