Erste Schritte von Schangia (Wichtelgeschichte für Yukimura) ================================================================================ Kapitel 1: One Shot ------------------- Das Gefühl nicht gut genug zu sein war nichts Neues für Fujita. Es war sein ständiger Begleiter, selbst nachdem er das erste Mal einen Fuß auf die Tanzfläche gesetzt hatte. Diesen Moment würde er niemals vergessen; diese wirre Mischung aus kalter Angst vor seinem Versagen und der beflügelnden Freude von so vielen Menschen wahrgenommen zu werden. Doch mit den vielen Augenpaaren, die jeden seiner Schritte zu analysieren schienen, wuchs auch die Panik in ihm, kratzte in seinem Hals wie eine Erkältung, die nur darauf wartete, endlich auszubrechen. Fujita wusste, dass er noch lange nicht gut genug war, und genau deswegen wollte er etwas daran ändern. Gerade jetzt, da er mit Chinatsu endlich eine Tanzpartnerin gefunden hatte, mit der er an Wettbewerben teilnehmen und sich stetig verbessern konnte. Sicher, sie stritten sich ohne Unterlass und er war noch nie zuvor so frustriert gewesen, aber er wusste auch, dass er mit ihr erreichen konnte, was er sich seit dem Beginn seiner Tanzkarriere so sehnlich wünschte. Deswegen war ihm besonders einer ihrer Kommentare im Gedächtnis geblieben, den Chinatsu ihm während ihres ersten gemeinsamen Tanzes an den Kopf geschmettert hatte. »Du willst was?!« Sengoku verschluckte sich fast an seiner eigenen Spucke, doch davon ließ Fujita sich nicht einschüchtern. Er straffte seine Schultern ein wenig mehr und starrte seinem Gegenüber so furchtlos wie möglich ins Gesicht. »Bitte bring mir bei, wie man Latein tanzt.« »Frag doch Chinatsu!«, herrschte Sengoku ihn als ersten Impuls an, obwohl er wusste, dass es vermutlich nichts bringen würde. »Und überhaupt bist du dafür noch nicht bereit. Kümmere dich erstmal um die Standardtänze.« Es hatte ein ruhiger Nachmittag werden sollen. Shizuku, Chinatsu und Mako waren mit Marisa unterwegs, also hatte Sengoku sich vorgenommen, mit den drei Jungs zu trainieren. Dass Fujita ihn mit so einer Bitte überrumpelte war nicht Teil des Plans gewesen, auch wenn er damit gerechnet hatte, sich früher oder später mit diesem Thema auseinandersetzen zu müssen. Der Punkt war jedoch, dass Fujita definitiv Probleme mit Lateintänzen haben würde; die geschlossene Tanzhaltung bei Standardtänzen konnte seine eigenartige Art zu führen noch teilweise verstecken, doch Lateintänze würden seine Schwächen sofort offenlegen. »Ich muss!« So flehend, wie Fujita ihn ansah, brachte er es jedoch nicht übers Herz, ihm das so direkt zu sagen. »Bitte, Sengoku-san!« Während Sengoku noch mit sich haderte, wie sehr er dem Jungen seinen Tag vermiesen sollte, schaltete Gaju sich ein. Mit schief gelegtem Kopf und ungewöhnlich nachdenklicher Miene musterte er Fujita eine Weile, bevor er sprach. »Er hat recht, Tatara. Du hast gerade erst eine Partnerin gefunden, also konzentrier dich auf eine Richtung.« »Es muss jetzt sein. Es geht nicht anders.« Fujita hatte damit gerechnet, dass sowohl Sengoku als auch Gaju anderer Meinung sein würden als er, aber das änderte nichts für ihn. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, endlich auch Lateintänze zu lernen und seinem Ziel zumindest ein paar Schritte näherzukommen, egal wie dilettantisch er sie auch zu Beginn tanzen würde. Er musste besser werden. Für Chinatsu, für seine Freunde, für Sengoku, und vor allem für sich selbst. Nur schien keiner von ihnen zu verstehen, wie viel ihm dieser nächste Schritt bedeutete. Vor allem Gaju wirkte zunehmend verständnisloser, je mehr Fujita auf seinem Standpunkt beharrte. »Aber warum? Jeder von uns rät dir, es nicht zu tu—« »Warum nicht?