Polaroid von aois_koibito ================================================================================ Kapitel 3: KAPITEL DREI ----------------------- KAPITEL DREI Los Angeles, 2017 "Man könnte meinen, du machst das mit Absicht!", seufzte Sally frustriert und ich sah ihn verärgert an. Ich hatte in der Nacht kein Auge zugetan. Und das war garantiert nicht mit Absicht gewesen. Doch da ich nur noch an Jared und an diesen blöden Wanderausflug denken musste, kam mein Hirn nicht eine Sekunde zur Ruhe. Im Gegenteil. Es spielte mir jede erdenkliche Peinlichkeit vor, in die ich geraten könnte oder welche ich sogar selbst auslösen würde. Natürlich hatte ich dann akribisch versucht mir Alternativen zu überlegen, um jedem Fettnäpfchen aus dem Weg zu gehen. Und ehe ich mich versah, hatte Henry, der alte torklige Hahn von Sallys Eltern, fröhlich krähend den Morgen angekündigt. Dementsprechend nahmen meine Augenringe gigantische Ausmaße an, welche von Sally mürrisch brummend mit reichlich Concealer übermalt wurden. Ich rutschte auf dem Stuhl unruhig herum und strich nervös über meine nagelneuen und leider auch hautengen Leggings. Sally und ich hatten gestern Nachmittag im Sportgeschäft eine hitzige Diskussion darüber geführt, was angemessene Sportkleidung war. Ich hatte nicht eingesehen, die von ihm so angepriesenen, kurzen Sportshorts zu tragen. Seit dem Unfall hatte ich keine kurze Hosen oder Röcke mehr getragen, weil ich keine Lust darauf hatte, die Fragen über meine Narben zu beantworten. Und ganz sicher wollte ich nicht näher auf diese Fragen, bei meinem ersten Date mit Jared, eingehen. Als mir dann klar wurde, dass es Sally endlich geschafft hatte, dass ich die Wanderung nun als Date betrachtete, hatte sich meine Laune sekündlich verschlechtert. Nach langem Hin und Her und einem verzweifelten Verkäufer, hatten Sally und ich uns auf Leggings geeinigt. Es war ungewohnt etwas so eng anliegendes zu tragen. Irgendwie hatte ich Angst dass dieses Ding mir ungünstig zwischen den Pobacken kleben würde. Aber Sally versicherte mir, dass das schon nicht passieren würde. Er versprach mir, einen Blick auf meinem Hintern zu haben. Bei seinem Versprechen waren wir beide in schallendes Gelächter ausgebrochen. "Was soll ich mit Absicht machen?", fragte ich leise und zupfte unruhig an meinem luftigen Tanktop herum. Das Tanktop war mir fast zwei Nummern zu groß. Aber der Verkäufer versicherte mir, dass man das zurzeit so trägt, damit der neonfarbene Sport-BH darunter auch ja zur Geltung kam. Sally hatte ihm natürlich nickend zugestimmt und mich in die nächste Garderobe geschoben. "Na dein Date heute zu sabotieren!", seufzte Sally und begann mit Puder mein Gesicht zu bearbeiten. "Das ist kein Date!", widersprach ich schon automatisch, wodurch ich Puder einatmete und heftig niesen musste. "Hoffnungsloser Fall...!", murmelte Sally und stellte sich hinter mich, um meine Haare zu flechten. "Was war nochmal das Safeword?", fragte ich und sah Sallys Spiegelbild dabei zu, wie er meine Haare bändigte. "Gewitterwolke! Aber ich denke nicht, dass du es brauchen wirst!", zwinkerte er, doch ich zweifelte an seinen Worten. "Oh Gott! Das wird in einer Katastrophe enden! Wieso habe ich mich nur von dir überreden lassen?", seufzte ich und wäre am liebsten zurück ins Bett gesprungen, um mir die Bettdecke über den Kopf zu ziehen. "Weil es an der Zeit ist!", strahlte Sally und zupfte an meinem Zopf herum, ehe er etwas Haarspray darauf versprühte. "Zeit wofür?", fragte ich stirnrunzelnd. "Na für 'Bibbidi Bobbidi Boo'!", raunte er mit einem rauchigen, eindeutig zweideutigen Unterton und begann mit den Augenbrauen zu wippen. Meine Ohren wurden sofort heiß und ich versuchte nicht an einen spärlich bekleideten Jared zu denken. Was mir natürlich kläglich misslang. Manchmal war es nicht gut, als Künstler eine zu stark ausgeprägte Phantasie zu haben. Ich räusperte mich und versuchte teilnahmslos mit den Schultern zu zucken. "Es wird kein 'Bibbidi Bobbidi Boo' geben!", stellte ich klar und Sally lachte. "Ich glaube für heute... werde ich mit einem 'Bibbidi' zufrieden sein!", kicherte er und ich rollte genervt mit den Augen. "Heute wird es kein 'Bibbidi' oder 'Bobbidi' geben!", stellte ich klar und verschränkte die Arme. "Lass deine gute Fee nur machen!", zwinkerte er belustigt. Doch noch ehe ich ihn in die Schranken weisen konnte, kam seine Mutter ins Zimmer geplatzt. "Ihr seid ja doch hier! Habt ihr mich nicht gehört?", fragte Mrs. Carter etwas außer Atem und strahlte uns an. Wie man direkt früh am Morgen so gut gelaunt sein konnte, war mir ein Rätsel. "Kommt ihr beiden! Das Frühstück ist fertig! Nicht dass es kalt wird!", summte sie, ließ die Tür offen und ging summend die Treppe hinunter. Jetzt wo die Tür geöffnet war, drang der leckere Geruch von gebratenem Speck in meine Nase, und wenn man die Ohren spitzte, konnte man diesen sogar noch leicht in der Pfanne brutzeln hören. Das schien auch Gatsby so zu sehen, denn seine Nase zuckte ohne Unterlass und er schleckte sich mehrmals übers Maul. Ich stand auf und betrachtete mich kurz im Spiegel. Irgendwie war mir so, als würde mich eine fremde Person durch mein Spiegelbild ansehen. Ich zog mir eine dünne Kapuzenjacke über, um mich mehr wie mich selbst zu fühlen und folgte Sally nach unten. Die Küche war erfüllt von fröhlichem Geplapper, Radiomusik und köstlichem Essensduft. Ich schenkte Sallys älterem Bruder Eric zur Begrüßung ein Lächeln. Er zwinkerte mir über die Zeitung hinweg zu und ich musterte kurz seinen bandagierten Knöchel, welcher auf dem Stuhl neben ihm, begraben unter mehreren