Black Magic: Night Stallion von Arianrhod- ([NaLu, Stingue]) ================================================================================ Kapitel 4: Reluctant Help ------------------------- Layla hob den Blick von dem Computerbildschirm, als sie das Frühstückszimmer betraten. Etwas musste sich auf ihren Gesichtern abzeichnen, denn das milde Lächeln, das bis dahin ihre Lippen geziert hatte, verschwand mit einem Schlag und machte einem besorgten Ausdruck Platz. Doch statt sie mit Fragen zu überfallen, hob sie nur die Brauen, einen wachsamen Ausdruck in den Augen, während sie sich von dem Stuhl erhob. Cana kannte solch vornehme Zurückhaltung jedoch nicht, sondern verlangte sofort zu wissen: „Was zum Teufel ist passiert?“ Dabei konnte sie sie noch nicht einmal sehen, der Bildschirm und die dazugehörige Kamera waren noch immer zur Fensterfront ausgerichtet. „Irgendwas hat ein Pferd auseinandergenommen“, erklärte Natsu ohne Umschweife. Und auch ohne irgendwelche diplomatischen Umschreibungen, die ein weniger klares Bild davon ließen, was geschehen war. „Sieht aus wie ein Schlachthaus, in dem ein Irrer losgelassen worden ist.“ Mit langen Schritten trat er um den Tisch herum, um seine Sekretärin sehen zu können. Lucy folgte ihm langsamer und wünschte sich, sie hätte einen weniger deutlichen Freund mit etwas mehr Feingefühl. Ihr war schlecht und ihre Gedanken zuckten immer wieder zu dem grauenerregenden Anblick zurück, den der tote Sultan geboten hatte, egal, wie sehr sie versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Man konnte wohl nicht alles haben. „Wie, auseinandergenommen?“, wiederholte Cana verwirrt und anstatt etwas zu beschreiben, zückte Natsu sein Handy und fummelte zwei Sekunden damit herum, ehe er es vor die Kamera hielt. Lucy konnte sich denken, was genau er da zeigte. Sehr rücksichtsvoll, Herr Meisterdetektiv! Cana würgte laut und selbst über das Mikrophon deutlich hörbar. „Danke, ich habe gerade gegessen, du Arsch“, maulte sie dann los und Lucy bekam gerade noch mit, wie sie ein süßes Stückchen auf einem Teller zur Seite schob. „Eine einfache Beschreibung hätte auch gereicht!“ Natsu zuckte nur mit den Schultern. „Du hast gefragt.“ Als Antwort zeigte sie ihm den Mittelfinger, ihr Blick verdrossen. „Lucy?“, wollte nun auch Layla wissen, ihre Stimme war ruhig, doch in ihrem Unterton schwangen Sorge und Beunruhigung mit. Sie sah von ihrer Tochter hinüber zu ihrem Mann, der nur hilflos und bleich um die Nase mit den Schultern zuckte, und dann wieder zurück. Die Angesprochene blickte sie einen Moment an, dann seufzte sie schwer und stellte Tamino auf den Tisch, ehe sie sich auf einen Stuhl fallen ließ. Der Kater blickte auf sie hinunter und maunzte fragend, ehe er sich setzte und den Schwanz über die Vorderpfoten drapierte, so dass er aussah wie eine dieser eleganten Statuen. „Es war grausig“, erklärte sie, während sie ihren Kater anstarrte in der Hoffnung, er würde ihr irgendwie helfen, die Gedanken von den Erinnerungen zu lösen. Stattdessen erwiderte er ihren Blick aus stechenden, bernsteinfarbenen Augen, in deren Tiefen ein sonderbares Licht zu glimmen schien. Lucy schüttelte sich und konzentrierte sich wieder auf die Frage – oder eher die Wirklichkeit dahinter, der sie sowieso nicht auswichen konnte. Sie hatte es sich selbst ausgesucht, mit Jude und Natsu zu gehen um zu sehen, was vorgefallen war. Jetzt musste sie damit leben, dass sie es auch gesehen hatte. Aber was waren schon ein paar Albträume mehr? „Jemand – oder besser: etwas hat Sultan völlig zerfleischt. Und dann seinen Kopf aufgespießt. Überall war Blut. Und Gedärme und…“ Sie verstummte hastig, als Laylas Augen groß und ihr Gesicht blass wurden. Vielleicht hätte sie nicht so deutlich sein sollen, aber die Worte waren einfach aus ihr herausgeplatzt. Der Blick ihrer Mutter wanderte hilfesuchend zu Jude hinüber. „Mach dir keine Sorgen, Liebes“, versicherte dieser ihr automatisch, bereits sein Handy in der Hand. Doch seine Stimme war angespannt und rau und man konnte ihm ansehen, wie sehr ihn alles mitnahm. Der Ekel und das Entsetzen machten auch vor ihm nicht Halt. Doch trotzdem wirkte er ruhiger als zuvor. Vielleicht, weil er sich mit jeder Minute wieder besser unter Kontrolle hatte und Selbstbeherrschung war eine seiner Stärken. Vielleicht, weil ein zerfetzter Kadaver zwar widerlich war, aber trotzdem etwas Reales, etwas Echtes, Greifbares. Oder vielleicht auch nur, weil er jetzt etwas zu tun hatte, dass nur indirekt etwas mit Magie und dem Übernatürlichen zu tun hatte – nämlich die Polizei rufen. Für einen Moment nahm er sanft die Hand seiner Frau in seine viel größere und drückte sie. „Wir werden der Sache auf den Grund gehen“, versprach er. „Ich werde Sheriff Sands anrufen, damit er sich das anschauen kann. Und bis dahin…“ Er zuckte mit den Schultern, eine Geste, bei der seine Unsicherheit wieder durchblitzte. Sie wirkte seltsam an ihm; ihm, der sonst immer einen Plan hatte. „Wir werden schon-“ „War es der Geist?“, fiel Cana ihm ungeniert ins Wort. „Wobei es vorhin nicht so klang, als wäre er stark genug dafür.“ Sie rieb sich nachdenklich das Kinn, die Brauen zusammengezogen. „Aber zwei übernatürliche Vorfälle an einem Ort? Das wäre doch arg … seltsam.