Die 3/4-Gitarre von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 8: Harte Realität ------------------------- „Aiji, schön, daß du kommst“, grüßte der Chef von Pony Canyon fröhlich. Der Gitarrist gab sich offen und freundlich, obwohl er dem Boss am liebsten den Hals umgedreht hätte. 'Schön, daß du kommst.' Obwohl, nein, inzwischen war seine Wut ja verflogen. Es war nur noch diese immerwährende Abneigung gegen den Fettklops geblieben, die er schon immer, auch vorher schon, gehabt hatte. Immerhin war diese Einladung schneller gekommen als gedacht. Es war noch keine vier Wochen her, daß Aiji aus dem Projekt LM.C abgezogen worden war. Auf einen gastfreundlichen Wink hin nahm er auf dem Sofa Platz. „Wie geht´s dir?“ „Gut“, warf Aiji ihm knapp angebunden an den Kopf. „Was macht das Geschäft?“ „Ich mache Urlaub.“ „Immer noch?“ „Natürlich. Ich habe viel Freizeit nachzuholen.“ Der Boss zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Wie ich höre, schreibst du immer noch Songs, ja?“ „Das ist mein Job. Und Ideen hab ich genug.“ „Und du bietest sie nirgends an?“ Aiji überlegte kurz, um nicht aus Versehen etwas saudämliches zu sagen. „Nun ... nein, bisher nicht.“ „Hast du nicht Lust, wieder zu produzieren? Deine Musik war doch immer sehr gut und hat sich verkauft.“ „Klar, gerne. Wollen Sie mich denn wiederhaben?“ Das ging zu schnell, dachte Aiji argwöhnisch. So einfach würde der Chef es ihm niemals machen. „Was heißt 'wiederhaben'? Ich hab dich ja nicht gefeuert. Ich hab dich nur beurlaubt.“ „Na dann, wann kann ich anfangen?“ „Sofort, wenn du willst. Such dir ein paar Musiker und leg los“, lachte der Chef gelassen. Er wusste, daß Aiji viele Fans hatte und Verkaufszahlen vorlegte. So jemanden ließ man nicht gehen. Und er war froh, daß Aiji noch nicht mit einer neuen Bleibe geliebäugelt zu haben schien. „Schicken Sie mir Maya rüber und los geht´s“, stellte Aiji kühl, fast zynisch, in den Raum. Dem Boss schlief das Gesicht ein. „Nun ... Maya ist in andere Projekte eingebunden.“ „Projekte, die keinerlei Ergebnisse abwerfen, wie man mir sagt. Inzwischen kriegt man nicht mal mehr geschäftsinterne Nachrichten zu diesen Projekten.“ Der Chef seufzte. „Sind Sie jetzt zufrieden mit Mayas Arbeitsweise?“, hakte Aiji verbittert nach. „Hat er sich geändert, ja? ... Wir haben nichts mehr zu besprechen“, entschied der Gitarrist kalt und stand schwungvoll vom Sofa auf. Schickte sich an, zu gehen. „Aiji!“ Der Gitarrist blieb mit dem Türgriff in der Hand nochmal stehen und sah mürrisch zurück. „Du bist immer noch in der Vertragspflicht. Und ich dulde nicht, daß du boykottierst.“ Aiji atmete tief durch, ging dann aber doch und zog die Tür von außen ins Schloss, ohne noch etwas gesagt zu haben. Reita spazierte allein durch einen kleinen Park in der Gegend und versuchte einfach nur Ablenkung zu finden. Der Nervenkrieg der letzten Wochen setzte ihm echt zu, er musste mal seinen Kopf auslüften. In einer Hand hielt er sein smartphone und spielte Pokemon GO. Wieso auch nicht? Heutzutage spielte das jeder. Mit der anderen klaubte er jeden Stock und jeden Ast vom Boden auf und schleuderte ihn schwungvoll davon. Hier im Park ließen viele ihre Hunde frei laufen. Reita fand es lustig, daß mit jedem Stockwurf vier oder fünf Hunde über alle Berge waren und irgendwelche Besitzer vergeblich versuchten, ihre Tiere zurück zu rufen. Was er allerdings nicht mehr so lustig fand, war die Tatsache, daß ihm inzwischen schon zwei Hunde nachliefen, zu denen es augenscheinlich keine Besitzer gab. Er warf wieder einen Stock und ging gemütlich weiter. Zurückgebracht wurde der sperrige Teil von einem kleinen, plüschigen Chihuahua-Verschnitt. „Nanu, Koron, wo kommst du denn so plötzlich her?