Kühlakkus, lag. "Autsch! Wie ist das passiert?", fragte ich mit schmerzverzogenem Gesicht und setzte mich neben Sally. Gatsby winselte leise und beäugte Teddy, die rothaarige Katze der Caters, argwöhnisch. Ich kraulte ihm beruhigend das Ohr. Teddy schien sich dagegen überhaupt nicht für Gatsby zu interessieren. "Der Junge hat nicht aufgepasst!", brummte Mr. Cater und kaute mürrisch auf seinem Rührei herum. Ich war nie einem waschechtem Cowboy begegnet. Aber wenn ich mir einen Cowboy vorstellen müsste, dann würde ich sofort an Mr. Cater denken. Ein Cowboy der alten Schule. Eric wischte die Worte seines Vaters mit einer Handbewegung weg, legte seine Zeitung beiseite und setzte sich etwas auf. "Ich habe die neuen Pferde eingeritten und hab den Junghengst falsch eingeschätzt, wurde abgeworfen und bin doof gelandet. In zwei Wochen ist alles wieder gut!", erklärte er kurz und knapp und leerte seinen Kaffee, welcher sofort von Mrs. Cater wieder aufgefüllt wurde. "Mein armer Schatz!", seufzte sie und strich Eric, auf mütterliche, liebevolle Art, durchs Haar. Mr. Carter kommentierte das mit einem Brummen. "Und für welchen Kurs müsst ihr jetzt durch den Wald laufen?", fragte Mr. Cater mit rauchiger Stimme und sah Sally an. "Für den Aktkurs. Wir müssen wieder eine neue Hausarbeit machen. Und wir suchen nach Inspiration! Nicht wahr?", fragte Sally und log seinem Vater einfach ins Gesicht. Und was tat ich? Ich nickte. Denn so hatten wir es besprochen. Und ich fühlte mich nicht so schlecht dabei, wie ich mich eigentlich hätte fühlen sollen. Aber wenn ich wollte, dass Sally mich begleitete, dann mussten wir eine plausible Erklärung abgeben, warum wir heute nicht auf der Ranch bleiben konnten. Eine bessere Ausrede, als es auf die Uni zu schieben, war uns gestern Abend nicht eingefallen. "Ach dieser Professor Hanks hält euch aber ganz schön auf Trab!", seufzte Mrs. Cater und schaufelte reichlich Rührei, Speck und Würstchen auf unsere Teller. Mein schlechtes Gewissen, welches ich energisch versuchte zu unterdrücken, wuchs bedenklich an. "Macht aber nicht zu lange. Morgen früh bräuchte ich eure Hilfe!", brummte Mr. Cater. Sally und ich nickten synchron. Ich schnappte mir meine Gabel und begann zu essen. Ich dachte mir, solange ich Essen im Mund hatte, konnte ich nicht reden und somit keine weiteren Ausflüchte erfinden. Ich schob Gatsby unauffällig ein Würstchen zu, damit er endlich von der Katze abgelenkt war und lauschte dem Gespräch von Sally und Eric. "Möchtest du noch einen Tee, Liebes?", fragte Mrs. Cater und ich nickte. Sie lächelte mich auf eine herzerwärmende Weise an, während sie mir einen frischen Tee zubereitete. Manchmal beneidete ich Sally. Er hatte eine richtige Familie. Mit zwei liebevollen Eltern, auch wenn ein Elternteil etwas brummig und wortkarg war. Einem älteren, großen Bruder, der ihn noch heute, ohne lange zu überlegen, mit allem was ihm möglich war, beschützen würde. Sie lebten alle auf dieser Ranch, wo die Zeit anders tickte und die Probleme der echten Welt fern und unbedeutend wirkten. Sally meinte, dass es an den Pferden liegen würde, da sie die seelische Last für einen tragen würden. Und ich glaubte, dass er Recht damit hatte. Dennoch erinnerte mich Sallys Familie immer daran, was ich nie in diesem Ausmaß gehabt hatte. Natürlich hatte ich Ben. Ben mein großer Bruder. Ben meine Vaterfigur. Ben mein Zuhause. Er war die einzige Familie die ich hatte, da Caroline sehr deutlich geworden war, dass sie in ihrem Vorstadtleben keinen Platz für ihre viel jüngere Schwester hatte. "Hier der Tee, Liebes!", flötete Mrs. Cater fröhlich und holte mich aus meinen Gedanken. Ich war ihr dankbar dafür. Heute war kein guter Tag, um in Selbstmitleid zu versinken. Ich legte meine kalten Hände um die warme Tasse und nahm einen kleinen Schluck. Es schmeckte herrlich fruchtig. Ich klinkte mich in das Gespräch von Eric und Sally ein und verscheuchte so die Reste meiner deprimierenden Gedanken. Währenddessen bereitete Mrs. Cater für uns zwei riesige Lunchpakete zu. Sie war wirklich eine Bilderbuch-Mom. Ich half ihr dabei den Tisch abzuräumen und beim Abwasch. Dabei redete ich mir ein, dass ich das tat, um mein schlechtes Gewissen, zu besänftigen. Doch eigentlich wollte ich nur Zeit schinden, in der Hoffnung, dass Sally und ich zu spät am Treffpunkt ankommen würden und Jared mit seinen Freunden schon längst in den Wald losmarschiert wäre. Ich war so ein Feigling. Sally stopfte die Lunchpakete und zwei große Wasserflaschen in seinen Rucksack, und half mir dann dabei, das saubere Geschirr abzutrocknen. Er schaute dabei fast alle zwei Minuten auf die große Uhr am Herd und wurde beim Abtrocknen immer schneller. Anscheinend war Zuspätkommen keine Option mehr. Verdammt! "Okay meine zwei Lieben! Dann passt auf Euch auf! Und trinkt ausreichend!", seufzte Mrs. Cater und drückte Sally einen Kuss auf die Stirn. Sally murmelte etwas unverständliches, schulterte seinen Rucksack und zog mich mit nach draußen. "Kann ich dich mit irgendwas bestechen, damit wir da jetzt nicht hinfahren?", seufzte ich. Mein letzter elendiger Versuch, dem heutigem Geschehen aus dem Weg zu gehen. "Nope!", grinste Sally und warf den Rucksack auf den Rücksitz seines Autos. Ich seufzte enttäuscht und ließ mich kraftlos auf den Beifahrersitz fallen. "Ich mache ein Semester lang alle grafischen Abgaben für dich!", versuchte ich es weiter und Sally lachte laut auf. "Keine Chance!", grinste er und startete den Motor. "Rosie! Ich verlange ja nicht von dir nach Modor zu wandern und den Schicksalsberg zu erklimmen. Sieh es einfach als eine Art Spaziergang mit