“ „Du hast recht, aber im Moment denke ich, dass es genau das ist“, erklärte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte angespannt, etwas, das Lucy selten an ihm zu sehen kam. Normalerweise ließ er sich seine gute Laune nicht so einfach verderben. „Zwei Kreaturen… Oder noch mehr.“ Das brachte ihm die Aufmerksamkeit aller Anwesenden ein. Selbst Tamino starrte aus durchdringenden Augen zu ihm hoch und wirkte überrascht dabei. Lucy schüttelte den Kopf und versuchte, ihr Unbehagen unter Kontrolle zu bringen. „Noch mehr?“, wiederholte Jude zweifelnd, die Augenbrauen hochgezogen. Layla sagte gar nichts. „Ja, Natsu, das ist doch … eher unwahrscheinlich“, fügte auch Cana skeptisch hinzu. „Hast du eine bessere Erklärung?“, fragte Natsu patzig zurück. „Vielleicht werden sie irgendwie gerufen oder so, was weiß ich? Auf jeden Fall kann der Geist nichts mit dem toten Pferd zu tun haben, das ist nun einmal so!“ Für einen Moment herrschte Stille im Raum und Lucy fühlte, wie ein Schauer langsam ihren Rücken hinunterkroch. Wie eine bedrohliche Gegenwart, die hinter ihr aufgetaucht war. Sie konnte sich gerade noch halten, bevor sie sich nach Nichts umsah. Das konnte ja wohl nichts Gutes bedeuten! „Oh! Spannend!“, rief Cana aus und klang dabei fast gutgelaunt. Aber nur fast, da waren besorgte Linien um ihre Augen und ein angespannter Zug um ihren Mund, der zeigte, dass sie die Angelegenheit ganz und gar nicht auf die leichte Schulter nahm. „Zwei Bösewichte auf einmal und ein Rätsel!“ „Mir wäre es wohler, wenn da überhaupt keiner wäre“, bemerkte Layla spitz und Jude straffte die Schultern. „Das ist jetzt genug.“ Er nahm das Telefon aus der Halterung und tippte energisch die Nummer ein. Einen Moment später verlangte er bestimmt nach dem Sheriff. „Oh…“, machte Cana und lächelte entschuldigend, den Kopf schuldbewusst zwischen die Schultern gezogen. „So habe ich das nicht gemeint! Ich wollte dich nicht erschrecken, Mrs. Layla.“ „Keine Sorge, Mama!“, versicherte Lucy ihrer Mutter rasch. Mrs. Layla? Wo kam das denn her? „Wir haben Natsu hier und finden im Nullkommanichts heraus, was es mit all dem auf sich hat!“ „So einfach wird das auch wieder nicht“, fiel Natsu ihr in den Rücken, so dass sie ihm über Laylas Kopf hinweg einen bösen Blick zuwarf. Hätte er nicht einfach mitspielen können? Es ging hier darum, ihre Mutter zu beruhigen! Oder vielleicht auch, dass sie sich selbst nicht zu sehr aufregte und in Panik verfiel… Doch er bemerkte das nicht einmal, sondern spielte schon wieder mit seinem Handy herum. Anscheinend dachte er schon über den nächsten oder vielleicht den übernächsten Schritt nach. „Ich ruf mal Gray an, vielleicht kann er uns unter die Arme greifen. Und-“ „Gray ist beschäftigt“, warf Cana von der Seite ein und wackelte grinsend mit den Augenbrauen auf eine Art, die keinen Zweifel daran ließ, was das für eine Anspielung war. „Wenn ihr versteht, was ich meine.“ Aber hatte so eine Leben-und-Tod-Situation nicht Vorrang zu einer … einer … einer Liebelei?! Natsu starrte Cana einen Moment sprachlos an. Dann blinzelte er ein paar Mal heftig, ehe er fragte: „Meinst du das ernst…?“ Er unterbrach sich selbst mit einem Lachen und wische die Bemerkung mit einem: „Das bezweifle ich stark.“ leichthin beiseite. „Der ist so kalt, der würde nicht mal-“ „Wie bitte?“, übertönte Judes entsetzte Stimme seine Worte und sie blickten alle zu dem Hausherrn hinüber, der er mitten in der Bewegung erstarrt war. Seine Hand hatte sich so fest um das Telefon geschlossen, dass man denken könnte, er wollte das Gerät zerquetschen. Sein Gesicht war noch blasser als vorher, seine Augen geschockt geweitet. Einen Moment später erfuhren sie auch, was ihn so aufwühlte: „Eine Massenkarambolage?!“ Lucy öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch nichts drang über ihre Lippen. Das war zu irrwitzig. Nach allem, was geschehen war, nun auch noch so etwas? Das war doch… Das war… zu viel. Einfach zu viel. Da ging es nicht mit rechten Dingen zu! Erschrocken quietschte sie auf, als Tamino auf ihren Schoß sprang, um es sich darauf gemütlich zu machen, doch dankbar nahm sie die Möglichkeit an, ihre Hände irgendwie zu beschäftigen, sich an irgendetwas festhalten zu können, bis ihr Hirn wieder seine Funktion aufnahm. Sein Fell war seidenweich unter ihren Händen und die vertraute Berührung allein verhinderte, dass sie irgendwie in Panik verfiel oder sonst eine peinliche Szene machte. „Oh mein Gott“, entfuhr es Layla neben ihr, eine Hand vor den Mund gepresst. Natsu runzelte die Stirn und sein Blick huschte von Jude zum Fenster, als könnte er dort draußen etwas von dem Unglück erkennen, und dann wieder zurück. Doch selbst ihm schienen die Worte zu fehlen, denn er schwieg. „Oh man, scheiße?“, bot stattdessen Cana an und wandte sich von der Kamera ab zu ihrer Tastatur und dem zweiten Bildschirm auf ihrem Schreibtisch. Vage konnte Lucy hören, wie die Sekretärin auf dem Keyboard herumtippte, während sie selbst sich wieder auf ihren Vater konzentrierte. Doch Jude nickte nur dumpf und sagte Dinge wie „Ja, natürlich.“ und „Ich verstehe.