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Herzblind

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Sodale~
...once again x"3
Ich mag dieses Kapitel sehr, auch wenn es recht ruhig ist. Bin sehr gespannt, wie es bei euch ankommt :3
Viel Freude und bis Mittwoch! Komplett anzeigen

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.zehn

»Ich werd‘ das nie schaffen«, höre ich Marie jammern, bevor ich in die Küche komme. Eigentlich wollte ich Bescheid sagen, dass ich für heute Abend nicht da sein werde, doch angesichts von Maries hörbarer Verzweiflung, bleibe ich im Türrahmen stehen und beobachte, wie Momo ihr aufmunternd den Rücken tätschelt.

»Du schaffst das, da bin ich sicher«, sagt er sanft lächelnd, während Marie sich durch die Haare fährt und wieder aufsetzt. Der ganze Küchentisch ist voll von ihren Unterlagen und selbst auf zwei der Stühle liegen irgendwelche Skripte und Notizen. Genau das was ich hier sehe ist der Grund, weshalb ich damals nicht studieren gehen wollte. Nicht, dass meine Eltern es mir nicht angeboten haben, aber ich wollte nicht, auch wenn nicht wenige meinten, dass ich mit einer einfachen Lehre mein gutes Abi verschwenden würde.

Ich atme tief durch, gehe an den Kühlschrank und krame zwei meiner mir eigentlich so kostbaren Joghurts heraus, die ich dann mit Löffel jeweils Momo und Marie vor die Nase halte.

»Pause machen ist auch wichtig, hmm?«, meine ich und bekomme einen verdutzten Blick von Momo und einen skeptischen von Marie. Sie schielt den Joghurt an, bevor sie noch tiefer seufzt, aber annimmt. Zu Blaubeere sagt sie einfach nie nein.

»Magst du Erdbeere?«, frage ich Momo dann, aber er nickt und bedankt sich leise, bevor auch er den Joghurt annimmt.

»Wir müssen uns jetzt sehr geehrt fühlen, Momo, Gabriel ist sehr kniepig wenn es um seinen Joghurt geht«, erklärt Marie scherzend, aber streckt mir mit einem Lächeln die Zunge raus, nachdem ich ihr für den Kommentar einen Schnippser vor die Stirn verpasst habe.

»Ich weiß, hat Mathis schon mal gesagt. Ich darf alles nehmen, außer den Joghurt und Nuris Eis«, erklärt er ruhig und reißt bedächtig den Deckel ab. Ich lache leise, bevor ich den letzten freien Stuhl nehme und mich kurz zu ihnen setze.

»Nuri ist bei ihrem Eis aber schlimmer als ich mit meinem Joghurt oder Marie mit ihrer Schokolade«, erkläre ich, weshalb Momo Marie überrascht ansieht.

»Aber...ich bekomme immer Schokolade von dir?«

Ich lache, während Marie schwer seufzt.

»Du bist ja auch süß und bei einem so holzköpfigen Freund wie Mathis brauchst du das mindestens genauso sehr wie ich«, sagt sie entschieden. Momo blinzelt leicht, bevor er verlegen den Blick senkt und den Deckel ableckt.

»...so schlimm ist er gar nicht«, nuschelt er dann doch und ich muss lächeln. Es ist echt niedlich, dass Mathis ihm genug bedeutet, als dass er sich trotz Verlegenheit dazu durchringt ihn vor uns zu verteidigen. Marie seufzt schwer, bevor sie lacht und Momo sacht knuddelt.

»Wie gut, dass der Holzkopf weiß, was er an dir hat«, murmelt sie mit Löffel im Mund.

»Wo steckt dieser Holzkopf eigentlich?«, frage ich dann und schiele zur Uhr am Backofen.

»Einkaufen, er ist dran. Ach ich soll dir ausrichten, dass er sich dein Auto ausgeliehen hat dafür, er will bei der Hitze nicht alles in der Bahn transportieren«, nuschelt Marie und ich kriege große Augen.

»Bitte? Und das sagst du jetzt erst? Ich bin verabredet«, maule ich wenig begeistert und stehe direkt auf.

