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Herzblind

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Das erste Kapitel. Ich habe seit einiger Zeit kein erstes Kapitel mehr hochgeladen. Auch weil es sonst immer nur generell ein Kapitel war. Ich bin etwas aufgeregt und das etwas ist eigentlich untertrieben...
Ich bin ein Nervenbündel.
Ich hoffe ihr mögt Gabriel und die anderen, viel Spaß! Komplett anzeigen

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Es ist ein jämmerliches, klägliches Weinen, das mich aufsehen lässt. Für einen Moment kommt es mir vor wie eine Einbildung, weshalb ich weiter gehen will um meine Arbeit fort zu setzen. Doch dann ertönt es wieder. Kurz zögernd starre ich auf den für mich nun auszuführenden Auftrag für einen einfachen Ölwechsel.

Dann übernimmt aber mein Gewissen.

Ich lege das Klemmbrett zur Seite und versuche dem Klang zu folgen. Einer meiner Kollegen fragt, was ich treiben würde, doch ich wedele nur abwimmelnd mit der Hand um ihn zum Schweigen zu bringen. Es ist schon laut genug durch die anderen Werkstattgeräusche um mich herum.

Mitten auf dem Hof stehend, sehe ich mich um, entdecke aber nur die Autos der heute noch anstehenden Reparaturen. Ansonsten ist nichts zu sehen.

Ich will mich grade wieder umdrehen, als ich es wieder jammern höre und diesmal glaube ich sogar die Richtung zu erkennen. Dem Gefühl folgend, gehe ich auf den Nissan Micra mit Kupplungsschaden zu und zwischen diesem und dem Pick-Up, der Sommerreifen aufgezogen bekommen soll, steht ein Karton.

Perplex bleibe ich stehen und runzele die Stirn, während mein Blick über das nur zu bekannte Amazon-Logo fliegt und an den leicht eingedellten Seiten hängen bleibt. Dann rappelt es und der Karton bewegt sich, mit einem weiteren, kläglichen Jammern.

Während ich mich nähere wird das Jammern lauter und mir bewusst, dass irgendjemand ein Tier ausgesetzt haben muss. An unserer Werkstatt.

Leise grummelnd gehe ich in die Knie und sehe, dass der Karton sogar zugeklebt ist, was meine Laune nicht wirklich hebt. Welcher Arsch war das denn?

Ohne weiter darüber nach zu denken welche Art Tier da drin sein müsste, ziehe ich einen Kulli aus meinem Blaumann um das Klebeband auf zu reißen.

»Unfassbar«, nuschele ich ungläubig und klappe die Box auf. Sonst freue ich mich über Pakete, aber jetzt wird mir fast schlecht vor Wut. Ich habe zwar keine eigenen Haustiere und auch nie welche besessen, bin aber durch meine Schwestern mit Tieren aufgewachsen und deshalb ohne jedes Verständnis für solche Aktionen.

Es ist im Grunde keine Überraschung als mir ein kleines, schwarzes Kätzchen erschrocken entgegenblinzelt. Jämmerlich maunzend drückt sich das kleine Ding in die Ecke und ich werde von Mitleid fast überrannt. Wie kann man nur?

»Hey«, murmle ich sanft und will in die Box greifen um das kleine Ding da raus zu holen, doch plötzlich macht es einen Buckel und faucht mich so bedrohlich an, dass ich die Hand lieber sofort zurück ziehe. Was jetzt?

Für einen Moment bin ich wirklich überfragt, doch dann fällt mir meine Mitbewohnerin Marie ein. Eine angehende Tierärztin sollte doch sicherlich wissen, was jetzt zu tun ist, oder?

Die Box umsichtig hochnehmend, gehe ich zurück und hoffe, dass Marie mir wirklich helfen kann.
 

~
 

Eine Stunde später bereue ich fast mir das aufgehalst zu haben. Ich sitze im übervollen Wartezimmer der Tierklinik und halte den Karton fest, indem das Kätzchen hockt und immer wieder leise jammernd maunzt. Zwar habe ich zwischendurch noch einmal versucht den kleinen Racker zu beruhigen, aber entweder er oder sie – keine Ahnung ob Kater oder Katze, das muss sich gleich raus stellen – mag mich nicht oder ist zu verängstigt um sich an fassen zu lassen. Nicht, dass ich es nicht verstehen könnte.