« »Hyoudou?!« »War ja zu erwarten, dass du auf seiner Seite bist.« Sengoku seufzte schwer, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und gab sich erst einmal geschlagen. »Dann kannst du Tatara auch die Schritte zeigen. Wir beginnen mit dem Cha-Cha-Cha, stellt euch in Position. Hyoudou, du übernimmst die Rolle der Partnerin.« »Sengoku-san?!« »Vielen Dank!« Fujita strahlte ihn so sehr an, dass er für einen kurzen Moment bereute, die Lateintänze nicht schon früher mit ihm durchgegangen zu sein. Dann erinnerte sich Sengoku an Fujitas Versuche Chinatsu zu führen und fühlte sich direkt weniger schlecht. Dass Fujita auf dem Weg in die Mitte des Raumes fast dreimal stolperte und nur um Haaresbreite nicht gegen Hyoudou lief, half ihm zusätzlich. Eigentlich wollte Fujita auch Hyoudou dafür danken, dass er in dieser Angelegenheit zu ihm gehalten hatte, doch er fand nicht die passenden Worte dafür. Stattdessen sah er ihm fest in die Augen und nickte einmal, nachdem er ihm die Schritte erklärt hatte. Es mochte Fujitas Einbildung gewesen sein, doch er meinte, etwas in den Augen des anderen blitzen gesehen zu haben. Wenig später startete Sengoku die Musik und begann, ihnen den Takt vorzuzählen. Es fühlte sich komisch an, mit Hyoudou zu tanzen. Das größte Problem bestand vermutlich darin, dass Hyoudou zwar die Rolle der Partnerin übernahm, aber um einiges größer und kräftiger gebaut war als Fujita, was für ihre Zuschauer unglaublich amüsant aussehen musste, wenn er nach Gajus kaum unterdrücktem Kichern ging. Es erschwerte Fujita allerdings auch das Führen, ganz egal wie viel Mühe er sich gab oder wie sehr Hyoudou in die Knie ging, um sich seiner Größe anzupassen. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, ehe Sengoku in die Hände klatschte und sie beide – Fujita außer Atem, Hyoudou beunruhigend unangestrengt – zum Stehen kamen. »Okay, das reicht.« Für einen Moment sah Sengoku so aus, als würde er alle gehässigen Kommentare, die ihm auf der Zunge brannten, mit aller Anstrengung herunterschlucken. Dann seufzte er erneut und rieb sich die Schläfen. »Gibst du dir überhaupt Mühe, Tatara?« »Natürlich!«, beharrte Fujita laut, die Wangen aus Scham und Erschöpfung gerötet. Obwohl Sengoku wusste, dass seine Frage unfair war, hatte er sich nicht zurückhalten können. Er hatte den Cha-Cha-Cha nicht grundlos als ersten Tanz ausgewählt, sondern weil man die Grundschritte noch mit einer geschlossenen Haltung tanzen konnte und er gehofft hatte, Fujita damit einen Gefallen zu tun. Anscheinend hatte er damit falsch gelegen. Gaju jedenfalls hatte seine ganz eigene Theorie, die er auch bereitwillig mit ihnen teilte. »Vielleicht ist Hyoudou einfach nur ein schlechter Lehrer.« Bevor einer von ihnen etwas dazu sagen konnte, schnipste Gaju mit den Fingern und grinste breit, so als wäre ihm die beste Idee des Jahrhunderts in den Sinn gekommen. »Yooosh, ich bin dran! Komm her, Tatara!« Mit einem erstickten Aufschrei ließ Fujita sich von Gaju durch den Raumen und in Position ziehen. Alles war so schnell gegangen, dass keiner auch nur ansatzweise protestieren konnte. Sengoku kam jedoch schnell zu dem Schluss, dass ein Versuch nicht schaden konnte, also ließ er die beiden machen, auch wenn Fujita deutlich größere Probleme mit Gaju als Tanzpartner zu haben schien als zuvor mit Hyoudou. Es dauerte einige Minuten, doch bald schon begann Gaju damit, Fujita lauthals zu kritisieren, bis sie schließlich – ob nun absichtlich oder nicht – die Rollen tauschten und Gaju stattdessen führte. Obwohl Sengoku zugeben musste, dass Fujita gar keine schlechte Figur machte (vermutlich, weil er bereits Erfahrung mit der Partnerinnenrolle vom ersten Training mit Chinatsu hatte), war es nicht das, was sie erreichen wollten. »Du sollst ihm die richtigen Schritte beibringen, Gaju, also folge seiner Führung, anstatt selbst zu führen!