Stand my ground von Melora ================================================================================ Kapitel 2: Angels on the rampage -------------------------------- Wenig später öffnete Sêiichî  die Beifahrertür, hielt diese auf und Inspektor Megure stieg in den Polizeiwagen ein, so dass sie ohnehin keine Chance mehr hatten, ihre geheime Unterredung fortzuführen und deshalb schwiegen.  Er selbst stieg nun hinten ein. Es war lange her, dass er hinten gesessen hatte, denn für gewöhnlich fuhr er einen eigenen Wagen. „Entschuldigt, dass ich euch so lange warten ließ. Ich musste mit einem Kollegen noch etwas absprechen. Wir können jetzt losfahren, Takagi“, wies er seine rechte Hand an und dieser startete den Motor. „Die Spurensicherung habe ich bereits hingeschickt.“   Nach knapp zehn Minuten erreichten sie den Beika Park, wo hinter der Absperrung noch jede Menge neugierige Passanten der Polizei bei der Arbeit zusahen.    ~Kurz vor Mittag, Tokyo, Haido-Bezirk~ Dort befand sich eine Klinik mit mehreren Stockwerken. Die Abteilung Chirurgie befand sich direkt unter dem Stockwerk der Gynäkologie. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille, dabei hatte sich die Sonne schon wieder verabschiedet. In den Gängen begegnete ihr niemand, im Wartezimmer hingegen fiel sie sofort auf. Die blonde Dame mit der Sonnenbrille, die sie auch drinnen nicht ablegte. So jemand erregte natürlich sofort das Interesse der Leute, also war es kein Wunder, dass einige junge Damen begannen zu tuscheln, als diese verdächtige Person sich zu ihnen ins Wartezimmer setzte. Ein junges Fräulein, die gerade in einem Magazin blätterte, in dem so allerhand Stars abgebildet wurden, entdecke natürlich reinzufällig sie, woraufhin sie ihrer Freundin einen Seitenhieb verpasste und sie auf ihre Entdeckung aufmerksam machte… „Ist das nicht…?“ „Weiß nicht so genau.“ Sie flüsterten und beobachteten ihr Gegenüber. „Ich ruf meine Freundin an…“ „Gott, nein! Du kannst doch nicht im Wartezimmer telefonieren… Schreib ihr eine Mail, das reicht doch!“ erwiderte die Schwarzhaarige ihrer hellbraunhaarigen Freundin. Geschwind tippte diese daraufhin eine Nachricht, die in Windeseile zum anderen Handy gelangte. „Nichts anmerken lassen, sonst verkrümelt sie sich noch“, flüsterte die Dunkelhaarige und ihre Freundin kicherte leicht hinterhältig. „Wo denkst du hin? Ich bin die Vorsicht in Person.“ Die 20-jährige wirkte ein wenig ungläubig, was ihre Cousine da gerade vom Stapel ließ, konnte nur ein Scherz sein. Einem geübten Auge entging niemals, wenn jemand einen beobachtete. Ihrem schon gar nicht, daher war es den beiden Mädchen unmöglich ihr Interesse an ihrer Person zu verheimlichen. Sie versuchten hinter ihren Heften zu ihr zu schauen. Wenn sie es wenigstens geschickt gemacht hätten… Sie blinkte sich nach links und rechts um, wo die Leute sie kaum wahrnahmen – aus den verschiedensten Gründen; wahrscheinlich kannten sie die meisten nicht. Aber diese jungen Mädchen, die kannten sie sehr wohl, das sah man ihnen an, sie waren ja ganz nervös geworden; warum nur? Ein leicht belustigtes, aber auch spöttisches Lächeln war ihr gegeben, als sie sich das so anschaute. Junge Mädchen, Fangirls. Sie trauten sich wohl nicht… wie schade… Zu gern wollte sie ein bisschen Spaß mit diesen Mädchen haben – sie hatte ja sonst keinen Spaß. Obwohl schon, heute erst… Im Präsidium… Als man ihren Namen rief, hätte man die Vermutung haben können, es hatte die beiden Mädchen total erschrocken – nicht mal inkognito war sie hier, unfassbar. Sie schauten ihr nach, als sie zum Arztzimmer lief, so dass Chris stehen blieb. Ihr Kopf drehte sich zu ihnen und sie versuchten zwar sofort in eine andere Richtung zu schauen, aber es gelang ihnen nicht besonders gut, zu vertuschen, dass sie sie die ganze Zeit angestarrt hatten. Als sie beide mit ihrem Blick fixierte, erschien ein Grinsen in ihrem Gesicht. „Girls, if you want to watch someone, you have to do it more skillfull. Everything else is impolite. Didn’t somebody tell you? And if you want to ask a person something, just do so.“ Schockiert – sie waren einfach nur schockiert, als diese Frau sie einfach so ansprach. „We are so sorry! Really!“ entschuldigte sich die Hellbraunhaarige und faltete sofort die Hände aneinander, um ihre Entschuldigung noch mehr zu verdeutlichen. „We will never do it again, word of honor!“ Sie bewies großes Geschick in der englischen Sprache. „Don’t worry, my dear. I will forgive you.“ Sie zwinkerte Sonoko zu und lächelte sie dabei an, so dass diese knallrote Wangen bekam. „Abgefahren…“ Sie war hin und weg. Diese Frau hatte tatsächlich mit ihnen gesprochen. „Oioioi, beruhige dich, Sonoko!“ versuchte ihre Cousine das Mädchen zu bremsen, die gerade aussah, als würde der wunderschönste Junge vor ihr stehen und sich augenblicklich in ihn verlieben, dabei handelte es sich nur um eine bekannte Schauspielerin, die sie mal im Kino bewundert hatten. Nach ihren Worten, wendete sie sich ab und lief Richtung Patientenzimmer, woraufhin Sonoko aufsprang und ihr hinterher raste. „One question, Miss Vineyard!“ Oh Gott, ihr Herz, das brachte sie ja beinahe um, aber sie wollte die Chance nicht einfach so verstreichen lassen, immerhin hatte sie ihr ja Mut zugesprochen, da konnte sie es ja jetzt wagen! „What is it, my dear?“ fragte sie und blickte sich zu dem Mädchen um, welches sie heranwank. Sie war eine berühmte Schauspielerin, da konnte sie das Ganze ja nicht laut fragen, dann hatten sie wahrscheinlich gleich sonst wen an der Backe. Sonoko hielt ihre Hand neben das Gesicht und flüsterte ihr die Worte nur zu. „What are you doing in Japan? Are you longer here?“ „Oh, I see…“ Sie lächelte und beugte sich zu ihr. „That’s a big secret.“ Sofort bildete sich in Sonokos Gesicht eine leichte Traurigkeit. „Such a big one, you can’t tell it?“ „It would mean trouble, if I tell it so easy.” „I won’t tell it, nobody, I swear.” „I’m on holiday. And I visit my special people”, hauchte sie Sonoko ins Ohr, welche sofort wieder von einer Röte erfasst wurde. „Oh.“ Natürlich dachte die Hellbraunhaarige sofort an den berüchtigten Freund, von dem sie niemals sprach… „My friend and myself, we cherish you very much!“ Sonoko wollte nett sein, etwas womit sie etwas erfolgreicher war, als im Verstecken, dass sie sie beobachtet hatte. „Thank you. Take care for yourself, my dear“, sagte sie freundlich und beeilte sich dann, weil sie zum zweiten Mal aufgerufen wurde. „Yes, yes.“ Sie nahm die Beine in die Hand und ließ Sonoko im Flur stehen. “Man, wie abgefahren ist das denn? Die ist gar nicht so schrecklich zu Leuten, wie alle immer sagen.“ Sie war furchtbar stolz auf ihre mutige Aktion, auch wenn ihre Cousine mittlerweile seufzend hinter ihr zum Vorschein kam. „Das war ganz schön frech, nun setz dich wieder hin!“ Sie nahm Sonoko am Arm und zog sie zurück zu ihrem Platz. „Na und? Frechheit siegt!“ „Trotzdem! Du bist einfach unmöglich! Ran hätte sich in Grund und Boden geschämt.“ „Oh Gott! Das glaubt die mir nie, dass wir hier Chris Vineyard getroffen haben!“ Die Leute um sie herum, schenkten ihnen empörte Blicke, weil sie teils schon ziemlich laut waren… „Die Leute schauen schon, benimm dich!