Mein Handy vibriert in unregelmäßigen, aber nervigen Abständen und ich vermute stark, dass mein ach so hilfreicher Lehrling das Foto mit den anderen geteilt hat, dass er vorhin von mir und dem Karton gemacht hat, als ich mit Marie telefonierte.

Ich überlege gerade wie ich ihn dafür am besten strafen kann, als Marie ihren Kopf ins Wartezimmer rein streckt und mich angrinst.

»Der barmherzige Samariter!?«, trällert sie und ich verdrehe die Augen. Jeder hier kann sich an einer Hand ausrechnen wer gemeint ist, weil ich der einzige bin, der im Blaumann und Arbeitsschuhen hier wartet. Zwei Teenie-Mädchen beugen sich kichernd über ihr Kaninchen, während eine Hundebesitzerin in der Ecke wenig erfolgreich versucht ihr Lächeln zu kaschieren. Wieso muss ich eigentlich hier sitzen und warten? Kann man Findeltiere nicht einfach nur abgeben und gehen?

Seufzend stehe ich auf und begnüge mich mit einem bösen Blick an Marie, die allerdings völlig unbeeindruckt auf eine Tür schräg gegenüber deutet.

»Behandlungsraum drei«, sagt sie gut gelaunt und schiebt mich leicht an. Ich brumme nur und gehe auf die Tür zu, hinter der ich eigentlich einen leeren Raum erwarte, weil ich es von meinem Arzt gewöhnt bin noch einmal warten zu müssen. Doch ich werde sofort eines Besseren belehrt, als mein Blick auf den Tierarzt fällt, der noch dazu jünger aussieht als gedacht. Ich sollte meine Erwartungshaltung vielleicht bei Seite lassen, weil ich diesmal nicht meine kleine Schwester mit einem ihrer Meerschweinchen zum Tierarzt fahre.

Der Tierarzt selbst steht da mit einer Akte und erklärt Momo – dem irgendwie-Freund meines anderen Mitbewohners Mathis und praktischer Weise auch direkt gegenüber wohnenden Nachbarn – etwas, der aufmerksam lauscht. Zumindest bis Marie hinter mir die beiden auf mich und mein Findelkind aufmerksam macht.

»Da ist er«, flötet sie und schließt dann aber die Tür, ohne mit herein zu kommen. Ich bin ehrlich irritiert, weil ich eigentlich dachte, dass sie mit dabei bleibt, schließlich hab ich sie auch angerufen. Momo aber antwortet auf meine stumme Frage, als ob er meine Gedanken gelesen hat und kommt auf mich zu.

»Sie assistiert gleich bei einer OP«, sagt er leise und blinzelt mich kurz an, bevor er zu dem Karton guckt, »Da ist das Kätzchen drin?«

Ich übergebe den Karton nickend und atme einen Moment durch, bevor ich nun den Tierarzt wieder ansehe. Für einen Moment bin ich irgendwie sprachlos. Dann frage ich mich unwillkürlich ob das Wartezimmer deshalb so auffällig viele Frauen mit Haustier beherbergt, weil der Tierarzt aussieht wie einem Modemagazin entsprungen. Und dabei trägt er einen unkleidsamen Kittel.

»Guten Tag. Sie sind Herr Lorentz, nehme ich an? Ich bin Dr. Schäfer«, erklärt er souverän und bietet mir seine Hand an, die ich rein aus Reflex annehme und kurz schüttle.

Er hat einen kräftigen Händedruck und kurz schießt mir durch den Kopf, was mir mein Vater dazu beigebracht hat.

Einen toten Fisch will niemand anfassen, sagt er immer. Doch dann schiebe ich auch das zur Seite und besinne mich auf den Grund meines Hierseins.

»Gabriel Lorentz, ja«, murmle ich und trete unaufgefordert zu Momo an den Behandlungstisch. Wenn ich schon mal da bin und warten musste will ich auch wissen, ob es dem kleinen Angsthasen in der Kiste auch gut geht.

»Frau Hoferland hat erwähnt, dass Sie die Katze gefunden haben?«, fragt der Arzt und legt die Akte zur Seite, bevor er ebenfalls dazu kommt. Ich nicke schlicht.