«, rief Sengoku ihnen zu, genervt davon, dass nichts so lief wie geplant. Gaju stoppte mitten in ihrer Drehung, ließ Fujita los, der fast das Gleichgewicht verlor, und zeigte anklagend auf seinen Partner. »Aber er führt nicht ordentlich, Sengoku-san!« »Dann bring es ihm eben bei!« So viel zum Thema er sei ein besserer Lehrer als Hyoudou. Eigentlich gab es noch einige Dinge, über die er sich beschweren wollte, aber Gaju sah so aus, als wäre er bereit länger mit ihm zu diskutieren, und das ertrug er jetzt nicht. Er mochte den Jungen, ja, aber er konnte pro Tag nur eine bestimmte Anzahl an Sätzen in seinem Dialekt hören. Also fuhr er stattdessen Hyoudou an, der vor längerer Zeit wortlos verschwunden war und jetzt wieder durch die Tür in den Raum trat. »Und wo warst du so lange?!« Hyoudou zuckte nur mit den Schultern, die Stimme für Sengokus Geschmack viel zu gelassen und gleichgültig angesichts der momentanen Situation. »Ich habe Kugimiya-san angerufen und gefragt, ob er vorbeikommen kann. Wir scheinen ja hier nicht weiterzukommen.« »Masami-chan?« Verwirrt hob Sengoku eine Augenbraue. Kugimiya war ein guter Tänzer, ja, aber er war vermutlich der Letzte, den er als Lehrer für Lateintänze nehmen würde – zumindest nach Fujita. Dann wiederum traten sie auf der Stelle, also konnte ein Versuch nicht schaden. »Ja klar, warum auch nicht, machen wir 'ne Pyjamaparty aus der ganzen Angelegenheit.« Er klang wütender, als er eigentlich war, aber das kümmerte ihn nicht. Mit langen Schritten ging er auf die Stereoanlage zu und schaltete die Musik aus. »Pause, runter von der Tanzfläche!« Dankbar nickend ging Fujita an den Rand und griff sich eine Wasserflasche, die er hastig zur Hälfte leer trank. Wenn man ihn gefragt hätte, war die Pause genau zur richtigen Zeit gekommen, denn Gaju hatte auf ihn nicht den Eindruck gemacht, als hätte er noch lange mit ihm getanzt. Tatsächlich sah er momentan sehr angefressen aus, aber das mochte auch daran liegen, dass Sengoku ihn angemeckert hatte. Eine gute halbe Stunde später trat Kugimiya etwas zögerlich durch die Tür und grüßte einmal in die Runde. Fujita kannte seinen Trainingsplan nicht, aber der Gedanke, dass Hyoudou ihn beim Training unterbrochen hatte, nur damit er ihnen half, bereitete ihm Bauchschmerzen. Obwohl es nicht ungewöhnlich war, dass Kugimiya nicht lächelte und ein wenig genervt aussah, schien es heute schlimmer zu sein als sonst. Vermutlich konnte er sich einfach Besseres vorstellen, als ihnen zu helfen, denn als Sengoku ihm eine kurze Erklärung dazu gab, wie ihr bisheriger Nachmittag ausgesehen hatte, wanderten seine Mundwinkel noch mehr nach unten als ohnehin schon. Dennoch protestierte er nicht, sondern nickte stattdessen und willigte ein ihnen zu helfen. Um ihm so wenige Umstände wie möglich zu bereiten (und, weil ihn seine eigene Unfähigkeit zunehmend frustrierte), wollte Fujita so schnell wie möglich beginnen. Er hätte Kugimiya auch gerne so überschwänglich gedankt, wie er es in seinen Augen verdient hatte, doch ein Blick in seine Augen ließ ihm die Worte im Hals stecken bleiben. Als sie sich schließlich auf der Tanzfläche gegenüber standen und nur darauf warteten, dass Sengoku die Musik startete, musterte Kugimiya ihn lange. »Warum übst du nicht einfach mit deiner Partnerin?«, fragte er schließlich offensichtlich verständnislos, woraufhin Sengoku nur seufzend die Musik etwas lauter drehte. »Glaub mir, das wüssten wir alle gerne.