“ Und so etwas war eine direkte Nachfahrin der Suzukis, einer der reichsten Familien in Japan…   Am Tatort unterdessen hatten die Ermittlungen schon lange vor der Ankunft der drei Kriminalisten begonnen. Die Spurensicherung war schon im vollen Gange. Abgesperrt war der Tatort, was einige Leute wohl sehr fuchste, weil der Beika Park ein sehr schöner war – vor allem war heute schönes Wetter, da wollte man nur zu gern im Park spazieren gehen… Sêiichî betrachtete missmutig den Ankunftsort. „Ich hasse Mord im Freien. Selten kommt die Spurensicherung rechtzeitig. Bis sie da sind, sind schon ein dutzend Leute über den Tatort marschiert, gerade wenn es so ein dummer Park ist.“ Er hatte die Arme verschränkt – ihn erinnerte das an die Profis, die gerne solche Orte wählten. Ein Büro zum Beispiel musste man ordentlich sauber machen, bei einem öffentlichen Ort reichte es schon, die Tatzeit genau zu planen – meistens dann wenn die Wettervorhersage starken Regen meldete. Ja genau, das liebten diese Leute. Je mehr Spuren von der Natur aus verwischt wurden, umso besser, nicht wahr? Um den ganzen Tatort herum standen Menschen und gafften. Schaulustige gab es immer. Sie blickten zu dem Zelt, worin sich die Ermittler bereits befanden. Nun stiegen sie aus, streiften sich Plastiküberzüge über die Schuhe, um den Tatort nicht zu kontaminieren, daraufhin schlüpften sie unter den Absperrungen hindurch zu den anderen Ermittlern. Ein junger Mann kam ihnen entgegen. „Wir sind bereits weit fortgeschritten. Die Fotos sind fertig, die Spuren eingetütet. Aber die Leiche wurde nicht verändert, wie gewünscht.“ Megure nickte und sie liefen zu dem blauen Zelt, das nur verhindern sollte, dass die Schaulustigen bei der Arbeit an der Leiche zuschauen konnten. Die Kriminalisten zogen sich noch Einmalhandschuhe über und begaben sich dann ins Zelt. Gleich beim Betreten des Zeltes, fielen ihre Blicke auf die nackte Schülerin, die sie jedoch keineswegs die Miene verziehen ließ. „Achje“, meinte Sêiichî, „was für ein Chaos.“ Wataru blickte zu ihm hinüber, sagte jedoch nichts, dennoch beobachtete er den Kriminalisten, der sich in die Hocke begab. „Stümper.“ Megure hustete einmal wegen des kleinen Ausfalls des jungen Mannes. „Was genau wollen Sie damit sagen?“ „Dass der Tatverdächtige ein Amateur ist. Es ist zweifelsfrei jemand, der von Mord nichts versteht.“ „Achja, wirklich? Und wieso glaubst du das, Sêiichî?“ fragte Wataru stichelnd, woraufhin sein Freund sofort einige Indizien aufzählte. „Der Täter war in Eile und nicht ganz bei Verstand, wie mir scheint. Die Spuren sind wahllos über den ganzen Körper verteilt. So muss er sie mit einem Messer attackiert haben, womöglich um sie zu erschrecken, damit sie ihn fürchtet. Dabei hat er sie willkürlich verletzt. Er strangulierte sie mit einem Strick. Die Abdrücke am Hals zeigen das deutlich, dabei ist er nicht sonderlich geschickt vorgegangen. Anscheinend hat der Amateur keine Ahnung davon, wie man ein Opfer würgt. Er hat ja sogar die Hände dazu genommen, um sein Ziel zu erreichen.“ Quer über ihren Hals waren Spuren des Seils zu finden, am Schlüsselbein jedoch auch tiefe Druckspuren von Händen. Derjenige musste sein Opfer mit aller Kraft versucht haben zu erwürgen. „Jeder weiß, dass man nur hinten zuziehen muss… Der Täter hat vorne verknotet und konnte so wohl nicht kräftig genug zuziehen, deswegen musste derjenige wohl mit den Händen nachhelfen.“ „Sieht aus wie ein Anfall im Affekt.“ Wataru wandte sich seinem Kollegen von der Spurensicherung zu. „Name des Opfers? Zeugen? Was konnte man am Tatort bereits ausfindig machen? Messer? Seil vielleicht?“ Der junge Mann sah auf seinen Notizblock. „Die Personalien der Passanten haben wir hier festgehalten“, sagte er und reichte Wataru die Notizen. „Allerdings will keiner von denen etwas gehört oder gesehen haben. Sie haben das Mädchen tot aufgefunden. Den Namen des Opfers wissen wir noch nicht. Kein Messer und kein Seil gefunden.“ „Bei einer solchen Leiche sollte zumindest ein Kampf stattgefunden haben. Und da will keiner etwas gehört oder gesehen haben? Das ist ausgeschlossen, es sei denn, sie wurde tot hierher verschleppt. Das würde ich aber sehr krass finden. Es ist helligster Tag.“ Sêiichî seufzte. „Wie lange ist sie schon tot?“ „Es scheint, als sei sie schon einige Stunden tot. Jedoch nicht lange genug, als dass man sie heute Morgen in der Dunkelheit hierher gebracht haben könnte. Es muss gegen 10 Uhr passiert sein, ca.“ „Hatte sie etwas bei sich?“ „Nur eine leere Handtasche. Wir konnten so noch nicht einmal herausfinden, wer sie ist. Sie trägt keinen Schülerausweis bei sich und auch sonst nichts weiter, was uns weiterhelfen würde. Wir haben ihre DNA-Spuren aufgenommen und wissen spätestens in 12 Stunden, wer sie ist.“ „Verstehe, wir wissen also noch nicht einmal den Namen des Mädchens“, schlussfolgerte Sêiichî. Er warf Wataru einen leichten Seitenblick zu. „Ich denke nicht einmal, dass das ein Mann war.“ Er deutete af Kratzspuren am Hals hin, die sogar geblutet haben mussten. „Da war eine Person mit langen Fingernägeln am Werk. Die meisten Männer würden ihrem Opfer auch nicht büschelweise Haare ausreißen.“ Sein Finger zeigte auf ihre Kopfseite, wo man ihr definitiv einen ganzen Büschel Haare ausgerissen hatte. „Welcher Idiot bringt eine Leiche auch in den Beika-Park? Ich würde sie im Meer versenken…“ „Sêiichî – manchmal bist du mir wirklich suspekt.“ „Was ich damit sagen will, Wataru, ist dass derjenige entweder total kopflos sie schnell loswerden musste, oder derjenige ist selbst in einem Alter, wo er keine Leiche unbemerkt wegschaffen könnte. Zum Beispiel weil derjenige noch keinen Führerschein besitzt.“ „Du meinst, es war jemand in ihrem Alter? Oh man – das würde ich aber schlimm finden, du nicht?“ „Auch zwischen Kindern kommt es zu Streitereien, bei denen es zu schwerwiegenden Unfällen kommen kann. Glaub mir, ich kenne mich da aus. Habe keinen leichten Bruder.“ „Sie muss also zumindest aus der näheren Umgebung stammen, nicht wahr? Wahrscheinlich ging sie auf die Beika-Schule. Vielleicht sollten wir uns dort mal über die fehlenden Schüler erkundigen. Vielleicht erfahren wir so den Namen des Opfers schneller. Wenn der Täter wirklich ebenfalls ein Schüler ist, dann sollte er entweder gar nicht in der Schule sein, oder erst nach 10 Uhr aufgekreuzt sein.“ „Ist anzunehmen.“ „Tja, nur Annahmen reichen nicht, Iwamoto“, sagte Megure jetzt, auch wenn er die Ausführungen des jungen Mannes durchaus passabel fand. „Sie sind wohl kein sonderlich geduldiger Mensch, nicht wahr? Sie wollen den Fall am liebsten sofort auflösen.“ „Oh, ich weiß, dass das in der Regel nicht möglich ist, aber man kann es ja versuchen. Vor allem will ich unseren Täter ungern viel Zeit lassen, sich zu sammeln. Je länger derjenige sich in Sicherheit wiegen kann, desto mehr Ausreden findet derjenige. Da spreche ich aus Erfahrung. Derjenige wäre schockiert, wenn wir ihn sehr zügig ausfindig machen. So ein Laie, wie das war, würde denjenigen so etwas fürchterlich schockieren.“ „Ich glaube nicht, dass die Person nicht damit rechnet, gefunden zu werden.“ Wataru war sich vollkommen sicher. „Du sagtest es ja selbst, die Leiche muss auf die Schnelle hierher gebracht worden sein… So in einem Verzweiflungsakt quasi.“ „Na los, rufen Sie schon in dieser Schule an, Iwamoto! Ich weiß, dass sie’s kaum aushalten. Mal sehen, was sich so herausfinden lässt.“ Er wank ab. Es konnte ihnen nicht schaden, wenn sie das hier zügig über die Bühne brachten. Nun hatten sie es schon mit 15-jährigen kleinen Monstern zu tun. Er wusste ja dieser Ort hier war schrecklich – aber so etwas gab es eher selten. Diesmal jedoch war kein Conan oder Kogoro in der Nähe, den er als Todesgott hätte bezeichnen können…   Der junge Arzt saß in seinem Patientenzimmer und seufzte zum wiederholten Mal. „Ich verstehe überhaupt nichts mehr…“ Die Arzthelferin, welche im gleichen Büro zu finden war, drehte sich um, denn so etwas in die Richtung hatte sie den jungen Mann noch nie sagen hören. „Was denn, Ashida-san? Was bereitet Ihnen denn dieses Kopfzerbrechen?