mir und ein paar anderen. Und ehe du dich versiehst, wirst du dabei Spaß haben!", zwinkerte er und ich schnaubte, während wir die Ranch hinter uns ließen. Ich zog mein Handy aus der Kapuzenjacke. Keine Nachricht von Jared. Aber warum sollte er mir auch schreiben? Immerhin würden wir uns ja gleich sehen. Und warum zerbrach ich mir über so eine Kleinigkeit schon wieder den Kopf? Stattdessen schrieb ich Ben, um ihn zu informieren dass Sally und ich jetzt doch wandern gehen würden. Natürlich antwortete Ben sofort. BEN OHNE JERRY 09:39 Morgen Kleines! :) Oh man... Pass bloß auf! Und mach regelmäßig Pausen! Überanstreng dich nicht! :/ DU 09:40 Mach dir keine Sorgen! Sally ist ja da! Wie ist es in Palm Springs? :P BEN OHNE JERRY 09:42 Mh... geht so! Amy will unbedingt zu dieser komischen Seilbahn. Die soll die längste der Welt sein... oder so! XD Was möchtest du als Mitbringsel haben? Du 09:43 Haha! Du musst mir nichts mitbringen! Aber ich hätte auch nichts gegen eine Überraschung! :) "Schreibst du etwa mit Prince Charming so eifrig?", fragte Sally grinsend und warf mir einen vielsagenden Seitenblick zu. Ich schüttelte den Kopf und steckte mein Handy zurück in die Jackentasche. "Nein! Mit Ben. Prince Charming hat seit gestern Nachmittag nicht mehr geschrieben!", murmelte ich und versuchte nicht so enttäuscht zu klingen, wie ich es eigentlich war. Ich spürte den durchdringenden Seitenblick von Sally, doch ich starrte stur weiter aus dem Fenster Und suchte nach Ablenkung. Ich versuchte mich auf den sonnigen Horizont zu konzentrieren. Die Vögel. Die Bäume. Der leichte süßliche Geruch nach gemähtem Gras. Ich versuchte krampfhaft an alles zu denken, nur nicht daran, dass ich in wenigen Minuten Jared treffen würde. Mein Herz raste so schnell, dass es meinen Kolibri bereits vor den letzten 50 Metern abgehängt hatte. Das konnte nicht gutgehen. Überpünktlich fuhr Sally auf den Parkplatz. Meine Hände schwitzten und ich wischte sie mir am Autositz ab. Sally stellte den Motor ab und tätschelte seufzend mein Knie. "Das wird schon! Sei einfach du selbst!", flüsterte er lieb und kletterte aus dem Auto. Mit weichen Knien tat ich es ihm gleich und atmete die frische, waldgetränkte Luft tief ein. Gatsby bellte und ich beeilte mich ihm die Tür zu öffnen, damit er vom Rücksitz springen konnte. Da der Parkplatz geschmückt von Warnschildern war, in denen dazu aufgefordert wurde, seinen Hund anzuleinen, kramte ich eifrig in Sallys Kofferraum nach Gatsbys Leine. Gatsby stand schwanzwedelnd neben mir und seine Nase schnüffelte aufgeregt im Wind. "Na? Riechst du ein freches Eichhörnchen?", fragte ich ihn grinsend und er bellte mich leise an. Ich lachte und hakte die Leine an seinem Halsband ein. Gatsby lehnte sich gegen meine Hand und ich streichelte ihm über den Rücken. Wie mich eine so einfache Geste immer wieder beruhigte. Sally lehnte sich gegen seinen Wagen und nahm einen Zug aus seiner E-Zigarette. Heute duftete der Qualm nach Pfirsicheistee. "Ist ja noch nicht gerade viel los!", stellte Sally seufzend fest und machte große, donutförmige Rauchringe in meine Richtung. Ich lachte und pustete sie weg. Aber er hatte Recht. Es war tatsächlich wenig los. Denn Sallys Auto war das Einzige auf dem gesamten Parkplatz. "Vielleicht kommen viele ohne Auto her. Und wandern direkt von der Haustür los!", grinste ich und erstarrte als ich einen Motor aufheulen hörte. Ich wirbelte herum und hielt automatisch die Luft an. Doch um die Ecke bog nicht der feurige blaue Jeep von Jared, sondern ein flaschengrünes Carpio mit nur einem Insassen. Ich erkannte den Fahrer sofort. Es war Kyle. "Was hat das zu bedeuten?", zischte ich Sally entgeistert an. Doch dieser steckte sich unbekümmert seine E-Zigarette in die Hosentasche und strich sich durch die Haare. "Ich dachte... wenn du Spaß hast, dann darf ich auch Spaß haben!", grinste er unbekümmert. Ich musste dringend an meiner bösen Stimme arbeiten. Irgendwie nahm die nie jemand ernst. "Ich dachte du hilfst mir mit Jared. Damit er nichts Blödes macht. Und ich nichts Blödes sage!", keuchte ich und versuchte meinen aufschwellenden Selbsthass zu unterdrücken, weil ich jammerte wie eine Fünfjährige. "Rosie! Ich bin multitaskingfähig!", zwinkerte er und ließ mich einfach stehen. Ich sah ihm nach, wie er mit tänzelndem und beschwingtem Schritt zu Kyle eilte, welcher zwei Parkplätze weiter geparkt hatte, und ihn zur Begrüßung umarmte. Bei ihm sah das so einfach aus. Gatsby winselte leise und ich seufzte. "Tja alter Knabe... Wie es aussieht stehen wir doch alleine da!", seufzte ich und musste der Versuchung widerstehen, nicht sofort "Gewitterwolke!" über den Parkplatz zu brüllen. Kyle winkte mir freundlich lächelnd zu und ich erwiderte die Geste, während ich innerlich mit den Zähnen knirschte. Gottverdammter Sally! Die beiden redeten munter aufeinander ein, während Kyle seinen Rucksack und einen monströsen Hut vom Rücksitz seines Autos hievte. Ich wandte den Blick ab und hängte mir meine alte Polaroidkamera um den Hals, damit ich jederzeit bereit war, einen Augenblick einzufangen und festzuhalten. Sallys Lachen drang in meine Ohren und ich schaute auf. Er sah aus wie ein liebeskranker Trottel. Sah ich in Jareds Nähe etwa auch so aus? Bei dem Gedanken stieg meine Aufregung weiter ins Unermessliche. Ich schielte ins Auto und sah dass Sally die Schlüssel stecken gelassen hatte. Ich könnte einfach auf den Fahrersitz rutschen und wegfahren. Als ob Sally meine panischen Gedanken gehört hätte, vereitelte er meinen letzten kläglichen Fluchtgedanken, indem er mit Kyle zu mir herüberschlenderte, seinen Rucksack