Herzblind von Schwarzfeder ================================================================================ Kapitel 3: .drei ---------------- »Komm schon~«, bettelt Marie und zuppelt an meinem Arm. Ich brumme genervt und verdrehe die Augen. »Warum denn bitte ich?« »Weil ich die einzige bin, die sonst niemanden mitbringt und Elyas meinte schon, dass er es okay findet. Deshalb bitte~«, bettelt sie wieder und versucht sich an einem ähnlichen Welpenblick wie Momo. Allerdings muss ich zugeben, dass sie es nicht einmal halb so gut hinbekommt. Wenn der Knirps das macht, dann fühlt man sich wie der schlechteste Mensch auf Erden auch nur zu denken, das, was auch immer er möchte, abzulehnen. Bei Marie bekomme ich das Gefühl nicht. Vielleicht weil sie wesentlich verschlagener und um Längen durchsetzungsfähiger ist als er. »Jetzt gib schon nach«, brummt Mathis und bekommt einen bösen Blick von Marie. »Was? Ich versuche dir grade zu helfen?« »Wenn du nicht mit Momo gehen würdest, müsste Gabriel gar nicht mit«, sagt sie vorwurfsvoll und ich werde hellhörig. »Du gehst mit Momo zu Dr. Schäfers Geburtstagfeier?«, frage ich nun lauernd, weshalb Mathis mich anstarrt und dann brummig wieder auf seine Nudeln sieht. Es ist Freitag und wir sitzen zu dritt in der Küche und essen verspätet Mittag. Ich, weil ich noch krankgeschrieben bin für heute, erst nach dem bevorstehenden Wochenende zurück zur Arbeit kann und deshalb lange geschlafen habe, Marie, weil sie bis vorhin arbeiten war und Mathis weil er nicht gern allein isst. Ich kann ihn verstehen. Marie und ich verdrehen gleichzeitig die Augen. Irgendwie kann ich einfach nicht nachvollziehen, dass Mathis nicht aus dem Quark kommt. Seit dieser Sache mit dem Mistelzweig ist ein halbes Jahr vergangen und sie schleichen immer noch umeinander rum wie Katzen um den heißen Brei. Von Marie weiß ich, dass Momo nur drauf wartet bis Mathis sich endlich überwindet, aber was Mathis Problem ist? Das weiß keiner. Und er sagt es auch keinem! Dabei war er es ja, der den Stein ins Rollen brachte. Lucas, der Freund von Nina und ich haben zwar auch einen Teil dazu beigetragen und Mathis provoziert, aber ihn dazu gezwungen Momo zu küssen um zu demonstrieren wie praktisch so ein Mistelzweig im Türrahmen doch ist, haben wir sicherlich nicht. Mich wieder auf Marie konzentrierend, die immer noch an meinem Arm wackelt, seufze ich tief und nicke dann. »Na gut, ich komme mit. Aber dann machen wir Mathis betrunken und sperren ihn mit Momo in den Besenschrank«, drohe ich gespielt genervt und lache, weil Marie mich erleichtert anstrahlt und zustimmend nickt. »Danke! Du bist ein Schatz und ja, das werden wir machen.« »Könnt ihr mal damit aufhören und weiteressen? Wir müssen in einer Stunde los«, belehrt Mathis grummelig, steht auf und stellt seinen leeren Teller in die Spüle. Mir geht durch den Kopf, dass Nuri schlecht ihren Spüldienst erfüllen kann, wenn sie bis Samstagnacht ihre Zeit in Paris verbringt und ich seufze. Bleibt wohl an mir hängen. »Also langsam wird das wirklich anstrengend. Mathis ist doch klar, dass Momo ihn mag, oder?«, fragt Marie, als Mathis sich in sein Zimmer verzogen hat und ich brumme zuckend mit den Schultern. »Wir sind zumindest nicht müde geworden ihm das zu sagen, aber hat Momo es ihm schon mal gesagt?