“, was nicht sehr viel weiterhalf. Glücklicherweise mussten sie nicht lange warten, bis Jude das Gespräch beendete und sich ihnen zuwandte. Seine Bewegungen wirkten stockend und wie automatisch. Bedächtig legte er das Telefon auf den Tisch und griff nach einer Stuhllehne wie nach einem Rettungsanker. Erst dann blickte er zu ihnen hinüber und erklärte mit emotionsloser Stimme: „Wie es aussieht, wird es noch eine Weile dauern, ehe Sheriff Sands vorbeikommen kann. Auf der Polizeistation haben sie gesagt, sie versuchen, jemand anderen vorbeizuschicken, um den Tatort zu sichern.“ Er blinzelte kurz, ehe er fortfuhr: „Auf der Überlandstraße gab es eine Massenkarambolage, in die mindestens dreißig Fahrzeuge verwickelt waren. Anscheinend war die Fahrbahn vereist.“ Was an sich seltsam war – in Snowdrop Village wusste man von den Gefahren, die diese Strecke bot und achtete peinlichst genau darauf, sie frei von Schnee und vor allem Eis zu halten. Dreißig Fahrzeuge. Lucy wurde schlecht allein bei dem Gedanken daran. Vermutlich waren viele der Autos und ihrer Passagiere auf dem Weg zu ihrem Skiurlaub oder zu ihren Verwandten, um Weihnachten mit ihren Liebsten zu verbringen. Vermutlich waren es viele Familien, mit aufgeregten Kindern, die voller Vorfreude gewesen waren, dazwischen ein paar Lkw-Fahrer, ein paar Geschäftsleute, ein paar Pendler und natürlich noch die Einheimischen, die zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Vermutlich gab es viele Verletzte. Leute, die sich nie wieder völlig erholen würden. Schwerverletzte, die in Lebensgefahr schwebten. Tote, für die bereits jetzt jede Hilfe zu spät war. „Dass so etwas ausgerechnet jetzt passieren musste“, murmelte Layla entsetzt. „Mit all dem, was sowieso gerade passiert. Dieses Weihnachten kommt es wohl alles auf einmal.“ Lucy wusste, worauf sie anspielte – nicht nur, dass Heartphilia Manor unter einem schlechten Stern zu stehen schien, dazu kamen noch das Wetter, das immer schlimmer zu werden schien, diese seltsame Krankheit, die Todesopfer forderte, und jetzt so etwas. „Ich glaube nicht an Zufälle“, murmelte Natsu neben ihr, aber zu leise, als dass jemand anderes seine Worte hören konnte. „Okay, ich habe hier einen Livebericht“, meldete Cana plötzlich, den Blick konzentriert auf ihren Bildschirm gerichtet. „Mit Bildern aus einem Hubschrauber. Sieht ziemlich schlecht aus. Sie sind schon alle aufmarschiert, Feuerwehr, Krankenwagen, Polizei. Dazu die Presse und einige Gaffer.“ Sie schluckte. „Die Rettungshubschrauber fliegen hin und her, als wären sie Linienverkehr, und sie fahren die weniger schwer Verletzten ins übernächste Krankenhaus, damit die anderen eine größere Chance haben. Sie haben bereits sieben Tote geborgen. Allerdings haben sie erst mit den Rettungsarbeiten begonnen und sie kommen nur langsam voran.“ Einen Moment später fügte sie noch ein leises „Scheiße“ hinzu, das nicht für andere Ohren bestimmt war. „Auch das noch.“ Sie rieb sich durch das Gesicht in einer Geste, die so frustriert und hilflos wirkte, wie Lucy sich fühlte. Natsu schlug mit der Faust so hart auf den Tisch, dass alle im Raum und selbst Cana zusammenzuckten. „Und gerade jetzt kann Gray nicht helfen. Kann er nicht einfach-“ „Nein“, unterbrach die Sekretärin ihn abrupt. Jede Spur von Heiterkeit war aus ihrem Gesicht gewichen und ihre Stimme klang ernst. „Nach allem, was ich verstanden habe, geht es um bei dem Fall Leben und Tod. Hier ist übrigens auch die Hölle los. Im Moment scheint die Welt verrückt zu spielen, ich frage mich, was da los ist.“ „Vielleicht stehen die Sterne komisch“, winkte Natsu ab und kratzte sich am Kopf. Dann winkte er ab. „Darüber können wir uns hinterher Gedanken machen. Also gut, Gray kann nicht herkommen. Und Romeo hat einfach nicht genug Erfahrung. Ich hab so das Gefühl, dass wir hier noch ganz am Anfang stehen.“ „Oh, und ich wird euch auch nur sporadisch mit Infos beistehen können“, schob Cana noch hinterher. „Tatsächlich muss ich in ein paar Minuten los, ich hab Gray versprochen, ihnen was vorbeizubringen. Ich kann mich nicht zerreißen. Ihr müsst anderswo Hilfe herbekommen, am besten Hilfe, die näher am Geschehen ist.“ Betretenes Schweigen legte sich über den Raum. „Wenn Romeo nicht genug Erfahrung hat, dann wir erst recht nicht“, wies Lucy auf. „Wäre er nicht besser als gar niemand?“ „Vielleicht können wir jemand anderen fragen?“, schlug Jude praktisch vor. „Du bist sicher nicht der einzige Experte, der sich mit … solcherlei Vorfällen beschäftigt.“ Natsu verzog das Gesicht. „Nein, aber Jahresende ist eine ganz schlechte Zeit.“ Er drehte sich zu Cana. „Weißt du jemanden?“ „Ich kann unsere Kontakte durchgehen“, bot sie an und griff bereits nach der Rollkartei für Visitenkarten, die sie auf dem Schreitisch stehen hatte. „Aber du weißt ja…“ Trotzdem begann sie, durch das Register zu flippen. „Ich meine, ich hab noch irgendwo die Nummer von Mr. Lore“, warf Lucy hilfsbereit ein. „Vielleicht hat er gerade Zeit?“ Natsu blinzelte auf sie hinunter. „Wer?“ Ungläubig starrte Lucy zu ihm hoch. Kannte sie tatsächlich jemanden in der magischen Welt, von dem ihr Freund noch nie gehört hatte? „Der Kollege von Sting, der unser Stadthaus modifiziert hat.“ „Oh, der.“ Natsu nickte nachdenklich. „Besser als Sting ist er allemal.“ „Wie, unser Stadthaus modifiziert?