vom Rücksitz hob und danach das Auto abschloss. Ich sah zu, wie er den Autoschlüssel in seine Hosentasche schob und konnte nur mit Mühe ein enttäuschtes Seufzen verhindern. "Hey Rosie-Rose! Ein schöner Tag zum Wandern, nicht wahr?", begrüßte mich Kyle und strahlte mich mit seinem perfekten Zahnpastalächeln an. Ich nickte, während ich zur Sonne hinaufblinzelte, welche bereits jetzt schon hoch am wolkenlosen, glasblauen Himmel stand. Nervös sah ich auf mein Handy. Es war genau 10:00 Uhr. Mein Herz zog sich vor Aufregung so sehr zusammen, dass meine Brust schmerzte, während ich versuchte, nicht die Einfahrt anzustarren, an der immer noch kein Auto aufgetaucht war. Hatte er es sich anders überlegt? Oder waren wir am falschen Treffpunkt? Unruhig wippte ich auf den Füßen hin und her, krempelte die Ärmel meiner Kapuzenjacke hoch, nur um sie dann wieder glatt zu streichen. "Jetzt zappel doch nicht so!", raunte mir Sally leise zu und strich mir aufmunternd über den Ellenbogen. "Es ist schon irgendwie süß, wie aufgeregt du bist!", kicherte Kyle und Sally lachte auf. "Muss ich jetzt etwa eifersüchtig werden?", fragte Sally amüsiert und noch ehe Kyle antworten konnte, bog ein blauer Truck mit aufgemalten gelb-orangenen Flammen auf den Parkplatz. Das war der Moment, an dem mein Herz für kurze Zeit stehen blieb, und doch hörte ich das aufgeregte und viel zu laute Rauschen des Blutes in meinen Ohren. Mir wurde übel und doch bekam ich eine Gänsehaut. Meine Füße kribbelten, jederzeit bereit wegzulaufen, und doch suchten meine Augen sehnsuchtsvoll nach Jareds Profil. "Showtime!", grinste Sally und schob mich etwas weiter nach vorne, nachdem der Truck zwischen Sallys und Kyles Auto geparkt hatte. Der flinke, aufgeregte Kolibri in meiner Brust überforderte mein armes, langsames Menschenherz dermaßen, dass mir innerhalb von Sekunden mehrmals schwindelig wurde. Ich leckte mir nervös über die Unterlippe und versuchte mich an meine auswendig und penibel ausgewählte Begrüßung zu erinnern. Doch mein Kopf war leer. Und schlimmer noch: mein Hirn spielte alles in Zeitlupe ab. Jared sprang elegant aus dem Jeep und warf dabei sein, in der Sonne glänzendes, Haar über die Schultern. Er trug eine verspiegelte Pilotenbrille. Und obwohl ich dadurch seine Augen nicht sehen konnte, stellten sich meine Nackenhärchen auf, als sich unsere Blicke trafen. Sein Mund verzog sich zu einem verspielten, schiefen Lächeln, was seine Grübchen betonte. Ich seufzte sehnsüchtig gegen meine Willen. Sallys leises Kichern und die Anwesenheit von Jareds Freunden, welche fröhlich aus dem Jeep hüpften, nahm ich in diesem Moment nicht bewusst wahr. Meine ganze Aufmerksamkeit galt Jared. Alles um ihn herum schien zu verschwimmen. Mein Kolibri in der Brust schlug, fröhlich singend, Purzelbäume, und ich hätte schwören können, dass man dessen Gesang in der ganzen Stadt hören konnte. Jared strich sich anmutig durch die Haare und kam dabei auf mich zu. Als er direkt vor mir stand, nahm er seine Brille ab und das Leuchten seiner Augen traf mich mit voller Wucht. Oh Gott hilf mir! Mit aller Kraft versuchte ich den kitschigen Liebesromanfilter aus meinem Hirn zu entfernen, doch Jareds Nähe war alles andere als vorteilhaft für meine Konzentration. "Hey!", lächelte er, und als sein Blick kurz aber intensiv an meinem Körper entlang glitt, konnte ich ein Schaudern nicht unterdrücken. Sally stieß mir leicht gegen die Schulter und meine stille Bewunderung, mit der man schöne Gemälde ehrte, brach in sich zusammen. "... Hi!", stammelte ich unbeholfen und schluckte. Jareds Grinsen wurden breiter. Amüsierte ihn etwa meine unbeholfene Art? Als er den Blick abwandte und fragend in Sallys und Kyles Gesichter sah, räusperte ich mich und straffte die Schultern. "Das ist Sally, wir studieren zusammen. Sally das ist Jared, der Polaroid-Finder!", stellte ich die beiden vor. Ich holte gerade wieder Luft um Jared auch Kyle vorzustellen, doch Jareds Lachen hinderte mich daran. "Polaroid-Finder? Das klingt ja nicht gerade schmeichelhaft und verschleiert die eigentliche, selbstlose Tat. Wie wäre es mit Polaroid-Retter? Das hat gleich viel mehr Dramatik!", grinste er und ich rollte amüsiert mit den Augen. "Wir können auch gern 'Gemeiner Geheimnis-Erpresser' draus machen!", stichelte ich und fragte mich gleichzeitig, woher dieser freche Mut kam, so mit ihm zu reden. Es lag vermutlich an dem unendlich vielen Adrenalin, welches gerade literweise durch mein Adern gepumpt wurde, seit Jared aufgetaucht war. "Jede andere Frau würde dieses Geste romantisch und nicht erpresserisch sehen!", kommentierte er schmunzelnd und ich lachte leise, dabei bemüht mein Lachen nicht schrill klingen zu lassen, da ich bei dem Wort "romantisch" einen kurzen Aussetzer hatte. "Tja... ich bin halt nicht wie jede andere!", sagte ich leise und errötete unter seinem durchdringenden Blick. "Das ist mir auch schon aufgefallen!", raunte Jared mit leiser und rauchiger Stimme, welche meinen Bauch zum Kribbeln brachte. Ich sah ihm scheu in die Augen und war mir dabei leider nur allzu sehr bewusst, dass meine Wangen feuerrot glühten. Ich war die Motte und er das Licht. Und ich war drauf und dran mich an ihm zu verbrennen. Durch Kyles erschrockenes Keuchen wurde unser Blickkontakt unterbrochen, da Jared ihn nun musterte. Der Zug um seinen Mund bekam etwas Verkniffenes. "Ich hole mal meine Sachen!", sagte er und lächelte mir zu, während ich ihm verwirrt nachschaute. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Ich hörte Sally und Kyle hinter mir aufgeregt flüstern, doch als ich mich zu ihnen umdrehte, verstummten beide sofort. "Was ist los?", flüsterte ich leise aber sowohl Sally als auch Kyle schüttelten energisch mit dem Kopf, was beide nur noch verdächtiger wirken ließ. "Und was tuschelt ihr dann so eindringlich?", brummte ich verärgert, da es offensichtlich war, dass sie mir etwas verschwiegen. Ich musterte Sally eindringlich, doch es war Kyle der das Schweigen brach. "Weißt du denn nicht wer da- Aua!", keuchte Kyle schmerzverzerrt und rieb sich die Seite, in die Sally ihm mit voller Wucht den Ellenbogen gestoßen hatte. Ich zuckte erschrocken zusammen. Was war denn nur in die beiden gefahren? Doch noch eher Sally oder ich etwas sagen konnten, tippte mir jemand auf die Schulter. Kurz starr vor Schock, genauso wie in Kindertagen, wenn Ben oder Dad, mich bei dem Versuch erwischt hatten, an die heißbegehrte Keksdose zu gelangen, drehte ich mich langsam um und sah in die großen, olivgrünen Rehaugen eines grinsenden Mannes. Sein Lächeln war so echt und strahlend, dass sich meine Mundwinkel automatisch anhoben. Er schob sich sein Basecap zurecht und da erkannte ich ihn wieder. Mit ihm war Jared in der Arztpraxis gewesen. Er legte seine Hand leicht an meinen Rücken und schob mich sanft Richtung Waldeingang. "Hi! Ich bin Shannon, Jareds Bruder! Und wegen dir musste ich gestern also in aller Frühe am Osteingang der Uni stehen?", grinste er zwinkernd und ich sah ihn einfach nur mit tellergroßen Augen an. Mein Griff um Gatsbys Leine wurde so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. "Osteingang?", fragte ich total perplex, und warf einen Blick hinter mich. Auch die anderen machten sich langsam auf dem Weg. Und als ich sah wie Sally wieder flüsternd auf Kyle einredete, wurde ich nur noch nervöser. War es schon zu früh "Gewitterwolke" zu rufen? "Und mich hat er beim Nordeingang einfach abgestellt!", lachte ein Mann mit vielen wirren Locken auf dem Kopf und tauchte neben mir auf. "Hi ich bin Jamie! Du musst Rosie sein!", grinste mich der Lockenkopf an und schüttelte mir enthusiastisch die Hand. Gatsby schnüffelte kurz argwöhnisch in seine Richtung, bevor er anfing mit dem Schwanz zu wedeln. Und mir blieb nichts anderes übrig, als nur noch verblüffter zu werden. Von welchen Eingängen sprachen die beiden? "Hörst du gerne Musik?", fragte Shannon plötzlich und mein Kopf fuhr zu ihm herum. Seine Augen hatten etwas an Freundlichkeit verloren. Glichen sie vor wenigen Augenblicken noch einem gutherzigen Reh, so ähnelten sie jetzt eher einer wachsamen Eule. War die Frage nach Musik so wichtig für ihn? Gab es etwa eine richtige und eine falsche Antwort? "Natürlich höre ich gerne Musik. Macht das nicht jeder?", stotterte ich unbeholfen und sah abermals über meine Schulter und suchte nach Sally. Dieser schien meilenweit weg zu sein. Ich versuchte mit ihm Blickkontakt aufzubauen, doch dieses Unterfangen war vergebens, da er nur Augen für den schmollenden Kyle hatte. So viel dazu, er wäre multitaskingfähig. "Und was hörst du so?", brummte Shannon mit scharfer, tiefer Stimme, wodurch ich eine Gänsehaut bekam. Es war keine angenehme Gänsehaut. Nicht wie die gestrige Gänsehaut, welche von Jareds Hand auf meiner Hand ausgelöst worden war und meinen gesamten Körper mit wohlig kribbelnden Funken übersät hatte. Doch die jetzige Gänsehaut war von einem ganz anderen Schlag. Es war eine Gänsehaut, die meinen Körper in Alarmbereitschaft fallen ließ. "Eigentlich alles Mögliche!", kommentierte ich kurz angebunden, aus Angst irgendwie in ein Fettnäpfchen zu treten. "Verdammt Shannon! Ich habe dir so oft gesagt, dass du das lassen sollst!", seufzte Jared und drängte sich zwischen mir und seinem Bruder. Beide sahen sich kurz an und schienen einen stilles Wortgefecht auszutragen. Seufzend marschierte Shannon, gefolgt von Jamie, voraus. Und schon war ich mit Jared allein. So allein, wie man es auf einer Wanderung mit zehn Leuten nur sein konnte. Statt nervös zu sein, war ich erleichtert. Erleichtert, dass Jared neben mir ging. Erleichtert, dass sich unsere Arme beim Gehen fast berührten. Erleichtert, dass sich das Schweigen zwischen uns nicht erdrückend, sondern vollkommen richtig anfühlte. Wenn ich bei ihm war, schien immer alles so leicht zu sein. Ich schien immer leicht zu sein. Leicht wie einer Feder, die sich vom Wind mitreißen ließ. Natürlich war er der Wind, der mich durch die Lüfte tanzen ließ. Dabei kannten wir uns noch gar nicht. Diese Intensität meiner Gefühle hätten mich eher abschrecken, als anlocken sollen. Doch auch wenn ich es nie zugeben würde, war ich dankbar, heute noch einen Tag mit Jared verbringen zu können. Im Stillen sein schönes Profil bewundern zu können. Und einfach das kribbelnde Gefühl in meinem Bauch genießen zu können, was er immer in mir auslöste, wenn sein Blick mich streifte. "Sorry, falls er zu aufdringlich war!", seufzte Jared nach einer Weile, strich sich durch die Haare und warf mir einen vorsichtigen Seitenblick zu. Ich nickte nur, und begriff warum ich bei Shannon sofort an die Erinnerung mit der Keksdose gedacht hatte. "Er ist dein älterer Bruder, oder?", lächelte ich verstehend und Jared lachte leise auf. "Ist das so offensichtlich?", fragte er amüsiert und stopfte seine unruhigen Hände in die Hosentaschen. War er etwa auch nervös? Das konnte ich mir irgendwie gar nicht vorstellen. "Naja... Ich habe auch einen großen Bruder. Und bei ihm und Shannon steht ganz groß 'Beschützer' auf der Stirn geschrieben!", grinste ich und Jared erwiderte diese Geste, wodurch sich meine Brust, auf herrliche Weise, zusammenzog. "Zum Glück ist dein großer Bruder gerade nicht hier!", grinste Jared schief und