Dead Eyes von Flordelis (Blinded by the Stars you wished for) ================================================================================ Kapitel 4: Niemand verschenkt ein Wunder einfach so --------------------------------------------------- [LEFT]»Warum bist du so misstrauisch?«, fragte der Fremde, nachdem ich direkt abgelehnt hatte.[/LEFT] [LEFT]Von der ganzen Diskutiererei müde geworden, lehnte ich mich mit dem Rücken gegen das Gerüst der Schaukel, zu der ich zurückgekehrt war. Es schien diesen Leuten ohnehin egal zu sein, was ich eigentlich wollte, deswegen konnte ich zumindest herumstehen, wie ich Lust darauf hatte.[/LEFT] [LEFT]»Niemand verschenkt ein Wunder einfach so«, antwortete ich ihm. »Da sollte mir etwas Skepsis schon zugestanden werden.«[/LEFT] [LEFT]Auch ohne Kierans Rat wäre ich nicht auf die dumme Idee gekommen, einfach Ja zu schreien, sobald mir jemand so etwas unterbreitete. Insofern war ich nur noch genervter von diesem Kerl – und mein Kopf schmerzte immer noch.[/LEFT] [LEFT]»Das ist sehr klug von dir.« Plötzlich war der Fremde nicht mehr auf dem Weg, dafür saß er auf dem oberen Balken, der die Schaukeln hielt. »Sehr viele wählen das Wunder, ohne wirklich darüber nachzudenken. Du kannst stolz auf dich sein.«[/LEFT] [LEFT]»Dich einzuschleimen bringt dich bei mir kein Stück weiter.«[/LEFT] [LEFT]Das hatten in der Vergangenheit schon genug Leute versucht. Ärzte, Krankenschwestern, Sachbearbeiter … Vollidioten. Als ob ich nicht genau wüsste, welche Strategie sie verfolgten, um sich selbst den Job zu erleichtern und mich hinters Licht zu führen. Ich machte da nicht mit. Ich behielt meine Würde und meinen Stolz, statt anderen in den Allerwertesten zu kriechen.[/LEFT] [LEFT]»Ich sehe schon, du bist eine komplizierte Angelegenheit. Aber derartige Fälle reizen mich.«[/LEFT] [LEFT]Er wollte das Gespräch weder abreißen lassen, noch dass ich das Thema wechsle. Gut, dann täte ich ihm eben den Gefallen und fragte ihn etwas: »Was sind das denn überhaupt für Wunder, die du da so großmütig zu verschenken gedenkst?«[/LEFT] [LEFT]Er breitete die Arme aus, ohne dabei sein Gleichgewicht zu verlieren. »Alles, was du dir vorstellen kannst. Je stärker dein Wille, desto größer natürlich das Wunder, das ich für dich bewirken kann.«[/LEFT] [LEFT]»Und wo ist dabei der Haken?« Ich beharrte weiterhin auf meiner Skepsis. »Du rennst doch nicht durch die Gegend und erfüllst wahllos Wunder für irgendwelche Leute, ohne selbst etwas davon zu haben. Das wäre ganz schön … dumm.«[/LEFT] [LEFT]Statt sich davon beleidigt zu fühlen, lachte der Fremde amüsiert. »Natürlich musst du mir eine Gegenleistung erbringen.«[/LEFT] [LEFT]»Also ist es auch kein Geschenk.«[/LEFT] [LEFT]»Streng genommen nicht. Aber im Vergleich zu meinem Wunder ist die Gegenleistung wirklich gering.«[/LEFT] [LEFT]Nett, wie er sich herauszureden versuchte. Aber mir ging es nicht um Spitzfindigkeiten, also hackte ich nicht weiter darauf herum. »Und woraus besteht nun diese Gegenleistung?«[/LEFT] [LEFT]»Du erhältst neben dem Wunder auch Kräfte, mit denen du gegen diese Phantome kämpfen kannst. Dein Ziel ist es, sie zu töten, ehe sie die Macht über diese Welt an sich reißen.«[/LEFT] [LEFT]Kräfte, um diese Wesen zu bekämpfen? Das führte mich zu einem interessanten Schluss: »Ist Kieran dann nicht auch einen Tausch mit dir eingegangen?«[/LEFT] [LEFT]Diesmal musste ich länger auf eine Antwort warten. Innerlich freute ich mich bereits, ihn stillgelegt zu haben. Schließlich folgte jedoch ein Seufzen. »Vermutlich hat er seine Kräfte von jemand anderem bekommen, ohne dass ich etwas damit zu tun hatte.«[/LEFT] [LEFT]Es gab also noch andere, die diese Kräfte verliehen? Warum taten sie das? Und woher kamen diese Phantome, dass sie derart gefährlich waren?[/LEFT] [LEFT]»Allerdings ist mir unbegreiflich, weswegen er andere vor mir warnt. Möglicherweise fürchtet er die Konkurrenz?