“, wollte Jude aus dem Hintergrund plötzlich streng wissen und Lucy zog den Kopf zwischen die Schultern. Sie hatte ganz vergessen, dass ihre Eltern noch da waren und nichts von der ganzen Aktion wussten. Und vor allem nicht, warum sie stattgefunden hatte. „Uh…“, machte sie, da sie auf keinen Fall auf den Grund eingehen wollte. Vielleicht fand sie rechtzeitig eine geeignete Ausrede! Aber wenn, dann musste die schnell kommen… Denn ihr Vater blickte ermahnend auf sie hinunter, um eine Antwort würde sie nicht herumkommen. Aber es war schon schlimm genug, dass sie überhaupt von dem Dämon wussten. Es wäre etwa tausend Mal schlimmer, wenn sie ihnen erzählen musste, dass er noch immer hinter ihr her und auch noch einer der ganz schlimmen Sorte war! Hastig suchte sie nach Worten. „Wegen… Weil… Naja, halt so magischer Schutz halt und so. Nach dem, was an Halloween passiert ist, da wollte ich kein Risiko eingehen…“ Sie ließ ihre Stimme verklingen und fühlte sich schäbig, die Sorge ihrer Eltern derartig auszunutzen. Judes Gesicht verlor den strengen Ausdruck und Laylas Augen wurden sanft. Zärtlich legte sie einen Arm um die Schulter ihrer Tochter. „Hat es geholfen?“ „Ja“, stimmte Lucy zu und das war nicht gelogen. Nachdem Hexenmeister Lore fertig gewesen war, hatte sie sich tatsächlich wieder sicherer gefühlt. Tatsächlich hatte sie einiges Vertrauen in diese Sicherheitsmaßnahmen. Sie seufzte und griff nach ihrem Handy. „Ich versuche es mal.“ Doch der Anruf ging nicht einmal durch, sondern sprang sofort zur Voicemail, die sie informierte, dass ihr gewünschter Gesprächspartner zurzeit nicht erreichbar war. „Das war wohl nichts“, gab sie zu und legte das Handy wieder weg. „Fragt doch gleich Sting. Er ist im Moment auch der einzige, der mir einfällt“, grummelte Cana aus Magnolia, doch Natsu ignorierte sie gekonnt. Layla hatte sie jedoch auch gehört. „Warum tun wir das nicht?“, wollte sie wissen. „War das der, der euch an Halloween geholfen hat? Sollte er nicht…?“ Sie verstummte verwirrt und zog fragend die Brauen hoch. Die Ablehnung war Natsu offen ins Gesicht geschrieben und er posaunte überzeugt: „Weil Sting ein Ar-“ Er unterbrach sich abrupt und warf der Dame des Hauses einen schuldbewussten Blick zu. Anscheinend wagte selbst er nicht, unter Laylas Augen zu grobe Schimpfwörter zu verwenden. „Sie verstehen sich nicht sonderlich gut“, warf Lucy hastig ein, ehe ihm ein anderes Fettnäpfchen auffiel, in das er treten konnte. „Aber so schlimm ist Sting gar nicht.“ Okay, wenn man davon absah, dass er ein arroganter Kotzbrocken war, der viel zu sehr von sich überzeugt war. Natsu stieß ein Schnauben aus, widersprach allerdings nicht. Und Lucy musste zugeben, dass er nicht ganz unrecht hatte. Sting war vielleicht nicht ‚so schlimm‘, aber er war auch nicht der netteste Typ, den sie je getroffen hatte. Im Gegenteil – letztes Mal hatte er sie die ganze Zeit mit Tittenwunder angesprochen. Hoffentlich würde er das nicht tun, wenn ihre Mutter und vor allem ihr Vater dabei waren! Außerdem … war da noch dieses andere kleine Handicap… Aber was blieb ihnen anderes übrig? Entschlossen stand sie auf, setzte den überraschten Tamino auf den Stuhl und holte das Telefon von dem Platz, wo Jude es auf die Tischplatte gelegt hatte. „Ist das dein Ernst?“, wollte Natsu wissen und starrte sie ungläubig an. Cana griente. „Wen willst du denn sonst fragen? Du weißt genau wie ich, dass du auf die Schnelle niemand anderen herkriegst. Wenn die beiden überhaupt Zeit für euch haben und nicht auch schon anderswie eingespannt sind. Spring über deinen Schatten und ruf an. Ich für meinen Teil muss mich jetzt auf den Weg machen. Bye, Kinderchen. Bleibt anständig!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, schaltete sie die Kamera aus. Natsu schaute ziemlich sparsam drein, während er den Bildschirm noch einige Zeit anstarrte. Lucy hatte keine solche Probleme. Energisch klappte sie den Laptop zu und drückte ihm bestimmt das Telefon in die Hand. „Jetzt mach schon. So schlimm kann es doch nicht sein!“ Für einen Moment sah es so aus, als würde er trotzdem widersprechen und sich weigern, doch dann gab er mit einem Seufzen nach. „Er wird aus Prinzip nicht kommen. Sagt nachher nicht, ich hätte es nicht vorhergesagt.“ „Es tut gut, auch einmal etwas zu tun, was uns widerspricht“, belehrte Jude ihn von der Seite aus. „Das bildet den Charakter.“ Der Blick, den Natsu ihm zuwarf, sagte deutlich, was er davon hielt. „Das hat mir gerade noch gefehlt“, maulte er jedoch nur und holte aber brav sein Handy hervor, um nach der Nummer zu suchen. Mit einer ungeduldigen Bewegung warf er schließlich das Smartphone auf den Tisch zurück und schob dann das Telefon ans Ohr. „Mach den Lautsprecher an, damit wir auch mithören können“, bat Layla von der Seite, wo sie im Sessel saß und Tamino kraulte, der sich, lang ausgestreckt auf ihrem Schoß, die Streicheleinheiten gerne gefallen ließ. „Wenn ihr wollt.“ Natsu zuckte mit den Schultern, als wäre ihm das gleich. Er glaubte offensichtlich nicht daran, dass sie von dieser Seite aus Hilfe erwarten konnten. Aber würden ein paar Infos allein sie schon weiterbringen? Eilig fügte Lucy hinzu: „Aber haltet euch trotzdem raus. Sting ist nicht gerade die einfachste Person und wir sollten ihn nicht alle zusammen überfallen.“ Sie hatte keine Lust, dass der Hexenmeister ihren Vater oder noch schlimmer, ihre Mutter beleidigte und damit alles den Bach runterging. Einen Moment später erfüllte das Tuten des Freitons den Raum, ehe es leise klickte, als jemand abnahm. „Mrrr?