strich sich eine Strähne aus der Stirn. "Wieso?", fragte ich perplex. Ben würde es hier sicherlich gefallen. Und mit Ben wäre ich um einiges sicherer, als mit Sally. Dieser war nämlich nur mit seinem Date beschäftigt, als das er auf mich und Jared achten würde. Oder auf meine Leggings, die hoffentlich noch nicht von meinem Hintern gefressen wurde. "Na weil er meine Absichten, seiner kleinen Schwester gegenüber, bestimmt nicht gut heißen würde!", grinste er frech und bei dem Anblick seines Grübchens, kribbelte es aufgeregt in meinen Fingern. Ich würde so gerne darüber streicheln. "Welche Absichten hast du denn?", fragte ich errötend, wusste ich doch schon irgendwie die Antwort auf meine eigene Frage. Oder hoffte vielmehr darauf. Jared grinste mich über beide Ohren an. Unsere Blicke trafen sich und ein kunterbuntes Feuerwerk schien in meinem Bauch zu explodieren. Ich sah ihm an, dass er nach einer geschickten Antwort suchte. Er leckte sich elegant über die Unterlippe und ich unterdrückte ein sehnsuchtsvolles Wimmern. Wie gern würde ich diese Unterlippe mit meiner Zunge berühren. Noch eher ich mir dieses, für meine Verhältnisse viel zu leidenschaftlichen, Gedankens bewusst wurde, stolperte ich über eine Baumwurzel. Gatsby bellte erschrocken auf und auch Jared gab einen unterdrückten Laut von sich. Ob aus Belustigung oder Schreck, konnte ich nicht sagen. Jared packte mich am Oberarm und zog mich zurück auf die Füße. "Woah! Alles okay?", fragte er keuchend und musterte mich wieder auf diese intensive Weise. Mein Körper war plötzlich wie eine Katze, die zu schnurren begann und sich liebend gern um seine Beine gewunden hätte, nur um mehr Aufmerksamkeit zu erbetteln. Das kurze stumpfe Ziehen in meiner rechten Wade nahm ich kaum wahr. Ich war viel zu abgelenkt von seinen strahlenden, blauen Augen. Im Kopf ging ich abermals meine blauen Farbpaletten durch. Würde ich seine Augen jemals originalgetrau malen können? "Es ist wohl besser wir treffen Vorsichtsmaßnahmen!", lächelte er sanft, glitt mit seiner Hand, die eben noch mit einem kräftigen Griff meinen Oberarm festgehalten und mich vor dem Sturz bewahrt hatte, über meinen Ellenbogen, hielt kurz an meinem Unterarm inne, ehe er mit seiner Hand um die meine griff. Unsere Finger verschränkten sich automatisch ineinander, gerade so, als hätten wir das schon öfter gemacht; so als ob es für uns das normalste auf der Welt wäre, mit verschlungen Händen nebeneinander her zu gehen. Mein Herz hingegen sah es nicht als normal an. Es war im Ausnahmezustand. Es schlug so schnell und laut, dass mein gesamter Körper zu vibrieren schien. Es war aufregend und zugleich etwas beängstigend. "Also! Du wolltest mir erzählen, wie du mich gefunden hast!", räusperte ich mich unbeholfen, um mich von seiner Hand, die angenehm warm und sanft in der meinen lag, abzulenken. Was nicht leicht war, da das Pochen seines Pulses mich regelmäßig erschaudern ließ. "Wollte ich das?", fragte er und verzog seine Lippen zu dem wohlbekannten, frechen Grinsen. "So war der Deal!", nickte ich und versuchte nicht zu oft in seine Augen zu starren. Ich entschied mich, dass es sinnvoller war, lieber nach vorne zu schauen, damit ich vor tückischen Baumwurzeln und griesgrämigen großen Steinen, die sich auf dem Wanderweg verirrt hatten, rechtzeitig gewarnt zu werden. Sinnvoll, aber nicht annähernd so verlockend, wie das triumphierende Blau von Jareds Augen. "Deine genauen Worte waren: eine wahnsinnig aufregende Geschichte! Also! Ich bin ganz Ohr!", lächelte ich, und konnte meine Neugier jetzt kaum mehr im Zaum halten. "Shannon und Jamie meinten vorhin irgendwas mit Eingängen!", versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen, damit er endlich anfing zu erzählen. Aber als ich ihn kurz musterte, entging mir nicht sein vorwitziges Funkeln, welches seine Augen zum Glitzern brachte. "Soso, haben sie das? Ich glaube ich muss mit den beiden nochmal ein Wörtchen reden!", grinste er belustigt und ich seufzte. Es würde wohl nicht einfach werden, ihm zum Reden zu bringen. "Hast du denn vielleicht eine Theorie?", grinste er noch breiter und, ohne es zu wollen, kicherte ich. Ich kicherte. Es war ein echtes und ehrliches Kichern. Ein Kichern, welches das Herz leicht werden lässt. Es fühlte sich an, als ob ich jahrelang nicht mehr so unbeschwert gekichert hätte. "Oh ich habe so viele verrückte Theorien!", bestätigte ich und Jared schaute neugierig auf. "Ich liebe verrückte Theorien! Dann lass mal hören!", flötete er und seine strahlenden Augen zogen mich abermals in ihren Bann. "Okay! Du hast es ja nicht anders gewollt!", lachte ich und er drückte leicht meine Hand. Eine stille Aufforderung, was meine Wangen eine Spur röter werden ließ. "Eine meiner ersten Theorien war, dass du eventuell ein gemeingefährlicher Stalker sein könntest!", grinste ich und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Doch er lachte nur herzhaft auf. "Und was lässt dich jetzt glauben, dass ich kein gemeingefährlicher Stalker bin?", lachte er weiter und ich schnaubte. "Wer sagt, dass ich das nicht mehr glaube. Nicht ohne Grund habe ich Verstärkung mitgebracht!", konterte ich vergnügt und streckte ihm die Zunge raus. "Du meinst die beiden Kerle die spurlos verschwunden sind?", fragte Jay im munteren Ton, doch seine Worte veranlassten meinen Magen, sich auf Übelkeit erregende Weise zu drehen. "Was?", keuchte ich erschrocken und warf einen Blick hinter mich. Und tatsächlich. Sally und Kyle waren weg. Ich konnte spüren, wie ich innerhalb weniger Sekunden bleich wurde. Wo war Sally hin? Er hatte doch versprochen bei mir zu bleiben! Ich