«, gebe ich zu bedenken und schiebe mir ebenfalls meine letzten Nudeln zwischen die Zähne. Marie legt nachdenklich den Kopf schief. »Ehrlich gesagt...weiß ich das gar nicht«, sagt sie dann und ich spitze die Lippen. »Vielleicht sollten wir eher Momo betrunken machen, damit er es Mathis sagt«, schlage ich vor und schiele zu Mowgli, der auf der Fensterbank liegt und schlafend in der Nachmittagssonne badet. »Mal gucken. Musst du noch duschen? Sonst besetze ich jetzt das Bad«, nuschelt Marie mit Nudeln im Mund und stellt ihren Teller dann auf Mathis‘. Ich schüttle den Kopf. »War schon«, murmle ich abwesend und sehe ihr nach, als sie trällernd im Bad verschwindet. Dann bleibe ich bei Mowgli stehen und kraule ihm den Bauch. Ich war fast zwei Wochen krank, weil das Fieber so lang angehalten hat und die Halsschmerzen erst vor zwei Tagen endlich vollkommen verschwunden sind. Der Arzt hatte mich deshalb direkt bis heute krankgeschrieben und Herr Fechter hatte dann gesagt, dass ich erst Montag wieder antanzen sollte. Das ist an sich ja nett, aber mir hat die Arbeit gefehlt. Vor allem weil ich nichts zu tun hatte außer mit Mowgli zu kuscheln und mir eine Serie nach der anderen rein zu ziehen. Nachdem es mir soweit gut ging, dass ich wieder aufstehen konnte, habe ich zwar auch mit ihm gespielt, aber letztendlich bin ich einfach kein Typ fürs lange Herumsitzen. Vermutlich begleite ich Marie deshalb zu der Party. Weil sie sich in der Zeit am meisten um mich gekümmert hat. Zwar erinnere ich mich dunkel an einen Anruf meiner Mutter und Nachrichten von Ruth und Tabea, aber am präsentesten sind eigentlich Mowgli und Marie gewesen. Und Dr. Schäfer. Der war nämlich danach noch drei Mal hier um Marie beim Lernen zu helfen. Und jedes Mal saßen sie in meinem Zimmer anstatt in der Küche oder in Maries Zimmer. Und dabei wäre es zumindest beim letzten Mal wirklich nicht mehr nötig gewesen, weil das Fieber weg war und nur noch die Halsschmerzen für einen rauen Hals sorgten. Zwar hatte ich so die Möglichkeit Dr. Schäfer etwas näher kennen zu lernen und kann jetzt selbst beurteilen, dass er so nett ist wie Marie sagte, aber ich bringe es immer noch nicht über mich ihn mit Vornamen anzusprechen. Etwas, dass er sehr witzig findet. Mir ist es nur peinlich, ich will jemanden, den ich kaum kenne nicht einfach duzen und bei Leuten die dem Typ Respektsperson angehören erst Recht nicht. Mein damaliger Werkstattmeister hatte mir nach der Lehre auch plötzlich das Du angeboten, aber ihn plötzlich Dirk zu nennen war so komisch für mich, dass ich fast froh war, als Herr Fechter übernahm und drauf bestand von allen gesiezt zu werden. Mowgli sanft hoch nehmend gehe ich nun selbst in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett sinken. Er schmust sich schnurrend an mich und meine Lippen biegen sich zu einem Lächeln. Die zwei Wochen haben für unsere Bindung wirklich einiges getan. Zwar glaube ich, dass er den Werkstattgeruch trotzdem weiterhin nicht mögen wird, aber ich habe mich in den letzten zwei Wochen wirklich in diese Art Katzenbesitzer verwandelt, die alles filmen und fotografieren und so oft wie in den letzten Tagen hatte ich seit der Einführung der Funktion keine Statusmeldungen mehr. Meine Schwestern haben mir schon angedroht im Sommer vorbei zukommen um sich hier einzuquartieren und den Kater kennen zu lernen, aber ich bin mir noch nicht sicher ob sie es ernst meinen oder nicht. Zwar sind beide mehr oder minder aus der Pubertät raus, wegen der ich vor Jahren überhaupt