»Sorry, das kann ich doch nicht riechen. Mit wem denn?«

»Anna«, brumme ich nur und laufe in den Flur. An sich ist es kein Problem, dass Mathis und die anderen meinen Wagen benutzen, dafür habe ich extra die Versicherung angepasst, aber jetzt grade ist das wirklich sehr ungünstig.

»...du weißt, dass Anna vergeben ist, oder?«, höre ich Marie aus der Küche rufen, weshalb ich ein wenig amüsiertes »Ha Ha«, raus quetsche, bevor ich in meine grauen Stoffschuhe steige, die ich extra für den Sommer gekauft habe. Seit Anfang August hat der Sommer Einzug gehalten, weshalb es sich in meinem sonstigen Schuhwerk kaum aushalten lässt. Allerdings kann ich Flipflops kann nicht leiden und Sandalen sind eher was für Männer im Alter meines Vaters, meiner Meinung nach.

Der behauptet zwar etwas anderes, aber ich kann mich leider nicht so wie Mowgli einfach den ganzen Tag auf die kalten Badezimmerfliesen legen und den Sommer abwarten.

»Im Ernst jetzt, du hast dich aber nicht in Anna verknallt, oder?«

Marie ist aufgestanden und steht nun selbst im Türrahmen der Küche. Ich seufze schwer und schüttle den Kopf.

»Nein, habe ich nicht. Sowas mache ich nicht«, brumme ich, weshalb sie mir einen ihrer Blicke schenkt.

»Gefühle lassen sich nicht einfach so steuern«, erklärt sie bekräftigend, aber ich seufze noch einmal.

»Ich weiß, aber da ist nichts, wirklich. Ich hab Elisa und Anna direkt als Paar kennen gelernt und für mich ist das eine Einheit in der andere nichts zu suchen haben«, erkläre ich und stopfe meinen Schlüssel und mein Handy in meine kurze Jeanshose.

»Ich mein nur, du machst ganz schön viel mit ihnen, dafür, dass sie Elyas Freundinnen sind«, murmelt sie und ich stocke irritiert.

»Ja und? Darf ich das nicht? Du hast mich doch auf seine Party geschleift und ich verstehe mich nun mal gut mit Anna. Ich hab Urlaub, Elisa und Anna auch und Elyas muss arbeiten. Ich sehe das Problem grade nicht.«

Marie mustert mich einfach nur, aber schüttelt dann den Kopf.

»Dann grüß sie von mir und bis dann«, meint sie abschließend und geht einfach wieder zurück in die Küche. Noch um einiges verwirrter lege ich meine Stirn in Falten und überlege kurz, ob ich da nachhaken sollte, aber aufgrund der Uhrzeit, die mir entgegen strahlt, als ich kurz auf mein Handy sehe, hake ich das doch ab und bin mit einem, »Bis heute Abend«, dann aus der Tür.
 

~
 

»...du hättest dich nicht so beeilen müssen? Ich sitze im Schatten«, scherzt Anna amüsiert, während ich tief durchatmend meine Hände in die Seiten drücke. Fast bin ich froh, dass ich Elisa weit und breit nicht entdecken kann, denn sie hätte nur zu gern den einen oder anderen Kommentar über fehlende Sportlichkeit parat.

Da ich jetzt mit der U-Bahn zum Stadtpark Winterhude fahren musste, bin ich eigentlich zu spät und auch wenn ich Anna Bescheid gesagt habe und sie es als ein »Nicht schlimm« abgetan hat, mag ich sowas nicht. Selbst warten stört mich nicht, aber jemanden warten lassen...

»Trotzdem...«, brumme ich leise, drücke mir noch einmal tief durchatmend in die Seiten und sehe mich wieder um.

»Wo ist Elisa?«, frage ich dann, weil ich eigentlich sicher war, dass wir drei verabredet waren, aber Anna schmunzelt.

»Sie musste wegen einer kurzfristig angesetzten Besprechung in die Schule. Sie will dazu stoßen, wenn sie sich loseisen konnte«, erklärt Anna und steht auf.