« Offensichtlich unzufrieden mit der Antwort schien er zu überlegen, ob er nachhaken sollte, entschied sich jedoch dagegen und rief sich stattdessen die Schritte ins Gedächtnis, die er zwar einst gelernt aber seit Ewigkeiten nicht mehr getanzt hatte. »Ich weiß gar nicht, warum ich dir helfen soll, obwohl ich nur Standard tanze«, murmelte er vermutlich mehr zu sich selbst als an Fujita gerichtet, aber selbst über die Musik hinweg waren seine Worte klar verständlich. Fujita zuckte unwillkürlich zusammen. »T-tut mir leid, Kugimiya-san.« »Gib dir einfach Mühe.« Bevor Fujita etwas erwidern konnte, begann Sengoku den Takt anzuzählen, zu dem sie tanzen sollten, also atmete er einmal tief durch und hoffte auf das Beste. Mehr schlecht als recht tanzten sie einige Runden, in denen Fujita mit aller Willenskraft versuchte, den zunehmend genervten Gesichtsausdrucks seines Partners zu ignorieren, egal wie unmöglich es schien. Sie hatten bereits Standard zusammen getanzt, deswegen wusste Fujita, dass Kugimiya gut darin war zu folgen. Doch Latein war anders, war dieses furchteinflößende Ungetüm aus schnellen Rhythmen und offener Tanzhaltung, das er einfach nicht bezwingen konnte. Es dauerte nicht lange, bis Kugimiya stoppte, laut seufzte und Sengoku einen irritierten Blick zuwarf. Wenn Sengoku ehrlich war, hatte ein Teil von ihm gehofft, dass Fujita vielleicht auf magische Weise besser führen würde, wenn sein Partner nicht so sicher mit den Schritten und Figuren war wie Hyoudou und Gaju, aber anscheinend hatte er sich geirrt. »Sengoku, ich glaube nicht, dass das etwas bringt«, sprach Kugimiya das aus, was sie vermutlich alle seit geraumer Zeit dachten. »Vermutlich nicht, nein. Sorry, dass wir dich extra dafür herbestellt haben.« Darauf winkte Kugimiya nur ab, nickte Fujita einmal zu und begann, seine Sachen zusammenzupacken. Die Musik lief immer noch, als er durch die Tür nach draußen verschwand und die vier anderen wieder ihrem bisher vergeblichen Training überließ. Das Frustrierendste war, dass keiner von ihnen wusste, warum es nicht klappte. Fujita wollte sich gerade erneut entschuldigen – auch wenn er selbst nicht wirklich wusste wofür –, als Sengoku laut in die Hände klatschte und ihn mit festem Blick fixierte. »So, länger kann ich mir diese Tragödie nicht mehr ansehen. Anscheinend geht es nicht anders.« Fujita wusste, dass sein Lächeln nichts Gutes bedeuten konnte. Es war kaum von seinem Wettbewerbslächeln zu unterscheiden, aber er kannte Sengoku mittlerweile gut genug um zu wissen, wie viel Unheil das Funkeln in seinen Augen verhieß. »Tatara, komm her, wir versuchen es jetzt.« Bevor er in irgendeiner Form protestieren konnte, war Sengoku bereits an seiner Seite und begann, den Takt anzuzählen. Alles in Fujita schrie danach, diesmal ordentlich zu führen, und das schaffte er sogar für eine kurze Weile. Doch als Sengoku das zweite Mal anzählte, wechselte er plötzlich seinen Griff und führte, anstatt Fujitas Führung zu folgen. Auf einmal fühlte es sich tatsächlich so an, als würde er einen ordentlichen Cha-Cha-Cha tanzen, vor allem weil Gaju sie von der Seite her mit lauten Rufen anfeuerte. Hyoudou bedachte ihn hingegen nur mit einem Blick, mit dem man normalerweise Ratten in einem Labyrinth beobachten würde. Sie tanzten keine zwei Minuten miteinander und als Sengoku schließlich zum Stehen kam und seine Hand losließ, herrschte Stille im Studio. Die CD war einmal komplett durchgelaufen und selbst Gaju war verstummt. Nach einer gefühlten Ewigkeit voller Anspannung in der Luft schnaubte Sengoku kurz und schritt erhobenen Hauptes zur Musikanlage, um die CD aus dem Laufwerk zu nehmen. »Prima, jetzt weißt du genau, wie du den weiblichen Part tanzen musst. Wir stecken Chinatsu einfach in einen Anzug, zwängen dich in ein Cocktailkleid und zack! – Problem gelöst!