“ „Schicken Sie mir bitte meine Patientin herein“, antwortete dieser, ohne auf ihre Frage einzugehen, woraufhin sie sich seufzend zurückzog. In letzter Zeit war der leitende Frauenarzt merkwürdig. Er murmelte immerzu irgendwelche Sachen vor sich hin, die er im Nachhinein nie erklärte. Sie ging hinaus und kam wenig später mit dieser sehr speziellen Kandidatin von Frau zurück. Diese war noch nicht oft in ihren Präxisräumen gewesen, aber jedes Mal wenn sie kam, hatte sie das Gefühl, das Mittagessen bekam ihr nicht, weil sie so nervös wurde. Sie bekam einen rauen Hals, musste mehrmals einen Schluck Wasser trinken und wirkte äußerst verunsichert, als wäre sie neu in ihrem Job. Doch das war sie nicht, die 35-jährige arbeitete schon sehr lange in ihrem Beruf. Bei der Patientin handelte es sich jedoch um jemanden, den sie hier nicht gerne sah – die meisten Gründe waren belangloser Natur – wie zum Beispiel die Tatsache, dass sie Schauspielerin war, mit jeder Menge Schotter und dementsprechend eine besondere Behandlung erwartete. So etwas machte sie jedes Mal nervös, obwohl die 29-jährige redlich bemüht war, nett zu sein – fanden jedenfalls ihre Kollegen. Sie verstanden überhaupt nicht, weshalb sie sich jetzt schon wieder den Magen hielt und Tabletten einwarf, um es zu ertragen. „Jetzt mach dich locker! Die Frau reißt keinem von uns den Kopf ab – höchstens dem Arzt, wenn er sie falsch anfässt.“ Die Schwarzhaarige an der Rezeption hatte auch mal wieder ihren fiesen Tag, weshalb sie so einen Spruch brachte und dann ihre ältere Kollegin fies angrinste. „Es könnte schlimmer sein, wirklich…“   Asako (23) Yasuaki [Arzthelferin, Angestellte im Frauenarzt Klinikum in Haido-Cho]   Mutsumi (35) Yasukawa [Arzthelferin, Angestellte im Frauenarzt Klinikum in Haido-Cho]   „Was du nicht sagst! Sie soll beim letzten Mal explizit nach unserer ÄRZTIN gefragt haben, damit die sie untersucht – unser Chefarzt durfte dabei zuschauen.“ Es klang belustigt, wie sie es sagte. „Eine richtige Primadonna. Er hatte kaum eine andere Wahl, als sie hinzuzuholen. Mich hat sie die ganze Zeit mit ihrem Blick fixiert, dass ich angefangen habe zu zittern. Ein bisschen blöd, wenn du jemandem Blut abnehmen sollst. Diese Frau ist schon merkwürdig – ich glaube unser Chefarzt hat sogar Angst vor ihr.“ „Ganz bestimmt nicht so sehr, wie du, Mutsumi.“ „Ich frage mich sowieso, wie eine so berühmte Person aus dem Ausland dazu kommt, ausgerechnet hier reinzuflattern. Findest du das nicht auch verdächtig? Die kann sich doch jeden teuren Arztbesuch leisten! In Amerika haben sie bestimmt bessere Ärzte als hier.“ Die Braunhaarige hatte die Augenbrauen zusammen gezogen und der Jüngeren das beiläufig mitgeteilt. „Ihre merkwürdigen Arzneien bekommt sie hier doch sowieso nicht! Was also kann sie wollen? Frauen kommen doch normalerweise nur, wenn sie schwanger sind, oder sonst irgendwie akute Probleme haben…“ „Vielleicht solltest du dir um so etwas weniger Gedanken machen, sonst wirst du noch verrückt“, merkte Asako an, druckte einige Sachen aus und überließ dann ihrer älteren Kollegin das Feld. „Aber eines kann ich dir sagen, schwanger ist sie nicht.“ Mit den Worten hatte sie die Neugierde dieser merkwürdigen Frau in den Dreizigern befriedigt, so glaubte sie jedenfalls.   Ihr gut aussehender Arzt kam gerade an die Rezeption, während seine Patientin schon wartete und holte dort bei seiner Arzthelferin die Unterlagen ab und verschwand dann ohne großes Federlesen wieder. Als er in sein Patientenzimmer trat, schloss er sofort die Tür, um die Diskretion zu wahren. Er wusste, wie wichtig dieser Frau Derartiges war, dass keine unbefugte Person irgendeinen Wind hiervon bekam. „Wie geht’s dir?“ fing er gleich an zu plaudern, da sie sich bereits länger kannten. Deswegen musste er auch nicht anfangen irgendwelche Höflichkeitsfloskeln zu benutzen, um besonders freundlich zu sein. Er setzte sich ihr gegenüber an den Computer. „Das entscheide ich nachher, wenn du mir gesagt hast, wie es um mich bestellt ist“, sagte die Blonde mit einem leicht nervösen Nachdruck in der Stimme, den der Mann an ihr so nicht kannte. „Also wirklich – du musst wirklich total verzweifelt gewesen sein. Erst stürmst du in meine Klinik, dann verlangst du auch noch alles an Checkups, die möglich sind. Tut mir leid, wenn mir das ein bisschen spanisch vorkommt.“ Im Handumdrehen hatte er alles vorliegen. Da ihr wohl sehr viel daran gelegen war, schnellstmöglich zu erfahren, ob ihr etwas fehlte. „Ich kann dich beruhigen. Weder das Blutbild war auffällig, noch der Abstrich hat irgendetwas ergeben, wovor du dich fürchten müsstest.“ Kenichi holte tief Luft, immerhin war sie ziemlich panisch gewesen, als sie vor einer Woche hier aufgeschlagen war. Er hatte erst gedacht, sie sei schon wieder verletzt worden – obwohl es ihn gewundert hatte, was sie hier verloren hatte. Bei ihrer Chirurgin, in der Abteilung, die für Verletzungen aller Art zuständig war, passte sie besser hin. Denn ihr Leben war alles andere als ruhig. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie wieder zusammen geflickt worden war. „Ich bin also nicht ernsthaft krank?“ Seine Worte klangen so, aber sie hinterfragte die Sache, weil er ihr nicht erzählen konnte, dass bei ihr alles in Ordnung sei. „Nein, bei dir ist alles in bester Ordnung. Laut des Befundes ist lediglich ein niedriger Hormonspiegel der Fall, das erklärt auch diese ganzen Symptome, über die du geklagt hast. Organisch ist alles in bester Ordnung – für dein Alter.“ Sofort sahen ihn eisblaue Halbmonde an, der ihn fast etwas zurückschrecken ließ. „Was soll das bitteschön heißen? Für mein Alter! Du willst mir also weismachen, dass es mit 29 Jahren normal ist, alle 3 Monate mal zu bluten, Schlafstörungen zu bekommen und unter Hitzewallungen zu leiden?! Ernsthaft, Kenichi Ashida?!“ Der stechende Ton in ihrer Stimme verriet, wie erregt sie innerlich gerade über die Wortwahl des 27-jährigen war. „…Kommt vor, aber meistens ist das eher so mit über 40 der Fall und-“ „Ich bin 29!“ Von über 40 wollte sie gerade überhaupt nichts hören. „Meinst du, ich komme in deine blöde Praxis, um mir so etwas sagen zu lassen?“ Kaum hatte sie das gesagt, stand sie von ihrem Platz auf und beugte sich zu dem Schwarzhaarigen hinüber, dabei donnerten ihre Hände auf den Schreibtisch, weil sie doch ein bisschen die Beherrschung verlor. Mitten im Satz hatte sie ihn unterbrochen, denn sie wusste ganz genau, was er im Begriff gewesen war, zu sagen. Kenichi zuckte ganz leicht zusammen, weil sie gerade regelrecht Gift versprühte – cholerisch wurde sie wohl jetzt auch noch… passte ja perfekt ins Bild. „Heilige Mutter Gottes!“ schnaufte der Arzt. „Jetzt setz dich wieder hin und beruhige dich! Ich weiß gar nicht, warum du so einen Aufstand machst! Was willst du eigentlich von mir…? Du wolltest wissen, ob dir etwas fehlt. Das tut es nicht, also kannst du dich jetzt wieder setzen und dich beruhigen. Es wurde nichts, damit meine ich absolut gar nichts gefunden, was auf eine Krankheit schließen lässt… Kein Tumor. Keine organischen Schäden. Deine Gebärmutter ist in Ordnung, die Eierstöcke ebenfalls… Das einzige, womit du dich jetzt abfinden musst, du wirst alt. Daran stirbt man aber nicht. Anscheinend willst du aber ja nicht glauben, dass dir nichts fehlt. Wenn du glaubst, irgendetwas Organisches zu haben, solltest du es bei einem Allgemeinmediziner oder einem Internisten versuchen. Ich bin nur für alles Gynäkologische zuständig und da ist alles in bester Ordnung.