fühlte mich wieder wie mein vierjähriges Ich, welches richtig Fahrrad fahren lernen wollte, und Ben die Stützräder abmontiert hatte. Unsicher und wackelig. Jared drückte behutsam meine Hand. "Vielleicht sind die beiden auch nur seeeeehr langsame Wanderer!", raunte er beruhigend und ich nickte, weil ich nicht wahr haben wollte, dass Sally mir so einfach in den Rücken fallen würde. "Könnte sein. Ich glaube Kyle hat nicht sonderlich viel mit der Natur am Hut!", erklärte ich. Zum einen um deren Abwesenheit zu rechtfertigen und zum anderen, um mich zu beruhigen. "Ich kann dir versichern dass ich kein gemeingefährlicher Stalker bin. Sonst hätte mich Gatsby bestimmt schon davon gejagt!", plapperte er munter drauf los und ich stolperte unbeholfen neben ihn her. Sein Griff wurde etwas fester, so als ob er sich darauf gefasst machte, mich wieder aufzufangen, sollte es nötig sein. "Erzähl mir noch eine Theorie!", bat er und strich mit dem Daumen zärtlich über meinen Handrücken. Mein Körper reagierte sofort mit einem Schaudern. Ich räusperte mich, um etwas Zeit zu schinden und meine Gedanken zu ordnen. Kurz sah ich Gatsby dabei zu, wie er aufgeregt schnüffelnd den Rand des Wanderweges inspizierte. Ich ermahnte mich ruhig zu bleiben. Vielleicht waren die beiden nur kurz pinkeln. Oder Kyles lächerlich großer Sonnenhut hatte sich in einem Vogelnest verfangen. Das lag alles im Bereich des Möglichen. Und Gatsby würde nicht von meiner Seite weichen. Das tat er nie! Bei diesem Gedanken konnte ich die aufkeimende Angst, welche mich dazu drängen wollte, einfach kehrt zu machen und zurück zum Parkplatz zu laufen, wieder zurückdrängen. Dadurch konnte ich mich wieder auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Und als würde Gatsby meine innerliche Unruhe spüren, ließ er vom Unterholz ab und schob seinen Kopf unter meine Hand. Lächelnd kraulte ich ihm den Kopf. "Ehm... du könntest natürlich auch bei der CIA oder dem FBI oder so sein. Dort hättest du mittels hochentwickelter Gesichtserkennungssoftware meinen Standort ausfindig machen können!", erklärte ich mit ernster Stimme und Jared nickte erfreut. "Oh die Idee gefällt mir! Und so viel stilvoller als die Wahrheit!", grinste er und ich horchte interessiert auf. "Dann ist es wohl Zeit mit der Wahrheit herauszurücken!", lächelte ich und platzte fast vor Neugier. Er hatte mich wirklich lange genug hingehalten. Doch er winkte ab. "Ich glaube es ist eher an der Zeit, für noch eine Theorie deinerseits!", grinste er und zwinkerte mir zu. Ich seufzte etwas enttäuscht. "Ich habe eigentlich nur noch eine brauchbare... aber die ist ziemlich abgedreht!", erklärte ich und verzog das Gesicht zu einem verlegenen Lächeln. "Erzähl!", gluckste er und stieß mit seiner Schulter sachte gegen meine, was mich auflachen ließ. "Okay... Es könnte natürlich auch sein, dass du der Urenkel von Professor X bist, und seine Mutation, Gedanken lesen zu können, geerbt hast. Und als wir uns in der Arztpraxis unterhalten haben, hättest du in Seelenruhe alle notwendigen Informationen aus meinem Kopf stehlen können!", erklärte ich mit so viel ernster Überzeugung, wie es meiner schauspielerischen Fähigkeiten möglich war. "Wow!", grinste er und strahlte mich an. "Ich wäre gerne ein X-Men!", scherzte er und ich nickte. "Wer nicht!", grinste ich und begann mich wieder zu entspannen. Alles war gut. Ob mit oder ohne Sally! "Ich bin auch leider kein X-Men!", gestand er grinsend und ich sah ihn amüsiert an. "Für einen X-Man bist du auch viel zu fröhlich. Comichelden müssen düster, brummig und ernst sein!", erklärte ich schmunzelnd und brachte ihn wieder zum Lachen. "Du kennst dich aber gut mit Comics aus!", stellte er fest und strich abermals über meinen Handrücken. Diese kleine Geste verfehlte ihre intensive Wirkung nicht. "Ich musste im letzten Semester in diese Richtung viel recherchieren!", gestand ich und sah wieder auf meine Füße. Wir fielen wieder in ein angenehmes Schweigen. Zu hören war nur Gatsbys Hecheln, der Gesang vieler unterschiedlicher Vögel, das leise Ächzen der Zweige, welche vom Wind wie in Trance sich leise hin und her wiegten und das lebhafte Rauschen der leuchtend grünen Blätter. Der Wald roch nach Sommer und fruchtbarer Erde. Und hier und da, schafften es vorwitzige Sonnenstrahlen durch das dicke Blätterdach des Waldes und schimmerten in allen Regenbogenfarben. Ein perfekter Tag wie auf einem Ölgemälde. "Wann wirst du mir denn endlich erzählen, wie du mich ein einer Stadt mit knapp vier Millionen Menschen gefunden hast?", fragte ich leise mit einem ungeduldigen Unterton. Er sah mich kurz an. Sein Blick glitt sanft über mein Gesicht und verweilte einen langen Augenblick auf unsere verschlungenen Hände. "Wenn der richtige Moment gekommen ist!", raunte er und grinste sein Grübchenlächeln. "Und wird das heute sein?", hakte ich nach und versuchte mich nicht wieder von seinen Grübchen ablenken zu lassen. "Ich hoffe doch!", lachte er und ich schüttelte amüsiert den Kopf. "Das ist irgendwie ungerecht!", kommentierte ich und kramte in meinem Hirn nach einem besseren Argument, mit die Geschichte sofort zu erzählen. "Nein! Es ist spannend!", stellte er klar und schnitt eine Grimasse, als er plötzlich erstarrte und mit dem Kopf herumwirbelte. Ich zuckte leicht erschrocken zusammen und hielt aus irgendeinem unbestimmten Grund den Atem an. "Hörst du das?", strahlte er plötzlich und mein Herz setzte bei diesem Anblick mehrere Schläge aus, ehe es so schnell schlug, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ich schnappte rasselnd nach Luft und genoss das kribbelige Gefühl in