“, wollte Reita verdutzt wissen und sah sich suchend um. Da konnte doch auch Ruki nicht weit sein. Tatsächlich tauchte der kleingeratene Sänger einen Augenblick später hinter der nächsten Wegbiegung auf, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen einen rosafarbenen Muffin. „Oh, hey! Na, alles klar?“, grüßte Ruki fröhlich. „Na klar. Und selber?“ „Yoah.“ Ruki schob sich sein letztes Stück Muffin in den Mund und leckte sich die Fingerspitzen sauber. „Hm, die Dinger taugen nichts. Die schmecken total chemisch, nach Lebensmittelfarbe“, meinte er. Ohne ein Wort der gegenseitigen Absprache spazierten sie zusammen weiter. Ganz selbstverständlich. Sie verstanden sich auch wortlos. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen zwischen ihnen. „Ruki, hör mal, kann ich dich was fragen?“, begann der Bassist schließlich nachdenklich. „Freilich. Schieß los.“ „Bist du jemals nachts aufgewacht und hast dich gefragt, was du hier eigentlich tust? Also so beruflich, meine ich? Ob du glücklich mit deinem Leben als Rockstar bist? Ob´s das wert war?“ Ruki schob auch die andere, nun freie Hand in die Hosentasche und schaute beim Weiterschlendern auf den Schotterweg vor sich, als würden dort passende Wörter für ihn herumliegen. Er nahm die Frage seinen Kumpels sichtlich ernst und wollte sie anständig beantworten. „An sich nicht, nein. Ich hab mal als Schlagzeuger angefangen, bevor ich meinen Sänger rausgeschmissen und selber gesungen habe. Das Schlagzeug war nicht meine Zukunft. Aber seit ich singe und mich so richtig selbstdarstellerisch in der Bühnenshow ausleben kann, bin ich zufrieden“, begann er sentimental. „Natürlich hat man immer mal Phasen, wo es nicht so rockt, aber das ist mein Leben und ich liebe es. Und hey, wir sind Legenden. Wir haben´s echt geschafft. Wir haben einen riesen Pulk Fans, in Japan und weltweit. Das ist doch was.“ „Naja, aber so das Alleinsein ... Fühlst du dich nicht manchmal einsam?“ „Wir sind doch nicht einsam, Reita! Wir haben doch alle noch Familien. Wir haben uns, unsere Band. Nein, wir haben das gesamte Musikbusiness. All die tollen Bands da draußen, die Leute von den Plattenlabels, die Staffs – alles unsere Freunde! ... Naja, sofern Koron ihnen nicht gerade ans Bein pinkelt“, fügte er mit einem Schmunzeln hinzu und brachte Reita damit zu einem herzlichen Lachen. Ja, das war eine Ansage. Deshalb mochte er Ruki so und war mit ihm so dicke. Er konnte zwar manchmal eine echt schwierige Knalltüte sein und eine Menge Chaos stiften, aber wenn es drauf ankam, konnte er Reita mit so wenigen, gezielten Worten aus einem Tief heraus super wieder aufbauen. Als sie damals ihre Welttournee gemacht hatten, hatte Reita einen Punkt erreicht, wo er einfach nur noch seine Sachen packen und wieder nach Hause fliegen wollte. Auch da war es Ruki gewesen, der ihn wieder motiviert hatte. „Und was ist mal mit ner festen Freundin?“, hakte Reita trotzdem nochmal nach. An sich nur, um sich weiteren Trost abzuholen. „Oder eigene Kinder?“ Ruki zuckte seufzend mit den Schultern. „Die meisten Musiker sind nicht für eine Beziehung geboren. Permanent auf Achse zu sein, ist Gift für eine Beziehung. Und die Stadien voller Fangirls, die deiner Frau Konkurrenz machen, erst recht. Einen Musiker hat man nie für sich alleine. Entweder man lebt die Musik oder man lebt eine Beziehung. Die paar, die beides unter einen Hut kriegen, sind echt die Ausnahme. Alle anderen müssen sich halt Bewältigungsstrategien erarbeiten und die feste Beziehung auf die Zeit nach der großen Karriere verschieben. Das ist ja das schöne und gleichzeitig fiese an der Karriere: sie dauert nicht ewig.“ „Und wie sieht deine Bewältigungsstrategie aus?