“, meldete sich jemand auf der anderen Seite und Lucy konnte nicht sagen, warum sie dachte, dass es fragend klang. Etwa wie ein Hallo? nach dem Abnehmen des Hörers. Denn es war ganz sicher keine menschliche Stimme. Taminos Ohren zuckten nach vorne und er richtete sich plötzlich interessiert auf. „Hi, Yukino“, sagte Natsu lebhaft und legte kurz die Hand über das Gerät. „Es ist Yukino“, erklärte er den anderen Anwesenden unnötigerweise, ehe er sich wieder dem Telefon zuwandte. „Hier ist Natsu, wir haben einen kleinen Notfall.“ „Wer ist Yukino?“, wollte Jude verwirrt wissen, während Lucy nicht wusste, ob sie lachen oder weinen sollte. Passierte das gerade wirklich? Man sollte meinen, sie hätte sich an so etwas Irrsinniges bereits gewöhnt, aber eine Katze am Telefon war zu viel für sie. Jude bekam seine Antwort, als ein Miauen aus dem Hörer drang, und starrte ungläubig. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch anscheinend fand er keine Worte für die absurde Situation, denn er bewegte ihn einige Male stumm und schloss ihn dann wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Lucy konnte da nur zustimmen, auch wenn sie schon besser an solch bizarre Dinge gewöhnt war. Layla dagegen legte eine Hand über den Mund, um ein Lächeln zu verstecken, und Natsu redete einfach weiter, als würde nichts Seltsames geschehen. „Ich habe gehofft, dass ihr frei seid um den Job zu übernehmen. Es sieht von hier ziemlich schlimm aus und war schon im vollen Gange, als ich hergekommen bin.“ Yukino antwortete erneut unverständlich für alle außer Natsu, der nebenbei nickte, als würde sie in klar verständlichen Worten reden. Jude fuhr sich über das Gesicht und wandte sich kopfschüttelnd ab. Laylas Schultern zuckten. „Es fällt einiges zusammen, wir haben einen Geist gesehen und dann gibt es da noch ein paar Kreaturen mit scharfen Klauen und Zähnen. Oder halt, mindestens eine, die dann aber recht groß sein müsste. Und halt… noch ein paar andere Sachen. Ich hab da so ein Gefühl. Kannst du mal Rogue ans Telefon holen?“ „Mrrrp“, machte es erneut und Natsu antwortete: „Okay, danke.“ Woher wusste er, was Yukino sagte? „Hat er… hat er gerade mit einer Katze gesprochen“, sagte Jude und seine Stimme war so flach, dass es noch nicht einmal wie die Frage klang, die der Satz eigentlich hätte sein sollen. Das schien ihn fast genauso zu überfordern wie der Geist. „Sie ist ein Familiar“, erklärte Lucy nach einem Moment. „Keine echte Katze.“ Sie tätschelte Taminos Kopf, der noch immer interessiert das Telefon anstarrte. „Und damit ist sie nichts für dich, du Casanova.“ Die Information war allerdings nur marginal besser und sie hatte nie herausgefunden, was Familiare eigentlich so taten und waren. Aber irgendetwas musste es bedeuten. Kurz darauf wurde der Hörer wieder aufgenommen, doch es war nicht Rogue, der sich meldete. „Willst du mir tatsächlich erzählen, dass du nicht mit einem einfachen Geist fertig wirst?“ Stings spöttische Stimme schnitt durch die erwartungsvolle Stille wie ein scharfes Messer. Lucy verdrehte die Augen. Natürlich konnte er ein Gespräch mit Natsu nicht einmal zivilisiert beginnen. Der war allerdings nicht besser, denn er stöhnte genervt und gut verständlich auf, so dass der Hexer auf der anderen Seite der Leitung ihn ebenfalls hören musste. „Ich wollte eigentlich mit Rogue sprechen“, antwortete er dann betont lässig. „Der ist vernünftiger als du.“ „Weil ausgerechnet du natürlich die Vernunft mit Löffeln gefressen hast, nicht wahr?“, höhnte Sting und Lucy musste zugeben, dass er mit der Aussage nicht unbedingt unrecht hatte. Doch er ließ Natsu nicht einmal Zeit zu antworten, sondern sprach sofort weiter: „Muss dir jemand Händchen halten beim Verbannen eines Geistes? Ist es schon so weit gekommen? Nicht, dass mich das wundert.“ „Mach dich nicht lächerlich“, knurrte Natsu ungehalten zurück. „Wenn, würde ich sicher nicht jemanden wie dich fragen.“ Die Implikation, dass Sting in dem Fall noch mehr Schwierigkeiten hätte, schwang in seiner Stimme mit. Jude und Layla wechselten einen halb verwirrten, halb besorgten Blick. „Ist das wirklich eine gute Idee…?“, flüsterte sie leise und er hob die Schultern in einer Woher soll ich das wissen?-Geste. Lucy konnte es ihnen nicht verdenken – sie hatten hier einige Schwierigkeiten, denn selbst wenn diese Massenkarambolage nicht irgendwie mit den seltsamen Ereignissen auf Heartphilia Manor zusammenhing, dieser Geist und das tote Pferd waren Grund genug zur Sorge. Und mit diesen Problemen sollten sie sich vertrauenswürdig an diese zerstrittenen Idioten wenden? Das klang nicht sehr überzeugend! Lucy verdrehte die Augen und stand auf. „Hallo, Sting“, sagte sie in einem möglichst freundlichen, ebenmäßigen Tonfall. „Wir hoffen, dir geht es gut.“ Für einen Moment herrschte Stille. „Was denkst du denn?“, war die wenig freundliche Antwort, wobei seine Stimme einen neutraleren Klang annahm. War er tatsächlich bereit, halbwegs zivilisiert mit ihr umzugehen? Wenigstens hatte er sie noch nicht ‚Tittenwunder‘ genannt, wofür sie dankbar war. Erneut trat für einen Augenblick Stille ein. Jude und Layla wechselten einen weiteren besorgten Blick. Natsu sah angepisst aus. Lucy rang die Hände und suchte nach den richtigen Worten. „Wer ist ‚wir‘?