»Ja, bei uns an der Werkstatt«

»Werkstatt?«

»Ich bin KFZ-Mechatroniker«, erkläre ich und beobachte fasziniert, wie Momo vorsichtig versucht das Vertrauen des kleinen Tieres zu gewinnen. Im Gegensatz zu mir trennt er vorsichtig eine Seite ab und lässt den Deckel geschlossen während er seine Hand tief über den Tisch haltend vorsichtig vorschiebt. Und erstaunlicher Weise hat er damit Erfolg. Denn während ich Dr. Schäfer Fragen beantworte wo genau das Paket stand, wie ich es gefunden habe und warum das Tierchen immer noch da drin sitzt, schafft Momo es das kleine, schwarze Etwas aus dem Karton zu befördern. Ohne Fauchen, ohne Kratzer. Schnurrend reibt es den kleinen Kopf an seiner Hand, während er leise beruhigende Worte murmelt und ich bin ehrlich baff.

»Dann wollen wir mal«, sagt nun Dr. Schäfer und widmet sich dem Tierchen.

Als ich damals meine jüngeren Schwestern immer wieder und am besten abwechselnd fahren musste, bin ich nie mit in den Behandlungsraum, weshalb ich jetzt auch kaum definieren kann, was der Arzt und Momo da eigentlich genau treiben, doch was ich merke ist, dass dem Kater – wie Dr. Schäfer zwischendurch feststellt – die Prozedur zwar nicht gefällt, doch keiner von beiden groß angefaucht oder sogar angegriffen wird.

Undankbares Findelkind.

Innerlich seufzend beobachte ich, wie Momo den Kleinen irgendwann hoch nimmt und kraulend an sich drückt, während Dr. Schäfer nun seinen Blick an mich wendet.

»Der Kater ist um die 5 Monate alt, aber noch nicht gechipt, deshalb werden wir wohl auch keinen Besitzer ermitteln können. Ihm geht es soweit gut, kein äußerlicher Parasitenbefall oder vergleichbares«, erklärt er, wäscht sich kurz die Hände und setzt sich dann an seinen PC.

Ich nicke nur brummend und überlege kurz, bevor ich den Arzt wieder ansehe.

»Und jetzt?«

»Also, als Finder haben Sie jetzt mehrere Möglichkeiten. Entweder Sie lassen den Kater hier, dann übergeben wir ihn nach der Routinebehandlung an das städtische Tierheim, oder Sie behalten ihn. Allerdings würde er erst nach einer Ablaufzeit von 6 Monaten vollständig in Ihren Besitz übergehen, wenn der Besitzer in der Zwischenzeit nicht auftaucht und ihn zurück verlangt.«

»...der Kurze wurde ausgesetzt, ich bezweifle, dass sich da jemand meldet.«

»Da das Aussetzen strafbar ist und wir verpflichtet sind eine Anzeige zu machen, bezweifle ich das ebenfalls. Vermutlich stammt er aus einem ungeplanten Wurf und ist über geblieben«, stimmt er mir zu und ich seufze vernehmlich.

Über geblieben?

Mein Blick rutscht wieder zu dem kleinen Kater, der sich nun gänzlich an Momo gekuschelt hat und ich überlege. Eigentlich ist meine Pflicht ja getan, aber ich weiß durch Maries Tiraden über unverantwortliche Halter nur zu gut, dass das Tierheim, wie quasi jedes andere auch, überlaufen ist. Und irgendwie sträubt sich alles in mir bei dem Gedanken nicht zu wissen, wo der Kleine landet.

»Nimmst du ihn auf?«, fragt dann Momo hoffnungsvoll und schenkt mir einen seiner Welpenblicke, mit denen er sonst Mathis unfassbar weich kocht.

»Das kann ich nicht einfach so entscheiden. Mathis, Nuri und Marie haben alle ein Mitspracherecht und ich hab keinen Schimmer, wie man einen Kater richtig hält«, erkläre ich ausweichend. Zwar wohne ich schon am längsten in dieser Wohnung und die drei behandeln mich bewusst oder unbewusst irgendwie wie den Bestimmer, der das letzte Wort hat, aber solche Sachen will ich nicht über den Kopf der drei hinweg bestimmen. Sie könnten es mir krumm nehmen. Egal wie süß er auch ist.

Momo lächelt nachsichtig und irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass die Entscheidung schon längst gefällt ist.
 

~
 

»Und du wolltest mir nicht glauben, dass Moritz sehr wohl seinen eigenen Kopf hat«, erklärt Mathis gehässig, während ich brummig den Kater anstarre, der sich schnuppernd durch die Küche schiebt.