“ „Da vorne rennt sie“, lächelte Ruki und deutete auf Koron, der sich gerade in der Wiese mit einem riesigen Windspiel-Hund um einen Stock balgte. Natürlich verlor der winzige Zwerg bei dem Tauziehen haushoch, gab sich aber ums Verrecken nicht geschlagen. Erstaunlich, wie ähnlich Koron seinem Besitzer war. Lagebesprechung mit der PSC Chef-Etage. Ruki hing mit halb geschlossenen Augen in seinem Stuhl und wartete, daß es einfach vorbei ging. Er hasste die Lagebesprechungen. Im Prinzip liefen sie darauf hinaus, dem Chef und Kai beim Diskutieren zuzuhören. Er war der Bandleader, auf ihn hörte man am wahrscheinlichsten. Die anderen Bandmitglieder hatten kein Mitspracherecht. Keine Ahnung, warum sie überhaupt mit anwesend sein mussten. Wahrscheinlich nur als Befehls- und Erklärungsempfänger. Natürlich warfen die anderen auch ihren Protest oder ihre Zustimmung ein, in der Hoffnung, auf den Gesprächsverlauf irgendeinen Einfluss nehmen zu können, aber Ruki hatte schon sehr früh mitbekommen, daß es halt nichts brachte. Es interessierte keinen, weder Kai noch den PSC Chef, was die anderen wollten. Kai bestenfalls am Rande, weil er die schlechte Laune seiner Bandmitglieder ausbaden musste, wenn denen irgendwas gegen den Strich ging, und den Chef überhaupt nicht. „Eine Anfrage von einem Gitarrenhersteller ...“, wurde der nächste Stichpunkt auf der Tagesordnung angerissen. „Sie wollen euch eine Gitarre sponsoren, in der Hoffnung, daß ihr sie auf der Bühne recht oft spielt und damit Werbung macht, wenn ihr sie gut findet. Aoi, Uruha, wer von euch hat Interesse?“ „Ich hab genug Gitarren“, versuchte Uruha sofort zu blocken. Aoi schüttelte ebenfalls den Kopf. „Mal interessehalber, was für eine Gitarre soll´s denn werden?“, klinkte sich Reita gedankenschnell mit ein. „Na, ein Bass jedenfalls nicht“, wurde er auch gleich für die unqualifizierte Einmischung angerüffelt. „Das meinte ich auch nicht. Aber Ruki braucht eine Gitarre.“ Der Chef warf Ruki einen skeptischen Blick zu, dieser warf seinerseits einen giftigen Blick zu Reita weiter, welcher wiederrum den Manager von Gazette fragend anschaute. Der Manager blätterte also nochmal in seinen Unterlagen nach. „Ibanez spricht hier von einer Semi-Akustik mit irgendwelchem neumodischen Carbon-Schnickschnack, der da verbaut wurde und ganz neue Klangeigenschaften bewirkt.“ Nun ging die böse-Blicke-Kette wieder rückwärts. Der Manager sah Reita an, ob er mit dieser Auskunft zufrieden war, Reita warf Ruki einen vielsagenden Blick zu, dieser schaute hilflos weiter zum PSC Chef. Und weil der Chef damit nichts anzufangen wusste, schaute der weiter zu Kai. Kai verdrehte genervt die Augen. „Sind die Maße bekannt?“ „Ich pfeif auf die Maße!“, warf Ruki ein, fand aber keine Beachtung. „24-Zoll-Mensur, steht hier“, wusste der Manager wieder zu berichten. Aoi und Uruha nickten zustimmend. Passend für so einen kleinen Zwerg wie Ruki. „Will ich nicht! Das ist ne Kindergitarre!“ „Und du bist ja auch ein Kindskopf! Wir nehmen die Gitarre! Du wirst sie dir wenigstens mal ansehen“, entschied Kai einfach. „Ich bezweifle, daß das im Sinne des Herstellers ist“, hielt der Chef dagegen. „Wieviele Songs habt ihr, wo Ruki mal auf der Bühne Gitarre spielt? Die sollte schon etwas umfassender präsentiert werden.“ „Naja, wieviele Songs haben wir schon, wo wir mal Semi-Akustik spielen?“, gab Kai zu bedenken. Das machte jetzt nicht so direkt einen Unterschied. „Auch wieder wahr. Okay, also lassen wir das“, meinte der Chef, schob das Blatt Papier zur Seite und widmete sich dem nächsten Tagesordnungspunkt. „Es wäre mal wieder Zeit für euch, eine neue Single auf den Markt zu schmeißen.“ „Im Moment boomen wohl die Balladen“, streute ihr Manager dazwischen. Und dann wieder der PSC Chef: „Habt ihr sowas gerade da?