“, wollte Sting dann misstrauisch wissen. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass seine Stimme belegt klang, rauer als sonst. „Nur meine Eltern und ich“, antwortete sie etwas zu rasch. Natsu mit einzuschließen fühlte sich falsch an und er hätte vermutlich auch lautstark widersprochen, ganz egal, ob sie Stings Hilfe wollten oder nicht. Es war vermutlich eine fürchterlich schlechte Idee, den Hexenmeister mit ihm in einem Raum zu lassen. Wie sollte sie erwarten, dass die beiden auch noch miteinander arbeiteten?! Aber was hatten sie für eine Wahl? Entweder das oder sie setzten Menschenleben aufs Spiel und das war kein Preis, den sie bereit war zu zahlen. Entschlossen machte sie einen Schritt vor und presste die Hand vor Natsus Mund, so dass dessen nächste Bemerkung nur völlig unverständliches Genuschel wurde. „Wir wollten Weihnachten gemeinsam verbringen.“ Sting schwieg für einen weiteren Moment. „Und das sollte mich interessieren, weil…?“ Ein abgehacktes Husten folgte. Geduld, rief sie sich selbst zur Ordnung. Das ist eine berechtigte Frage, auch wenn er sie hätte höflicher stellen können! „Wir sind hier auf ihrem Landsitz“, erklärte sie darum. „Und der Geist ist letzte Nacht aufgetaucht.“ Natsu machte einen Schritt zurück und schob ihre Hand von sich. „Wäre das ein normaler Geist, hätte ich kein Problem mit ihm“, raunzte er, aber wenigstens bezog er sich auf das Thema. „Aber das ist kein kleiner Fisch. Und heute Morgen-“ Er unterbrach sich abrupt und ein Grinsen schlich sich auf seine Züge, das Lucy Sorgen machte. Darum beeilte sie sich, hinterherzuschieben: „Er hat unsere Eingangshalle in Schutt und Asche gelegt. Und Natsu sagt, dass ihn das sehr stark macht. Und…“ Sie warf ihrem Freund einen hilfesuchenden Blick zu, aber der spielte mit seinem Handy herum. „Und?“, fragte Sting und klang beinahe gelangweilt, trotz der Heiserkeit, die in seiner Stimme mitschwang. Er war doch nicht tatsächlich krank? Würde eine einfache Erklärung einen Knüppel zwischen die Beine ihrer Pläne werfen? Was auch immer das für Pläne waren… „Hin und wieder gibt es das schon mal.“ „Er wollte auch etwas sagen, aber wir haben ihn nicht richtig hören können.“, erklärte Lucy und Natsu neben ihr kicherte gemein. „Das war, was wir heute Morgen gefunden haben“, erklärte er laut und erneut schwieg Sting. „Weißt du“, sagte er dann im Konversationston. „Wenn ich dich das nächste Mal sehe, mache ich das auch mit dir. Dieser Kopf am Spieß ist sehr kreativ.“ „Jedenfalls hat er nichts mit dem Geist zu tun“, knurrte Natsu ungehalten. „Das solltest du auch erkannt haben.“ Statt einer Antwort hustete Sting, laut und rau. Ein Poltern ertönte, als der Telefonhörer auf dem Boden landete. Layla sprang erschrocken auf, als könnte sie etwas tun, und Lucy wechselte einen Blick mit ihrem Freund. Das klang nicht gut. „Bist du krank?“, wollte sie wissen, als Sting den Hörer wieder aufnahm, und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme besorgt klang. Doch ihre Worte gingen unter, da Natsu gleichzeitig sagte: „Sag bloß, du bist krank. Dabei kommst du nie vor die Tür.“ „Fick dich“, antwortete Sting grob, doch der feindselige Effekt wurde von einem weiteren Hustenanfall zunichte gemacht. „Du klingst gar nicht gut“, sagte Lucy beschwichtigend und warf Natsu einen bösen Blick zu. Er musste nicht noch mehr Salz in die Wunde reiben! „Das denkst du nur“, wehrte Sting ungehalten ab, doch er schien sich tatsächlich wieder unter Kontrolle zu haben, denn seine Stimme klang beinahe wieder normal, wenn man von der Heiserkeit absah. „Aber was wollt ihr jetzt von mir? Dass ich meine sieben Sachen packe und zu euch marschiere?“ „Naja“, begann Lucy zögerlich. „Ja, eigentlich war das die Idee.“ Hastig presste sie Natsu wieder die Hand auf den Mund, seine Proteste schon erahnend. Layla schmunzelte und Jude wandte sich ab, vermutlich um ein eigenes amüsiertes Lächeln zu verstecken. Natsu starrte sie über ihre Finger hinweg säuerlich an. „Okay“, sagte Sting langsam. „Hast du mein anderes Problem vergessen oder was schlägst du vor?“ „Uh…“, machte Lucy und schlug dann hastig vor: „Wir haben noch einen Rollstuhl.“ Eisiges Schweigen. Was hatte sie eigentlich erwartet? Ganz sicher nicht, dass ihre Idee mit Jubelrufen aufgenommen wurde. Aber er war überraschend wenig garstig. Vielleicht hatte sie doch eine Chance? Sie würde es auf jeden Fall versuchen. So einfach würde sie nicht klein beigeben, der würde sie schon noch kennenlernen! „Hör zu“, begann sie energisch und nahm Natsu das Telefon ab. Er verschränkte nur die Arme vor der Brust, sein Gesichtsausdruck halb erwartungsvoll-abwartend, halb ich hab’s dir doch gesagt. Doch davon ließ sie sich nicht beirren. „das wird hier alles noch schlimmer werden. Weder der Geist noch diese Kreatur, die Sultan getötet hat, noch das, was hier sonst noch so herumschwirrt, wird einfach wieder verschwinden. Sie werden sich nicht höflich zurückziehen und einen Obstkorb als Entschuldigung hinterlassen, sorry, wir haben uns im Haus geirrt, nichts für ungut. Aber allein werden wir damit nicht fertig, das gibt selbst Natsu zu, und wir wissen sonst niemanden, der helfen könnte.“ Diesmal kam Stings Antwort schon nach zwei, drei Sekunden: „Okay, aber ich weiß nicht, was ich damit zu tun habe. Hast du mein kleines Handicap vergessen?