»Lass uns da vorn ein Eis kaufen und ein bisschen laufen, ja?«, schlägt sie vor und ich nicke nur wieder. Anna hat eine viertel Stunde auf mich warten müssen, da würde ich wohl grade zu allem ja und amen sagen. Wir suchen uns jeder drei Kugeln aus und schlendern dann an der großen Liegewiese entlang, die bei diesem Wetter erwarteter Weise brechend voll ist. Weil ich die ganzen Sonnenanbeter beobachte, merke ich erst gar nicht, dass Anna und ich eine ganze Weile nicht miteinander sprechen. Erst als sie mich anspricht und ich sehe, dass sie ihr Eis schon zur Hälfte gelöffelt hat, wird es mir bewusst.

»Und wie geht es dir? Wir haben ja jetzt auch nur zwischendurch geschrieben und auf Elyas Grillabend letzte Woche hatten wir keine ruhige Minute«, sagt sie schlicht. Ich brumme nichtssagend und zucke leise seufzend mit den Schultern.

»Ich hab mich ganz schön in meinen Alltag vergraben, ehrlich gesagt. Und von Elyas und meinem Kater ablenken lassen«, gebe ich zu und halte einen Tropfen Haselnusseis auf, bevor er mir die Hand vollsauen kann. Sie lacht leise und sieht eine Weile nur auf den Weg. Da wir unter den baumgesäumten Wegen entlang spazieren lässt sich die Hitze ganz gut aushalten. Mir fällt auf, dass sich immer wieder Leute zu Anna umdrehen und als ich sie genauer mustere, bemerke ich, dass sie verhältnismäßig kurze Shorts, geschnürte Sandalen und ein Top mit luftiger Stoffjacke als Überwurf trägt. Mir sind Klamotten eigentlich egal, solange sie nicht unangemessen, dreckig oder kaputt sind, aber seit dem ich auf dieser Selbstfindungssuche bin - wenn auch mit tagelangen Pausen um mich nicht völlig verrückt zu machen - versuche ich manchmal schon drauf zu achten. Doch außer der Feststellung, dass Anna zum Beispiel ähnlich wie Nuri sehr modisch und farbig gekleidet ist, während Elisa einen Hang zum praktischen hat, ist mir diesbezüglich nichts weiter aufgefallen. Davon ab, dass ich auch nicht sagen kann, was Klamotten damit zu tun haben können jemanden attraktiv für mich zu machen. Als ich Mathis deshalb vorsichtig gefragt habe, hat er gegrinst und dann gemeint, dass er es sehr ansprechend findet, wenn Momo etwas von ihm trägt. Doch auch das konnte ich grade mal insofern nachvollziehen, dass Momos Welpenfaktor durch einen übergroßen Hoodie schlicht gesteigert wird und man ihn nur noch mehr beschützen möchte. Eine Erklärung für Mathis hungrigen Blick hat es mir aber nicht geliefert. Um mich nicht zum totalen Volldepp zu machen habe ich es auch unterlassen Mark deshalb zu fragen, der wegen seiner Prüfungsvorbereitung eh anderes im Kopf hat. Erst seit dem ich Urlaub habe, entkomme ich diesem großen Etwas im Hinterkopf doch nicht mehr. Ein Grund, weshalb ich Anna nach diesem Treffen gefragt habe.

»Aber...«, fange ich deshalb an, atme tief durch und nehme wieder etwas von meinem Eis, wohlwissend, dass Anna mich abwartend ansieht, »Ich hab’ ja seit Anfang der Woche Urlaub und...mir jetzt doch ein paar der Links angeguckt, die du mir geschickt hast«, sage ich leise und atme tief durch. Ich weiß mittlerweile nur zu genau, dass ich mit Anna reden kann und auch wenn ich es nicht gern sage, offener als mit Nuri. Die ist nicht nur im Moment nicht da, weil sie Verwandtschaft in Afrika besucht, sondern trotz aller Freundschaft und Liebe, die sie mir so gern um die Ohren schmeißt nicht...die Richtige dafür.

»Und?«, fragt Anna, nachdem ich nur weiter mein Eis esse, weil ich die Zähne nicht auseinanderbekomme. Ich seufze schwer, schiele zu ihr und zucke mit den Schultern bevor ich mit dem Kopf schüttle. Nicht kneifen, Gabriel!

»Ich bin über etwas gestolpert, das sich irgendwie sehr nach mir anhört, aber gleichzeitig auch wieder nicht, weil ein paar Sachen dann doch nicht zutreffen. Ich bin mir einfach nicht sicher. Und es gibt so viel, dass ich einfach nicht das Gefühl bekomme einen Überblick zu kriegen«, gestehe ich dann und seufze schwer. Anna lächelt sanft, bevor sie sich umsieht und ihren leeren Eisbecher kurz wegwirft.