«[/LEFT] [LEFT]Das klang so als gäbe es etwas zu gewinnen, wenn man die Phantome bekämpfte. Gesehen hatte ich nichts, aber ich war auch nicht in der Lage gewesen, mich vollständig darauf zu konzentrieren. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass es nur an der Konkurrenz lag. Dafür war mir Kieran zu zielstrebig und in gewisser Weise besorgt vorgekommen – zwischen seinem krampfhaft mysteriösen Verhalten. Hätte er mir mehr erzählt, müsste ich mir keine Gedanken um so einen Mist machen.[/LEFT] [LEFT]Je länger ich schwieg, desto größer wurde wohl die Besorgnis des Fremden, mich als Kunden zu verlieren, deswegen sprach er ohne jede Aufforderung weiter: »Ich spüre sehr viel Potential in dir. Vielleicht mehr als in manch anderer Person, der ich bereits geholfen habe. Egal, was du dir wünschst, ich würde es dir erfüllen.«[/LEFT] [LEFT]»Den Text kenne ich schon.«[/LEFT] [LEFT]Er lachte. »Das war nur ein Test für deine Aufmerksamkeit. Aber ich meine es ernst: ein von dir gewünschtes Wunder hätte keinerlei Einschränkungen. Gibt es nichts in deinem Leben, was du vermisst?«[/LEFT] [LEFT]Mancher hätte vielleicht auf meine Erinnerungen verwiesen. Aus verschiedenen Medien wusste ich, dass unter Amnesie Leidende sich oft einfach nur die Rückkehr ihrer verschwundenen Erinnerungen wünschten, um sich selbst wieder definieren zu können. Für mich war das aber egal. Ich bin, wer ich bin, auch ohne zu wissen, was in meiner Vergangenheit geschehen ist. Ich benötigte nur Ferris – und der Gedanke an ihn brachte mich tatsächlich auf ein Wunder, das mich interessieren könnte: »Wenn ich mir, rein hypothetisch, wünschte, dass du jemanden von seinen Depressionen heilst, könntest du das auch tun?«[/LEFT] [LEFT]»Aber natürlich!« Plötzlich stand der Fremde vor mir. Seine Mundwinkel waren zu einem angedeuteten Lächeln angehoben. »Das ist eine Kleinigkeit. Ich müsste nur die Wurzel dieser finsteren Gefühle ausreißen. Nichts leichter als das.«[/LEFT] [LEFT]Ich stellte mich aufrecht hin und hob die Hände. »Moment mal, das war wirklich nur eine einfache Frage. Ich habe immer noch zu wenig Infos, um zuzustimmen. Was, zum Beispiel, sind diese Phantome? Und was hast du davon, wenn irgendwer sie bekämpft? Warum machst du das nicht selbst?«[/LEFT] [LEFT]Das Lächeln des anderen schien eine Nuance finsterer zu werden, aber es war mehr als deutlich, dass er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen. »Phantome sind gebündelte negative Energie, die aus Menschen geboren wurde. Also nichts Ungewöhnliches, jedenfalls, wenn du die Medienlandschaft deiner Spezies bedenkst. Sie verursachen im Kontakt mit Menschen Unglück und in besonders hoher Konzentration sogar Naturkatastrophen, wie du selbst feststellen durftest.«[/LEFT] [LEFT]Ich erinnerte mich an die depressiven Gedanken, als sie aufgetaucht waren. Machten sie das auch mit anderen? Mit Ferris etwa? Nein, bei ihm musste es tiefer liegen, vielleicht förderten sie seine ohnehin vorhandenen Gedanken nur. Wenn die Phantome bekämpft wurden, wäre das auch für ihn gut.[/LEFT] [LEFT]»Für Leute wie mich«, fuhr der Fremde fort, »und für das Universum an sich sind sie ebenfalls eine Bedrohung. Sie sind etwas, das es nicht geben dürfte, und sie fressen an der Basis dessen, was uns und auch euch das Leben ermöglicht. Von der Rettung dieser Basis profitiere ich letztendlich. Und ich bekämpfe sie nicht selbst, weil ich nicht überall sein kann. Sie machen Derartiges ja nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Welten.«[/LEFT] [LEFT]Ich lauschte seinem Vortrag und versuchte gleichzeitig, alle Teile passend zusammenzufügen. Das war aber gar nicht so einfach, denn irgendetwas an der Erklärung, so verständlich sie auch war, wollte sich für mich partout nicht logisch anhören. Da ich jedoch nicht den Finger darauf legen konnte, wollte ich mehr Informationen: »Du siehst aus wie ein Mensch. Was bist du denn, wenn du angeblich keiner bist?