“ „Hm, Reita hat gerade einen guten Song geschrieben, den man problemlos in eine Ballade ummodellieren könnte“, nickte Kai und vermied ganz bewusst Reitas Blick. Er wollte sich jetzt nicht damit auseinander setzen, daß Reita davon wohlmöglich nicht begeistert war. Aber Reita hatte schon ganz andere Sorgen. Er hatte sein smartphone herausgeholt und begann emsig eine Nachricht zu schreiben. Die Idee, die er hatte, war so genial, daß sie keinen Aufschub duldete. Außer von Kai wurde sowieso von niemandem Anteilnahme an den Besprechungen erwartet. Aoi vertrieb sich schon die ganze Zeit die Langeweile mit einem stupiden Tetris-Spiel auf seinem Handy, und hörte nur halbherzig zu. Ruki trat vor die Tür und streckte theatralisch seinen Rücken durch, als hätte er 8 Stunden am Stück herumgesessen. „Öde Besprechungen, Mann“, kommentierte er noch, dann stahl sich ein zufriedenes Lächeln auf seine Züge, anbetracht der Freizeit, die schon zum Greifen nahe schien. „Ja, ich hasse sie auch“, stimmte Reita zu. „Aber weißt du, was? Du wirst dich jetzt mit Maya treffen.“ Ruki schlief das Gesicht ein. Keine Freizeit? „Was für´n Maya?“, hakte er naiv nach, als ob er da recht viele kennen würde. „Der Sänger von LM.C.“ „Was soll ich denn mit diesem Oshare Kei Kasper?“ „Er hat die besten Connections zu Yamaha, die du dir vorstellen kannst. Mir kam vorhin eine super Idee, als es drum ging, daß man uns eine Gitarre sponsoren will. Wenn du nirgends eine gescheite Gitarre zu kaufen bekommst, dann lass dir doch von Yamaha eine sponsoren! Maya kann dir da helfen.“ „Ver-giss-es“, betonte Ruki. „Ich hasse Oshare Kei.“ „Du sollst mit Maya keine Musik machen. Du sollst ihm nur sagen, was für eine Gitarre du haben willst, damit er sich bei Yamaha nach nem Sponsoring-Vertrag erkundigen kann. Yamaha sponsoren sehr gern bekannte Musiker, soweit ich weiß.“ „Maya steckt doch garantiert noch mit Miyavi unter einer Decke! War der nicht früher Support Gitarrist bei Miyavis Band 'Ishihara Gundan'?“ „Sicherlich. Warum auch nicht?“, wollte Reita seufzend wissen. Jetzt fing Ruki schon wieder an, zu zicken und Theater zu machen, wegen nichts. Maya und Miyavi hatten über die Jahre so manche gemeinsame Projekte am Laufen gehabt. Aber das tat doch nun wirklich nichts zur Sache. „Glaubst du, die beiden reden nicht miteinander, Miyavi und Maya? Der wird schon bestens informiert sein, wieso wir Hausverbot im Gitarrenladen haben!“ „Maya ist selber stolzer Hundebesitzer. Er wird es verstehen“, diskutierte Reita weiter und verzichtete darauf, Ruki vorzuhalten, daß er als einziger noch Hausverbot dort hatte, weil er sich nicht entschuldigen wollte. „Sieh es doch mal so: Dein Koron wird sich mit seiner Moco sicher gut verstehen. So einen Aufriss wie mit Shinyas Katze gibt es da schonmal nicht zu befürchten.“ „Ich hab trotzdem keine Lust, mich mit ihm zu treffen.“ „Jetzt hör auf, zu trotzen, Mann. Ich hab mit ihm schon Ort und Uhrzeit ausgemacht! Und du wirst da gefälligst hingehen!“ „Schreibst du mir das neuerdings vor?“, wollte Ruki etwas mürrisch wissen. Solche Töne war er von seinem Kumpel Reita ja gar nicht gewöhnt. Normalerweise war er doch selber derjenige, der entschied, was hier 'gefälligst' zu laufen hatte. „Wenn du es nicht als gutgemeinte Hilfe auffassen willst, dann nimm es halt als Rache dafür, daß du mich in letzter Zeit häufiger um 7 Uhr aus dem Bett geklingelt hast! Fakt ist, daß du endlich eine Gitarre brauchst. Kai dreht dir irgendwann den Hals um, wenn wir 'cassis' nicht bald wieder spielen können. Er hat schon die Setlist für unser Konzert morgen umgestrickt und 'cassis' wieder gestrichen, obwohl er es gern gespielt hätte.“ Der Sänger zog eine nur halb einsichtige Schnute. „Meinethalben, und wann wird unser hochverehrter Oshare Kei Kamerad uns empfangen?“, gab er sich geschlagen. Reita holte Luft, um zu antworten, obwohl er sich noch gar nicht entschieden hatte, ob diese Antwort böse oder sachlich ausfallen sollte. „Was hast du mit Maya überhaupt zu schaffen, sag mal?“, fiel Ruki ihm dann aber auch schon wieder ins Wort. „Ich hab ihn dieser Tage im Park getroffen. Da haben wir halt Nummern getauscht. Was stört dich daran?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)