»Eine Definition ist nicht immer das, was auch alles gleich einschließt. Grade in dem Bereich rund um Sexualität und Gender gibt es sehr viele Facetten, weshalb du da nicht in Schubladen denken solltest. Den Begriff den du gefunden hast kann deshalb zwar auf dich zutreffen, aber letztendlich ist es deine Entscheidung, ob du das Gefühl hast, ja, das bin ich oder nein, das bin ich nicht«, erklärt sie ruhig, während ich neben ihr herlaufend an meiner leicht aufgeweichten Eiswaffel knabbere. Erst als ich diese ganz verputzt habe und mir mit Hilfe eines Kindes mit Wasserpistole die Hände von den klebrigen Überresten befreit habe, gehe ich doch wieder auf das ein, was Anna gesagt hat.

»Ich bin mir fast sicher, dass du es vielleicht kennst, aber hast du schon von...demisexuell gehört?«, frage ich vorsichtig. Anna blinzelt mich an und lächelt dann breit, bevor sie nickt. Ich weiß zwar nicht warum sie so lächelt, aber da ich mich grade endlich getraut habe es auszusprechen, will ich mich nicht davon ablenken lassen.

»Also, auf diesen ganzen Wiki-Seiten und den Foren steht schon echt einiges und es ist einiges überall gleich und manchmal aber doch verschieden, weshalb ich mir nicht sicher bin, wie ich das verstehen soll. Diese Sache mit der starken emotionalen Bindung kommt mir sehr schlüssig vor, wirklich. Und wenn ich bedenke, dass ich nie verstanden habe, was meine Klassenkameraden an Jessica Alba so heiß fanden, spricht das auch dafür. Außerdem habe ich bei Sex wirklich nur mal ja gesagt um meiner jeweiligen Freundin einen Gefallen zu tun, aber...wenn ich dann berücksichtige, dass demisexuelle Menschen wohl anscheinend an sich trotzdem auch einen...das klingt jetzt blöd, aber Sexualtrieb haben bezogen auf Selbstbefriedigung und ähnliches, dann scheint es ja irgendwie doch nicht zu stimmen. Ich bin zwar nicht angewidert von Sex und so, aber wenn es nach mir ginge, muss das nicht sein. Und dann ist da noch das küssen. Ich bin jetzt nicht so ein Knutschmonster wie Mathis, aber bei Mark war ich schon irgendwie angetan. Und Elyas‘...«, ich schlucke schwer, als meine Gedanken wieder zu diesem Kuss huschen, den er mir eigentlich nur zur Hilfestellung gegeben hatte.

Anna lacht leise, bevor sie nach meiner Hand greift und sie sanft drückt. Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch, bevor sie mich einfach umarmt und obwohl es so warm ist, tut das grade sehr gut. Es beruhigt mich.

»Das meine ich mit Schubladen, Gabriel«, sagt sie leise, drückt mich noch einmal und löst die Umarmung dann wieder, bevor sie meine Hand haltend wieder weiter geht. Ich rümpfe die Nase. Blöde Schubladen.

»Demisexuell ist zwar ein Begriff, der etwas bezeichnet mit dem man sich identifizieren kann, aber dahinter steckt ein ganzes Spektrum. Das heißt, nur weil jemand anderes sich als demi identifiziert weil er alles genau so empfindet, wie man es zum Beispiel in dem Wikipediaartikel lesen kann, heißt das nicht, dass das nicht trotzdem auch auf dich zu trifft. Wie gesagt, es gibt unglaublich viele Facetten. Eine davon kann sein, dass man kein Bedürfnis nach Sex verspürt und auch alles damit zusammen hängende damit nicht möchte aber trotzdem Vorstellungen hat, die einen ansprechen. Dann gibt es die Möglichkeit, dass einem Sex auch einfach egal ist und man es nur dem Partner zu Liebe trotzdem hat, weil die physische Reaktion ausreichend genug dafür ist. Und das ist ein Punkt der bei dir zutrifft, oder?«

Eigentlich ist das Thema vielleicht etwas unpassend, wenn man bedenkt, dass wir grade durch einen öffentlichen Park spazieren und uns immer wieder Menschen entgegen kommen oder Kinder an uns vorbei rennen. Andererseits hoffe ich wirklich, dass sich das Chaos in meinem Kopf endlich einmal lichten könnte. Deshalb nicke ich langsam.