»Jaja, du mich auch«, knurre ich und seufze erschlagen. Ich kann selbst nicht fassen, dass ich mich habe breit schlagen lassen.

Einen Kater aufzunehmen, einfach so? Das dürfen meine Arbeitskollegen nun wirklich nicht erfahren. In der WhatsApp-Gruppe waren schon genug Machosprüche zu lesen. Eigentlich kümmert mich das nicht, aber bis jetzt habe ich auch dafür gesorgt nie so hervorragendes Futter zu liefern. Wenn die jetzt erfahren, dass ich mich von einem lose bekannten Nachbarsjungen mit so schlichten Argumenten wie, ‘Ich bin doch oft genug da und helf‘ dir dann‘ oder ‘Mathis hat bestimmt nichts dagegen und Marie arbeitet hier, die erst Recht nicht und Nuri sagt eh zu allem ja, wenn man es gut verkauft‘ habe überzeugen lassen... Der Spott würde niemals enden. Vor allem, weil der kleine Kater mich immer noch nicht an sich ran lässt. Als ich ihn aus der geliehenen Transportbox habe raus holen wollen, hat er mir drei wunderbar brennende Kratzer auf der Hand verpasst und mich wieder angefaucht wie sonst was.

Entweder ich mache etwas gravierend falsch oder er kann mich nicht leiden. In Anbetracht unseres vermutlich länger andauernden Zusammenlebens wäre das fatal.

»Du behältst den jetzt wirklich?«

»Dein Freund würde mich vierteilen wenn nicht.«

»...er ist nicht so ein Freund«, brummt Mathis verlegen und beschäftigt sich plötzlich hochkonzentriert mit dem Katzenfutter auf dem Küchentisch. Das hatte Momo mir vorsorglich mitgegeben, mit dem Versprechen nach seiner Arbeit mit der restlichen Ausstattung rüber zu kommen. Da er mit seiner Schwester nebenan wohnt und ich schlicht keinen Schimmer habe was so ein Katzentier alles braucht, hatte ich kein schlechtes Gewissen das auch an zu nehmen. Ich hab ihm nur Geld in die Hand gedrückt und mich dann auf den Weg nach Hause gemacht wo Mathis schon mit einem wissenden Grinsen wartete.

Ich seufze schwer und verpasse Mathis einen Schlag auf den Hinterkopf.

»Du solltest endlich mal über deinen Schatten springen, du Idiot. Selbst deine kleinen Geschwister haben mittlerweile geschnallt, dass du voll auf ihn abfährst«, brumme ich belehrend und schüttle den Kopf, bei dem Gedanken an Philipps Kommentar bei seinem letzten Besuch.

Da Mathis nämlich mit seiner Masterarbeit beschäftigt ist, besuchen ihn seine beiden kleinen Geschwister seit neustem jeden Samstag hier in der WG und verbringen den Tag zusammen. Momo ist meist mit von der Partie, was keinen bis jetzt gestört hat. Viel eher hatte es letzten Samstag, als Momo unverhofft für einen Krankheitsausfall in der Tierklinik einspringen musste, dazu geführt, dass Philipp ganz neunmal klug gefragt hatte wo denn Mathis' bessere Hälfte bliebe und sie noch zu spät kämen, wenn er sich nicht beeilt. Während Mathis nun in Verlegenheit ausbrach, erklärte Philipps Zwillingsschwester Lea ihm, dass Momo und Mathis noch gar kein Paar wären. Ich wäre vor Lachen fast an meinem Kaffee erstickt.

»Du stellst dir das so einfach vor«, entschuldigt sich Mathis lahm und ich gebe es auf. Im Moment habe ich andere Probleme als Mathis übertriebene Zurückhaltung.

Der noch namenlose Kater schiebt sich unter die Sitzbank und wühlt durch das Altpapier, während ich mich nun davor hocke und ihn beobachte. Offensichtlich hat er die Prozedur mit dem nachträglichen chipen und den ersten Impfungen gut verkraftet, denn er sieht zumindest nicht mehr so ängstlich aus, wie heute Mittag als ich ihn gefunden habe.

»Wie erklärst du das eigentlich deiner besseren Hälfte?«, fragt Mathis nun ablenkend und ich zucke mit den Schultern.

