Die 3/4-Gitarre von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 7: 4. Anlauf -------------------- Irgendwie war es ziemlich cool, zum Shopping von der Arbeit freigestellt zu werden. Reita und Aoi verbrachten den gesamten Vormittag in Miyavis Gitarrenhaus um sich einen neuen Bassverstärker und eine Semi-Akustik für Ruki auszusuchen. Miyavi hatte seinem Versprechen schnell Taten folgen lassen. Auf dem kleinen Zettel im Schaufenster mit den ausgehängten Hausverboten war 'alle Gazette-Member' bereits durchgestrichen und durch 'Ruki & Koron' ersetzt worden. Aoi hatte herzlich gelacht, auch wenn er bis jetzt nicht wusste, welchen schicksalhaften Verwicklungen er dieses Hausverbot zu verdanken gehabt hatte. Reita erzählte ihm die Story dahinter lieber nicht. Er hatte lediglich ein Auge darauf, daß Aoi nur Gitarren in die Auswahl zog, die Rukis Wunschzettel entsprachen. Natürlich gehörte die rote Epiphone für 774'000 Yen (für Ruki zum Vorzugspreis von 775'000 Yen) nicht dazu. Wie auch immer, man einigte sich schließlich auf ein schnittig aussehendes Ding, das sein Geld wert war und Sir Ruki sicher durch seine Optik bestechen würde. Einziges Manko: Aoi hatte sich entgegen aller Warnungen doch für eine 3/4-Gitarre entschieden. Reita hatte zwar als Bassist kein gutes Auge für die Größe von Gitarren, aber er war sicher, daß Ruki sowas nicht entgehen würde. Nun, er war gespannt, wie die Dinge nun ihren Lauf nehmen würden. Es fanden sich noch zwei diensteifrige Verkäufer, die Reita seinen neuen Verstärker zum Auto buckelten – alleine bekam man so einen 70-Kilo-Block definitiv nicht vom Fleck – und dann machten sie sich zufrieden auf den Weg zurück zum Probenraum. Gott sei Dank war ihr Probenraum im Erdgeschoss, dachte Reita noch. Vielleicht hatten sie sogar irgendwo noch eins dieser Rollbretter rumstehen, mit denen man Equipment durch die Gegend rollen konnte. Die PSC war doch ein gut sortierter Laden. Reita packte in aller erdenklichen Ruhe seinen Verstärker aus, zerschnitt den riesigen Karton mit einem Cutter-Messer in handliche Pappstücke und stapelte diese sorgsam auf einen Haufen. Dann sortierte er das restliche Verpackungsmaterial – Luftpolsterfolie, Styropor und Plastikbezug – zu einem platzsparenden Konstrukt. Danach setzte er sich vor dem Verstärker auf den Boden, studierte die Bedienungsanleitung und verglich dabei die Abbildungen mit den Schiebe- und Drehreglern am Gerät. Als wäre er allein im Probenraum und nichts ginge ihn etwas an. Hinter ihm tobte ein riesiger Zoff zwischen Aoi, Ruki und Kai wegen der gekauften Gitarre. Natürlich gefiel sie Ruki nicht. War ja eine 'Kindergitarre'. Das hatte Reita schon im Laden gesagt. Aber auf ihn hörte ja keiner. Also, was waren das hier für Regler? Lautstärke? Höhen, Mitten und Tiefen? Den Streit komplett ausblendend beschäftigte sich Reita ausschließlich mit der Technik. „Geiler Verstärker“, quatschte ihn irgendwann jemand von schräg hinten an. Das war Uruha, der sein Heil darin gesucht hatte, an Aois Gitarre die Saiten fertig zu wechseln, um in den Streit nicht mit reingezogen zu werden. Da er inzwischen mit der Gitarre fertig war und auf die Schnelle keine bessere Beschäftigung fand, um den drei Streithähnen auszuweichen, gesellte er sich einfach mit zu Reita. „Ja, find ich auch. 4x10. Der Kollege hat 1000 Watt im Hintern.“ Uruha nickte anerkennend. '4x10' bedeutete, daß in dem Würfel vier 10-Zoll-Lautsprecher eingebaut waren. Das Ding rockte ordentlich. Das brauchte man für Bassfrequenzen aber auch. Da konnte sein Gitarrenverstärker nicht mithalten. „1000 Watt, ey. Da müssen wir doch die Fenster aufmachen, wegen Druckausgleich“, kommentierte Uruha. Hinter ihnen flog die Tür ins Schloss und ließ beide erschrocken herumfahren. Aoi stapfte mit verbissener Miene in die eine Richtung davon, Kai in die andere, Ruki war verschwunden. Ruki hatte wohl den knallenden Abgang hingelegt. „Ruki geht die Gitarre umtauschen“, informierte Kai die beiden als Antwort auf ihren fragenden Blick. Dann seufzte er hinnehmend. „Naja, was Gutes hat es immerhin: Er wird sich zumindest bei Miyavi entschuldigen müssen, um überhaupt erstmal wieder in den Laden rein zu dürfen.