nur ausgezogen bin – es gibt kaum etwas schlimmeres als zwei Pubertierende Teenies, wenn man es selbst schon hinter sich hat – aber sie sind immer noch sehr...anstrengend. Trotzdem würde ich sie nicht vor die Tür setzen. Mein Handy vibriert und ich greife danach. Sophie hat mir geschrieben und noch bevor ich die Nachricht geöffnet habe, ist mir irgendwie klar, dass sie für morgen absagt. Eigentlich sollte ich zum Familienbrunch mitkommen. Es ist nicht so, dass ich mich gefreut habe, aber es wäre nicht schlimm gewesen, weil ihre Eltern und ihr Bruder ganz in Ordnung sind. Im Gegensatz zu der landläufigen Meinung ist er nicht dieser typische große Bruder, der den Freund erst einmal einschüchtern muss und seine Freundin ist wirklich nett.Ich kenne sie kaum, aber sie ist sympathisch. »Schaffen es morgen nicht, sorry. Telefonieren wir Sonntag?« Ich seufze schwer und schiele zu Mowgli. »Ich kriege von dir wesentlich mehr Aufmerksamkeit als von meiner Freundin. Muss ich mir Sorgen machen?«, frage ich ihn, doch er rührt sich nicht und ich schicke schief grinsend eine Antwort. »Nicht schlimm, bis Sonntag« ~ »Es ist so voll!«, rufe ich über die laute Musik hinweg und frage mich grade warum ich doch mitgekommen bin. Es ist nicht so, dass ich nicht gern ausgehe, aber ich bin eher weniger die Partymaus und Momo wirkt ebenfalls so, als ob ihm das zu viele Menschen sind. Der arme Junge schaut sich immer wieder um und hält sich mittlerweile an Mathis‘ Arm fest um nicht von den anderen Menschen fortgedrängt zu werden. »Er schnappst ja auch«, ruft Marie zurück und ich blinzle irritiert. »Er tut was?« »Schnappsen! Elyas wird 33«, erklärt sie und winkt hier und da in die Menge. Ich vermute stark, dass nicht nur die ganze Belegschaft sondern auch die halbe Kundschaft der Praxis eingeladen ist, denn schon als wir in den unverschämt großen Garten kamen waren alle möglichen Altersstufen zu erkennen. Zwischen den Erwachsenen tummeln sich sogar eine Handvoll Kinder! Hoffentlich passt jemand auf, dass sie nicht an den Alkohol kommen. »Da vorne, da ist er, kommt!«, ruft Marie und zerrt mich unnachgiebig weiter. Ich beobachte, wie sich in der Menge zwei Mädchen küssen und frage mich unwillkürlich wer Dr. Schäfer eigentlich privat ist. Denn im Grunde weiß ich nur, dass er nett ist und Tierarzt. Und gut aussieht. Irgendwie. Den Gedanken abschüttelnd bleibe ich vor dem Geburtstagskind stehen und blinzle ihn an. Er unterhält sich grade mit einem Mann, der ihm entfernt ähnlich sieht, aber mindestens 20 Jahre älter zu sein scheint, als er uns bemerkt. »Ihr habt es wirklich geschafft, freut mich«, sagt er schmunzelnd und nickt dem Mann zu, der ebenfalls mit einem Nicken in Richtung Marie und Momo in der Menge abtaucht, »Das war mein Onkel«, erklärt er Mathis und mir und nimmt Maries Tüte entgegen, die sie seit sie fertig angezogen aus ihrem Zimmer kam nicht mehr los gelassen hat, »Er hat bis vor kurzem auch in der Klinik gearbeitet, macht jetzt aber die ganzen Besuche außerhalb.« Weil ich nicht weiß, was ich zu dieser Info sagen soll, nicke ich nur. Das erklärt zwar, warum Momo und Marie ihn kennen, aber mich geht da ja eigentlich nichts an. Ich bin nur hier, damit Marie nicht allein ist. Obwohl man eigentlich in dieser Menge an Leuten gar nicht allein sein kann. »Wieso ist es eigentlich so voll?