»Ich sag’s ihr einfach. Was soll sie schon machen? Einer von uns wird ja eh immer hier sein, weshalb ich nicht von morgens bis abends hier bleiben muss und ich wüsste jetzt nicht, warum sie mir das verbieten dürfte«, erkläre ich langsam.

»Ich könnte mir vorstellen, dass sie das anders sieht«, merkt Mathis an und ich seufze wieder. Er hat schon Recht, weil meine Freundin Sophie ein sehr einnehmendes Wesen hat und gern ihren Willen bekommt. Aber trotzdem lasse ich mir deshalb nicht alles vorschreiben, weshalb ich auch nichts weiter dazu sage. Von jemandem, der es seit fast fünf Monaten nicht gebacken bekommt sich zu überwinden endlich seine so offensichtlichen Gefühle zuzulassen, lasse ich mir sicherlich keine Beziehungstipps geben.

Es klingelt an der Tür, weshalb mein Findelkind zurückschreckt und Mathis erstarrt. Ich lache ihn aus, raffe mich auf und gehe zur Tür um einen schwer bepackten Momo herein zu lassen. Er grinst mir mit Feuereifer entgegen und ich muss unwillkürlich dran denken, welche krasse Veränderung er seit dem Einzug seiner Schwester, in unsere Nachbarwohnung vor fast zwei Jahren, gemacht hat. Damals in dem Jahr verbrachten wir unverhofft Weihnachten zusammen, weil Mathis ihn eingeladen hatte und zu diesem Zeitpunkt konnte er mich kaum ansehen, geschweige denn einen ganzen Satz mit mir sprechen. Er ist zwar immer noch nicht der Gesprächigste, aber hat zumindest seine Scheu unserer WG gegenüber verloren.

»Wo ist er?«, fragt Momo direkt und ich muss grinsen.

»Wer? Dein Herzblatt oder mein Findelkind?«, frage ich stichelnd, weshalb Momo rot wird und sich offensichtlich nicht entscheiden kann, ob er jetzt etwas dazu sagen soll oder nicht. Mathis hingegen plärrt aus der Küche, dass ich ihn nicht so ärgern soll.

»In der Küche unter der Bank. Mach was du machen musst, ich geh erst einmal duschen«, erkläre ich dann und lasse Momo im Flur stehen.

Vielleicht hilft das ja um meine Gedanken zu sortieren und ich muss endlich aus meinen Arbeitssachen raus.
 

~
 

Als ich nach der langen, heißen Dusche wieder in die Küche komme, geht es mir deutlich besser und während Momo den kleinen Kater bekuschelt und Mathis Momo anschmachtet, sehe ich zu Nuri, die grinsend in ein Käsebrot beißt. Sie muss von der Arbeit gekommen sein, als ich noch im Bad war.

»Du bist viel weichherziger, als du aussiehst, wirklich«, erklärt sie hoch amüsiert und ich brumme sie nur an, während ich mich an dem Kaffee bediene, den sie anscheinend gekocht hat.

»Wo ist Marie?«, frage ich ablenkend mit einem Blick auf die Uhr. Eigentlich müsste sie auch längst wieder nach Hause gefunden haben.

»Noch einkaufen, sie ist diese Woche dran«, murmelt Nuri in ihr Käsebrot und ich nicke schlicht, meinen Blick wieder auf dem Kater.

»...und du willst ihn wirklich behalten?«, fragt Nuri dann, wie Mathis vorhin noch, doch ich nicke nur wieder.

»Wieso? Stört es dich?«, frage ich nach einem Schluck Kaffee und setze mich vor Kopf an den großen Esstisch. Da unsere WG vier Leute unterbringt haben wir nur die Küche als Gemeinschaftsraum, doch da diese groß genug ist und so die Miete für jeden erschwinglicher, stört sich keiner daran. Ich am aller wenigsten. Denn während Nuri, Mathis und Marie alle erst in den letzten Jahren hier eingezogen sind, bewohne ich diese Wohnung schon seit ich damals in die Lehre ging und deshalb kenne ich es nicht mehr anders. Mathis ist es von zu Hause gewohnt, weil seine Mutter es ebenfalls so eingerichtet hat und sich dabei auf ihre schwedischen Wurzeln beruft, Nuri ist oft tagelang bei ihrer Familie zu Hause, wenn sie nicht grade wieder durch die Weltgeschichte tingelt oder jobbt und Marie bewohnt hier das größte Zimmer, wodurch auch die drei sich nicht einmal beschwert haben.