“ Reita sprang hoch wie ein Knallfrosch. „Ich geh mal besser mit“, entschied er. Wer weiß, was in Gottes Namen der Sänger jetzt schon wieder anstellte. Schlecht gelaunt schleppte Ruki die Gitarrentasche die Straße hinunter. Die Geste war von Aoi ja lieb gemeint gewesen, aber warum in Gottes Namen wollte ihm jeder eine Kindergitarre andrehen? Er war doch kein Kind mehr! Reita stiefelte in zwei Meter Entfernung hinter ihm her wie ein Undercover-Agent. Auch so eine Masche. Als könnte Ruki nicht alleine auf sich aufpassen. Irgendwann blieb er stehen und ließ den Bassisten zu sich aufschließen. „Also, wo gehen wir hin?“, brachte er es gleich auf den Punkt. „Seltsam. Das wollte ich eigentlich dich fragen“, konterte Reita. „Ich geh Aois Gitarre umtauschen und fertig. Er hat mir den Kassenzettel gegeben.“ „Du hast im Gitarrenladen Hausverbot.“ „Zugegeben, das ist ein Problem.“ „Also?“ „Dann verkaufe ich die Gitarre eben wo anders und hoffe, daß ich den Neupreis halbwegs wieder rein kriege.“ „Und wo bitte?“ Reita wartete eine Weile vergeblich auf weitere Vorschläge. Ruki überlegte sichtlich hin und her, obwohl er nach wie vor unaufhaltsam die Straße entlang marschierte. Der hatte gar keinen Plan, wo er hin wollte, wurde Reita da klar. Der lief tatsächlich ziellos durch die Stadt, ohne zu wissen, wohin. Unfassbar. Und selbst wenn er die Gitarre irgendwo los wurde, hatte er noch lange keine neue. Nagut, eins nach dem anderen. Immer mit der Ruhe, dann würde sich schon alles finden. „Dich im Gitarrenhaus wieder um Einlass zu bemühen, ist keine Option für dich, was?“ Ein Brummen, das Antwort genug war. „Na schön. In Asakusa drüben ist heute Tauschbörse für Musikinstrumente, CD´s und sonst noch so Musikkrempel. Lass es uns dort versuchen“, entschied Reita also und hielt den Daumen auf die Straße, um ein Taxi anzuhalten. Die Tauschbörse war der reinste Trödelmarkt. Ruki und Reita schlenderten gemütlich umher, hielten links und rechts Aussschau nach brauchbaren, guten Gitarren – beziehungsweise überhaupt erstmal nach irgendwelchen Gitarren – aber fündig wurden sie nicht so richtig. Hier gab es echt nur Gerümpel. Was sie stattdessen fanden, war Pata. Der Gitarrist von X Japan diskutierte gerade sehr angeregt mit einem Schallplattenhändler über den Preis einer Platte. Es flogen sechsstellige Ziffern hin und her, die man zahlen wollte oder eben nicht. Ruki fühlte sich spontan an die rote Epiphone aus Miyavis Gitarrenhaus zurückerinnert. 774'000 Yen. 775'000 Freundschaftspreis, nur für Ruki. „Was hast du denn hier tolles entdeckt?“, wollte Reita wissen, nachdem Pata auf sie aufmerksam geworden war und sie grüßte. „Die 'double fantasy' von John Lennon und Yoko Ono. Limitierte Erstauflage von 1980, hyper seltene Sammlerrarität!“, schwärmte der sofort los. Reita zog ein geringschätziges Gesicht. Sowas brauchte man? Ruki dagegen war hellauf begeistert. „Woar, wie cool, die will ich auch haben!“ „Die gibt es hier aber nur einmal.“ „Ruki, du wolltest eine Gitarre haben, schon vergessen?“, erinnerte Reita. „Pfeif auf die Gitarre! Das ist Yoko Ono, man! – Was soll die denn kosten?“, hakte Ruki nach und streckte die Hand nach der Platte aus, um sie sich anzusehen. Pata überließ sie ihm auch anstandslos. „Der Halsabschneider will 900'000 Yen dafür. Aber ich sage, mehr als 450'000 ist sie nicht wert.“ [ca. 7000 Euro bzw. 3400 Euro] „Du hast ihm 450 dafür geboten? Ich zahl 500, dann ist sie meine“, entschied Ruki. „Kannst du knicken! Du kaufst mir die LP sicher nicht weg! Da lieber beiß ich in den sauren Apfel und zahl 600 dafür!