“ Ehe Lucy versichern konnte, dass das nicht der Fall war, warf Natsu ein: „Hast du jemand anderen anzubieten?“ Sting schwieg für einen weiteren Moment und Lucy wünschte sich, sie könnte erraten, was er dachte oder auch nur tat. Doch so gut kannte sie ihn einfach nicht und wollte sie das überhaupt? Sting war nie die angenehmste Person gewesen, selbst nicht zu besten Zeiten. Allerdings ahnte sie, was hinter dieser strikten Ablehnung von allem und jedem stand und dem verzweifelten Versuch, eine abweisende Fassade zu wahren. Und was sprach gegen einen Versuch, ihn besser verstehen zu wollen? In dieser Welt, die plötzlich so feindselig wirkte, konnten sie alle mehr Freunde vertragen. „Hm…“ Yukino miaute. „Was ist mit Mr. Lore?“, half Lucy weiter, doch Sting blockte sofort ab. „Rufus ist … auf einer Art Fortbildung“, erklärte er. „Er wird auf jeden Fall erst wieder nächstes Jahr erreichbar sein. Ich kann euch die Telefonnummer von Fernandez geben, er ist ein ziemlich guter Nekromant. Aber der ist erst nach Weihnachten frei. Du weißt ja, wie Nekromanten zu Mittwinter sind.“ „Das ist zu spät“, widersprach Lucy sofort. „Bis dahin könnte schon wer-weiß-was passiert sein!“ Sie warf einen hilflosen Blick zu Natsu, der darunter regelrecht zusammenschmolz. Oder zumindest soweit nachgab, dass er sich vorbeugte und sagte: „Hör zu, du weißt vermutlich einiges über so ’n Viehzeug und all den Kram und im Moment geht es darum, die Gegner erstmal zu identifizieren. Allein kann ich das schlecht machen, vor allem nicht, wenn ich auf vier Zivilisten achtgeben muss. Rogue und ich können die Drecksarbeit machen. Und die Laufarbeit.“ Den Seitenhieb konnte er sich wohl nicht verkneifen. „Du kannst das hier als einen kleinen Urlaub sehen, es gibt sogar einen Butler.“ „Butler, huh?“, machte Sting, klang aber wenig interessiert an dem Thema. „Hey, Yukino, was ist…? Oh, hi, Minerva. Wo ist Rogue? Hier ist…“ Stings Stimme ging in unverständliches Gemurmel über, als er sich von dem Telefon entfernte. Lucy drückte die Taste, die das Mikrophon ausschaltete. „Ist das jetzt gut oder schlecht?“, wollte sie von Natsu wissen, der mit den Schultern zuckte. „Rogue war immer der Verständiger der beiden. Vielleicht kann er diesen verstockten A-“ Layla räusperte sich und er verstummte abrupt, um ihr ein unschuldiges Grinsen zuzuwerfen. „Dieser junge Mann wirkt ziemlich unhöflich auf mich“, fügte sie an, ohne auf Natsus eigene Taktlosigkeiten einzugehen. „Das ist sehr höflich umschrieben, meine Liebe“, antwortete Jude trocken, ehe er seinen Blick kurz auf Lucy richtete und dann zu Natsu sah. „Und du glaubst wirklich, dass er uns helfen kann?“ Natsu verzog schmerzlich das Gesicht, doch er war ein ehrlicher Mensch und nickte. „Er ist ein mächtiger Hexenmeister, trotz allem, der Mächtigste, den ich kenne. Und ich weiß schlichtweg niemand anderen, der so schnell einspringen kann. Er offensichtlich auch nicht, ansonsten hätte er uns jemanden vorgeschlagen.“ Natsu rieb sich durch die Haare. „Unsere unerwünschten Besucher haben sich wirklich die beste Jahreszeit ausgesucht.“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Das ist nicht das erste Mal, dass du das sagst. Was meinst du damit?“, hakte Jude sofort nach. Lucy horchte interessiert auf, während Natsu das Gesicht verzog. „Warum muss ich hier eigentlich der Lehrer spielen?“, maulte er vor sich hin. Trotzdem setzte er an: „Es ist nur so, dass am Ende des Jahres einige wichtige Ereignisse sind. Also, die Sonnenwende, die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr… Das ist eine heikle Zeit. Magisch gesehen. Gefährlich. Ähnlich wie Halloween, allerdings auf eine andere Weise. Die meisten magisch begabten Leute, aber auch viele Monster ziehen sich zurück und halten die Füße still. Eine Art Winterschlaf, der erst nach Neujahr wieder gebrochen wird.“ Natsu zuckte mit den Schultern. „An Mittwinter beginnt der Kreislauf der Sonne wieder, das neue Jahr steht an, das Leben gewinnt wieder an Kraft und mit ihm auch alle Lebewesen, so was halt. Aber einen Neuanfang gibt es nicht ohne ein Ende, so ist das halt. Das hat alles symbolische Bedeutung und Symbolik ist wichtig für Magie, aber allzu viel verstehe ich von all dem Kram auch nicht.“ Er runzelte die Stirn und Lucy hatte diesen letzten Halbsatz in der letzten Zeit so oft zu hören bekommen, dass sie langsam zweifelte, ob er tatsächlich der Wahrheit entsprach. Ihr Freund tat zwar immer so, als würde er nur oberflächliches Wissen haben, aber inzwischen war sie sich da nicht mehr so sicher. Er wusste immer genau so viel, wie er musste, und tat alles andere als zu viel oder zu kompliziert ab. Dabei war er keinesfalls dumm. Jetzt grinste er ihre Eltern arglos an. „Ich kann euch ein paar Bücher empfehlen, wenn ihr wollt.“ Doch Jude winkte ab – er war wohl bereit, an das Übernatürliche zu glauben, aber sich direkt damit zu beschäftigen, das war etwas ganz anderes. Außerdem hatten sie echt größere Probleme. „Was für ein Handicap, das er erwähnte?