“ Kenichi hatte es ruhig gesagt, obwohl sie wie eine Furie war. Man hätte meinen können, er wäre eiskalt, einer Frau das derartig an den Kopf zu knallen, dabei bezeichnete er sich als Frauenkenner. Ja in der Anatomie machte ihm auch keiner etwas vor. Was das Gefühlsleben von Frauen anging allerdings… Eiskalt, dieser Mann war einfach nur knallhart und knallte ihr diese harten Worte an den Kopf. Sie sollte sich also daran gewöhnen, dass sie alt wurde…? „Alles in Ordnung nennst du das? Normal ist das alles also… An mir ist schon lange nichts mehr normal.“ Komischerweise war sie jetzt ruhiger, klang dabei aber doch etwas gekränkt, jedenfalls vermutete er das. „Was soll das jetzt wieder? Dir fehlt nichts. Es gibt Frauen, die froh sind, wenn sie weniger Scherereien mit so etwas haben. Gegen die Schlafstörungen sind Schlafmedikamente zu empfehlen. Der niedrige Hormonspiegel ist nicht direkt schädlich. Die Hitzewallungen werden sich auch wieder beruhigen. Die einen trifft’s früher, die anderen später, aber davon geht die Welt ja nicht unter.“ Typisch Mann – er verstand gar nichts von all dem. Nichts von dem, was er da redete, konnte sie in dem Moment trösten. „Ich soll mich damit abfinden… Richtig? Gut… Aber eine Sache noch…  Ehe ich mich mit so etwas auseinandersetze. Wenn sowohl meine Eierstöcke, als auch meine Gebärmutter in Ordnung sind, steht einer Schwangerschaft nichts im Wege, oder?“ „Du meine Güte, Chris!“ fuhr er zusammen. Das war alles, was sie interessierte? Ernsthaft? All diese Untersuchungen mit dem Hintergrund, dass sie befürchtete… Nein, das konnte er einfach nicht fassen. Das war ihre große Angst? Am Ende wäre ihr so ein Tumor lieber gewesen, den konnte man entfernen, nicht? „Du schockierst mich…“ Kenichi seufzte. „Wieso? Ich will wissen, ob ich trotz allem noch eine Frau bin.“ Der junge Arzt besah sich die junge, wunderschöne Frau, mit der er gerne den ein oder anderen netten Abend verbracht hätte. Alles an ihr war perfekt und da fragte sie ihn allen Ernstes noch, ob sie noch eine Frau war? „Schätzchen, an dir ist alles weiblich. Wie kannst du so etwas Blödes nur fragen, mhm?“ „Du hast meine Frage nicht beantwortet“, sagte sie monoton. Die Blondine wusste nicht, was sie tun würde, wenn er die Sache jetzt verneinte. Jedenfalls etwas, was nicht so schön war… „Unfassbar, dass dir alles andere egal ist. Ich werde dich nicht fragen, wieso dir das so wichtig ist. Am besten vergesse ich es anschließend auch schnell wieder… Aber ja, es ist möglich. Solange der Eisprung stattfindet, kannst du auch schwanger werden.“ Natürlich kam der Mann nicht umhin darüber zu philosophieren, wer von all denen, mit denen sie verkehrte, derjenige war, mit dem sie wohl plante schwanger zu werden. Allein die Vorstellung gruselte ihn dann schon, immerhin würde sie dieses Kind ja in die Organisation mit hineinziehen. Dabei hatte sie doch deswegen entscheiden, lieber keine Kinder zu bekommen, oder? Das war, was man ihm immer über sie gesagt hatte. „…Aber mir läuft die Zeit davon?... Kann ich irgendetwas tun, damit es besser funktioniert?“ „Von nachhelfen hast du nie etwas gehalten, egal bei was“, sagte er leise und bekümmert. Sie war doch die Verfechterin von weniger ist mehr, wenn es um Forschungsdinge ging. Dieselbe Person wollte nun nachhelfen. „So schnell geht das auch wieder nicht. Absolut sicher ist erst ein Jahr nach der allerletzten Blutung, dass es nicht mehr auf normalen Weg funktioniert. Und sogar danach ist auf dem Gebiet einiges möglich. Ganz ungefährlich ist das nicht, aber du bist ja keine, die Risiken scheut, nicht wahr?“ Kenichi verstand nicht, wieso sie das so runterzog. Da gab es nur eine logische Schlussforderung… Das verstand sogar er, ein Mann. Liebe. „Du solltest einen Spezialisten aufsuchen, der auf dem Gebiet etwas mehr Erfahrung hat, falls es dir so wichtig ist, ein Kind zu bekommen. Am besten nimmst du den betreffenden Mann auch gleich mit. In deinem Alter gilt eine Schwangerschaft bereits als Risiko.“ „In meinem Alter… kannst du wohl bitte aufhören, darauf herumzureiten? Danke!“ Von ihrem wahren Alter wollte sie nichts hören, denn sie war ja topfit wie ein Turnschuh. Sie erfreute sich bester Gesundheit, war so gut wie nie krank, sie war beinahe zu fit für 29. Und da versuchte er ihr einzureden, sie würde alt werden? Wie konnte ein normaler Mensch, der sich ansonsten topfit fühlte, das auch einsehen? Es entsprach leider der Wahrheit, dass sie selten zu normalen Ärzten ging, weil sie Angst haben musste, sie könnten etwas Seltsames bei ihr feststellen und sie erneut für irgendwelche Studien oder Experimente einspannen wollen, weil sie ja so besonders war. Obwohl sie diesen Kerl hier nicht sonderlich leiden konnte, war er eingeweiht. „Gerade könnte ich jeden, der in dieser Materie gearbeitet hat, in die Luft jagen“, sagte sie leise. „Und sie dafür büßen lassen, dass bei mir rein gar nichts normal ist, auch wenn du sagst, es wäre so. Du weißt so gut wie ich, dass dem nicht so ist. Man muss ja jederzeit mit allem Möglichen rechnen. In einem Jahr kann es schon wieder zu irgendwelchen Nebenwirkungen kommen, wenn man an einem Forschungsprojekt beteiligt war… Wer weiß, vielleicht war’s auch Absicht…“ Ein spöttisches Grinsen erschien in ihrem Gesicht. Nur wegen ihnen hatte sie diese Probleme. In den letzten Jahren hatte sie tatsächlich vergessen, wie alt sie wirklich war… Ihre Welt war erschüttert. Sie vermochte nicht einmal deutlich zu vermitteln, wie es ihr gerade ging. Sie schluckte gerade viel runter, aber die Wut war einfach so grenzenlos, dass sie sie ein Stück weit schon an dem Mediziner herausließ. Kenichi versuchte die Fassung zu wahren. Er wollte ihr ja helfen, aber eigentlich dürfte er das nicht einmal. Nicht einfach so. Diese Untersuchung müsste er eigentlich sofort melden, genauso wie er eine Schwangerschaft melden müsste. „Tu uns den Gefallen – im Falle eines Glückstreffers, such dir einen anderen Ort, als diesen hier. Damit ersparst du uns Beiden großen Ärger.“ Sie würde schon wissen, was er damit meinte. Gewisse Dinge waren nicht vorgesehen und aus irgendeinem Grund glaubte der 27-jährige nicht, dass ihr Kinderwunsch an dieser Person hing – somit also verboten war, in dessen Augen. Er hasste, wenn er seinen Ziehvater hintergehen musste. Da wollte er diese Frau lieber zu einem anderen Arzt schicken… Damit wollte er rein gar nichts zu tun haben.   Unterdessen hatte Inspektor Megure seinen jungen Kollegen dabei beobachtet, wie er selbstständig sich erkundigte, welche Schulen in nächster Nähe zu finden waren. Unter anderem war es die Teitan-Oberschule, die Futatsubashi-Mittelschule und die  Ekoda-Oberschule. Er hatte alle drei kontaktiert und um Mithilfe gebeten. Eine der Schulen war besonders engagiert darin, ihre Hilfe anzubieten. Die Teitan. Er wurde zum Schuldirektor durchgestellt, der die Klassenzimmer abklapperte und die zuständigen Klassenlehrer konsultierte. „In der Klasse 2b der Teitan-Oberschule fehlen aktuell genau 4 Schüler.  