« Bisher traute sich niemand so recht, etwas zu sagen, auch wenn Gajus Lippen bereits davon schmerzten, wie fest er sie zusammenpresste. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er seine fast schon anklagende Frage nicht mehr zurückhalten konnte. »Hast du dich nicht vorhin beschwert, dass ich—« »Wage es dich bloß nicht, Gaju.« Sengokus Ton war scharf und der Blick, den er ihnen zuwarf, ließ keinen Zweifel daran zu, dass er mit dem Thema abgeschlossen hatte. Hyoudou, offenbar derselben Meinung, begann sich aufzuwärmen, um mit seinem eigenen Training fortzufahren. Gaju tat es ihm gleich, auch wenn er sehr viel schuldbewusster dabei wirkte. Es fühlte sich für Fujita so an, als würde die Spannung im Raum ihn erdrücken. »Tut mir leid!«, platzte es aus ihm heraus, viel zu laut dafür, dass die Musik nicht mehr lief. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte, fühlte er sich doch schuldig, den anderen ihre Zeit gestohlen zu haben. Sengoku musterte ihn lange, ehe er nicht zum ersten Mal an diesem Tag schwer seufzte. »Kein Grund, sich zu entschuldigen, Tatara. Das war ein ziemlich schwarzer Tag für jeden von uns, also belassen wir es einfach dabei, dass du dich erst einmal nur auf Standard konzentrierst.« Damit war ihr gemeinsames Lateintraining zu einem Ende gekommen und jeder hatte mit seinem Einzeltraining begonnen. Fujita war nicht ganz bei der Sache, aber immerhin merkte er, dass Hyoudou und Gaju an diesem Abend nur Standard übten. Als Fujita am nächsten Morgen das Tanzstudio betrat, war er sich ziemlich sicher, dass er niemals lernen würde, Latein zu tanzen, ohne in seinem Partner den Wunsch zu wecken, sich zu erhängen. Nachdem der letzte Tag so katastrophal geendet hatte, war er sich nicht einmal sicher, wie er den anderen heute gegenübertreten wollte. Das war einer der Gründe aus denen er heute so früh gekommen war, lang bevor seine Freunde ihr Training für gewöhnlich begannen. Davon abgesehen mochte er die Atmosphäre in den frühen Morgenstunden; das blasse Sonnenlicht, das durch die Fenster schien und die feinen Staubpartikel in der Luft zum Tanzen brachte; die verheißungsvolle Stille, bevor er die Musik einschaltete; der schwache Geruch nach Leder und Schuhpflegeprodukten. Für einen Moment schloss er die Augen und atmete tief durch, versuchte alle negativen Gedanken von sich zu lösen, auch wenn ihm solche Übungen meist schwer fielen. Fujtia wusste nicht ganz warum, aber es half immens, wenn er sich dabei im Tanzstudio befand. Seine Atmung ging ruhiger und er merkte, wie es ihm allmählich besser ging. Fast überhörte er, wie sich die Tür öffnete, doch er drehte sich gerade noch rechtzeitig in Richtung des Geräusches, um zu sehen, wer eintrat. »Hanaoka-san!«, rief Fujita überrumpelt. Obwohl er fragen wollte, warum sie überhaupt schon hier war, brachte er keinen Ton heraus. Shizuku verstand trotzdem, welche Worte ihm auf der Zunge lagen. »Weil wir gestern nicht trainieren konnten, wollte ich heute frühen anfangen«, erklärte sie lächelnd, während sie die Tür hinter sich schloss. »Was treibt dich so früh hierher?« Fujita zögerte. Alles in ihm schrie danach, gerade Shizuku nicht zu erzählen, wie er am Vortag versagt hatte, doch auf der anderen Seite wollte er keine Geheimnisse vor ihr haben. Etwas widerwillig erklärte er ihr also, was geschehen war. Ohne die peinlichsten Details, versteht sich, denn von denen musste sie nichts wissen. Shizuku hörte ihm aufmerksam zu und schwieg danach lange, so als würde sie genau über seine Worte nachdenken. »Hmm... jetzt ergibt Kiyoharus Nachricht von gestern Abend Sinn. Ihr habt euch am Cha-Cha-Cha versucht, oder?