»Nein, ich find den kleinen Racker süß. Ich hab dich nur nicht für einen Katzentyp gehalten«, erklärt sie freigiebig und lächelt, als der kleine Kater spielerisch nach Momos Finger angelt. Vielleicht sollte Momo den Kater selbst aufnehmen. Die beiden scheinen ja irgendwie füreinander bestimmt zu sein.

»Bin ich auch eigentlich nicht«, murmle ich nachdenklich und beobachte, wie der Kater den Finger nun Finger sein lässt und auf den Tisch krabbelt. Süß ist das Tierchen ja wirklich.

»Und wieso behältst du ihn nicht, Momo?«, will Nuri nun wissen, weshalb der schwer seufzt.

»Nina hat eine Tierhaarallergie«, erklärt er niedergeschlagen, was mich meine kurzfristige Idee vergessen lässt. Als Momo Weihnachten mit Mathis und mir verbrachte, hatten sich die Eltern der beiden gerade erst getrennt. Ein paar Wochen nach Neujahrsbeginn dann entschieden den Haushalt aufzulösen und Momo war zu seiner kleinen Schwester geflüchtet um sich nicht zwischen Mutter und Vater entscheiden und seine Ausbildung aufgeben zu müssen. Demnach ist die Aufnahme des kleinen Katers jetzt wohl nicht umsetzbar. Nina ist zwar eigenwillig und eher eine Bekannte als eine Freundin, aber den Tod wünsche ich ihr definitiv nicht. Schon allein weil Momo dann am Boden zerstört wäre und Mathis mir deshalb die Ohren voll heulen würde.

»Aber du lernst doch in einer Tierklinik!«, wirft Nuri ein und holt mich so aus meinen Gedanken.

»Schon, aber ich hab' da Kittel und so was an und die nehme ich ja nicht mit nach Hause«, erklärt er und lächelt Nuri leicht an. Sie nickt verstehend.

Mein Blick bleibt auf dem Kater liegen, der sich zwischen den Tassen durchschlängelt und dabei irritierend elegant und tapsig zugleich wirkt. Seltsames Tier, wirklich.

»Naja, dann ist Gabriel wohl wirklich die beste Lösung«, sagt Nuri entschieden und ich sehe sie verwirrt an.

»Was soll das denn wieder heißen?«

»Na du treudoofe Socke würdest dir eher deine ganzen Möbel zerkratzen lassen, als den Kurzen jetzt noch vor die Tür zu setzen. Wirklich. Sei froh, dass wir dir den Rücken frei halten«, erklärt sie mit einem so vorwurfsvollen Ton, dass ich stumm bleibe. Ich weiß, dass ich Probleme versuche zu lösen anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen, aber ich hab das nie als negativ empfunden.

»Es wäre aber wirklich schade, wenn der kleine Kater ins Tierheim gemusst hätte«, erklärt Momo und ich fühle mich ein bisschen von ihm verteidigt.

»Auch wahr. Wer weiß wo er dann gelandet wäre«, gibt Nuri nach und setzt sich jetzt ebenfalls an den Tisch um das kleine Tier zu streicheln. Der lässt das geduldig über sich ergehen, was mich dazu veranlasst zu schnauben.

»Was?«

»Das ist doch unfair! Jeder darf ihn streicheln nur ich nicht?«, brumme ich missbilligend. Es ist jetzt wohl mein Kater – wenn sich in den nächsten Monaten niemand meldet – der sich aber von allen außer mir streicheln lässt?

»Versuch es doch noch mal, vielleicht hat er sich ja jetzt akklimatisiert«, schlägt Mathis grinsend vor, weshalb ich brumme.

»Du willst doch nur sehen, wie er mir wieder eine zimmert, du Sadist«, sage ich anklagend aber strecke doch testend und ähnlich wie Momo heute Mittag die Hand sehr nahe an der Tischplatte aus. Der Kater schaut skeptisch und ich warte nur drauf, dass er anfängt zu fauchen, doch es bleibt aus. Der kleine Kopf schiebt sich näher und er schnuppert an meiner Hand, bevor er sich nun schnurrend dagegen schiebt und ich ihn zum aller ersten Mal überhaupt streicheln kann. Sein Fell ist ganz weich und ich spüre, wie ein Lächeln sich auf meine Lippen schleicht.