»Der andere Punkt mit dem Küssen. Küssen bedingt nicht gleich sexuelle Anziehung. Du kannst es mögen jemanden zu küssen und ihm nahe zu sein, aber nicht gleich das Bedürfnis haben mit ihm zu schlafen. Auch, dass du dir vorstellen kannst mit Elyas zu schlafen, bedeutet nicht automatisch, dass du es jetzt auch wirklich willst. Oder hat sich da etwas geändert?«

Ich schlucke schwer, weil mich das jetzt doch wieder verlegen macht. Anna kann nämlich ebenfalls sehr direkt sein, auch wenn es grade nur hilfreich ist. Meine Verlegenheit bekomme ich trotzdem nicht abgestellt, weshalb ich den Kopf schüttle. Sie hat Recht, das weiß ich selbst. Denn nachdem ich den Schock überwunden und es gewagt habe mir Gedanken darüber zu machen, durfte ich selbst feststellen, dass ich die Vorstellung möglich finde, aber es trotzdem zurzeit nicht umsetzen wollen würde. Ich könnte nicht. Denn auch wenn wir uns mittlerweile regelmäßig sehen und irgendwie auch beabsichtigt treffen, wie auf ein Feierabendbier, was manchmal auch von einem Essen begleitet wird oder gleich zu Elyas in den Garten für einen Grillabend mit Freunden verlegt wird, spüre ich in keiner Situation das Bedürfnis diese Vorstellung in die Tat um zu setzen. Einerseits war und ist es beruhigend, aber andererseits gleichermaßen irritierend. Denn gegen einen Kuss hätte ich wiederum nichts einzuwenden. Auch wenn ich nie gefragt habe. Ich fühle mich in seiner Gegenwart wohl, das ist letztendlich das einzige, dass ich wirklich weiß. Alles andere kann ich bis jetzt nicht richtig festmachen oder erklären, geschweige denn einordnen.

»Außerdem solltest du unterscheiden zwischen Gefühlen und der sexuellen Anziehung. Du kannst dich verlieben und trotzdem nicht den Wunsch haben intim mit dieser Person zu werden. Wenn sich das untrennbar bedingen würde, könnten sich in der Theorie asexuelle Menschen nicht verlieben. Das können sie allerdings sehr wohl. Und das ist ein Grund, warum es die romantischbezogenen Begriffe gibt.«

»Hab ich von gelesen. Biromantisch und so«

»Genau. Heißt also, theoretisch kann jemand homosexuell, aber biromantisch sein. Oder asexuell und homoromantisch. Davon ab, könnten demisexuelle Menschen sich auch ohne romantische Gefühle sexuell zu einem Freund oder einer Freundin hingezogen fühlen, wenn für sie die emotionale Bindung nur stark und tief genug ist.«

»Wie jetzt? Ich könnte mich plötzlich zu dir hingezogen fühlen nur weil wir so gute Freunde sind?«

Anna lacht leise und amüsiert.

»Rein theoretisch schon, aber zum einen muss das nicht zu treffen, es ist nur eine Möglichkeit und bei dir ganz speziell glaube ich das auch nicht, weil dein Moralempfinden viel zu hoch ist und so dann dich direkt blockieren würde. Und davon ab, selbst wenn es so wäre, bedeutet das ja nicht automatisch, dass du deshalb auch irgendetwas in der Richtung unternehmen wollen würdest. Es ist schließlich nicht verwerflich sich zu jemandem hingezogen zu fühlen. Das wird es erst, wenn man deshalb Dinge tut, die andere in irgendeiner Weise verletzen«, erklärt sie und ich seufze schwer. Das ist so viel und irgendwie kompliziert, aber trotz allem...ich glaube das Chaos lichtet sich.

»Glaubst du denn, dass du demi bist?«

Ich zucke mit den Schultern, bevor ich nichts fokussierend in die Ferne schaue.