Sonoko Suzuki, Miho Kitami, Miyuki Iwasa und Fei Akiyama. Allesamt 17 Jahre alt. Eine davon entschuldigt, Sonoko, die anderen beiden, Fei und Miyuki, waren noch vor drei Stunden beim Sportunterricht gewesen. Miho Kitami sei heute gar nicht erst in der Schule aufgetaucht – unentschuldigt. Ihre Eltern sind bereits vor einigen Jahren verstorben, sie lebt mit ihrem älteren Bruder zusammen, einem 27-jährigen Musiker. Bisher sei so etwas noch nie vorgekommen, da es sich um eine sehr zuverlässige Schülerin handele. Der stellvertretende Schuldirektor ist auf dem Weg hierher, um sich zu vergewissern, dass es sich bei der Leiche um keins der fehlenden Mädchen handelt, Inspektor.“ Wataru warf dem Mädchen einen genauen Blick zu. Obwohl er fast täglich in Beika zu tun hatte, war ihm das Gesicht der jungen Dame kein Begriff. „Unterdessen werde ich die nähere Umgebung abklappern und die Anwohner befragen, ob sie etwas mitbekommen haben. Wenn der Schuldirektor kommen sollte, sag mir bitte bescheid, Wataru“, bat Sêiichî und wollte sich gerade auf den Weg machen, nachdem er sich seiner Plastik-Handschuhe und Überzieher entledigt hatte, als er auf dem Sprung geradezu in Ryochi Akaja hinein rannte. „Sieh an, du bist schon mitten in der Arbeit.“ Leicht ertappt und bedröppelt sah er den um ein Jahr jüngeren Detektiv an. „Sind schon eine Weile da, ja. Der Täter – ja es war Mord – ein totaler Stümper. Es sieht nach einem bewussten vorsätzlichen Mord aus – für einen Unfall hat derjenige sich zu sehr bemüht, dass das Mädchen die Sache nicht überlebt. Es ist ganz zweifellos ein Kampf von Statten gegangen, dabei hat der Täter sein Opfer auf brutale Weise gewürgt, erst mit einem Seil ähnlichen Gegenstand, dann mit bloßen Händen. Das war mit Sicherheit ein Mädchen, was nicht genügend Kraft hatte, um sein Opfer spielend leicht zu erdrosseln. Sie hat es nicht geschafft, das Seil fest genug zuzuziehen.“ „Das klingt ja mal ziemlich brutal. Wisst ihr schon, wer das Opfer ist?“ „Noch nicht, aber was mich sehr wunderte, ist die Aussage, es handele sich um eine 15-jährige. Ich werde die Umgebung auskundschaften. Kannst du dir mal diese Augenzeugen vornehmen? Angeblich hat keiner was gesehen, oder gehört. Vielleicht stimmt das auch, aber es ist nicht auszuschließen, dass sie lügen. Wenn sie wirklich im Park getötet wurde… Es muss zu einem Kampf gekommen sein. Jeder normale Mensch würde bei einem Kampf, der das eigene Leben bedroht, um Hilfe schreien. Wenn die Zeugen, die sie fanden, wirklich die Wahrheit sagen, dann hat der Mord woanders stattgefunden und sie wurde nur in den Beika Park verfrachtet, weil der Täter verzweifelt gewesen ist. Tust du mir den Gefallen, ja?“ „Ich werde mir erst einmal anhören, was Megure und Takagi dazu zu sagen haben. Dann werde ich mich drum kümmern.“ „Okay. Achja, der Stellvertretende Direktor der Teitan Oberschule wird in Kürze hier eintreffen. Er will dabei helfen, die Schülerin zu identifizieren. Er hat darauf bestanden, da zwei der Schüler nach dem Sport wohl abgehauen sind, was mir zwar auch schon komisch vorkommt, aber sei’s drum. Ich versuche meine Arbeit so schnell wie irgendmöglich zu beenden.“ „Kaum in Tokyo hast du auch schon so einen Fall. Der Herrgott hatte Erbarmen mit dir – ich weiß doch, wie sehr du langweilige Büroarbeit verteufelst, Sêiichî“, meinte Ryochi leicht amüsiert, woraufhin Sêiichî ihn etwas beleidigt ansah. „Leider dachte ich das auch – doch auf so was kann man wirklich liebend verzichten. Bis gleich.“ Sie hatten sich der Aufklärung solcher Fälle verschrieben. Leider hatten sie ohne solche Fälle nichts zu tun, so traurig das auch klingen mag. Er sah Sêiichî zu, der wirklich mit jeder Menge Leidenschaft drauflos stürmte, um seine Arbeit gut zu machen. Es wunderte ihn nicht, immerhin wusste der Detektiv von so manchem Geheimnis, was den 23-jährigen umgab… Da strengte er sich natürlich umso mehr an.   „Hallo Inspektor, Megure“, meinte der Braunhaarige, der gerade eben angekommen war, woraufhin Wataru ein klein wenig erschrocken reagierte und zusammen mit dem Angesprochenen auf den jungen Mann zuging. „Oh, Ryochi, du bist auch hier…“    Ryochi Akaja (23) [Privat-Detektiv, jüngster Sohn des Polizeipräsidenten von Tokyo]   Ein Mann vom Spurensicherungsteam wendete sich sofort dem jungen Mann zu und versorgte ihn mit den nötigen Materialien, da er sofort davon ausging, er würde mitermitteln. Zufällig tauchte dieser Mann nicht hier auf. „Das werde ich nicht benötigen. Ich kümmere mich um die Zeugenvernehmung“, meinte Ryochi. „Sêiichî bat mich darum, ihnen noch einmal auf den Zahn zu fühlen.“ „Zeugen? Na ja, so kann man die nicht gerade nennen“, seufzte Wataru und gesellte sich neben Ryochi. „Ich gehe mit ihm, Inspektor Megure“, fügte Wataru an und Ryochi grinste daraufhin nur. „Oh, das musst du nicht. Ich komme alleine mit denen zurecht“, lehnte er ab und der Kriminalist wirkte daraufhin ein wenig mürrisch. „Wie du meinst…“   Wenig später hatte sich der Detektiv den drei Personen vorgestellt. Sie waren wenig begeistert, dass nun auch noch ein Detektiv sie mit seinen neugierigen Fragen löchern wollte. Vor allem der 32-jährige Mann im Bunde freute sich wenig über Ryochis Ankunft. „So, so, Yûsuke Otaké“, sprach der Braunhaarige den Schwarzhaarigen sofort an, welcher sofort seinem Blick auswich. „Welch ein Déjàvu, mhm?“ Der Angesprochene wusste noch sehr genau, dass sie vor einigen Jahren ähnlich aufeinander gestoßen waren. „Und, bist du diesmal auch unschuldig, oder nicht?“ „Was willst du eigentlich von mir, Ryochi Akaja?“ „Oh, ich denke, das weißt du ziemlich gut, nicht wahr? Immerhin kennen wir uns ja nicht erst seit gestern.“ Man merkte, wie sein Opfer sofort nervös wurde, weshalb Ryochi einen Blick zu Wataru andeutete, um denjenigen noch etwas mehr zu ärgern. „Welche Dinge hat du dem armen Kerl aufgetischt?“ Er wendete sich wieder dem 32-jährigen zu, welcher nur ein „Hmpf“ von sich gab. „Ich lehne ab, mit dir zu reden.“ „Tu das, dann wende ich mich eben deiner Freundin zu. Wer hat die Polizei gerufen? Waren Sie das, Maruya-san?“ Sie merkte sofort, dass er zu ihr sehr viel freundlicher war.   Yûsuke Otaké (32) und Juri Maruya (29)   „Ja, wir fanden das Opfer.“ „Wann genau war das?“ „Diese Fragen haben wir den Kriminalisten bereits beantwortet“, antwortete Yûsuke im Namen seiner Freundin, was alleine schon verdächtig war. „Ich dachte, du wolltest nicht mit mir reden? Meinung so schnell geändert?“ Ryochi stichelte ihn und sein Gegenüber wusste auch, weshalb. Er hatte Dinge über ihn in Erfahrung gebracht, die er augenblicklich vor Wataru ausplaudern könnte. „Wenn du schlau bist, wirst du mit der Polizei kooperieren, oder du gibst uns Grund zur Annahme, etwas verbergen zu haben…“ Einen so gemeinen Blick hatte man an Ryochi bisher noch nie gesehen, aber außer den zeugen sah diesen auch sonst keiner. „Ich weiß nicht, was du meinst, Ryochi Akaja.“ Die dritte Person im Bunde wirkte wenig, als wenn es sie interessierte, was die anderen Beiden sprach. Man hätte meinen können, dass sie zusammen gehörten, aber ihr Dessinteresse ließ auf anderes schließen. „Sie sind?“   Akane Isozaki (23) [Psychologie- und Medizinstudentin]   „Akane Isozaki“, antwortete sie, zumindest ihr Nachname war ihm ein Begriff, weshalb er nun doch eher nicht daran glaubte, dass es sich um einen Zufall handelte, der sie gemeinsam hierher führte. „Entschuldigen Sie, aber Sie erinnern mich da an einen Bekannten meinerseits. Keisuke Isozaki. In welcher Relation stehen Sie zum Genannten?“ „Oh man, ist das dein Ernst Ryochi Akaja? Du willst uns doch nichts vorwerfen, oder? Wir sind ganz normale Passanten, die eine Leiche gefunden haben.