Verdammt, Nuri hatte Recht. Den gebe ich wirklich nicht mehr her.

»Vielleicht mag er den Geruch von Öl und Autoschmiere nicht«, schlägt Momo vorsichtig vor und ich lache leise.

»Dann werde ich wohl noch öfter duschen müssen«, murmle ich und wage es den kleinen Racker nun hoch zu heben. Er lässt es geschehen und reibt seinen Kopf an meiner Brust, bevor er sich in meinen Arm schmiegt. Und während Nuri einen unqualifizierten Kommentar über den Anteil meiner Wasserrechnung macht, wird mir klar, dass ich von nun an zu den Katzenbesitzern gehöre.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Damit schließt der Auftakt von Herzblind ab und ich hoffe es gefällt. Lasst es mich wissen ;)

lg Schwarzfeder Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Inan
2017-10-11T23:52:44+00:00 12.10.2017 01:52
Der kleine Kater ist wirklich Zucker!
Vermutlich wird er Gabriels steinernes Herz aufweichen oder so ähnlich. Oder das ist Wunschdenken. Auf jeden Fall wird der attraktive Tierarzt die kontrollsüchtige Freundin demnächst noch in den Schatten stellen, nehme ich an.
Ich fand die beiden vorhergehenden OS schon toll, schön, dass es eine Fortsetzung gibt.
Antwort von:  Schwarzfeder
12.10.2017 09:46
Sobald der Kleine einen Namen hat, bekommt er auch noch ein Steckbrief ;)
Allerdings möchte ich sagen, dass Gabriels Herz nicht versteinert ist sondern schlicht blind (Was genau das bewirkt erfährt man im Laufe der Geschichte). Ich glaube wenn es versteinert wäre, hätte ihn das Schicksal des Kleinen nicht einmal interessiert und er hätte seinen Lehrling mit dem Karton zum Arzt geschickt.
Aber es freut mich, dass du die OS magst und weiter lesen möchtest. Ich hoffe, dass es auch weiterhin gefallen wird :)

lg
Von:  Riccaa
2017-10-11T21:41:29+00:00 11.10.2017 23:41
Hey,
oh mein Gott ist dieser Kater süß!! <3 <3 <3
Ich selbst bin auch Katzenfan und würde diese Schmusekatze auch nicht wieder hergeben.
Ok bevor ich weiter fangirle komme ich mal zum Wichigen ;) Ich habe deine beiden One-Shots zu Moritz und Mathis auch gelesen und habe deinen Schreibstil dort schon wirklich gemocht. Er ist sehr angenehm und lässt sich gut lesen ohne dass es sich ewig zieht.
Interessant, dass du einen Mitbewohner von Mathis genommen hast und nicht ihn selbst, wie man wahrscheinlich eher erwahrtet hätte. Obwohl man dazu dagen muss, dass es ja schon zwei Geschichten zu ihm gibt, von daher. Obwohl ich mich freuen würde, wenn es noch einen kleinen One-Shot zu Mathis und Moritz geben würde :) ABer ich bin wirklich gespannt wie sich die Geschichte denn noch entwickelt, da Gabriel ja noch eine Freundin hat und der Tierarzt bis jetzt noch nicht sonderlich hervorstach. Aber was ja nicht ist, kann ja noch werden :))))
Ein wirklich gelungener Auftakt, der Lust auf mehr macht. Bin wirlich gespannt, was noch alles passiert und wie sich das alles noch entwickelt :)

Mach auf jeden Fall weiter so :) Freue mich schon auf weitere Kapitel.

LG
Antwort von:  Schwarzfeder
12.10.2017 08:29
Aww, das ist lieb x3 Danke für den Kommentar! Ich freu mich, dass du die Oneshots schon kennst und magst! Ich hab eine Weile überlegt ob und wie Mathis' und Moriz' Geschichte weiter erzählt wird und weil ich Gabriels Geschichte erzählen wollte, dachte ich, dass ich es so auch erzählen kann, zumal die vier ja eine sehr freundschaftlich-famliäre WG bilden und so viel voneinander wissen und mitbekommen. Moritz und Mathis werden beide in Herzblind auch noch mal ein Kapitel haben, indem das Hauptaugenmerk auf ihnen liegt, aber ob sie noch einmal einen eigenen OS bekommen, weiß ich jetzt noch nicht zu sagen. Ich freue mich jedenfalls, dass dir der Auftakt gefällt :)

lg


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