«[/LEFT] [LEFT]Er beugte den Oberkörper ein wenig vor. »Leute wie mich nennt man Beobachter. Wir betrachten das Universum und das Leben, das sich darin entwickelt. Sobald eine derartige Katastrophe eintritt, wie mit den Phantomen etwa, greifen wir ein, indem wir uns Individuen wie dich heraussuchen, die uns helfen können, dem Einhalt zu gebieten.«[/LEFT] [LEFT]Das Wunder war dann wohl nur noch ein kleines Extra, um die Leute wirklich von dem Plan zu überzeugen, konnte ich mir denken. In meinem Fall war es zwar verlockend, aber es klang auch zu gut, um wahr zu sein.[/LEFT] [LEFT]»Wo ist der Haken?«, fragte ich. »Es gibt doch immer irgendeinen, also erzähl mir nichts.«[/LEFT] [LEFT]Der Fremde tippte sich gegen die Krempe seines Hutes. »Der einzige Haken könnte sein, dass man im Kampf gegen die Phantome stirbt. Dann hilft einem auch das größte Wunder nicht mehr.«[/LEFT] [LEFT]Ich wusste nicht, ob das wirklich der einzige Haken war, aber ich wollte auch nicht darüber nachdenken. Immerhin war ich entschlossen, gar nicht erst damit anzufangen.[/LEFT] [LEFT]Deswegen winkte ich ab und löste mich wieder von dem Schaukelgerüst. »Was auch immer. Ich habe kein Interesse daran. Kann ich jetzt also endlich wieder nach Hause gehen?«[/LEFT] [LEFT]Mir stand der Sinn nach einer Kopfschmerztablette und einer guten langen Dusche. Und dieser Kerl stand mir dabei im Weg.[/LEFT] [LEFT]Ich hoffte, er wolle mir nicht noch einmal einen Vortrag halten, aber zu meinem Glück trat der Fremde nur zurück. »Natürlich. Du musst mein Angebot auch nicht sofort annehmen. Ich werde dir noch eine ganze Weile zur Verfügung stehen.«[/LEFT] [LEFT]»Ich bezweifle, dass ich mich umentscheiden werde.« Damit ging ich an ihm vorbei, um den Weg nach Hause einzuschlagen.[/LEFT] [LEFT]In meinem Rücken spürte ich noch immer den Blick dieses Fremden. Als bohrte er sich direkt in mich hinein, um auch den letzten Zentimeter meines Inneren zu erforschen. Aber damals dachte ich noch, ich fühle mich einfach nur hilflos in seiner Umgebung.[/LEFT] [LEFT]»Wenn du es dir anders überlegst«, rief er mir plötzlich hinterher, »dann ruf mich einfach an! Ich warte auf deinen Anruf, Ciar!«[/LEFT] [LEFT]Ich hatte nicht einmal seine Nummer, aber das erwiderte ich ihm nicht. Am Ende bestand er nur darauf, mir noch seine Kontaktdaten zu geben – oder er fand einen anderen Weg, sich in meinem Handy zu verewigen.[/LEFT] [LEFT]Den Drang niederkämpfend, mich zu ihm umzudrehen, lief ich immer weiter. Plötzlich schien die Atmosphäre leichter zu werden, so dass mir sogar das Atmen wieder besser gelang. Bis dahin war mir nicht einmal aufgefallen, dass ich Probleme damit hatte. Aber nach diesem direkten Vergleich nun …[/LEFT] [LEFT]Ich hielt inne und sah über meine Schulter zurück. Von dem Fremden war nichts mehr zu sehen. Kieran war auch nicht zurückgekehrt. Dafür sah ich in der Ferne einen Jogger, der mit Kinderwagen unterwegs war. Mein MP3-Player spielte auch wieder, wie ich in diesem Moment aufgrund der tönenden Bässe aus meinen Ohrsteckern bemerkte. Offenbar war alles wieder normal. Wie auch immer ich in diese seltsamen Ereignisse geraten war. Oder ob es überhaupt real gewesen war.[/LEFT] [LEFT]Ich sollte unbedingt mit Vincent darüber sprechen, sobald ich wieder in der Therapie war. Vielleicht freute er sich ja, wenn er endlich mal was über mich notieren durfte. Dann hätte er vielleicht mal einen anderen Gesichtsausdruck drauf.[/LEFT] [LEFT]Statt weiter darüber nachzudenken, steckte ich meine Kopfhörer wieder in meine Ohren und joggte anschließend nach Hause, nach einer Schmerztablette und einer Dusche lechzend.