“, fragte Layla dazwischen und sah von einem zum anderen. Ehrliche Neugierde und Sorge schwangen in ihrer Stimme mit. Erschrocken wechselte Lucy mit Natsu einen Blick. Sie hatten versprochen, nichts darüber zu sagen, und auch wenn das unter einer Todesdrohung geschehen war, so hatte sie keine Intention, dieses Versprechen zu brechen. Im Gegenteil, sie verstand absolut, warum es ihr abgerungen worden war. Die Sicherheit eines geliebten Menschen ging einfach über alles andere. Natsu schien glücklicherweise ebenso unwillig, mit der Sprache herauszurücken. Das war bei der angespannten Stimmung zwischen ihm und dem Hexer nicht unbedingt selbstverständlich. Doch er war niemand, der jemanden einfach so ans Messer lieferte, dazu kannte Lucy ihn bereits zu gut. Aber wenn Sting und Rogue wirklich herkamen, würde es selbst dem Dümmsten auffallen. Also mussten sie zumindest etwas erklären. „Er ist ein wenig … körperlich eingeschränkt“, versuchte Lucy sich herauszureden, ohne direkt die Wahrheit zu sagen. Das mit dem Fluch mussten sie ja nicht unbedingt fallen lassen. „Darum der Rollstuhl.“ „Ist er ernsthaft krank?“, wollte Layla sofort wissen, ihre Stimme besorgt. „Er klang vorhin auch nicht sehr gut.“ Jude sah das Ganze praktischer. „Wie kann er uns helfen, wenn er so eingeschränkt ist?“ Es war kaum zu glauben, aber erneut sprang Natsu und die Bresche, wenn auch sichtlich unwillig: „Wie ich sagte, Rogue und ich werden die Drecksarbeit erledigen. Gemeinsam können wir ganz schön hinlangen, will ich behaupten. Ist wirklich eine ungünstige Situation, aber entweder, Sting kommt, oder wir müssen mindestens warten, bis Weihnachten vorbei ist. Und ich hab das Gefühl, dass wir diese Zeit nicht haben.“ „Hm“, machte Jude, die Stirn gerunzelt, aber es war ihm nicht anzusehen, was er von allem dachte. Aber er widersprach nicht geradeheraus, also fiel ihm auch nichts besseres ein und war bereit, Natsus Führung zu folgen. „Rogue ist Stings Partner“, fügte Lucy erklärend hinzu, doch ehe sie weitersprechen konnte, knackte es im Hörer und Rogues Stimme drang hindurch. „Natsu?“ Hastig schnappte Lucy sich wieder das Telefon und aktivierte das Mikrophon erneut, ehe sie sagte: „Hier ist Lucy, aber Natsu und meine Eltern hören zu.“ „Wie auch immer, wir können euch nicht helfen.“ Rogues Tonfall war kühl und seine Worte knapp, wie immer, und seine Ablehnung so ruhig, dass es ihr für einen Moment die Sprache verschlug. Nicht einmal Sting hatte so rundheraus abgelehnt! Dabei hatte sie gedacht, wenn es darauf ankam, dass sie Rogue leichter von allem zu überzeugen konnten! „Das ging schnell“, hörten sie Sting von der Seite einwerfen, etwas gedämpft und … widerwillig? „Wa-warum?“, stotterte Lucy verdutzt. „Es ist wirklich ernst!“ „Sting hat mir alles erzählt“, blockte Rogue ab und sein Tonfall machte klar, dass er nicht mit sich verhandeln lassen wollte. Aber wenn er dachte, sie würde einfach so klein beigeben, hatte er sich verschätzt! „Ihr werdet damit sicher selbst fertig, es ist nur ein verdammter Geist.“ „Und ein explodiertes Pferd, schon vergessen?“, fügte Natsu trocken hinzu, sein Tonfall leicht verwirrt. „Ganz zu schweigen davon, dass es hier in der Nähe eine Massenkarambolage gab, und ich nicht ganz von der Hand weisen will, dass das nicht vielleicht miteinander zu tun haben könnte. Zu viele Vorfälle, verstehst du?“ „… Das sind nur Spekulationen.“ „Und die dunklen Energien, die über Heartphilia Manor hängen und sich vermutlich über die ganze Gegend, inklusive Snowdrop Village, ausbreiten, die haben gar nichts mit allem zu tun, oder?“, raunzte Natsu, plötzlich aufgebracht. „Hältst du mich für blöd? Du solltest genau wissen, wenn ich sowas sage, hat das Hand und Fuß!“ „Snowdrop Village?“, hörten sie Sting erneut im Hintergrund, während Rogue einen Herzschlag später hinzufügte: „Dunkle Energien? Bist du sicher?“ Nun klang er nachdenklich. Ha! Erwischt! Natsu verdrehte die Augen. „Nein, ich lüge dir etwas vor, weil ich euch so vermisse.“ Stille. „Natsu, das war nicht nötig“, flüsterte Lucy ihrem Freund zu. Wenn Natsu ihre potentiellen Helfer vertrieb, weil er so patzig war, dann konnte er etwas erleben. „Menschen sterben“, warf Layla ein, ihre Stimme sanft, aber bestimmt. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und sah aus wie eine echte Lady. Doch da war etwas an ihrer Haltung, in ihren Augen, das Lucy an Stahl erinnerte. „Was braucht es noch, um helfen zu wollen?“ „Leute sterben jeden Tag“, knurrte Sting unwillig. „Niemand kann die ganze Welt retten.“ Layla ließ sich nicht anmerken, ob die Worte sie schockten und ihre Stimme klang noch immer gleich. „Snowdrop Village ist nicht die ganze Welt. Und hier können wir – und ihr – etwas tun. Bitte.“ „Wir werden euch anständig entlohnen“, fügte Jude hinzu. Ob es das war oder Laylas Bitte oder etwas ganz anderes, am anderen Ende der Leitung herrschte ein weiterer Moment Stille. Dann miaute Yukino laut und nachdrücklich, gefolgt von einer geflüsterten Diskussion. „Wir sollten das auschecken“, hörten sie Sting schließlich gedämpft über den Hörer. „Aber du…!“, begann Rogue heftig, doch seine Stimme wurde abrupt abgewürgt und Sting sagte erneut etwas. Diesmal waren die Worte zu undeutlich, als dass sie etwas anderes ausmachen konnten als den Tonfall, ein nachdrückliches Flüstern. Einen Moment meldete Rogue sich erneut, obwohl er noch immer nicht begeistert klang: „Fein. Schickt uns die Adresse. Snowdrop Village, sagtet ihr?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)