“, stellte Pata klar. Von der anderen Seite gesellte sich Shinya dazu, der den heftig debattierenden Pulk schon von weitem erspäht hatte. Er hatte ein paar Einkaufstüten am Handgelenk hängen. Offensichtlich war er hier schon fündig geworden. „Hi, Jungs. Ihr auch hier?“ „Ja, die beiden streiten sich um eine saudämliche Schallplatte“, klärte Reita ihn in einem Tonfall auf, der deutlich zeigte, was man davon halten durfte. „Was denn für eine?“ „Irgendwas von John Lennon und Yoko Ono.“ „Oh. Ruki hat eindeutig zuviel Geld“, befand Shinya. Er kannte diese Platte und war im Bilde, was die wert war. „Dann zahl ich 700, was sagst du jetzt!?“, spreißelte Ruki in diesem Moment. „... daß du gar nicht soviel Geld einstecken hast!“, mischte sich Reita etwas sauer von der Seite ein. „Hör auf mit diesem dämlichen Wettbieten, was soll denn das?“ „Woher willst du wissen, wieviel Geld ich dabei habe?“, widersprach Ruki nicht minder aufgekratzt. „Du wirst ja wohl kaum mal eben grundlos 700'000 Yen Bargeld in der Tasche haben! Wozu auch? Der Händler nimmt keine EC-Karte!“ „Wenn ich die Herren höflichst daran erinnern dürfte, daß die Platte 900'000 Yen kostet, und keine 700'000 ...!?“, fühlte dieser sich auch gleich selber berufen, etwas zur Diskussion beizusteuern. „So viel ist sie nicht wert!“, maulte Pata überzeugt. „Nein, wert ist sie 300'000 Dollar“, argumentierte der Händler. „Das sind umgerechnet 33,3 Mio Yen. Aber das zahlt natürlich niemand, wenn man sie veräußern will. Trotzdem sind die 900'000 Yen, die ich haben will, schon ein totales Schnäppchen!“ „Ich zahl dir deine 900, du Pflaume!“, meinte Ruki schnippisch. „Nein, tust du nicht! Die ist meine!“, verlangte Pata und griff nach der Schallplatte, um sie Ruki wieder aus der Hand zu nehmen. Aber Ruki hielt dickköpfig fest. Ein vernehmliches Knacken. Alle wurden kreidebleich und schauten sich gegenseitig an. Ruki hatte die Platte jetzt nicht wirklich zerbrochen, oder? Schließlich zog Pata sie an sich und holte sie aus dem Schuber heraus. Tatsächlich, drei säuberliche Einzelteile. „Meine Herren, ich bekomme 2 Mio Yen von Ihnen. Mir egal von wem“, ergriff der Händler als Erster wieder das Wort. „Ey, gerade waren es noch 900!“ „Ich hab es mir eben anders überlegt. Die Nachfrage regelt den Preis.“ „Reita, hast du vielleicht Geld dabei?“ Reita und Ruki stelzten sauer durch die Straßen. Sie alle vier, Pata und Shinya inbegriffen, hatten ihre Taschen komplett entleeren müssen und Ruki hatte noch Aois Gitarre in Zahlung geben müssen, damit die kaputte Schallplatte hinreichend entschädigt war. Natürlich wollte Pata, der bei weitem das meiste Geld gedockt hatte, seinen Anteil irgendwann von Ruki zurückerstattet haben. Der war stinksauer, daß Ruki die Platte zerbrochen hatte. Jetzt mussten sie zu Fuß auf die Suche nach einer Bank gehen und sich am Geldautomaten neues Bargeld besorgen, denn sie konnten sich nicht mal mehr einen Busfahrschein leisten, geschweige denn ein Taxi. Nur hatten Pata und Shinya entschieden, ihr Glück in einer anderen Richtung zu versuchen als die Gazettos. Quasi Vermeidungsstrategie, wenn man so wollte. „Dir ist schon klar, daß Aoi das Geld für seine Gitarre auch zurückhaben will, oder?“, gab Reita einen schlauen Kommentar von sich. „Halt bloß die Klappe!“, maulte Ruki. „Ich sag´s ja nur.“ Kurz Schweigen. Das war auch nicht wirklich eine gute Vorlage für längere Dialoge gewesen, gestand sich Reita ein. „Kai wird mich lynchen“, versuchte er es dann erneut. „Ich bin extra mitgegangen, damit du keinen Blödsinn verbockst, und jetzt sowas hier!“ „Bist halt ein Versager“, schmunzelte Ruki albern und nichtmal böse gemeint. Dann seufzte er. „Schreiben wir Kai eine sms, daß wir heute nicht nochmal zu den Bandproben zurückkommen werden?“ „Besser ist das vielleicht“, stimmte der Bassist zu und angelte nach seinem Handy, um die Uhrzeit zu erfahren. „Ist auch schon ziemlich spät, das hätte heute Gott sei Dank eh keinen Sinn mehr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)