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Meine Eltern waren immer noch nicht wach, als ich zurückkam. Oder sie waren einfach noch nicht heruntergekommen. Aber wie auch immer, es war umso besser, dass ich mich erst einmal unter die Dusche stellen konnte.[/LEFT] [LEFT]Nachdem ich mir den Schweiß – aber leider nicht die Verwirrung – abgespült und mich wieder angezogen hatte, hörte ich, dass meine Eltern endlich im Erdgeschoss rumorten. Ich folgte den von ihnen verursachten Geräuschen bis in die Küche, wo sie im Moment den Tisch deckten. Ich wollte sie gerade grüßen, als meine Mutter plötzlich seufzte. »Ich wünschte, du würdest ihm endlich sagen, dass er das sein lassen soll.«[/LEFT] [LEFT]Bevor sie mich entdeckten, wich ich tiefer in den Gang zurück, so dass sie mich nicht sehen, aber ich sie hören könnte. Mir war klar, dass sie sich über mich unterhielten, noch ehe einer meinen Namen erwähnt hatte.[/LEFT] [LEFT]»Amari, du weißt, dass er nicht auf mich hört, sobald es um Ferris geht.«[/LEFT] [LEFT]»Wie kannst du seinen Namen nur derart … locker verwenden?« Die Stimme meiner Mutter zitterte bei dieser Frage, was ich absolut nicht verstehen konnte. Was war so schlimm an Ferris?[/LEFT] [LEFT]Dad entschuldigte sich leise. »Es ist aber niemandem geholfen, wenn wir jetzt versuchen, diesen Namen im Haus zu verbieten. Es wird auch nichts an Ciars Beziehung zu ihm ändern.«[/LEFT] [LEFT]Holz knarrte. Mum seufzte. »Ich wünschte, wir hätten ihn damals nicht zu Mr. Valentine gebracht. Dann hätte er Ferris niemals wiedergesehen.«[/LEFT] [LEFT]Was meinte sie mit wieder? Ich war ihm das erste Mal bei Vincent begegnet. Oder? In diesem Moment konnte ich doch verstehen, weswegen Amnesiepatienten sich so sehr nach ihren Erinnerungen sehnten.[/LEFT] [LEFT]»Gräm dich nicht, Amari. Wir konnten es nicht wissen, bis es zu spät war. Jetzt müssen wir uns überlegen, wie wir damit umgehen sollen.«[/LEFT] [LEFT]»Warum können wir ihm nicht einfach die Wahrheit sagen?«[/LEFT] [LEFT]Mein Herz schlug plötzlich so schnell, dass ich den Puls in meinen Ohren hämmern hörte.[/LEFT] [LEFT]»Der Arzt im Krankenhaus sagte, dass es keine gute Idee wäre, ihm eine derart traumatische Erinnerung zwanghaft wieder ins Gedächtnis zu rufen. Wenn überhaupt, soll er sich von allein daran erinnern.«[/LEFT] [LEFT]»Dann ist es erst recht eine schlechte Idee, dass er mit Ferris Zeit verbringt.«[/LEFT] [LEFT]Meine traumatische Erinnerung hing mit Ferris zusammen? Nein, das konnte nicht sein. In dem Fall hätte er doch schon längst etwas deswegen gesagt, oder?[/LEFT] [LEFT]»Wir können es nicht ändern«, sagte Dad. »Wir können nur abwarten, was die Zeit bringen wird.«[/LEFT] [LEFT]Ich wartete, aber offenbar war das Thema damit für sie beide beendet. In meinem Inneren brodelten noch so viele Fragen, ich wollte in die Küche stürmen und nach einer Antwort verlangen – aber Dad war stur und Mum labil. Ich würde mir selbst damit nur das Leben schwerer machen, deswegen rief ich mich selbst zur Räson. Wenn ich wissen wollte, warum meine Eltern ein Problem mit Ferris hatten, musste ich mich an jemand anderen wenden. Und bei diesem Jemand musste ich taktisch vorgehen, sonst bekäme ich am Ende nur noch mehr Stress, den ich nicht gebrauchen könnte. Am Ende tauchten sonst noch Magical Boys in meinem Leben auf.[/LEFT] [LEFT]Vorerst schob ich all die Fragen weit von mir, setzte den Anflug eines Lächelns auf und ging in die Küche, wo ich meine Eltern erst einmal grüßte. Sie erwiderten die Begrüßung mit neutralen Gesichtsausdrücken, sagten sonst aber nichts weiter. Ich gab auch nicht zu verstehen, dass ich sie zuvor gehört hatte. Stattdessen setzte ich mich an den Tisch, um das Frühstück zu beginnen und mir dabei zu überlegen, wie ich Vincent beim nächsten Termin am besten aushorchen konnte, ohne dass er misstrauisch werden würde.[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)