»Ja, jetzt ehrlich gesagt noch mehr, als heute Morgen noch«, sage ich leise und grinse schief, »mir ist bewusst, dass diese Tabuisierung von Sex vor der Ehe, mit der ich aufgewachsen bin mich irgendwie schon auch geblendet hat, aber selbst nach meinem Austritt war es kein Thema für mich und kein Bedarf dafür da und deshalb kann es nicht nur daran liegen. Und auch nicht an der Erziehung meiner Eltern. Ich mein...dass mein Vater mir beigebracht hat Respekt und all das in der Beziehung aufzubauen und auch zu wollen ist ja nicht falsch, aber ich hab sehr wohl meinen eigenen Kopf und ich wollte immer schon von mir aus eine Verbindung direkt zu der Freundin, mit der ich zusammen war. Ich wollte die Person kennen, mit der ich da zusammen war. Und sie kennen lernen und ich war überzeugt, dass dann auch alles andere irgendwann dazu kommen würde.«

»Warst du mit jeder zusammen, die dich gefragt hat? Manchmal klingt das danach, wenn ich ehrlich bin.«

Ich schüttle abwehrend den Kopf.

»Nein, wirklich nicht. Ich hatte sechs, nein mit Sophie sieben Freundinnen insgesamt. Und nur mit dreien war ich überhaupt intim«, erkläre ich leise, weil eine junge Familie mit Kleinkind und Kinderwagen an uns vorbei geht. Anna nickt leicht, bevor nun sie tief durchatmet.

»Aber du machst das doch nicht nur daran fest, oder?«, fragt Anna dann und ich überlege angestrengt, bevor ich den Kopf schüttele.

»Nein, nicht nur daran. Ich bin mir auch noch nicht sicher, aber dieser Eindruck, dass es stimmen könnte, der geht nicht mehr weg. Deshalb wollte ich dich ja auch danach fragen. Ich weiß nicht wie diese...plötzliche Sympathie für Elyas da rein passt, aber...nachdem du mir das alles jetzt noch mal genauer erklärt hast, ist dieses...ich hab keine Ahnung wie ich das beschreiben soll. Ich bin besser beim Ölwechsel als mit Worten«, brumme ich seufzend und fahre mir durch die Haare. Anna lacht und stupst mich mit ihrer Schulter an. Sie ist zwar einen halben Kopf kleiner als ich, doch die wohl gewünschte Wirkung verfehlt das nicht.

»Stell dein Licht nicht immer so unter den Scheffel. Du bist wunderbar genau so wie du bist. Und das mit Elyas...zum einen hat Marie dich quasi drum gebeten dich mit ihm anzufreunden und zum anderen hast du durch Mowgli eine Verbindung zu ihm und du kannst sagen was du willst, aber du liebst deinen Kater jetzt schon heiß und innig! Ich könnte mir vorstellen, dass es dich unbewusst beeinflusst hat«, erklärt sie und in ihrer Stimme schwingt dieser Tonfall mit, der mich das Gesicht verziehen lässt.

»Du findest mich grade wieder süß, gib’s zu«, brumme ich ungnädig, weshalb sie lacht. Ich verdrehe die Augen, bevor ich doch schief lächeln muss. Keine Ahnung warum Anna das sagt, aber sie lässt in solch einer Regelmäßigkeit die Behauptung fallen, ich sei süß oder niedlich, dass ich es aufgegeben habe mich wirklich dagegen zu wehren.

»Du bist einfach süß, da kommst du nicht gegen an, egal was du tust«, erklärt sie überzeugt und ich seufze nur schwer.

»Also hast du ein Das bin ich - Gefühl?«, fragt sie dann aber wieder auf das Thema lenkend und ich schmunzle leicht, bevor ich nicke. Sie ist mit Worten wirklich um Längen besser, was vielleicht daran liegen könnte, dass sie Logopädin ist.

»Ja, immer mehr. Aber ich bin mir nicht vollends sicher. Ist das schlimm?«

»Nein, ist es nicht. Ich hab auch eine ganze Weile gebraucht um mir einzugestehen, dass ich Elisa mehr will als meinen damaligen Freund und noch einiges länger um auch so offen dazu stehen zu können, wie ich es heute tue. Aber dafür kann ich jetzt sehr viel selbstbewusster und unbeeinflusster dazu stehen, als wenn ich das damals erzwungen hätte. Also nimm‘ dir die Zeit, die du brauchst und dann wird sich das schon alles finden«, sagt sie überzeugt und ich muss lächeln. So ehrlich angenommen zu werden hilft einfach ungemein dabei sich einen Weg aus dem Chaos zu suchen.