“ Die Konversation lief ähnlich wie die von vor ein paar Jahren, damals war der 32-jährige auch schon ähnlich mit ihm umgesprungen, dabei hatte er zumindest mit dem Fall damals zu schaffen gehabt. Inwiefern er in diesem Fall hier involviert war, konnte man nie wissen, immerhin war er kein unbeschriebenes Blatt. Drogenbesitz war ein schweres Verbrechen in Japan. „Was haben Sie gegen meinen Freund?“ wollte jetzt Juri wissen und Ryochi lächelte. „Oh gar nichts. Ich frage mich nur, ob er Ihnen alles über sich erzählt hat…“ „Ihr könnt uns hier nicht ewig festhalten. Wir haben die Leiche lediglich gefunden. Nichts weiter. Darüber hinaus könnt ihr uns gar nichts. Wir haben noch etwas vor, also beeil dich ein bisschen!“ Nun grinste Yûsuke direkt in Ryochis Gesicht. „Ich frage mich die ganze Zeit, ob Sêiichî sich nur nicht traut, oder weshalb er dich jetzt zu uns schickt, damit du das übernimmst. Es muss für ihn doch furchtbar sein, schon wieder so einem zornigen Bruder von einer Exfreundin zu begegnen, nicht wahr? Bestimmt dachte er, dass er mich los wird.“ „Meinst du etwa diesen Kriminalisten, der vorhin mit den zwei anderen hier aufgetaucht ist?“ fragte die 23-jährige, das alleine reichte aus, dass Ryochi sich fragte, ob sie ihn zufällig kannte, oder mehr dahinter steckte. „Lass mich raten, du hattest was mit dem. Würde mich jetzt nicht wundern, er macht doch vor keiner Frau halt. Schon mit 15 nicht!“ „Du tust ja, als hätte Sêiichî Dreck am Stecken. Dabei bist du doch viel schlimmer“, ärgerte er den 32-jährigen und grinste fies. „Drogenbesitz… Meinst du, das habe ich vergessen? Ich sollte Takagi und Megure genauer über dich aufklären. Ich weiß jede Menge über dich, mehr als du vielleicht glaubst.“ „Ach, du denkst, du bist in der Position mir zu drohen? Pass bloß auf, Eisen kann heiß werden, man verbrennt sich schneller, als man schauen kann.“ „Oh, keine Sorge, ich kenne die Gefahr meines Berufes durchaus. Vor allem Schießeisen kann heiß werden, was?“ erwiderte Ryochi mit einem überlegenen Lächeln, er ließ sich doch von dem nicht einschüchtern – nur weil er davon wusste, wie kriminell dieser Kerl war… Nicht umsonst war Sêiichî sein bester Freund, er hatte ihn bereits vor Jahren gewarnt, was diesen Typen anging. Er gehörte dieser Verbrecherbande an; nicht nur das, er sollte wohl auch Anhänger von Chardonnay sein – einer seiner besten Leute – das wunderte ihn nicht, immerhin hatte er wachsende Freude daran, auf Sêiichî zu schießen… Genauso wie Chardonnay… Während die beiden sich ein Wortgefecht lieferten, blickte die 23-jährige zu der 29-jährigen, die sich ängstlich an ihren Freund geklammert hatte, als würde sie auch das Schlimmste befürchten. „Mal was anderes! Was treibt dich nach Tokyo? Schon komisch, immer dann wenn Sêiichî hier irgendwo zu finden ist, bist du auch hier. Ich warne dich nur einmal, mein Lieber. Lass ihn in Ruhe! Oder du lernst mich so richtig kennen.“ „Hahahahahaha!“ Yûsuke begann sofort schallend zu lachen. „Sorry, hab mich selten so amüsiert. Wen willst du mir denn schicken? Deine Freundin Shina vielleicht?“ Bisher hatte er den Drohenden nicht ernst genommen, so dass Ryochi ihm nun aufklären sollte, aber was wenn er das nicht tat? Er schmunzelte nur etwas geheimnisvoll. „Oh, wer weiß, welche Verbindungen ich pflege? Meinst du, dass du der Einzige bist, der Geheimnisse birgt?“ Er ließ den Typen im Unklaren, aber er kannte nicht nur eine Person, die sich darum reißen würde, sich mit dem Buchautor auseinander zu setzen. „Sei also schön vorsichtig bei deinen Versuchen, sonst könnte dir vielleicht wirklich noch eine Frau gefährlich werden, so wenig du das vielleicht denkst.“ In Sêiichîs Leben gab es viele mysteriöse Dinge – nicht nur Chris Vineyard, obwohl die natürlich mit Freuden diesen Typen hier verängstigen würde. Da waren aber auch noch andere Leute – eine Person war beim FBI – zwei weitere Mitglieder der Organisation, mit den besten Mitteln, ihm Schwierigkeiten zu bereiten. Die Zeiten, in denen Yûsuke an Sêiichî spielend herankommen konnte, gehörten schon lange der Vergangenheit an… „Ähm, was Ihre Frage anging. Keisuke ist mein Cousin“, antwortete die Dunkelbraunhaarige jetzt knapp, auch wenn Ryochi nicht noch einmal nachhakte. „Wusste ich’s doch“, merkte er an, fixierte dann aber Yûsuke mit seinem Blick. „Also? Wieso bist du hier? Beruflich?“ Eigentlich glaubte Ryochi ja nicht an solche Zufälle, aber es wäre zumindest möglich, immerhin befanden sie sich in einem regelrechten Verbrecher-Nest! „Wenn du meinst, ich bin wegen Sêiichî hier, nein! Du irrst dich, das hat überhaupt nichts mit ihm zu tun. Tokyo ist eine schöne Stadt und sehr inspirierend für einen Buchautoren, das kannst du kaum leugnen.“ „Also macht dich die Polizei einfach nur so nervös? Oder bist du so nervös, weil deine letzte Dosis nachlässt und du dringend Nachschub benötigst?“ „ES REICHT!“ Nun wurde Yûsuke ausfallend, was Megure und Takagi natürlich nicht unbemerkt blieb, so dass der korpulente Mann sich zu ihnen gesellte. „Hey, ich möchte doch bitten!“ Er ging dazwischen, ehe Yûsuke sich an Ryochi vergreifen konnte. „Lassen Sie Ihre Finger von mir! Dieser Kerl reizt mich schon die ganze Zeit.“ „Ach ja, wirklich? Vielleicht sind Sie einfach etwas empfindlich?“ leugnete Ryochi jetzt, drehte sich dann aber zu Megure herum. „Dieser Mann hat etwas gegen mich. Ich weiß gar nicht wieso. Sie sollten ihn genauer überprüfen, vor allem seine Vorstrafen.“ Aus den Worten konnte man durchaus schließen, dass der Ausraster nicht einfach so passiert war… „Dafür werde ich dich irgendwann…“ „Wird das eine Morddrohung?“ „…Ich meine… Pass bloß auf, dass du nicht mal die falsche Person ärgerst, du elender Detektiv.“ Der Schwarzhaarige spürte den scharfen Blick des Inspektors auf sich und versuchte sich sofort herauszureden. „Mäßigen Sie sich einfach. Seine Vorstrafen hätten wir sowieso herausgefunden, immerhin haben wir seine Personalien aufgenommen.“ „Das hat doch überhaupt nichts mit diesem Fall hier zu tun… Das sind haltlose Unterstellungen. Sie werden von meinem Anwalt hören.“ „Beruhige dich doch bitte“, meinte jetzt Juri und sah den Inspektor eindringlich an. „Wir waren die ganze Zeit zusammen, sie“, damit deutete sie auf Akane, „wird das gewiss auch bestätigen. Wir wollten es uns in dem Park gemütlich machen und dann bin ich über das Mädchen gestolpert, das war einfach nur furchtbar.“ Jetzt begann sie zu schimpfen und wurde richtig flüssig, so dass Ryochi seufzte. „Kann ich verstehen“, gab er zu. „Sie alle haben also rein gar nichts gehört?“ „Iwamoto meinte, dass es durchaus sein kann, weil sie an einem anderen Ort umgebracht wurde. Für ihn steht vor allem zur Debatte, dass der Mörder selbst sehr jung ist und weiblich. Takagi hat alles notiert. Was ich nicht verstehe, ist, wieso du diese Leute noch einmal befragst.“ „Oh, ganz einfach, Inspektor“, antwortete Ryochi mit einem netten Lächeln. „Sêiichî ist mein Freund und er hielt es wohl für nötig, dass ich mich noch einmal mit diesen Leuten unterhalte.“ „So etwas“, seufzte Megure und verstand einfach nicht, wieso Sêiichî Ryochi eine Arbeit machen ließ, die sie bereits abgeschlossen hatten. „Auf den Grund bin ich sehr gespannt, sobald er wieder auftaucht, werde ich fragen, was das soll.