« Shizuku trug ihre Sportkleidung bereits und positionierte sich in der Mitte des Raumes. »Komm her. Diesmal tanzt du mit einem richtigen Mädchen.« Während Shizuku darauf wartete, dass er sich in Bewegung setzte, war Fujita noch damit beschäftigt, innerlich so laut zu schreien wie er konnte. Er fragte sich, wie Hyoudou ihn so verraten konnte, und ob Gaju es ihm gleichgetan hatte und Mako davon erzählt hatte. Trotz seiner inneren Unruhe setzte sein Körper sich in Bewegung, wenngleich sehr zögerlich. Das Letzte, das er wollte, war sich vor Shizuku zu blamieren, so wie er es gestern vor vier anderen Tänzern getan hatte, die er von ganzem Herzen respektierte. Seine Wangen glühten und ihm wurde flau im Magen, aber dennoch griff Fujita nach ihren Händen und stellte sich in die Anfangsposition. »Wir versuchen es erst einmal ohne Musik. Fünf, sechs, sieben, acht«, zählte Shizuku mit ruhiger Stimme an. Nur mit viel Mühe konnte er sich davon abhalten, die Augen fest zusammenzukneifen. Und auf einmal führte er. Holprig zwar, und einmal trat er Shizuku auf die Zehnspitzen, aber sie schafften es, dreimal ohne größeren Fehler durchzählen, und allein das schien gestern nichts weiter als ein Traum zu sein. Mit leicht zittrigen Beinen (er hatte Muskelkater von seinen gescheiterten Versuchen am Vortag) kam Fujita zum Stehen. Er starrte Shizuku ungläubig an, ehe er so breit und erleichtert lächelte wie schon lange nicht mehr. »H-hanaoka-san...!« Mehr brachte er nicht heraus, zu groß die Gefahr, dass sich seine Augen sonst mit Tränen füllten. »Noch ist nicht die Zeit, sich zu freuen.« Shizuku schenkte ihm ein kurzes Lächeln, ehe sie ihren Griff festigte. »Wir versuchen es gleich nochmal, und diesmal halte den Kopf gerader und gleiche deine Bewegungen mehr dem Takt an.« Sie zählte erneut an, und dieser Durchlauf lief besser als der erste. Fujita versuchte genau darauf zu achten, was sie zuvor kritisiert hatte, damit er es diesmal besser machen konnte. Sie tanzten einige weitere Durchläufe, sodass Shizuku irgendwann dazu überging, seine Haltung und Schritte während des Tanzens zu korrigieren. Nachdem sie eine gute Viertelstunde durchgetanzt hatten, machten sie eine Pause und setzten sich vor die Spiegel an der langen Seite des Raumes. »Lief doch gar nicht schlecht.« Im Gegensatz zu ihm war Shizuku kaum außer Atem, aber das hatte er auch nicht anders erwartet. Dennoch überwog die Freude in diesem Moment ganz klar seine Erschöpfung. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte sofort weitergetanzt, denn wenn er ehrlich war hatte er immer noch Angst, dass die letzten Minuten nur ein Traum gewesen waren. »So wie Kiyoharu es formuliert hat, klang es so, als wärst du ein hoffnungsloser Fall, aber mit genügend Übung müsstest du es eigentlich hinkriegen«, fuhr Shizuku fort, die Stirn kurzzeitig in Falten gelegt. Dann lächelte sie wieder und zwinkerte ihm zu. »Vielleicht musstest du wirklich nur mit der richtigen Partnerin tanzen.« Für einen Augenblick konnte Fujita nichts anderes tun als wehmütig zu lachen. Dass er mit Shizuku in der Lage war, Latein zu tanzen, war am Ende des Tages überhaupt nichts wert, weil sie eben nicht seine Partnerin war. Hastig versuchte er, diese Gedanken zu vertreiben, damit sie davon nichts merkte. »Danke, Hanaoka-san«, sagte er schließlich aufrichtig. Zumindest wusste er nun, dass er mehr konnte als nur Standard. Fujita nahm sich fest vor, weiter zu trainieren, damit er eines Tages der Partner sein konnte, den Chinatsu verdient hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)