meinen Gliedern. "Was?", flüsterte ich automatisch und spitze die Ohren. Ich hörte rein gar nichts. Aber als ich sah, das auch Gatsby, mit schief gelegtem Kopf und angehobener Vorderpfote, in die gleiche Richtung wie Jared starrte, war ich mir sicher das dort etwas sein musste. Dort. Mitten im Wald. "Komm!", hauchte er leise an meinem Ohr und abermals durchfuhr mich ein elektrisierender Schauer. Er zog mich mit sich und drückte grinsend den Zeigefinger gegen seine Lippen. Wir mussten wohl sehr leise sein. Hand in Hand und darauf achtend, auf keinen herabgefallenden Ast zu treten, lotste Jared mich durch den Wald. Gatsby hatte sogar aufgehört zu hecheln und schlich förmlich durch das Unterholz. Und je weiter wir in den Wald traten, desto deutlicher konnte ich es hören. Ein Summen. Nicht wie das Summen einer Biene. Es klang eher nach einem ganzen Bienenschwarm. Und irgendwie auch ganz anders. Es war ein Summen, gepaart mit einem samtigen Rascheln. So als würden weiche Federn aus einem Kissen platzen und zu Boden fallen. Neben dem immer lauter werdenden Geräusch, begann auch die Luft sich zu verändern. Sie wurde von schwerer Süße getränkt. Es roch nach satten Blüten und mir war, als würde ich bei jedem Atemzug unendlich viele Pollen einatmen. Durch das Geäst wagten sich immer mehr Sonnenstrahlen durch die majestätischen Baumkronen des Waldes und mir wurde klar, dass wir direkt auf eine kleine Lichtung zugingen. Am Rand der Lichtung, und noch im Schutz und Windschatten des Dickichts, kniete Jared sich leise hin. Da er meine Hand nicht losließ, kniete ich mich eng neben ihn. Auch Gatsby legte sich flach auf den Bauch und robbte zu mir heran. Ich schluckte laut, da meine Kehle vor Anspannung und Neugier völlig ausgetrocknet war. Jareds Körperwärme verbrannte meine Seite und ich hätte mich am liebsten noch mehr gegen ihn gelehnt. Ich wollte mich an ihm verbrennen. Doch da zeigte er mit dem Zeigefinger geradeaus; in Richtung der Lichtung. Ich folgte mit den Augen seinem Finger und blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Und da waren sie. Kleine, fröhlich und herrlich bunt schimmernde Lichtpunkte. Wilde Kolibris, die sich an den satten Blüten der Büsche satt aßen. "Wow!", formte ich lautlos mit den Lippen und wagte es nicht zu blinzeln. Es war ein wunderschöner Anblick. Ich hatte bis jetzt nur Kolibris im Zoo bestaunen können. Sie hier aber wild und frei betrachten zu können, war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Jared schien meine Gedanken zu lesen, denn er drückte meine Hand und schenkte mir einen begeisterten Blick. In Gedanken machte ich ein Foto von seinem Gesicht, fest entschlossen es so schnell wie möglich auf Leinwand zu bringen. Ich wusste nicht, wie lange wir da hockten und in stiller Bewunderung und Eintracht dieses farbenfrohen Schauspiel, aus glänzenden Federn und Nektar schlürfenden Kolibris, bestaunten, als Jared leise gegen meine Polaroidkamera tippte. Ich biss mir ertappt auf die Unterlippe. Natürlich. Dieser Moment musste festgehalten werden und verdiente einen Ehrenplatz an meiner Fotowand. Mit leicht zitternden Händen hob ich meine Kamera und schaute durch den Sucher. Ich hoffte, dass man, trotz der Entfernung, noch etwas auf dem Polaroid erkennen würde. Ich atmete tief durch und drückte ab. Das maschinelle Surren, als die Kamera das Polaroid entwickelte, hatte ich noch nie als so ohrenbetäubend laut empfunden. Einige der Kolibris horchten auf und begangen schrill zu zwitschern. Und ehe ich mich versah, waren sie weg. "Ach verdammt!", seufzte ich enttäuscht und Gatsby kommentierte deren plötzlichen Aufbruch mit wildem Gebell. Jared lachte nur und tätschelte meinem Hund den Kopf, was er sich schwanzwedelnd gefallen ließ. "Früher oder später wären sie eh weitergezogen!", zwinkerte er mir aufmunternd zu und nahm mir das Polaroid ab. Neugierig schauten wir auf das Foto und sahen dabei zu, wie das Schwarz der lebhaften Farbe des Waldes wich. Und da waren sie. Kleine schillernde und farbenprächtige Kolibris. Einige nur verschwommen und zu erahnen und andere, für Polaroid-Verhältnisse, gestochen scharf. "Da hast du die Geister des Waldes ja perfekt eingefangen!", strahlte er mich an und ich strahlte zurück. "Na wenn das kein perfekter Moment ist!", hauchte ich und er lachte leise auf. Sein Atem streifte meine Wange, welche sofort anfing zu brennen. Er beugte sich leicht vor und mein Herz raste so schnell, als wollte es mir aus der Brust springen. "Sie erinnern mich irgendwie an dich!", raunte er und ich blinzelte. "Wer?", fragte ich mit belegter Stimme. "Die Kolibris!", grinste er und sein Blick glitt über meine Lippen, welche dadurch erregt kribbelten. "Warum?", keuchte ich atemlos und versuchte nicht zu vergessen, regelmäßig nach Luft zu schnappen. "Naja... sie sind bunt. So wie du. Sie strahlen. So wie du. Sie sind zart. So wie du. Und sie sind einmalig. So wie du!", raunte er und hätte ich nicht schon gekniet, wäre ich auf der Stelle zusammengesackt. Meine Beine fühlten sich taub und gummiartig an. Mein Herz platze voller noch nie empfundener Gefühle und mein Hirn schaltete sich überfordert ab. Zögernd legte er seine Hand auf meine Wange und ich senkte den Blick. Seinem intensiven Blick war ich nicht mehr gewappnet. Ich spürte, dass er sich zu mir beugte. Und ich hielt still. Schloss sogar die Augen. Voller heimlicher Neugier und Hoffnung. Vergessen war meine Angst. Vergessen waren meine viel zu komplizierten Gedanken. Vergessen war die Zeit. Es gab nur mich. Und Jared. Mehr musste ich nicht wissen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)