“ „Oh, Sêiichî dachte wohl, wenn jemand sie zum Reden bringt, dann ich. Es kann sein, dass er nur absolut sicher sein wollte, was man bei dieser Person hier nicht so ohne weiteres kann“, sagte der Detektiv, während er mit dem Finger auf Yûsuke zeigte, was diesem doch einige Schweißtropfen übers Gesicht rinnen ließ. „Es gab da einen Fall in der Vergangenheit, wo er involviert war, auch nicht so ganz unschuldig. Damals waren wir erst 17, trotzdem haben wir den Fall gelöst. Außerdem kennen Sêiichî und ich ihn aus Kyoto. Nicht wahr, Yûsuke?“ „Ja, leider. Ich werde jetzt kein Wort mehr sagen. Ich habe die Schnauze gestrichen voll.“ Ryochi lächelte. „Also ich glaube, was sie gesagt haben. Wir haben nichts bei ihnen gefunden, was als Tatwaffe in Betracht käme. Wir werden sie auch nicht länger festhalten können, Ryochi. Falls wir doch noch etwas in Erfahrung bringen sollten, werden wir uns natürlich melden“, verriet der Inspektor, wollte jetzt aber weitere Scherereien vermeiden. Ryochi merkte man durchaus an, dass er deswegen etwas angefressen war, denn er hätte den Buchautor mehr als gerne hier behalten… „Sie können jetzt gehen.“ Mit diesen Worten atmeten die Drei auf und verneigten sich leicht vor den in Braun gekleideten Kriminalisten. „Wir danken Ihnen. Wir haben nämlich noch etwas Wichtiges vor. Wir wünschen noch einen schönen Tag.“ Yûsuke war nun übermäßig freundlich. „Wiedersehen“, sagte Ryo knapp und drehte sich herum, während er die Arme verschränkte. Er drehte noch einmal den Kopf zu ihnen, als sie ihres Weges davon schritten. „Was passt dir nicht?“ wollte jetzt Megure von Ryochi wissen. Ohne dass dieser den Blick von Yûsuke abwendete, antwortete er: „Kann ich Ihnen sagen. Dass dieser Kerl Sêiichî hasst und sich mit allen möglichen Leuten zusammen getan hat, um ihm zu schaden.“ „WAS?!“ „Jederzeit wäre er bereit, ihm eine Kugel zu verpassen, wenn er eine Rechtfertigung findet.” Mit so viel Ehrlichkeit hatte Ryochi selbst nicht gerechnet. Dass er es mal so sagen würde. Dann noch zu Megure. „Es kotzt mich an, ihn laufen lassen zu müssen, obwohl ich weiß, dass er in kriminelle Machenschaften verwickelt ist. Bisher konnte man ihm nichts nachweisen, wissen Sie.“     Sêiichî hatte riesige Apartment-Blocks vor sich gehabt, weshalb es einige Zeit dauern würde, bis er mit seiner Arbeit fertig war. Unterdessen war der stellvertretende Direktor längst bei der Polizei eingetroffen und unterhielt sich mit den Polizisten.  Man zeigte ihm die Fotos, die man von der Schülerin geschossen hatte, dabei wurde er kreidebleich und sie befürchteten, er würde in Ohnmacht fallen… Ein Polizist stützte ihn, während er mit trauriger Miene bestätigte, was sie eh schon ahnten… „Das Mädchen heißt Chihiro Akiyama, ist 18 Jahre alt und geht in die 3A“, antwortete er bedrückt. „Sie ist schon 18? So sieht sie aber nicht aus“, wunderte sich Wataru, schüttelte dann aber den Kopf, weil das ja nichts zur Sache tat. „Können Sie uns zufällig sagen, ob sie mitbekommen haben, ob sie Schwierigkeiten mit einigen Mitschülern hatte? So etwas wie Mobbing vielleicht?“ „Soll das ein schlechter Scherz sein? Die meisten der Schüler mieden sie. Praktisch hatte sie keine Freunde. In den Pausen machten alle immer einen großen Bogen um sie.“ „Keine Ausnahmen? Jedes blinde Huhn findet doch mal ein Korn“, merkte Inspektor Megure an, woraufhin der ältere Mann den Kopf schüttelte. „Nein, beim besten Willen nicht. Allerdings sind die wahren Experten wohl unsere Schüler. Sie wollen unsere Schüler doch nicht mit so etwas schrecklichen behelligen, oder?“ Der Mann wirkte sichtlich besorgt. „Oh, wo denken Sie hin, vorerst würde es uns reichen, wenn Sie uns dabei behilflich wären, schnell an die Adresse des Mädchens zu kommen, damit wir ihre Familie dazu befragen können.“ Der Inspektor blickte zu Ryochi, der einen leicht deprimierten Gesichtsausdruck hatte. Zwar hatte Sêiichî ihn darum gebeten, dass man ihn informierte, sobald der Stellvertreter da war, aber so ganz wahrmachen wollte er das nicht, außerdem wirkte er mitgenommen, was Megure so an sich nicht an ihm kannte. „Natürlich – die Familie wird uns vielleicht weiterhelfen können…“ Trotzdem wunderte ihn noch immer, dass Ryochi sich von dem Fall so beeindrucken ließ, das war wirklich nicht seine Art. „Darüber hinaus“, fügte dieser an und schlug das Notizheft auf, wo Sêiichî vorhin noch seine Notizen gemacht hatte. Beim davonstürmen hatte er ihm dieses noch zugesteckt, damit er sich informieren konnte. „Mein Kollege hat vorhin mit Ihnen telefoniert. Dabei hat er herausgefunden, dass vier Mädchen gerade in Ihrer Schule fehlen. Er ging davon aus, dass der Täter in Ihrer Schule zu finden ist. Zwei der fehlenden Schülerinnen, eine Fei Akiyama und eine Miyuki Iwasa, 17 Jahre alt, gehen in die 2B. Sie sollen nach dem Sportunterricht aus der Schule verschwunden sein. Beide müssen irgendwo abgeblieben sein. Ich möchte auch mit den Eltern der Beiden sprechen. Wir können doch auf Ihre Hilfe auch in dem Fall rechnen? Wir haben Grund zur Annahme, dass sie mit dem Mord zu tun haben.“ „Ich glaube es ja nicht. Sie halten zwei unserer Schüler für Tatverdächtige?“ Gleich wollte der Kerl wohl rumschreien, dass auf seine Schule keine Mörder gingen… So reagierten viele Menschen, wenn sie erfuhren, dass jemand in ihrer Umgebung etwas Derartiges gemacht hatte. „Wir wollen lediglich herausfinden, ob sie etwas wissen. Vielleicht haben die Mädchen ja Angst, dass wir sie verdächtigen könnten, oder sie wurden zum Schweigen gebracht. Man weiß ja nie. Helfen Sie uns, damit wir die Wahrheit herausfinden können und womöglich  Schlimmeres verhindern. Fakt ist, dass ein Mörder auf der Flucht ist. Es könnte weitere Opfer geben.“ Ryochi hatte sich das Beste herausgepickt, was er fand, um ihre Handlungsweisen zu erklären. Es war nicht so, dass er log. All diese Möglichkeiten gab es. Auf Sêiichîs Einschätzungen war zwar Verlass, aber auch er könnte sich irren. Dass er den Täter auch für ein Mädchen im Alter von 15 bis 18 Jahren hielt, musste er ja nicht lautstark hier verkünden. Er appellierte an den Menschenverstand des Schuldirektors, um dessen Mithilfe zu sichern.     Gerade schob sich die Sonne hinter die dichten Wolken, die sich allmählich über dem Himmel breitmachten. Ganz langsam verschluckte die dunkle Masse das durchdringende Licht, was bis eben noch so munter geschienen hatte. Geradezu gierig wurde sie aufgefressen, wodurch langsam die Schatten sich über die Köpfe der Menschen breitmachten. Der Verlust der Sonne ließ es ihnen sofort frisch erscheinen, außerdem fegte ein kräftiger Wind über die Köpfe der Menschen hinweg. Die Fußgänger passierten die Straßen in beide Richtungen. In Tokyo war immer sehr viel los, da fiel so mancher nicht auf. Auch keine, die sofort in der Menge von Japanern heraus stach. Sie tippte etwas auf ihrem Handy, da fiel der erste Tropfen vom Himmel. Auf dem Display hinterließ er einen verwischten Fleck und ließ sie in den Himmel schauen. Direkt über ihren Köpfen hatte sich eine riesige Wolke breitgemacht. „Maybe I should try to hurry…“ Sie war durch die Straßen geirrt und hatte sich alles besonders genau angesehen, in ihrer leicht gedrückten Stimmung. Gerade hatte sie mit dem Handy eine Nachricht an ihn gesendet und starrte auf ebendieses – erwartungsvoll, denn es dauerte nie lange, dass er antwortete. Dieses Mal, sie fragte sich, was ihn davon abhielt, sofort seine Begeisterung über ihren Vorschlag kundzutun. Das war doch bescheuert… Einmal antwortete er nicht sofort, da war sie beleidigt? Man, war sie heute empfindlich… Ein leichtes Lächeln erschien in ihrem Gesicht, bestimmt war er mit Arbeit eingedeckt worden und hatte überhaupt keine Zeit aufs Handy zu starren. Obwohl sie inmitten der Straße stand, liefen die Leute an ihr vorbei – mitten in LA wäre ihr das nie möglich gewesen, sämtliche Leute hätten sie angesprochen, hier war das nicht so. Japaner waren selten aufdringlich. Sêiichî war da ganz anders, er war der Draufgänger in Person – aber in seinen Adern floss auch kein rein japanisches Blut. Man konnte es darauf schieben – oder auf die Dinge, die in seinem Leben passiert waren. Wer wusste das schon? Nicht nur sie fiel nicht auf, auch der junge maskierte Mann nicht, der sich seinen Weg durch die Straße bahnte. Er rannte zwischen den Menschenmassen hindurch, dabei versuchte er seine Verfolger abzuschütteln. „Haltet ihn! Haltet den Dieb!