»Hast du noch irgendwelche Fragen oder Gedanken, die du mit mir teilen möchtest? Denn sonst nutze ich jetzt die Chance, dass Eli nicht da ist und erzähle ich dir von meinem Kleid«, sagt sie dann verschwörerisch und ich muss lachen.

»Nein, im Moment habe ich alle Fragen gestellt, deshalb...erzähl mir von deinem ach so tollen Hochzeitskleid«, antworte ich amüsiert, weshalb Anna begeistert nickt und mir so detailliert wie möglich von dem Kleid für die anstehende Hochzeit Anfang nächsten Monats erzählt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Riccaa
2017-11-12T22:27:02+00:00 12.11.2017 23:27
Hey,
also ich muss gestehen ich bin gerade ziemlich geflasht. Alleine diese ganze Verwirrtheit über die vermeintlichen Schubladen und die Definitionen und Kategorien und das eigene Gefühl natürlich. Und dann nochmal, dass Gabriel sich so langsam bewusst wird, wie es denn jetzt bei ihm ist. Wie sagt er so schön? Das Chaos lichtet sich ;)))
Deine ganzen Erklärungen und Erläuterungen waren echt super. Gerade für Leute, die sich damit nicht sooooooo auskennen und es war vorallem verständlich.
Ich mag Gabriel. Nicht nur weil er eine treudoofe Socke ist und den süßesten Kater der Welt hat, er ist besonders. Nicht so normal oder 08/15. Vielleicht kenne ich mich auch einfach nicht aus, was vermutlich sehr wahrscheinlich ist, aber ich finde ihn einzigartig. Und das ist auch gut so.
Ich freue mich, dass Gabriel sich nun gefunden hat, bzw. dabei ist und über sich selber klarer wird :))

Tolles Kapitel :)))) Freue mich schon auf's nächste <3
Antwort von:  Schwarzfeder
13.11.2017 09:55
Uh, es freut mich sehr, dass es so ankommt, wie ich gehofft habe! Danke für deinen lieben Kommentar und, dass du Gabriel so magst. Für mich ist er auch etwas besonderes, weil er der erste Versuch ist einen Charakter einmal anders zu gestalten, als sonst. Ich liebe meine anderen Bebis auch, aber Gabriel ist von allen trotzdem auch besonders für mich, deshalb freut es mich, dass er es auch für dich ist.
Und sich nicht so auszukennen ist nicht schlimm, finde ich. Zum einen kann man das immer noch auch ändern und zum anderen kann man auch einfach nicht alles wissen :)
Von:  Yamasha
2017-11-12T16:59:26+00:00 12.11.2017 17:59
Elisa und Anna heiraten?... Stimmt, da war was. Hab ich wohl die anderen Male überlesen... Wird bestimmt toll.
Dann muss ich sagen, dass ich finde, dass du die Sache mit demisexuell und so echt gut erklärt hast. So würde ich das tatsächlich auch machen, damit andere Menschen es verstehen. :)
Und ansonsten war das ein sehr schönes Kapitel. Ich habe das Gefühl, dass es Gabriel jetzt endlich besser geht und das freut mich. Hab richtig mit ihm gelitten >.< und jetzt fühle ich mich auch gelöster :D
Ach ja, und das du die Geschichte im Sommer spielen lässt, wenn in Deutschland Winter ist, finde ich ja auch toll! :D
Antwort von:  Schwarzfeder
13.11.2017 08:09
Ja~ da war was :") Ich muss zugeben, dass ich es zwischendurch selbst vergessen hatte, also~ nicht tragisch.
Und ich bin grade so dermaßen erleichtert, dass du das sagst!!! Ich war wie auf glühenden Kohlen, weil ich es verständlich und glaubhaft erklären wollte für die, die es nicht kennen und am besten dann auch richtig x'D~ Das ist ein riesen Lob für mich, danke!
Das mit dem Sommer war ehrlich gesagt Zufall x"3 Aber danke!


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