«, fragt Marie und strahlt ihn an. Ich bin verwirrt, hat sie ihm schon gratuliert? Irgendwie ist die Gelegenheit das nach zu holen grade vorbei. »Meine Verwandtschaft ist länger geblieben als beabsichtigt, weshalb sie grade auf meine Freunde und Bekannten treffen. Ich hab die Zeiten wohl zu nahe zusammen gelegt«, erklärt er und ich nicke langsam. Das erklärt dieses Durcheinander. »Okay, da vorn ist meine Mutter. Sie ist extra aus Amerika gekommen, ihr entschuldigt mich? Nehmt euch einfach was zu essen und zu trinken!«, erklärt er und ist keine drei Sekunden später ebenfalls verschwunden. Soviel dazu. ~ Drei Stunden später ist es dunkel und um einiges weniger voll. Die Familie und Anverwandten sind nach und nach abgezogen und jetzt verteilen sich durch Garten und Wohnzimmer nur noch an die 30 Leute. Mittlerweile haben wir die Bowle und die Terrassenpolster für uns entdeckt und sind mit ein paar von Dr. Schäfers ehemaligen Kommilitonen ins Gespräch gekommen. Marie ist ganz begeistert, weil sie die Gelegenheit nutzt und zwei von ihnen wegen ihrer Staatsexamen löchert. Ich höre Mathis zu, der sich mit dem lesbischen Pärchen unterhält, dass ich bei unserer Ankunft gesehen habe. Sie kennen Dr. Schäfer schon seit der Schulzeit. Anna und Elisa heißen sie und sind sogar schon verlobt und Elisa hat ebenfalls schwedische Wurzeln, weshalb sie mittlerweile sogar auf Schwedisch plaudern. Anna hört ihrer Freundin mit einem ähnlich schmachtenden Blick zu wie sonst Momo Mathis. Da der Knirps aber kein schwedisch versteht sitzt er schweigend neben Mathis und löffelt die Beeren der Bowle aus seinem Becher. Seine Augen sind leicht glasig und seine Wangen rosa. Ich überlege grade ob ich ihm nicht etwas Brot vom Grill holen soll, den irgendjemand vor eine Weile angefeuert hat und seit dem fleißig vor sich hin grillt. Es duftet nach Kuchen und Früchten und ich bin ehrlich fasziniert davon was man abgesehen von Fleisch alles grillen kann. Dann hickst Momo und blinzelt verdutzt. Ich verkneife mir ein Lachen und stupse ihn an, »Alles okay, Kleiner?« Momo nickt leicht und lächelt mich dankbar an. Sein Blick sieht aber irgendwie nicht danach aus. Kurz zu Mathis schielend, der noch in sein Gespräch vertieft ist, seufze ich und helfe Momo hoch. Er sollte vielleicht etwas frischere Luft als die Alkoholausdünstungen der Getränke bekommen und wirklich ein Stück Brot essen. »Wo bring’su mich hin?«, lallt er leise und stolpert. Ich lege meinen Arm um seine Hüfte und seinen über meine Schultern während ich ihn zu einer stilleren Ecke ziehe. Praktischerweise steht da eine kleine Holzbank, die grade unbesetzt ist und ich lasse ihn darauf sinken. »Wirklich alles okay?«, frage ich noch einmal und hocke mich vor ihm hin. Momo weckt in mir manchmal die Art großer Bruder, den sich meine Schwestern immer von mir erträumt haben. Doch weil Ruth und Tabea sehr gut ihre eigenen Interessen vertreten können, hatte ich nie das Bedürfnis sie derart zu beschützen. Natürlich würde ich sie nie hängen lassen, aber sie sind einfach viel zu eigenständig und eigenwillig, als das ich den großen Bruder spielen müsste. »Mir’s ‘n bissch’n schwindlich«, nuschelt er und seufzt dann grottenschwer. Irgendwas liegt dem Jungen auf der Seele, das bilde ich mir doch nicht nur ein. »Gabriel?«, fragt er nach einem stillen Moment, indem ich überlege wie ich Momo helfen kann. »Ja?« »Mag Mathis mich wirklich?« ...oh scheiße. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)