“ schrie eine junge Frau immer wieder und rannte dem Typen hinterher, obwohl er wirklich gefährlich aussah. Er schoss an Chris vorbei und sie drehte sich noch herum, zu dem Typen, der eindeutig ein flüchtiger Verbrecher war. „Weg da! Aus dem Weg!“ schrie ihr jemand entgegen und sie wich nur knapp aus. Da war er – total im Element. Da rannte er einfach an ihr vorbei, einem Verbrecher nach… Er sprang über eine Bank und hechtete hinter demjenigen her. ‚Tja, wohl nicht dein Tag…’ machte sie sich über den Verbrecher lustig, der nicht eindeutiger den Kürzeren ziehen könnte. Die Frau, die zuvor noch geschrien hatte, man sollte den Dieb halten, sprintete nun ebenfalls durch die Straße dicht an der Blondine vorbei. Anders als die Polizistin hatte sie ihn schon bei einem solchen Einsatz gesehen, weshalb sie nun nicht hinterher rannte, weil sie der Meinung war, er bräuchte Hilfe. Er brauchte keine, definitiv… Dieser Fall – er konnte ihn so sehr an, dass es für den jungen Mann wie gefundenes Fressen gewesen war, als er Miwako erblickt hatte, die einem Verbrecher nachjagte. Es hatte ihm so gut gefallen, dass er sich eingeklinkt hatte. Der Typ hatte einen ordentlichen Zacken drauf, kletterte sogar über den Zaun. Wie lachhaft… Miwako war ihnen dicht auf den Fersen und sah noch diese Kletteraktion, ihn trennten nur wenige Meter von Iwamoto, der nun kaum lockerer über diesen Zaun springen konnte, mit der rechten Hand stützte er sich ab und schwang die Beine lässig drüber. Soe staunte nicht schlecht, vor allem dann nicht als er einen Hechtsprung machte, bei dem der Verbrecher zu Boden gerissen wurde. Er hielt ihn am Bein, was er dem Polizisten entziehen wollte. Als das nicht ganz funktionierte, drehte er sich herum und zückte ein Messer. „Ich mach ernst!“ „Ach wirklich? Soll ich ma’ ernst machen, Freundchen?“ erwiderte der Angesprochene völlig unbeeindruckt und griff zu seiner Waffe. Ihn zierte ein kühler Gesichtsausdruck, als er ihm seine Pistole gegen den Kopf drückte. Sêiichî brauchte nichts weiter sagen, kein >lass das Messer fallen<, es fiel demjenigen nämlich schon allein vor Schreck runter. „W-Was bist du denn für ein Verrückter?“ „Iwamoto!“ schrie Miwako. „Gott sei Dank, Sie haben…“ Die junge Frau stockte beim Anblick der Waffe, die dem Mann gegen den Kopf gedrückt wurde und auch nicht gleich wieder sank. „Bitte, bitte… Ich wollte das doch gar nicht. Verschonen Sie mich, bitte.“ Anscheinend war Sêiichîs Gesichtsausdruck gefährlich genug geworden, um den Räuber in Angst und Schrecken zu versetzen, und dieser somit begann zu betteln… Kein Wunder, er nahm die Waffe ja nicht runter. Sein Opfer begann regelrecht unter ihm zu Beben, der Typ konnte einem echt leidtun. „Mich haben schon schlimmere Gestalten bedroht! Merk dir eines: Wir BULLEN bekämpfen tagtäglich Schlimmeres als Straßenräuber! Keiner von uns würde wegen so was, wie dir, in Angst verfallen… nur falls du das dachtest… Das ist lächerlich…“ Chris hätte jetzt vermutlich gesagt… ja doch, sie hätte gesagt, dass das doch nicht Saperavi war. Dass er die Waffe gar nicht brauchte, um ihn lahmzulegen… Ähnliches dachte wohl auch Miwako, die jetzt neben ihm erschien und die Waffe runterdrückte. „Es reicht! Was glauben Sie, was Sie da machen, Iwamoto? Der stirbt ja gleich vor Angst.“ „Und? Schadet ihm nicht. Dann macht er es nicht wieder.“ Natürlich ließ er zu, dass die Frau seine Waffe runterdrückte, während ihr flüchtiger Verbrecher am Boden entlang nach hinten rutschte, weil er so große Angst vor dem 23-jährigen hatte. Sie legte ihm Handschellen an und zog ihn vom Boden hoch. Sofort wurde der Mann ruhiger, auch wenn Miwako auch berüchtigt für ihre Einsätze war, so richtete sie ja keine Waffe auf ihn. „Ja, retten Sie mich nur vor dem Irren. Ich glaube er hat den Verstand verloren.“ In dem Moment wurde Sêiichî auch bewusst, dass er unheimlich übertrieben hatte. Er schluckte und hörte in seinem Kopf die tadelnde Stimme, die ihn immer wieder ermahnte… Du hast wohl den Verstand verloren! Nimm sie runter! NIMM die Waffe runter, verdammt! Es klatschte, was allerdings nur in seinem Kopf stattfand. Irgendwann bringst du die falsche Person um! Was dann? Wer soll dich dann retten?! Ähnliche Wutausbrüche hatte er vor einigen Jahren an einer Frau gesehen – das hatte ihm auch wenig gefallen und er hatte sie getadelt. Ebenso, wie sie ihn später. Damals hatte er all das nicht gutheißen können, und nun… Nun machte er selbst so etwas… Er war schockiert, so zutiefst schockiert von sich selbst, dass das alles, was er so manches Mal tat, nicht einmal gespielt war. So völlig anders zu ihr, welche die Irre gerne spielte, um anderen Menschen das Fürchten zu lehren, wenn sie es gerade nötig hatte. Das hier war völlig unnötig gewesen… Er war hier bei der Polizei, nicht dort, wo man sich vor jedem in Acht nehmen musste… Miwako warf ihm noch einen vernichtenden Blick zu, er hatte das Gefühl, sie strafte ihn mit Verachtung. „Was ist bitte in Sie gefahren? Das besprechen wir, wenn wir zurück im Büro sind!“ Genau, hier hatte diese Frau das Sagen – es war ihre Abteilung und sie sollte auch noch die Aufpasserin für ihn spielen… Er stöhnte einmal auf. Eigentlich mochte er ja solche Frauen, aber gerade ging es ihm schwer gegen den Strich, dass er sich so hatte gehen lassen. „Ist ja gut, ist ja gut. Ich weiß selbst, dass ich übertrieben habe. Aber ich hätte nie geschossen…“ „Was glauben Sie eigentlich, wie schnell sich ein Schuss lösen kann? Außerdem war das meine Verfolgungsjagd! Haben Sie nichts Besseres zu tun, als mir meinen Verbrecher wegzuschnappen? Ist Ihnen der Fall, zu dem Sie gefahren sind, zu langweilig gewesen?“ Ihre Stimme war laut, jedoch schrie sie ihn nicht an. Chris hatte ihn damals angeschrien – und als das nichts gebracht hatte, hatte sie ihm eine runtergehauen. Es musste total merkwürdig rüberkommen, dass er nun grinste, was Miwako nur noch wütender machte. „Da gibt es nichts zu lachen! Und jetzt kümmern Sie sich um Ihre eigene Arbeit!“ fauchte sie ihn an und er hob beschwichtigend die Hände. „Ja ja, schon klar! Sie haben mich nur gerade sehr an eine alte Kollegin erinnert. Die hat mich auch immer so angeschnauzt – manchmal ist sie richtig zur Furie geworden. Sie sind genauso unwiderstehlich, wie sie, wenn Sie wütend sind… Das amüsiert mich eben.“ „Offensichtlich hast du einen gehörigen Dachschaden, Iwamoto!“ sagte Miwako dem jungen Mann die Meinung. Unter Umständen, wäre er auf der Suche nach einer Frau, sie nicht vergeben und er hätte keine Freundin, hätte es ihn vielleicht verletzt und traurig gemacht, aber unter gegebenen Umständen konnte er belächeln, wenn Miwako ihn nicht sonderlich mochte. Es musste ihn ja nicht jeder so abgöttisch lieben… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)